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Raumzeitreisender
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Ahaus
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 752 Bewertungen
Bewertung vom 30.11.2020
Größer als das Amt
Comey, James

Größer als das Amt


sehr gut

"Größer als das Amt" ist nicht nur ein Aufklärungsbuch über die politischen Verhältnisse in den USA, sondern auch ein Lehrbuch über Führung und Verantwortung. In einer Zeit, in der fundamentale Wahrheiten angezweifelt und Lügen für normal erklärt werden, fühlt sich der ehemalige FBI-Direktor James Comey, der auf vier Jahrzehnte juristischer Arbeit zurückblicken kann, berufen, seine Vorstellungen von Führung darzulegen.

Comeys Ausführungen sind sachlich und präzise. Er stellt seine eigene Lebensgeschichte vor, berichtet von verschiedenen juristischen Aufgaben, die ihm übertragen wurden und gesteht selbstkritisch, immer mit dem Ziel daraus zu lernen, manchen Fehler ein. Seine berufliche Entwicklung verläuft steil nach oben. Er erreicht höchste Ämter, bis Präsident Trump ihn entlässt.

Der Auslöser für das Buch dürfte sein, dass Trump und Comey unterschiedliche Vorstellungen von Loyalität haben. Während Trump Loyalität auf sich als Person bezieht, fühlt sich Comey der Wahrheit und dem Land gegenüber verpflichtet. Dieser Disput führt letztlich zum Ende der Zusammenarbeit. Comey stellt mit diesem Buch seine Sicht der Entwicklung vor.

"Die Nachrichtendienste beschäftigen sich mit Fakten, das Weiße Haus mit Politik und der Interpretation dieser Fakten." (306) Comey liefert mit diesem Buch keine Sensationen. Es ist ein Stück Zeitgeschichte und seine persönliche Rechtfertigung für die Ereignisse der letzten Jahre. Es handelt sich um ein lesenswertes Lehrstück über die Strukturen amerikanischer Sicherheitsbehörden und deren Abhängigkeiten zur Regierung.

Bewertung vom 29.11.2020
Ein plötzlicher Todesfall
Rowling, J. K.

Ein plötzlicher Todesfall


sehr gut

Barry Fairbrothers, Mitglied des Gemeinderates der Kleinstadt Pagford, stirbt Anfang vierzig plötzlich und unerwartet an einem Aneurysma. Er war ein engagierter Bürger mit einer hohen integrativen Kraft, der sich für benachteiligte Menschen eingesetzt hat. Seine Bedeutung für das Dorfleben wird nach seinem Tod deutlich. Die Spannungen zwischen verschiedenen Interessengruppen nehmen überhand.

Kinder rebellieren gegen ihre Eltern, Schüler gegen ihre Lehrer, Ehefrauen gegen ihre Männer und die alteingesessene Dorfelite gegen sozial schwache Bürger. Das Denunziantentum nimmt zu, peinliche anonyme Bloßstellungen erscheinen auf der Webseite des Gemeinderates. Es ist ein Buch voller Sozialkritik, in dem insbesondere die schlechten Seiten der Menschen in den Fokus rücken.

J.K. Rowling glänzt mit vielfältigen Charakterstudien und der Beschreibung zahlreicher Beziehungskrisen zwischen gesellschaftlichen Milieus. Es ist ein Roman voller Intrigen und ohne Moral. Die Leser suchen in dieser Geschichte vergeblich positive Charaktere, die es mit dem verstorbenen Barry Fairbrother aufnehmen könnten. Aber jeder muss sich letztlich für sein Verhalten verantworten und zahlt einen Preis.

Es ist ein Roman, in den man eintaucht und den man nur ungern zur Seite legt, dennoch möchte man keine Serie über dieses Dorfleben lesen. Wenn man glaubt, es kann nicht mehr schlimmer kommen, setzt Rowling noch einen drauf. Anfängliche Freundschaften werden enttäuscht. Die Niedertracht, detailliert beschrieben, kennt keine Grenzen. Es sind nur wenige Entwicklungen in positiver Richtung erkennbar.

Bewertung vom 25.11.2020
Die Möglichkeit einer Insel
Houellebecq, Michel

Die Möglichkeit einer Insel


gut

Der Roman spielt in zwei Zeitebenen, einmal in der Gegenwart und einmal ca. 2000 Jahre später in der Zukunft. Protagonisten sind Daniel 1 (Gegenwart) und seine späteren Reinkarnationen Daniel 24 und Daniel 25. Es ist eine düstere Geschichte über die Entwicklung der Menschheit in einer Zeit ohne Gefühle.

Bereits in den ersten Kapiteln wird deutlich, dass Daniel 1 ein liebloser, dekadenter Zyniker ist. Die Fokussierung auf diese negativen menschlichen Eigenschaften lässt den geklonten leidenschaftslosen Neo-Menschen als konsequente Weiterentwicklung erscheinen. Das wirft einen bezeichnenden Blick auf den Zustand der Gegenwart.

Der Analyse der Menschheit aus dem Blickwinkel der gefühlsarmen Neo-Menschen beinhaltet eine Abrechnung mit der derzeitigen Gesellschaft, der es an echten Gefühlen, an echter Liebe mangelt. Hinter der Fassade vulgärer Beschreibungen schlummert die Sehnsucht nach echter Liebe.

Bewertung vom 19.11.2020
Das Haus der vergessenen Bücher
Morley, Christopher

Das Haus der vergessenen Bücher


sehr gut

Wenn man Carlos Ruiz Zafóns "Friedhof der vergessenen Bücher" kennt, wird man auch neugierig auf "Das Haus der vergessenen Bücher". Es sind unterschiedliche Werke, in denen Abenteuer, Liebe und Verbrechen eine Rolle spielen, umwoben von einer Gemeinsamkeit, der Liebe zur Literatur.

Christopher Morley nimmt die Leser mit auf eine Reise, die seicht beginnt und im weiteren Verlauf an Spannung gewinnt. Im Jahr 1919 betreiben Roger und Helen Mifflin ein Antiquariat in Brooklyn. Roger ist ein Literaturexperte und besessen von der Welt der Bücher. Unterstützt wird er von der jungen Hilfskraft Titania Chapman.

Von Werbung hält Roger nichts und so blitzt Aubrey Gilbert von der Werbeagentur "Grey Matter Agency" bei ihm ab. Aber Aubrey bleibt im Gespräch, da er sehr von der hübschen Titania angetan ist. Die Höhen und Tiefen der Beziehung zwischen Aubrey und Titania decken aber nur eine Facette der Geschichte ab.

Ein Buch von Thomas Carlyle über Oliver Cromwell spielt eine große Rolle. Warum ist das Interesse an diesem Buch so groß? Warum ist es zeitweise aus dem Regal verschwunden? Aubrey schöpft Verdacht und verfolgt eine wichtige Spur, deren weitere Verfolgung mit Gefahren verbunden ist.

Aufschlussreich sind die Diskussionen, die Roger Mifflin mit den Mitgliedern des Maiskolbenklubs, einem Literaturgesprächskreis, und mit Titania führt. "Unser Motto dort drüben [Friedenskonferenz nach dem Ersten Weltkrieg] muss „Amerika zuletzt“ lauten, und darauf sollten wir stolz sein, …". (114)

Auch wird das Verhalten der republikanischen Partei kritisiert. "Ich [Roger Mifflin] für meinen Teil wäre bereit, die ganze republikanische Partei zu opfern." (115) Und die Großstadtkirchen kommen wegen ihrer Haltung schlecht weg. (119) Hundert Jahre alte Diskussionen, eingebunden in einen Roman, wirken erhellend.

Der Bezug zum gerade beendeten Krieg wird an verschiedenen Stellen deutlich, insbesondere im Gedicht des französischen Soldaten Charles Sorley: "An Deutschland. Verblendet seid ihr, so wie wir. Niemand hat eure Schmerzen je gewollt, und niemand wollte euer Land als Beute sehn. ...". (162)

Bewertung vom 13.11.2020
Das Jesus-Video / Jesus Video Bd.1
Eschbach, Andreas

Das Jesus-Video / Jesus Video Bd.1


ausgezeichnet

Bei einer Ausgrabung in Israel im Auftrag des einflussreichen Geldgebers John Kaun, Vorstandsvorsitzender der Kaun Enterprises, einer weltweit agierenden Holdinggesellschaft, findet Grabungshelfer Stephen Foxx in einer Parzelle ein Skelett, welches auffallend anachronistisch wirkt.

Das 2000 Jahre alte Skelett eines Mannes weist eindeutig Spuren auf, die nicht in die Zeit passen. Dazu gehören moderne Zahnfüllungen sowie ein Beutel mit der Beschreibung einer Video Kamera, die selbst zum Zeitpunkt der Ausgrabung noch nicht auf dem Markt erhältlich ist. Handelt es sich um die Überreste eines Zeitreisenden?

Die Gruppe um Kaun entwickelt die Theorie, dass der Mann, der in der Region von Jesus gelebt hat, diesen mit seiner Kamera aufgenommen haben könnte. Das würde die Grundlagen des christlichen Glaubens erhärten oder erschüttern. Es beginnt eine abenteuerliche Suche nach der Kamera, die auch für den Vatikan existenziell ist.

Der Roman ist vom Anfang bis zum Ende spannend. Eschbach glänzt mit Kreativität und Detailwissen. Auf der Jagd nach der Kamera werden Theorien entwickelt und wieder verworfen. Der Kirche ist daran gelegen, die Wahrheit zu verschleiern. Das Thema ist politisch, technisch, theologisch und philosophisch brisant.

Bewertung vom 13.11.2020
Die Pest
Camus, Albert

Die Pest


sehr gut

Albert Camus beschreibt die Entwicklung und Auswirkungen der Pest in der französischen Präfektur Oran an der algerischen Küste im Jahr 194' aus der Perspektive von Dr. Bernard Rieux, einem couragierten Arzt, der gegen die Seuche ankämpft.

Zu Beginn sterben die Ratten und später die Menschen. Über Oran wird der Ausnahmezustand verhängt. Niemand darf die Stadt verlassen. Das geordnete Leben in der Stadt bricht zusammen. Die Menschen verkriechen sich in ihren Wohnungen.

Der atheistische Arzt Rieux kämpft aktiv gegen die Seuche an, während der Jesuitenpater Paneloux in seiner Predigt die Pest als Strafe Gottes zur Züchtigung des Menschen bezeichnet. Die Protagonisten gehen unterschiedlich mit der Situation um.

Es sind Handlungsorientierung, Liebe und Solidarität gefragt, statt Egoismus, Aberglaube und Fatalismus, auch wenn die Situation absurd erscheint. Wer die Absurdität in den Fokus rückt, verliert den Kampf gegen die Seuche.

Die Pest ist gekommen wie eine finstere Wolke und sie verschwindet auch irgendwann wieder, ohne, dass die Betroffenen es erklären können. Sie steht metaphysisch für das Böse, welches die Menschheit von Zeit zu Zeit heimsucht.

Es ist kein Zufall, dass der Roman in den 1940er Jahren entstanden ist. Das Böse steht sinnbildlich für die Okkupation Frankreichs durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg. Auch wenn die Gefahr gebannt ist, bleibt das Böse im Menschen latent vorhanden.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.11.2020
Draußen vor der Tür
Borchert, Wolfgang

Draußen vor der Tür


ausgezeichnet

Das Buch besteht aus dem Drama "Draußen vor der Tür", vierzehn Kurzgeschichten und einem Nachwort von Heinrich Böll aus dem Jahre 1955. Borchert gehört, insbesondere wegen seiner überzeugenden den Nerv der Zeit treffenden Nachkriegsbeschreibungen, zu den wichtigsten Autoren deutscher Nachkriegsliteratur. Seine eigenen Erfahrungen fließen in seine Geschichten ein.

Der deutsche Soldat Beckmann kehrt nach 3 Jahren russischer Gefangenschaft heim in seine Heimatstadt Hamburg. Er ist traumatisiert, gebrochen vom millionenfachen Tod und hat Schmerzen aufgrund seiner Kriegsverletzungen. Verarmt und hungrig stellt er fest, dass er kein Zuhause mehr hat. Er fühlt sich von der Gesellschaft verlassen und fragt nach der Verantwortung für die Gräueltaten des Krieges.

Die Leser werden in diesem Drama mit Kälte, Verantwortungslosigkeit und Gleichgültigkeit konfrontiert. Die Gesellschaft hat ihr Mitgefühl verloren. So eindringlich, das gilt auch für die Kurzgeschichten, kann nur jemand schreiben, der die Abgründe des Krieges erlebt hat. In dem Buch finden sich Menschen wieder, die die Zeit erlebt haben. Es ist zugleich eine Mahnung an nachfolgende Generationen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.11.2020
Das weiße Segel
Bambaren, Sergio

Das weiße Segel


gut

Eine Reise zu sich selbst

Bei diesem Buch handelt es sich um ein modernes Märchen, in dem Sergio Bambaren deutlich macht, worauf es im Leben wirklich ankommt. Kate und Michael, ein junges Paar aus Auckland, sind mit ihrer Lebenssituation unzufrieden. Sie erwerben ein Segelboot, kappen alle beruflichen und privaten Verbindungen zu ihrer Heimat und stechen in See. Sie begeben sich auf eine Entdeckungsreise.

Auf ihrer einjährigen Tour lernen sie unbekannte Kulturen kennen, tauschen sie Erfahrungen mit fremden Menschen aus, lernen sie mit Gefahren umzugehen und finden sie letztlich zu sich selbst. Ein magisches Buch, welches sie von einem Freund geschenkt bekommen haben, inspiriert sie auf ihrer Reise. Die Geschichte enthält einige Zufälle und zahlreiche bekannte Lebensweisheiten.

Die Charaktere sind einfach gestrickt und die Geschichte ist vorhersehbar. Die These des Buches "Folge Deinem Herzen" lädt zum Träumen ein, denn die Realität ist komplizierter. Der Autor fordert die Leser auf, wie Coelhos andalusische Hirte in "Der Alchimist", aus dem Alltag auszubrechen, sich auf eine Entdeckungsreise zu begeben, Risiken einzugehen und das Schöne in der Welt zu suchen.

Bewertung vom 27.10.2020
Einmal Hans mit scharfer Soße
Akyün, Hatice

Einmal Hans mit scharfer Soße


gut

Zwischen den Welten

Journalistin Hatice Akyün, in Anatolien geboren und in Duisburg aufgewachsen, kennt sowohl die türkische als auch die deutsche Kultur. Sie sagt von sich selbst, dass sie zu deutsch sei, um eine Türkin zu sein, und zu türkisch sei, um sich eine Deutsche zu nennen. Mit Charme und Selbstironie beschreibt sie ihren Spagat zwischen zwei unterschiedlichen Welten.

Ihre Ausführungen sind unterhaltsam und humorvoll, aber auch sehr subjektiv. Sie beschreibt Episoden aus ihrem Leben, wobei Familie, Freundschaften und Essensgewohnheiten dominieren. Ihre Ausführungen sind lustig, erhellend, aber auch sehr klischeehaft, wenn es um die Charakterisierungen von Deutschen und Türken geht. Über ihr Berufsleben schreibt sie nicht.

Hatice Akyün führt kein durchschnittliches Leben, sondern das Leben einer unabhängigen selbstständigen Karrierefrau. Insofern entspricht ihre Lebenswirklichkeit als erfolgreiche Journalistin auch nicht dem Durchschnitt. Die Unabhängigkeit hat ihre Grenzen, wenn es um die Partnerwahl geht. Beziehungen kann man viele haben, aber als Ehepartner kommt nur ein Mann infrage, der beschnitten ist.

Erhellend fand ich ihre Erlebnisse auf der Autofahrt in die Türkei. Ob ein türkischer Hochzeitsbrauch, bei dem rote Bänder um die Taille der Dame gewickelt werden, wirklich unterhaltsamer ist, als das Zersägen eines Baumstammes bei manchen deutschen Hochzeiten, darüber ließe sich streiten. Die Autorin schreibt keine durchgängige Geschichte, aber sie liefert einen Beitrag zum Verständnis unterschiedlicher Kulturen.

Bewertung vom 16.10.2020
Die Glasbläserin von Murano
Fiorato, Marina

Die Glasbläserin von Murano


gut

Auf den Spuren ihrer Ahnen

Die Manins waren im 17. Jahrhundert eine wohlhabende und mächtige Familie in Venedig. Corrado, der Vater des zehnjährigen Corradino Manin, gehörte zum Rat der Zehn an der Spitze der Regierung von Venedig. Er wurde von seinem Bruder denunziert und seine Familie umgebracht. Corradino überlebte als einziges Familienmitglied und machte auf der Insel Murano eine Ausbildung zum Glasbläser.

Nach der Trennung von ihrem Mann Stephen, mit dem sie zu Beginn des 21. Jahrhundert in London gelebt hat, zieht es die künstlerisch begabte Leonora Manin in ihre Geburtsstadt Venedig, um dort als Glasbläserin zu arbeiten. Zudem möchte sie mehr über ihre Ahnen erfahren. Sie ist in direkter Linie verwandt mit dem berühmten Glasbläser Corradino Manin, der im 17. Jahrhundert in Venedig gelebt hat.

Die aktuelle Erzählung erfolgt chronologisch, die Einschübe über die Vergangenheit situationsbezogen. Schicksalhafte Abhängigkeiten und Parallelen sind an verschiedenen Stellen erkennbar. Die Leser erhalten einen Einblick in die venezianische Glasbläserkunst und ihre strengen Regeln. Die Geschichte von Corradino ist dramatisch, die Geschichte von Leonora, sie ist besessen von ihrer Ahnenforschung, ist vorhersehbar.