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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 27.03.2008
Lulu, Die Büchse der Pandora
Wedekind, Frank

Lulu, Die Büchse der Pandora


ausgezeichnet

Natürlich ist es eine Männerphantasie, die sich dem Theater da öffnet und die auf tragische Weise ums Leben kommt. Doch entblößt sie nicht nur männliche Schwächen wie die der Begierde, des Verlangens, der Selbstaufgabe, dem Machtanspruch. Das Stück fasziniert vor allem, weil ihm kein fester moralischer Boden eingezogen ist. Der wird zumeist von außen erst hineingelesen. Durch alles weht die Sehnsucht nach grenzenloser Freiheit. Doch selbst die Revolution erfüllt sie einem nicht. Lulu tobt sich aus, wird eingefangen, zerbricht die Ketten und wird zerstört und vernichtet. Und so bleibt einem nach allen Wirren, die Erkenntnis, dass alles seinen Preis besitzt, dass wir ihn unter Umständen zu zahlen bereit sind. Taucht da nicht eine zutiefst moralische Keule auf? Bei schwächeren Autoren sicher. Wedekind jedoch läßt uns gebannt daran teilhaben, wie weit unsere Grenze gesteckt sind, wenn wir das Leben als Spiel auffassen, wie sehr wir unser eigenes Leben bestimmen können, auch wenn wir der Vorstellung, der Befriedigung anderer dienen. Lulu bleibt über ihren Tod hinaus das Sinnbild jeglicher Verführung, in der wir all das sehen wollen, was wir uns für uns wünschen. Lulu ist aber auch die Geschlagene, Erniedrigte, Gefangene, und jene, die die Männer in den Wahnsinn, in den Mord treibt. Wer mag so viel Schillerndes von sich behaupten können? Wedekind hat ihr eine Heimat geschenkt: die Bühne.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 27.03.2008
Yvonne, die Burgunderprinzessin
Gombrowicz, Witold

Yvonne, die Burgunderprinzessin


ausgezeichnet

Eine höfische Gesellschaft wird bloßgestellt. Es gibt einen König, eine Königin, einen Prinzen, Kammerherrn, Hofdamen und nichts funktioniert so elegant dramatisch wie zum Beispiel bei Shakespeare. Gombrowicz dreht das Rad der Farce, um zutiefst menschliche Eigenschaften ans Tageslicht zu zerren. Da wäre die Möglichkeit, eines Schwächeren sich zu bedienen, um über die eigenen Unzulänglichkeiten hinwegzutäuschen. Da wäre das Spiel auf Kosten anderer, die dem eigenen Amüsement dienen. Doch die Burgunderprinzessin Yvonne fällt aus dem Rahmen. Ihr Verstummen, ihre Widerborstigkeit passt sich nicht an. Und so rückt Gombrowicz das Außenseitertum in den Mittelpunkt, sorgt dafür, dass die angeblich Normalen an ihm zu zerbrechen drohen und es beseitigen wollen. Es darf nicht sein, was seinen Nutzen für die Gesellschaft nicht unter Beweis stellt. Ob höfisch oder nicht. Gombrowicz schafft es mit dem absurden Spiel der Überdrehung tiefe Verunsicherung herzustellen.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 26.03.2008
Rolling Thunder
Shepard, Sam

Rolling Thunder


schlecht

Selbst für Bob Dylan oder Sam Shepards Fans ist dieser Fotoband mit eingestreuten Kommentaren dürftig. Zwar puscht Shepard Tournee und eigene Anwesenheit gleich mit dem Anspruch fader Schlüssellochperspektive auf, indem er schreibt, es handele sich hierbei um den Versuch, den Geist jener Tage einzufangen, doch langweilen einen die faden Wiederholungen und Anbetungsahndresse an Bob Dylan und seine Crew schon nach wenigen Seiten. Alle sind irgendwie genial, alle irgendwie chaotisch, Drogen spielen eine Rolle, Sex, Musik, Konzerte, alles, was an Klischees in die Zeit paßt. Zwar gibt es vereinzelte Momente, die einen spüren lassen, was aus einem solchen Buch hätte werden können, doch das Gesicht prägen großen Fotos mit spärlichen Text, der teilweise über die Aufzählung nicht hinwegkommt. Für einen Sam Shepard, einen großen Autor, nicht nur zu wenig, man wird den Eindruck nicht los, dass hier etwas zusammengeschustert wurde, um schnell das Buch zum Film auf den Markt zu werfen. Ein Schnellschuss. Platzpatronen sollen ja auch Lärm verursachen.
Polar aus Aachen

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Bewertung vom 26.03.2008
Meistererzählungen
Mansfield, Katherine

Meistererzählungen


ausgezeichnet

Wer seine Figuren nicht verrät, obwohl er sie manchmal der Komik ausliefert, sie in ihren alltäglichen Kämpfen zu zeichnen vermag, ohne sie bloßzustellen, versteht es zu schreiben. Es ist die genaue Beobachtung, die einen Leser tief in die Geschichten von Katherine Mansfield eindringen läßt. Ob Glück, ob das Gartenfest, ihre Geschichten fangen die Atmosphäre so ein, dass die Menschen darin, sich wie in einem Wasser bewegen. Sie schlagen kleine Wellen, tauchen ab, auf, holen Luft. Die Gespräche sind die Nahrung, die sie am Leben halten, die Verlorenheit erträglicher gestalten. Gibt es eine Rettung? Warum nicht. Selbst für einen Mann ohne Temperament, oder? In ihren besten Moment gelingt es einer Geschichte, die persönliche Begegnung mit einem ihrer Helden. Dass Katherine Mansfield dies wunderbar verstand, läßt sich in ihren Meistererzählungen nachlesen.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 24.03.2008
Imperium
Harris, Robert

Imperium


ausgezeichnet

Für die hohe Kunst der Debatte, die Finessen politischer Intrigen steht der Name Marcus Tullius Cicero. Nicht adlig geboren verdankt er seinen Aufstieg dem Geschick, im entscheidenden Moment jegliche Moral und Grundsätze ruhen zu lassen, um sich nicht mit den Machthabern zu überwerfen, die er nicht besiegen kann. Jenen, über denen er sich einen Sieg zutraut, wirft er sich mutig, rhetorisch brillant entgegen. Ein Machtmensch also. Wer die Verstrickungen heutiger Politik, die ständige Suche nach Mehrheiten und die Geschäfte verdammt, in denen die eine Hand die andere wäscht, ist in Robert Harris Roman Imperium bestens aufgehoben. Bei der Politik, ob sie im römischen Reich zu Cäsars Anfängen spielt oder sich Bundestag schimpft, geht es stets um das, was durchsetzbar erscheint. Das dient selten dem Fortschritt, noch seltener der Gerechtigkeit. Dass Cicero uns heute als Philosoph erscheint, liegt vor allem daran, dass er nicht plump vorgegangen, dass er seine Reden fulminant untermauerte, dass seine Schliche ausgekocht geplant wurden, dass seine Gegner sich in seinem Netz verfingen. Harris beschreibt den Aufstieg Ciceros, ohne ihn zu beschönigen. Der Einäugige ist unter den Blinden der König. Wenn man sich die heutige Politikergeneration anschaut, fehlt diese Brillanz. Es wirkt eher provinziell, wenn sich Landesfürsten, wie Bundesprominenz auf dem Bildschirm zeigen. Der nüchterne Sachzwang diktiert das Geschehen. Wohl auch, weil es im Gegensatz zu damals, nicht ständig ums Ganze geht. Wer im Imperium zu viel wagt, dessen Karriere ist ruiniert, wenn er nicht gar um sein Leben fürchten muss. Robert Harris beschreibt die Gesetz einer Herrschaft, die sich scheinbar demokratischer Abstimmungen bedient, um diktatorischer Regentschaft den Weg zu ebnen, und zieht mit der Gefahr, die sich Rom von außen nähert und gegen die es scheinbar nur ein Gegenmittel gibt: Die Macht in den Händen eines Feldherren zu konzentrieren, eine erschreckende Linie zu 9/11 und dem Irak.
Polar aus Aachen

3 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.03.2008
Kein Land für alte Männer
McCarthy, Cormac

Kein Land für alte Männer


ausgezeichnet

Cormac McCarthy ist wie Faulkner der Meinung, dass eine Landschaft ihre Menschen prägt. Während die Gesichter im bunten Licht der Städte verschwimmen, absichtlich unkenntlich gemacht werden, graben sich die Furchen der Niederlagen und Sehnsüchte in einem weiten Land erst Recht ein. McCarthys Romane fußen auf der Weite, die seine Helden Freiheit und Einsamkeit umso deutlicher verspüren lassen, so dass sie seltsam stoisch wirken. Es ist deswegen nicht verwunderlich, dass Cormac McCarthy einem Killer wie Chigurh besondere Aufmerksamkeit schenkt. Die rücksichtslose Brutalität, mit der Chigurh durchs Leben schreitet, äußert sich in zwei Dialogen mit seinen Opfern, in denen er sie vorbehaltlos spüren läßt, dass sie sterben werden, egal was sie tun, egal was sie sagen. Er erinnert an den Tod selbst, der seine Aufträge ohne Ansehen auf Personen ausführt. Über seinen spannenden Drogenthriller hinaus, wirft Cormac McCarthy dabei zutiefst menschliche Fragen auf. Da ist die Sehnsucht nach dem großen Geld, das Moss befällt, da ist die Hoffnung auf Gerechtigkeit, in die sich der Ich-Erzähler in eigenen Kapiteln widmet, da ist die Aussichtslosigkeit, dass Gewalt nur neue Gewalt säht, und da sind die Opfer, die schuldlos angespült und zurück gelassen werden. Jemand wie Bell, als stiller Held gezeichnet, kann sich in einer solchen Welt nur abnutzen. Selbst in der texanischen Wüste ist Leben, Verzweiflung, Liebe und McCarthys Menschen driften darin herum und suchen Halt. Egal wohin sich flüchten, sie werden aufgespürt, kein Therapeut nimmt sich ihrer an. Der Autor beschreibt sie in seinem meisterhaften Stil zu, der ihm schon für Die Straße den Pulitzer-Preis einbrachte: Knappe Dialoge, an Beschreibung nur das, was unbedingt notwendig erscheint. In Kein Land für alte Männer benutzt McCarthy das ureigene amerikanische Genre der Spannung, um seine Geschichte zwischen Western und Thriller anzusiedeln, und erzählt doch weiter vom Ende der Menschheit.
Polar aus Aachen

4 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.03.2008
Die Verzauberung der Lily Dahl
Hustvedt, Siri

Die Verzauberung der Lily Dahl


sehr gut

Was wie ein billiger Erotikroman beginnt: Maler wird von Frau quer über die Straße in seiner Wohnung beobachtet und zieht sich für ihn aus, packt Siri Huvstedt in eine so charmante Beschreibung, dass der Leser die Faszination der jungen Frau verspürt. Lily Dahl weiß noch nichts, mit ihrem Leben anzufangen. Was andere als Suche bezeichnen würde, ist bei ihr ein Treiben lassen, alles ist der Neugier unterworfen, selbst ihre Affäre. Doch plötzlich durchbricht ein Mord die Idylle, eine scheinbare Doppelgängerin taucht auf, bringt Lilys Leben durcheinander. Siri Huvstedt beweist hier ein Gefühl für den Spannungsaufbau, der ihr eigentliches Thema: Was ist real, was nicht? , weiter vorantreibt. In ihrem selbst auserkorenen Chaos bringt sich Lily Dahl jedenfalls nicht in Sicherheit, sie setzt sich dem Geschehen aus, so dass keine Langeweile aufkommt. Sprachlich fein entspinnt sich vor unser aller Augen ein wunderbares Verwirrspiel. Voller Augenzwinkern.
Polar aus Aachen

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.03.2008
Die kalte Legende
Littell, Robert

Die kalte Legende


ausgezeichnet

Legenden werden von Geheimdiensten erfunden, um ihre Agenten vor Überprüfungen zu schützen, wenn ihre falschen Pässe aufgeflogen sind, sie ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen müssen. Robert Littell erzählt in seinem Roman das faszinierende Leben Martin Odums. Oder besser Dante Pippen. Heißt er nicht eigentlich Lincoln Dittmann? Er wird auf die Fährte eines verschwundenen Ehemanns gesetzt, dessen Ehefrau sich scheiden lassen will, da die Ehe nicht vollzogen wurde, er leider jedoch spurlos verschwunden ist. Damit beginnt für Odum eine Odyssee, die ihn nach Israel, London in die ehemaligen Länder der Sowjetunion führt. Gleichzeitig entspinnt Littell nach einer grandiosen Eröffnungsszene ein Verwirrspiel, das vor und zurück springt, dass Odum selbst bei einer Psychologin zeigt, die herausfinden soll, ob er noch bei Sinnen ist oder dazu neigt, die geheimen Machenschaften der CIA zu enttarnen. Dahinter steckt ein amerikanisches Komplott gegen das neue Russland, dass man als gegeben ansehen muss, auch wenn es hart an der Grenze des Vorstellbaren liegt. Dass einen das neben manch anderen Unwägbarkeit, wie den vielen ausweglosen Situationen, aus denen Littell Odum zu befreien vermag, in diesem meisterhaft komponierten Thriller nicht stört, ist ein Verdienst Littells, der uns nicht nur in die Praktiken der Legendenbildung einweiht, uns vielmehr eine multiple Persönlichkeit vorführt, die unliebsame Erinnerungen so verdrängt hat, dass er nicht mehr weiß, wer er wirklich ist. Mit Augenzwinkern streut Littell dabei einige Menschen aus dem normalen Leben ein, die genauso gut verrückt sind, da sie behaupten Schachgrößen oder Ehefrauen von liquidierten ehemaligen Politikern zu sein, und ihr Leben auf den nächsten Seiten bereits in Zweifel gezogen wird. Ein wunderbares Changieren, bei dem keine Langeweile aufkommt.
Polar aus Aachen

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.03.2008
Das Gesetz der Väter
Turow, Scott

Das Gesetz der Väter


weniger gut

Nicht nur im Gerichtssaal kennt sich Scott Turow aus. In vielen seiner Romane gelingt ihm eine überzeugende Milieuschilderung. Der Mord an der Ex-Frau eines Politikers, angeblich vom eigenen Sohn begangen, scheint schnell geklärt zu sein. Dass der Verdächtige, vor Gericht Gezogene nicht immer der Täter sein muss, ist der Dreh fast jeden Gerichtsthrillers. Es kommt darauf an, seine Unschuld zu beweisen. Turow verknüpft diesen Plot mit der Vergangenheit seiner Protagonistin Sonia Klonsky, die dem Gericht vorsitzt, und sich mit Ereignissen konfrontiert sieht, die in die 68er zurückreichen, als sie noch Studentin war. Dies macht den eigentlichen Reiz des Romans aus, der gewürzt mit Drogenhandel, Prostitution und Gewalt ist. Das alles ist Beiwerk und leider erscheint auch der Fall der Schilderung von Sonia Klonskys Nöten untergeordnet zu sein. Die Aufklärung verschwendet viele Worte, in denen die Spannung versinkt. Turows Anspruch über den Wechsel von Blickwinkeln, Zeitverschiebungen plötzlich literarisch zu schillern, belastet den Plot und ist streckenweise langweilig. Es ging ihm um die Abbildung der 68er Generation, seinen Thriller hat er dem untergeordnet.
Polar aus Aachen