Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Mikka Liest
Wohnort: 
Zwischen den Seiten
Über mich: 
⇢ Ich bin: Ex-Buchhändlerin, Leseratte, seit 2012 Buchbloggerin, vielseitig interessiert und chronisch neugierig. Bevorzugt lese ich das Genre Gegenwartsliteratur, bin aber auch in anderen Genres unterwegs. ⇢ 2020 und 2021: Teil der Jury des Buchpreises "Das Debüt" ⇢ 2022: Offizielle Buchpreisbloggerin des Deutschen Buchpreises

Bewertungen

Insgesamt 735 Bewertungen
Bewertung vom 03.01.2017
Blumenkinder / Nora Klerner & Johan Helms Bd.1
Dannenberg, Meike

Blumenkinder / Nora Klerner & Johan Helms Bd.1


gut

"Blumenkinder" war für mich bis hin zum großen Finale ein beinahe perfekter Krimi, dem ich wahrscheinlich 4,5 Sterne gegeben hätte. Warum es dann doch nur 3,5 Sterne geworden sind, möchte ich jetzt gerne begründen:

Die Geschichte ist in meinen Augen sehr originell, vielschichtig und komplex, und dabei im Großen und Ganzen auch schlüssig und logisch aufgebaut. Es gibt verschiedene Mordfälle, die vielleicht oder vielleicht auch nicht zusammenhängen, und dementsprechend natürlich eine große Auswahl an Verdächtigen, Hintergrundgeschichten, Ermittlungsansätzen, Tatmotiven, falschen Fährten, kleinen und großen Tragödien... Die Handlung hatte mich schnell gepackt und brachte mich zum Mitfiebern und Miträtseln, ob und wie die Morde zusammenhingen und wer dahinterstecken könnte. Vorhersehbar fand ich das nie, und das ist für mich bei einem Krimi schon die halbe Miete!

Jetzt kommt jedoch das ganz große "Aber".

ABER die Auflösung am Schluss hat mich dann sehr enttäuscht, aus zweierlei Gründen:

Zum Einen hatte ich den Eindruck, dass die Autorin dem Leser nicht wirklich eine faire Chance gibt, anhand von Hinweisen zu erraten, wer-wann-wie-warum tatsächlich hinter den Morden steckt. Und das gehört für mich einfach zu den "Spielregeln" eines guten Krimis! Das Gesamtbild sollte sich aus Bruchstücken des Bekannten zusammensetzen, so dass der Leser es im Rückblick von Grund auf nachvollziehen kann. Hier wird am Ende jedoch vieles völlig überraschend aus dem Hut gezaubert, so dass auch die Ermittler eher von der Wahrheit überrumpelt werden.

Zum Anderen erfährt man im Rückblick etwas über den Mörder, was ich vollkommen unglaubwürdig fand. Ich kann es hier nicht genauer erläutern, ohne schon zuviel zu verraten, aber genau diese merkwürdige Entscheidung macht es den Ermittlern im Endeffekt überhaupt möglich, ihn zu schnappen, und deswegen kam es mir zu konstruiert vor.

Bis dahin fand ich das Buch wirklich wahnsinnig spannend und hatte es daher auch innerhalb von drei Tagen durch! Aber leider muss ich im Rückblick sagen, dass das Buch zum Teil nur deswegen nicht vorhersehbar ist, weil Hinweise, die zur tatsächlichen Auflösung führen, fast komplett fehlen. (Oder bin ich da so blind?)

Die Charaktere haben mir dagegen sehr gut gefallen! Sonderermittlerin Nora Klerner und Fallanalytiker Johan Helms sind beide irgendwie Außenseiter und Sonderlinge, ergeben zusammen jedoch ein gutes Team. (Obwohl ihre Arbeit sie eigentlich nur bis fast zur Lösung führt.) Ich fand sehr spannend, wie ihr Aufgabenbereich bei dieser Ermittlung beschrieben wird, und bei Nora fand ich besonders interessant, wie sie an der Mimik eines Menschen abliest, was in diesem Moment in ihm vorgeht. Gerade Nora bleibt hier allerdings noch ziemlich rätselhaft. Bruchstücke und Albträume verraten dem Leser, dass in ihrer Vergangenheit etwas Schlimmes geschehen sein muss, was dazu führt, dass ihr dieser Fall ganz besonders an die Nieren geht, aber Genaueres wird noch nicht verraten. Vielleicht kommt da noch mehr in weiteren Büchern der Reihe?

Jedenfalls fand ich sowohl die Haupt- als auch die Nebencharaktere gut beschrieben, glaubhaft und in sich schlüssig.

Der Schreibstil ist für einen Krimi meines Erachtens ungewöhnlich, aber er gefiel mir gerade deswegen sehr gut. Vieles wird sehr bildlich, manchmal geradezu lyrisch-atmosphärisch beschrieben, was gut zu Noras ungewöhnlicher Sicht auf das Leben passt, aber es wird nicht übertrieben.

Fazit:
Es gibt Debütromane, von denen man gar nicht so recht glauben mag, dass sie wirklich Erstlingswerke sind, einfach, weil sie so souverän, spannend und unterhaltsam geschrieben sind, dass man dahinter langjährige Erfahrung vermutet. Auch "Blumenkinder" wirkte auf mich so - zumindest bis kurz vor Schluss, wo es dann für mich doch noch ein paar gravierende Abstriche gab.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.12.2016
Flawed - Wie perfekt willst du sein? / Perfekt Bd.1
Ahern, Cecelia

Flawed - Wie perfekt willst du sein? / Perfekt Bd.1


sehr gut

Als ich das erste Mal hörte, dass Cecelia Ahern eine Dystopie für Jugendliche geschrieben habe, war ich verdutzt. Cecelia Ahern? Eine Dystopie?! Schließlich war die Autorin bisher für ihre an ein erwachsenes Publikum gerichteten Liebesgeschichten und ihre emotionale Gegenwartsliteratur bekannt. Zugegeben, ich war skeptisch, aber meine Neugier war geweckt!

In den letzten Jahren sind unglaublich viele Dystopien erschienen, so dass man manchmal das Gefühl hat, alles wiederholt sich, es gibt nichts Neues mehr... Aber Cecelia Ahern, die aus einer ganz anderen literarischen Richtung kommt, schafft es in meinen Augen gerade dadurch, dennoch eine Geschichte zu erzählen, die sich neu und unverbraucht liest - trotz Parallelen zu klassischen Dystopien wie "1984".

Sie beschwört eine Zukunft herauf, in der eine außer Kontrolle geratene politische Institution versucht, moralische Perfektion zu erschaffen. Die kleinsten Verfehlungen werden mit absurder Strenge geahndet - und das lebenslänglich. denn die "Fehlerhaften" werden gebrandmarkt, bewusst ausgrenzt und in ihren Grundrechten beschnitten. Interessant fand ich hierbei besonders die Rolle der Medien; die Autorin zeigt überdeutlich, wie fatal es ist, wenn mediale Macht und politischer Macht Hand in Hand gehen.

Der Umbruch beginnt mit etwas, mit dem auch im realen Leben einmal eine Bürgerrechtsbewegung begann: damit, dass ein Mensch im Bus auf dem falschen Platz sitzt. In der Realität war es die Afroamerikanerin Rosa Parks, die sich weigerte, ihren Sitzplatz für einen weißen Fahrgast aufzugeben, in diesem Buch ist es die 17-jährige Celestine, die einem "Fehlerhaften" zu einem Sitzplatz verhilft.

Wegen dieses einen "Fehlers" wird Celestines Leben komplett aus der Bahn geworfen, und wie sie damit umgeht, und wie beide Seiten der Debatte versuchen, sie für die eigenen Zwecke zu benutzen, las sich für mich spannend von der ersten bis zur letzten Seite - obwohl das Buch durchaus auch Schwachstellen hat.

Am Anfang erschien mir Celestine als schwacher Charakter: naiv, wenig interessiert an Politik oder ethischen Fragen, privilegiert, oberflächlich und selbstsüchtig. Sie mag Logik. Sie löst gerne Probleme. Aber ihre Welt ist schwarzweiß: alles ist gut oder böse, und die Regeln sind absolut und werden nicht hinterfragt.

Und dennoch... Wenn es hart auf hart kommt, wenn sie an einem ethischen oder moralischen Wendepunkt steht, trifft sie die richtigen Entscheidungen und findet die richtigen Worte. Ich hatte das Gefühl, dass Celestine eigentlich ein intelligentes, mitfühlendes Mädchen ist, das gerade erst damit beginnt, 17 Jahre der Gehirnwäsche abzuschütteln.

Die anderen Charaktere bleiben zum Teil eher blass, wie zum Beispiel ihre rebellische Schwester Juniper oder ihre Mutter, die als gefragtes Model der Inbegriff der Perfektion ist. Auch über ihren Freund Art hätte ich gerne mehr erfahren.

Am Problematischsten fand ich allerdings Carrick, der nach Celestines Verhaftung in der Nachbarzelle sein Urteil erwartet. Obwohl die Zellen schalldicht sind und sie sich nicht mal unterhalten können, fixiert sich Celestine schnell auf ihn, und das nimmt im Laufe des Buches in meinen Augen ungesunde Züge an. Sie interpretiert nach nur wenigen Tagen eine Nähe in ihre "Beziehung" hinein, die es eigentlich noch gar nicht geben kann, weil sie nichts übereinander wissen.

Ich verrate jetzt mal nicht, ob aus dieser Fixierung eine tatsächliche Beziehung wird oder nicht, aber besonders gegen Ende war ich nicht glücklich damit, wie sich diese Sache entwickelt hat. Überhaupt hatte ich gegen Ende den Eindruck, dass manches überstürzt und nicht vollständig durchdacht abgewickelt wurde.

Den Schreibstil fand ich im Großen und Ganzen sehr angenehm und flüssig zu lesen. Meist konnte die Autorin mich damit mühelos in ihren Bann ziehen, nur manchmal fehlte mir in einer Szene das Gefühl, wirklich mitfiebern zu können, weil die Emotionen bei mir nicht ankamen.

Bewertung vom 25.12.2016
Der Weihnachtswunsch
Evans, Richard P.

Der Weihnachtswunsch


sehr gut

Im Grunde ist "Der Weihnachtswunsch" eine moderne Variante des bekannten Weihnachtsmärchens von Charles Dickens:

Der reiche Karrieremensch James muss an Weihnachten erkennen, was für ein selbstsüchtiges, leeres Leben er führt und wie vielen Menschen er damit geschadet hat, und das rüttelt ihn dermaßen auf, dass er Besserung gelobt. Deswegen bittet er seine Sekretärin, ihm eine Liste mit den Menschen zu erstellen, die am meisten unter ihm gelitten haben, und macht sich auf den Weg, sie nacheinander aufzusuchen und den Schaden, den er angerichtet hat, wieder gutzumachen.

Die Geschichte ist also nicht unbedingt etwas Neues, aber ich fand sie interessant, unterhaltsam und berührend umgesetzt. Ich war angenehm überrascht, dass der Autor es James nicht zu einfach macht - der reumütige Büßer muss schnell erkennen, dass man sich Vergebung nicht mal so eben erkaufen und Unrecht nicht immer ungeschehen machen kann. Nicht jeden Punkt auf der Liste kann James abhaken. Und mehr und mehr begreift er, dass seine Reue von Herzen kommen muss, aus dem ehrlichen Wunsch heraus, zu helfen - und nicht aus dem Wunsch heraus, das eigene Gewissen zu beruhigen.

Religion und Glaube spielen in diesem Buch eine Rolle, stehen aber nicht im Mittelpunkt; man kann auch als nicht religiöser Mensch etwas für sich mitnehmen. Für mich ist es ein Buch, das dazu anregt, auch mal über das eigene Verhalten nachzudenken und sich vorzunehmen, jetzt, in der Gegenwart, alles zu tun, damit man in der Zukunft nichts bereuen muss.

Anfangs hatte ich nicht erwartet, mich mit James anfreunden zu können, so egoistisch und skrupellos ist sein Verhalten. Aber natürlich erfährt man im Laufe des Buches noch, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass ein Mann, der in jungen Jahren freundlich, hilfsbereit und warmherzig war, sich dermaßen in einen eiskalten Geschäftsmann verwandelt, und das hat mich halbwegs mit ihm versöhnt. Vergebung ist ein wichtiges Thema in diesem Buch, und James tut wirklich sein Möglichstes, um sie sich auch zu verdienen.

Natürlich geht seine Wandlung sehr schnell vonstatten und das ist sicher nicht ganz realistisch, aber das hat mich nur wenig gestört, schließlich verwandelt sich auch in Dickens' Weihnachtsmärchen Ebenezer Scrooge quasi über Nacht! Von einem Weihnachtsbuch erwahrte ich weniger Realitätsnähe als von einem regulären Roman.

Auch die anderen Charaktere haben mir an sich gut gefallen, denn auch diejenigen, die nur kurz auftauchen, haben alle ihre ganz persönliche Geschichte und wirkten auf mich glaubhaft und lebendig. Allerdings hätte ich mir bei vielen der Menschen auf James' Liste gewünscht, noch wesentlich mehr über sie zu erfahren! Sie wurden zum Teil eben doch sehr schnell abgehakt, und auf zum nächsten.

Der Schreibstil ist eher einfach, aber angenehm und flüssig zu lesen, und so hatte ich das Buch dann auch in nur einer Nacht durch.

Das Ende ist eine bittersüße Mischung, bei der nicht alles gut ausgeht, es aber doch in allem auch Hoffnung gibt, und das macht es für mich trotz kleiner Kritikpunkte zu einem schönen Weihnachtsbuch.

Fazit:
Der reiche Geschäftsmann James liest seinen eigenen Nachruf in der Zeitung - ein Versehen, das ihm die Augen öffnet, denn nun fühlt sich alle Welt frei, sich darüber auszulassen, was für ein skrupelloser Fiesling er doch war. Und jetzt, wo er so darüber nachdenkt, stellt er fest: sie haben recht. Also bittet er seine Sekretärin, ihm eine Liste mit den Menschen zu erstellen, denen er am meisten geschadet hat, und zieht los, das Unrecht wiedergutzumachen.

"Der Weihnachtswunsch" ist für mich kein Buch, das man unbedingt gelesen haben muss, aber es ist ein nettes Buch für zwischendurch, wenn man im Weihnachtstrubel mal ein wenig die Seele baumeln lassen will, das aber dennoch zum Nachdenken anregt. Natürlich ist nicht alles realistisch, aber der Autor lässt durchaus auch manches bittersüß enden.

Bewertung vom 24.12.2016
Das dunkle Herz des Waldes
Novik, Naomi

Das dunkle Herz des Waldes


ausgezeichnet

"Das dunkle Herz des Waldes" hat seine Wurzeln in der slawischen Mythologie, was wenig verwundert, war die Autorin doch als Kind schon begeistert von den vielfältigen polnischen Märchen, mit denen sie aufwuchs. Diese Begeisterung spürt man in jeder Zeile, denn auch dieses Buch liest sich wie ein wunderbares Märchen voller Magie und üppiger Atmosphäre. Zeitlose Fantasy, die ein altbekanntes Thema aufgreift - das unschuldige junge Mädchen, das von einem bedrohlichen, scheinbar bösen Mann entführt wird und mit ihm leben muss - und daraus dennoch etwas ganz Eigenes macht.

Agnieszka ist von klein auf mit dem Wissen aufgewachsen, dass sie einmal eines der 'Drachenmädchen' sein würde, die dem 'Drachen' als möglicher Tribut präsentiert werden. Aber sie hätte es nie für möglich gehalten, dass er sie tatsächlich auswählen könnte, denn sie ist unscheinbar, ungeschickt und nicht sonderlich hübsch! Aber er wählt sie aus - jedoch widerwillig und sogar zornig, denn er hat keine andere Wahl... Mir hat gut gefallen, dass Agnieszka keineswegs perfekt ist, denn das machte sie für mich umso glaubhafter und sympathischer. Und so wie der Drache im Laufe der Geschichte lernt, über das Äußerliche hinwegzusehen und ihren Wert zu erkennen, gewinnt sie selber an Selbstbewusstsein und wird zur Heldin ihrer eigenen Geschichte. Ich fand sie liebenswert, intelligent, unglaublich einfallsreich und mutig, und dennoch immer überzeugend und authentisch.

Sarkan, der 'Drache', erscheint erst wenig sympathisch: meist schlecht gelaunt, oft zornig, manchmal sogar vermeintlich angewidert von Agnieszka, die es immer wieder schafft, ihre edlen Kleider zu beschmutzen oder zu zerreißen, der dafür aber keiner der Zaubersprüche gelingt, die er ihr beibringen will. Er ist nicht freundlich zu ihr, ganz im Gegenteil. (Mehr als einmal hat er mich an Severus Snape aus "Harry Potter" erinnert, übrigens auch optisch!) Dennoch haben die beiden von Anfang an eine großartige Chemie. Auch Sarkan verändert sich im Laufe des Buches, wächst an seinen Erlebnissen, und trotzdem bleibt er immer er selbst. Ich war beeindruckt davon, wie die Autorin es schafft, mir einen so schwierigen, sturen und harschen Charakter trotz allem sympathisch zu machen.

Die Liebesgeschichte fand ich wunderbar, denn es prickelt von Anfang an deutlich spürbar zwischen Agnieszka und Sarkan, auch wenn er das wirklich nicht wahrhaben will und erstmal versucht, es zu ignorieren. Allerdings nimmt das eine eher kleine Rolle in der Geschichte ein.

Zitat:
"Dann wanderte sein verblüffter Blick zu mir, und zum ersten Mal sah ich ihn verunsichert, als ob er unvorbereitet in etwas hineingestolpert wäre. Seine langen schmalen Hände legten sich um meine und gemeinsam hielten wir die Rose geborgen. Magie sang in mir und durchdrang mich. Ich spürte das Murmeln der Macht des Drachen wie einen Gegengesang desselben Liedes."

Das Magiesystem in dieser Welt fand ich sehr interessant, gerade weil Sarkan und Agnieszka zwei ganz unterschiedliche Arten von Magie verkörpern: er wirkt Magie, in dem er sich rigoros und genau an Zaubersprüche und Beschwörungen hält, während ihre Magie etwas Fließendes, Lebendiges ist. (Was irgendwie auch ihre Persönlichkeiten widerspiegelt.) Überhaupt kam mir die Welt schlüssig und in sich stimmig vor, und dieser Weltentwurf bietet eine solide Grundlage für eine spannende Geschichte voller Monster, geheimer Intrigen und Magie. Ich habe das Buch immer nur widerwillig weggelegt und hätte es am liebstem am Stück gelesen.

Der Schreibstil hat mich direkt in seinen Bann gezogen, mit seiner ganz eigenen Sprachmelodie und lebendigen Bildern.

Bewertung vom 21.12.2016
Aschenkind
Rathjens, Sofie

Aschenkind


sehr gut

Ich zögere ein wenig damit, dieses Buch einen Thriller zu nennen. Für mich ist es eher ein düster-atmosphärischer Krimi, der sich auszeichnet durch eine eigenwillige Ermittlerin und einen
oft lyrischen, gelegentlich philosophischen Schreibstil. Aber egal, wie man es nun nennen will, Thriller, Krimi oder Roman mit Spannungselementen, für mich ist es auf jeden Fall ein lohnendes Buch.

Ein Roman hat bei mir schon halb gewonnen, wenn er mich nach nur wenigen Seiten aufhorchen lässt - wenn ich da bereits sicher bin, dass das Buch noch lange in mir nachhallen wird, weil es einfach etwas ganz Neues, Unverbrauchtes ist, das ich so noch nie gelesen habe. Und das war bei "Aschenkind" definitiv der Fall. Dabei sind es nicht so sehr die harten Fakten, die Eckpunkte der Handlung, die das Buch zu etwas so Eigenem machen, sondern die Art und Weise, wie sie erzählt werden.

Ich habe mich öfter bei dem Gedanken ertappt, dass die Mordfälle nur die Kulisse sind. Dass es eigentlich um grundlegendere Fragen geht: um menschliche Ängste, Zweifel, Wünsche und moralische Dilemmas. Und dennoch liest sich das nicht langweilig und trocken, sondern durchaus sehr spannend. Nicht nur, weil die Mädchen, die sterben, das nun wirklich nicht verdient hatten und man als Leser will, dass der Mörder wenigstens seine gerechte Strafe bekommt, sondern auch, weil man als Leser nie sicher sein kann, woran man eigentlich ist, wem in dieser Geschichte man trauen kann und wem nicht.

Und diese Unsicherheit liegt zum großen Teil in der Protagonistin begründet: der jungen Lehrerin Leonie, die gerade ihre neue Stelle in einem kleinen Dorf angetreten hat, aber direkt in den ersten Tagen ein totes Mädchen im Feld findet. Und weil sonst niemand in der Lage scheint, das aufzuklären, macht sie sich eben selber daran, auf ihre ganz eigene Art.

Meine ersten Notizen zu Leonie waren: "Todessehnsucht?", "sonderbar!", "Schwermut" und "hochintelligent", und diese Eindrücke haben sich im Laufe des Buches noch verstärkt. Je mehr ich über sie las, desto mehr hatte ich das Gefühl, dass sie vielleicht auf den ersten Blick erscheint wie eine ganz normale junge Frau in einem ganz normalen angesehenen Beruf, dass diese Normalität aber fast schon eine Art Maske ist.

Zitat:
"Ich bin das schwarze Schaf, nur in der Dunkelheit sehe ich aus wie alle anderen. Jeden Tag warte ich auf sie. Manchmal habe ich das Gefühl, es ist auch anders herum. "

Die meisten Menschen in diesem Buch werden davon angetrieben, was sie nicht haben, aber verzweifelt haben wollen, auch wenn es ihnen selbst nicht bewusst ist. Leonie ist es bewusst, und ihr ist auch bewusst, wie destruktiv dieses verzweifelte Wollen sein kann.

Sie sieht Dinge anders als andere Menschen, sie bemerkt viel mehr. Sie erfasst die Quintessenz einer Situation, einer Sache, eines Menschen, aber man hat das Gefühl, dass sie nur deswegen so viel sieht, weil sie außerhalb steht, alleine und ungebunden, und daher einen unverfälschten Blick hat. Ihre Einsamkeit wirkte auf mich gleichzeitig ungerührt und zutiefst traurig.

Der Schreibstil ist in meinen Augen außergewöhnlich, mit interessant konstruierten Sätzen und originellen Bildern. Nachdenklich, lyrisch, schwermütig, düster, aber immer mit wunderbarer Sprachmelodie und sehr ästhetisch geschrieben - und vor allem unverwechselbar.

Zitat:
"Angst hat viele Gesichter, aber letztlich bedeutet sie immer nur eines: das Ende. Mit einem Wimpernschlag macht es das, was ist, zu dem, was nicht mehr existiert, und reißt es aus uns heraus. Das ist alles, aber es tut am meisten weh. Ich mache einen Schritt auf [ ihren ] reglosen Körper zu, bis wir einander betrachten. Dann greife ich vorsichtig nach ihrer Hand. Lächle [ sie ] an. Könntest du nicht vielleicht etwas sagen? Nur irgendetwas?"

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.12.2016
Glücksmädchen / Ellen Tamm Bd.1
Bley, Mikaela

Glücksmädchen / Ellen Tamm Bd.1


weniger gut

Wenn ich darüber nachdenke, was ich beim Lesen gedacht und empfunden habe, denke ich nicht an nervenzerfetzende Spannung oder intelligent konstruierte falsche Fährten. Ich denke daran, wie Seite um Seite das Bild eines traurigen, vereinsamten Kindes entsteht, das immer beiseite geschoben wurde und niemals ganz oben auf der Prioritätenliste seiner Eltern stand. Die Mutter ist kalt, der Vater beschäftigt mit seiner neuen Familie, die Schwiegermutter könnte aus Grimms Märchen entsprungen sein. In der Schule ist Lycke unsichtbar. Das wahre Drama hat lange vor ihrem Verschwinden begonnen, und dabei bedeutet ihr Name doch "Glück".

Auch die Protagonistin, Ellen Tamm, trägt ein stilles, bleiernes Unglück mit sich herum. Seit ihrem 8. Lebensjahr, als ihre Zwillingsschwester Elsa starb, ist sie gefangen in einer Dauerschleife der Selbstvorwürfe, der Trauer und das Zorns. Sie ist Kriminalreporterin geworden, weil sie fasziniert ist vom Tod, besessen vom Tod, als könne sie damit den Verlust ihrer zweiten Hälfte erträglicher oder zumindest erklärlicher machen.

Sie stürzt sich mit wilder Entschlossenheit auf den Fall Lycke und sie will nicht nur eine gute Story - sie will das Mädchen finden. Lebend. Dafür opfert sie ihre Freizeit, organisiert Suchaktionen, macht sich auf der Arbeit unbeliebt und befragt Zeugen. Und damit will sie auch endlich mit ihrer persönlichen Tragödie abschließen können.

Das alles ist durchaus interessant, es berührt, aber richtige Thriller-Spannung kam für mich einfach nicht auf. Ja, es gibt Drohungen gegen Ellen, ja, es passieren merkwürdige Dinge, aber ich hatte nie das Gefühl einer tatsächlichen Bedrohung. Ellens Drama und Lyckes Drama laufen trotz allem merkwürdig zusammenhangslos nebeneinander her, und ich hatte am Ende nicht den Eindruck, dass sich ein stimmiges Gesamtbild ergibt. Vieles bleibt unerklärt, vieles scheint im Rückblick aufgebauscht, bedeutungslos oder unglaubwürdig.

Die Charaktere erschienen mir erst stereotyp und daher farblos. Die böse Stiefmutter. Die kalte Mutter. Der untreue Vater. Die depressive Ermittlerin. Der überdrehte, schwule beste Freund.

Am nächsten kommt der Leser Ellen, und die war mir anfangs nicht sonderlich sympathisch. Allerdings ist sie eine Frau unter enormem Stress, was vieles erklärt und entschuldigt, und im Laufe des Buches ist sie mir dann doch noch ans Herz gewachsen, auch wenn ihr Verhalten mir nicht immer logisch oder realistisch vorkam. Ein paar der anderen Charaktere habe ich zunehmend gehasst, was aber eigentlich ein Verdienst der Autorin ist: man hasst einen Charakter nicht, wenn er nicht etwas in einem hervorruft!

Etwa aber der Hälfte habe ich mich zunehmend mit dem Buch angefreundet, nachdem ich es innerlich aus der Schublade "Thriller" herausgenommen und stattdessen in die Schublade "Drama" gesteckt hatte. Gegen Ende war ich fast vollständig damit versöhnt und in die Geschichte eingetaucht - die Auflösung konnte mich dann aber leider nicht überzeugen. Sie beruht auf etwas, das Ellen nicht eigenständig herausgefunden hat und woran sie auch nur durch eine zufällige Begebenheit im richtigen Moment denkt.

Überhaupt gibt es meines Erachtens im ganzen Buch nur wenige echte Ermittlungen, die man als Leser auch nachvollziehen kann. Wenn Ellen etwas wissen muss, gibt sie es meist an ihre Kollegin weiter, die anscheinend in kürzester Zeit so ziemlich alles ermitteln kann, ohne dass jemals erklärt wird, wie eine Journalistin ohne polizeiliche Befugnisse das hinbekommt.

Der Schreibstil ist gut lesbar, blieb mir aber nicht als besonders bemerkenswert in Erinnerung. Die Dialoge haben allerdings zum Teil keinen natürlichen Fluss, und ich hatte öfter das Gefühl, dass der Tonfall der bisherigen Charakterisierung eines Protagonisten zuwiderlief.

Bewertung vom 17.12.2016
Zorn - Tod und Regen / Hauptkommissar Claudius Zorn Bd.1
Ludwig, Stephan

Zorn - Tod und Regen / Hauptkommissar Claudius Zorn Bd.1


ausgezeichnet

»Du musst die 'Zorn'-Reihe lesen!«, erzählen SIE mir seit Monaten mit schöner Regelmäßigkeit.
»...muss ich?«
»Unbedingt!«

Dann folgen für gewöhnlich kleine Anekdoten über Stephan Ludwig, seine Lesungen oder die amüsanten FB-Beiträge seines fiktiven Hauptkommissars. Der ist übrigens Kettenraucher, faul und mürrisch, und trotzdem ein Hit bei den Frauen.

Klasse.

Bei mürrischen, faulen Kettenrauchern bin ich ja immer erstmal skeptisch. So rein aus Prinzip, weil mir von Zigarettenrauch schlecht wird. Aber SIE bestehen darauf, dass die Zorn-Krimis einfach verdammt guter Stoff sind, Zigaretten hin oder her. Wer SIE sind? Die Teilnehmerinnen des illustren Krimi-Lesekreises, den die Buchhandlung zwei Orte weiter einmal im Monat ausrichtet.

Jaja.

Schon gut. Ihr hattet ja recht.

In meinen Augen ist das Buch eine gelungene Mischung aus Spannung, unerwarteten Wendungen, lebendigen Charakteren und einem trockenen, ein bisschen bösen Humor. Keines dieser Elemente alleine würde mehr als einen passablen Krimi abgeben, aber in der originellen Kombination ist die Geschichte unschlagbar und macht eine Menge Spaß, ist aber trotzdem was zum Miträtseln und Mitfiebern.

Es gibt für einen Krimileser einerseits nichts Enttäuschenderes, als auf Seite 100 schon zu wissen, wer gemordet hat und warum, andererseits will man aber auch nicht das Gefühl haben, dass die Lösung vom Himmel gefallen ist. Insofern ist "Zorn" für mich ein gut konstruierter Krimi, denn im Rückblick sind die Hinweise alle da, beim Lesen konnte ich die Puzzleteilchen jedoch bis zum Schluss nicht zu einem vollständigen Bild zusammensetzen.

Also: Spannend? Ja. Logisch? Auch. Und so nach und nach stellt sich die Geschichte als vielschichtiger heraus, als man am Anfang vermutet hätte.

Die Gewalt ist brutaler, als ich erwartet hatte, bleibt aber meist (nicht immer!) eher angedeutet und wird nicht detailliert beschrieben. Das macht sie jedoch nicht weniger erschreckend und nimmt ihr auch nichts ihrer Bedeutung, und deswegen finde ich das auch verdammt gut geschrieben.

Bei Formulierungen wie "kurz darauf barsten die Wände, der Wahnsinn stand brüllend im Raum, öffnete dem Horror die Tür" läuft es mir schon kalt den Rücken runter. Danach brauche ich keine detailliertere Beschreibung mehr als diese:

"Und er hatte nicht nur das Messer, sondern andere, ebenso spitze, chromglänzende Werkzeuge. Und er benutzte sie alle.
Es dauerte drei Stunden, bis sie den Verstand verlor, und weitere zwei, bis sie endlich sterben durfte."

Der Schreibstil ist großartig, denn der Autor beherrscht die verschiedensten Tonarten. Eine Szene kann erschreckend und grausam sein, mit Beschreibungen voller Atmosphäre, und trotzdem irgendwie auch witzig - wobei einem das Lachen dann doch oft im Halse stecken bleibt.

Das Großartigste an diesem Buch sind für mich der Humor und die liebevoll beschriebenen Charaktere, allen voran der mürrische Zorn und sein fröhlicher Kollege Schröder. Zorn würde sich ja lieber ins Bein beißen als es zuzugeben, aber er hegt tatsächlich viel Zuneigung und später auch Bewunderung für den kleinen Mann. Die Zwei sind ein witziges, aber erstaunlich gut funktionierendes Ermittlerteam.

Zitat:
"»Keine Leiche?«, fragte er über die Schulter, betrat den Fahrstuhl und drückte, ohne auf Schröder zu warten, den Knopf für die oberste Etage.
»Nichts, Chef.«
Zorn schwieg. Leise surrend fuhr der Fahrstuhl nach oben, und da Schröder die Stille in dem engen Raum zunehmend unangenehm wurde, meinte er nach kurzem Überlegen: »Keine Spur. Nix.«
Zorn schwieg noch immer.
»Niente!«, sagte Schröder. Ab und zu verspürte er das unerklärliche Bedürfnis, mit seinen Fremdsprachenkenntnissen zu protzen, und fügte deshalb hinzu: »Nothing, Chef!«
Zorn hob die Augenbraue.
»Nada!«, ergänzte Schröder.
»Pling!«, erwiderte der Fahrstuhl.
»Nitschewo!«, sagte Schröder.
Die Türen öffneten sich. »Ein einfaches Nein hätte genügt«, brummte Zorn."

Bewertung vom 10.12.2016
Ein Lied für die Geister
Erdrich, Louise

Ein Lied für die Geister


ausgezeichnet

"Ein Lied für die Geister" ist ein ungewöhnliches Buch, das mich noch lange beschäftigen wird. Tatsächlich ist es auch ein Buch, für das ich deutlich länger gebraucht habe, als ich das normalerweise für 444 Seiten tue - aber ich bitte darum, das nicht als Kritik zu verstehen, im Gegenteil. Manchmal muss man sich für die besten Dinge im Leben Zeit nehmen.

Worin liegt jedoch der Zauber, der sich mit jeder Seite mehr entfaltet? Wenn ich die Geschichte auf ihre grundlegendsten Zutaten herunterbreche und nur diese betrachte, erscheinen sie mir öde, nüchtern, trostlos, deprimierend... Schlimmer noch, voll unterschwelligem Pathos. Die Geschichte im Ganzen ist in meinen Augen jedoch nichts davon. 'Magisch' würde mir da eher in den Sinn kommen, 'tiefgründig' oder 'bewegend'. Und ja, manchmal tragisch.

Es geht um viele Dinge, nicht nur um den Tod des kleinen Dusty und dessen Auswirkung auf die beiden betroffenen Familien. LaRose, der Junge, der Dustys Platz einnehmen soll, ist der fünfte Mensch dieses Namens in seiner Familie, wobei die erste vier alle Frauen waren. In Rückblicken erzählt die Autorin aus dem Leben der ersten vier LaRoses und spricht dabei das enorme in der Vergangenheit an den Indianern begangene Unrecht an, und die Zerissenheit ihrer Nachfahren zwischen den Kulturen. (Erdrichs Großvater mütterlicherseits war übrigens ein Häuptling der Chippewa.)

Der Schreibstil ist wunderbar und trügerisch. Mal karg, mal von schlichter Eleganz, dann wieder bewegend und voll emotionaler Tiefe. Wenn sich indianische Legenden und schonungslose Gegenwart vermischen, entsteht ein ganz eigener, magischer Realismus, und dennoch entbehrt die Geschichte nicht einem gewissen Humor.

Die scheinbare Einfachheit des Schreibstils täuscht vielleicht anfänglich darüber hinweg, wie authentisch und komplex die Charaktere sind, aber mit jeder Seite enthüllen sie dem Leser mehr von ihrer Persönlichkeit. Die Autorin scheut nicht davor zurück, sie bis an die Grenzen dessen zu treiben, was sie ertragen können, lässt ihnen aber immer den letzten Funken Hoffnung. Viele Charaktere zeigen im Laufe der Geschichte überraschende Eigenschaften, die den Leser zwingen, seine ersten Eindrücke zu überdenken.

Das trifft auf keinen davon so sehr zu wie auf Romeo:

Romeo, der Schmarotzer, der Widerling, der kleine Gauner, der in seinem Leben nichts erreicht hat, aber klaut, betrügt, lügt und sich mit Tabletten sein erbärmliches Dasein erträglich macht. Romeo und seine sinnlose, skrupellose Rache. Romeo, den man wirklich nur hassen kann.

Dachte ich.

Man erfährt später im Buch noch, welches Trauma und welcher Verrat ihn zu dem gemacht haben, der er ist, und dann hätte ich am liebsten um den loyalen, intelligenten Jungen geweint, der Romeo einmal war.

Die Geschichte hat meiner Meinung nach keinen klar strukturierten Handlungsbogen, entwickelt aber eine starke psychologische Spannung, weil man als Leser mitfiebert und mitleidet mit den Charakteren. Man muss sich allerdings darauf einlassen, dass nicht alles erklärt wird oder überhaupt erklärbar ist.

Fazit:
Der kleine Dusty wird bei einem Jagdunfall aus Versehen erschossen. Der Schicksalsschlag droht, zwei Familien zu zerstören: die des Jungen und die des erschütterten Todesschützen, Landreaux Iron. Dieser beschließt nach Anrufung seiner Ahnen, einer alten indianischen Tradition zu folgen und den trauernden Eltern seinen eigenen Sohn zu übergeben, den fünfjährigen LaRose.

"Ein Lied für die Geister" setzt sich zusammen aus den Fragmenten verschiedener (fiktiver) Leben und überspannt mehrere Generationen. Es erzählt von Verlust, Schuld und Verrat, aber auch von Hoffnung, Vergebung und Loyalität, und das immer vor dem Hintergrund der Geschichte der indianischen Urbevölkerung in den USA.

In meinen Augen ist es ein außergewöhnliches Buch, dem man Zeit geben muss und von dem man keine einfachen Lösungen erwarten sollte, das aber dennoch sehr lohnend ist.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.12.2016
Er liebt sie nicht
Bolton, Sharon

Er liebt sie nicht


sehr gut

So ein richtig spannender Thriller muss mich dazu bringen, dass ich die Nacht durchlese und das Buch dann morgens beim Anblick meiner Augenringe im Spiegel verfluche. Das hat "Er liebt sie nicht" auch definitiv geschafft - aber nach zwei Nächten mit nur wenig Schlaf tippe ich diese Rezension dennoch nicht 100%ig begeistert.

Aber fangen wir erstmal mit etwas Positivem an: Die Geschichte ist erfrischend originell und umschifft dabei gekonnt die Klischees des Genres. Eine Anwältin, die nebenher sehr erfolgreich True-Crime-Bücher schreibt, wird von einem charismatischen Serienmörder gebeten, seinen Fall zu übernehmen, denn sie sei die Einzige, die überhaupt eine Chance hätte, ihn freizubekommen. Und nebenher bekommt sie es mit dem Polizisten zu tun, der den Mörder damals eingelocht hat und jetzt gar nicht begeistert davon ist, dass sie ihm den größten Fall seiner Karriere ruinieren will.

Maggie Rose ist alles andere als eine typische Thrillerheldin. Denn die sind zwar oft starke Frauen, aber meistens mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn und einem Herzen aus Gold. Maggie dagegen wirkt auf den ersten Blick eiskalt und berechnend - und auch auf den zweiten, dritten und vierten. Sie verdient gutes Geld mit den Büchern, die sie über Mörder schreibt, und hat auch schon mehr als einen aus dem Gefängnis geholt, indem sie Lücken in den Beweisen aufdeckte, die zu seiner Verurteilung führten. Als Hamish Wolfe sie bittet, seinen Fall zu übernehmen, macht sie direkt deutlich, dass es ihr vollkommen egal ist, ob er die Frauen ermordet hat oder nicht. Sie interessiert nur, ob der Fall anfechtbar ist oder nicht.

Aber gerade wenn man denkt, sie wäre eine ziemlich einseitige Persönlichkeit, zeigt sie dann doch wieder unerwartete Eigenschaften - und ab und an sogar ein Gewissen und ein wenig Mitgefühl. Ich fand sie zwar nicht immer sympathisch, aber immer interessant!

Hamish Wolfe dagegen hatte es bei mir schwer, denn er soll wahnsinnig charismatisch sein, wirkte auf mich aber arrogant und überheblich. Allerdings lernt man schnell eine ganz andere Seite von ihm kennen: in Form von glühenden Liebesbriefen, die zunächst nicht näher erklärt, aber immer wieder zwischen Kapiteln eingestreut werden, ohne dass man weiß, wer die Empfängerin ist. Tatsächlich hatte ich im Laufe des Buches dann öfter das Gefühl, über völlig verschiedene Personen zu lesen, und habe mich gefragt: wer ist Wolfe wirklich? Ein Meister der Manipulation, ein brutaler Serienkiller, und das unschuldige Opfer einer perfiden Intrige? Die Autorin lässt den Leser zappeln.

Im Laufe des Buches gibt es einige unerwartete Wendungen: Begebenheiten erscheinen in ganz neuem Licht, Personen erweisen sich als abgründiger als gedacht... Die Karten werden mehrfach neu gemischt - und auf einmal stellt der Leser fest, dass er sowieso die ganze Zeit dachte, man spiele ein völlig anderes Spiel. Und das ist wahnsinnig spannend und unterhaltsam, zumindest meiner Meinung nach. Als erfahrener Thrillerleser kann an sich eine entscheidende Wendung zwar ab einem gewissen Punkt schon denken, aber damit hat man noch lange nicht erraten, wie es ausgeht!

Gegen Ende hatte ich jedoch mehr und mehr den Eindruck, die Autorin übertreibe es damit, den Leser um jeden Preis in die Irre führen zu wollen. Ich hatte das Gefühl, auf einmal ein ganz anderes Buch zu lesen, denn das rasante Tempo konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der Auflösung nicht alles schlüssig zusammenpasste. Die letzten Szenen sind zwar actionlastig und schreien geradezu nach einer Verfilmung, sind in meinen Augen aber nicht gänzlich glaubwürdig.

Aber obwohl mich die Auflösung enttäuschte, war es im Großen und Ganzen dennoch ein gut geschriebener, unterhaltsamer Thriller. Die Frage ist, ob man nach einem großartigen Buch ein eher schwaches Ende verzeihen kann oder nicht. Ich habe dafür in meiner Bewertung einen Stern abgezogen.

Den Schreibstil fand ich sehr ansprechend und flüssig zu lesen.

Bewertung vom 12.11.2016
Im dunklen, dunklen Wald
Ware, Ruth

Im dunklen, dunklen Wald


ausgezeichnet

Unser Krimi-Lesekreis, der sich monatlich trifft, hatte dieses Buch für den Oktober 2016 ausgewählt. Dazu muss man sagen, dass wir uns im abschließenden Urteil, ob wir ein Buch nun Top oder Flop finden, meist erstaunlich einig sind! Aber dieses Mal stellte sich heraus, dass das Buch durchaus sehr unterschiedliche Meinungen hervorrief.

Ich fand das Buch großartig, das mal direkt vorneweg, aber eine andere Teilnehmerin eröffnete das Gespräch mit harscher Kritik: zu langatmig, es passiert zu wenig, die Charaktere sind unsympathisch... Eine andere meint später, diese Art von Geschichte habe man doch auch schon öfter gehört.

Um mal damit anzufangen: ja, das Szenario ist wirklich nicht ganz neu. Ein einsames Haus in einem dunklen, dunklen Wald, die Menschen darin sind völlig von der Außenwelt abgeschnitten, denn es gibt keinen Handyempfang und dann fällt auch noch das Festnetz aus... Das ist der Stoff, aus dem Filme gemacht sind, bei denen man mindestens einmal ruft: Nein, geht nicht alleine auf den Speicher!!

Aber eine gekonnte Umsetzung kann daraus durchaus ein originelles Buch machen, und zumindest in meinen Augen ist das Ruth Ware auch gelungen.

Solche Geschichten sind meist mehr Psycho als Thriller, werden eher von der Gruppendynamik der Charaktere und der Atmosphäre getragen als von der eigentlichen Handlung - denn so viel kann ja nicht passieren in einem einsamen Haus im dunklen, dunklen Wald. Und auch hier passiert über lange Strecken der Geschichte streng genommen nur sehr wenig, bis die Geschehnisse komplett aus dem Ruder laufen. Nora, und damit auch der Leser, beäugt die anderen Teilnehmer dieses skurrilen Junggesellinnenabschieds misstrauisch, während die Stimmung zunehmen angespannt und sogar feindselig wird.

In sofern kann ich die Kritik, das Buch sei zu langatmig und es passiere zu wenig, durchaus nachvollziehen, aber für mich funktionierte es perfekt durch die bedrohliche, klaustrophobische Atmosphäre, die die Autorin aufbaut. In vielen Szenen hatte ich durchaus ein bisschen Gänsehaut! Ich liebe Geschichten, bei denen sich die Dramen überwiegend in den Köpfen der Protagonisten abspielen und die Spannung beinahe unmerklich an der schönen, heilen Oberfläche kratzt.

Die Geschichte spielt sich auf zwei Zeitebenen ab: einmal während der Junggesellinnenparty, einmal direkt danach, als Nora schwer verletzt im Krankenhaus liegt und mühsam rekonstruiert, was passiert ist. Für mich erhöhte das die Spannung noch zusätzlich, aber ich muss zugeben, dass ich ein paar Dinge schon relativ früh erraten habe. Zum Beispiel wird nie so richtig ausgesprochen, was vor zehn Jahren passiert ist, das Nora, Claire und James entzweit hat, und die Auflösung am Schluss war wirklich keine große Überraschung.

Für mich ergab sich die Spannung weniger aus der Frage, was passiert (ist), sondern eher aus der Frage, wie die Charaktere damit umgehen.

Und die sind, zugegeben, alle keine Menschen, die es einem leicht machen. Sie intrigieren und zeigen ihre boshafte Ader, oder erweisen sich als zutiefst gestört und unzuverlässig, aber so richtig sympathisch sind sie einem selten. Aber in meinen Augen müssen sie das auch gar nicht, denn sie sind dennoch gut und komplex geschrieben, und interessant sind sie allemal!

Der Schreibstil war für mich ganz großes Kino. Tatsächlich beschreibst die Autorin alles mit so dichter Atmosphäre und so vielen stimmungsvollen Details, dass ich jede Szene vor mir sehen konnte und jetzt nur noch auf die Verfilmung warte.