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Buchbesprechung
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Bad Kissingen
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Ich bin freier Journalist und Buchblogger auf vielen Websites. Neben meiner Facebook-Gruppe "Bad Kissinger Bücherkabinett" (seit 2013) und meinem Facebook-Blog "Buchbesprechung" (seit 2018) habe ich eine wöchentliche Rubrik "Lesetipps" in der regionalen Saale-Zeitung (Auflage 12.000).

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Insgesamt 368 Bewertungen
Bewertung vom 26.08.2019
Der Horizont der Freiheit
Thorn, Ines

Der Horizont der Freiheit


sehr gut

REZENSION – Auf den ersten Blick – und das Cover des Buches mit der eleganten Dame vor der Patriziervilla trägt leider seinen Teil dazu bei – mag das neue Buch von Ines Thorn (55) wie ein nicht allzu anspruchsvoller Liebesroman wirken. Doch nach den ersten Seiten spürt man: Das Buch bietet einiges mehr. „Der Horizont der Freiheit“ ist ein historischer Roman über die Vortage der Märzrevolution von 1848, der uns Leser an der republikanisch-demokratischen Aufbruchstimmung jener Jahre in Deutschland teilhaben lässt. Arbeiter und Bürger lehnen sich gegen die Vorherrschaft von Adel und Monarchie auf, Frauen kämpfen für ihre Emanzipation in der Männerwelt und die seit jeher am Rand der christlichen Gesellschaft stehenden Juden hoffen auf gesellschaftliche Gleichstellung.
Dies alles ist Inhalt des in Frankfurt am Main spielenden Romans, der kürzlich zum 175-jährigen Jubiläum des 1844 gegründeten Verlags Rütten & Loening erschien, heute nur noch ein Imprint des Aufbau-Verlags. Wir erleben die beiden jüdischen Verlagsgründer, den Kaufmann Joseph Rütten (1805-1878), der zwar 1842 seinen Geburtsnamen Jacob Beer Rindskopf abgelegt hat, aber nicht zum Christentum konvertiert ist, und den Verleger Zacharias Loewenthal (1810-1884), der sich erst 1847 nach seinem Wechsel zum Protestantismus in Carl Friedrich Loening umbenennen wird.
Es sind die verschiedenen historischen Facetten, die Thorns Roman jenseits der Liebesgeschichte zwischen dem schüchternen Rütten und Wilhelmine Pfaff, der jungen Witwe eines benachbarten Druckereibesitzers, so interessant macht. Denn der Autorin gelingt es, Fakten und Fiktion symbiotisch miteinander zu verbinden und dadurch dieses wichtige Kapitel deutscher Geschichte, wenn auch räumlich auf Frankfurt begrenzt, trotz aller Sachlichkeit lebendig zu vermitteln.
So begleiten wir die Abgeordneten, zu denen 1848 auch Rütten und Loewenthal gehören, zur Nationalversammlung in die Frankfurter Paulskirche, wo sich bürgerliche Konservative erfolglos mit Republikanern zu einigen versuchen. Wir sind aber auch unter den demonstrierenden Arbeitern draußen vor der Frankfurter Paulskirche, in deren erster Reihe Wilhelmines beste Freundin, die rebellische Henriette Zobel (1813-1865) steht. Zobel ging tatsächlich als Regenschirm schwingende „Emanze“ und mutmaßliche Attentäterin in die Frankfurter Stadtgeschichte ein. Im Gegensatz zu ihr emanzipiert sich Wilhelmine Pfaff auf andere Art, in dem sie sich von der rechtlosen Ehefrau in eine erfolgreiche Unternehmerin wandelt – nicht zuletzt dank der Aufträge aus der „Literarischen Anstalt“ der beiden Verleger Rütten und Loewenthal. Beide machten sich, wie wir im Roman ebenfalls erfahren, einen Namen durch die Verbreitung revolutionärer Texte von Karl Marx, Ludwig Börne oder Karl Gutzkow. Den wirtschaftlich größten Erfolg ihrer Anfangsjahre verdankten sie aber dem heute legendären Kinderbuch „Struwwelpeter“ des Frankfurter Mediziners Heinrich Hoffmann.
„Der Horizont der Freiheit“ ist also weit mehr als ein nüchternes Auftragswerk zur Erinnerung an die vor 175 Jahren erfolgte Gründung des Verlags Rütten & Loening. Ines Thorn hat einen sorgsam recherchierten und historisch interessanten Roman geschrieben, der uns zu denken geben sollte: Vor 175 Jahren kämpften viele Deutsche unter Einsatz von Leib und Leben für Freiheit und Demokratie – für hohe Werte, die in unserer heutigen Gesellschaft vielfach missachtet und nicht mehr genügend wertgeschätzt werden.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.08.2019
Das Echo der Wahrheit
Chirovici, Eugene

Das Echo der Wahrheit


sehr gut

REZENSION – Zeitgleich zu seinem Weltbestseller „Das Buch der Spiegel“ (2017) arbeitete der aus Rumänien stammende, heute in Brüssel lebende Schriftsteller Eugene Chirovici (55) bereits an seinem nun auf Deutsch erschienenen Spannungsroman „Das Echo der Wahrheit“. Wohl deshalb ist die thematische Nähe beider Werke verständlich, geht es doch in beiden Romanen um die menschliche Sicht auf Fakten und Wahrheit. Wieder geht es um einen Jahrzehnte zurückliegenden Mordfall. Wieder zeigt uns Chirovici, dass wir uns der reinen, der objektiven Wahrheit niemals gewiss sein können, wird diese doch durch unsere Erinnerungen, durch subjektive Eindrücke, im schlimmsten Fall durch den Selbstschutz unseres Gehirns verfälscht. Wo hört also Wahrheit auf, wo fängt Phantasie an? Bildet man sich als Wahrheit nur ein, was man nach Jahrzehnten als Wahrheit sehen will? Als Betroffene kennen wir demzufolge oft nur ein verfälschtes Echo der Wahrheit, wie es uns der Buchtitel verrät, wobei der Goldmann-Verlag völlig zu Recht das Wörtchen „der“ kursiv hervorgehoben hat.
Denn was ist „die“ Wahrheit? Die Antwort auf diese Frage zu finden, bittet im neuen Roman Chirovicis der an Leukämie leidende Multimillionär Joshua Fleischer den New Yorker Psychiater James Cobb. Fleischer glaubt, als Student 1976 in Paris die damals von ihm angehimmelte Französin Simone ermordet zu haben, kann sich allerdings an den genauen Hergang des fraglichen Abends in der Hotelsuite, in der er sich mit seinem Studienfreund Abraham Hale und Simone aufgehalten hatte, überhaupt nicht erinnern. Wurde er tatsächlich zum Mörder? Oder war es Abraham? Cobb soll durch Hypnose die Wahrheit herausfinden, was ihm aufgrund einer starken Bewusstseinsblockade des Patienten allerdings nicht gelingt. Die Neugier des Psychiaters ist geweckt, weshalb er auch nach Fleischers baldigem Tod am Fall dranbleibt. Er lässt in Paris Polizeiakten jener Zeit auf Mord- oder Vermisstenfälle prüfen, befragt Personen, die den drei jungen Menschen damals nahestanden, fährt sogar selbst zu Nachforschungen nach Frankreich.
Kaum glaubt der Leser, einen der drei Beteiligten in seinem Charakter erkannt und das Verhältnis der drei Protagonisten zueinander verstanden zu haben, wird schon in der nächsten Zeugenaussage alles nichtig und die Personen völlig anders charakterisiert. Chirovici entwirft in „Echo der Wahrheit“ ein verwirrendes Spiel mit Erinnerungen und Illusionen. Jeder Zeitzeuge schildert das damalige Geschehen aus eigener Sicht und auch zum Selbstschutz in einem völlig neuen Licht. Doch jeder Zeuge behauptet von sich, die Wahrheit zu kennen. Doch jedesmal ist am Ende wieder nichts so, wie es schien. „Tatsachen können manchmal wirklich wahr und falsch zugleich sein; denn in der Realität gibt es so etwas wie die Wahrheit und nichts als die Wahrheit nicht“, heißt es deshalb im Buch.
Natürlich kommt Ich-Erzähler James Cobb schließlich doch der Wahrheit auf die Spur, die, was inzwischen kaum verwundert, wiederum ganz anders ist, als wir Leser bis dahin geglaubt hatten. Doch dem Autor gelingt es lückenlos, die verschlungenen Handlungsstränge trotz mehrfachen Perspektivwechsels so sinnvoll mit einander zu verknüpfen, dass uns auch diese Wahrheit endlich trotz der überraschenden Wendung als die reine Wahrheit logisch erscheint. Chirovicis Roman ist fesselnd geschrieben, in seiner wechselvollen Handlung immer aufs Neue packend. "Das Echo der Wahrheit“ ist dennoch kein Krimi, sondern nicht zuletzt wegen seiner psychologisch-wissenschaftlichen Aspekte ein anspruchsvoller Spannungsroman.

Bewertung vom 12.08.2019
All die unbewohnten Zimmer
Ani, Friedrich

All die unbewohnten Zimmer


ausgezeichnet

REZENSION – Es ist sicherlich ein riskantes Wagnis, gleich vier Ermittler – drei davon die Protagonisten eigenständiger Kriminalreihen – gemeinsam in einem Roman auftreten und agieren zu lassen. Doch in seinem neuen Roman „All die unbewohnten Zimmer“ ist dem schon mehrfach mit dem Deutschen Krimipreis und anderen Ehrungen ausgezeichneten Bestseller-Autor Friedrich Ani (60) dieses literarische Kunststück meisterhaft gelungen. Selbstverständlich belässt der Autor jedem seiner Protagonisten den ihm eigenen Charakter, lässt sie sogar über weite Strecken parallel zu einander ermitteln. Doch schließlich führt er die verschiedenen Handlungsstränge und damit zugleich die vier Ermittler in einer staunenswerten Choreographie zu einem überraschenden Finale zusammen.
Diese Vier sind der frühere Mönch und heute heutige Kommissariatsleiter Polonius Fischer, sein inzwischen pensionierter Kollege Jakob Franck, den man aus dessen eigener Buchreihe als mitfühlenden Überbringer von Todesnachrichten kennt, der frühere Kriminalbeamte und jetzige Vermisstenfahnder Tabor Süden sowie Fariza Nasri, die aus der Provinz nach München zurückgekehrte Kriminalbeamtin mit syrischen Wurzeln. Auch wenn diese Vier anfangs noch getrennt agieren, führt sie letztlich die Aufklärungsarbeit um die Ermordung eines jungen Streifenpolizisten zusammen.
Dieser Polizistenmord auf offener Straße – oder war es Totschlag? – erregt zwangsläufig die Aufmerksamkeit bei Medien und Öffentlichkeit. Zunächst unauffällig, dann immer bedrängender baut Friedrich Ani die aktuellen Probleme und Fragen unserer Tage in die Handlung ein - die gesellschaftliche und wirtschaftliche Spaltung von Ost- und Westdeutschland, die Sensationsgier vieler Print- und sozialen Medien, die Folgen der für viele Bundesbürger übermäßig scheinenden Migrationswelle, die mögliche Überforderung von Polizei und Justiz sowie das aus all diesem resultierende Erstarken der Rechtspopulisten mit seinen bedrohlichen radikalen Ausuferungen.
„Der Kriminalroman zwingt zum Hinschauen in die Gegenwart, das Drama des in seinem Lebenszimmer gefangenen Menschen gelingt mir mit dem Krimi am besten, ohne dass es mir auf Mord und Totschlag und spektakuläre Plots ankäme. In meinen Krimis bestimmen die Langsamkeit und das Schweigen den Handlungsablauf“, hat Friedrich Ani einmal über seine Art zu schreiben gesagt. Zwar ist Mord und Totschlag der Ausgangspunkt auch dieses neuen Romans, doch ist dies für Ani nur der Auslöser für die dann einsetzende Handlung. Darin analysiert Ani – wie sein Polonius Fischer – das Unscheinbare, die tief verborgenen Hintergründe, die menschlichen Abgründe, die Täter zu ihrer Tat verleiten, manchmal sogar zu zwingen scheinen. Dabei ist Langsamkeit und beredtes Schweigen – wie wir es vor allem bei Tabor Süden erleben – ein dramatisch wirksames Mittel zur Schaffung dieser in Anis Werken oft beklemmenden Atmosphäre.
Diese ihm eigene Art zu schreiben, die gelegentlich an seinen Schriftstellerkollegen Friedrich von Schirach denken lässt, macht auch Friedrich Anis neuen Roman „All die unbewohnten Zimmer“ wieder so lesenswert. Trotz der Kriminalhandlung ist auch Anis neues Werk kein Krimi, sondern ein ausgezeichneter Gesellschaftsroman. Dabei sorgen die bis zum Schluss anhaltende Spannung und die markanten Charaktere wieder für anspruchsvolle Unterhaltung.

Bewertung vom 02.08.2019
Libertys Lächeln
Kollender, Andreas

Libertys Lächeln


sehr gut

REZENSION - Mit seiner neuen Romanbiografie „Libertys Lächeln“ über das ereignisreiche Leben des Deutsch-Amerikaners Carl Schurz (1829-1906) setzt der Hamburger Schriftsteller Andreas Kollender (54) die Reihe seiner Lebensbeschreibungen bedeutender Deutscher fort, von denen trotz bemerkenswerter Leistungen heute nur noch wenige wissen. Deshalb ist dem Autor zu danken, dass er nach dem Widerstandskämpfer und Spion Fritz Kolbe („Kolbe“, 2015) und dem Reformator der Psychiatrie, Ludwig Meyer („Von allen guten Geistern“, 2017), sein Buch „Libertys Lächeln“ jenem deutschen Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit gewidmet hat, der in seiner zweiten Lebenshälfte sogar amerikanischer Präsident hätte werden können, wenn es die US-Verfassung nicht ausgeschlossen hätte.
Nicht einmal 20 Jahre alt, schloss sich der Student Carl Schurz jenen Gruppen an, die in der deutschen Revolution von 1848 gegen König und Adel für Freiheit und die Republik kämpften. Schurz wurde als ausgezeichneter Rhetoriker und Redner schnell zum Sprecher der Revolutionäre. Nach der Niederlage emigrierte er nach London, wo er im Kreis anderer Emigranten auf seine spätere Ehefrau Margarethe Meyer traf, die jüngere Schwester des oben erwähnten Psychiaters Ludwig Meyer. Beide wanderten 1852 in die Vereinigten Staaten aus. Margarethe, ebenso selbstbewusst und freiheitsliebend wie ihr Mann, eröffnete 1856 in ihrem Wohnort Watertown (Wisconsin) den ersten Kindergarten der USA. Carl Schurz wurde auch in den USA politisch aktiv, machte unter den deutschen Einwanderern erfolgreich Wahlkampf für Abraham Lincoln, wurde zum Dank Botschafter in Spanien. Im amerikanischen Sezessionskrieg stieg er als Truppenführer deutschstämmiger Soldaten bis zum Generalmajor auf, kämpfte gegen die Sklaverei und beendete schließlich seine politische Karriere als US-Innenminister. Während dieser vier Jahre von 1877 bis 1881 setzte sich Schurz für die Rechte der Indianer, aber auch für den Schutz der Wälder ein.
In Kollenders Romanbiografie „Libertys Lächeln“ erfahren wir in kurzen Kapiteln auf 300 Seiten aus dem komplexen Leben des Deutsch-Amerikaners. Carl Schurz sitzt 1901 in New York auf der Parkbank mit Blick auf die Freiheitsstatue und lässt das Erlebte in seiner Erinnerung Revue passieren: „Ich war Revolutionär in Deutschland, ich war mit Lincoln befreundet, ich war Generalmajor im Bürgerkrieg, ich habe eine entsetzliche Reise in die Südstaaten gemacht. Ich habe Menschen zu Grabe getragen. Ich bin Vater.“ Da der 72-Jährige inzwischen an Demenz leidet, hat er zum eigenen Ärger vieles vergessen, anderes taucht unzusammenhängend und unerwartet in der Erinnerung auf.
Diese in zeitgenössischer Literatur fast schon zur Mode gewordenen, scheinbar willkürlichen Sprünge durch Zeit und Raum ermöglichen in diesem Fall dem Autor einerseits, mit wenigen Episoden trotz dieser Lückenhaftigkeit einen zumindest groben, dabei unterhaltsamen Einblick in die Komplexität des Schurzen Lebens zu geben, wo in chronologischer Ordnung sonst eine ausführliche Biografie nötig wäre. Andererseits dürften diese Sprünge und Lücken bei Lesern, die noch nie von Carl Schurz gehört haben, zu Verwirrung und Unverständnis führen und sie zu vorzeitigem Abbruch verleiten. Dies wäre allerdings bedauerlich, ist doch „Libertys Lächeln“ ein in lockerem Stil geschriebenes, inhaltlich interessantes und empfehlenswertes Buch. Deshalb ist es ratsam, vor Lektüre des Kollender-Buches sich in Grundzügen über das abenteuerliche Leben des Carl Schurz und seiner Margarethe zu informieren.

Bewertung vom 28.07.2019
Kaffee und Zigaretten
Schirach, Ferdinand von

Kaffee und Zigaretten


ausgezeichnet

REZENSION - Es gibt wohl keinen zweiten zeitgenössischen Schriftsteller, der wie Ferdinand von Schirach (55) plötzlich als neuer Stern am Literaturhimmel aufgetaucht ist und seitdem alle anderen überstrahlt. Erst als 45-Jähriger landete der frühere Promi-Anwalt vor zehn Jahren mit dem Erzählungsband „Verbrechen“ auf Anhieb einen Bestseller. Seitdem folgte Jahr für Jahr ein neuer, jeder vielfach übersetzt, manche verfilmt. Ob Erzählung, Essay, Theaterstück, Roman oder der bemerkenswerte philosophische Dialog „Die Herzlichkeit der Vernunft“ (2017) mit Alexander Kluge – jedes Buch ist anders, jedes aufs Neue überraschend wie auch sein neuestes Buch „Kaffee und Zigaretten“.
Es ist eine nur 190 Seiten umfassende Sammlung von Notizen, Beobachtungen und kurzen Erzählungen. Schirach beschreibt flüchtige Momente des Glücks, von Einsamkeit und Melancholie, er schreibt über Entwurzelung und die Sehnsucht nach Heimat, denkt über Kunst und Gesellschaft und als langjähriger Strafverteidiger über die Würde des Menschen nach. „Wir erschufen eine Ethik, die nicht den Stärkeren bevorzugt, sondern den Schwächeren schützt. Das ist es, was uns im höchsten Sinn menschlich macht: die Achtung vor unserem Nebenmenschen.“ Von dieser Überzeugung ausgehend, ist es nicht weit zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen: „Hass ist der Anfang. Es ist immer der Hass, der aus der Dummheit kommt.“
Ferdinand von Schirach will uns nicht belehren. Aber er vertritt eine klare Haltung - kurz und knapp, vor allem klug formuliert. Eigentlich ist es eher das Ungesagte, dass in seinen Texten für Nachhaltigkeit sorgt - wie in Kapitel 19: Zehn kurze Zeilen, die uns, morgens beim Frühstück gelesen, den ganzen Tag lang beschäftigen können. Schirach gibt uns Lesern nur Anstöße zum Nachdenken, ohne seine eigenen Gedanken moralisierend vor uns auszubreiten.
Nur in wenigen Passagen vertritt der in einem Jesuiten-Internat humanistisch geschulte Autor seine Meinung zu Fehlentwicklungen unserer Gesellschaft eindeutiger: „Die gebundene Ausgabe von 'Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich' von David Foster Wallace kostet 20 Euro. Das Ausmalbuch für Erwachsene mit dem Titel 'Alpen' ist sieben Euro teurer.“ Die Beobachtungen seiner Mitmenschen und seine daraus gezogenen Erfahrungen münden im Satz: „Irgendwann hat man keine Vorbilder mehr. Man weiß zu viel. Zu viel über sich selbst und zu viel über die anderen.“ Dies lässt den Autor an seine Jugend denken: „Ich träumte von der Zeit, als wir glaubten, dass uns alles gelingen würde, weil wir nur wenig wussten und weil die Wirklichkeit noch keine Macht über uns hatte.“
Geben Schirachs Texte nun Erdachtes oder selbst Erlebtes wider? Es dürfte beides und von beidem eine Mischung sein. Es sind 48 völlig unterschiedliche Texte, ohne jeden Zusammenhang untereinander, teils nur zehn Zeilen kurz, teils nur fünf Seiten lang. Aber jeder transportiert eine Botschaft, für deren Vermittlung andere Autoren Romanlänge brauchen. Eben diese Kürze seiner Geschichten, seine knappen Sätze, in denen jedes einzelne Wort sorgsam abgewogen und feinsinnig gefeilt scheint, sind es, die Schirachs Bücher so faszinierend, so einzigartig, so geistig anregend, so lesenswert machen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.07.2019
Perry Rhodan - Das größte Abenteuer
Eschbach, Andreas

Perry Rhodan - Das größte Abenteuer


sehr gut

REZENSION - Termingerecht zum 3 000. Heft der seit 58 Jahren erfolgreichen Romanreihe um den Weltraumhelden Perry Rhodan sowie zum 50. Jahrestag der ersten Mondlandung im Sommer 1969 veröffentlichte Bestseller-Autor Andreas Eschbach (59) im Februar seinen Roman „Perry Rhodan – Das größte Abenteuer“. Dass gerade Eschbach dieses 850 Seiten starke Werk verfasste, verwundert nicht, hat doch der studierte Luft- und Raumfahrttechniker selbst schon sechs eigene Romane zur Serie beigesteuert.
Wundern werden sich allenfalls jene Leser, die in Eschbachs Jubiläumswerk einen weiteren SciFi-Roman erwarten. Denn zumindest in der ersten Hälfte geht es recht irdisch zu: Der Autor schildert die Kindheit und Jugend eines normalen Knaben im provinziellen Manchester (Connecticut), dessen wechselvolle Schulzeit und spätere Pilotenkarriere bei der Air Force. Zeitlich parallel zu Rhodans Leben schildert Eschbach überaus interessant die Anfänge und weitere Entwicklung der Raumfahrt der beiden Weltmächte und deren Wettlauf zum Mond. Als Rhodan auf Empfehlung seines Onkels in die Air Force eintritt, begegnen wir den noch jungen Testpiloten und später uns namentlich bekannten Astronauten bis hin zu Neil Armstrong, dem – so haben wir bisher geglaubt – ersten Mann auf dem Mond.
Doch dass es diese Mondlandung von 1969 niemals gab, wie Verschwörungstheoretiker schon immer vermuteten, bestätigt uns der Roman: Denn nicht Armstrong, sondern Perry Rhodan war natürlich der erste Mann auf dem Mond! Schon die Apollo 8-Mission, deren drei Astronauten erstmals den Mond umkreisen sollten, scheiterte auf dessen Rückseite, die Astronauten blieben verschollen. Fortan stoppte die NASA ihr Programm. Doch bereits ein jahr zuvor war zusätzlich zur NASA auf Erlass von Präsident Richard Nixon die höchst geheime US Space Force in Groom Lake (Nevada) gegründet worden, deren Stützpunkt wir als geheimnisvolle Area 51 kennen, sowie die California Academy of Spaceflight für Forschung, Entwicklung und Ausbildung in Santa Maria (Kalifornien). Erster Pilot und Ausbilder wurde natürlich Perry Rhodan, der schon bei der Air Force durch seine Flugkunst und Reaktionsschnelligkeit aufgefallen war. Hier wird auch das atombetriebene Raumschiff „Stardust“ gebaut, mit dessen Hilfe Rhodan schließlich 1971 als erster Mensch auf dem Mond landet – so wie es in Heft 1 der Serie (1961) geschrieben steht.
Bei Lektüre des Romans ist es faszinierend zu beobachten, wie es Andreas Eschbach gelingt, auf den ersten 300 Seiten die reale Zeitgeschichte der USA in ihrem historischen Fortgang zu beschreiben, auf den nächsten 300 Seiten aus dieser gesellschaftlichen und politischen Entwicklung heraus die Figur Perry Rhodans zu entwickeln, dann fast unmerklich aus der Realität in die Fiktion hinüberzugleiten, um schließlich im letzten Drittel – ähnlich einem Kopplungsmanöver zweier Raumschiffe – mit reiner Science Fiction störungsfrei an die Erstausgaben der Heftreihe anzukoppeln.
Eschbachs Mammutwerk „Perry Rhodan – Das größte Abenteuer“ ist ein lesenswertes Buch für Freunde spannender Unterhaltungsromane, aber auch für Leser mit Interesse an der Raumfahrtgeschichte und natürlich Pflichtlektüre für alle Perry-Rhodan-Fans. Wer sich bislang nicht für SciFi-Romane interessierte, könnte nach Eschbachs Roman auf den Geschmack kommen.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.07.2019
Rheinblick
Glaser, Brigitte

Rheinblick


sehr gut

Nach dem Erfolg ihres Bestsellers „Bühlerhöhe“ (2016) über die Gründerjahre der westdeutschen Bundesrepublik um 1952 unter CDU-Kanzler Konrad Adenauer war eine Fortsetzung fast zwingend. Im Februar veröffentlichte nun Brigitte Glaser (64) ihren Roman „Rheinblick“ über die Situation 20 Jahre später, einen für heutige Leser historisch und politisch fast noch interessanteren Zeitabschnitt mit den Auswirkungen der 1968er Revolte der jugendlichen Nachkriegsgeneration und dem politischen Wandel unter SPD-Kanzler Willy Brandt.
„Bonn ist in den Tagen nach der Wahl ein brodelndes Durcheinander, es geht um Positionen und Posten, um Versprochenes und Verrat“, führt der Klappentext in die wieder recht spannende Handlung ein, die bei vielen älteren Lesern lebhafte Erinnerungen an eigene Jugendjahre wach werden lässt, den jüngeren ein lebendiges Bild der gesellschaftspolitischen Situation um das Jahr 1972 gibt. Willy Brandt, seit 1969 Bundeskanzler einer Koalitionsregierung mit der FDP, hatte gerade die Wahl gewonnen. Glaser beschreibt anschaulich und nachvollziehbar die Stimmung in Bonn – mit Gültigkeit für die gesamte Republik – sowohl in der Bevölkerung als auch auf politischer Ebene. Wir lernen Hilde Kessel kennen, die Wirtin des beliebten Lokals „Rheinblick“, in dem sich Minister und Abgeordnete aller Parteien, Mitarbeiter der Ministerien ebenso wie der „Mann von der Straße“ zum Mittagstisch oder zum abendlichen Umtrunk treffen. Neutralität ist für die Wirtin oberstes Gebot, doch kann auch sie am Ende nicht verhindern, in den Sog politischer Intrigen gezogen zu werden. Und wir lernen die junge Logopädin Sonja Engel kennen, die in der Behandlung des erkrankten Kanzlers eine Chance für ihre berufliche Karriere sieht. Brandt hatte sich während des erschöpfenden Wahlkampfs verausgabt um in der Wahlnacht seine Stimme verloren. Nun war er zur Behandlung in der Klinik auf dem Venusberg. Auch Sonja gerät aufgrund ihrer unmittelbaren Nähe zum Kanzler in den Strudel aus Machthunger und Verrat, während die SPD-Größen Horst Ehmke, Helmut Schmidt und Herbert Wehner im einsetzenden Koalitionspoker die Strippen ziehen. „Ich musste noch lernen, dass es auch in den eigenen Reihen Leute gibt, die …. Erfolg übelnehmen und kaum verzeihen“, zitiert Glaser zur Einführung einen Satz aus Willy Brandts „Erinnerungen“.
Wir erleben durch Glasers gut recherchierten und präzise erzählten Roman einerseits den spannenden Machtkampf im Bonner Regierungsviertel mit Intrigen, Verrat und Stimmenkauf. Auch der Name des später enttarnten DDR-Spions Guillaume erscheint in einem Nebensatz wie zufällig. Andererseits vermittelt uns die Autorin anhand ihrer so unterschiedlichen Protagonisten sehr plastisch den gesellschaftlichen Umbruch, die Spannung zwischen konservativen Elternhäusern und ihren in Wohngemeinschaften persönliche und sexuelle Freiheit suchenden Studenten-Kindern, verbunden mit der Gefahr des Abgleitens nicht weniger Jugendlicher in Drogenkonsum und Kriminalität.
„Rheinblick“ von Brigitte Glaser ist dank seiner vielschichtigen Handlung und der gut charakterisierten Figuren ein spannender Unterhaltungsroman, dem die erfahrene Handschrift der Krimi-Autorin anzumerken ist. Zugleich ist es aber auch ein sehr interessanter, für jüngere Leser sogar informativer politischer Roman, der sich zu lesen lohnt.

Bewertung vom 28.06.2019
Nicht Anfang und nicht Ende
Martini, Plinio

Nicht Anfang und nicht Ende


ausgezeichnet

REZENSION - Ein sprachlich und atmosphärisch wunderbares und beeindruckendes Buch ist der 1970 erstveröffentlichte Roman „Nicht Anfang und nicht Ende“ des Schweizer Schriftstellers Plinio Martini (1923-1979), der zuletzt 2016 in deutschsprachiger Neuausgabe im Limmat-Verlag (Zürich) erschien. In seinem 240-seitigen „Klassiker der Schweizer Literatur“, einer berührenden Liebes- und Auswanderergeschichte, erzählt uns Martini, der selbst im kleinen Dorf Cavergno im Maggiatal als Sohn eines Bäckers mit sieben Brüdern in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen ist und später dort und im Nachbarort Cevio als Volksschullehrer tätig war, vom kargen und harten Leben der alpinen Dorfbewohner in den Jahren zwischen den Weltkriegen.
Während heute die Schweiz im Ruf steht, ein Steuerparadies, das Land der Reichen und ein teures Urlaubsziel zu sein, schildert Martini in seiner melancholischen Liebeserklärung an die Heimat eine trostlose Region voller Armut, in dem die Bewohner mangels anderer Nahrung von Kastanien und Polenta, die Ärmsten oft sogar nur von Wassersuppe leben mussten. „Wir waren eine Insel außerhalb der Zeit, die letzte Hand voll Mehl auf dem Grunde des Sackes", lässt der Autor seinen Ich-Erzähler Gori sagen. "Schon damals begannen die Sommergäste ins Val Bavona und bis auf die Alpweiden vorzudringen, um uns zu besichtigen, als ob wir Rothäute wären.“ Damals träumten die jungen Männer des Maggiatals nur noch von der Auswanderung ins gelobte Land Amerika und einer späteren Rückkehr mit vielen Dollars in den Taschen.
Der Autor lässt uns Gori aus Cavergno seine Lebensgeschichte im Rückblick erzählen. Er war - wie viele junge Männer des Maggiatals schon vor ihm - tatsächlich 1929 nach Kalifornien ausgewandert, da er in der Heimat nur Hunger und Armut kannte und keine Aussicht auf Arbeit hatte. Nach einem langweiligen Leben als einsamer Cowboy auf einer Farm weitab jeglicher Zivilisation, kehrte er erst 20 Jahre später, krank vor Heimweh, in sein geliebtes Maggiatal zurück, in dem er einst seine einzige große Liebe Maddalena zurückgelassen hatte. Bei seiner Rückkehr findet er sein Maggiatal nicht mehr so vor, wie er es einst kannte. Maddalena ist schon vor Jahren gestorben, seine alte Mutter ist behindert und der Vater gebrechlich. Das ganze Maggiatal hat sich verändert. Die in der Fremde ersehnte Heimat ist selbst fremd geworden. Am liebsten würde er wieder in die USA zurückkehren. „Mein Friede besteht in dem Wissen, dass ich, wo ich auch sein mag, immer an das denken werde, was ich verloren habe.“
Dieser Roman, der mich in seiner Poesie und Liebe zum Maggiatal, seiner Ausdruckskraft, der Naturverbundenheit und auch gelegentlichen Härte stellenweise an den grandiosen Roman „Der Schnee, das Feuer, die Schuld und der Tod“ (2016) des Österreichers Gerhard Jäger (1966-2018) erinnerte, wirkt so ungemein authentisch, als wäre es Plinio Martinis Autobiographie. Tatsächlich ist es etwas Ähnliches. Zwar sind alle Figuren fiktiv – mit Ausnahme des katholischen Pfarrer Don Giuseppe, der seine Dorfgemeinde fest im Griff hat. Doch die Handlung basiert auf realen Erlebnissen und tatsächlichen Begebenheiten. Schließlich hatte der Autor als Einwohner des kleinen Dorfes Cavergno selbst unter ärmlichen Verhältnissen leben müssen und war als dessen späterer Dorfschullehrer über viele Jahre ein Teil des dortigen Geschehens.
„Nicht Anfang und nicht Ende“ ist die ergreifende Geschichte von sehnsüchtigem Fernweh und krankhaftem Heimweh. „Häuschen, die sich mit offenen Türen eng zusammendrängten, um einander Gesellschaft zu leisten; zu einer Tür hinaus, zur nächsten hinein, und überall bist du zu Hause, unter Leuten deiner Art, die dich kennen und gern haben", heißt es in Martinis Roman über das Leben im Maggiatal. Erscheint diese Enge zwar bedrückend, bleibt sie doch vertraute Heimat und sichert Geborgenheit, während sich die Auswanderer in den Weiten Kaliforniens verlieren.

Bewertung vom 23.06.2019
Der Preis der Freiheit
Gilman, David

Der Preis der Freiheit


sehr gut

REZENSION – In seiner komplexen Handlung spannend und zugleich historisch interessant ist der Roman „Der Preis der Freiheit“ von David Gilman. In Deutschland kennt man den britischen Schriftsteller durch seinen fünfbändigen, im 14. Jahrhundert angesiedelten Zyklus „Legenden des Krieges“. Auch in seinem neuen, schon 2016 in Großbritannien veröffentlichten Roman, der erst jetzt in deutscher Übersetzung bei Rowohlt als 450-seitiges Taschenbuch erschien, beschreibt Gilman einen Krieg, allerdings einen neuzeitlichen - den zweiten Burenkrieg von 1899 bis 1902. Damals kämpften englische Truppen an der Südspitze Afrikas gegen die beiden Buren-Republiken Oranje und Transvaal, um ihre eigenen Provinzen (Kapprovinz und Natal) und vor allem die Bodenschätze Südafrikas (Gold und Diamanten) sich zu sichern.
Dieser zweite Burenkrieg mag für David Gilmans britische Leser von größerer Bedeutung sein als für deutsche, da dieser Krieg kein Teil deutscher Geschichte ist. Dennoch ist lesenswert, wie konkreten Folgen gerade dieser Burenkrieg als erster „moderner“ Krieg auf die strategische Kriegsführung nachfolgender Kriege hatte. Dieser Aspekt macht den hervorragend recherchierten und die damaligen gesellschaftlichen und politischen Spannungen zwischen England und Irland sowie die Kriegssituation in Südafrika um 1900 bis in alle Einzelheiten erzählenden Roman auch für deutsche Leser interessant. Allerdings ist zu empfehlen, vorher die nachgefügten 15-seitigen Erläuterungen zu den geschichtlichen Hintergründen und zur damaligen Situation in Südafrika zu lesen.
Vor diesem geschichtlichen Hintergrund erzählt Gilman eine spannende Geschichte über die Männerfreundschaft zwischen dem aus England stammenden amerikanischen Bürgerkriegsveteran Joseph Radcliffe und seinem schwarzen Kampfgefährten Benjamin Pierce, der, einst aus der Südstaaten-Sklaverei befreit und im US-Bürgerkrieg bewährt, nun mit Radcliffe im irischen Dublin lebt. Beide kümmern sich um dessen heranwachsenden Sohn Edward, dessen Mutter angeblich vor Jahren gestorben ist.
In Irland schwelt um 1900 die Rebellion und Radcliffe verteidigt als liberaler Anwalt einige irische Freiheitskämpfer. Doch alles ändert sich, als sich sein von ihm streng umsorgter Sohn Edward nach einem Streit nach Südafrika einschifft, um sich vor seinem Vater im Burenkrieg als Mann beweisen zu können. Radcliffe und Pierce, die altgedienten US-Kavalleristen, folgen ihm, um ihn nach Hause zu holen. Völlig schutzlos bewegen sich die beiden Veteranen in Südafrika zwischen den Fronten und lernen eine neue Form der Kriegstaktik kennen.
Hier liegt die Stärke des Romans: David Gilman versteht es, einzelne Kämpfe und Gefechte in der südafrikanischen Steppe so authentisch und lebendig zu beschreiben, dass man als Leser mittendrin zu sein glaubt, wobei im Roman nicht das mörderische Blutvergießen, sondern die neuartige Taktik und die innere Einstellung der so unterschiedlichen Truppenteile zu diesem Krieg stehen, in dem neben den Engländern auch königliche Iren gegen republikanische Iren kämpften. Während die Briten noch nach alter Tradition in geschlossener Formation kämpften und auf die Kraft ihrer Kavallerie vertrauten, verwickelten die Buren und ihre Freischärler, formiert in kleinen Kommandos, sie in einen bisher unbekannten Guerillakrieg.
In seinen realistischen Schilderungen zeigt uns David Gilman nicht nur die Schrecken des Krieges, sondern auch dessen Unsinnigkeit, an dessen Ende alle Beteiligten Opfer bringen müssen - egal auf welcher Seite sie gekämpft, ob sie den Krieg gewonnen oder verloren haben. Jeder hat am Ende einen Preis für seine Freiheit zahlen müssen. „Der Preis der Freiheit“ ist eine gelungene Kombination aus spannend erzähltem Gesellschafts- und gut recherchiertem Kriegsroman.

Bewertung vom 20.06.2019
Sommer bei Gesomina
Beckerhoff, Florian

Sommer bei Gesomina


sehr gut

REZENSION - „Florian Beckerhoff ist ein wunderbar leiser, besinnlicher und poetischer Roman gelungen, der sich trotz seines philosophischen Tiefgangs leicht lesen lässt.“ Dies schrieb ich schon 2017 über den vorigen Roman „Herrn Haiduks Laden der Wünsche“ des in Berlin lebenden 43-jährigen Schriftstellers. Dasselbe gilt auch für sein kürzlich wieder bei Harper Collins veröffentlichtes Buch „Sommer bei Gesomina“. Wie damals lässt sich auch bei Beckerhoffs neuem Roman die Kernaussage in einem Satz zusammenfassen: Das wahre Glück im Leben findet man nur in den kleinen Dingen und Begebenheiten des Alltäglichen.
Denn wieder spielt sich alles in nur einer Straße eines Berliner Altstadtviertels ab, dessen kleinbürgerlichen Bewohner abseits des großstädtischen Trubels in ihrem von der Welt anscheinend vergessenen Mikrokosmos ihr klägliches Dasein fristen – bis plötzlich der zwölfjährige Jona auftaucht, um seine Sommerferien bei Gesomina Massati zu verleben, die ihn einst jahrelang als Kleinkind betreut hatte. Jona, der Sohn aus großbürgerlichem Elternhaus – der Vater ist als Unternehmensberater weltweit im Einsatz, die Mutter strebt als Autorin nach Anerkennung – hatte sich enttäuscht geweigert, in den Sommerferien seine Mutter „als lästiges Anhängsel“ nach Hollywood zu begleiten, nachdem nun keine Zeit für den eigentlich geplanten Ferienclub-Urlaub war. Stattdessen vertraut die Mutter den Zwölfjährigen seiner früheren Kinderfrau Gesomina an, der kleinen resoluten Frau aus Mogadischu, die seit 40 Jahren allein in einem Altberliner Hinterhof in der Dachgeschosswohnung eines heruntergekommenen Mietshauses lebt.
Fast scheint es, als lebe auch Florian Beckerhoff inmitten dieses Berliner Kiezviertels und habe sich von seinen Mitbewohnern inspirieren lassen, so authentisch, humorvoll und zugleich liebevoll beschreibt er seine so unterschiedlichen Charaktere, die man als Leser einfach mögen muss: Da gibt es den Grafiker Milan als Betreiber einer meistens geschlossenen Bar, die einsame Weinhändlerin, den Übersetzer, der sich dem Vermieter gegenüber als Maler ausgibt, den türkischstämmigen Friseur Ergün oder den vietnamesischen Supermarkt-Inhaber Dong und Tom Spencer, den Stiefelverkäufer aus Tasmanien. Alle versuchen sich in dieser Straße irgendwie über Wasser zu halten, fühlen sich von der Welt unverstanden, leben einsam vor sich hin, haben kaum Kontakt untereinander.
Erst der zwölfjährige Jona bringt durch seine kindliche Unbeschwertheit und Lebensneugier neue Bewegung in aller Dasein. Er entdeckt hier, fern seiner häuslichen Einsamkeit, das wahre Leben, lernt hier die unterschiedlichsten Menschen und ihre Schicksale kennen. Seine Neugier und sein Mitgefühl führen die Bewohner der Straße zusammen und erwecken ihre Lebensgeister aufs Neue. Der Übersetzer versucht sich jetzt tatsächlich als Maler, der Bar-Betreiber öffnet ganztägig und baut die Bar zum Bistro um, Tom Spencer kümmert sich nach vielen Jahren um seine alte Mutter im fernen Tasmanien, die Weinhändlerin versucht sich ohne jede Ahnung von Büchern als Betreiberin eines Antiquariats. „Es geht darum, es zu tun“, hatte auch Tom Spencer durch Jonas frische Aktivität erkannt: „Angebote machen, Möglichkeiten schaffen.“ Denn es war Jona, der sich voller Eifer auf die Suche nach Gesominas vor 50 Jahren verlorenen Sohn macht und sich auch durch Rückschläge von seinem Ziel nicht abbringen lässt.
„Sommer bei Gesomina“ ist tatsächlich wie sein Vorgänger „Herrn Haiduks Laden der Wünsche“ wieder ein wunderbar leiser, besinnlicher und poetischer Roman. Die verschiedenen Figuren mögen fiktiv sein, sie könnten aber ebenso wirklich im Berliner Kiez gleich um die Ecke leben. Es sind die kleinen Helden des Alltags, die ihr teilweise beschwerliches Schicksal zu meistern versuchen. „Sommer bei Gesomina“ ist einerseits ein „Wohlfühlroman“ und liest sich wie ein modernes Großstadtmärchen, ist andererseits aber ein „Mutmacher“, vielleicht selbst noch einmal durchzustarten.