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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 31.03.2008
Das siebte Kreuz, Jubiläumsausgabe
Seghers, Anna

Das siebte Kreuz, Jubiläumsausgabe


ausgezeichnet

Politisch engagierte Literatur hat es zu Zeiten des Mainstream nicht einfach. Außer sie wird historisch betrachtet und katalogisiert. Anna Seghers Roman hat sich den weiten Weg über Amerika und Mexiko zurück in den deutschsprachigen Roman erkämpfen müssen, um dort erst einmal hinter der Mauer zu landen. Der Makel, dass seine Autorin Kommunistin sei, haftete lange an ihm. Mit der Flucht von sieben Häftlingen aus einem Konzentrationslager hat die Autorin nicht nur eine spannende Geschichte geschrieben, die sich als Pamphlet wider die Geschehnisse liest, als Fanal, dass solches in Deutschland nie wieder geschehen darf, vor allem jedoch verlieh sie nackten Fakten ein menschliches Gesicht. Mag der Stil teils spröde wirken und nicht darauf ausgelegt sein, es einem leicht zu machen, versprüht er doch jene fesselnde Wirkung, deren Sog den Leser hoffen und bangen läßt, dass die Flüchtlinge durchkommen, ein Zeichen setzen, dass sie dem Terror entfliehen. Anna Seghers nimmt uns mit ins Boot, rudern müssen wir selber. Aufgeben gilt nicht. Sieben Bäume werden gekappt, um Kreuze aufzustellen. Und es ist nicht zum ersten Mal, dass Kreuzigungen der Abschreckung dienen, den Genickbruch des Widerstands erreichen sollen. Sechs der Entflohenen überleben diese Flucht nicht. Das siebte leere Kreuz wird zum Symbol, dass sich Widerstand nicht nur lohnt, sondern dass er vor allem eines braucht, die Hilfe und Solidarität anderer. Dies mag bei jenen, die dem sozialistischen Gedanken nicht zugeneigt sind, Ablehnung hervorrufen. Vor allem wegen ihrer politischen Heimat ist die Autorin oft angefeindet worden. Doch eine Geschichte bewährt sich nur dann, wenn sie auch ohne die Biographie einer Autorin, eines Autors auskommt. Nur dann erfüllt sie sich mit Leben. Georg Heislers verzweifelte Flucht vermag das. Doch wäre sie ohne Anna Seghers Widerstand kaum vorstellbar.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 31.03.2008
Der Schatten des Chamäleons
Walters, Minette

Der Schatten des Chamäleons


weniger gut

Minette Walters Romane sind nicht selten wie in ihrem Vorgänger Des Teufels Werk minutiöse Achterbahnfahrten in die menschliche Psyche, Reisen durch verschüttete Ängste, die von außen bedroht werden und aus den Fugen geraten. Wenn Minette Walters sich bei ihrer Arbeit allzu sehr auf die Aufklärung über den Dialog, wie in ihrem Roman Der Schatten des Chamäleons verläßt, wird die Handlung leicht statisch, und man kann nur hoffen, dass ihre Charaktere so schillernd sind, dass sie der Geschichte über diese Klippe hinweghelfen. In ihrem neuen Roman ist das leider nur auf den ersten achtzig Seiten der Fall. Danach wird nur noch mehr geredet und behauptet, um die Hintergründe auszulichten. Lieutenant Chase Acland hat schwer verletzt überlebt. Glaubt man den Beschreibungen, sieht er auf einer Seite wie ein Monster. Viel schlimmer erscheinen die inneren Verletzungen, die er sich zugezogen hat und die dazu führen, dass er gewalttätig wird, wenn man in körperlich berührt oder seelisch bedrängt. Er fällt in die Hände von Psychiatern, leidet unter einer besitzergreifenden Mutter, unter einer Ex-Freundin, die nicht von ihm lassen will, weil sie es gewohnt ist, ihn auszunehmen, und trifft auf Helfer wie Jackson, die muskelgestählt in ihrer burschikosen Art, belebend wirken sollen, doch wie manch andere Nebenfigur überzeichnet sind. Über allem schwebt der Verdacht des mehrfachen Mordes, soll das Spiel: wer sagt die Wahrheit, Spannung erzeugen. Minette Walters Augenmerk fällt auf die Verarbeitung von Verletzungen jeglicher Art, seien sie im Krieg entstanden oder jahrelang durch fehlgeleitete Liebe angezüchtet worden. Das ist leider zäh und vorhersehbar. Ein Kriminalroman wird kaum daraus. Es fehlen einfach die mitreißenden Persönlichkeiten, die einem statischen Geschehen, das auf die Vergangenheit setzt in der Gegenwart soviel Leben einhauchen, dass man ihnen überall hin folgt. Chamäleons sucht man jedenfalls vergeblich darin.
Polar aus Aachen

4 von 8 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.03.2008
Besessen
Byatt, A. S.

Besessen


sehr gut

Ein Briefroman, der Besessen über weite Strecken ist, ist nicht jedermanns Sache, wenn dann die Geschichte auch noch in zwei verschiedenen Jahrhunderten spielt, mag der ein oder andere vor dem Kauf zurückschrecken. In Antonia S. Byatts Fall würde er jedoch eine einfühlsame Geschichte verpassen, die etwas von einer Schnitzeljagd nach einem letzten Brief gleichkommt. Ist er überhaupt geschrieben worden? Wenn ja, wo befindet er sich? Im Sterbezimmer von Christabel LaMotte findet sich ein ganzes Bündel Liebesbriefe, die die beinah archäologische Sucht des Widerauffindens in dem Paar Michel und Bailey entfacht, sie zu immer neuen Spekulationen hinreißt und gleichzeitig wird das Bild eines Jahrhunderts in all seinen Schattenseiten und grellem Leuchten gezeigt, das weitgehend als beschaulich in unser Gedächtnis eingegangen ist. Antonia S. Byatt unterzieht sich dieser Aufgabe, mit einer brillanten Sprache und wurde nicht umsonst mit dem Booker Prize dafür ausgezeichnet. Allerdings ist es ein Buch für Leser, die gerne zeitversetzt reisen und denen die Liebe R.H. Ash, seinerseits Literat und LaMotte, Dichterin, wichtig genug erscheint, um ein solches Buch zu Ende zu lesen.
Polar aus Aachen

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.03.2008
Tiefe
Mankell, Henning

Tiefe


sehr gut

Mit selten zuvor bei ihm gelesener Ironie beschreibt Mankell in seinem Roman eine Liebe auf den ersten Blick. Da ist der Vermesser zur See, der es gewohnt ist, jede Menge Entfernung zwischen sich und seine Mitmenschen zu legen, der sich in der unendlichen Weite wohl fühlt, auch wenn mancher Auftrag nicht nach seinem Geschmack ist, aber er funktioniert. Und das hört schlagartig mit dem Tag auf, als Tobiasson-Svartman auf Sara Frederika trifft. Es dauert eine Weile, bis er sich das alles eingesteht, er spürt nur, dass er nicht mehr so einfach loskommt. Und obwohl eine solche Geschichte in allen Varianten bereits erzählt zu sein scheint, gelingt es Mankell sie mit so viel melancholischer Einsamkeit und Hoffnung auf Erlösung durch einen liebenden Menschen zu füllen, dass man dem Roman gerne bis ans Ende folgt. Zumal Tobiasson-Svartman mit Fortschreiten der Geschichte immer mehr von seiner dunklen Seite entblättert, die einzig und allein darin besteht, das Glück nur für sich selbst zu beanspruchen. Durch allem weht ein Wind, der einen Winter ankündigt, dessen Eis im Frühjahr nie ganz geschmolzen ist. Es mag zu Wasser werden, aber es bedarf nur fallender Temperaturen, um die Kälte zurückzubringen.
Polar aus Aachen

2 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.03.2008
Die Marie vom Hafen
Simenon, Georges

Die Marie vom Hafen


ausgezeichnet

Kommt heutzutage ein Autor mit wenig aus, gleicht seine Geschichte einem Kabinettstück wird er mit Georges Simenon verglichen. Auch dessen Geschichten benötigten gerade mal eine Ladentheke, eine Straße, ein Hotelzimmer, um in ihr all das zu spiegeln, was die Menschen ausmacht. Es waren kleine Katastrophen, die sich einem da offenbarten, für diejenigen, die darin verstrickt waren, jedoch zumeist das Ende von allem, was sie zuvor ausgemacht hatte. Es nicht der große Bogen, die Zeichnungen einer unverwechselbaren Zeit, Simenon behält auch in diesem Roman seinen Blick strickt auf Marie, auf Marcel, auf Chatelard und alle anderen gerichtet und bezieht die geheimnisvolle Anziehung Maries aus wenigen Details und hervorragenden Dialogen, die Raum lassen, sich der Atmosphäre stellen. Das Meer ist allgegenwärtig. Seine Weite läßt den Menschen an Land schrumpfen und trotzdem fühlt er sich so groß, zu lieben, zu vernichten, Besitz zu ergreifen, sich selbst zu verlieren. Simenon hat viele große Frauenfiguren erschaffen. Marie vom Hafen ist eine davon.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 28.03.2008
Der Name der Rose
Eco, Umberto

Der Name der Rose


ausgezeichnet

Finstere Zeiten. Die heilige Inquisition treibt ihr Unwesen, scheidet Gut und Böse nach Gutdünken. Fünf Mönche werden im Verlauf der Geschichte ermordet. Einige von ihnen hätten sicher überlebt, wäre da nicht William von Baskerville mit seinem Hang aufgetreten, unbedingt die Wahrheit erfahren zu müssen. Dass sich Eco dabei an Arthur Conan Doyle anlehnt, sein Ermittlerpaar deutliche Züge des weltberühmten Sherlock Homes in sich tragen, der Plot wie ein Aufguss biederer britischer Tee-Kriminalistik erscheint, verzeihen wir Eco sogleich, da der Roman reich mit der dichten Atmosphäre eines entschwundenen Jahrhunderts geschmückt ist. Die spürbare Enge hinter dicken Klostermauern und dem Sendungsbewußtsein Baskervilles, der Aufklärung zu ihrem Recht zu verhelfen, sie gegen die menschenverachtende Inquisition ins Feld zu führen, treibt uns um. Das Mittelalter fasziniert umso mehr, weil in ihm die hellen Mächte sich deutlich gegen die dunken abzugrenzen wissen. Es ist die Mischung aus grob gestricktem Kriminalfall und tiefer reichender Auseinandersetzung mit christlichen Fragen, Kultur, Fehltritten, der Häresie, die einen faszinieren. Das Wissen, das in ihm versteckt ist, fällt nicht auf. Wir nehmen es am Rande mit. Das ist eine besondere Kunst. Eco beherrscht sie. Sein Roman findet vor allem wegen seiner Leichtigkeit Anklang. Der blinde Ex-Bibliothekar Jorge von Burgos hütet den kirchlichen Gral. Und nur zu gerne unterstellen wir der Kirche, dass sie in ihren Verliesen alles Mögliche versteckt, um ihrer Position in dieser Welt das Wasser nicht abzugraben. Dass auch ihre Geheimnisse nicht für die Ewigkeit gemacht sind, macht den besonderen Reiz an Ecos Roman aus.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.03.2008
Nippon Connection
Crichton, Michael

Nippon Connection


sehr gut

Japan ist anders. Eine Binsenweisheit. Nicht nur die Sprache ist nur zu erlernen, wenn man im Land lebt, auch die Sitten und Bräuche lassen sich nur verstehen, je tiefer man in die japanische Kultur eindringt. Um sich in ihr zurechtzufinden, muss man gleichermaßen, japanisch denken. Die westliche Seite soll aus deren Sicht gleichfalls wie die dunkle Seite des Mondes ausschauen. Somit führt Crichton von Anfang an Krieger gegeneinander auf ein Feld, das sie mit Befremden als ihr eigenes ansehen und zu verteidigen trachten. Geschäfte zu machen, ist inzwischen global zu betrachten. Als Crichton seinen Wirtschaftsthriller über eine Tote, eine verschwundene Videobandaufzeichnung und Machtkämpfen in Vorstandsetagen schrieb, erschien die japanische Bedrohung für den amerikanischen Markt besonders relevant. Die Japaner verkauften mehr Autos, kauften sich in Hollywood ein, schienen über ein schier unaufhaltsames Wirtschaftswachstum zu verfügen. Das hat sich inzwischen geändert. Nicht jedoch das Unverständnis, mit dem sich diese beiden Welten begegnen. Crichton zeichnet dies mit Hilfe eine Whodunit spannend nach, in dem wir den Spuren seiner Ermittler folgen und entdecken, dass der Krieg der Kulturen sich im Thriller nicht selten in Morden äußert. Vor allem wenn es gilt, dunkle Machenschaften zu vertuschen.
Polar aus Aachen

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.03.2008
Amsterdam
McEwan, Ian

Amsterdam


ausgezeichnet

Als Leser von Ian McEwan entdeckt man in diesem Roman eine neue Seite des Autors. Er ist komisch. Faszinierte er in seinen Romanen zuvor vor allem durch einen scharfen Blick, seine rücksichtslosen Schlussfolgerungen, die seine Helden in die Niederlage trieben, sieht man ihn in Amsterdam einem oft zuzwinkern. So geht es da draußen in der Welt zu, scheint er zu sagen: Männer teilen sich Frauen, die Politik ist ein dreckiges Geschäft und die Presse ist gierig auf Fotos von Männern in Frauenkleidern, um die Auflage zu steigern. Doch selbst hinter der lächerlichen Bloßstellung von Komponisten, angehenden Premierministern, verwitweten Verlegern blitzt McEwans Kunst auf Menschen dabei zu zeigen, wie sie sich zerstören. Unbeschwert vermischt er gleichzeitig Themen wie Sterbehilfe, Vergewaltigung, Serienmord, die Gesetze politischer Intrigen, ohne Gefahr zu laufen, dabei abzustürzen. In einem fulminanten Crescendo steigert er das alles zu einem rituellen Selbstmord zweier Männer in einem Hotel. Lügen, Verrat, Verlust und am Ende ist man erleichtert, dass man diese Welt verlassen darf. Nachdem der Bogen gespannt ist, kommt McEwan wieder bei sich selbst an.
Polar aus Aachen

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.