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Benutzername: 
Glüxklaus
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Franken

Bewertungen

Insgesamt 576 Bewertungen
Bewertung vom 16.06.2022
Der kleine Raubdrache
Mueller, Dagmar H.

Der kleine Raubdrache


ausgezeichnet

Originelles, buntes, urkomisches, aber wenig märchenregelkonformes Vorlesevergnügen

Der kleine Drache besucht die Drachenschule, um vom großen, alten Drachenlehrer zu lernen, wie man vorschriftsmäßig Prinzessinnen raubt. Doch das macht längst nicht so viel Spaß, wie man annehmen könnte. Stundenlang müssen Drachen still und untätig auf der Lauer liegend auf herannahende Kutschen warten und dann kann so ein Kampf mit Prinzen oder Rittern durchaus schmerzhaft sein. So richtig begeistert ist der kleine Drache von der Aussicht, ein Raubdrache zu werden, also nicht. Und dann läuft bei seiner ersten Prinzessinnenrauberei so einiges überhaupt nicht nach Plan und auch die zweite hat mehr als einen Haken. Ob der kleine Drache trotzdem für ein vorschriftsmäßiges Ende sorgen kann?

Autorin Dagmar H. Müller erzählt kindgemäß, anschaulich und lebendig. Sie verwendet viel wörtliche Rede, dadurch lässt sich die Geschichte sehr flüssig und abwechslungsreich vorlesen. Die drolligen, bunten Bilder von Sabine Rothmund illustrieren den Handlungsverlauf sehr motivierend und passend. Besonders die treffenden und witzigen Gesichtsausdrücke der Figuren sorgen für viel Spaß beim Lesen.
Die Geschichte eignet sich zum Vorlesen für Kinder ab fünf Jahren, zum Selberlesen für Kinder ab acht Jahren.

Ausnahmslos liebenswerte Figuren - einige davon mit herrlich amüsanten Namen- treten hier auf den Plan. Sie präsentieren sich dabei oft so ganz anders, als sie es ihrem Ruf nach tun müssten. Da ist zunächst der pfiffige, aufgeweckte kleine Drache, der manches hinterfragt und aus dem Bauch heraus ganz ohne Handbuch oft goldrichtig reagiert. Der brummige Drachenlehrer ist im Herzen längst nicht so streng, wie er nach außen wirken möchte. Prinzessin Poppy weiß durchaus, wie sich eine Prinzessin zu verhalten hat, ist bis über beide Ohren verliebt und muss gerade deshalb auch immer wieder über ihren Schatten springen. Sie und Prinzessin Caramella, die sich so gar nicht prinzessinenkonform benimmt, stellen im Drachenreich so einiges auf den Kopf. Und dann gibt es noch Prinz Harik, einen ziemlich ängstlichen und eher untypischen Prinzen.

„Glück ist, wenn alle gewonnen haben“. Ob es am Ende trotz aller Hindernisse und Turbulenzen zu einer Win-Win-Situation für alle kommt?
„Das vorschriftsmäßige Rauben von Prinzessinnen“ hält sich an keine Vorschrift der klassischen Prinzessinnenentführung. Drachen sind hier nicht echt gefährlich und furchteinflössend und Prinzessinnen gar nicht mal so hilflos. Mut heißt hier nicht todesmutig und mit großem Selbstbewusstsein zu kämpfen, sondern erhält eine ganz andere, recht bemerkenswerte Bedeutung. Außerdem wird sehr schön gezeigt, wie sich bedingungslose Liebe auch äußern kann.
Dagmar H. Müller hat eine schräges, originelles, phantasievolles, chaotisches und dabei sehr spannendes Drachen-Prinzessinnenabenteuer erfunden, die von der ersten bis zur letzten Seite überzeugt. Ein ausgesprochen lustiger Vorlesespaß mit wunderbaren Charakteren für alle Drachen-, Prinzessinnen- und Abenteuerfans! Märchenhafter Stoff, der großes Potential für die kommende, von uns schon jetzt heiß ersehnte Fortsetzung bietet.

Bewertung vom 16.06.2022
Das Haus der stummen Toten
Sten, Camilla

Das Haus der stummen Toten


sehr gut

Ein altes Haus und die Geister der Vergangenheit - düster und atemberaubend spannend

„Ich bin es so leid, Angst zu haben.“

Eleanor erlebt Unvorstellbares: Als sie ihre Großmutter Vivianne besuchen möchte, findet sie diese tot, ermordet, vor. Der Täter hält sich noch im Haus auf, begegnet Eleanor sogar noch, doch die junge Frau ist aufgrund ihrer Gesichtsblindheit nicht in der Lage, ihn zu identifizieren. Monate danach fahren Eleanor und ihr Freund Sebastian auf das Gut Solhöga, das Vivianne Eleanor vererbt hat. Gemeinsam mit ihrer Tante Veronika und dem Notar Rikard sollen vor Ort alle Details zur Erbschaft geklärt werden. Doch im Haus geht es nicht mit rechten Dingen zu. Irgendjemand scheint sich dort heimlich zu verstecken und die Anwesenden zu jagen. Was geht hier vor?

Camilla Sten schreibt abwechselnd auf zwei Ebenen. Sie schildert chronologisch aus Eleanors Sicht in Ich-Form, wie Eleanor die Ermordung ihrer Großmutter erlebt und was aktuell auf dem Gut passiert. Der zweite Erzählstrang umfasst die Tagebucheinträge des polnischen Hausmädchens Annuschka. Annuschka verbringt Mitte der 1960er Jahre Zeit mit ihren Arbeitgebern Vivianne und Evert auf Solhöga. Erst später wird klar, wie beide Handlungsstränge wirklich zusammenhängen. Die einzelnen Kapitel sind recht kurz, der ständige Perspektivwechsel erhöht immer wieder die Spannung.

Die Figuren kamen mir nicht nah. Zwar gewährt Eleanor den Lesern durch die Erzählweise in der ersten Person Einblick in ihre Gedanken und Gefühle. Dennoch wirkt sie auf mich seltsam fremd, distanziert und wenig greifbar. Dass die Personen meist keine Identifikationsfiguren sind, schafft eine kalte, unheimliche Atmosphäre. Die Leser sind bloße Beobachter, fühlen sich zwar nicht als Teil der Handlung, können sich der unangenehmen Stimmung dennoch nicht entziehen. Mit Eleanor, die aufgrund ihrer Gesichtsblindheit im sozialen Umgang stark beeinträchtigt und anderen hilflos ausgeliefert ist und nicht weiß, wem sie vertrauen kann, hatte ich durchaus Mitleid. Nicht nur sie hat Schwierigkeiten, die anderen Personen richtig einzuschätzen. Ich hatte es auch. Alle Charaktere haben etwas Dubioses. Niemand ist hier mit sich und den Umständen im Reinen: Weder Eleanor, die sich in psychotherapeutischer Behandlung befindet, noch die unerbittliche, unberechenbare Vivianne oder Veronika, die eigentlich gar nicht da sein sollte. Genausowenig der blasse, rationale Sebastian, der Unvorhersehbares hasst, oder Notar Rikard, der ein Geheimnis zu hüten scheint, und schon gar nicht Annuschka, die nicht die sein darf, die sie wirklich ist.

Ein Haus, in dem die Geister der Vergangenheit wohnen und in dem ein unbekannter, gefährlicher Feind lauert. Tödliche Geheimnisse, die kurz vor der Enthüllung stehen. Eine hilflose, unberechenbare Hauptfigur und Personen, die sich äußerst unwohl fühlen.
Eine schrecklich Vorstellung, hier involviert sein. Aber genau diese Atmosphäre stellt Camilla Sten in „Das Haus der stummen Toten“ überdeutlich und fast spürbar dar. Sie hält ihre Figuren und die Leser in der Szenerie gefangen. Gleichermaßen wirkt das alles furchtbar abstoßend und fesselnd-faszinierend. Man möchte sofort schreiend wegrennen und sich gleichzeitig nicht von der Stelle rühren und weiter stumm beobachten, kann man sich doch einfach nicht vom Geschehen lösen und muss einfach erfahren, wie es weitergeht.
Ein atemberaubend spannender, über weite Teile geschickt und raffiniert konstruierter Thriller, der mich in seinen Bann gezogen hat. Die Auflösung ist zwar nachvollziehbar und erklärt vieles, nicht alles, ist aber für mich nicht hundertprozentig logisch und befriedigend. Einerseits wirklich überraschend, andererseits doch vorhersehbar und ein bisschen enttäuschend. Dennoch kann ich das Buch allen, die Thriller mit viel Nervenkitzel und frostiger Atmosphäre mögen, weiterempfehlen.

Bewertung vom 01.06.2022
Berlin Friedrichstraße: Novembersturm / Friedrichstraßensaga Bd.1
Schweikert, Ulrike

Berlin Friedrichstraße: Novembersturm / Friedrichstraßensaga Bd.1


sehr gut

Ein folgenreiches Beziehungsdreieck - packend erzählter historischer Roman mit spannender Figurenkonstellation

Seit ihrer Kindheit sind Luise, Robert, Johannes und dessen Schwester Ilse eng befreundet. Doch der Erste Weltkrieg, in dem Johannes und Robert an der Front für Deutschland kämpfen, ändert alles. Johannes gilt nach Kriegsende als vermisst, Robert ist seit dem Krieg völlig verändert. Als Robert 1920 den Auftrag bekommt, an der Neugestaltung des Bahnhofs Friedrichstraße mitzuarbeiten, fasst er sich ein Herz und macht Luise einen Heiratsantrag. Doch es gelingt ihm nicht, die schlimmen Erfahrungen der Vergangenheit hinter sich zu lassen. Über der Beziehung zu Luise liegt daher ein Schatten. Und dann taucht plötzlich Johannes wieder auf…

Autorin Ulrike Schweikert erzählt flüssig und klar aus der Sichtweise ihrer verschiedenen Figuren in der dritten Person. Sie schildert verschiedene zentrale Momente aus dem Leben ihrer Protagonisten, erläutert aber immer wieder auch historische und gesellschaftliche Ereignisse, die ihre Figuren miterleben und die sie prägen. Sprecherin Sabine Arnold liest gut betont, beherzt-resolut und mit angenehm klingender Stimme. Ihrem fesselnden Vortrag hörte ich gerne zu.

Die Hauptfiguren sind ganz unterschiedlich. Luise ist eine mitfühlende und leidenschaftliche Frau. Sie hat Spaß an ihrem Beruf als Sekretärin bei der Polizei, arbeitet gerne direkt am „Puls der Zeit“, mag es das Leben der Stadt „in sich aufzusaugen“. Robert wirkt etwas ernster als sie, ist er doch von den Erfahrungen des ersten Weltkriegs sehr beeinflusst und leidet an Schuldgefühlen. Sein aus Kindertagen bester Freund Johannes kehrt verwundet aus dem Krieg zurück. Die Pläne seiner Jugend gehören nun der Vergangenheit an, er muss sich völlig neu orientieren. Johannes Schwester Ilse bewegt sich in der Kulturszene Berlins, hat Kontakte zu vielen Kulturschaffenden wie Claire Waldoff, Marlene Dietrich oder Erich Kästner. Sie hat ein besonders Talent für Mode. Dann gibt es noch Ella aus dem Hinterhaus, die nie richtig zum engen Freundeskreis dazugehörte, nicht so begütert aufwuchs wie die anderen, sich um ihren Bruder Paul, der auf die schiefe Bahn gerät, kümmern muss und die stets finanzielle Sorgen plagen.
Die vielfältige, abwechslungsreiche Personenkonstellation mit ihren konfliktbehafteten Beziehungen umfasst Figuren aus verschiedenen Schichten und Kreisen, das gestaltet die Geschichte sehr interessant.

Autorin Ulrike Schweikert nimmt ihre Hörer mit auf eine Reise ins Berlin der 20er und 30er Jahre, lässt die pulsierende, facettenreiche Stadt lebendig werden. Sie fängt die Atmosphäre der Metropole treffend ein, gibt Einblick in die schillernde Kulturszene und vermittelt gleichzeitig, welche politischen und gesellschaftlichen Fragen die Leute damals bewegten. Vor diesem Hintergrund entwickeln sich die komplexen Beziehungen ihrer Hauptfiguren weiter, die alle von den Ereignissen ihrer Zeit geprägt sind. Männer und Frauen müssen sich nach den aufwühlenden Ereignissen „neu finden“. Wie auch ihre Roman um die Berliner Charité hat mich die Autorin mit dem Auftakt „Novembersturm“ aus der Reihe „Berlin Friedrichstraße“ überzeugt. Mir hat das Aufeinandertreffen aus realen und fiktiven Charakteren, die vielfältigen Figuren, ihre interessanten Geschichten und die Einbindung historischer Ereignisse gut gefallen. Ein Schmöker ganz nach meinem Geschmack, ich freue mich schon auf die Fortsetzung.

Bewertung vom 31.05.2022
Der Koch, der zu Möhren und Sternen sprach
Mattera, Julia

Der Koch, der zu Möhren und Sternen sprach


sehr gut

Vom behutsamen Umgang mit Gemüse und Menschen - kleiner kulinarischer Wohlfühlroman mit schöner Botschaft

„Man ist nie allein, wenn man in der Lage ist, der Natur zu lauschen.“

Elsa und ihr Bruder Robert führen im Elsass einen renommierten Gasthof. Robert kennt nichts anderes als seinen Hof, ist leidenschaftlicher Koch, besitzt einen prächtigen Gemüsegarten und hält Hühner. Er hegt und pflegt sein Gemüse mit großer Hingabe, geht mit ihm feinfühliger um als mit Menschen. Als Elsa Fatima und ihren Sohn Hassan als Aushilfen für den Gasthof einstellt, ist Robert zunächst wenig begeistert, stören die beiden doch die gewohnten Abläufe. Schließlich lässt Robert sich auf die neuen Bekanntschaften ein. Und dann stößt noch Fatimas Freundin, die englische Journalistin Maggie, dazu, die erreicht, was bisher niemand vermochte. Sie macht Robert neugierig auf das Leben außerhalb seiner eigenen Welt. Ob Robert sich hinaus wagt?

Autorin Julia Mattera erzählt in klarer, ausdrucksstarker Sprache im Präsens. Der Text ist in 18 Kapitel (und einen Epilog) gegliedert. Die verheißungsvollen Kapitelüberschriften wie „Cocas und anderes Ungemach“ verraten dabei nicht zuviel und fassen den Inhalt der folgenden Textabschnitte auf kreative Weise zusammen.

Robert ist eine sehr spezielle Hauptfigur, wirkt er doch recht verschroben und eigenbrötlerisch. Er lebt abgeschottet, schätzt die Berechenbarkeit seines Alltags, geht in seiner Arbeit auf. Den Zutaten seines Essens lässt er besondere Aufmerksamkeit angedeihen, er behandelt sein Gemüse mit Sensibilität und besonderem Respekt. Mit Menschen kann er längst nicht so gut umgehen. Was seiner Schwester Elsa nicht gelingt, Robert aus seinem Schneckenhaus zu locken, schaffen schließlich Fatima, ihr Sohn Hassan und vor allen Dingen Maggie.
Für Robert, den Einzelgänger, ist Maggie ein echter Lichtblick. Ihre Fröhlichkeit ist ansteckend, sie ist von „unglaublicher Lebensfreude beseelt“. Mit Maggie ist alles heiterer und bunter, doch das mag sich Robert anfangs nicht eingestehen. Obwohl sie so unterschiedlich sind, auf fast gegenteilige Art auf Menschen zugehen, scheinen Robert und Maggie eine besondere Verbindung zu haben. Insgesamt sind Maggie und Robert durchaus liebenswerte, sympathische, aber auch etwas zu „plakative“ und übertriebene, fast naive Charaktere.

Was Achtsamkeit bedeutet, lehrt Robert seine Leser auf besondere Weise. Er bringt auch den kleinsten Dinge Wertschätzung entgegen, ist mit Tieren und Pflanzen überaus geduldig und aufmerksam. Er lässt sich nicht hetzen, geht im Moment auf.
Robert muss aber erst lernen, dass man nicht nur Pflanzen und Tiere, sondern auch Menschen behutsam behandeln kann.
Julia Mattera lässt ihre Charaktere so sein, wie sie sind. Das imponiert mir . Robert muss sich nicht ändern und verstellen. Er braucht nur einen kleinen Schubs, ein kleines bisschen Mut und Vertrauen, um seine Stärken, auch anderen zeigen und weitergeben zu können. Zuwendung überträgt sich auf andere, wird intensiver, wenn man sie teilt, heißt es im Buch.
Die Figuren haben wie Maggie viel Bedeutsames zu sagen: „Man trägt die Erinnerung an das Haus seiner Kindheit immer in sich. Sie verlässt uns nicht, wenn wir auf Reisen gehen und wenn. Wir uns alleine fühlen. Der Zauber der Sehnsucht besteht darin, dass sie niemals erlischt.“ Die Geschichte enthält viele solcher schöner, fast poetischer Passagen.
Dass es bereichernd ist, Menschen und Dingen Wertschätzung entgegenzubringen, ist eine elementare Botschaft des Romans. Allerdings wird sie mir zu oft direkt im Gespräch formuliert. Ich hätte mir mehr subtile Hinweise zwischen den Zeilen gewünscht. Auch ohne die Figuren ständig direkt und mitunter recht platt den Sinn der Handlung erklären zu lassen, wäre es sicher auch möglich gewesen, den Lesern etwas dezenter zu vermitteln, worum es hier geht.
Wie Robert in der Tätigkeit des Kochens aufgeht, seine Einstellung zum Essen gefällt mir, regt zum Nachmachen an. Genuss ist bei Robert nichts Be

Bewertung vom 25.05.2022
Madame Kunterbunt und das Geheimnis der Mutmagie / Madame Kunterbunt Bd.1
Thilo

Madame Kunterbunt und das Geheimnis der Mutmagie / Madame Kunterbunt Bd.1


sehr gut

Unterricht mal anders - kunterbuntes, magisches Schulabenteuer mit einzigartiger Lehrerin

„Sie ist wie ein lebender Pinsel und macht nicht nur die Welt ein bisschen bunter. Die Menschen in ihrer Nähe werden auch fröhlicher.“

In der Nacht vor dem ersten Schultag nach den Ferien beobachtet Nicky etwas sehr Merkwürdiges im Garten des bisher leerstehenden Nachbarhauses. Mitten in der Nacht scheint eine Gestalt einen Regenbogen heraufzubeschwören. Am nächsten Tag erleben Nicky, ihr Cousin Nick und die anderen Kinder der Klasse 3a eine weitere Überraschung. Ihre neue Lehrerin Madame Kunterbunt ist die neue Nachbarin von Nicky und Nick und sie ist so ganz anders als alle anderen Lehrer. Ihre Worte klingen wie die schönste Melodie. Sie erfüllt jeden Raum mit guter Laune, bringt auch die schüchternsten Kinder zum Reden und macht das Leben viel bunter und zauberhafter. Ihre zwei geheimen Begleiter die Chamäleons Cilly und Rosso haben magische Fähigkeiten, müssen aber leider immer streiten. Eines Tages eskaliert die Situation. Ob nun zur Abwechslung einmal die Klasse Madame Kunterbunt helfen kann?

Autor Thilo erzählt lebendig, kindgemäß, humorvoll und anschaulich. Wenn er die einzigartige Madame Kunterbunt beschreibt, trifft er schöne, passende sprachliche Vergleiche, malt mit Worten ein bezauberndes Bild von ihr. Bille Weidenbach hat zur Geschichte kleine ansprechende Schwarz-Weiß-Illustrationen gezeichnet, die die Seiten motivierend und abwechslungsreich gestalten. Die Schrift ist etwas größer gedruckt als normal, der Zeilenabstand ist etwas weiter. So ist der Text angenehm zu lesen. Das Buch richtet sich an Kinder ab acht Jahren zum Selberlesen und ist für jüngere Kinder ab sechs Jahren zum Vorlesen geeignet.

Madame Kunterbunt ist -wie schon ihr Name verspricht- eine ganz außergewöhnliche Persönlichkeit, die auf ihre Schüler eingeht, ihnen Selbstvertrauen vermittelt und jeden Tag gute Laune verbreitet. Sie drückt sich lustig und unterhaltsam aus, sagt z.B. oft „Brat mir doch einer einen Storch“ oder nennt die Kinder „Kinderinnen und Kinder“, für mich eine erfrischende, amüsante Formulierung. Ihre Schüler mögen Madame Kunterbunt sehr, sie ist aber nicht bei allen Mitmenschen gleichermaßen beliebt.
Die Chamäleons Cilly und Rosso haben ebenfalls eine drollige Art zu sprechen. Sie sorgen für zauberhafte Überraschungen, aber auch für allerhand Turbulenzen. Nicky und ihr Cousin Nick sind nette, aufgeweckte, neugierige Kinder, mit denen sich die Leser bestimmt gut identifizieren können. Dass ihre Namen so ähnlich klingen, stellte für mich beim Vorlesen eine größere Herausforderung dar.

Madame Kunterbunt macht die Schule zu einem besonderen, farbenfrohen und sehr lebenswerten Ort. Jeder Schultag mit ihr ist anders, aber stets aufregend, phantastisch und zauberhaft. Eine solche Lehrerin, die die Kinder so liebevoll bestärkt, hätte wohl jedes Kind gerne. Doch auch Madame Kunterbunt ist nicht unfehlbar und kann von ihren Schülern noch etwas lernen. Neben den Themen Selbstbewusstsein, Freundschaft und Zusammenhalt wird auch das Thema Streit auf differenzierte Weise betrachtet. Die Handlung nimmt erst gegen Ende so richtig Fahrt auf, der Mittelteil hat für mich ein paar Längen. Dennoch ein lesenswertes, unterhaltsames, humorvolles Schulabenteuer mit originellen, ungewöhnlichen Charakteren und einer ordentlichen Prise (Mut-)Magie.

Bewertung vom 24.05.2022
Morgen schreib ich dir ein Happy End (eBook, ePUB)
Skilton, Tash

Morgen schreib ich dir ein Happy End (eBook, ePUB)


gut

Charmante Grundidee, nicht ganz überzeugende Umsetzung

Miles und Zoey verhalten sich wie Hund und Katz, aber eine wichtige Gemeinsamkeit teilen sie doch. Sie haben beide einen ungewöhnlichen Job: Sie arbeiten als Ghostwriter für eine Partneragentur und unterstützen Menschen, die online auf Partnersuche gehen, dabei, in Chats, das Richtige zu schreiben. Beide sind allerdings bei unterschiedlichen Agenturen beschäftigt und wissen nicht um den Job des anderen. Als sie beide auf dasselbe potentielle Paar angesetzt werden, entwickelt sich alles ziemlich chaotisch, kompliziert und vielleicht auch romantisch….

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive von Miles und Zoey in Ich-Form geschrieben. Viele Kapitel beginnen mit einer Email von Zoeys und Miles Chefs Clifford und Leanne an ihre Mitarbeiter. Wiederholt werden auch Chatverläufe abgedruckt, was den Erzählstil abwechslungsreich gestaltet.

Miles ist Romantiker, steckt aber gerade in einer Krise. Seine Verlobte, mit der eigentlich eine Familie gründen wollte, hat ihn verlassen und bekommt nun das Kind eines anderen. Nicht einfach für Miles, darüber hinwegzukommen. Zoey wohnt erst seit kurzem in New York, sie hadert mit der Stadt, stammt sie doch ursprünglich aus Los Angeles. Dass sie ihren letzten Job verloren hat, nagt an ihr. Überhaupt hat sie Angst davor, nicht genug zu sein und abgelehnt zu werden, was aber nur in wenigen Momenten wirklich nachvollziehbar dargestellt wird.
Wenn Zoey und Miles aufeinandertreffen, zum Beispiel beim Kampf um einen besonderen Tisch im Stammcafe, ist Ärger vorprogrammiert. Beide wissen nicht, dass sie viel mehr gemeinsam haben, als sie denken.
Leider schafften es die Protagonisten nicht, mich für sich einzunehmen. Sie waren mir nicht so sympathisch, nicht so nah, wie ich das gerne gehabt hätte.

Die Geschichte erinnert ein wenig an den wunderbaren Film „Email für Dich“, allerdings ist sie ein bisschen moderner und ein bisschen komplizierter. Mir gefällt die charmante Grundidee dahinter durchaus. Die Umsetzung hat mich aber nicht komplett überzeugt, der Funke wollte einfach nicht recht überspringen. Das Ganze spielt in New York. Für Miles „eine Stadt, die dich hart rannehmen, Dich brechen, dich kaltstellen kann - sowohl metaphorisch , als auch rein meteorologisch-, und Dich doch immer wieder, unwiderruflich in ihren Bahn zieht.“ Die Liebe, die Miles für New York empfindet, war für mich trotz seiner schönen Worte nur schwer nachzufühlen. Die Geschichte kam mir außerdem zu spät in Fahrt, plätscherte lange Zeit vor sich hin. Die Persönlichkeiten der Hauptfiguren rissen mich nicht richtig mit, der Plot war insgesamt doch recht vorhersehbar. Ich hatte mir mehr echtes, tieferes Gefühl erwartet, das zu mir als Leserin auch wirklich direkt durchdringt, und kann den Roman daher nur mit Abstrichen empfehlen.

Bewertung vom 22.05.2022
Ungeheuer weckt man nicht / Sea Monsters Bd.1
Iland-Olschewski, Barbara

Ungeheuer weckt man nicht / Sea Monsters Bd.1


sehr gut

Ein phantastisches Freundschaftsabenteuer voller Magie und Spannung

Finn lebt auf der Insel Haimsend und mag die Sonne nicht. Er wurde bei sonnigem Wetter einmal von einer kräftigen Welle erfasst und wäre dabei fast ertrunken, wenn ihn nicht der Fischer Connor gerettet hätte. Als die anderen Inselkinder Finn und Poppy, die gerade erst auf die Insel gezogen ist, überreden, auf der kleinen Felsengruppe vor der Insel, dem Verbotenen Fleck, zu übernachten, passiert etwas extrem Gefährliches und gleichzeitig Unglaubliches. Die Felsen entpuppen sich als Seeungeheuer, das jahrelang schlief und nun wieder erwacht ist. Finn gelingt es, eine besondere Verbindung zu dem Geschöpf aufzubauen. Zunächst will dem Jungen niemand glauben, doch dann kommt es zu einer hochdramatischen Situation.

Barbara Iland-Olschewski erzählt klar, kindgemäß, lebendig und gut verständlich in der Vergangenheit. Timo Grubing hat zur Geschichte passende, ansprechende und motivierende Bilder gezeichnet, die wichtige Aspekte der Handlung darstellen. Die Schrift ist normal groß gedruckt und recht gut lesbar. Die Kapitel haben eine übersichtliche Länge und teilen das Buch in Leseabschnitte ein, die die Kinder nicht überfordern. Kinder ab neun Jahren werden die Geschichte ohne Probleme selbstständig lesen können.

Finn hat es nicht leicht. Wegen eines furchteinflössenden Erlebnisses hat er Angst vor dem Meer, die anderen Kinder hänseln ihn deswegen. Statt zu spielen, liest Finn lieber Comics, flüchtet sich in fremde Welten. Fischer Connor hat Verständnis für Finn. Er versucht, Finn Schritt für Schritt unter Leute zu bringen. So hofft er darauf, dass Finn sich mit Poppy anfreundet, die mit ihren Eltern neu auf der Insel ist und ihre alte Heimat sehr vermisst. Als beide Kinder unfreiwillig auf dem Verbotenem Fleck festsitzen, werden sie durch diese Erfahrung eng miteinander verbunden.
Neben echten Menschen wartet das Buch noch mit ausgesprochen beeindruckenden, phantastischen Figuren auf.

Finn lässt sich nicht träumen, wie sich sein Leben in kürzester Zeit ändert. Er erlebt ein außergewöhnliches, die Vorstellung übersteigendes Abenteuer, stellt sich dabei seiner größten Angst und erfährt verschiedene Arten von Freundschaft. Manchmal braucht Freundschaft keine Worte und manchmal schweißen gemeinsame Erlebnisse für immer zusammen. Der Schauplatz der Geschichte, eine kleine schottische Insel, ist faszinierend und steckt voller Geheimnisse. Der runde, stimmige Aufbau der Geschichte hat mich überzeugt. Das erste Kapitel bezieht sich auf das letzte, dazwischen steigt der Spannungsbogen kontinuierlich und wird erst zum Ende hin aufgelöst.
Ein magisches Freundschaftsabenteuer für alle, für die es nicht dramatisch und geheimnisvoll genug sein kann.

Bewertung vom 21.05.2022
Affenhitze / Kommissar Kluftinger Bd.12
Klüpfel, Volker;Kobr, Michael

Affenhitze / Kommissar Kluftinger Bd.12


sehr gut

Klufti goes Social Media - solider Klufti mit altbekannten skurrilen Figuren und fulminantem Finale

Priml! Kommissar Kluftinger hat bei der aktuell herrschenden Hitze eigentlich schon genug zu tun mit Schwitzen. Aber leider halten die hohen Temperaturen die Kriminellen nicht vom Verbrechen ab. Professor Brunner, der für die Ausgrabungen des Urzeitaffen Udos im Allgäu-Ort Pforzen verantwortlich ist, wird ermordet unter einem Bagger aufgefunden. Klufti soll den prekären Fall aufklären und stößt dabei u.a. auf einen Konkurrenten des Professors und eine dubiose, sektenähnliche Gemeinschaft, die in der Nähe der Ausgrabungsstätte lebt. Auch privat geht es turbulent zu: Klufti goes Facebook, er wird von seinem Lieblingsfeind in die Kunst des Drohnenfliegens eingeweiht, observiert die neue Nanny seines Enkelkinds und versucht sich als Händler.

Das Autorenduo Volker Klüpfl und Michael Kobr schreibt im gewohnt amüsanten Kluftinger-Stil. Jede Figur drückt sich auf ihre eigene Art aus, bekommt von den Verfassern eine individuelle Sprache verliehen, Klufti selbst gerät beispielsweise beim Reden manchmal ins Stocken, nennt seine Gesprächspartner schon mal „Herr Dings“ und spricht in Halbsätzen, Dr. Langhammers Ausdrucksweise wirkt etwas gekünstelt und überkandidelt, der ehemaliger Polizeipräsident Lodenbacher spricht tiefstes Niederbayrisch.
Das Cover reiht sich nahtlos in die Titelbilder der Vorgänger ein, das Buch ist sofort als neuer Kluftinger zu erkennen.

Kluftinger ist ein ganz spezieller Charakter, er hat mindestens zwei Gesichter. Wenn es um das Lösen seiner Fälle geht, zeigt er sich scharfsinnig, beobachtet und kombiniert genau und beweist viel Intuition und Gespür für Menschen und ihre Verbrechen. Im privaten Leben lässt er dieses Gespür häufig vermissen, kommt oft ziemlich tollpatschig, unbeholfen und plump daher. Dass er sich immer wieder in peinliche, absurde Situationen hineinmanövriert, macht den Kommissar aus. Zwei Figuren bringen ihn immer wieder an seine Grenzen, der eitle Dr. Langhammer, mit dem es oft zu amüsanten Wortduellen kommt und Richard Maier, der Technikfreak, der Klufti mit seiner überkorrekten, gründlichen und penetranten Art und seiner recht speziellen Redseligkeit oft gehörig auf die Nerven fällt. Langhammer und Maier gehören zu Kluftinger-Krimis genauso dazu wie der Kommissar selbst.
Diesmal bekommt es Klufti zudem mit einer besonderen Ältesten und einer Kinderfrau mit festen pädagogischen Überzeugungen zu tun.

Dass neben dem eigentlichen Fall viel Drumherum passiert, ist typisch für die Reihe. Nicht nur der Mord am Paläontologie-Professor Brunner beschäftigt Kluftinger, er hat dazu noch einige private Herausforderungen zu meistern. Mit Kluftinger ist eine Pizzabestellung genauso ein Abenteuer, wie ein Flohmarktbesuch oder ein scheinbar profanes Mitagessen. Und dann versucht Klufti noch mit der Zeit zu gehen und über soziale Medien zu kommunizieren. Die Handlung plätschert daher zunächst dahin, das aber zugegebenermaßen schon sehr unterhaltsam. Erst gegen Ende entwickelt sich der Fall richtig rasant und spannend. Wie immer sind manche Kluftimoment einzigartig komisch, beispielsweise wenn sich der Kommissar mit Dr. Langhammer ein Verkaufsduell auf dem Flohmarkt liefert. Manche Szenen sind meiner Meinung nach aber auch etwas „drüber“, zu sehr Fremdschämen und übertriebener Klamauk. Kluftis Reise in die Welt von Social Media hat Klufti für mich beispielsweise viel dümmer dastehen lassen, als er ist. Hier wurde es mir persönlich etwas zu albern. Aber zweifelsohne: Klufti kanns immer noch. Für mich nicht der allerbeste, aber auch bei weitem nicht der schwächste Band der insgesamt sehr lesenswerten Reihe: ein solider Klufti, der alles bietet was ein echter Klufti halt so braucht, einen nachvollziehbaren Kriminalfall, die gewohnten skurrilen Figuren und viel Witz. Unterm Strich: Daumen hoch für den Kult-Kommissar.

Bewertung vom 20.05.2022
Der Tanz deines Lebens / Ballet School Bd.1
Mayer, Gina

Der Tanz deines Lebens / Ballet School Bd.1


sehr gut

Der große Traum vom Tanzen - mitreißender Auftakt einer neuen Reihe

April ist die Tochter einer Ausnahme-Balletttänzerin und lebt seit dem Tod ihrer Mutter bei ihren Großeltern. Mit Ballett hat sie bisher überhaupt nichts am Hut, ihre beste Freundin Mimi begeistert sich hingegen schon seit Jahren für diesen Sport. Nach einer verlorenen Wette mit Mimi muss April an einem Ballett-Probetraining teilnehmen. Widererwartend macht ihr das Tanzen großen Spaß. Sie besucht von nun an regelmäßig das Training. Als Mimi, die schon seit Jahren von der Aufnahme an der Royal Ballet School in London träumt, ihre Aufnahmeprüfung ganz unerwartet absagt, möchte April an ihrer Stelle teilnehmen. Ob das gutgeht?

Gina Mayer erzählt leicht und locker in flüssigem Schreibstil aus Aprils Sicht in der ersten Person Präsens. Die Fachbegriffe aus dem Ballett werden dabei ganz unkompliziert und gut verständlich in den Text miteingebunden.
Das Buch richtet sich an Kinder, vermutlich eher an Mädchen ab elf, zwölf Jahren.

April wächst bei ihren Großeltern auf, die sie sehr lieben. Gleichzeitig hat ihre Großmutter auch die Sorge, ihre Enkelin -wie damals schon ihre Tochter- ans Ballett zu verlieren. Als April eine immer intensivere Leidenschaft fürs Tanzen aufbringt, wird die Beziehung zu ihrer Großmutter kompliziert. April entwickelt besonderen Ehrgeiz, ist sehr willensstark und manchmal etwas impulsiv. Wenn sie wütend wird, sagt sie schon mal Dinge, die sie hinterher bereut. Sicher geht es manchen Leserinnen da ähnlich und sie können sich gut mit April identifizieren. Freundin Mimi wirkt anfangs sehr zielstrebig und diszipliniert, setzt später aber ihre Prioritäten anders. Die Ballettlehrerin Mrs. Kaprinski entspricht genau meiner Vorstellung von einer strengen, kompetenten Ballettlehrerin. Die Figuren sind insgesamt recht einfach strukturiert. Hier steht doch mehr das Tanzen als die Entwicklung der Charaktere im Vordergrund.

Wird April ihren Traum vom Tanzen leben können? Zahlreiche wichtige Prüfungen stehen im Laufe der Handlung an. Gerade am Ende wird es richtig spannend und nervenaufreibend für sie. Die Geschichte gibt einen kleinen, interessanten Einblick in die Welt des Balletts. Es wird deutlich, dass April hart für ihr Ziel arbeiten muss. Allerdings geht meiner Ansicht nach vieles für sie dann trotzdem etwas zu leicht. Während andere jahrelang auf die Schulaufnahme hinarbeiten, erreicht April nach nur eineinhalb Jahren Training das hohe Niveau, was sicherlich nicht hundertprozentig realistisch ist. April beweist dennoch, dass es sich lohnt zu kämpfen und auch bei Widerstand nicht aufzugeben, wenn man etwas wirklich will. Sie hat Freunde, die sie unterstützen. April erinnert etwas an „Anna“ aus der gleichnamigen Fernsehserie. Wer sich fürs Ballett interessiert und gerne Internatsgeschichten liest, dem wird der erste Teil dieser neuen Serie „Ballet School - Der Tanz Deines Lebens“ sicher gut gefallen.

Bewertung vom 19.05.2022
Gretas Erbe / Die Winzerin Bd.1
Engel, Nora

Gretas Erbe / Die Winzerin Bd.1


gut

Eine schwere Kindheit, eine komplizierte Liebe und unerfüllte Träume - solider Auftakt mit kleinen Schwächen

Nachdem ihre Mutter Maria bei ihrer Geburt stirbt, wächst Greta als Waise bei der Winzerfamilie Hellert auf. Das Mädchen wird in der Familie geduldet, echte Liebe und Zuneigung der Zieheltern erfährt es allerdings nicht. Zu den beiden Söhnen der Hellerts hat Greta indessen eine besondere Beziehung. Um den Jüngsten Matze kümmert sie sich rührend, für Robert, den Rebellen der Familie, empfindet sie tiefere Gefühle. Greta geht gerne in die Schule, lernt mit Leidenschaft und hofft auf eine höhere Schulbildung, doch ihr Ziehvater Harald hat ganz andere Vorstellungen, was Gretas Ausbildung und ihre Zukunft betrifft. Ob Greta trotzdem ihren eigenen Weg finden wird?

Hinter dem Pseudonym der Autorin Nora Engel verbergen sich die Schriftstellerinnen Danela Pietrek und Tania Krätschmar. Sie schreiben leicht, gut verständlich und flüssig in der Vergangenheit. Der Prolog schildert einen zentralen Moment im Leben von Gretas Mutter Maria, ansonsten wird von 1970 an chronologisch erzählt. Zwischendurch kommt es immer wieder zu größeren Zeitsprüngen.
Das Cover ist recht schlicht gehalten und passt gut zur Handlung: Eine Frau in Arbeitskleidung schiebt ein Fahrrad, sie steht im Zentrum des Titelbilds.

Dass Greta ohne Liebe und das Gefühl von Geborgenheit aufwächst, stimmt natürlich traurig. Sie muss stets „funktionieren“ und ganz selbstverständlich hart auf dem Winzerhof mitarbeiten. Auf ihre eigenen Bedürfnisse wird dabei keine Rücksicht genommen. Wenn sie könnte, würde Greta ganz anders leben. Sie ist intelligent, wiss- und lernbegierig und liebt Literatur. Doch ihre Möglichkeiten, ihren Träumen von Bildung und höherer Schule zu folgen, scheinen begrenzt. In der Familie erhält sie wenig Unterstützung.
Auch die Söhne der Hellerts Matse und Robert sind nicht glücklich.
Während Greta sich meistens in ihre Rolle fügt und dabei ein wenig „blass“ und passiv agiert, sind auch die anderen Figuren nicht besonders tiefgründig und teilweise klischeehaft: Ziehvater Harald wird als stur, Ziehmutter Elfriede als sehr angepasst dargestellt. Die weiteren Kinder des Paares Renate und Johann wirken oft unsympathisch und teilweise recht tumb und grob. Die Charaktere hätten für mich durchaus genauer, individueller und differenzierter herausgearbeitet werden können.

Der Roman spielt im konservativen, traditionsbewussten Umfeld einer einfachen Pfälzer Winzerfamilie. Protagonistin Greta sucht wie auch Matse und Robert nach Selbstbestimmung und freier Entfaltung, was von der Familie aber nicht akzeptiert wird. Gretas Konflikt zwischen Tradition und Moderne, zwischen Pflicht, Anpassung und freier Entscheidung wird im Verlauf der Handlung immer offensichtlicher. Gleichzeitig wird die Stimmung, der „Geist“ der Siebziger Jahre, auch durch die wiederholte Erwähnung damals populärer Hits eingefangen. Im Anhang findet sich eine Zusammenstellung der Literatur, die Greta liest, und eine Playlist der in der Geschichte vorkommenden Musiktitel. Das hat mir recht gut gefallen, kann man doch die Titel anhören, um sich besser in die damalige Zeit hineinzuversetzen. Auch werden bestimmte politische, gesellschaftliche und geschichtliche Ereignisse wie die Abtreibungsdebatte oder die olympischen Sommerspiele in München 1972 thematisiert und teils in das Geschehen mit einbezogen.
Die unterhaltsame Geschichte ist angenehm unkompliziert und schnell zu lesen. Gerade zum Ende hin wird es richtig spannend. Die Fragen, wie Greta sich entscheiden wird, mit welchen Widrigkeiten sie dabei zu kämpfen hat und ob ihr Glück in der Liebe vergönnt sein wird, beschäftigten mich beim Lesen durchgehend. Auch wenn die Handlung recht vorhersehbar und die Figuren doch recht plakativ und schwarz-weiß wirken, habe ich „Gretas Erbe“ gerne gelesen. Das Ende macht mich so neugierig, dass ich den zweiten Teil jetzt schon kaum erwarten kann. Eine prima Lektüre für ein erholsames Woc