Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Isabel von Belles Leseinsel
Wohnort: 
Mainz
Über mich: 
Mehr Rezensionen von mir gibt es unter: http://bellexrsleseinsel.blogspot.com/

Bewertungen

Insgesamt 585 Bewertungen
Bewertung vom 04.08.2013
Tochter des Glücks
See, Lisa

Tochter des Glücks


ausgezeichnet

Hinter dem Bambusvorhang

Die 19-jährige Joy lebt in Los Angeles der späten 1950er Jahre, zusammen mit ihrer Mutter Pearl, Vater Sam und Tante May. Ihre Mutter und ihre Tante sind 20 Jahre zuvor aus Shanghai geflohen und betreiben mittlerweile ein kleines Café. Nach einem Streit erfährt Joy, dass ihre Mutter in Wirklichkeit ihre Tante ist und Sam nicht ihr Vater, sondern dass dieser in der Volksrepublik China lebt. Schon seit längerem begeistert von Maos Politik, folgt Joy kurzentschlossen dem Aufruf des Staatsführers, beim Aufbau Chinas mitzuhelfen und dies mit der Suche nach ihrem Vater zu verbinden. Anfangs ist Joy vom Kommunismus begeistert, doch schon bald muss sie feststellen, dass der von Mao herbeigeführte Umbruch nicht nur Vorteile für die Bevölkerung bedeutet.

Lisa See gewährt ihren Lesern einen eindringlichen wie auch erschütternden und bewegenden Einblick in das Leben der Volksrepublik China während der Jahre 1957 bis 1962. Aus der anfangs sehr naiven Sicht von Joy erlebt man ein China, welches mithilfe des „ große Sprung nach vorn“ jahrtausendalte Kultur und Lebensart auszulöschen versucht, welches Quantität vor Qualität stellt, und wo das Leben der Bevölkerung bis in die kleinsten Details durchorganisiert und vor allem kontrolliert wird.

Joy ist anfangs regelrecht begeistert vom Leben im kommunistischen China. Alle Menschen haben scheinbar denselben Stand, Lebensmittel sind in Hülle und Fülle für alle vorhanden, der Staat kümmert sich um seine Bevölkerung. Joy genießt das Leben in der Kommune des Gründrachendorfs, hilft begeistert bei der Feldarbeit mit. Doch schon bald merkt die junge Frau, dass die von Mao vorangetriebenen Programme nicht immer sinnvoll sind und sie fängt an diese zu hinterfragen, was allerdings im neuen China tödlich sein kann. Und bald spürt Joy am eigenen Leib, wie Maos katastrophale Wirtschafts- und Agrarpolitik nicht nur ihr Leben massiv bedroht. Die Volksrepublik China erlebt eine unfassbare Hungersnot, die Millionen von Menschleben fordert.

Während Joy auf der Suche nach ihrem Vater ist und dabei das Leben im kommunistischen China kennenlernt, macht sich Pearl ebenfalls auf den Weg in ihre alte Heimat, um Joy zu finden. Somit verfolgt man nicht nur den Weg der anfänglich gutgläubigen Joy, sondern lernt die Volksrepublik auch aus der Sicht von Pearl kennen, die ihre Suche nach Joy in Shanghai beginnt und mit offenen Augen die katastrophalen Missstände im Land wahrnimmt.

Lisa See erzählt diese fantastische Mutter-Tochter-Geschichte voller Gefühl, warmherzig und sehr eindringlich. Die Autorin gibt ihren Lesern einen äußerst interessanten, aber auch erschütternden Einblick in ein China, dass nach der Abkehr vom Feudalstaat seine Grenzen geschlossen hatte und mit unerreichbaren Zielen versuchte, mit dem großen Bruder Sowjetunion gleichzuziehen und wirtschaftlich Großbritannien und dem verhassten Feind USA zu übertrumpfen. Zudem schildert Lisa See ungeschönt und bewegend die entsetzlichen Auswirkungen, welche die Hungersnot gerade unter der dörflichen Bevölkerung hatte.

Fazit: Ein emotionaler, erschütternder und hervorragend recherchierte Blick hinter den Bambusvorhang der Volksrepublik China Ende der 1950er Jahre.

Bewertung vom 01.08.2013
Es wird Tote geben / Polizeimajor Johannes Schäfer Bd.5
Haderer, Georg

Es wird Tote geben / Polizeimajor Johannes Schäfer Bd.5


sehr gut

Der Tanz der Katze mit dem Raben

Polizeimajor Johannes Schäfer ist aufs Land versetzt und findet bei dem geruhsamen Leben so langsam wieder zu sich selbst zurück. Auf der Dienststelle wird Dienst nach Vorschrift gemacht und die Abende am Lagerfeuer im Garten verbracht. Ein bisschen Abwechslung gibt es aber auch mit einem deutschen Filmteam, welches gerade in der beschaulichen Idylle einen Actionkrimi dreht. Doch mit dieser Idylle ist es vorbei, als eine Jugendliche eines Morgens von einem Zug überfahren wird. Eigentlich spricht alles für Selbstmord, doch Schäfer kommen Zweifel. Und dann gibt es da noch den verschwundenen Sohn von Frau Mantura, die seitdem psychisch äußerst labil ist. Unerwartete Unterstützung bei der Lösung der Fälle erhält Schäfer dieses Mal von einem jungen Drehbuchautor, der nun seine Fantasie voll ausleben kann.

Beschaulich, gemütlich und so geruhsam ist der Sommer auf dem Lande, den Major Schäfer zum schwimmen nutzt oder abends im Garten bei einem guten Glas Wein genießt. Immer öfter leistet ihm dabei ein deutscher Drehbuchautor Gesellschaft wie auch eine zugelaufene Katze, die mit einem Raben eine seltsame Freundschaft eingeht. Aber auch Bergmann besucht seinen alten Chef und telefonisch stehen die Beiden sowieso öfter in Kontakt. Zumal Schäfer bei seinem aktuellen Fall manches Mal auf die Hilfe des LKA zurückgreifen muss.

Ja, der Fall. Dieser gestaltet sich schwierig und eigentlich ist er anfangs irgendwie auch keiner. Wirklich alles deutet auf Selbstmord einer Jugendlichen hin, auch wenn sich kein Motiv finden lässt. Doch dann wird bei der Obduktion festgestellt, dass die Schülerin unter Drogen stand. Freiwillig eingenommen oder mit Absicht gegeben, lässt sich schwer nachvollziehen. Und dann ist ja da auch noch die Nachtigall. Frau Mantura ist seit dem spurlosen Verschwinden ihres Sohnes Sascha in einer seelisch äußerst instabilen Lage und auch dies lässt Schäfer keine Ruhe, zumal er von ihrer Singstimme fasziniert ist. Somit ermittelt der Major in alle Richtungen in seiner gewohnt unkonventionellen, ruppigen und sehr eigenwilligen Art und als ein weiteres Mädchen offensichtlich Selbstmord zu begehen versucht, schrillen bei Major Schäfer alle Alarmglocken.

So eigensinnig, schrullig und sympathisch sein Major Schäfer ist, so eigenwillig erzählt Georg Haderer auch seinen Schäfer-Krimi und der Autor hat den Fokus wieder voll und ganz auf seinen Protagonisten ausgerichtet. Man verfolgt Schäfers oft sehr eigentümliche, schräge Gedankengänge, begleitet ihn beim Einleben auf dem Land und bei seinem Dienst auf der Polizeistation. Sein Ruf als genialer Ermittler ist ihm bereits vorausgeeilt und somit ist der Major auch schon recht bekannt im Dorf. Was verdeckte Ermittlungen zunehmend erschwert, wie Schäfer bald leidvoll erfahren muss.

War der letzte Schäfer-Krimi eher nachdenklich, stellenweise auch surreal angelegt, gestaltet sich dieser nun voller Wortwitz, stellenweise ziemlich kurios, versehen mit spitzfindigen Dialogen und einer zumeist auch spannenden, sehr unterhaltsamen Story. Und auch die Lösung des Falls bzw. der Fälle ist wieder einmal schlüssig umgesetzt und durchaus lange Zeit nicht vorhersehbar angelegt. Im Lauf der Geschichte entwickelt sich Schäfer zudem zu einem wahren Katzenfreund wider Willen, der sich mehr als fürsorglich um die doch schon etwas betagte Mrs. Rost kümmert, die in Schäfers Garten zusammen mit einem Raben die tollsten Kunststücke vorführt.

Fazit: Major Schäfer in Hochform. Äußerst unterhaltsam und zumeist auch spannend erzählt Georg Haderer das Leben seines Major Schäfers im dörflichen Idyll.

Bewertung vom 30.07.2013
Die Hüterin der Krone
Chadwick, Elizabeth

Die Hüterin der Krone


ausgezeichnet

Der Kampf um Englands Krone

England im 12. Jahrhundert: König Henry I. stirbt ohne seine Nachfolge geregelt zu haben. Um die Krone Englands kämpfen seine Tochter Matilda und sein Neffe Stephen von Bois. Während Matilda noch in der Normandie weilt, lässt sich Stephen zum König salben. Doch Matilda hat den Ehrgeiz ihres Vaters geerbt und kämpft fortan gegen Stephen. Anfangs stehen die Zeichen gut für Matilda, doch dies ändert sich bald. Unterstützung findet sie bei der Königinnenwitwe Adeliza, die mittlerweile wieder geheiratet hat. Doch deren Ehemann steht auf der Seite von König Stephen.

Elisabeth Chadwick beginnt ihre Geschichte von Matilda, die Mutter von Henry II., der mit Eleonora von Aquitanien verheiratet und Vater von Richard Löwenherz und John Ohneland war, mit der Abreise der Kaiserinnenwitwe aus Speyer. Ihr unbarmherziger Vater Henry I. hat große Pläne mit seiner einzigen Tochter, die schon früh mit Kaiser Heinrich V. verheiratet wurde und nach dessen Tod nun mit dem Grafen von Anjou verheiratet und Mutter vieler Kinder werden soll. Ihr Erstgeborener soll Henrys Nachfolger auf Englands Thron werden. Da Henry dank seiner Überheblichkeit keine Gedanken an seine Sterblichkeit verschwendet, hinterlässt er keinen von ihm benannten Thronerben. England sieht sich nun einem jahrelangen Machtkampf um die Krone ausgesetzt.

Matilda wird oft als hartherzig und schroff beschrieben und die ehemalige Kaiserin und Königin des römisch-deutschen Reiches zeigt sich nach außen hin auch so: stolz und unnachgiebig. Aber Elisabeth Chadwick zeigt auch eine liebende Mutter und eine Frau voller Gefühle, die sich ihre Liebe zu einem treuen Verbündeten nicht eingestehen darf. Matilda weiß ganz genau, dass sie in der reinen Männerwelt hart auftreten muss, um als Herrscherin anerkannt zu werden und Verbündete zu gewinnen, die mit ihr gegen Stephen ziehen. Allerdings ist Matilda auch eine sehr temperamentvolle Frau, deren Wutanfälle berüchtigt sind und diese bekommt nicht nur ihr jüngerer Ehemann Geoffrey zu spüren. Aber nicht nur Matilda zeichnet die Autorin äußerst facettenreich. Auch alle weiteren, der nicht gerade wenigen Mitwirkenden, sind detailreich beschrieben, sodass Verwechslungen schnell ausgeschlossen sind.

Der Schwerpunkt der Geschichte liegt klar bei den politischen Machenschaften um die Krone Englands und der Normandie. Hierbei kommt aber auch das Privatleben einzelner Personen nicht zu kurz, wobei Matilda im Fokus steht. Aber auch der Königinnenwitwe Adeliza räumt die Autorin viel Raum ein, welche bereits kurz nach Matildas Rückkehr ihre beste Freundin und Vertraute wird. Bei Mathilda und Adeliza handelt es sich um zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Neben der rebellischen Matilda wirkt die grazile Witwe von Henry I. fast zerbrechlich und äußerst sanftmütig. Adeliza sieht sich als eine Friedensstifterin, die jedoch über einen starken Willen verfügt.

Perfekt verbindet Elisabeth Chadwick im Verlauf ihres Romans historische Fakten und Personen mit fiktiven Geschehnissen und gestaltet dabei einen wendungsreichen, spannenden und sehr unterhaltsamen Roman. Atmosphärisch dicht schildert die Autorin fundiert recherchiert einen Abschnitt im aufregenden und gefährlichen Leben von Matilda und dabei ist ihre Erzählweise gewohnt bildhaft und farbenprächtig. Mühelos gelingt es der Autorin hierdurch, einem die Normandie wie auch England im 12. Jahrhundert vor Augen zu führen.

Fazit: Ein farbenprächtiger, spannender und unterhaltsamer Roman über das Leben einer starken Frau, die für ihren Sohn den Kampf um Englands Krone aufnimmt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.07.2013
Das Nebelhaus
Berg, Eric

Das Nebelhaus


ausgezeichnet

Die Sturmnacht von Hiddensee

In diesem September jährt sich die Blutnacht von Hiddensee zum zweiten Mal. Die Journalistin Doro Kagel soll für eine Regionalzeitung hierzu eine Reportage schreiben und beginnt anfangs noch zögerlich, sich mit dem Wochenende im September 2010 zu beschäftigen, bei dem drei Menschen sterben mussten und eine Frau seitdem im Koma liegt. Vor 15 Jahren waren Philipp, Timo, Leonie und Yasmin befreundet, haben sich über die Jahre hinweg aus den Augen verloren und dank sozialer Netzwerke wiedergefunden. Ganz spontan lädt Philipp seine früheren Freunde für ein verlängertes Wochenende nach Hiddensee ein. Dort lebt der Architekt mit seiner Frau Vev und Tochter Clarissa. Anfangs ist die Freude des Wiedersehens groß, doch schon schnell geraten die unterschiedlichen Charaktere aneinander, in der Sturmnacht kommt es zur Eskalation.

Eric Berg erzählt seinen Krimi, den man bedenkenlos als Psycho-Krimi bezeichnen kann, mithilfe zweier Handlungsstränge. Aus Sicht von Doro ist man bei deren Recherchen dabei, spürt ihre anfängliche Abneigung gegenüber der Reportage und lernt auch den Privatmenschen Doro sehr gut kennen. Geprägt durch ein schreckliches Erlebnis in ihrer Kindheit legt Doro den Schwerpunkt ihrer Reportage schließlich auf die Hinterbliebenen des Falls. Und je mehr Doro über die grausame Blutnacht erfährt, umso unsicherer ist sie, ob sich die Ereignisse in dieser verhängnisvollen Nacht wirklich so abgespielt haben, wie die Indizienkette der Staatsanwaltschaft einen glauben machen möchte.

Im zweiten Erzählstrang verfolgt man die Ereignisse auf Hiddensee im September 2010, lernt die Beteiligten näher kennen und bemerkt schnell, dass für die Tat eigentlich nur eine einzige Person in Frage kommen kann, die einem Eric Berg zudem recht früh als vermeintlichen Mörder präsentiert. Doch je länger die Recherchen von Doro andauern und je mehr man über die Geschehnisse auf Hiddensee erfährt, umso mehr Zweifel kommen einem beim Lesen, ob diese Person wirklich die Tat begangen haben soll. Hinzu kommt, dass man bis zum Schluss nicht alle Identitäten der Mordopfer kennt.

Eric Berg spielt gekonnt mit der Unwissenheit des Lesers und hält damit die Spannung durchweg auf einem hohen Niveau bei diesem eher ruhig, aber sehr eindringlich erzählten Krimi. Der Autor geht sehr auf die zwischenmenschlichen Beziehungen der Beteiligten ein und man merkt schnell, dass der äußere Schein bei fast allen Mitwirkenden trügt. Jeder gibt sich nach außen hin ganz anders, als er in Wirklichkeit ist.

Hinzu kommt noch ein unscheinbares, mehr für sich lebendes kambodschanisches Ehepaar, das in unmittelbarer Nähe vom Nebelhaus wohnt. Frau Nan arbeitet zudem bei Vev und Philipp und lernt hierdurch auch die restlichen Freunde von Philipp kennen. Ihr Sohn Yim war vor zwei Jahren ebenfalls mit den Freunden bekannt und führt ein Restaurant in Berlin. Doro lernt Yim durch ihre Recherchen an dem Fall kennen und reist zusammen mit ihm nach Hiddensee, um sich selbst einen Eindruck von den Geschehnissen zu machen, die sie auch in das Nebelhaus führen.

Fazit: Ein von Beginn an hochspannender, rätselhafter Krimi, der mit einer komplexen Story und authentisch agierenden Charakteren bis zu letzten Seite absolut überzeugt.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.07.2013
Mordsidyll
Zandecki, Dirk

Mordsidyll


sehr gut

Die Russenmafia im Sauerland

Die Bäuerin Anna sinnt auf Rache. Heute soll der Mann aus dem Gefängnis entlassen werden, der für den Tod ihres geliebten Mannes verantwortlich ist. Doch ihr Attentat auf den Ex-Häftling löst eine Lawine von Verwechslungen aus und plötzlich findet sich Anna mitten in einem Bandenkrieg der Russenmafia wieder. Und der Olper Kommissar Ben Ruste steht vor einem mehr als mysteriösen Fall, den es zu lösen gilt.

Anna hatte mit ihrem Klaus ein anstrengendes, aber auch glückliches Leben auf ihrem Bauernhof in einem kleinen Ort mitten im Sauerland geführt. Doch dieses Idyll wurde von Tim Mazevski zerstört. Und obwohl Tim ihr immer wieder Briefe aus dem Gefängnis schreibt und darin seine Tat bitter bereut, kann Anna ihm nicht verzeihen. Nur sein Tod bietet Anna die ersehnte Erlösung und so fiebert sie dem Tag seiner Haftentlassung entgegen. Und dann läuft alles völlig anders als Anna gedacht hatte. Nicht nur, dass sie plötzlich die Russenmafia auf dem Hals hat, nein, auch ein merkwürdiger Spießgeselle schleicht immer wieder in der Nähe ihres Hofes herum.

Und für den raubeinigen Kommissar Ben Ruste läuft der Fall des erstochenen Mannes vor der Justizvollzuganstalt alles andere als einfach. Hinzu kommt noch, dass der ruppige Einzelgänger auch noch einen Grünschnabel als Partner aufs Auge gedrückt bekommt und sein Chef allen Ernstes von ihm verlangt, sich zudem intensiv mit der Entführung des Schützenvogels zu befassen. Für Ruste könnte es nicht schlimmer kommen.

Dirk Zandecki beginnt seinen Lokalkrimi mit einem weiteren Brief von Tim an Anna und so lernt man erst einmal seine aufgeweckte, sportliche sowie vor Rache fast blinde Protagonistin kennen, die seit dem Tod von Klaus mehr schlecht als recht den Hof alleine führt. Ihren Milchkühen hat Anna Namen von berühmten Schriftstellerinnen gegeben, ihr Tagesablauf ist strikt geplant, bei dem kaum noch Zeit für sie selbst bleibt. Und das Geld ist sowieso immer knapp. Ihr einziger Lebensinhalt ist ihre Rache, welche sie nichtsahnend in ein gefährliches Abenteuer stürzt.

Es geht in Dirk Zandeckis Krimi ziemlich turbulent und auch etwas kurios zu. Da gibt es rivalisierende Bandenchefs, recht tumbe Killer, einen geheimnisvollen Fremden, der im Auftrag eines Unbekannten Anna observiert, eine mysteriöse CD, einige Tote und einen entführten Schützenvogel. Die Story ist stellenweise ziemlich witzig, zumeist temporeich und sehr unterhaltsam erzählt. Und auch die Spannung kommt in dem Lokalkrimi aus dem Sauerland nicht zu kurz, wobei der Autor auch immer wieder ein wenig auf die Eigenarten der Sauerländer eingeht. Somit fehlt der Lokalkolorit auch nicht und zudem wirkt die Geschichte durchweg atmosphärisch dicht erzählt.

Man mag im Verlauf der Geschichte manchmal nicht glauben, dass die Story noch zu einem logischen Ende findet, denn Dirk Zandecki lässt seine Protagonistin wirklich einiges erleben, was sie unweigerlich immer tiefer in den Fall verstricken lässt. Hierdurch geht die Geschichte aber auch immer wieder neue, oftmals auch überraschende Wege. Aber zum Schluss löst sich dann alles wirklich schlüssig auf und der Autor hält sogar ganz am Ende auch noch eine Überraschung parat.

Fazit: Ein unterhaltsamer, spannender und oft auch humorvoll erzählter Krimi mit viel Lokalkolorit und überzeugend agierenden Charakteren.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.07.2013
Das Tor zur Ewigkeit
Fox, Katia

Das Tor zur Ewigkeit


gut

Der Traum vom Glockengießen

Katia Fox erzählt in ihrem vorliegenden Roman die Geschichte um die Schwertschmiedin Ellenweore und ihre Familie weiter und so trifft man im Verlauf der Geschichte auch auf einige alte Bekannte. Catlins Vater Henry hat die Schwertschmiede von seiner berühmten Mutter übernommen und träumt davon, dass seine Tochter ebenfalls einmal diesen Beruf erlernt. Doch Catlin fasziniert der Klang der Glocken. Dafür verlässt sie ihre geliebte Familie und geht eine Zweckehe mit dem älteren John ein, bei dem sie keine Liebe finden wird. Ihr Mann hat ein Keuschheitsgelübde abgelegt, ein Ereignis aus seiner Vergangenheit hat ihn dazu veranlasst. Trost findet Catlin bei dem Gesellen Flint, der jedoch nicht mit offenen Karten spielt. Und dann gibt es noch den ehemaligen Lehrling des Glockengießers. Randall sinnt auf Rache, da John ihn seiner Meinung nach als Lehrling ungerecht behandelt hatte.

Es sind viele Schwierigkeiten, welche sich Catlin im Verlauf des Romans gegenübersieht, doch kaum gerät die junge Frau in eine scheinbar ausweglose Situation, ist die Rettung nicht weit. Anfangs nimmt man diese Zufälligkeiten als solche hin, doch irgendwann wurde es mir dann zu viel. Denn kaum gerät Catlin in eine Notlage, schon lugt die Lösung des Problems um die nächste Ecke. Dies nimmt auf Dauer die Spannung aus dem Buch. Ähnlich erging es mir bei dem rätselhaften wie regelmäßigen Verschwinden von John. Bereits nach kurzer Zeit ahnt man, warum der Meister immer wieder für einige Tage in Richtung eines Klosters entschwindet. Somit überrascht die Geschichte im Verlauf äußerst wenig, da man bei jeder neu gesponnen Intrige gegen sie genau weiß, dass diese schlussendlich für Catlin nur gut ausgehen kann.

Auch Catlin selbst wurde für mich nicht recht greifbar. Katia Fox erzählt wieder gewohnt bildhaft und atmosphärisch dicht, das mittelalterliche London und seine Bevölkerung, wie auch die Glockengießerei hat man fast sofort vor Augen, aber die Charaktere bleiben dieses Mal ungewohnt blass. Ihre Heirat mit John wird in einem Nebensatz erwähnt, ihre Leidenschaft fürs Glockengießen versteht man eigentlich erst ziemlich zum Schluss richtig, als Katia Fox die Vorgänge beim Glockengießen ausführlich schildert. Endlich könnte man ob des Gelingens der Glocke mitfiebern, die Leidenschaft für das Glockengießen besser verstehen. Aber anstelle den letzten, alles entscheidenden Vorgang zu erzählen, erfährt man im nächsten Kapitel in einem Nebensatz, dass die Glocken gelungen sind. Es sind noch einige solcher Szenen, die eigentlich einschneidend sind, aber wie nebenbei abgehandelt werden.

Hierdurch erhalten die Figuren kaum Tiefe, man bekommt wenig Gelegenheit mit ihnen mitzufühlen, mitzuleiden, sich mit ihnen zu freuen. Die Geschichte ist ohne Frage unterhaltsam und äußerst interessant erzählt, aber kaum ein Charakter wächst einem wirklich ans Herz. Hierdurch kann man auch oft das Verhalten von Catlin nicht nachempfinden. Oftmals kam sie mir sehr egoistisch, ja fast schon hartherzig vor, obwohl die junge Frau dies durchaus nicht ist. Gerade ihre Beziehung, ja eigentlich schon Hörigkeit zum Gesellen Flint war für mich absolut unverständlich. Wirklich jeder warnt sie vor dem Widerling, doch auf diesem Ohr ist Catlin absolut taub, glaubt ihm ohne nachzudenken alles, selbst wenn sie damit einen treuen Freund bitterlich enttäuscht und eigentlich genau wissen müsste, dass dieser sie niemals anlügen würde. Sie ist regelrecht blind vor Liebe, aber ihre Beziehung wird auch mehr oder weniger nur in kurzen Nebensätzen abgehandelt, sodass diese Hörigkeit nicht verständlich wird.

Fazit: Zu viele glückliche Zufälle und blasse Charaktere in einer ansonsten unterhaltsamen, bildhaft erzählten Geschichte um eine junge Frau, die sich ihren Traum erfüllt.

Bewertung vom 19.07.2013
Oma Else kann's nicht lassen / Oma Else Bd.1
Letocha, Thomas

Oma Else kann's nicht lassen / Oma Else Bd.1


ausgezeichnet

Ein aufregendes Jahr im Leben von Oma Else

Oma Else ist traurig und einsam. Ihr Ehemann Robert ist gerade gestorben und zudem musste sie feststellen, dass ihre beste Freundin Elisabeth sie über Jahre hinweg belogen hat. Hinzu kommt dann noch, dass eine weitere Freundin an Demenz erkrankt ist. Als Oma Else sich vor lauter Trostlosigkeit dabei ertappt, wie sie auf offener Straße Selbstgespräche führt, ist ihr klar, dass sie etwas in ihrem Leben ändern muss. Rettung kommt per Zufall durch einen fehlgeleiteten Brief, der in ihrem Briefkasten landet. Sich durchaus des Fehlers bewusst, öffnet die 81-jährige den Brief und ab da nimmt das Schicksal seinen Lauf. Denn Oma Else wird süchtig nach fremden Briefen. Sie sammelt sie überall ein, liest sie und bringt sie am nächsten Tag wieder dem eigentlichen Empfänger zurück. Doch eines Tages landet ein Brief in ihren Händen, der ihr Leben komplett auf den Kopf stellt.

Mit einer kurzen Szene auf der Dachterrasse eines Hochhauses, wo Oma Else direkt am Abgrund steht und die Feuerwehrsirenen im Hintergrund bereits zu hören sind, erzählt Oma Else ihren Lesern, wie sie in diese absonderliche Situation geraten ist. Dabei beginnt die rüstige Rentnerin mit der Beerdigung ihres Ehemannes Robert. Eigentlich will Oma Else gar nicht zur Beerdigung, doch schlussendlich lässt sie sich doch überreden und landet prompt im Grab auf dem Sarg ihres Mannes. Jeder denkt natürlich, Else kann den Tod von Robert nicht verwinden. Das ist schon richtig, aber umbringen wollte sie sich beileibe nicht, sondern Oma Else ist durch die ellenlange Predigt des Pfarrers kurz eingenickt und hat sich unversehens im Grab wiedergefunden. Der niedrige Blutdruck eben.

Und das ist wahrlich nicht das einzig vergnügliche oder für Oma Else eher peinliche Erlebnis, welches Thomas Letocha seiner Protagonistin im Verlauf der Geschichte widerfahren lässt und die der Autor sehr kurzweilig, wendungsreich und wunderbar unterhaltsam erzählt. So rüstig sie für ihr Alter ist, so schusselig ist Oma Else nämlich auch und verfügt zudem über eine mehr als blühende Fantasie. Sie weiß natürlich, dass sie sich mit dem Öffnen der Briefe strafbar macht und als eines Tages unvermittelt die Polizei vor der Tür steht (allerdings wegen einer ganz anderen Sache), sieht Oma Else sich schon von Reportern umlagert, von den Nachbarn verunglimpft, in Ketten gelegt und zur Guillotine geführt. Natürlich weiß Oma Else, dass die Guillotine heute nicht mehr zum Einsatz kommt, aber dennoch …

Thomas Letocha erzählt dieses schicksalhafte eine Jahr im Leben von Oma Else mit so viel Charme und Esprit, dass die Seiten nur so dahin fliegen und man Oma Else immer mehr ins Herz schließt. Der Autor lässt seine Protagonistin ihre Geschichte selbst erzählen und man erlebt eine agile Rentnerin, die zwar äußerst schüchtern ist, dabei aber auch sehr resolut auftreten kann, was sie manches Mal selbst überrascht, deren übersprühende Fantasie sie immer wieder in die unmöglichsten Situationen führt und die zudem wunderbar herzlich ist, herrlich selbstkritisch sein kann und die Zipperlein des Alters mit Gleichmut hinnimmt.

Fazit: Eine äußerst humorvolle Geschichte, in der ein Brief das Leben einer 81-jährigen Rentnerin komplett auf den Kopf stellt.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.07.2013
Schandgrab / Ernestine Nachtigall Bd.1
Weichmann, Helge

Schandgrab / Ernestine Nachtigall Bd.1


ausgezeichnet

Hannahs „Knaller“

Die Historikerin Ernestine „Tinne“ Nachtigall ist mit ihrer Freundin, der Wissenschaftlerin Hannah Lohmann, verabredet. Doch Hannah kommt nicht, dafür steht kurze Zeit später die Polizei vor Tinnes WG-Wohnung und teilt ihr mit, dass Hannah tot im Volkspark aufgefunden wurde. Aber nicht nur der rätselhafte Tod von Hannah lassen die Mainzer Historikerin stutzig werden, auch das Verhalten ihres Chefs ist merkwürdig. Durch Zufall trifft Tinne auf den AZ-Reporter Elvis, der in dem Fall recherchiert. Zusammen mit ihm beginnt Tinne auf eigene Faust zu ermitteln, zumal Hannah ihr kurz vor ihrem Tod noch von einem „Knaller“ berichtet hatte, ohne hierauf jedoch näher einzugehen. Doch kaum beginnen Tinne und Elvis Erkundigungen über die letzte Arbeit von Hannah anzustellen, da gerät Tinne unter Mordverdacht und kurz darauf ist ihr Leben selbst in Gefahr.

Helge Weichmann fordert anfangs ein wenig Geduld von seinen Leser ein, bis die eigentliche Geschichte startet, allerdings gestaltet sich dies äußerst mysteriös. Im Prolog schickt der Autor einen zurück ins 15. Jahrhundert. Drei Studenten und ihr Professor verlassen nachts das Mainzer Universitätsgelände. Den Grund für ihr heimliches wie verbotenes Vorgehen erfährt man jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Anschließend befindet man sich im Jahr 1982 am Senckenberg Museum in Frankfurt. Zwei junge Schüler-Praktikanten beobachten die ersten Gehversuche der Wissenschaftler mit der neuen AMS-Technologie. Allerdings gibt es immer wieder Ungereimtheiten bei den Ergebnissen, die nicht erklärbar sind. Bevor die eigentliche Krimigeschichte im März 2012 startet, kehrt man noch kurz zwei Jahre zurück, als um Weihnachten herum ein Erdbeben Mainz erschütterte. Wie diese so unterschiedlichen Ereignisse miteinander in Verbindung stehen, verrät der Autor jedoch erst ziemlich am Ende seines vielschichtig angelegten Krimis.

Somit sind erst wenige Seiten gelesen, aber eine Menge Fragen haben sich bereits angehäuft. Man weiß eigentlich nur, dass Hannah irgendeinem brisanten Geheimnis auf die Spur gekommen war, welches tief verborgen unter der Erde des fiktiven Josefsberg nahe der Mainzer Zitadelle liegen muss. Kurz nach dem Tod von Hannah wird zudem aus dem Landesmuseum Mainz ein Gemälde gestohlen, auf dem die Stadtansicht von Mainz im 15. Jahrhundert abgebildet ist. Genau für dieses Gemälde hatte sich auch Hannah interessiert. Hinzu kommen noch alte Briefe und eine Klosterhandschrift, welche den Handlungsort des Krimis von Mainz zeitweise zum Kloster Eberbach im Rheingau verlegt. Eine entscheidende Rolle spielt außerdem noch die Stiftsfehde von Mainz zwischen Diether von Isenburg und Adolf von Nassau.

Geschickt verbindet Helge Weichmann in seinem Debütkrimi Fiktion mit historischen Ereignissen. Aber nicht nur das Hintergrundwissen von Helge Weichmann zur Mainzer Stadtgeschichte überzeugt jederzeit, die komplexe Story an sich tut dies ebenfalls. Von Beginn an erzählt der Autor seinen Krimi sehr fesselnd, ideenreich, hochspannend und mit viel Mainzer Lokalkolorit. Die Story ist gespickt mit unvorhersehbaren Wendungen und mit seinem lockeren, unterhaltsamen, oft auch sehr humorvollen Schreibstil schickt der Autor seine Protagonisten in einige ziemlich verzwickte und gefährliche Situationen. Die Auflösung des Rätsels um den Josefsberg ist logisch und nachvollziehbar umgesetzt.

Neben der fesselnden Story hat Helge Weichmann auch einige originelle Charaktere geschaffen. Allen voran seine eigensinnige, schlagfertige Protagonistin Tinne. Aber auch ihr WG-Mitbewohner Bertie, der Gewaltbote Jean und natürlich Elvis überzeugen in ihren Rollen jederzeit. Gerade Elvis, der Mainz wie seine Westentasche kennt und alle Einwohner sowieso, ist mit seiner gemütlichen Art und seinem trockenem Humor der perfekte Partner zur liebenswerten, manchmal etwas schusseligen Tinne. Einfach ein herrlich sympathisches Gespann.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.