Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
ws
Wohnort: 
Markdorf
Über mich: 
... was ich rezensiere, bewerte, das habe ich auch gelesen!

Bewertungen

Insgesamt 1217 Bewertungen
Bewertung vom 09.11.2021
Vespa Granturismo
Uhlig, Günther

Vespa Granturismo


ausgezeichnet

Ein Lebensgefühl auf zwei ziemlich kleinen Rädern...

75 Jahre Ikone - was will man mehr?

Die ersten Vespas, noch ohne Durchstieg, mit einem an der hinteren Kante des einzigen Sitzen mittels Schraubenfedern halbwegs moderat 'gepolstert' kamen 1946 kurz nach dem Zweiten Weltkrieg als einfach konstruiertes, anspruchsloses, kostengünstiges und somit für breite Bevölkerungsschichten sinnvolles Fahrzeug auf den Markt. Nur kurze Zeit später, nämlich ab 1948 kurvten die ersten 'Bienen', also die Ape durch das in Trümmern liegende Italien. Eine etwas stärker motorisierte Vespa auf drei Beinen. Also Rädern. Vorne Vespa, hinten eine Ladefläche auf zwei Rädern. Mit der Handwerker, Händler uns sonstige Gewerbetreibenden ihre Güter durch die Landschaft transportieren konnten.

Bereits 1956 lief die Einmillionste Vespa vom Band.
Die permanent umgesetzten technischen Entwicklungen wie Benzineinspritzung, Scheibenbremsen, ABS, per Bluetooth-Verbindung zum mitgeführten Smartphone und dessen Navi-App zur Anzeige auf dem Vespa-Display (ehedem Tacho genannt) sorgten dafür, dass der Erfolg nicht nur anhält. Sondern die verkauften Stückzahlen permanent steigen.

Günther Uhlig zeigt in diesem Bild-/Textband nicht nur die ganze Entwicklungsgeschichte der verschiedenen Vespa-Modelle, Sonderausführungen etc. auf. Alles natürlich reichlich bebildert. Einschliesslich Detailaufnahmen technischer oder auch optischer Leckerbissen, verschiedener 'Armaturenbretter', technischer Zeichnungen etc.
Das eine oder andere Foto der Marketingmassnahmen sprich Werbematerial, Tabellen von technischen Daten runden das Ganze ab.

Die optisch doch sehr gewöhnungsbedürftige Piaggio MP3, dieses Ding mit zwei Vorderrädern, zwischen rund 7.300,00 und knapp 11.500,00 Euronen teuer lässt der Autor aussen vor.
Wenn schon so viel Geld in eine Vespa investiert werden soll, dann doch lieber gleich nochmal ein paar Tausender drauflegen und für 18.000,00 Euro die von Christian Dior gestylte Vespa erwerben. Dann bleibt man auf jeden Fall bei der Ikone.
Ob bei dem Preis der Christian Dior veredelte Helm, Einkaufstasche und Heckkoffer dabei ist, darüber schweigt sich der Autor aus.

Bewertung vom 09.11.2021
RIDE - Motorrad unterwegs, No. 10

RIDE - Motorrad unterwegs, No. 10


ausgezeichnet

... nicht nur für Moped-Fahrer!

Vor drei, vier Jahren per Flieger nach Olbia und anstatt des im Voraus gebuchten Fiat 500 irgend so eine Golf-vergleichbare Gurke von Chevrolet bekommen. Ärger!
Am Fährehafen von Olbia hatte ich dann mitbekommen, wie eine Fähre rudelweise Mopeds ausgespuckt hat. Großes Fragezeichen, was wollen die ganzen Mopedfahrer auf Sardinien??

Nach zwei Tagen Erkundung des Nordens dieser traumhaft schönen Insel war es ebenso klar wie die Sonne am strahlend blauen Himmel: die Italiener, Entschuldigung, die Sarden wissen einfach wie niemand anders. wie Straßen mit herrlich zu befahrenden Kurven gebaut werden. Nur toll. Und das trotz der Chevrolet-Gurke...

Wie muss das erst auf dem Motorrad sein. Wobei ich dieses Heft Nummer 10 zur Hand nehmen werde, wenn es im kommenden Sommer mit dem MX-5 auf die Insel geht.

Die wenn ich richtig gezählt habe sieben Touren auf Sizilien, dazu zwei Bonus-Touren durch das Sächsische Erzgebirge sind mit allem Drum und Dran bestens beschrieben. Für die sieben Touren, die sich dem Thema Sardinien widmen, stehen die zwischenzeitlich funktionierenden Dateien im GPX- und im PDF-Format auf der Internetseite des Verlages zur Verfügung. Für die GPX-Datei einfach Google Earth starten, Befehlsfolge "Datei - Öffnen..." anwählen, den Dateityp in dem daraufhin erscheinenden Dialogfenster unten rechts auf "GPS" ändern - Fertig.

Auch in der beiliegenden "Straßenkarte" sind die Touren deutlich erkennbar eingezeichnet. Mitsamt Markierungen für Unterkünfte, Ausflugsziele, Gastrotipps und Top-Streckenabschnitte. "Straßenkarte" steht in Gänsebeinen, denn es sind neben dem jeweiligen Streckenverlauf einer Tour nur die Hauptverbindungsstraßen eingezeichnet. Ohne Angabe der Straßennummer, ohne nichts. Wer beim abendlichen Glas sardischen Rotweins oder auch einer Flasche Ichnusa (sardische Brauerei, zur Heineken-Gruppe gehörend) den nächsten Tag streckenmäßig planen will, faltet am Besten die insgesamt fast zweieinhalb Quadratmeter große Karte von Sardinien des Österreichischen Kartenverlages freytag&berndt auseinander. Etwas unhandlich zugegebenermaßen. Aber bei dem Massstab 1:150.000 ist fast jeder Feldweg zu finden. Wie bei allen Karten von freytag&berndt, die in diesem Massstab angeboten werden.

Das Heft bietet ausser vielen schönen Farbaufnahmen auch ein paar Fakten zu Sardinien selbst. Es sind gastronomische Tipps zu finden. Hotels, lohnende Museen, Ausflüge etc. etc.

In dem Heft gibt es natürlich auch Werbeanzeigen. Knappe Tests von diversen Motorrädern: der Honda CBR 900 RR Fireblade SC 44, der Kawasaki Versys 650 Tourer, der Triumph Tiger 900 Rally Pro und viel ausführlicher der Harley Davidson Pan America 1250 Special. Ein paar Seiten sind auch der Bekleidung für Motorradfahrer gewidmet.

Moped fahren? Nichts für mich, obwohl es sicher einen Riesenspass macht. Ganz besonders mit diesem Heft Nummer 10 von Motorrad Unterwegs.
Im MX-5 macht es ganz bestimmt ebenso viel Spass. Denn Sardinien ist einfach sensationell schön. Mit eben diesem Heft kann man die Insel kennen lernen.

Bewertung vom 09.11.2021
Die Erfindung der Kontinente
Grataloup, Christian

Die Erfindung der Kontinente


ausgezeichnet

Das Europa-Zentrierte Weltbild oder auch die "Überheblichkeit Europas"

Der Bild-/Textband in hervorragender Druckqualität besticht zum Einen durch die Reproduktion zahlreicher 'Karten', Zeichnungen, Gemälde der Welt. So wie diese in der Vorstellung der Kirche in verschiedenen Jahrhunderten sein müsse. So wie sich diese durch den Einfluss, die Entdeckungen neuer Regionen in Nord- und Südamerika, in Asien und Afrika geändert, erweitert haben.

Teilweise werden auch Imaginationen der damaligen Zeit vorgestellt. Beispielsweise auf der Doppelseite 218/219 eine von dem italienischen Kartographen Battista Agnese im Jahr 1550 erstellte Karte des damals nahezu völlig unbekannten Afrikas. Da von Afrika durch die Afrikaumrundung Vasco de Gamas faktisch nur die Küstenlinien des Kontinentes bekannt waren, wurde das Inland in völliger Unkenntnis mit viel Phantasie von Bergen, Seen, Flüssen und Völkern ausgeschmückt.

Mit einem hohen Maß an Ironie liesse sich in der von Walter Crane, einem britischen Illustrator 1886 gefertigten Karte des Britischen Empires die Illusion der Brexiteers erkennen: die Nationalallegorie (Nationalfigur) von Großbritannien, Britannia als Personalisierung und Verklärung des britischen Volkes und Gebiets nach griechisch-römischem Vorbild, zurückgehend auf Pallas Athene, Schutzgöttin des Stadtstaats Athen, ruht gelassen auf der Welt(kugel). Die Verherrlichung der britischen Imperialherrschaft.

In zahlreichen Abbildungen, ausgeschmückten zeitgenössischen Karten die Überhöhung Europäischer Staaten, Länder und Völker gegenüber allen Afrikanern, Asiaten und indigenen Völkern Amerikas.
"Zu allen Zeiten haben die Menschen geglaubt, dass sie besser als ihre Nachbarn sind." (Seite 186 in der Einleitung zum Kapitel "Wir und die anderen")

Wer seine Kenntnisse der Welt, so wie sie tatsächlich ist, gerne mit sachlichen Informationen erweitern möchte: im Anhang finden sich einige den Fakten entsprechende Karten der lithosphärischen Platten mit eingezeichneten aktiven Vulkanen an der Erdoberfläche und auch unter dem Meeresspiegel. Karten der Entdeckungsfahrten und Reisen der Europäer, der im Laufe der Jahrzehnte erfolgten Erkundung Afrikas, der Antarktis, des Pazifiks und so weiter.

Bewertung vom 08.11.2021
Das Dritte Reich und seine Verschwörungstheorien
Evans, Richard J.

Das Dritte Reich und seine Verschwörungstheorien


ausgezeichnet

Cui bono? (Wem zum Vorteil?)

Diese erstmals bei Marcus Tullius Cicero. dem römischen Redner, Staatsmann und Philosophen nachweisbare Frage durchzieht die messerscharfen Analysen des britischen Historikers. Der sich schwerpunktmäßig mit der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts auseinander setzt.
Bekannt geworden ist Richard J. Evans durch den Prozess im Jahr 2000 um David Irving. Dieser hatte wissentlich unwahre Behauptungen über unumstößlich bewiesene historische Fakten wie die Opferzahlen bei der Bombardierung Dresdens in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 oder den Holocaust aufgestellt.
In diesem Prozess trat Richard J. Evans als Gutachter auf und wies Irving nach, dass dessen Behauptungen gelogen, frei erfunden sind.

In diesem sehr lesenswerten Buch setzt sich der Historiker mir Verschwörungstheorien, deren Quellen, Arbeitsweisen, Methoden auseinander. Angefangen bei den vermeintlichen "Protokollen der Weisen von Zion", die in Bezug auf die industrialisierte Ermordung von Millionen Menschen eine wichtige Rolle zu spielen hatten über die von Ludendorff befeuert "Dolchstoßlegende", mit der er von seinen eigenen katastrophalen Fehlentscheidungen ablenkte, dem Reichstagsbrand 1933 bis hin zu Heß' Flug nach Schottland und der immer wieder aufgewärmten Mär, Hitler habe gar nicht Selbstmord begangen, sondern sei nach Südamerika geflohen.

Warum diese Verschwörungstheorien in der Welt verbreitet wurden, die Zielsetzungen dahinter - akribisch genau und auf 36 kleingedruckten Seiten Anmerkungen überprüfbar belegt, denen weitere 19 Seiten Bibliographie folgen.

Zudem schlägt Richard J. Evans auch den notwendigen Bogen zu den "alternativen Fakten", zu Querdenkern, zu dem in der Politik grassierenden Unwesen der Schönfärberei (massive finanzielle Verluste werden als 'Negativ-Gewinne' verkauft... Nur eines von zahllos möglichen Beispielen). Zur Pegida-Bewegung unter den An-Führer Lutz Bachmann hat der Historiker ebenso erhellendes zu sagen wie zu dem ehemaligen CSU-Landtagsvorsitzenden Alfred Seidl, der es als strammer Nazi immerhin bis zum Bayerischen Innenminister brachte. In diesem Amt forderte er im Zusammenhang mit der Rote Armee Fraktion, das Verbot der Todesstrafe aus dem Grundgesetz zu entfernen und die Frage nach der Todesstrafe im Strafgesetzbuch zu regeln. Das war nicht in der Zeit des Dritten Reiches, es war 1977. Also zu einer Zeit, als das ‚Tausendjährige Reich‘ nach 12 Jahren Diktatur bereits seit 32 Jahren untergegangen war.

Zitat Seite 294f.
"Die Geschichte, die der Überlebensmythos [Hitlers; Anmerkung WS] bietet, ist, wenn man sie von allen Abweichungen der verschiedenen Varianten und Ableger befreit, einfach und leicht verständlich: Hitler starb nicht in dem Bunker in Berlin, sondern floh mit einem U-Boot nach Argentinien. Es ist eine Geschichte wie geschaffen fürs Internet. Der amerikanische Wissenschaftsjournalist Nicholas Carr hat jüngst angemerkt, dass das Internet, indem es Informationen in kleine Stücke aufteilt, »oberflächliches Lesen, hastiges und zerstreutes Denken und flüchtiges Lernen« bewirke. Auf diese Weise fördere es die Verbreitung von Falschinformationen und halte Nutzer vom kritischen Schauen ab, da sie im Halbminutentakt von einer Website zur nächsten wechseln."

Da lässt sich nur noch mit großem Sarkasmus feststellen: Willkommen in der Blase...

Bewertung vom 01.11.2021
Österreich mit dem Wohnmobil
Berning, Torsten

Österreich mit dem Wohnmobil


ausgezeichnet

Auf 6 Touren Österreich kennen (und schätzen) lernen...

Die Touren haben eine Fahrtstrecke zwischen rund 280 und 580 km, die Reisedauer ist jeweils mit 4 bis t Tagen angegeben, Die Strecken(abschnitte) in einer kleinen eher symbolischen Karte mit Angabe der zu befahrenden Straße und Angabe der Distanzen von Station/Ortschaft zu Station/Ortschaft.
Im letzten Teil des jeweiligen Tourenvorschlags werden die in dem ebenfalls zu jeder Tour gehörenden Ausschnitt einer Straßenkarte deutlich eingezeichneten empfohlenen Camping- und Stellplätze vorgestellt. Mitsamt Adresse, Rufnummer, Internet-Adresse, Kosten, eventuellen Reduktionen für Mitglieder eines Camping-Clubs, die Möglichkeit, Hunde mitzubringen, Ausstattung etc.
In diesen mit 'Praktischen Hinweise' betitelten Abschnitten sind dann auch spezielle Informationen die die bereiste Region betreffen zu finden.
Die ganz Österreich betreffenden Infos von beispielsweise "Fernsehen", "Grillen", "No-Goes" bis "Wildcamping" bis "Zechpreller" sind im letzten Teil des WoMo-Führers zusammen gefasst.

Der einzige Wermutstropfen sin die in den Abschnitten "Praktische Hinweise" in Überzahl abgedruckten Fotos von Wohnmobilen auf einem Stellplatz... Wie das ausschaut, wird jeder WoMo-Besitzer wissen.

Ansonsten ist das Buch mit schönen Farbfotos die entsprechende Region betreffen illustriert. Die Texte sind angenehm zu lesen, informativ. Sie bieten auch Informationen darüber, was es zu erleben, zu besuchen gilt. Bei Tour 6 "Der Westen [...] Tirol und Vorarlberg" fehlt weder der Hinweis auf das naturgeschichtliche Museum inatura noch auf das Rolls Royce Museum in oder bei Dornbirn. Nur schade, dass der Hinweis auf den sehr schönen Bauernmarkt am den Samstagen, der in Dornbirn statt findet fehlt. Denn da kommen unter anderem die Wäldler Bauern und bieten ihre Produkte an. Für die Nicht-Ortskundigen Leser: 'Wäldler' werden die Bewohner des Bregenzer Waldes genannt.

Im Anhang befindet sich noch ein Straßenatlas im Massstab 1:350.000. In dem die sechs Touren deutlich erkennbar eingezeichnet sind. Ebenso wie die angegebenen Camping-/Stellplätze nochmals. Um die wenig bis gar nicht WoMo-geeigneten kleinen Pässe wie das Hahntennjoch vom Lechtal nach Imst schlägt der Autor Torsten Berning glücklicherweise einen Bogen.

Bewertung vom 24.10.2021
Die Achse des Scheiterns
Hermann, Rainer

Die Achse des Scheiterns


ausgezeichnet

Es wird noch Einiges, zahlenmäßig Großartiges auf Europa zukommen...

'Arabischer Frühling'? Mit welcher Ignoranz wurde über diese Zeit in Nordafrika in den Nachrichten nahezu täglich berichtet. Algerien, Tunesien, Libyen, der Tahir-Platz in Kairo, wer entsinnt sich nicht an diese Bilder?

Über die Auslöser dieser 'Revolten', deren Ursachen und auch deren bis zum heutigen Tag feststellbaren Folgen schreibt Rainer Hermann fundiert, nachvollziehbar, belegt auf 16 Seiten Quellenangaben sowie acht Seiten Literaturverzeichnis.

"Libyen ist der gescheiterte Staat, der Europa am nächsten liegt. Die Nato-Mitglieder Frankreich, USA und Großbritannien hatten 2011 mit ihrer Intervention den Sturz des Langzeitherrschers Gaddafi ermöglicht. Sie kümmerten sich danach aber nicht um die Neuordnung des Landes. [...] Milizen füllten das Vakuum, externe Akteure schickten Waffen und Söldner, der Islamische Staat setzte sich vorübergehend fest, und Flüchtlinge aus Afrika gelangten nahezu ungehindert an die Mittelmeerküste, von wo Schleuser sie nach Europa brachten." (Seite 97)

"Die Muslime beteten weiter auf Arabisch, Frankreich ernannte jedoch die Imame, und an den Schulen ersetzte Französisch Arabisch als Unterrichtssprache. [...] 944 waren von den 6500 Grundschulen lediglich tausend für 108 000 algerische Kinder ausgewiesen. Selbst noch 1954 besuchten nur sieben Prozent der algerischen Kinder eine Schule." (S. 159)

"In den von Frankreich beherrschten Maghrebstaaten wurden der Islam und die arabische Sprache zwar gleichermaßen unterdrückt. [...] Die Erklärung vom 4. April 1944 war das politische Dokument für den Unabhängigkeitskrieg. [...] Frankreich reagierte mit großer Gewalt und Brutalität. Die Organisatoren der Kundgebungen wurden verhaftet, gedemütigt und gefoltert." (S. 162)

"Selbst wenn es gelingen sollte, alle Routen über das Mittelmeer zu kontrollieren, droht mit dem Bevölkerungswachstum Afrikas ein Migrationsdruck mit völlig neuen Dimensionen. Die Vereinten Nationen rechnen damit, dass sich die afrikanische Bevölkerung bis 2050 von 1,3 Milliarden auf 2,5 Milliarden fast verdoppelt und dass sie bis 2100 auf 4,3 Milliarden anwächst. Allein der Zuwachs von 3 Milliarden Menschen entspricht dem Fünffachen der für 2100 erwarteten Bevölkerung Europas, inklusive Russland." (S. 185)

"Heute ist der Fruchtbare Halbmond die am stärksten zerstörte Region des Nahen Ostens. Wo die arabische Hochkultur einst in ihrer Blüte gestanden hat, erstreckt sich heute ein Trümmerfeld, das in Teilen dem des Dreißigjährigen Krieges in Europa gleicht." (S. 201)

Der Autor schildert aber nicht nur die historischen Hintergründe und Ursachen für den maroden Zustand der meisten arabischen Staaten. Er geht ebenso fundiert auf die leise. still und heimlich durchgeführten Schritte der Volksrepublik China, nicht nur an der Nordküste Afrikas, sondern auf dem ganzen afrikanischen Kontinent, an den Mittelmeerküsten Südost-Europas an Einfluss zu gewinnen. Beispielsweise durch die Pacht oder gleich den Aufkauf ganzer Häfen.

Im letzten Kapitel mit dem Titel "Eine Denkaufgabe für Europa" widmet sich Rainer Hermann den Fragen und auch den möglichen Antworten darauf, wie Europa mit dem zu erwartenden Migrationsdruck umgehen soll, umgehen muss. Seine Gedanken hierzu sind alles andere als Abwehr, Stacheldrahtzäune, Mauern an den Grenzen errichten oder mit Kriegsschiffen Boote überfüllt mit Flüchtlingen am Betreten von EU-Mitgliedsstaaten zu hindern.

Eines sollte man beim Lesen des Buches stets im Hinterkopf halten: an den Zuständen in der Levante, im Nahe und Mittleren Osten, in den Maghrebstaaten, in Afrika haben die Staaten Europas eine gewaltige Portion Mitschuld. Stichwort Kolonialreiche. Der Reichtum Europas ist nicht zuletzt auf der gnadenlosen Ausplünderung dieser Regionen begründet.

Bewertung vom 04.10.2021
Geisterfahrer / Gesellschaft für unkonventionelle Maßnahmen Bd.2
Opoczynski, Michael

Geisterfahrer / Gesellschaft für unkonventionelle Maßnahmen Bd.2


ausgezeichnet

Geschickt und nahtlos verwobene Handlungsstränge - von AddioPizzo bis VDA, KI etc.

Auch im zweiten Fall der 'Gesellschaft für unkonventionelle Maßnahmen' schimmern Fakten deutlich durch. Die durch Gesetzeslücken und findige Anwälte ermöglichten Schlupflöcher, durch die gar einige der extrem hoch bezahlten Manager der Autoindustrie einer ihren Taten entsprechenden Strafe entkommen können.

Zitat Seite 204:
"»Dann sprich mir nach: Unsere Kunden können ab sofort die Betrugsautos zurück geben und den vollen Kaufpreis zurückverlangen!«
»Das ist Erpressung!«
»Nein, dir kommt das nur so vor, weil du selbst ein Betrüger bist. Was wir verlangen, ist ein ganz normales Verhalten anständiger Geschäftsleute. Es nennt sich Loyalität dem Kunden gegenüber!«"

Wer bei dem Zitat noch nicht drauf gekommen sein sollte: es geht um einen der Top-Manager eines Automobilkonzerns mit Hauptsitz in einer niedersächsischen Provinzstadt...
Wobei die Risiken, die mit dem fälschlicherweise so viel beschworenen autonomen Fahren und der künstlichen Intelligenz verbunden sind, plastisch beschrieben werden.

Natürlich geht es ebenso schwerpunktmäßig um den Widerstand der Berliner Pizzeria-Welt gegen die getarnten Schutzgelderpressungen der Mafia. Stichworte hier AddioPizzo, der 2004 in Palermo gegründeten Anti-Mafia-Bewegung. Wer den bei dtv erschienenen Titel "Agromafia" gelesen hat, wird auch sofort mit dem Ortsnamen Lecce etwas anfangen können.

Sein ganzes Hintergrundwissen, welches er in seinem zweiten Buch immer wieder aufblitzen lässt, hat sich Michael Opczynski als jahrelanger Moderator der zdf-Wirtschaftssendung 'wiso' aneignen können.

Komplettiert wird das ganze durch herausragende Recherche: die Parkanlagen, die Straßennamen, italienischen Autobahnen, Berliner U-Bahnstationen, von den Protagonisten besuchte Cafés - es stimmt einfach (fast) alles. Einen kleineren Irrtum habe ich finden können: von den beschriebenen Geschäftsräumen der 'Gesellschaft für unkonventionelle Maßnahmen' zum Schlossgarten Schönhausen sind es laut Google Maps nicht ein paar Schritte, sondern knapp zwei Kilometer...
Das Café Grosz befindet oder besser befand sich in der Tat am Kurfürstendamm, genau gesagt unter der Hausnummer 193, die Austernbar in der Lebensmittel-, besser gesagt der Delikatessenabteilung des KaDeWe sieht wirklich so aus und so weiter...

Auf jeden Fall macht es ausgesprochenen Spass, Fall Nummer Zwei zu lesen.

Bewertung vom 04.10.2021
WhatsApp
Heiting, Mareile

WhatsApp


ausgezeichnet

Auch für WhatsApp-User, die meinen schon alles zu kennen, nützlich

Wie bei keine Ahnung wieviel Millionen Anwendern auch ist WhatsApp auf meinem Android-Smartphone installiert.
Wie Millionen andere Anwender auch nutze ich WhatsApp seit Jahren, auch mit 'Umzug' auf ein neues Smartphone. Wie dieser zu bewerkstelligen ist, wird im Übrigen auf den Seiten 146 ff. ausführlich beschrieben. Einschliesslich der Info, wie eine neue Mobilfunknummer gehandhabt wird ohne alle bisherigen Whatse zu verlieren.

Aber trotz der jahrelangen Nutzung von WhatsApp war einiges an bisher unbekannten Möglichkeiten zu erfahren. Beispielsweise das 'Dekorieren' erstellter Fotos mit nachträglich 'eingebauten' Smileys...
Und noch Einiges mehr.

Die Autorin schreibt in einem gut verständlichen Stil. Fast alles wird mit kommentierten Abbildungen erläutert.

Die 9,90 € Investition werden den Wenigsten Schmerzen bereiten. Sie lohnen sich aber.

Bewertung vom 27.09.2021
Schmerzensgeld / Gesellschaft für unkonventionelle Maßnahmen Bd.1
Opoczynski, Michael

Schmerzensgeld / Gesellschaft für unkonventionelle Maßnahmen Bd.1


ausgezeichnet

H. Koppers 'Peanuts', der grinsende J. Ackermann mit dem 'Victors'-Zeichen, beide Deutsche Bank...

Wer erinnert sich nicht daran. Oder wie wäre es mit den Verwicklungen im Rahmen für dubiose Kredit-Gewährung an den ehemaligen POTUS Donald Trump? Oder mit dem Ruinieren des Kirch'schen Medien-Imperiums? Oder, oder, oder...
Wobei die Deutsche Bank nur eines von vielen, sehr vielen möglichen Beispielen ist.

Auf der anderen Seite die Unmenge an betrogenen Normal-Bürgern, denen mit falschen Versprechungen sagenhafter Rendite das mühsam ersparte oder zu teuren Kredit-Konditionen erhaltene Geld für Schrott-Immobilien aus der Tasche gezogen wurde?

Nach einem vorübergehenden Abflauen dieser Betrugsmasche steigt diese in letzter Zeit wieder an. Mit dem Argument, dass die staatlich garantierte Rente im Alter nicht ausreichen wird. Und auch die Kapital-Lebensversicherungen können keine garantierte Rendite mehr bringen.

Da lässt sich nur ein wundervoll zutreffendes Zitat von Bert Brecht anbringen:

„Bankraub: eine Initiative von Dilettanten. Wahre Profis gründen eine Bank.“

Genau um diesen Themenkomplex kümmert sich die von Michael Opoczynski erdachte "Gesellschaft für unkonventionelle Maßnahmen". Die Vereinigung der Protagonisten, IT-Spezialist, Finanzberaterin (auf der Seite der Normal-Bürger stehend), türkischstämmiger Lebensmittelhändler, ehemaliger LKA-Mitarbeiter etc. sorgen dafür, das ein Dr. Wilhelm von Tretter, ehedem Banken-Berater, sein in Form diverser Luxus-Anwesen angelegtes Vermögen verliert. Die Handlungsnebenstränge wie fingierte Autounfälle fügen sich nahtlos in die ganze Handlung ein.

Alle Schauplätze, die in dem Roman vorkommen, wurden von Michael Opoczynski genau recherchiert. Sie werden genau so geschildert, wie sie sich in der Realität zeigen. Sei es das Bistro '3 minutes sur mer" in der Torstraße Berlin, sei es die von Barcelona nach Palma de Mallorca übersetzende Fähre 'Abel Matutes' (Seite 172), sei es der 'Dagger Complex' bei Darmstadt (S. 181).

Der Schreib- und Erzählstil des Autoren ist lebendig, unterhaltsam, realistisch nachvollziehbar. Beispiel von Seite 117: "Sie betraten einen Raum, den ein Architekt vor fünfzig Jahren mit dem Wort »Kinderzimmer« belegt hatte. So bezeichneten die Bauträger ganz kühl den jeweils kleinsten Raum in kleinen Wohnungen: eine Zelle für das Kind."

Der unkonventionelle Krimi Nummer Eins über die "Gesellschaft für unkonventionelle Maßnahmen" macht Spaß. Und nennt das Kind, nein, die Kinder, also die Missstände beim Namen. Was ich nicht herausfinden konnte, um welches Finanzinstitut es sich bei der 'Stadtbank' handelt. Es kommen viele in Betracht. Wer mit besagtem 'Dr. Wilhelm von Tretter' gemeint ist, war auch nicht konkret zu ermitteln. Da kommen noch viel mehr Personen in Betracht...

Da muss wirklich noch einmal Bert Brechts Zitat herhalten:

"Bankraub: eine Initiative von Dilettanten.
Wahre Profis gründen eine Bank."