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Bücherfreundin

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Insgesamt 298 Bewertungen
Bewertung vom 22.01.2023
Als die Welt zerbrach
Boyne, John

Als die Welt zerbrach


ausgezeichnet

Aufwühlender Roman über Schuld und Verantwortung
Über 15 Jahre ist es nun schon her, dass John Boyne seinen erschütternden Roman "Der Junge im gestreiften Pyjama" veröffentlicht hat. Das Buch wurde in über 50 Sprachen übersetzt und ein Bestseller. Ich war überrascht und erfreut, als ich nun die Fortsetzung "Als die Welt zerbrach" entdeckte. Meine Erwartungen waren hoch - und ich wurde nicht enttäuscht.
 
Die Geschichte spielt auf zwei Zeitebenen:
Im Hier und Jetzt steht die mittlerweile 91jährige Ich-Erzählerin Gretel Fernsby im Mittelpunkt des Geschehens. Sie lebt nach dem Tod ihres Ehemanns allein und bewohnt in bester Lage von London eine große Wohnung. Nachdem der Mieter der Wohnung unter ihr verstorben ist, zieht dort eine junge Familie ein: die ehemalige Schauspielerin Madelyn, ihr Ehemann Alex, ein Filmproduzent, und der gemeinsame Sohn Henry. Der 9jährige weckt schmerzliche Erinnerungen in Gretel. Sie gerät in einen Gewissenskonflikt, als sie erkennen muss, dass Madelyn und Henry von Alex misshandelt werden.
 
Die zweite Zeitebene versetzt uns in das Jahr 1946. Gretel ist 15 Jahre alt, als ihre Mutter mit ihr aus Deutschland nach Paris flieht, wo beide unter einer neuen Identität versuchen, sich ein neues Leben aufzubauen. Die Mutter wird von Erinnerungen gequält, die sie mit Alkohol zu bekämpfen versucht. Als sie enttarnt werden, fliehen sie nach Rouen. Von dort aus wandert Gretel später nach Australien aus, kehrt aber nach einem Zusammentreffen mit Kurt Kotler, in den sie als junges Mädchen verliebt war, zurück nach Europa. In London beginnt für sie ein neues Leben.
 
Das Buch ist in wunderbarem Sprachstil erzählt und liest sich sehr flüssig. Die Kapitel bewegen sich zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Wir begleiten Gretel auf ihren Wegen, tauchen ein in ihre Gedankenwelt und erleben ihre Erinnerungen, ihre Scham und ihre Ängste. Schwerwiegend sind ihre Schuldgefühle, die sie ihr Leben lang quälen werden. Sie wusste, was hinter dem Stacheldrahtzaun passierte, ihr Vater hatte sie als 12jährige durch das Konzentrationslager geführt, dessen Kommandant er war. Und sie fühlt sich schuldig am Tod ihres neunjährigen Bruders Bruno, dessen Name sie bis zu ihrem Lebensende nie wieder aussprechen kann.
 
Es ist sicherlich ein Vorteil, "Der Junge im gestreiften Pyjama" gelesen zu haben, aber keine Voraussetzung, um den Folgeroman verstehen zu können. Die Geschehnisse der Vergangenheit werden in "Als die Welt zerbrach" nach und nach aufgeblättert.
John Boyne ist es gelungen, die Charaktere ganz wunderbar und authentisch zu beschreiben. Der großartige Roman über Schuld und Verantwortung hat mich von der ersten Seite an bis zum für mich vollkommen überraschenden Ende gefesselt und zutiefst berührt.
 
Absolute Leseempfehlung von mir für diesen klug und sensibel erzählten Roman - und wohlverdiente 5 Sterne!

Bewertung vom 18.01.2023
Saubere Zeiten
Wunn, Andreas

Saubere Zeiten


ausgezeichnet

Großartige und fesselnde Familiengeschichte
In seinem beeindruckenden Debütroman "Saubere Zeiten" erzählt Andreas Wunn die Geschichte des Journalisten Jakob Auber und seiner Familie über einen Zeitraum von fast 100 Jahren. Jakob ist Ende Dreißig und lebt in Berlin. Von seiner Frau Sophie, der Mutter des kleinen Sohnes Oskar, hat er sich getrennt. Als er aus seiner Heimatstadt Trier einen Anruf erhält, dass sein Vater nach einem Schlaganfall auf der Intensivstation liegt, macht er sich sofort auf die Reise. Er trifft den Vater nur noch in bewusstlosem Zustand an, ein Gespräch mit ihm ist nicht mehr möglich. In seinem ehemaligen Jugendzimmer findet Jakob neben zahlreichen Fotos, die an eine Wand geklebt wurden, Tonbänder und etliche Tagebücher. Die Tonbandaufnahmen stammen von seinem Vater Hans, die Tagebücher von seinem Großvater Theodor, der vor Jahrzehnten eine Drogerie führte und in den Wirtschaftswunderjahren ein Waschmittel erfand, das ihm zu Wohlstand und Ansehen verhalf. 

Jakob beschäftigt sich intensiv mit den Aufzeichnungen des Vaters und des Großvaters und taucht ein in ihre Lebensgeschichten. Nach und nach entfaltet sich die Geschichte seiner Familie, in der wenig über die Vergangenheit gesprochen wurde, und Jakob begibt sich auf eine Reise nach Brasilien, um dem Geheimnis um Bella, die eine Zeitlang bei den Großeltern lebte, auf die Spur zu kommen. 

Die Geschichte ist auf unterschiedlichen Zeitebenen erzählt. Wir begleiten den Ich-Erzähler Jakob nicht nur auf seiner Spurensuche im Hier und Jetzt, er lässt uns auch teilhaben an seinen Gedanken, Erinnerungen und Begegnungen mit seinem Jugendfreund Ben und Teresa, seiner ersten Liebe. Auf weiteren Zeitebenen werden die Geschichten des Großvaters und des Vaters erzählt. 

Der Roman über drei Generationen, in dem es um die Beziehungen zwischen Vätern und Söhnen geht, um Liebe, Schuld und Trauer, ist ganz wunderbar in schöner Sprache erzählt und hat mich von Anfang an fasziniert und gefesselt. Die Charaktere hat der Autor sehr authentisch und bildhaft skizziert. 

Das Buch hat mir sehr viel Lesefreude bereitet - klare Leseempfehlung und 5 Sterne!

Bewertung vom 16.01.2023
Die letzte Party / Ffion Morgan Bd.1
Mackintosh, Clare

Die letzte Party / Ffion Morgan Bd.1


ausgezeichnet

Spannender Auftakt einer neuen Krimireihe
Das Cover des neuen Kriminalromans "Die letzte Party" der britischen Autorin Clare Mackintosh gefiel mir auf Anhieb, auch der Klappentext begeisterte mich. Ich freute mich auf die Lektüre - und wurde nicht enttäuscht.

Die Geschichte spielt in Nordwales, direkt am malerisch gelegenen Llyn Drych. Der See trennt England und Wales. Der bekannte Opernsänger Rhys Lloyd hat auf der englischen Seite zusammen mit einem Investor The Shore errichtet, eine Ferienhaussiedlung für wohlhabende Engländer, die aus 5 Lodges besteht und mit dem nächsten Bauabschnitt vergrößert werden soll. Diese Siedlung ist den Bewohnern des kleinen Dorfes Cwn Coed, das sich genau gegenüber in Wales befindet, ein Dorn im Auge.
Um die angespannten Beziehungen zu verbessern, lädt Rhys die Bewohner von Cwn Coed zu einer großen Silvesterparty ein. Der Champagner fließt in Strömen. Am Neujahrsmorgen ist Rhys tot ...

Mit den Ermittlungen werden DC Ffion Morgan aus Wales und der englische DC Leo Brady beauftragt. Die beiden haben sich am Silvesterabend kennengelernt und die Nacht zusammen verbracht, ohne ihre realen Namen zu nennen. Umso überraschter sind beide, als sie sich bei der Autopsie des Toten gegenüberstehen.  

Der Krimi beginnt sehr ruhig, nach und nach lernen wir die zahlreichen Bewohner von The Shore, Cwn Coed und die beiden Ermittler kennen. Die Handlung springt zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her und wird aus der Perspektive der Bewohner von The Shore, der Einheimischen und auch der beiden Polizisten erzählt. Die Ermittlungen gestalten sich kompliziert, mit jedem Kapitel steigt die Anzahl der Verdächtigen. Jede dieser Personen hat ein Interesse am Tod von Rhys. Die unterschiedlichen Motive hat Clare Mackintosh plausibel beschrieben. 

Ich bin absolut begeistert von dem Krimi, er hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt. Der intelligente Sprachstil hat mir sehr gut gefallen, die zahlreichen Charaktere sind ganz wunderbar und authentisch skizziert. Die Spannung steigt stetig, es gibt ständig neue Wendungen. Gekonnt fand ich die Wiederholungen einiger Partyszenen, hier hat die Autorin die Szenen aus der Perspektive weiterer Personen erzählt. Das Ende hat mich vollkommen überrascht. Sehr gut gefallen hat mir auch die Schilderung des Privatlebens der beiden sympathischen Ermittler und die sensibel erzählte Aufdeckung des Geheimnisses von Ffion.

"Die letzte Party" ist der gelungene Auftakt einer neuen Krimireihe um Ffion Morgan und Leo Brady - ich freue mich schon auf den nächsten Band. Von mir klare Leseempfehlung, ganz besonders für Leser, die unblutige Krimis lieben - und 5 Sterne!

Bewertung vom 16.01.2023
Die Liebe an miesen Tagen
Arenz, Ewald

Die Liebe an miesen Tagen


sehr gut

Wunderbar erzählte Liebesgeschichte
Der Dumont Verlag hat "Die Liebe an miesen Tagen", den neuen Roman von Ewald Arenz veröffentlicht.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht Clara Wagenbach. Sie ist Ende Vierzig, verwitwet und verdient ihren Lebensunterhalt als Zeitungsfotografin. Ihr Leben ändert sich, als sie von ihrem Arbeitgeber die Kündigung erhält.

Clara möchte das Haus, das sie mit ihrem Mann Paul bewohnte, verkaufen und lernt bei einem Besichtigungstermin Elias kennen. Elias ist Theaterschauspieler, beide sind auf Anhieb auf einer Wellenlänge, haben den gleichen Humor und sind voneinander angetan. Bei der Premiere eines neuen Theaterstücks treffen sie sich zufällig wieder und reden bis zum frühen Morgen. Elias, der einige Jahre jünger als Clara ist, trennt sich von seiner Freundin Vera. Clara und Elias verbringen eine unbeschwerte Zeit miteinander, bis Clara einen Brief vom Arbeitsamt erhält. Sie soll sich für die Leitung einer Fotoredaktion in einem Verlagshaus in Hamburg bewerben. Hamburg ist 600 km entfernt, und sie kennen sich doch erst so kurze Zeit .....

Auch diese Geschichte erzählt Ewald Arenz ganz wunderbar. Er ist ein großartiger Beobachter, und ich mag seinen ruhigen und sensiblen Sprachstil. Die Charaktere sind authentisch skizziert, und der Autor beschreibt meisterhaft die Liebe des nicht mehr ganz jungen Paares, aber auch seine Zweifel und das Hin- und Hergerissensein. Ewald Arenz lässt uns eintauchen in die Gefühlswelt seiner Protagonisten, und wir erleben ihre berührende Liebesgeschichte mit allen Höhen und Tiefen.

Sehr gut gefallen haben mir die sensiblen Schilderungen des Autors über die Demenzerkrankung von Claras Mutter. Hier wurde realistisch, aber auch durchaus liebevoll und humorvoll der Umgang der Familie mit der Mutter beschrieben.

Ich habe den Roman sehr gern gelesen, jedoch war mir die Geschichte im letzten Teil des Buches etwas übertrieben dramatisch und leider auch zu vorhersehbar.

Bewertung vom 13.01.2023
Frankie
Köhlmeier, Michael

Frankie


ausgezeichnet

Großartiger Roman über eine ungewöhnliche Großvater-Enkel-Beziehung
Der Hanser Verlag hat den neuen Roman des mit vielen Literaturpreisen ausgezeichneten österreichischen Autors Michael Köhlmeier veröffentlicht.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht der Gymnasiast Frank Thaler. Der 14jährige lebt gemeinsam mit seiner Mutter in einer kleinen Wohnung in Wien. Der Vater hat die Mutter bereits vor Jahren verlassen, Frank sieht ihn selten. Mutter und Sohn stehen sich sehr nahe, sie kochen gern und sehen sich im Fernsehen gemeinsam Filme an. Die Mutter verdient den Lebensunterhalt als Schneiderin und Garderobenfrau in der Volksoper.

Frank und seine Mutter holen den Großvater Ferdinand vom Gefängnis ab, wo dieser eine 18jährige Freiheitsstrafe verbüßte und nun wegen guter Führung vorzeitig entlassen wird. Der 71jährige wohnt für einige Tage bei der kleinen Familie, ehe er eine eigene Wohnung bezieht. Die Mutter weigert sich, Frank zu erzählen, weshalb der Großvater im Gefängnis war. Ferdinand ist barsch und unfreundlich zu seinem Enkel und wird sogar handgreiflich. Frank, vom Großvater nur Frankie genannt, hat wie seine Mutter Angst vor diesem, gleichzeitig aber übt Ferdinand eine große Faszination auf den Jungen aus. Eines Abends steht Ferdinand vollkommen unerwartet vor Franks Bett, und gemeinsam verlassen sie die Wohnung. Eine gemeinsame Reise beginnt, die Franks Leben verändern wird .....

Das Buch ist in der Ich-Form aus Franks Perspektive erzählt und hat mich von Anfang an fasziniert. Frank lässt uns teilhaben an seinem Alltag und seiner Gedankenwelt, aber auch an seinen Ängsten. Wir erleben, wie er sich nach anfänglicher Zurückhaltung immer mehr seinem Großvater annähert und sich von diesem manipulieren lässt. 

Michael Köhlmeier ist es gelungen, die unterschiedlichen Charaktere authentisch und bildhaft zu zeichnen: den naiven und ängstlichen Frank, seine liebevolle Mutter, die sich vor ihrem Vater fürchtet - und den bösartigen und manipulativen Großvater, der sich sehr schnell durch andere provozieren lässt.
Das Buch ist in ganz wunderbarer und klarer Sprache geschrieben, ich konnte es kaum aus der Hand legen. Das Ende der Geschichte mag manche Leser enttäuschen, weil offene Fragen zurückbleiben. Mir hat es gefallen, da es dem Leser viel Raum für eigene Gedanken lässt. 

Klare Leseempfehlung für diesen klugen und anspruchsvollen Roman!

Bewertung vom 08.01.2023
Wehrlos
Benrath, Nora

Wehrlos


sehr gut

Spannender Thriller mit wichtiger Thematik
Im neuen Thriller von Nora Benrath wird der Albtraum jeder Mutter Wirklichkeit. Nele ist vier Jahre alt, als sie an einem kalten Wintertag auf dem Spielplatz von einem fremden Mädchen im Grundschulalter in ein Spiel verwickelt und entführt wird. Ihre Mutter Mieke Ganter ist nur kurz durch ihr Handy abgelenkt, als es passiert. Sie bemerkt sofort, dass Nele nicht in ihrer Nähe spielt und sucht sie. Aber sie kommt zu spät, sie sieht nur noch den dunklen Wagen davonfahren, in den ihre Tochter gezerrt wurde. Ein furchtbarer Albtraum beginnt für die junge Frau, der in diesem Moment noch nicht klar ist, dass sie selbst mit ihrem Verhalten zu der Entführung beigetragen hat.
Zehn Minuten später sind die beiden Polizisten Ben Andersen und Imke Hansen vor Ort und beginnen mit den Ermittlungen und Befragungen ...

Das Buch ist sehr klar strukturiert durch überwiegend kurze Kapitel, die mit Angabe des jeweiligen Tages, der Uhrzeit und dem Handlungsort versehen sind. Diese Kapitel sind wechselweise aus Sicht unterschiedlicher Personen geschrieben. So tauchen wir ein in die Gedankenwelt von Neles Mutter, Nele, verschiedenen Nachbarn, der Polizei, aber auch in die der an der Entführung beteiligten Personen. Und nach und nach erfahren wir immer mehr über die Hintergründe der Entführung.

Die Geschichte wird flüssig und rasant erzählt. Sie ist von Beginn an äußerst fesselnd mit beständig hohem Spannungsbogen. Der Autorin ist es gelungen, die Charaktere authentisch und bildhaft zu zeichnen. Der Leser lernt neben der Familie von Nele und den beiden Ermittlern etliche Verdächtige kennen, gekonnt legt die Autorin falsche Fährten. Das Ende ist für mich vollkommen überraschend. Allerdings finde ich es sehr schade, dass doch einige Punkte ungeklärt bzw. Fragen unbeantwortet bleiben.

Einmal mehr wird durch dieses Buch auf die Gefahren hingewiesen, die das sorglose Zurschaustellen und Vermarkten von Kindern durch die eigenen Eltern in den sozialen Medien mit sich bringt. Eine wichtige Botschaft!

Bewertung vom 05.01.2023
Ginsterhöhe
Caspari, Anna-Maria

Ginsterhöhe


sehr gut

Beeindruckende Geschichte über ein kleines Dorf in der Eifel
"Ginsterhöhe" ist mein erstes Buch von Anna-Maria Caspari. Das schöne und schlichte Cover spiegelt die Zeit wider, um die es in dem Buch geht, der Klappentext sprach mich an, und ich bin nicht enttäuscht worden.

Der historische Roman verknüpft die Geschichte des Dorfes Wollseifen, das es tatsächlich gegeben hat, mit dem Leben der Dorfbewohner.
Im Zentrum des Romans steht der junge Bauer Albert Lintermann. Wir schreiben das Jahr 1919, als er aus dem Krieg in sein kleines Heimatdorf in der Eifel zurückkehrt. Er ist nicht nur körperlich versehrt und abgemagert, auch die erlittenen Kriegstraumata belasten ihn. Der Empfang auf dem Bauernhof durch seine Ehefrau Bertha ist eher frostig. Er ist nicht mehr der gutaussehende Mann, in den sie sich vor Jahren verliebt hatte. Bertha fühlt sich von seinem entstellten Gesicht abgestoßen, und das zeigt sie ihm. Im Laufe der Zeit kommen die beiden sich wieder näher, und die Kunst der Wiederherstellungschirurgie verhilft Albert nicht nur zu einem fast normalen Aussehen, sondern auch zu mehr Selbstbewusstsein.
Eine weitere tragende Rolle in dem Roman spielt Leni, die junge Verlobte von Alberts Freund Hennes, der während des Krieges ums Leben gekommen ist.

Das Dorfleben ändert sich gravierend, als Hitler Reichskanzler wird und auf Anregung des Gutsbesitzers Johann Meller in der Nähe ein Reichsschulungszentrum errichtet wird .....

Die Geschichte ist in drei Teile gegliedert und umfasst den Zeitraum zwischen 1919 und 1949.
Im ersten Teil beschreibt die Autorin die Zeit des Wiederaufbaus nach dem Ersten Weltkrieg. Es sind harte Jahre, das Geld verliert ständig an Wert, und die Dorfbewohner kämpfen ums Überleben.
Der Schwerpunkt des zweiten Teils liegt auf der politischen Situation der dreißiger Jahre. Hitler ist Reichskanzler, und auch im Dorf treten Bewohner in die NSDAP ein. Durch den Bau des Reichsschulungszentrums erlangt Wollseifen einen wirtschaftlichen Aufschwung.
Der dritte Teil behandelt die Kriegsjahre und die Jahre danach. Obwohl viele Dorfbewohner Angehörige durch Luftangriffe und Kriegseinsätze verloren haben, bleibt ihr Wunsch, Wollseifen wieder aufzubauen, ungebrochen.

Das Buch mit seinem geschichtlichen Hintergrund ist packend geschrieben und hervorragend recherchiert. Es hat mir sehr gut gefallen, ich mochte den ruhigen und sprachlich sehr ansprechenden Erzählstil. Der Autorin ist es gelungen, die Charaktere authentisch und lebensnah zu zeichnen. Es fehlte mir allerdings an Emotionen, die findet man höchstens zwischen den Zeilen. Die Handlung beinhaltet die Ereignisse von drei Jahrzehnten, daher gibt es viele Zeitsprünge. Über einige Protagonisten hätte ich gern mehr gelesen, z.B. über Hildegard und den Lehrer Martin Faßbender, der in seinen interessanten Tagebuchaufzeichnungen über seine Ansichten und Erlebnisse, das Dortleben sowie die Geschehnisse der damaligen Zeit Zeugnis ablegte.
Sehr gut gefallen hat mir auch die ausführliche Schilderung des täglichen Lebens vor 100 Jahren auf einem Bauernhof mit allen Gegebenheiten und auch Schwierigkeiten, mit denen die Bauern zu kämpfen hatten.

Im Nachwort wird verraten, dass "Ginsterhöhe" der erste Teil einer Trilogie ist. Ich freue mich auf den nächsten Band!

Bewertung vom 04.01.2023
Das glückliche Geheimnis
Geiger, Arno

Das glückliche Geheimnis


ausgezeichnet

Intelligent und mit feinem Humor erzählte Autobiographie
Mit "Das glückliche Geheimnis" legt Arno Geiger sein erstes autobiographisches Buch vor. Er beschreibt darin mit großer Offenheit seinen Werdegang als Schriftsteller. Er ist 24 Jahre alt, Student, lebt in Wien in einem heruntergekommenen Haus und verfügt nur über begrenzte finanzielle Mittel. Um seinen Hunger nach Lesestoff zu stillen, beginnt er, die Papiercontainer in der Umgebung nach entsorgten Büchern zu durchsuchen. Dabei ist er sehr erfolgreich und begibt sich nun einmal wöchentlich für einige Stunden auf die Suche. Mit dem anschließenden Verkauf der Bücher auf dem Flohmarkt sichert er seinen bescheidenen Lebensstandard. Aber es sind nicht nur Bücher, die ihn interessieren, auch Tagebücher und Briefe begeistern ihn. In ihnen findet er unzählige Anregungen für seine Bücher.

Mit feinem Humor erzählt der mit zahlreichen Buchpreisen ausgezeichnete Autor seine Geschichte. Es geht nicht nur um unzählige Streifzüge durch Wien, sondern auch um seine Liebesbeziehungen, den so lange herbeigesehnten Aufstieg als Schriftsteller und den Umgang mit den Eltern. Die Schilderung über die Demenzerkrankung des Vaters hat mich so berührt, dass ich mir spontan sein Buch "Der alte König in seinem Exil" gekauft habe, in dem er die gemeinsame Zeit mit seinem Vater während dessen Erkrankung beschreibt.

Arno Geiger gewährt uns Einblicke in den Alltag eines Schriftstellers und in die Entstehungsgeschichten seiner Bücher, darüber hinaus verschweigt er aber auch nicht die Probleme mit dem Verlag und den Stress, der mit seiner plötzlich auftretenden Berühmtheit und den zahlreichen Lesereisen verbunden ist. Diesem Stress entflieht er durch erneute Sammeltouren.

Ich habe das großartige Buch über das glückliche Geheimnis des Autors, sein Leben und seine philosophischen Betrachtungen zu unterschiedlichen Themen mit sehr viel Freude gelesen - von mir klare Leseempfehlung und 5 Sterne!

Bewertung vom 29.12.2022
Das College
Ware, Ruth

Das College


sehr gut

Tod eines It-Girls - spannend und fesselnd
"Das College" ist der erste Thriller von Ruth Ware, den ich gelesen habe. Das Cover ist aufwendig und sehr schön gestaltet, und der Klappentext hat mich sofort angesprochen. Ich wurde nicht enttäuscht.

Im Mittelpunkt des Buches steht Hannah Jones, die 10 Jahre zuvor im Pelham College der Universität Oxford ankommt, um Literatur zu studieren. Hier wird für die kommenden drei Jahre ihr Zuhause sein. Sie lernt die attraktive April kennen, mit der sie sich eine Wohnung teilt. April ist die verwöhnte und selbstbewusste Tochter eines reichen Vaters, die beiden werden sehr schnell Freundinnen. Gemeinsam mit Will, Hugh, Ryan und Emily bilden sie bald eine verschworene Clique. Nachdem Hannah eines Abends nach einer Theateraufführung April tot in der Wohnung auffindet, wird aufgrund ihrer Aussage der Pförtner John Neville wegen Mordes verhaftet und zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt.

Wir begegnen Hannah 10 Jahre später wieder. Sie arbeitet in einer Buchhandlung, ist glücklich verheiratet und erwartet ihr erstes Kind. Von ihrer Mutter erfährt sie, dass Aprils Mörder im Gefängnis an einem Herzinfarkt verstorben ist. Er hat immer wieder beteuert, für die Tat nicht verantwortlich zu sein, und nun gibt es auch aufgrund der Informationen eines Journalisten erhebliche Zweifel an seiner Schuld. Hannah, die den Tod ihrer Freundin nie verarbeitet hat, beginnt mit der Suche nach der Wahrheit. Hierbei begibt sie sich selbst in große Gefahr .....

Ich mag ruhige und anspruchsvolle Thriller ohne blutiges Gemetzel, in denen sich die Spannung langsam aufbaut. "Das College" ist ein Thriller, wie ich ihn liebe. Er besteht aus zwei Handlungssträngen, auch das mag ich sehr. Die Geschichte ist intelligent und flüssig erzählt, die ausführliche Beschreibung der Personen fand ich sehr gelungen und bildhaft. Auch die intensive Schilderung des Collegealltags der Studienanfänger hat mir sehr gut gefallen.
Die Autorin hat die Charaktere sehr authentisch gezeichnet. Hannah war mir auf Anhieb sympathisch, ich habe ihre Angst bei den Begegnungen mit John Neville sehr gut nachempfinden können. Für die egozentrische und manipulative April hingegen habe ich keine Sympathie empfinden können.

Der Thriller ist auf zwei Zeitebenen erzählt, das Davor spielt in der Zeit vor dem Mord, das Danach im Hier und Jetzt. Das Davor wird in der Vergangenheitsform erzählt, das Danach in der Gegenwartsform. Dadurch ist zu Beginn eines neuen Kapitels immer sofort erkennbar, um welche Zeitschiene es sich gerade handelt.

Ich fand das lesenswerte Buch sehr spannend, habe mich gern in die Irre führen lassen und war bis zum überraschenden Ende gefesselt.

Bewertung vom 12.12.2022
NIGHT - Nacht der Angst
Sager, Riley

NIGHT - Nacht der Angst


weniger gut

Das Buch konnte mich leider nicht begeistern
Von Riley Sager habe ich bisher noch kein Buch gelesen, aber sowohl das Cover als auch der Klappentext seines neuen Thrillers "Night" haben mich sehr neugierig gemacht.

Wir schreiben das Jahr 1991. Die junge Studentin Charlie möchte nach Hause, um Thanksgiving mit ihrer Großmutter Norma zu feiern. Da passt es gut, dass sie beim Anbringen ihres Mitfahrgesuchs am Schwarzen Brett der Uni Josh kennenlernt, der ihr eine Mitfahrgelegenheit anbietet. Sie nimmt das Angebot an, obwohl sie vorsichtig sein müsste. Ihre beste Freundin Maddy, mit der sie sich im Studentenwohnheim ein Zimmer teilte, ist zwei Monate zuvor auf gewaltsame Art ums Leben gekommen. Ihr Mörder ist bisher nicht gefasst worden.
Robbie, Charlies Freund, bringt sie am Abend zum Treffpunkt, und es ist klar, dass der Abschied der beiden das Ende ihrer Beziehung bedeutet. Charlie wird ihr Studium aufgeben und nicht wieder zurückkehren, zu sehr vermisst sie ihre Freundin, an deren Tod sie sich schuldig fühlt.
Charlie hat zwar Bedenken, mit dem Fremden zu fahren, aber der Wunsch, fortzukommen, überwiegt, und sie setzt sich in Joshs Auto. Die beiden unterhalten sich, und nachdem Charlie Widersprüche und Unstimmigkeiten in Joshs Äußerungen bemerkt, gerät sie in Panik. Ist Josh vielleicht der gesuchte Campus-Killer?

Das Buch, das die Geschehnisse einer einzigen Nacht erzählt, ist spannend, der Schreibstil ist sehr angenehm und liest sich flüssig. Die Handlung spielt zum überwiegenden Teil in Joshs Auto. Die Gespräche zwischen Charlie und Josh werden unterbrochen durch Charlies "Filme im Kopf" und Halluzinationen, unter denen sie leidet. Seit dem Tod der Eltern vor einigen Jahren sieht sie diese Filme in ihrem Kopf und kann Realität nicht von Phantasie unterscheiden.

Ich hatte große Probleme mit der Protagonistin. Charlie wirkte auf mich äußerst unglaubwürdig, ebenso ihr Verhalten in einigen Situationen. Es mangelt ihr an gesundem Menschenverstand, mehrmals trifft sie falsche Entscheidungen. Der Personenkreis der Verdächtigen ist überschaubar, was die Identität des Mörders relativ früh erahnen lässt. Das Finale fand ich stark überzogen, ebenso das Tatmotiv. Das in kursiver Schrift geschriebene Schlusskapitel des Buches empfand ich als kitschig.

Charlie hat eine Vorliebe für Filme, die verschiedenen Ausflüge in die Filmwelt haben mir gut gefallen.
Der Thriller war in weiten Teilen spannend, es gab einige Wendungen und unerwartete Entwicklungen, aber begeistern konnte er mich leider nicht.