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sleepwalker

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Insgesamt 467 Bewertungen
Bewertung vom 05.06.2021
Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit
Nguyen-Kim, Mai Thi

Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit


ausgezeichnet

„Noch nie zuvor gab es so viel Wissen – und so viele Meinungen.“ - dieser Satz aus dem Vorwort von Mai Thi Nguyen-Kims Buch „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit“ ist vermutlich die beste Charakterisierung des momentanen Zustands. Nicht nur Corona hat mir (und sicher sehr vielen anderen) gezeigt, dass Wissen, Verstehen und Deuten wichtiger ist, denn je. Und das Handwerkszeug, um mit dem Wissen richtig umgehen zu können, gibt die Autorin ihren Lesern in ihrem Buch an die Hand.
Die Autorin ist promovierte Chemikerin und ausgezeichnete (u.a. Grimme Preis 2021) Wissenschaftsjournalistin. Bekannt ist sie unter anderem durch TV-Formate wie Quarks oder ihren eigenen YouTube-Kanal „maiLab“, bei beiden versucht sie, Wissenschaft und schwierige Themen einfach zu erklären. Das macht sie auch in ihrem Buch, in dem sie anhand verschiedener Themen Forschung und Methodik erklärt und zeigt, wie Studien funktionieren und worauf man bei der Interpretation von Studienergebnissen achten sollte. Und sie erläutert dabei außerdem unter anderem Begriffe wie Korrelation und Kausalität, Placebo und Nocebo und Bias (sowohl Publication Bias als auch Confirmation Bias). Mai zeigt für den Laien verständlich, wie Wissenschaft und wissenschaftliche Arbeit funktioniert (oder funktionieren sollte), was wissenschaftliches Denken überhaupt ist und wie man Studienergebnisse interpretiert. Eine gewisse Skepsis gehört auch für sie dazu, sie bringt ihrer Meinung nach sogar die Wissenschaft voran („zumal Skepsis doch die DNA von Wissenschaft und Forschung ist“). Vor allem momentan, wo Impfen, Impfstoffentwicklung/-zulassung
Vieles von dem, was sie in ihrem Buch zusammengestellt hat, kannte ich so oder ähnlich schon von ihrem YouTube-Kanal, einiges war mir aber auch neu. Außerdem fand ich es auch ganz schön, Internet-Inhalte praktisch transkribiert und aufbereitet, unterfüttert mit zusätzlichen Informationen und Illustrationen, schwarz-auf weiß in der Hand zu halten. Ein Buch ist halt doch noch mal etwas anderes als ein Video. Themen des Buchs sind neben Legalisierung von Drogen und dem Gender Pay Gap auch Videospiele und Gewalt, alternative Medizin (in diesem Zusammenhang erklärt die Autorin auch Placebo und Nocebo), Intelligenz (hier schlägt sie den Bogen zu Vererbung und Genetik) und Tierversuche. Und natürlich darf auch das Thema „Wie sicher sind Impfungen“ mit einem Exkurs zu Wirkungen und Nebenwirkungen nicht fehlen.
Die Sprache, derer sich die Verfasserin bedient, ist so frech-flapsig, wie man es von ihr gewohnt ist, so liest sich das Buch vermeintlich sehr leicht, an manchen Stellen fand ich diese Lockerheit tückisch, die musste ich nämlich mehrfach lesen, um den Inhalt komplett zu verstehen und zu verinnerlichen. Denn Fakt ist, dass das Buch zwar für den interessierten Laien geschrieben ist, aber das Buch ist nichts zum „nebenher lesen“. Wie auch im Leben empfiehlt es sich bei dem Buch mit dem Verstand bei der Sache zu sein, es kritisch zu lesen, zu hinterfragen und sich gewiss zu sein, dass es keine einfachen Antworten gibt. Wissenschaftlicher Diskurs ist eine immerwährende Diskussion und er wird immer nur zur kleinsten gemeinsamen Wirklichkeit führen. Mai-Thi Nguyen Kim gibt ihren Lesern praktisch eine Lupe an die Hand, um für sich selbst herauszufinden, wo die Grenze zwischen einer gesunden Skepsis und Verschwörungsmythen verläuft. Denn tatsächlich gibt es in der Naturwissenschaft nie ein völlig richtiges Modell, sondern immer nur das beste Modell, das zum aktuellen Zeitpunkt verfügbar ist. Alles in allem ein wirklich gutes Buch und ein Plädoyer für die wissenschaftliche Aufklärung. Von mir fünf Sterne.

Bewertung vom 27.05.2021
Die Kinder hören Pink Floyd
Gorkow, Alexander

Die Kinder hören Pink Floyd


weniger gut

Der Roman „Die Kinder hören Pink Floyd“ von Alexander Gorkow ist ein eher kurzes und autobiografisch aufgebautes Buch aus der Kindheit des Autors. Ich mag Pink Floyd nicht zuletzt, weil ein Bekannter von mir eine Pink-Floyd-Hommage inszeniert hat, daher bin ich auf das an das Album „Dark Side of the Moon“ erinnernde Cover direkt angesprungen. Und mit „Wish you were here“ in der Endlosschleife habe ich versucht, mich auf das Buch einzustimmen – vergeblich. Am Ende der nicht mal ganz 200 Seiten bleibt für mich von dem Buch nur ein großes Fragezeichen: Was will mir der Künstler damit sagen?
Alexander Gorkow ist Jahrgang 1966, seine Schwester war sechs Jahre älter. Als er etwa zehn Jahre alt war (das Buch handelt von der Zeit kurz vor dem Übertritt aufs Gymnasium), hatte sie einen großen Einfluss auf ihn, musikalisch, aber auch (pseudo) politisch und bezüglich seiner Persönlichkeitsentwicklung. Sie, die das ganze Buch über nur „die Schwester“ genannt wird, gehört der Boomer-Generation an, hat einen Contergan-bedingten Herzfehler, der sie immer wieder zu Klinikaufenthalten zwingt, und sie kennt sich aus. Eingekeilt zwischen Tagesschau, ZDF-Hitparade mit Dieter Thomas Heck und Heino, probt sie einen pseudointellektuellen Kampf gegen das Establishment. Sie weiß über Dinge Bescheid, von denen der kleine Alexander so gar keine Ahnung hat und die er in seiner kindlichen Naivität manchmal auch falsch versteht.
Die Schwester ist für mich die heimliche Protagonistin des Buchs. Sie weiß, was Sozialismus, Faschismus und Nazis sind, hat den Durchblick in der (spieß)bürgerlichen Gesellschaft der Düsseldorfer Vorstadt und natürlich kennt sie sich mit Zwischenmenschlichem und Musik aus, besonders natürlich mit Pink Floyd. Dagegen besteht Alexanders Leben aus Schule (Casala-Tischen und seinem Freund Hubi mit Trisomie 21, der lieber Demis Russos als Pink Floyd mag), seinem Qualitätsrad, der Therapie gegen sein Stottern, Tagträumen und dem, was seine Schwester ihm nahezubringen versucht: Musik und Kampf gegen das Establishment.
Manche Abschnitte erinnerten mich beim Lesen an aktuelle Verschwörungstheorien, wenn man das Wort „Establishment“ durch „Eliten“ ersetzt, dann bekommt die Aussage, dass die „Mothers of Invention“ Kinder im Einkochtopf weichkochen, um eine „Kinderbrühe“ herzustellen, einen ganz seltsamen Unterton. Das Establishment ist für den kleinen Alexander eine Ansammlung von Monstern, denn mit dem abstrakten Begriff an sich kann er nichts anfangen. Andere Passagen sind sehr skurril und erinnern eher an Loriot. „Willst du mit dem Papi sprühen“, eine Frage, bei der der Vater sich selbst in der dritten Person nennt, fühlte ich mich beispielsweise wie bei „Weihnachten bei den Hoppenstedts“.

Vielleicht bin ich mit Jahrgang 1977 zu jung für dieses Buch, aber ich kann nicht sagen, dass es mich in irgendeiner Weise begeistern konnte. Zwar mag ich die Musik von Pink Floyd, aber irgendwie kam die mir in dem Buch trotz allem zu kurz. Ich fand das Buch nicht wirklich witzig, die Sprache gewöhnungsbedürftig und manchmal las es sich für mich eher verbittert und zynisch als spaßig. Alles in allem fehlte mir auch der rote Faden. Nur die stete Wiederkehr des Films „Nacht der reitenden Leichen“ und die Tatsache, dass Alexander immer wieder auf sein Stottern angesprochen wird, sind sich konstant wiederholende Elemente. Abgesehen davon bleibt nur eine eher unzusammenhängende Aneinanderreihung von Episoden aus einer kurzen Zeit im Leben eines Zehnjährigen, ein Buch, das nicht wirklich vorankommt und mich eher ein Stillleben erinnert, als an einen Kurzfilm. Bei mir kam dabei nicht einmal ein nostalgisches Gefühl auf. Für mich ist das Buch ein ebenso zahnloser Tiger wie der Kampf der Schwester gegen das Establishment – nett und zahm, mehr aber auch nicht. Der Epilog, in dem der Autor von seinem Treffen mit Roger Waters erzählt, der Entthronung eines (ehemaligen) Helden, kann für mich das Buch auch nicht retten. Von mir zwei Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.05.2021
Bornholmer Falle (MP3-Download)
Peters, Katharina

Bornholmer Falle (MP3-Download)


gut

Da ich „Bornholmer Falle“ von Katharina Peters als bereits als Buch gelesen hatte, habe ich mich sehr auf das Hörbuch gefreut. Vor allem, da mich das Buch sehr begeistert und mit seiner Spannung in seinen Bann gezogen hatte. Leider konnte das Hörbuch mich weniger begeistern als das Buch, was aber hauptsächlich daran lag, dass ich mit der Art, in der Elke Appelt liest, nicht warm wurde. Sie liest mir zu emotionslos und schafft es für mich zu selten, die Charaktere stimmlich unterscheidbar zu machen.
Das Buch an sich fand ich hervorragend. Zwar brauchte die Geschichte für mich ein wenig Zeit, um in Fahrt zu kommen, dann packte sie mich aber und der Schluss, ein mega Cliffhanger, ließ die Spannung fast ins Unermessliche steigen. Jetzt heißt es auf den nächsten Teil der Reihe warten. Im Zentrum des Krimis steht Sarah Pirohl, die seit dem Vorgängerband „Bornholmer Schatten“ zwischen Rostock und Bornholm pendelt und dort als Verbindungsbeamtin des BKA tätig ist. Sie ermittelt im Fall eines verschwundenen 18-Jährigen, der zuletzt gesehen wurde, als er die Fähre von Bornholm nach Sassnitz bestieg. Und als dann auch noch ein Freund des Verschwundenen getötet wird und sein Stiefvater sich mit undurchsichtigen Handlungen verdächtig macht, befinden sich Sarah und ihre Kollegen samt ihrem Freund Frederik mitten im Verbrechens-Sumpf. Und Sarah findet sich auch wieder mit den Geistern ihrer Vergangenheit und den Problemen ihrer Herkunftsfamilie konfrontiert. Ihr im Vorgängerband wegen seiner rechtsradikalen Umtriebe verhafteter Vater macht Sarah auch noch vom Gefängnis aus zu schaffen, denn er verfolgt weiterhin seine Ideen. Um jeden Preis. Obwohl Sarah versucht, sich von der Familie fernzuhalten (Kontakt hat sie nur noch zu ihrer Großmutter und ihrer Mutter), hat sie früh das Gefühl, dass ihr Vater auch mit ihren aktuellen Ermittlungen zu tun haben könnte. Mehr möchte ich zum Inhalt gar nicht ausführen.
Es ist der zweite Teil der Reihe um Sarah Pirohl und die Autorin gibt sich große Mühe, „Wissenslücken“ zu füllen. Aber ich denke, um die komplizierten familiären Verhältnisse der Kommissarin wirklich verstehen zu können, sollte man den Vorgänger ebenfalls lesen/hören. Er ist es auf jeden Fall wert, denn die Krimis sind beide hervorragend konzipiert, bodenständig, spannend und flott geschrieben. Katharina Peters flicht auch ein paar Sätze auf Dänisch ein, die die Sprecherin des Hörbuchs auch ganz passabel ausspricht. Die Hörbuch-Umsetzung fand ich allerdings eher schwierig, denn mir lag weder die Art noch die Stimme der Sprecherin. Für mich liest sie zu emotionslos, manchmal fast uninteressiert und monoton. Mich konnte sie nicht fesseln, manchmal machte ihr fast leiernder Tonfall mir die von der Autorin aufgebaute Spannung sogar eher kaputt. Ich höre sehr viele Hörbücher und eine so gewöhnungsbedürftige Umsetzung habe ich selten erlebt. Daher von mir für das Buch an sich fünf Sterne, für das Hörbuch allerdings nur einen – in der Summe also drei Sterne von mir.

Bewertung vom 18.05.2021
Zwischen Mundstück und Mikrofon
Wallendorf, Klaus

Zwischen Mundstück und Mikrofon


weniger gut

Ich gebe zu, dass Hornisten mir im Leben noch nicht sehr oft begegnet sind. Tatsächlich nur ein einziges Mal, was aber kein Grund für mich ist, nicht tiefer in die Horn-Materie einzutauchen. „Zwischen Mundstück und Mikrofon“ von Klaus Wallendorf schien mir da ein probates Mittel zu sein. Denn das Buch versprach sowohl einen Einblick in das Leben eines philharmonischen Waldhornisten, als auch einige amüsante Erzählungen.
Ersteres stimmte – über das Leben und Wirken des Musikers habe ich sehr viel erfahren und über die Kantinen seiner unterschiedlichen Wirkungsstätten weiß ich nach der Lektüre definitiv mehr, als ich jemals wissen wollte.
Ob die Erzählungen nun wirklich amüsant sind, darüber kann man sich streiten. Ich fand sie in der Hauptsache eher kompliziert und manche eher dröge. Einige der Sätze sind so Proust-artig verschachtelt formuliert und ziehen sich über fast einen kompletten Abschnitt (und damit fast über eine halbe Buchseite), dass ich sie mehrmals lesen musste, um sie zu verstehen, da ich am Satzende den Anfang schon wieder vergessen hatte. Tatsächlich steht aber in den Sätzen auch gar nicht so viel Erinnerungswertes drin, denn sie bestehen aus sehr vielen (vermutlich für den Autor und nur für ihn) schönen Worthülsen ohne viel Aussage.
Schade, denn eigentlich könnte das Leben eines Waldhornisten sicher außer den vielen Trinkgelagen auch sonst noch Interessantes bieten. Ich vermisste die „zwerchfellanregende Weise“ der „Berichte aus dem Orchestergraben, Gedichte und Sprechpolkas, Ein-, Über- und Unterleitungen, eine verwegene Instrumentenkunde, verschmitzte Stückebeschreibungen und humoristische Beobachtungen aus dem Alltag seiner Musikerkollegen“ völlig, denn der Verfasser beschränkt sich für mich zu sehr darauf, sich selbst ausgiebig auf die Schulter zu klopfen. Herausgekommen ist ein mittelmäßiges Buch mit viel heißer Luft, viel Luft nach oben und für mich viel zu wenig Aussage. Daher von mir eher enttäuschte zwei Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.05.2021
#DerApotheker. Die Wahrheit über unsere Medikamente
#DerApotheker

#DerApotheker. Die Wahrheit über unsere Medikamente


ausgezeichnet

Da ich den Apotheker aus den sozialen Medien „kenne“ (so, wie man sich aus dem Internet halt so kennt), habe ich mich auf sein Buch „Die Wahrheit über unsere Medikamente“ sehr gefreut. Und ich wurde nicht enttäuscht, denn es ist eine umfassende Zusammenstellung seiner Artikel, die ich schon länger als informativ, gut recherchiert und sauber ausgearbeitet zu schätzen gelernt habe.
„Warum man ausreichend über Arzneimittel Bescheid wissen sollte und warum ich anfing, darüber aufzuklären“ – mit fast jeder Seite des Buchs wird der Leserschaft klar, wieso das Wissen über Arzneimittel so wichtig ist und dass die Aufklärung deshalb wichtig ist, weil zum Teil viel zu wenig Wissen vorhanden ist. Selbst bei Menschen, die Medikamente seit Jahren nehmen, stellt sich manchmal heraus, dass sie nie über die richtige Einnahme aufgeklärt wurden und deshalb Fehler machen. Erschreckend. Und beruhigend, wenn man weiß, dass gewissenhafte Apotheker aufklären, nachfragen, nachhaken und immer wieder aufs Neue aufklären.
Manche Themen sind natürlich altbekannt, aber selbstverständlich schadet es nicht, wenn man zum –zigsten Mal darüber liest, wieso man abschwellendes Nasenspray nicht länger als eine Woche benutzen sollte, dass man Tabletten ganz sicher nicht einfach absetzen soll, warum man nicht jede Tablette teilen darf, warum die anthroposophische Medizin Geldverschwendung ist und dass Homöopathie nicht über den Placeboeffekt hinaus wirkt. Anderes ist dem Publikum vielleicht auch neu. Ich war beispielsweise überrascht, wie lange (oder wie kurz) Rezepte gültig sind und auch die Rabattverträge der Krankenkassen waren Neuland für mich. Aktuell jetzt sicher für einige interessant, sind die Kapitel über Allergien und was dagegen hilft, warum Hände desinfizieren besser für die Haut ist, als sie zu waschen und warum man nicht in die Hand husten oder niesen sollte.
Verpackt hat der Apotheker seine Informationen in einen fiktiven Arbeitstag, in dem er die Themen seinen (ebenso fiktiven) Kunden erklärt. Für mich ein schlüssiger roter Faden, mit dem er sein Wissen zu einer runden Sache verschnürt. Nebenher gibt er einen kleinen Einblick in den Alltag hinter dem Handverkaufstisch, samt Erfahrungen mit netten, wissbegierigen, dankbaren, aber auch beratungsresistenten und sogar unverschämten Kunden. Herausgekommen ist für mich ein ausführlicher, informativer und leserfreundlicher Ratgeber über Medikamente und Heilmittel und Mittel, die gerne welche gerne wären. Von mir eine ganz klare Lese-Empfehlung und fünf Sterne.

Bewertung vom 03.05.2021
Fertig ist die Laube / Online-Omi Bd.15
Bergmann, Renate

Fertig ist die Laube / Online-Omi Bd.15


gut

„Na, sind wir mal ehrlich, Renate: So ein Beet ist auch nichts anderes als ein Grab. Ob Eisbegonien oder Kohlrabi – darauf kommt es nun nicht an. Und Gräber beackerst du ja auch!“ – und ehe sich Renate Bergmann versieht, hat ihre Freundin Gertrud sie überredet, sich gemeinsam um den Kleingarten ihres Lebensgefährten Gunther zu kümmern, solange der wegen seiner Bandscheiben-OP und der anschließenden Reha außer Gefecht ist. Und schon sind die beiden rüstigen Damen mitten in der Kleingartenparzelle und der Leser mitten in der Geschichte. „Und fertig ist die Laube“ heißt zwar das Buch von Torsten Rohde, dem Autor hinter der Online-Oma Renate Bergmann, aber bis die Laube fertig ist, dauert es eine ganze Weile. Und eigentlich ist so ein Garten ja auch niemals fertig.
Denn natürlich ist es mit alle zwei Tage Gießen nicht getan, denn der Garten stellt sich als vollkommen verwildertes Fleckchen Erde heraus. Und dann ist da noch der neue Verwalter der Anlage Günther Habicht, der den Garten am liebsten so schnell wie möglich an jemand anderen verpachten würde und den beiden Damen ordentlich Druck macht. So ist es für Renate, Gertrud und ihre Helfer ein Wettrennen mit Harke, Rosenschere und Gießkanne gegen die Zeit und gegen den pedantischen Verwalter, den Renate schon von ihrem Campingausflug kennt. Und auch andere alte Bekannte trifft man als Leser:in in der Laube wieder, beispielsweise Renates esoterisch angehauchte Tochter Kirsten und ihre Freunde Kurt und Ilse Gläser.
„Letztes Frühjahr sind meine Freundin Gertrud und ich unter die Laubenpieper gegangen. Nicht ganz freiwillig zunächst, aber es wurden dann wunderschöne Wochen.“, resümiert Renate die Zeit in der Laube. Wunderschön fand ich das Buch zwar nicht, aber durchaus unterhaltsam. Und ich, der ich mit dem schwarzen Daumen des Pflanzentodes „gesegnet“ bin, konnte einiges dazulernen. Zwar ist es mir nach wie vor egal, ob man Unkraut bei Neu- oder Vollmond jätet, wann man denn nun Salat am besten pflanzt und dass Gießen und Rasensprengen nur an den Tagen nötig sei, an denen Krebs oder Fische auf dem Kalender von Renates Tochter Kirsten in dem linken kleinen Kästchen stehen, aber das eine oder andere konnte ich doch mitnehmen. Zum Beispiel wie man Kompost ansetzt und dass Stare die Musik der Flippers nicht mögen und Maulwürfe „beim Herrn Gabalier Reißaus nehmen“. Und dass das Rätsel um die Zucchinischwemme wohl auf ewig ungelöst bleiben wird.
Sprachlich ist das Buch so, wie man es von den anderen Renate-Bergmann-Büchern gewöhnt ist. Sie berlinert vor sich hin, schreibt, wie ihr der Schnabel gewachsen ist und kommt von „Höckchen aufs Stöckchen“. Ich fand es launig, unterhaltsam und manchmal sogar informativ, aber in diesem Band fehlten mir die wirklich richtig lustigen Passagen. Stellenweise war selbst mir das Buch zu zynisch (und das will etwas heißen!). Da hätte ich nach den Vorgängerbänden etwas mehr erwartet, aber zwischen „Internetz“ und „Fässbook“ hat sich nach 14 Bänden auch die beste Idee vielleicht nach und nach doch totgelaufen und der Charme wird etwas schal.
So bleibt das Buch für mich unterhaltsam, mäßig spaßig und alles in allen eher etwas für Fans. Daher vergebe ich drei Sterne.

Bewertung vom 03.05.2021
Das Verschwinden der Erde
Phillips, Julia

Das Verschwinden der Erde


weniger gut

Ich erinnere mich an nur wenige Bücher, bei denen ich beim Lesen so oft drüber nachgedacht habe, sieungelesen beiseite zu legen. „Das Verschwinden der Erde“ von Julia Phillips war für mich allerdings so ein Buch. Aber von vorn. Denn vorne (also auf den ersten 30 bis 40 Seiten fand ich das Buchwirklich gut, spannend und packend. Und dann verschwand für mich nicht die Erde, sondern das Konzept des Werks, das vollmundig als „ausgeklügelter literarischer Thriller“ angekündigt worden war, und meine Motivation, weiterzulesen. Und die Geschichte an sich hatte großes Potenzial, das die Autorin leider in keinster Weise ausschöpft. Zwei Mädchen im Alter von acht und elf Jahren verschwinden an der Küste der sibirischen Insel Kamtschatka spurlos. Landesweit suchen Menschen nach ihnen – ohne Erfolg. Pikant: vor drei Jahren war eine 18-Jährige verschwunden, die einer indigenen Minderheit angehört, nach ihr wurde gar nichterst gesucht. So weit, so spannend und so politisch und ethisch interessant.
Aber dann verliert das Buch noch schneller an Fahrt und Spannung, als es diese überhaupt aufgebaut hatte. Das Buch ist für mich kein Roman und schon gleich gar kein Thriller. Es ist eine Anthologie, eine Aneinanderreihung von zwölf Kurzgeschichten, von denen jede mit einem Monat überschrieben ist. Sie sind einzig und alleine dadurch verbunden, dass alle Hauptcharaktere irgendwie mit dem Verschwinden der Mädchen verknüpft sind. Dieser rote Faden ist zwar stets präsent, aber er macht die Geschichten nicht zu einer Einheit, sondern für mich zu einem uneinheitlichen Flickenteppich mit Farben und Formen, die von einem dünnen roten Faden zusammengehalten werden und nicht wirklich zusammenpassen.
Wie in Kurzgeschichten üblich, bekommt man als Leser:in einen kurzen Einblick in die Leben der verschiedenen Frauen, und sobald man beginnt, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und sich für sie zu interessieren, ist das Kapitel vorbei und man betritt das nächste Leben, ohne jemals zu erfahren, wie die Geschichte der anderen Person ausgegangen ist. Bei einigen Kapiteln fand ich das durchaus schade, denn die Schicksale, denen man dort begegnet sind an sich zwar alltäglich, aber dennoch in der Gesamtheit der geballten Frustration bedrückend: keiner der Beschrieben Charaktere (überwiegend sind es Frauen) ist mit dem Leben auch nur annähernd glücklich.
Glücklich wurde ich mit dem Buch weder auf inhaltlicher, noch auf sprachlicher Ebene. Von einemliterarischen Thriller hatte ich mir auch sprachlich mehr erhofft als die alltägliche, völlig gewöhnliche Sprache. Alles in allem war es für mich ein in der Hauptsache quälend langweiliges und langatmiges Buch mit ein paar wenigen spannenden Passagen und ein paar wirklich guten Beschreibungen der rauen Landschaft mit Steppe und heißen Quellen und dem zum Teil harten Leben der Menschen dort. Diese atmosphärischen Beschreibungen und der Anstoß, den das Buch zum Nachdenken über Rassismus und Feminismus gibt, waren für mich der einzige positive Aspekt an dem sonst eher enttäuschenden Buch.
Alles in allem war es für mich nichts Ganzes und nichts Halbes, denn es ist in keinem Genre wirklich verankert. Die Autorin schafft weder einen Thriller, noch einen politischen oder einen Gesellschaftsroman. Irgendwie kam es mir vor, als habe sie sehr viel gewollt und sich auf dem Weg dahin verzettelt und verrannt. Mit jedem Kapitel wartete ich, dass endlich Spannung aufkommt – vergeblich. Daher von mir zwei Sterne.

Bewertung vom 03.05.2021
Beautiful Things
Biden, Hunter

Beautiful Things


ausgezeichnet

„Where’s Hunter?“ („Wo ist Hunter“) war ein Bestandteil von Donald Trumps Präsidentschaftswahlkampf. Spätestens seither ist der Name Hunter Biden auch außerhalb der USA bekannt. Mit diesem Slogan versuchte Trump seinen Konkurrenten Joe Biden zu diskreditieren, indem er nicht müde wurde, die Korruption der Familie zu betonen. Wo Hunter war (und ist), erzählt er in seinem Buch „Beautiful Things“. Er war zu dem Zeitpunkt nämlich auf der Suche nach Alkohol, Crack und sich selbst.
„Beautiful Things“ ist ein Ausdruck, der sich durch die Biografie von Hunter Biden zieht. Der Spitzname seines Bruders war Beau und die Suche nach „schönen Dingen“ war für die beiden eine Art „Geheimnis“ im Leben. Hunter Biden erzählt in seinem Buch seine Geschichte. Schonungslos ehrlich geht er mit sich selbst ins Gericht – fast ausnahmslos alle anderen stellt er in seinem Buch erheblich besser dar, als sich selbst. Denn niemand hat Hunter Biden im Leben so hart herausgefordert und so sehr geschadet, wie er sich selbst. Wenn man dem Buch glauben darf, dann war er immer sein größter Gegner und sein schlimmster Feind.
Im Gegenzug schreibt er unfassbar liebevoll und berührend über seine Familie, angefangen von seiner Mutter und seiner Schwester, die bei einem Autounfall getötet wurden, als er vier Jahre alt war. Der enge Zusammenhalt innerhalb der Familie ist beeindruckend, vor allem das Band zwischen ihm und seinem Bruder Beau. So ist es nicht verwunderlich, dass dessen Tod 2015 Hunter Biden vollends aus der Bahn warf. Das Buch ist voller Liebe und Wärme, Drogen und Alkohol. Ein Schicksal von vielen, mit der Ausnahme, dass Hunter Bidens Vater inzwischen Präsident der Vereinigten Staaten ist. Ein Beispiel dafür, dass so etwas in jeder Familie vorkommen kann. Ein Beispiel dafür, dass gesellschaftlicher Status einen nicht vor einem Absturz schützen kann. Und ein Beispiel dafür, dass eine Familie ein beschützendes Netz sein kann, das auch den gefallenen und Verlorenen Sohn auffangen kann. Und es ist ein Beispiel dafür, dass auch die stärksten Familienbande, das größte finanzielle Polster und das intakteste Umfeld nur so gut sein können, wie der Wille des Abhängigen. Mit seiner Willensstärke und seiner Motivation steht und fällt der Erfolg eines Entzugs.
Politik und Präsidentschaftswahlkampf sind ein Thema im Buch, ebenso natürlich die Korruptionsvorwürfe, die Donald Trump erhoben hat. Er „würde es heute nicht mehr so machen“, sagte Hunter Biden in der Sendung von Jimmy Kimmel. Aber im Endeffekt kreierte dieser Job das zuverlässige Einkommen, mit dem er in seiner dunkelsten Zeit seine Sucht lange finanzieren konnte, ohne wirklich arbeiten gehen zu müssen.
„Beautiful Things“ ist die Autobiografie eines Mannes, der eigentlich noch mitten im Leben steht. Eine Abrechnung mit sich selbst, eine Liebeserklärung an seine Familie und ein wirklich berührendes Buch. Aber? Ja, es gibt auch ein Aber. Es ist für mich das Buch eines charakterlich eher unreifen und schwachen Menschen. Denn viele Menschen verlieren geliebte Angehörige und flüchten sich nicht in die Sucht. Viele Menschen sind süchtig und haben niemanden, der sie vor sich selbst schützt. An manchen Stellen hatte ich das Gefühl, Hunter Biden ist ein Feigling und wartet immer darauf, dass jemand kommt und ihn rettet, dass ihm jemand die Hand auflegt und ihn gesund und abstinent macht. Aber das Leben funktioniert nicht so, denn es ist nichts für Feiglinge und nichts für Faulpelze. So geläutert er inzwischen klingt, manchmal hatte ich das Gefühl, er ruht sich auf den Privilegien aus, die ihm sein Name bietet. Unabhängig von der politischen Komponente, nur als Autobiografie eines Süchtigen betrachtet, vergebe ich vier Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.04.2021
Sam ist weg
Bienvenu, Sophie

Sam ist weg


ausgezeichnet

Mathieu braucht Sam. So viel ist ganz klar. Denn Mathieu hat außer Sam niemanden mehr und ohne die Pitbill-Hündin ist sein Leben auf der Straße schwierig bis unmöglich. Und dann passiert das Schreckliche: Sam ist weg. Dabei hatte er sie nur kurz angebunden, um einkaufen zu gehen. Und dann ist die Hündin weg. Und man ist als Leser:in mitten im Buch „Sam ist weg“ von Sophie Bienvenu.
„»Ich vermisse sie so sehr, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Es fühlt sich an, als hätte man mir ein Stück aus dem Körper gerissen. Und die Wunde will einfach nicht heilen. Als ob sie dir einen Arm oder ein Bein amputiert hätten, weißt du? Es heißt doch, dass man das noch weiter spürt.«
»Redest du von Sam?«
»Ja … Auch von Sam.«
Spätestens an der Stelle ist klar, dass es in Mathieus Leben noch mehr Verlust gegeben hat. Verlust, der ihn aus seinem geregelten Leben gerissen hat und in ein Leben auf der Straße katapultierte. Aufgewachsen mit einer dominanten und narzisstischen Mutter („»Du versaust dein Leben. Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.« Fuck you, Mom. Du hast mich versaut.“), die ihn und sein Leben kontrollierte und manipulierte und einem Vater, der in der Familie nichts zu sagen hatte und früh starb. Er ist ein nachdenklicher, melancholischer und unverstandener Jugendlicher („Du hast kein Recht, traurig zu sein, Mathieu. Du hast ein Dach überm Kopf, du gehst zur Schule … Du hast eine Mutter, die dich liebhat und sich für dich aufopfert. Weißt du, was du bist, Mathieu? Ein verwöhntes Balg. Und undankbar.“) und wird mit 18 Vater einer Tochter. Anschließend versucht er (zu) vieles gleichzeitig: dem Einfluss der Mutter zu entkommen, sein Leben zu ordnen und seiner Tochter ein guter Vater zu sein. Weitere Brüche im Leben werfen ihn dann aber vollends aus der Bahn. Über all das denkt er nach, während er durch die Straßen geht und Sam sucht und gibt den Leser:innen einen Einblick in sein Leben.
Das Buch ist zwar eher ein Büchlein (nur knapp 170 Seiten lang und ich habe es in etwa zwei Stunden durchgelesen), aber es hinterließ bei mir einen tiefen Eindruck, so tief, dass ich es schade fand, dass es so kurz war. So viel Schicksal und Gefühl gebündelt auf so wenigen Seiten, so viel Liebe, Zuneigung und gleichzeitig Zweifel und Verzweiflung („Du wärst einfach am liebsten überhaupt nicht da. So wie Freddie Mercury. I don’t want to die, I sometimes wish I’d never been born at all.“) Und ganz zum Schluss ein Sonnenstrahl mit Hoffnung und einer Prise Optimismus. So traurig und schön gleichzeitig.
Das Buch hat keine Einleitung und keinen richtigen Schluss, ist also eher Novelle als Roman. Geschrieben ist es so, wie die Gedankengänge von Mathieu verlaufen: nicht linear, sprunghaft, durcheinander und in Umgangssprache (bei der Wortwahl, aber auch grammatikalisch). Authentisch, bildhaft, schlicht und doch bildgewaltig und berührend. Mal schön, mal weniger schön. Aber immer klar, prägnant und auf den Punkt. Da ist kein Wort zu viel und kein Satz überflüssig. Für mich ist es ein ganz besonderes und leises Buch und eine klare Lese-Empfehlung. 5 Sterne.