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solveig

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Insgesamt 472 Bewertungen
Bewertung vom 05.10.2017
Schloss aus Glas
Walls, Jeannette

Schloss aus Glas


sehr gut

Schloss aus Glas

Er schenkt seinen Kindern Sterne vom Himmel und verspricht ihnen, einen großen Palast für sie zu bauen: für die kleine Jeannette ist ihr Vater ein Held. Zwar sind Armut und Hunger ihre täglichen Begleiter; Rex´ Alkoholkrankheit, seine Unfähigkeit eine Arbeit länger durchzuhalten und nicht zuletzt ein Berg von Schulden verursachen häufige Umzüge bis hin zu Obdachlosigkeit - doch die Eltern Rose Mary und Rex Walls sehen ihr „Abenteuer“-Leben durch eine rosarote Brille und beschönigen alle auftretenden Probleme. So lange sie klein sind, empfinden Lori, Jeannette, Brian und Maureen den widersprüchlichen Zustand zwischen elterlicher Liebe und Vernachlässigung als normal und vertrauen auf die Eltern. Doch je älter sie werden, desto mehr Gedanken machen sie sich, wie sie zumindest ihr eigenes Schicksal zum besseren wenden können. Sie erkennen: der Plan des Vaters, ihnen ein „Schloss aus Glas“ zu bauen, wird immer nur ein Traum bleiben, er wird niemals in der Lage sein, ihn umzusetzen.
Ehrlich und unverbrämt schildert die Autobiografie (Erstveröffentlichung 2006) der inzwischen 57jährigen Jeannette Walls ihre durchaus nicht alltägliche Kindheit, mit Beginn der 60er Jahre. In schlichten Sätzen, aber sehr bildreich erzählt sie, wie sich die grenzenlose Bewunderung des kleinen Mädchens für ihren Vater, der über ein großes Wissen und viel Phantasie verfügt, in Skepsis verwandelt. Es ist eindrucksvoll, wie sie - trotz aller Enttäuschungen - ihr Ziel, sich zu lösen und ein sicheres, beständiges Leben zu führen, beharrlich verfolgt. Der Zusammenhalt der Geschwister, die sich gegenseitig unterstützen und in ihren Zielen bestärken, ist ein starker Motor. Ganz wunderbar gelingt es der Autorin, die unterschiedlichen Stimmungen einzufangen und ihren Protagonisten Leben einzuhauchen.
Die schmerzlichen Erinnerungen, die Jeannette Walls in diesem Roman aufarbeitet, hinterlassen beim Leser sicher besonderen Eindruck, erscheinen jedoch nie lamentierend. Man spürt stets einen optimistischen Grundton und den Willen der Kinder, das Beste aus ihrer Situation zu machen - auch wenn das „Schloss aus Glas“, das der Vater ihnen verspricht, nur ein Luftschloss bleibt.
Eine wirklich lesenswerte Neuausgabe des Romans zu dem soeben angelaufenen gleichnamigen Film!

Bewertung vom 27.09.2017
Simply Quick
Kutos, Julian

Simply Quick


ausgezeichnet

Schnell und lecker


Mit diesem Buch aus seiner erfolgreichen Kochbuchreihe „Simply…“ trifft Julian Kutos sicher den Nerv vieler Leser: wer wünscht sich nicht, eine Mahlzeit auf den Tisch zu bringen, die schnell, einfach und trotzdem lecker ist? Ohne allzuviel Zeitaufwand lassen sich seine Rezepte auch für den Hobbykoch umsetzen - vorausgesetzt, alle Zutaten sind im Haushalt vorhanden.
Wer bereits Bücher des jungen österreichischen Kochs in der Hand gehalten hat, weiß, welche Zutaten er vorrätig haben sollte und welche „Arbeitsgeräte“ nötig sind; wer neu ist, lernt auf den ersten Buchseiten Kutos´ Vorratskammer kennen. Auch seine grundlegenden Tipps zu Küchenarbeiten, Beilagen und Getränken geben wieder Hilfestellung.
„Coq au vin“ oder „Wiener Rindsrouladen“ klingen nach intensiver Vorarbeit, sind aber in gut 20 bis 30 Minuten vorzubereiten - das Garen natürlich nicht eingerechnet. In praktischen Schritt-für-Schritt-Anleitungen, die auch von Kochanfängern gut nachzuvollziehen sind, erklärt Kutos die Arbeitswege. Zahlreiche Fotografien von Wolfgang Hummer verdeutlichen seine Anweisungen zusätzlich und machen Appetit.
Von Ameisen am Baum bis Zabaione stellt der junge Koch detailliert eine Anzahl internationaler Gerichte vor. Hier wird sicher jeder fündig, auch wer Exotisches liebt. Ein Glossar, ein Überblick über wichtige Kochbegriffe und Menüvorschläge ergänzen den Rezepteteil.
Ein unkompliziertes Kochbuch, dessen junger Autor Frische und Schwung vermittelt!

Bewertung vom 27.09.2017
Harte Jahre - starke Frauen
Mahlknecht Ebner, Sigrid;Weiss, Katharina

Harte Jahre - starke Frauen


sehr gut

Ora et labora

„Bete und arbeite“ - so lautet das Credo der fünf Frauen, aus deren Leben in diesem Buch berichtet wird. Die beiden Autorinnen geben den Bäuerinnen Josefine, Toia, Kathi, Augusta und Margareth eine Stimme; sie haben die Erzählungen gesammelt und so behutsam ins Hochdeutsche geschrieben, dass sie authentisch bleiben.
Geboren zwischen 1894 und 1943, haben die fünf Tirolerinnen politisch und wirtschaftlich schwierige Zeiten erlebt. Sie wuchsen in ärmlichen Verhältnissen auf und mussten schon als Kinder einen großen Teil der Arbeit in Haus und Hof übernehmen. Häufig wurden sie in entfernte Orte auf Bauernhöfe oder in Haushalte geschickt, um dort zu arbeiten. Der Schulbesuch war für diese schwer arbeitenden Kinder Nebensache und währte nur kurze Zeit. Auch in der Ehe erwartete die Frauen oft ein hartes Schicksal. Ihr Lebensinhalt bestand aus Pflichterfüllung - Kindergebären, arbeiten und beten. Welche Erwartungen hatten sie eigentlich an ihr Leben?
Widerspruch wagte keine der Frauen. Gesellschaft und Kirche erwarteten von ihnen strikte Unterordnung: „Wir waren zu Gehorsam erzogen worden, in jeder Lebenslage, und wir waren dafür vorgesehen, zu helfen und zu dienen“ erklärt Augusta (Jahrgang 1933). Dennoch bezeichnen sich die Frauen trotz aller Widrigkeiten und Härten in ihrem Leben als zufrieden. Was macht sie so ausgeglichen?
Auch das Foto, welches das Buchcover ziert, lässt sehr eindrucksvoll die Lebensbedingungen der weiblichen Landbevölkerung erahnen. Trotz Not und schwerer Arbeit lächelt das junge Mädchen bereitwillig in die Kamera, sie wirkt nicht bedrückt oder unglücklich.
Schlicht und dabei sehr eindrücklich lesen sich die Lebensberichte der fünf Tiroler Bäuerinnen, die stellvertretend für viele Frauen ihrer Generation und ihres gesellschaftlichen Standes von ihren Schicksalen erzählen.

Bewertung vom 25.09.2017
Pandora und der phänomenale Mr Philby
Ludwig, Sabine

Pandora und der phänomenale Mr Philby


sehr gut

Spaß und Spannung garantiert


Drei große „S“ kennzeichnen Sabine Ludwigs Bücher: Spaß, Spannung und Sprachgefühl. Auch ihr neuer Roman um die Machenschaften des merkwürdigen Mr Philby basiert auf ihrem Geschick, packende Elemente mit humorvollen Szenen zu kombinieren.

Was passiert? Als die 12jährige Pandora aus dem Internat für die Sommerferien zu ihrer Mutter Myrtle und ihrem Freund Zack nach Port Arthur an der Westküste Cornwalls zurückkehrt, scheinen die schulfreien Wochen zunächst nicht viel Vergnügen bereit zu halten. Ihr Elternhaus Hawthorn Manor, von Myrtle als Hotel geführt, ist nicht mehr rentabel und soll verkauft werden. Unter den wenigen Gästen, die sich hier aufhalten, befindet sich ein gewisser Mr Phinnaeus Philby, der Pandora äußerst suspekt vorkommt, und zu allem Überfluss soll sie sich auch noch um den ihr unbekannten Cousin Ashley kümmern, einen etwas nervigen Teenager, der zum erstenmal seine Ferien hier verbringt! Was aber führt der geheimnisvolle Mr. Philby bloß im Schilde? Und warum ist Pandoras Freund Zack plötzlich verschwunden?

Das ansprechende Buchcover, collagenhaft gestaltet von Sabine Wilmharm, offenbart bereits einige Szenen der turbulenten Geschehnisse, in die Sabine Ludwig ihr junges Lesepublikum gekonnt verwickelt. Mit viel Spannung und Witz werden die beherrschenden Themen des Ferienabenteuers an der sagenumwobenen kornischen Küste inszeniert: Einfallsreichtum, Mut und Freundschaft. Skurrile und „normale“ Charaktere, die Pandoras kleine Welt bevölkern, sorgen für überraschende Wendungen. Die flotte, moderne Schreibweise der Erfolgsautorin spricht den jungen Leser an, ebenso wie der positive, optimistische Grundton, der trotz aller zu überwindender Probleme vorherrscht. Zudem hat die Autorin selbst jedes Kapitel ihrer dynamischen Geschichte mit passenden Vignetten illustriert.

Ein Lesevergnügen für Kinder ab 10 Jahren, die herausfinden wollen, ob es der pfiffigen Pandora gelingt, Mr Philbys Geheimnis zu lüften.

Bewertung vom 11.09.2017
Drei Tage und ein Leben
Lemaître, Pierre

Drei Tage und ein Leben


ausgezeichnet

In einem einziogen Augenblick...


Nur ca. 260 Seiten umfasst der Roman - aber Pierre Lemaitre bringt ein ganzes Leben darin unter.
In seiner prägnanten, klar formulierenden Schreibweise erzählt der Autor von einem Augenblick der Unbeherrschtheit und seinen weitreichenden Konsequenzen. Der zwölfjährige Antoine erschlägt in einem Wutanfall das halb so alte Nachbarskind Rémi und versteckt dessen Leiche. Schreckliche Tage folgen nun für den Jungen, der nicht weiß ob und wem er sich anvertrauen kann: voller Angst, entdeckt zu werden, aber auch angefüllt mit Gewissensqualen. Zwar macht der Sturm „Lothar“ mit seinen verheerenden Auswirkungen eine Aufklärung der Tat fürs erste unwahrscheinlich, doch nach Jahren scheinbarer Ruhe wird das Verschwinden des kleinen Rémi erneut thematisiert. Gibt es etwa einen Zeugen der Tat?
Lemaitre schafft es meisterhaft, seine Leser in Antoines Situation mit zu verstricken und an seinem Schicksal von Anfang an hautnah teilnehmen zu lassen. Sie sind Mitwisser der Tat, die Antoine verfolgt und sein weiteres Leben lenkt; sie sind eingeweiht in seine geheimsten Gedanken, seine Verzweiflung, Ängste und Hoffnungen und kennen ihn schließlich besser als seine Mutter. Immer wieder stellt man sich die Frage: Wie würde ich an seiner Stelle handeln? Überaus detailliert gibt der Autor einen tiefen Einblick in die Psyche des Protagonisten. Sensibel beschreibt er Antoines widerstreitende Gefühle, während sein Leben, stets überschattet und beherrscht von seiner Schuld, weitergeht.
„Drei Tage und ein Leben“ hat mich von Beginn an gepackt und nicht losgelassen; ein verstörend authentisch wirkender, überzeugender Roman

Bewertung vom 05.09.2017
Palast der Finsternis
Bachmann, Stefan

Palast der Finsternis


sehr gut

Gelungene Komposition aus Realität und Fantasie

Ein unterirdischer Palast und seine Geheimnisse: Fünf Jugendliche sind für die Teilnahme an der Erforschung des „Palais du Papillon“ in Frankreich ausgewählt worden. Erbaut von Frédéric de Bessancourt, sollte der Schmetterlingspalast während der französischen Revolution als Zufluchtsort des in Péronne lebenden Adels dienen, der vor der Guillotine floh. Weder Anouk noch Will, Lilly, Hayden oder Jules ahnt, was ihnen bevorsteht, als sie auf Einladung der „Sapani Corporation“ im Château du Bessancourt eintreffen. Aber noch bevor sie sich richtig kennenlernen und auf ihre Expedition vorbereiten können, müssen die fünf jungen Leute sich bereits unerklärlichen, gefährlichen Ereignissen stellen, viele Meter unterhalb der Erdoberfläche im Palais du Papillon - allein auf sich gestellt und aufeinander angewiesen.
Parallel zu dem Abenteuer der Teenager, das anschaulich und sehr packend aus der Sicht der Protagonistin Anouk dargestellt wird, erzählt der Autor die Geschichte der jungen Adligen Aurélie zur Zeit der französischen Revolution. In geschickten Einschüben schildert er ihre Erlebnisse stets passend zur Entwicklung der aktuellen Erlebnisse Anouks. Mit seiner angenehmen Schreibweise und einem ansprechendem Stil schafft es Stefan Bachmann, die Spannung, die seinen Roman durchzieht, bis zum Schluss aufrecht zu erhalten und den Leser über einen längeren Zeitraum über eine mögliche Lösung im Ungewissen zu lassen.
Mit „Palast der Finsternis“ ist dem erst 24 Jahre alten Schriftsteller eine geschickte Komposition aus Vergangenheit und Gegenwart, aus Realität und Fantasie mit Gruselfaktor gelungen. Das Buch bietet spannungsreiche Unterhaltung für alle Freunde der Contemporary Fantasy-Literatur.

Bewertung vom 03.09.2017
Die Wurzel alles Guten
Nousiainen, Miika

Die Wurzel alles Guten


sehr gut

„…die Zähne (sind) der Spiegel unserer Seele.“


So lautet das Credo von Esko Kirnuvaara, dessen Leben völlig von seinem Zahnarzt –Beruf und dem Thema Zahnpflege in Beschlag genommen wird. Ganz anders geartet ist sein Patient Pekka, der denselben Nachnamen trägt, und, von grässlichen Zahnschmerzen geplagt, Eskos Praxis aufsucht. Recht schnell kommen beide - jeder aus anderen Gründen - auf den Gedanken, dass sie miteinander verwandt sind, ja, möglicherweise sogar Halbbrüder.
Während Esko bei Pekka eine fachgerechte Wurzelbehandlung durchführt, gelingt es Pekka, ihn aus der Reserve zu locken und sich mit ihm über ihren gemeinsamen Vater auszutauschen, der die Familie schon früh in ihrer Kindheit verlassen hat. Bald beschließen sie, ihren familiären Wurzeln nachzuspüren und möglichweise den verschwundenen Vater zu finden. Bei ihrer Suche kommen sie um die halbe Welt und erleben Erstaunliches. Doch ebenso unangenehm wie eine zahnärztliche Wurzelbehandlung kann unter Umständen auch die Suche nach Vorfahren werden: Welche Geheimnisse kommen da womöglich ans Tageslicht?

Es ist eine wirklich originelle Idee, die der Autor hier in Romanform packt. Er lässt Pekko und Esko selbst zu Wort kommen, im Wechsel gibt jeder von ihnen seine ganz persönliche Sicht auf die Vatersuche, die Menschen der Umgebung und das Leben im allgemeinen wieder. Die zwei vollkommen unterschiedlichen Charaktere sind detailliert geschildert und wirken durchaus authentisch. Schwungvoll und mit viel Humor hat Nousiainen die Geschichte umgesetzt; das Motiv der Wurzelbehandlung begleitet konstant die Suche der Halbbrüder und lässt das Thema von der „Kontrolle der Zähne, des Zahnfleischs und des Mund- und Rachenraums“ über Arbeitsgänge wie „Reinigung des Wurzelkanals“ und „Überkronung“ bis schlussendlich zur Nachkontrolle recht zweideutig in den Roman einfließen.
Allerdings: So stark und pointiert der Roman beginnt - zum Ende hin flacht er für mein Empfinden leider ab: Nebencharaktere wirken eher farblos und blutleer; zu viele diverse Probleme werden angesprochen, aber nur kurz und oberflächlich angerissen. Dennoch, ein interessantes, durchaus unterhaltsames Buch!

Bewertung vom 30.08.2017
Der Wal und das Mädchen
Kinkel, Tanja

Der Wal und das Mädchen


sehr gut

Ein Bilderbuch mit Anspruch


Zwei neugierige Kinder stehen im Mittelpunkt der Geschichte: ein entdeckerfreudiges Walkind, dem sein Vorwitz beinahe zum Verhängnis wird, und ein Menschenkind, dessen Interesse an den Vorlieben anderer Menschen dem kleinen Wal schließlich das Leben rettet.
Tanja Kinkel erzählt in einfachen, kindgerechten Worten, wie der unerfahrene junge Wal -
anstatt brav mit seiner Walschule in tiefere Gewässer abzutauchen - während eigenständiger, unbekümmerte Erkundungen in seichte Gewässer und schließlich auf den Strand gerät. Die kleine Maria, die eigentlich große Vorbehalte gegenüber dem weiten, tiefen Wasser hat, und nachdenklich der Frage nachgeht, was ihre Familie dermaßen am Meer fasziniert, trifft zum Glück auf das Tier und erkennt, dass es in Lebensgefahr schwebt.
Die meist ganzseitigen Bilder illustrieren und ergänzen den Text in harmonischen Farben. Sie lassen ebenfalls deutlich werden, dass die vorsichtig agierende Maria die Furcht des kleinen Wals gut versteht und eine Verbindung - auch ohne Worte - zwischen den beiden Lebewesen entsteht. So schlicht und klar wie der Text erscheinen auch Giuliano Ferris Illustrationen. Eindrucksvoll setzt der Künstler auch die unterschiedlichen Themen, die in der Geschichte miteinander verbunden werden, bildlich um: typisch menschliche Eigenschaften wie Neugier und Entdeckerlaune, die sich zu Gefahren entwickeln können; Angst vor Unbekanntem und auch den Wunsch, Bedrängten Hilfe zu leisten. Autorin und Illustrator haben die pädagogischen Ansätze dabei unterhaltsam verpackt, so dass die Zielgruppe der kleinen Leser (3 bis 6 Jahre) durchaus in der Lage ist, diese Thematiken zu verstehen, ohne sich belehrt zu fühlen. Sehr ansprechend und unterhaltsam!

Bewertung vom 27.08.2017
Die Geschichte der getrennten Wege / Neapolitanische Saga Bd.3
Ferrante, Elena

Die Geschichte der getrennten Wege / Neapolitanische Saga Bd.3


sehr gut

Lebendige Geschichte


Hier wird Geschichte lebendig! Ebenso anschaulich wie in ihren Vorgängerromanen spiegelt Elena Ferrante gesellschaftliche und politische Gegebenheiten und Veränderungen in den Schicksalen zweier neapolitanischer Freundinnen.
Im dritten Teil der „Neapel-Saga“ stehen die turbulenten Siebziger Jahre im Fokus. Lenù und ihre „geniale Freundin“ Lila sind erwachsen geworden und glauben, ihren Platz im Leben gefunden zu haben. Ruhe kehrt in ihre Lebensläufe dennoch nicht ein. Lila, die zunächst als alleinerziehende Mutter mit harter Arbeit in einer Wurstfabrik ihren Lebensunterhalt verdienen muss, nutzt die Chancen der neu aufkommenden Computertechnologie, um sich beruflich neu zu orientieren. Elena hingegen scheint auf ein erfolgreiches Leben als Schriftstellerin hin zu steuern. Ihre Ehe mit dem klugen, jungen Universitätsprofessor Pietro verspricht eine sorglose Zukunft - bis eines Tages Nino, ein Freund aus Jugendtagen, wieder in ihr Leben tritt. Die Wege der Freundinnen trennen sich, sie werden einander fremder.
Wird ihre Freundschaft auf Dauer halten?
Eingebettet in die politischen Unruhen und gewalttätigen Auseinandersetzungen der Siebziger Jahre gibt die Autorin die wechselhafte Geschichte um das Erwachsenwerden zweier Mädchen aus dem Rione, dem Armenviertel Neapels, wieder. Aus der Sicht Lenùs lässt Ferrante den Leser intensiv am Schicksal der beiden Frauen teilnehmen. Wie bereits in den ersten beiden Bänden erzählt sie mit schlichten Worten, scheinbar leicht; doch ihre Erzählung ist bildhaft und kraftvoll. Ihre Schilderungen lassen den Leser förmlich das lautstarke Leben und Treiben im Rione „hören“.
Zum besseren Verständnis gibt die Autorin zu Beginn ihres Romans eine kurze Personen- und Handlungsübersicht als Einstiegs- bzw. Erinnerungshilfe. Aber meines Erachtens wäre es vorteilhafter, auch die ersten Bände gelesen zu haben; denn als Sechzigjährige verschwindet Lila, und die Frage nach ihrem Verbleib zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche Bände.

Bewertung vom 21.08.2017
Underground Railroad
Whitehead, Colson

Underground Railroad


sehr gut

Sklaven und Menschenrechte


Sie besitzt nichts und hat keinerlei Rechte, nicht einmal über ihre eigene Person darf sie bestimmen: Cora lebt als Sklavin in dritter Generation auf der Randall-Farm in Georgia. Ihr Alltag ist geprägt von harter Arbeit auf den Baumwollfeldern, Gewalt, Furcht. Doch das junge Mädchen ist stark, die Misshandlungen haben sie noch nicht gebrochen. Und so vertraut ihr der Leidensgenosse Caesar einen Fluchtplan an, um gemeinsam ihrem trostlosen Dasein zu entkommen. Eines Tages ist es wirklich soweit; gemeinsam mit ihrer Freundin Lovey und Caesar gelingt ihr die Flucht. Es wird ein langer, gefährlicher Weg in die Freiheit, den nur einer von ihnen überlebt.
Beeindruckend realistisch schildert Colson Whitehead das Martyrium der Sklaven auf den Plantagen. Erschreckend wirkt die Denkweise eines Großteils weißer Zeitgenossen Coras; die weiße „Herrenrasse“, ihre Auslegung der Menschenrechte (festgelegt 1776 in den „Virginia Bill of Rights“) und die Rechte, die sie für sich selbst daraus ableiten, befremden uns. Auf mitreißende Art versteht es der Autor, den Leser in Coras Geschichte zu verwickeln und ihn auf ihre entbehrungsreiche und gefahrvolle Flucht mitzunehmen. Er hat ihr Schicksal, eingebunden in die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen der Mitte des 19. Jahrhunderts, überzeugend und authentisch ausgearbeitet. Der Roman wirkt „rund“.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Arbeit der „Underground Railroad“, eines gut organisierten Netzwerkes von Fluchthelfern für entlaufene Negersklaven, das bis 1865 erfolgreich funktionierte, als imposante menschliche Leistung; denn auch die Helfer setzten ihr Leben aufs Spiel, wenn sie als solche erkannt oder denunziert wurden. Der Name „Underground Railroad“ diente als Symbol; die Helfer agierten unter Decknamen wie „Stationsvorsteher“ oder „Schaffner“, die seit Bestehen der ersten Eisenbahnlinien aus diesem Bereich entlehnt wurden. Doch der Autor lässt die „Underground Railroad“ wortwörtlich, als tatsächliche Maschinerie, existieren in einer Zeit, in der an eine echte Untergrundbahn, wie wir sie heute kennen, noch gar nicht zu denken war. Ich habe sie als eine Art Verfremdungseffekt verstanden, der das Thema des Romans aus seinem historischen Kontext löst und zeitübergreifend werden lässt; Vergleiche zu früheren Ereignissen, aber auch zu ganz aktuellen Thematiken werden herauf beschworen. Die Verfolgung und Entrechtung von Menschen, Rassismus, Ausbeutung, Folter gehören leider nicht nur der Vergangenheit an. Überall in unserer modernen Welt finden sich Beispiele.
Ein anspruchsvolles Buch, das den Leser aufrüttelt und dem Leid Verfolgter in der Welt wieder mehr Aufmerksamkeit zuteil werden lässt.