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Aischa

Bewertungen

Insgesamt 548 Bewertungen
Bewertung vom 30.11.2021
Wer wird denn da gleich schwarzsehen
Jung, Marius

Wer wird denn da gleich schwarzsehen


sehr gut

Moderator, Coach und Comedian Markus Jung schreibt mit Coautor Oliver Domzalski gegen den allgegenwärtigen und oftmals unbewussten oder gar verleugneten Rassismus an.

Doch er tut dies ohne erhobenen Zeigefinger, sondern vielmehr mit überraschender Leichtigkeit, auch mit Witz, ohne da wo es geboten erscheint, dem Thema den nötigen Respekt zu erweisen. Sehr sympathisch fand ich, dass er ehrlich zugibt, auch selbst nicht frei von rassistischen Gedanken und Verhalten zu sein, nur weil er selbst eine Person of Color ist.

Der Ratgeber ist gut strukturiert: Jung definiert Rassismus und erklärt einfach, woran man ihn im Alltag erkennen kann. Er zeigt rassistische Motive und Hintergründe auf und entlarvt Abwehrmechanismen von Weißen. Dabei positioniert er sich immer wieder, es ist auch ein sehr persönliches Buch. Dabei nimmt er keine extremen Positionen ein, sondern will vor allem vermitteln. Dies gelingt nicht zuletzt dadurch, dass er sich selbstkritisch hinterfragt und die Leser*innen an seiner eigenen Entwicklung teilhaben lässt. Offen erzählt Jung etwa davon, dass er früher gendergerechte Sprache abgelehnt hat, diese Meinung inzwischen jedoch revidiert hat.

Manche Themen werden für meinen Geschmack zu oft wiederholt. Dafür gibt es - wie Post-its an einer Pinnwand gestaltet - eine kleine hilfreiche Sammlung von Tipps für Weiße, wie sie Begegnungen mit Nichtweißen auf Augenhöhe und nichtdiskriminierend gestalten können.

Kleine Kritik: Schade ist, dass auf dem Cover nicht ersichtlich ist, dass das - wirklich empfehlenswerte Buch - mit Hilfe des Coautors Oliver Domzalski enstand.

Bewertung vom 28.11.2021
Mordsgipfel
Rehn, Heidi;Kämmerer, Harry;Schmöe, Friederike

Mordsgipfel


sehr gut

Von wegen "auf der Alm da gibt's koa Sünd": Zwischen diesen Buchdeckeln wird reichlich gesündigt, die Protagonisten verstoßen gegen das fünfte Gebot, und mit Habgier, Zorn, Neid und Wollust sind selbst etliche der Todsünden vertreten. Und dies alles inmitten der malerischen, so idyllisch anmutenden bayerischen Bergkulisse.

Die vorliegende Anthologie vereint 14 Kurzkrimis ebenso vieler Autor*innen, darunter gebürtige Bayern wie auch "Zuagroaste". Die Geschichten sind erfreulich abwechslungsreich. Da wird die Bergwirtschaft zum Drogenumschlagsplatz, Polizisten geraten auf kriminelle Abwege, es gibt einen Hauch Mystery und historische Kriminalgeschichten.

Auch sprachlich laden die "Mordsgipfel" zu einer vielfältigen Entdeckungsreise ein. Manche Geschichten legen ein schier atemberaubendes Tempo an den Tag, andere kommen recht behäbig daher; oft ist es witzig, selten sehr brutal. In fast allen Stories sorgt bayerische Mundart für sympathisches Lokalkolorit. Leser*innen, für die Allgäuerisch, Fränkisch und Oberbayerisch unverständliche Fremdsprachen sind, sind daher bestens beraten, sich zur Lektüre der Unterstützung durch entsprechend versierte Übersetzer zu versichern.

Die Klappenbroschur ist ansprechend gestaltet, auf den Umschlaginnenseiten finden sich Fotos der Verfasser*innen. Gut gefallen mir auch die Kurzbiografien der Autor*innen am Ende der jeweiligen Kapitel, ergänzt um persönliche Bemerkungen zu "ihrem" ausgewählten Berg. Einzig die sehr kleinen und schwer erkennbaren Fotos der "Tatort"-Gipfel fand ich nicht wirklich schön, und leider sind dem Lektorat auch einige Fehler durchgerutscht.

Davon abgesehen kann ich diese wechselvollen verbrecherischen Bergtouren jedem Krimifan ans Herz legen. Allerdings nicht, ohne eine Warnung auszusprechen: Es könnte sein, dass Sie nach der Lektüre bei künftigen Wanderungen die Brotzeit auf der Alm nicht mehr ganz so entspannt genießen können!

Bewertung vom 05.11.2021
Natürlich gesund: Kräuter und Gewürze
Butenuth, Sina

Natürlich gesund: Kräuter und Gewürze


sehr gut

Die Zeiten, als das typisch deutsche Gewürzregal außer Salz, Pfeffer und Paprikapulver nicht viel mehr zu bieten hatte, sind Gott sei Dank vorbei. Unsere Gesellschaft ist vielfältiger geworden, und das wirkt sich erfreulicherweise auch kulinarisch aus. Längst greift man auch hierzulande gerne zu Currypulver, Chili und Co.

Hobbyköchin Sina Butenuth hat nun ein kleines Kompendium der Kräuter und Gewürze verfasst. Zunächst geht es in einem kleinen historischen Ausflug in die Geschichte der Würze, dann folgen bereits handfeste praktische Tipps, wie etwa, Kräuter und Gewürze nicht in der Nähe des Herds zu lagern. Ein Hinweis auf nachhaltigen Einkauf fehlt ebenso wenig wie Möglichkeiten, Kräuter selbst anzubauen und anschließend haltbar zu machen. Allerdings muss einem klar sein, dass die Informationen recht knapp sind, was sicher auch dem zwar handlichen, aber eben auch sehr kleinen Format geschuldet ist. Optisch punktet das Buch mit wunderschönen Fotos, der farbige Leinenrücken wirkt sehr edel.

Im Hauptteil werden 40 Kräuter und Gewürze porträtiert: Ursprung, Allgemeines, Verwendung in der Küche und gesundheitliche Aspekte. Bei letzterem gibt es einige Wiederholungen, und viel Hintergrundinfos sollte man auch hier nicht erwarten. Aber das schmale Büchlein gibt einen guten Überblick, nicht zuletzt durch das wirklich gelungene Layout. Symbole lassen auf einen Blick erkennen, ob das Kraut mitgekocht oder erst kurz vor dem Servieren hinzugefügt werden sollte. Eine Tabelle im Anhang zeigt auf, was bei welchen Wehwehchen helfen kann.

Besonders gefallen mir die einfachen Rezepte und Anleitungen für eigene Würzmischungen. Chai-Latte, Melonen-Feta-Salat mit Minze oder Kerbelbutter sind nicht nur schnell gemacht, sondern überzeugen auch geschmacklich. Und der selbstgemachte Vanille-Pfeffer ist ein originelles und persönliches Präsent, das ich zum kommenden Weihnachtsfest zusammen mit dem hübschen Büchlein verschenken werde.

Bewertung vom 05.11.2021
Say Cheese!

Say Cheese!


ausgezeichnet

Wie war das nochmal - Überbacken mit Käse tötet Kalorien ab? Ich fürchte, der wissenschaftliche Beweis dafür steht noch aus, und so halte ich es lieber mit dem Spruch: "Ich esse gerne, und gebe Kalorien damit ein neues Zuhause!"

Mit dem vorliegenden Käsekochbuch dürften Gesundheitsapostel und Abnehmwillige so ihre Schwierigkeiten haben. Alle anderen finden hier einen empfehlenswerten Reigen äußerst delikater Käsekreationen.

Die über 60 Rezepte sind übersichtlich auf meist einer Doppelseite angeordnet, einzig die Angabe der Zubereitungszeit fehlt. Die großen Farbfotos sind sehr ansprechend, ohne übertrieben gestylt zu wirken. Der praktische Teil beginnt mit simplen Toasts und Sandwiches, die aber teils durch eine originelle Zutat wie das koreanische Kimchi frischen Pepp erhalten. Mein Favorit hier ist Apfel-Cranberry-Toast mit Brie auf Walnussbrot, ein kulinarisches Gedicht! Da das Buch im Original aus dem United Kingdom stammt, fehlen auch typisch britische Spezialitäten wie Welsh Rarebit oder Englischer Brotpudding nicht. Nudelaufläufe und Gemüsegratins stellen den Großteil der Rezepte, aber auch Pizza, Ofenkäse, und Suppen wollen versucht werden. Klassiker wie das Schweizer Käsefondue kann man mit selbstgemachten Beilagen perfekt ergänzen, z.B. mit Apfelrösti oder Walnuss-Grisini.

Die Gerichte überzeugen geschmacklich und sind dennoch so einfach, dass auch Anfänger bei der Zubereitung keine Probleme haben dürften. Viele Rezepte zeichnen sich durch Verwendung einer besonderen Käsesorte aus. So bekommt der Burger mit einer Scheibe Scamorza - statt dem immer gleichen Schmelzkäse - eine feine Räuchernote. Überhaupt bietet das Buch Gelegenheit, sich an hierzulande eher unbekannte Käsesorten zu wagen. Ich jedenfalls hatte bislang weder Lincolnshire Poacher noch den kalifornischen Monterey Jack auf dem Teller. Doch keine Angst, wer keinen gut sortierten Käseladen in der Nähe hat, braucht nicht auf die jeweiligen Rezepte zu verzichten, da aufgeführt ist, mit welchen gängigeren Sorten man die Käse ersetzen kann.

Das Hardcover mit Fadenbindung bleibt aufgeschlagen gut liegen und ist dadurch wirklich praxistauglich. Ebenfalls sehr praktisch ist das Register, das auch eine Suche nach verwendeten Käsesorten erlaubt. Hilfreich sind die Tipps zum Käseschmelzen an sich.

Fazit: Eine verlockende Einladung, die Welt des heißen Käses neu zu entdecken, der ich gerne und mit großem Genuss gefolgt bin.

Bewertung vom 04.11.2021
Natürlich gut: Brot backen
Butenuth, Sina

Natürlich gut: Brot backen


gut

Hobbyköchin Sina Butenuth möchte Anfängern die Scheu vor dem Brotbacken nehmen, und dies kann das kleine Büchlein sicher leisten.

Optisch ist das Buch sehr ansprechend, mit zahlreichen modernen, aussagekräftigen Fotos, durch den Leinenrücken, den geprägten Titel und das griffige Papier wirkt es hochwertig. Sehr süß finde ich die kleinen Brote neben den Seitenzahlen, ich mag solche Details. Auch die beiden Seiten für eigene Notizen und Rezepte sind eine praktische Idee und grafisch sehr schön umgesetzt.

Als Einleitung gibt es zunächst eine kurze Geschichte des Brotes und interessante, kurzweilige Fakten rund um das beliebte Grundnahrungsmittel. Sehr hilfreich sind Lagertipps für Brot und Mehl. Die über 30 abwechslungsreichen Rezepte im Hauptteil sind alphabetisch sortiert. Die verschiedenen Sauerteig- und Hefeteigbrote sind - wie im Untertitel angekündigt - einfach zuzubereiten und dürften auch Neulingen in der heimischen Brotbackstube kaum Schwierigkeiten bereiten. Auf sehr lange Gärzeiten oder Teigführung wird verzichtet (was allerdings zu Lasten der Verträglichkeit gehen kann), und wer sich noch nicht an das Ansetzen eines eigenen Sauerteiges traut, der darf getrost zum Fertigprodukt aus dem Einzelhandel greifen. Die Zutaten sind übersichtlich aufgelistet, einfach erhältlich und die Zubereitung ist gut verständlich beschrieben. Wird es doch mal ein wenig komplizierter, helfen Schritt-für-Schritt-Fotos, wie etwa beim Baguette-Falten. Zudem gibt es im Anhang ein paar Rezepte für herzhafte und süße Brotaufstriche. Auch diese kommen mit wenigen Zutaten aus und sollten auch Anfängern gut gelingen. Letztlich finden sich noch Rezepte für eigene Brotgewürze, und eine gleichermaßen unterhaltsame wie informative Länderreise bildet einen schönen Abschluss.

Leider hat das Buch jedoch meinen Praxistest nicht bestanden: Durch das kleine Format und die Art der Bindung bleibt das Hardcover überhaupt nicht aufgeschlagen liegen, sondern man muss etwas zum Beschweren darauf legen. Das wiederum verdeckt dann teilweise den Text, sehr schade und reichlich nervig.

Außerdem stehen bei vielen Rezepten Zutaten und Zubereitung nicht auf einer Doppelseite, sondern auf Vorder- und Rückseite, so dass man wiederholt hin- und herblättern muss. Das macht nicht nur keinen Spaß, sondern lässt das Büchlein bereits nach wenigen Backversuchen mit teigverklebten Fingern sehr ramponiert aussehen.

Wer sich daran nicht stört, bekommt jedoch für wenig Geld viele Tipps und Rezepte.

Bewertung vom 03.11.2021
Syphilis & Co.
Weisenseel, Peter

Syphilis & Co.


ausgezeichnet

Egal ob es im Slip müffelt oder im Schritt das große Jucken einsetzt - Autor Dr. Peter Weisenseel nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er die häufigsten Beschwerden seiner Patienten schildert. Der Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten gibt mit vorliegendem Ratgeber einen hervorragenden Überblick über die derzeit bei uns am verbreitetsten sexuell übertragbaren Krankheiten, von Gonorrhoe über Filzläuse bis zu HIV/Aids.

Dabei punktet der Doc nicht nur mit Fachwissen, sondern entpuppt sich als äußerst humorvoller Erzähler. Die Schilderungen seines Patienten-Panoptikums sind sehr unterhaltsam. Aber egal, ob Weisenseel einen jungen Mann mit Tripper davon abzuhalten versucht, weiterhin als "menschliche Anrichte" zu jobben, oder ob er einem älteren Sextouristen erklärt, was die wahrscheinliche Ursache dafür ist, dass seine junge Thai-Freundin "untenrum so nach Fisch riecht" - der Arzt schreibt mit einem Augenzwinkern, aber stets ohne vulgär oder gar verletzend zu werden. Weisenseels Fachgebiet spielt sich weitestgehend unter der Gürtellinie ab, das Niveau dieses Sachbuchs ist es hingegen definitiv nicht!

Am Ende jedes Kapitels findet sich eine übersichtliche Zusammenfassung zur jeweiligen Krankheit samt Erreger, Übertragungswegen, Symptomen, Prävention und Therapie. Im Glossar sind medizinische Fachbegriffe knapp und auch für Laien gut verständlich erklärt.

Fazit: Das handliche Paperback ist ein echter Gewinn für alle sexuell Aktiven. Auch wer noch ein Weihnachtsgeschenk für sein "Pubertier" sucht, dem kann ich diesen humorvollen und modernen Ratgeber wärmstens empfehlen.

Bewertung vom 29.10.2021
Als wir an die Zukunft glaubten / Die Hafenschwester Bd.3
Metzenthin, Melanie

Als wir an die Zukunft glaubten / Die Hafenschwester Bd.3


ausgezeichnet

Auch im dritten - und leider letzten - Teil der Hafenschwester-Saga lässt Melanie Metzenthin die Leser*innen tief in die deutsche Geschichte eintauchen. Diesmal begleiten wir die Familie Studt von der Weimarer Republik bis zum Ende des zweiten Weltkriegs. Es waren schwere Zeiten, und so ist die Lektüre thematisch nicht immer leicht zu verdauen. Hunger und Bombenangriffe sind für die meisten von uns abstrakte Begriffe, aber Metzenthin beschreibt dies so eindringlich, dass ich sehr bewegt war. Auch detaillierte Schilderungen der Foltermethoden durch die Gestapo oder Brutalität im Konzentrationslager spart die Autorin nicht aus. Und das ist gut so, hier wird nichts verklärt oder geschönt.

Aber auch das Gute kommt nicht zu kurz. "Die Hafenschwester" ist ebenso eine Erzählung über Freundschaft und starke Familienbande, über willensstarke Frauen und die Kraft der Hoffnung. Dabei gelingt es der Autorin, emotional und empfindsam zu schreiben, ohne ins Kitschige abzugleiten. Sie legt viel Wert auf stimmige, vielschichtige Figurenzeichnungen. Besonders hervorheben möchte ich außerdem zahlreiche (akribisch recherchierte) historische Details, die die Geschichte lebendig werden lassen, etwa wenn eine Hausfrau die Stapel an Geldscheinen während der Hyperinflation bügelt. Im Mikrokosmos der Familie präsentiert Metzenthin ihren Leser*innen wichtige Ereignisse und Entwicklungen der Zeitgeschichte so aufs Anschaulichste.

Fazit: Bitte nicht von den über 700 Seiten abschrecken lassen, der Roman ist nicht nur außerordentlich gute Unterhaltungsliteratur auf höchstem Niveau, sondern bietet tiefe, wichtige Einblicke in die unrühmliche deutsche Vergangenheit. Dieser gut konstruierte Roman ist ein literarisches Zeichen wider das Vergessen. Unbedingt lesen und weiterempfehlen!

Bewertung vom 28.10.2021
Annette von Droste-Hülshoff. Dichterin zwischen den Feuern
Kaiser, Maria Regina

Annette von Droste-Hülshoff. Dichterin zwischen den Feuern


sehr gut

Erst mal gebührt Maria Regina Kaiser in meinen Augen Respekt dafür, eine Romanbiografie über Annette von Droste-Hülshoff verfasst zu haben.

Zum einen, weil die deutsche Ausnahmedichterin einen immens umfangreichen schriftlichen Nachlass hinterlassen hat, ihre Arbeitsmanuskripte, Reinschriften, Tagebücher und vor allem ihre zahlreichen Briefwechsel mit Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten sind wohl - zumindest für Laien - kaum zu überblicken. Chapeau also für diese riesige Recherchearbeit. Gleichwohl war und ist dieser reiche Fundus an Zeitdokumenten über Annette Quelle für unzählige literaturwissenschaftliche Studien, und es wurden bereits mehrere Biografien und biografische Romane über von Droste-Hülshoff.

Wieso also nun noch ein weiteres Buch über "Nette"? Autorin Kaiser wollte laut eigener Aussage Annette von Droste-Hülshoff "etwas mehr ins Scheinwerferlicht" rücken. Nun, was mich angeht ist dies definitiv gelungen. Vor Jahrzehnten hatte ich "Die Judenbuche" als Pflichtlektüre innerhalb des Deutschunterrichts gelesen, darüber hinaus kannte ich herzlich wenig von Annettes Œuvre und über sie selbst wusste ich praktisch nichts.

Insofern hat die neue Biografie also ihr Ziel erreicht, ich habe mich für die Protagonistin interessiert und das Buch durchaus mit Gewinn gelesen. Man wird Annette nach der Lektüre nicht unbedingt mögen, aber man lernt sie kennen. Gerne hätte ich die "Dichterin zwischen den Feuern" auch noch besser verstanden, hier bleibe ich leider mit einigen Schilderungen recht ratlos zurück.

Dies liegt meines Erachtens vor allem an der episodenhaften, teils fragmentarisch anmutenden Erzählweise, die im Verlauf des Romans zunimmt. Geburt und Kindheit Annettes werden in liebevollen Details und atmospärisch dicht geschildert, so dass ich von den ersten Kapiteln restlos begeistert das Buch kaum aus der Hand legen wollte. Die Szenerien entwickelten eine starke Anziehung, ich sah quasi ein Biopic vor meinem inneren Auge. Doch leider verliert sich das zunehmend, manche Passagen werden nicht vorbereitet, sondern überraschen den Leser. Nichts gegen gute Twists, aber wenn sie nicht in einem Thriller vorkommen, dann hätte ich doch gerne eine Auflösung. Und so bleibe ich leider ratlos zurück, wenn ein junger Mann, kaum dass er die Romanbühne betritt, auch schon zu Annettes Liebstem erklärt wird oder langjährige Freundschaften gekappt werden, und man als Leser über die Gründe nur spekulieren kann. Hier hätte ich mir - falls das Recherchematerial keine eindeutige Sachlage hergibt - mehr Interpretation durch die Autorin gewünscht.

Auch blieben mir viele Figuren leider recht fremd, weil Reaktionen auf einschneidende Ereignisse (z.B. der Tod eines geliebten Menschen) nicht oder nur knapp geschildert werden.

Dennoch ist der Roman ein interessantes Sittengemälde der deutschen Adelsgesellschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Standesdünkel, Liebesintrigen, als ledige erwachsene Frau nicht geschäftsfähig zu sein - Annette hatte es wahrlich nicht leicht. Gelungen ist auch die Einflechtung einiger Gedichte und Zitate aus Briefen.

Die Ausstattung des wunderschönen Hardcovers lässt keinen Wunsch offen, vor allem der Anhang bietet reichlich Zusatznutzen und Orientierung: Orts- und Namensverzeichnis, Glossar, Zeittafel, weiterführende Literatur und nicht zuletzt zahlreiche Bilder konnten mich sehr begeistern.

Daher, trotz der lückenhaften Erzählung, meine Leseempfehlung für alle "Von-Droste-Hülshoff"-Fans und diejenigen, die es noch werden wollen.

Bewertung vom 27.10.2021
Die tristen Tage von Coney Island
Crane, Stephen

Die tristen Tage von Coney Island


gut

Der Pendragon Verlag hat - rechtzeitig zu Cranes 150. Geburtstag - eine Sammlung von zwölf Short Stories dieses bemerkenswerten Autors veröffentlicht.

Der US-Amerikaner Stephen Crane war Journalist und Kriegsberichterstatter, aber auch Abenteurer und Bohemien, bevor er mit nur 28 Jahren als Tuberkulose-Patient im deutschen Badenweiler verstarb. Crane wurde bereits zu Lebzeiten von der Kritik gefeiert, geriet nach seinem Tod jedoch zunächst überwiegend in Vergessenheit, auch wenn Ernest Hemingway von seinem Werk sehr angetan war. Crane wird erst in den 1950er Jahren in größerem Stil literarisch wiederentdeckt, inzwischen hat ihm das Literarische Museum Badenweiler einen Salon gewidmet.

Die in der vorliegenden Sammlung vereinten Geschichten wirken auf mich überraschend modern und aktuell. Es gibt humorvoll-ironische, teils slapstick-artige Szenen, und Cranes Stil zeichnet sich immer wieder durch sehr stimmungsvolle Farbbeschreibungen aus, die stark durch den Impressionismus beeinflusst sind. Es gibt einige Perlen unter den vorgestellten Geschichten, aber auch solche, die ich eher als literarische Fingerübung einordnen möchte. Dann wiederum legt der Autor enormes psychologisches Gespür und feine Beobachtungsgabe an den Tag, auch Sozialkritik findet sich zwischen den Zeilen. Crane stellt große Moralfragen, aber ohne erhobenen Zeigefinger.

Etwas schwierig finde ich seine Positionierung zum Krieg, hier finde ich keine eindeutige Haltung des Autors. Einerseits beschreibt er die Sinnlosigkeit von Kampfhandlungen, andererseits ist er auch immer wieder fasziniert vom Krieg, Crane bleibt hier ambivalent. Schade finde ich die weitgehende Abwesenheit von Frauenfiguren, das weibliche Geschlecht kommt (fast) nur in Nebenrollen oder gar nicht vor.

Eine weitere Kritik gilt der Übersetzung, hier nur ein Beispiel: "Holy Cheese" mit der wörtlichen Translation zu "Heiliger Käse" wiederzugeben zeugt von wenig Sprachgefühl, passender wären im Deutschen "Heiliger Bimbam" oder "Heiliger Strohsack".

Sehr hilfreich war für mich das Nachwort des Herausgebers, das neben Cranes Vita auch wichtige historische Einordnungen der Geschichten vornimmt. Letztere hätte ich mir noch ein wenig ausführlicher und vor allem bereits als Fußnoten zu den jeweiligen Textstellen gewünscht, nicht jedem dürften Details des kubanischen Unabhängigkeitskrieges präsent sein.

Fazit: Ich bereue es keinesfalls, mit diesem Band einen der "Wegbereiter der amerikanischen Moderne" kennengelernt zu haben, aber insgesamt sind mir die Sujets zu männer- und kriegslastig.

Bewertung vom 19.10.2021
Meine glutenfreien Kuchen und Torten
Gruber, Tanja

Meine glutenfreien Kuchen und Torten


gut

Was zeichnet ein gutes Backbuch aus? In meinen Augen sind es vor allem zwei Faktoren: Zum einen möchte ich aus vielen, möglichst unterschiedlichen Rezepten auswählen können, und die Backwaren müssen mir schmecken. Zum anderen muss das Buch praxistauglich sein, d.h. ich lege Wert auf eine ansprechende Optik, ich möchte schnell erkennen können, welche Zutaten und Küchengeräte ich brauche und wie lange die Zubereitung dauert.

Glutenfrei-Foodbloggerin und Autorin Tanja Gruber konnte mich mit ihrem neuesten Backbuch leider nur in Sachen Geschmack und Vielfalt sowie den ansprechenden Fotos überzeugen. Die vorgestellten 28 Torten und 23 Kuchen sind wirklich sehr unterschiedlich. Man kann sich mit Torten durch die vier Jahreszeiten backen, findet aber ebenso Torten für besondere Anlässe wie zu Ostern oder zum Muttertag. Schnelle (und dennoch schmackhafte) Kuchen sind mit nur vier Rezepten dagegen etwas unterrepräsentiert, dafür sind einige wirklich kreative Kuchen enthalten, die der Blickfang auf jeder Kaffeetafel sein dürften, z.B. die dekorativen Himbeer-Butterkeks-Schnitten oder der Mohn-Rosenkuchen. Eigentlich bin ich kein großer Tortenfan, aber die Feigen-Walnuss-Torte bringt mich zum Schwärmen, sie ist gleichermaßen eine unvergessliche Augenweide wie eine wahre Geschmacksexplosion verschiedener Aromen.

Wieso nun trotzdem nur eine mittlere Bewertung? Nun, die Rezepte sind leider sehr unübersichtlich geraten. In den Zutatenlisten sind diverse Ersatzprodukte (bei Unverträglichkeiten) aufgeführt. Dagegen ist an sich ja nichts einzuwenden, im Gegenteil. Doch ist die Autorin hier übers Ziel hinausgeschossen. Statt einfach im Anhang eine Tabelle mit veganen Sahnealternativen, lactosefreier Milch etc. anzugeben, sind in fast jedem Rezept diverse Alternativen aufgeführt. Dies hat zur Folge, dass die Zutatenliste ausufernd lang und unübersichtlich wird. Zudem stört es mich , dass Zubereitungs- und Backzeiten im Text versteckt sind und nicht noch eigens gut ersichtlich angegeben sind. Schade.

Sehr gut gelungen sind hingegen die Grundrezepte, vom Mürbeteig bis hin zum Quark-Öl-Teig. Auch mit hilfreichen Praxistipps punktet das Buch, etwa zum Belegen eines Tortenrands anhand einer aufgeschnittenen Zitrone, die man abwechselnd in Schokostreusel und an den Rand drückt, das klappt super!

Ich hatte gehofft, mehr zu eigenen glutenfreien Mehl-Mischungen zu finden. Diese werden erst im Anhang und auch nur sehr knapp erklärt. Um helles Weizenmehl durch eine "helle glutenfreie Mehlmischung" zu ersetzen bräuchte ich jedoch ehrlich gesagt kein eigenes Backbuch. Aber da die Autorin ja auch eigene Backmischungen vertreibt, wollte sie diese vielleicht auch etwas promoten ... Gut ist hingegen der Theorieteil, indem Zöliakie knapp und dennoch gut verständlich erklärt wird. Auch für die Hinweise, wie ein glutenfreier Arbeitsplatz in der Küche gestaltet werden muss, bin ich sehr dankbar.

Fazit: Tolle Rezepte, die geschmacklich hervorragend sind, aber vor dem Einkauf und bei der Zubereitung muss man schon sehr genau lesen.