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Top-Rezensenten Übersicht

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Lesendes Federvieh
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München
Über mich: 
Hinter dem Namen Lesendes Federvieh verbirgt sich das Blogger-Duo kathiduck und Zwerghuhn. Wir lesen querbeet alles, was uns zwischen die Finger kommt und veröffentlichen die Rezensionen dazu auf unserem Blog (lesendes-federvieh.de). Dort gibt es übrigens noch viele weitere Beiträge rund ums Thema Buch. :)

Bewertungen

Insgesamt 539 Bewertungen
Bewertung vom 01.10.2020
Herzfaden
Hettche, Thomas

Herzfaden


ausgezeichnet

Die Augsburger Puppenkiste ist eine Institution in Deutschland. Groß und Klein gleichermaßen sind von den Stücken begeistert, die im Marionettentheater aufgeführt werden. Thomas Hettche erzählt nun die Geschichte dieser außergewöhnlichen Bühne...

Dabei ist man von Anfang an umwoben von der Magie der Puppen, denn im ersten Erzählstrang verirrt sich ein kleines Mädchen, das zuvor eine Vorstellung besucht hatte, auf den Dachboden des Theaters. Dort taucht sie ein in die Zauberwelt von Hatü und ihren wundervollen Marionetten. Man erlebt mit ihr das Urmel aus dem Eis, Jim Knopf, Prinzessin Li Si und viele andere unverwechselbare Charaktere, ein Karussell voller Erinnerungen an unvergessliche Theater- und Ferseherlebnisse beginnt sich zu drehen.

Genau vor diesem Hintergrund erzählt der Autor abwechselnd im zweiten Erzählstrang die spannende Geschichte einer Familie, denen das Theater im Blut liegt. Er schildert die Schwierigkeiten in Zeiten des Zweiten Weltkrieges und noch lange danach so anschaulich wie in einem Film, man ist bei Familie Oehmichen einfach direkt mit dabei. Man spürt den Enthusiasmus und Zusammenhalt der ganzen Familie, das Improvisationstalent und das künstlerische Gespür, um den Traum ihrer Puppenkiste wahr werden zu lassen.

Durch die Verknüpfung der beiden Erzählstränge bleiben die hölzernen Figuren herrlich lebendig, ich konnte immer besser nachvollziehen, wieviel Herzblut von Walter Oehmichen und Hatü in der Schaffung der Marionetten steckt. Ich habe mitgelitten, mitgefiebert und mich gefreut, wenn es wieder einen Schritt weiter zur Realisierung der Augsburger Puppenkiste ging. Ich bin nicht nur ein großer Fan von Urmel & Co., sondern auch einer dieses Buches, das dem Leser auf lockere, poetische und fantasievolle Weise die Magie dieser Institution nahebringt. Und zugleich einen authentischen Einblick in ein Stück Zeitgeschichte ermöglicht. Einfach großartig.

Fazit: Nicht nur für Fans der Augsburger Puppenkiste ein absolutes Muss

Bewertung vom 01.10.2020
1000 Serpentinen Angst
Wenzel, Olivia

1000 Serpentinen Angst


sehr gut

Die Ich-Erzählerin beobachtet ganz genau, was in unserer Zeit so alles passiert - und schief läuft. Sie erzählt dabei ihre Familiengeschichte, von ihrer Mutter, die es in der DDR wagte, als Punkerin zu leben, von ihrer linientreuen Großmutter und von ihren eigenen Erfahrungen als Mädchen und junger Frau, die wegen ihrer Hautfarbe schon früh Ausgrenzung erlebte...

Olivia Wenzel zeichnet in ihrem Debütroman „1000 Serpentinen Angst“ ein starkes, mehr als nachdenklich machendes Porträt unserer Gesellschaft. Sie beschäftigt sich mit einer Fülle wichtiger Themen wie Ausgrenzung, Rassismus, Herkunft und Verlust, DDR, innere Zerrissenheit und vieles mehr, über das es wirklich lohnt sich Gedanken zu machen. Sie schreibt schonungslos wie es ist und sich anfühlt, wenn man bereits als Kind wegen seiner Hautfarbe ausgegrenzt wird und welche Folgen daraus entstehen können. Man begleitet die Ich-Erzählerin auf ihrem Weg hin zu ihren eigenen Wurzeln.

Diese Begleitung und Aufarbeitung aus Erlebtem in der Vergangenheit und der Gegenwart erfolgt jedoch auf eine für mich völlig neue unkonventionelle Art und Weise, denn der Schreibstil der Autorin ist schon sehr speziell.

Sie schreibt rasant, es gibt keine Chronologie, stattdessen springt sie immer wieder hin und her, wechselt zwischen Dialogen und „normalen“ Erzählpassagen. Das ist mitunter doch anstrengend zu lesen. Prinzipiell hat mir diese fordernde Erzählweise sehr gut gefallen, denn man wird dadurch gezwungen sich ganz auf die Protagonistin einzulassen und so wirken ihre Erlebnisse noch stärker, jedenfalls bei mir. Das Buch ist gespickt mit klugen Gedanken, da bleibt ordentlich Potential, um weit über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Zum Ende des Buches wurde mir dieser unkonventionelle Schreibstil etwas zu viel, denn ich musste aufpassen, mich im Dschungel der Fragmente nicht zu verlieren.

Nichtsdestotrotz finde ich dieses sprachliche Experiment super, es ist etwas Neues, man muss sich einfach darauf einlassen und die eine oder andere Seite eben nochmal lesen. Insgesamt hat Olivia Wenzel ein Buch geschaffen, das man sicher nicht so schnell vergisst, nicht nur weil es so anders formuliert ist, sondern auch, weil es voller wertvoller Botschaften steckt. Für mich steht es vollkommen verdient auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2020.

Fazit: Unkonventionell von der ersten bis zur letzten Seite

Bewertung vom 01.10.2020
Das Palais muss brennen
Spannagel, Mercedes

Das Palais muss brennen


sehr gut

Luise ist die aufmüpfige Tochter der rechtskonservativen Bundespräsidentin Österreichs. Sie kauft sich einen Mops, als ihre Mutter den neunten Windhund ins Palais bringt. Sie wirft die Waffen der erlauchten Jagdgesellschaft in den Pool und bietet ihrer Mutter auch sonst die Stirn. Zusammen mit ihren Freunden plant sie eine Kunstaktion auf dem Wiener Opernball, um die politische Landschaft zu verändern. Doch Pläne sind eben nur Pläne, die Realität jedoch hat schon manchen kalt erwischt...

In ihrem umwerfenden Debütroman "Das Palais muss brennen" hält Mercedes Spannagel der korrupten rechten Elite den Spiegel vors Gesicht. Sie analysiert dabei messerscharf unsere Gesellschaft und nimmt kein Blatt vor den Mund. Witzig, sarkastisch und frech schreibt sie über das Auflehnen der jungen Erwachsenen in einer Gesellschaft, die man guten Gewissens gespalten nennen darf.

Mit genialen, teils bitterbösen Dialogen, glasklar skizzierten Charakteren und einem Gespür für Situationskomik rüttelt sie den Leser auf, genau hinzusehen und nachzudenken, wie es in unserer heutigen Zeit wirklich so läuft. Mit ihrem unglaublichen Sprachwitz, einer Geschichte, die aktueller nicht sein könnte und einer ordentlichen Prise schwarzem Humor war dieser Roman für mich ein wahres Lesevergnügen, erfrischend anders und einfach gut. Nominiert für den Österreichischen Buchpreis 2020.

Fazit: Erfrischendes, rasantes Debüt

Bewertung vom 25.09.2020
Grandhotel Schwarzenberg - Der Weg des Schicksals / Die Geschichte einer Familiendynastie Bd.1
Oliver, Sophie

Grandhotel Schwarzenberg - Der Weg des Schicksals / Die Geschichte einer Familiendynastie Bd.1


sehr gut

Bad Reichenhall im Jahr 1905, einem exklusiven bayerischen Kurort. Dort lebt Anna Gmeiner mit ihrem Vater und Bruder in ärmlichen Verhältnissen. Die Familie ist von Schicksalsschlägen gebeutelt, um so glücklicher ist Anna als sie im jungen Salzsieder Michael den Mann fürs Leben findet. Doch das Schicksal schlägt erneut zu und verhindert ihre Hochzeit. Michael versucht sein Glück in Amerika und Anna bleibt nichts anderes übrig als einen anderen Mann zu heiraten. Von nun an muss sie sich in der Bad Reichenhaller Gesellschaft behaupten. Eine fesselnde Familiengeschichte nimmt ihren Anfang...

Bisher kannte ich nur die spannenden viktorianischen Krimis mit den Ermittlern des Sebastian Clubs, die Sophie Oliver grandios erschaffen hat. Mittlerweile bin ich ein riesiger Fan dieser Krimireihe. Doch auch mit ihrer Familiensaga "Grandhotel Schwarzenberg - Der Weg des Schicksals" konnte sie mich vollkommen überzeugen.

Sie entführt ihre Leser nach Bad Reichenhall zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dort erzählt sie die spannende Geschichte von Anna Gmeiner, die sich von ganz unten hochkämpfen muss. Wie bei der Autorin nicht anders zu erwarten, sind auch hier alle historischen Fakten perfekt recherchiert. Es ist interessant und gleichzeitig spannend zu lesen, wie unterschiedlich und entbehrungsreich die Lebensbedingungen zu dieser Zeit waren. Man ist in Bad Reichenhall dabei, sieht die feinen Damen in ihren schönen Kleidern im Kurpark flanieren während in den Herrenhäusern die zahlreichen Dienstboten von früh bis spät für einen Hungerlohn schufteten. Gerade durch ihre authentischen Charaktere mit all ihren Facetten, seien es nun gute oder schlechte, verschafft sie der Geschichte eine Lebendigkeit, die für ein vergnügliches Leseerlebnis sorgen.

Diese bewegende Familensaga beweist schon im ersten Band ihr Suchtpotential, denn sie verbindet ein tolles historisches Setting, einen fesselnden Schreibstil und eine perfekte Kombination aus Liebesgeschichte und dramatischen Ereignissen.

Fazit: Spannende Lektüre rund ums Grandhotel Schwarzenberg

Bewertung vom 21.09.2020
NEBEL / HULDA Trilogie Bd.3 (eBook, ePUB)
Jónasson, Ragnar

NEBEL / HULDA Trilogie Bd.3 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Nach einem familiären Schicksalsschlag ist Kommissarin Hulda Hermansdóttir gerade an ihren Schreibtisch bei der Polizei Reykjavík zurückgekehrt, als sie von ihrem Chef mit einem besonders grauenvollen Fall betraut wird. Im Osten des Landes wurden in einem abgelegenen Bauernhaus mehrere Leichen gefunden, die dort schon einige Zeit unentdeckt lagen. Inmitten ihres persönlichen Albtraums ist es nun an Hulda aufzuklären, was sich an den Weihnachtsfeiertagen zugetragen hat, als das Bauernhaus durch einen Schneesturm vom Rest der Welt abgeschnitten war.

Nachdem mir die beiden ersten Bände der rückwärts erzählten Hulda-Trilogie, „DUNKEL“ und „INSEL“, bereits ausgesprochen gut gefallen haben, war ich nun umso neugieriger auf das Grand Final, in welchem Huldas tragischer Schicksalsschlag im Zentrum des Geschehens stehen sollte.

Hatte ich bei den vorherigen Teilen den abgeflachten Spannungsbogen bemängelt, so breitete sich hierbei in Windeseile eine eisige Gänsehaut über den gesamten Körper aus, die das gesamte Buch hindurch anhielt. Denn Ragnar Jónasson setzt mit seinem Thriller auf perfide Weise genau dort an, wo man die Wirkung besonders schmerzlich zu spüren bekommt: in der häuslichen Geborgenheit. Man wird Zeuge, wie ein Fremder inmitten eines Schneesturms kurz vor Weihnachten Zuflucht im abgelegenen Bauernhaus von Einar und Erna sucht, was sich für das Ehepaar bald als wahrgewordener Albtraum entpuppt, denn er verstrickt sich zunehmend in Lügen und schleicht mitten in der Nacht durch das Haus.

Mit rasendem Herzklopfen und stellenweiser Kurzatmigkeit sind die Seiten nur so dahingeflogen, gerade weil man aufgrund des Prologs schon erahnt, dass sich vor der Kulisse des heimeligen, heiligen Weihnachtsabends etwas Schreckliches zutragen wird. Gleichermaßen nervlich angespannt und beunruhigt habe ich die eingestreuten Szenen von Hulda gelesen, denn aufgrund der rückwärtigen Erzählweise der Trilogie weiß man ganz genau auf welchen abscheulichen Abgrund das persönliche Drama um ihre zunehmend schweigsame, zurückgezogene Tochter Dimma zurast. Jene Machtlosigkeit , die einen stellenweise frustriert aufschreien lässt, sorgt für zusätzliches Grauen.

Die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Rückwärtserzählens einer Thriller-Trilogie lässt sich nun abschließend in einfachen Worten beantworten: Es hat sich gelohnt. Von Langeweile ob der bekannten anstehenden Ereignisse war nichts zu spüren, vielmehr fühlt man sich der eigenwilligen Protagonistin Hulda dadurch noch näher, weil man genau weiß wie sie zu der Person wurde, die sie nun ist, ohne dass sie es zu diesem Zeitpunkt selbst begreift. Mit „NEBEL“ geht eine grandiose Reihe zu Ende, die mich in ihrer Eindringlichkeit noch lange beschäftigen wird.

Nach „DUNKEL“ und „INSEL“ hat Ragnar Jónasson mit dem unfassbar spannenden wie gruseligen „NEBEL“ ein furioses Finale hingelegt, welches einen würdigen Abschluss für die absolut lesenswerte Hulda-Trilogie bildet und genau dort ansetzt, wo es besonders schmerzlich ist: in der heimeligen Geborgenheit.

Bewertung vom 19.09.2020
Mind Games / Augusta Bloom Bd.1
Deakin, Leona

Mind Games / Augusta Bloom Bd.1


sehr gut

Zu ihrem Geburtstag erhalten vier Menschen anonym eine Karte mit der Nachricht „Dein Geschenk ist das Spiel – traust du dich zu spielen?“. Kurz darauf verschwinden sie spurlos. Nachdem die Polizei in dieser Sache aus Mangel an Beweisen untätig bleibt, wendet sich die Tochter einer Verschwundenen an die Psychologin und Privatdetektivin Dr. Augusta Bloom. Gemeinsam mit ihrem Partner, dem Ex-Geheimdienstagenten Marcus Jameson, beginnt sie zu ermitteln und stößt bei der Analyse der Lebensläufe auf eine fatale Gemeinsamkeit: Alle Vermissten hatten eine dunkle Seite und jemand nutzt dieses Gewaltpotenzial nun für seine Zwecke aus. Die Ereignisse beginnen sich zu überschlagen, als der Täter Dr. Augusta Bloom ins Visier nimmt und sie zu einem tödlichen Spiel herausfordert.

Spätestens seit „Criminal Minds“ und Chris Carters Hunter & Garcia ist das Profiling nicht mehr aus modernen Thrillern wegzudenken, weshalb ich besonders neugierig auf den Reihenauftakt um die Londoner Profilerin Dr. Augusta Bloom war. „Mind Games“ ist psychologisch faszinierend, spannend und doch wurde in meinen Augen nicht das gesamte Potenzial ausgeschöpft.

Unversehens findet man sich mitten im Geschehen, als die junge äußerlich so unschuldige Seraphine mit dem Läuten der Schulglocke den Bleistift fallen lässt. Was auf den ersten Blick recht harmlos klingt, entpuppt sich mit dem nächsten Satz als wahrgewordener Albtraum. Denn zuvor hatte sie jenen Bleistift in den Hals des Hausmeisters gerammt, vorsätzlich wie ohne den Hauch eines schlechten Gewissen. Diese Szenerie gibt bereits Einblicke, in die Abscheulichkeiten, die man auf den nächsten Seiten zu erwarten hat, denn Leona Deakin widmet sich eingehend der abgründigen Psyche von Menschen mit psychopathischen Tendenzen und ausgeprägter Gewaltbereitschaft.

Zum einen geschieht dies über die psychotherapeutischen Stunden mit Seraphine Walker, zum anderen über das Spiel, welches das Gewaltpotenzial seiner Opfer ausnutzt. Beides sorgt gleichermaßen für Gänsehaut, wenngleich ich mir mehr Einblicke in die Aufgaben und Gedanken der Teilnehmer selbst gewünscht hätte. Die verbindende Schnittstelle ist Dr. Augusta Bloom selbst. Sie ist effizient, intelligent und doch irgendwie speziell, schwer greifbar und absolut undurchschaubar, was einen gewissen Reiz ausmacht und gleichzeitig für eine unüberwindbare Distanziertheit sorgt.

Durch den Wechsel der Erzählperspektiven gewinnt die Handlung an Reichhaltigkeit und bekommt zudem gerade in den stockenden Ermittlungsmomenten ein wenig Spannung verliehen, was den Lesefluss obendrein fördert. Obgleich manches vorhersehbar war, so stand ich doch bis zum Ende auf dem Schlauch und fand die abschließende Enthüllung ziemlich gelungen.

„Mind Games: Dieses Spiel wirst du verlieren“ ist der gelungene Auftakt einer Serie um die eigenwillige Londoner Profilerin Dr. Augusta Bloom, welcher besonders durch die lehrreichen Einblicke in die forensische Psychologie beeindruckt.

Bewertung vom 17.09.2020
Im Bauch der Königin
Taha, Karosh

Im Bauch der Königin


sehr gut

Die alleinerziehende Shahira kümmert sich nicht um die Regeln der kurdischen Gemeinschaft. Von Monogamie hält sie nichts und die begierigen wie abwertenden Blicke, die sie durch ihre freizügige Kleidungswahl auf sich zieht, beachtet sie kaum. Amal und Raffiq, die Freunde ihres Sohnes Younes, betrachten sie gleichermaßen mit Faszination wie Abneigung, bewundern sie für ihre Kompromisslosigkeit und den Umgang mit Sexualität, wenngleich sie ihr Verhalten Younes gegenüber missbilligen. Durch Shahiras Andersartigkeit werden Amal, Raffiq und Younes mit ihren eigenen Sehnsüchten, Vorurteilen und Entscheidungen konfrontiert, die sie für ihre jeweilige Zukunft treffen müssen.

Auf der Suche nach neuen, innovativen und vor allem mitreißenden Geschichten bin ich durch zahlreiche enthusiastische Besprechungen auf Karosh Tahas "Im Bauch der Königin" gestoßen, das mich gerade aufgrund der Aufmachung als Wendebuch angezogen hat. Nach anfänglicher Entscheidungsschwierigkeit habe ich Raffiqs Geschichte als Beginn gewählt und bin sogleich in diese eindringliche Erzählung zwischen Identität, der Stellung der Frau in einer deutsch-kurdischen Gesellschaft und dem Verlassenwerden durch den Vater abgetaucht.

Die wahre Genialität des Buches entfaltet sich jedoch erst, sobald man erste Einblicke in die zweite Perspektive gewonnen hat. Meine anfängliche Irritation über die Charaktere, welche die gleichen Namen tragen sich aber dennoch teils eklatant voneinander unterscheiden, schlug bald in Faszination um. Man gewinnt Einblicke in zwei Wahrheiten einer Geschichte, die ähnlich eines Paralleluniversums koexistieren. Es ist beinahe so, als handele sich dabei um ein Märchen von Shahrasad aus 1001 Nacht, das sich verändert, je häufiger es weitererzählt wird, im Kern jedoch stets unveränderlich bleibt: Shahira wird als personifizierte Sünde skizziert, die Männer begehren sie, die Frauen wären gerne wie sie.

Faszinierenderweise entwickelt sich durch beide Versionen der Geschichte ein klares Bild von Shahira, obgleich der Zugang zu ihrem Innenleben durch die Wahl der Erzählperspektiven verwehrt bleibt. Wie bereits in den ersten Sätzen deutlich wird, spiegelt sich die Gegenläufigkeit dieser zwei Wahrheiten zudem in den unterschiedlichen Stilen wider. Raffiq erzählt geradliniger, wirkt beinahe so als würde er in seinem Weitblick über den Dingen und Menschen des Viertels schweben, wohingegen Amal fließende Gedanken lose aneinanderreiht und vielmehr einen inneren Kampf austrägt, der sich als dunkler, melancholischer Filter über die Geschehnisse zu legen scheint.

Was beide Varianten weiterhin gemein haben, ist die Suche nach der Zugehörigkeit, die Frage nach der Ursache des Verlassenwerdens durch den Vater, wenngleich in unterschiedlichen Konstellationen, verschwimmenden Grenzen und spürbarer Ablehnung. Jenes Facettenreichtum der Erzählung finde ich besonders beeindruckend, denn Karosh Taha gelingt es spielerisch zahlreiche Gedankenanstöße einzuflechten ohne oberflächlich mokierend zu wirken. Vielmehr gibt sie wichtige Anklänge zum Nachdenken, was beispielsweise die Stellung der Frau, das Ausleben von Sexualität und Ausgrenzung betrifft.

"Im Bauch der Königin" ist zweifelsohne eine Lektüre, die in ihrer Andersartigkeit, ihrer Gedankenvielfalt sowie der Unzuverlässigkeit ihrer Erzähler nachhallt und dabei sprachlich große Freude bereitet.

Bewertung vom 14.09.2020
Wild Flower - Die Gesetzlose / The Good Luck Girls Bd.1
Davis, Charlotte Nicole

Wild Flower - Die Gesetzlose / The Good Luck Girls Bd.1


sehr gut

Aster und ihre jüngere Schwester Clementine leben unter der Fittiche der zwielichtigen Madame Fleur in Green Creek, einem Ort inmitten einer rauen Wildnis voller gefährlicher Gestalten. Die Dame des Hauses brandmarkt junge Frauen mit einem magischen Blumentattoo, verkauft sie Nacht für Nacht an zahlende Männer und flößt ihnen regelmäßig die Droge Süßdistel ein, um sie gefügig zu machen. Aster konnte sich ihren freien Willen bewahren und versucht um jeden Preis ihre jüngere Schwester zu schützen. Als diese jedoch in ihrer Glücksnacht aus Versehen einen namhaften Freier umbringt, müssen die beiden in die Wildnis fliehen und zu Gesetzlosen werden, denn ansonsten droht Clem der sichere Tod. Auf ihre Spuren heften sich allerdings nicht nur die lebenden, sondern auch die toten Männer auf der Suche nach Vergeltung.

Normalerweise mache ich einen großen Bogen um die Fantasyecke, doch nach einiger Zeit hatte ich mal wieder Lust auf eine mitreißende Dystopie. Wenngleich mir das Cover von „Wild Flower – Die Gestzlose“ im Gegenteil zur Originalausgabe überhaupt nicht zugesagt hat, so hat die Geschichte selbst diesen Eindruck allemal wettgemacht.

Charlotte Nicole Davis zeichnet ein dystopisches Szenario, das einige fantastische Elemente enthält, jedoch grundlegend auf der in Amerika jahrelang stattgefundenen sexuellen Sklaverei und Ausbeutung von jungen schwarzen Frauen basiert. Es ist gleichermaßen eine aufrüttelnde Erzählung über Female Empowerment wie auch ein mutiges Streben nach Freiheit und Selbstbestimmtheit, das durch Temporeichtum, jede Menge Action und vor allem mit einer knallharten Heldin beeindruckt.

Auf der Flucht durch die Wildnis mitsamt ihrer drohenden Gefahren ist Aster die unangefochtene Anführerin der neben ihrer Schwester aus drei weiteren Mädchen bestehenden Gruppe. Ihre Willensstärke wird bereits zu Beginn eindrücklich klar, da sie sich trotz der physischen wie psychischen Misshandlung nicht geschlagen gibt oder sich gar betäubt wie es die meisten Mädchen tun. Vielmehr gelingt es ihr, klare Worte für den Schrecken zu finden, der den Mädchen entgegen jeder Menschlichkeit angetan wird.

Doch nicht nur Aster erscheint dank der sprachlich großartigen Erzählweise authentisch echt. Jeder Nebencharakter bekommt eindrucksvoll Leben eingehaucht, sodass sich eine mitreißende Geschichte zwischen Leben und Tod sowie Vertrauen und Verrat entspinnt. Zudem habe ich es als angenehm erfrischend empfunden, dass die Liebesgeschichten lediglich Nebenrollen einnehmen anstelle das Geschehen zu dominieren.

„Wild Flower – Die Gesetzlose“ ist der Auftakt einer vielversprechenden dystopischen Reihe, welche mit einem beklemmenden Grundszenario, jeder Menge Action und ausdrucksstarken Charakteren die Frage nach Recht und Moral ergründet.

Bewertung vom 14.09.2020
Can you help me find you?
Parks, Amy Noelle

Can you help me find you?


sehr gut

Evie Beckham ist an der Newton Academy für Mathematik und Naturwissenschaften vollkommen mit ihrer Liebe zur Mathematik beschäftigt, an Jungs hat sie bis dahin kaum einen Gedanken verschwendet. Sie hat zahlreiche Ängste, doch in letzter Zeit fühlt sie sich immer mutiger, nicht zuletzt dank ihres besten Freundes Caleb, der insgeheim in Evie verliebt ist. Als aus Evies vorsichtigem Flirt mit Leo, dem Neuen an der Schule, mehr zu werden scheint, gibt Caleb sich online als geheimnisvoller Fremder aus, um Evie für sich zu gewinnen. Dummerweise geht sein Plan auf und Evie muss sich entscheiden, was sie wirklich will.

Wer Lust auf einen locker leichten Jugendroman mit besonderen Charakteren, einer Prise Humor und einer gehörigen Dosis Mathematik hat, der ist bei „Can you help me find you“ goldrichtig. Gerade die Mischung aus nerdy, bisschen kitschig, aber gleichzeitig zuckersüß macht unglaublich Spaß.

Evie ist ein Superhirn wie es im Buche steht, inklusive der Schwierigkeit emotionale Stimmungen wahrzunehmen und richtig einzuordnen, was sie bereits im normalen Alltag vor allerhand Probleme stellt und für Angstzustände sorgt. Angenehmerweise wird sie jedoch nicht als unbeholfene, unsichere Exotin dargestellt, sondern bekommt mit Caleb und Bex zwei starke Nebencharaktere an die Seite, die der Erzählung zusätzlich an Pfiffigkeit und Charme verleihen.

Neben der herzerwärmenden, amüsanten Dreiecks-Liebesgeschichte war mein Highlight jedoch die eingestreuten Erläuterungen mathematischer Zusammenhänge, die teils ziemlich in die Tiefe gehen. Für all diejenigen, die bei dem Wort „Mathe“ bereits Schnappatmung bekommen: Die Handlung lässt sich übrigens auch super mitverfolgen, wenn man die entsprechenden Passagen auslässt.

Bewertung vom 13.09.2020
Crazy in Love / Weston High Bd.1 (eBook, ePUB)
Winter, Emma

Crazy in Love / Weston High Bd.1 (eBook, ePUB)


weniger gut

Um sich ihren Traum eines Medizinstudiums an der renommierten Yale University zu erfüllen, wagt Sasha einen Neuanfang an einer privaten High School in Boston, ganze drei Zeitzonen und 3.000 Meilen von ihrer Mutter Bow und ihrer besten Freundin Lucy entfernt. Bei ihren reichen, elitären und arroganten Mitschülern eckt sie zunächst ziemlich an, doch um nicht völlig unterzugehen, sucht sie sich einen Job in einem Café. Deshalb ist sie alles andere als glücklich, als dort der angesagteste Typ der Weston High auftaucht und Zeit mit ihr verbringen möchte. Denn gute Noten stehen auf ihrer Prioritätenliste ganz oben, da kann sie es gar nicht gebrauchen sich zu verlieben.

Auf „Crazy in Love“ hatte ich mich wirklich gefreut, denn ich hatte Lust auf eine lockere, herzerwärmende Geschichte für zwischendurch. Leider war es aber überhaupt nicht mein Fall und bis dato die Enttäuschung des Jahres.

Die Erzählung ist eher seicht als leicht und wirkt wie ein blasses Abbild von Mona Kastens Maxton Hall Trilogie, das qualitativ eindeutig nicht mithalten kann. Gegen Klischees habe ich prinzipiell nichts einzuwenden, vorausgesetzt sie halten sich in Grenzen und reihen sich nicht ähnlich einer Perlenkette aneinander wie es hier der Fall ist. Selbst das typische weiblicher Nerd vs. heißer Typ fand ich noch nicht einmal schlimm, allerdings ist die Charakterzeichnung in meinen Augen ausgesprochen schwach. Größtenteils sind die Protagonisten schwer greifbar und handeln stellenweise irrational sprunghaft, was bei mir mehrmals für Irritation und Stirnrunzeln gesorgt hat.

Besonders die weibliche Protagonistin ist mir in ihrer grenzenlosen Naivität und Arroganz irgendwann so auf die Nerven gegangen, dass ich gefühlt permanent die Augen verdreht habe. Wenn sie tatsächlich so intelligent wäre, wie sie denkt zu sein, dann sollte sie einige Dinge vielleicht hinterfragen, bevor sie Menschen vorschnell verurteilt. Erst darf man seitenlanges Angeschmachte über „Ben hier, Ben da“ lesen, dann ist er plötzlich Staatsfeind Nr. 1 nur um nach tagelangem Ignorieren und ausführlicher Jammerei ihrerseits nach einigen tiefen Blicken doch wieder die große wahrhaftige Liebe zu sein. All das wiederholt sich gefühlt in einer Endlosschleife, was bereits nach dem ersten Mal furchtbar anstrengend zu lesen war und eher nach einem pubertierenden Teenager als nach der angeblich so reifen, klugen 17-Jährigen anmutet.

Zudem finde ich ihre Haltung gegenüber dem Medizinstudium ziemlich unmöglich, da sie es lediglich als notwendiges Übel sieht, um endlich im Labor arbeiten und die Forschungen ihres verstorbenen Vaters fortsetzen zu können. Auf die Behandlung von Patienten legt sie keinen Wert, wie sie sehr deutlich zum Ausdruck bringt, was mich gefühlt zur Weißglut getrieben hat. Allerdings bin ich diesbezüglich auch ein wenig vorbelastet, womöglich nehmen andere Leser daran keinen Anklang.

Selbst der Schreibstil konnte über die zahlreichen Schwachstellen nicht hinwegtäuschen, denn dieser ist ähnlich plump wie die Charaktere. Einige Konflikte ziehen sich durch die gesamte Geschichte, nur um sich urplötzlich mit einer ach so eleganten tatsächlich aber eher wenig authentischen Lösung in Luft aufzulösen. Mich hat bereits das ewige Hin und Her in diesem Buch gestört, dabei möchte ich mir gar nicht ausmalen, wie sich dies in Band zwei und drei fortsetzen wird.

Trotz anfänglicher Vorfreude und hübschem Cover ist „Crazy in Love“ in meinen Augen keine Leseempfehlung, vielmehr war es für mich bisher die Enttäuschung des Jahres, da mich weder die naive und egozentrische Protagonistin noch die gehaltlose Geschichte an sich überzeugen konnten.