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Juti
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Insgesamt 631 Bewertungen
Bewertung vom 14.01.2022
Februar 33
Wittstock, Uwe

Februar 33


ausgezeichnet

Beeindruckende Chronik

Gleich zu Beginn mahnt der Auto angesichts der gespaltenen Gesellschaft während der Corona-Krise, dass auch im Februar 1933 die deutsche Bevölkerung gespalten war und in den ersten Tagen des berühmten Monats auch in Berlin eine Grippewelle wütete.

Weit schlimmer ist aber, wie Hitler nach der Machtübernahme innerhalb von 45 Tagen – es werden noch die letzten Tage des Januars und die erste Märzhälfte 1933 mit betrachtet. Von den vielen Literaten sehen viele nur die Chance einer Emigration ins Ausland, vor allem Frankreich, Österreich und die Schweiz. Am bekanntesten ist die Familie Mann. Thomas bleibt nach einer Auslandstournee in der Schweiz, Heinrich wird gezwungen aus dem Literatenverband auszutreten, dessen Sitzung mit dem fehlenden Widerstand der meisten ausführlich beschrieben wird, und Klaus und Erika kehren zwar aus dem Winterurlaub zurück, aber nur um ihr Exil vorzubereiten und das Arbeitsmaterial des Vater mitzunehmen.

Wer nicht geht und das ist dank der Erlasse aus dem Innenministerium von Göring schon nach wenigen Tagen klar, droht die Verhaftung, wenn er gegen die Nazi-Regierung schreibt. Mit dem Reichstagsbrand wird alles noch viel schlimmer und allen Kommunisten oder Sozialdemokraten können festgenommen werden. Nach wenigen Wochen sind die Berliner Gefängnissen überfüllt.
Jeder Tag endet mit einem kurzen Überblick, wo in Deutschland wie viele Menschen wegen der Nazi-Gewalt umgekommen sind.

Wer dieses Buch liest, fragt sich unweigerlich, wann die letzte Möglichkeit gewesen wäre, den Nazi-Terror noch zu verhindern. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler Ende Januar 1933 war es definitiv zu spät. 5 Sterne

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.01.2022
Die Eroberung Amerikas
Franzobel

Die Eroberung Amerikas


weniger gut

Zu viel gewollt

„Gestern war heute noch morgen, und übermorgen wird morgen gestern sein.“ Ich habe diese Kritik mit dem ersten Satz des Buches begonnen, weil ich nicht weiß, ob dieser Satz ein Zitat ist. Die google-Recherche liefert in der Tat für den ersten Teil eine CD der Böhsen Onkelz.

Weiter lese ich vom zahnlosen Sonnenkönig. Das kann durchaus sein. Wie ich aus dem „Hammer“ weiß, gab es eine Kultur des Zähneziehens. Auch ein Papst, der so dick war, dass er sich selbst nicht mehr umdrehen konnte, kann ich mir vorstellen. Bei Innozenz dem Achten blieb die google-Recherche aber erfolglos.

Der Roman beginnt also wie ein Sachbuch, dem die Fußnoten fehlen. Und so hätte ich auch fast übersehen, dass es noch die Anwaltskanzlei gibt, die den Indianern Amerika zurückgeben will. Ein Problem dieses Buches ist nämlich, dass es zwar Überschriften und einzelne Kapitel kennt, nicht jedoch trennt, was heute und was 1537 war.

So wird auf S.20 die Welt des 16. Jahrhunderts beschrieben, natürlich mit dem etwas anderen, komischen Blick. Gutenberg heißt zum Beispiel Gutfleisch. Als der Autor aber bei der Geschichte um den abgeschnittenen Finger Karl V. auf S.24 schreibt: „Wir erwähnen diesen Namen, lang wie eine Eisenbahngarnitur, damit Sie die Geschichte überprüfen können“ hatte ich die Lust zur google-Recherche bereits verloren. Das Zitat zeigt ferner die Liebe des Verfassers zu schiefen Vergleichen, die gepaart mit Anachronismen in diesem Buch unzählbar oft vorkommen.
Auf S.288 schreibt der Autor, Hitler hätte die Jugend vernichtet, um dann eine andere Person verbessern zu lassen, dass es Juden statt Jugend heißen müsse. Gut meinend kann ich das nur als österreichischen Humor durchgehen lassen.

Eigentlich schade, denn aus der Biografie De Sotos hätte man was machen können, wie auf der Wikipedia-Seite vom Entdecker „Hernando de Soto“ nachlesen kann. Ich erwähne die Internet-Seite, denn der Autor würzt seine Erzählung mit ständigen Phrasen, selbst das Phrasenschwein kommt vor. Da an der historischen Florida-Expedition offenbar vieles unklar ist, lädt es zu Fantasiegeschichten ein, aber nach dem allgemeinen Beginn sind über 500 Seiten zu viel. Nur der Anwalt Turtle Julius gefällt mir, der wegen der Suche nach einem Erben um die halbe Welt reist.

Franzobels letztes Buch vom „Floß der Medusa“ habe ich gern gelesen, hier musste ich die letzten 200 Seiten großflächig lesen, um das Werk nicht ganz bei Seite zu legen. Ich habe die Mängel aufgezeigt und kann daher leider nur 2 Sterne vergeben. Wenn ein Mathematiker mit einem Beweis nicht zufrieden ist, schreibt er einen neuen. Schade, dass dies in der Literatur nicht üblich ist. Die Florida-Expedition von De Soto erlaubt mehr.

Bewertung vom 09.01.2022
Barbara stirbt nicht
Bronsky, Alina

Barbara stirbt nicht


sehr gut

kurzweilige Satire

Herr Schmidt vermisst eines Tages seine Frau Barbara, weil sie vor dem Badezimmer liegt. Wegen der Krankheit seiner Frau muss er nun den Haushalt übernehmen, was in der Küche zu lustigen Missverständnissen führt. Mit Hilfe des Fernsehkochs Medinski mit dem er auch im Internet chattet und dabei die Nervensäge Lydia kennenlernt bekommt Herr Schmidt das aber sehr gut hin.

Nach 100 Seiten scheint das Problem gelöst. Selbst Besuche kann er wieder empfangen, ja seine Kinder tauchen mitunter zu oft auf. Als Walter selbst den Kuchen für die Freiteiteinrichtung „jukuz“ backen kann, tauchen Probleme im „Goldenen Hirsch“ auf. Das ist die Kneipe, in der Herr Schmidt jeden Donnerstag seine Freunde trifft.

Nun wird die Satire ernster. Wir erfahren, dass die Schmidts bereits 52 Jahre verheiratet sind, aber nur wegen eines Kindes geheiratet haben. Doch der letzte Teil wird nur angedeutet. War Hanne Walters große Liebe? Und was war mit Bernd? Als der Leser denkt, dass seine Kinder zu jung sind, taucht plötzlich Artur auf, aber mehr verrate ich nicht.

Der Mittelteil zieht sich etwas, von Barbaras Diagnose hätte ich im Schlussteil gerne gehört. Sonst gefällt mir vor allem wie es der Autorin gelingt gegen Ende noch ernste Themen wenn nicht anzusprechen, so doch anzudeuten. Übrigens höre ich auch immer einen osteuropäischen Migrationshintergrund heraus, was nicht nur am Lieblingsgericht Borschtsch liegt. 4 Sterne

Bewertung vom 05.01.2022
Sensibel
Flaßpöhler, Svenja

Sensibel


ausgezeichnet

eine Stimme unserer Zeit

Ist ein Zitat des N-Wortes noch legitim? Und wie soll ich mich zum gendern verhalten? Diese und viele weitere Fragen wie zu Me Too behandelt die Autorin aus philosophischer Sicht.
Denn die zweite Frage ist, wie verhalte ich mich, wenn Randgruppe diskriminiert werden. Bin ich dafür sensibel oder dagegen resilient. Boykott oder gar Kündigungen soll es schon gegeben haben.

Diese Zeitfragen setzt die Philosophin in Beziehung zu ihren Vorgängern. Während Nietzsche Widerstandsfähigkeit fordert, setzt sich Rosseau wie sein Vorgänger Richardson für mehr Empathie ein, die er vor allem in Frauenbildern findet. Dies war im 18. Jh. schon ein wesentlicher Fortschritt zum Mittelalter, das aus heutiger Sicht nur gewalttätig erscheint.

Im 4. Kapitel folgt der Sprung ins 20. Jahrhundert, zu Freud und Jünger. Freud war der erste, der die Triebe untersuchte, die hinter einer guten Handlung stehen. Ernst Jünger beschreibt den Krieg als inneres Erlebnis. Dabei entsteht ein Exkurs, dass Strafen sich vom körperlichen Schmerz entkoppelt. Opfer ist nicht mehr nur der Gefallene im Krieg, sondern auch wer von den Traumas des Krieges erzählen kann. Da liegt es schon quasi auf der Hand, den Traumabegriff unabhängig vom Krieg zu sehen.

Den Höhepunkt des Buches bildet das 6. Kapitel, das die Sprachsensibilität behandelt. Sehr gut gefallen hat mir, dass diskriminierende Wörter wie „schwul“ sich zu emanzipatorischen Wörtern entwickelt haben. Und so stellt sich auch beim N-Wort die Frage wer es in welchem Zusammenhang benutzt. Die Frage ist, wie weit man die Zensur von Wörtern zulassen will. Auch auf die Gefahr der kulturellen Aneignung weist die Autorin hin.

Schwierig wird es, wenn Amanda Gormans Gedicht „The Hill We Climbed“ nur von schwarzen jungen Frauen übersetzt werden darf, weil andere sich nicht in ihre Lage einfühlen können. Betroffenenperspektive und Standpunkttheorie stehen sich gegenüber. Empathie bedeutet auch den Wechsel von der „ich-“ zur „du-zentrierten-Perspektive“.
Im letzten Kapitel widmet sich die Philosophin sich Corona und der wachsenden Distanz in zivilisierten Gesellschaften, die sich beispielsweise in der zunehmenden Wohnfläche äußert. Berührungen sind immer seltener erlaubt. Immer mehr wird Takt- oder Fingerspitzengefühl verlangt. Die Autorin schließt mit dem Tocqueville-Paradox, dass je gleichberechtigter eine Gesellschaft wird desto sensibler wird sie auch für noch bestehende Ungerechtigkeiten (204).

Angesichts der Vielzahl kluger Zitat und dem differenzierten Meinungsbild komme ich nicht umhin, 5 Sterne zu vergeben.

Bewertung vom 30.12.2021
Blaue Frau
Strubel, Antje Rávik

Blaue Frau


sehr gut

umstrittener Buchpreis

Da ich noch nicht alle Bücher der Shortlist gelesen habe, kann ich nicht abschließend sagen, ob dieses Buch den Preis verdient hat, aber das Werk von Juli Zeh, das nicht vorgeschlagen war, ist besser.

Auf jeden Fall ist es ein wenig unkonventionell, vor allem die Zwischenstücke mit der blauen Frau bleiben rätselhaft. Anfangs dachte ich, es könnte Träume der Hauptperson sein.

Diese hat verschiedene Namen, zuerst in Helsinki heißt sie Adina. Dort lebt sie mit ihrem Freund Leonidis zusammen, bis sie bei einem Empfang einen Multiplikator trifft, der sie in Brandenburg brutal vergewaltigt hat. Das erfahren wir aber erst später, denn im zweiten Kapitel begleiten wir Adina auf einen Deutschkurs in Berlin, im dritten Kapitel in einem Haus in Brandenburg. Dort fand auch die Vergewaltigung statt über die aber eigentlich erst im letzten Kapitel berichtet wird.

Der Roman ist aber keinesfalls monothematisch, auch die Unterschiede zwischen Ost - und Westeuropa werden behandelt, ja gerade im ersten Kapitel kommen Kleinstthemen wie bei Peter Handke vor.

Auch Leute, die nicht alles auserklärt haben möchten und mitunter rätseln wollen, was die Autorin meint, kommen auf ihre Kosten. Mir war es in dieser Richtung etwas zuviel, insbesondere was die blaue Frau angeht, so dass ich nur 4 Sterne vergebe.

Bewertung vom 18.12.2021
Das Dämmern der Welt
Herzog, Werner

Das Dämmern der Welt


ausgezeichnet

29jährige Robinsonade eines Japaner auf den Philippinen#

„Aus, aus, aus! Der Krieg ist aus!“ hat auf Lubang, der philippinischen Insel in der Bucht vor Manila niemand gerufen. Und so kämpfte Onoda nach dem chaotischen Abzug der japanischen Armee Anfang 1945 noch bis in den Mai 1974 seinen Guerillakrieg gegen die Amerikaner oder besser gegen die philippinische Armee.

Anfangs hatte er noch drei Mitstreiter, einer ging bereits 1950 im Dschungel verloren, lief zum Gegner über und wollte seine ehemaligen Freunde überzeugen, dass der Krieg beendet war. Aber genau wie ausgelegte Zeitungsartikel hielt Onoda solche Versuche für Propaganda des Feindes.

Seine beiden verbliebenen Mitkämpfer kamen bei Gefechten mit den Einheimischen ums Leben. Schließlich mussten die Soldaten zur Ernährung hin und wieder ein Rind der Bauern entwenden. Wie viele Einheimische die versprengten Soldaten in all den Jahren erschossen haben, ist leider bis heute nicht klar. Nicht sein Bruder, sondern erst sein Vorgesetzter machten dem Spuk ein Ende.

Der Journalist, der das vermittelt hat, wollte erst Onoda, dann den Yeti und zu guter Letzt einen Pandabären sehen. Onoda hat er getroffen, doch bei der Suche nach dem Yeti kam er durch eine Lawine ums Leben.

Dieses kurze Büchlein enthält kein Wort zu viel und deshalb sind 5 Sterne auch kein Stern zu viel.

Bewertung vom 18.12.2021
Der Pater und der Philosoph
Horsten, Toon

Der Pater und der Philosoph


gut

Eine Biografie von Pater Herman Leo Van Breda, die wie ein Krimi beginnt

Treffen sich Stefan Zweig und Joseph Roth in Wien und haben Husserl vergessen. So ähnlich beginnt dieses Buch, das dann aber die ersten beiden Juden völlig vernachlässigt und sich dann nur noch dem Philosophen Husserl widmet.

Recht schnell ist dieser aber bereits Tod als unser Pater die Bühne betritt. Er besucht die Witwe und muss feststellen, dass er drei Koffer Manuskripte vor den Nazis retten muss. Der Weg über Konstanz und die Schweiz ist versperrt, es bleibt nur ein Husserl-Institut in Leuven aufzubauen.

Das alles hat die FAZ schön beschrieben, das Problem ist nur, das wir erst auf S.70 sind. Ohne Anhang folgen noch 196 Seiten. Wie Nastassja Martin ist dieses Buch zu lang, doch kann ich nicht genau die Seite sagen. Auch die Kriegszeit ist spannend. Die Ausreise der Husserl-Witwe in die USA scheitert, dafür werden die Möbel zerbombt. Viele jüdische Freunde müssen fliehen, nicht alle überleben. Aber in Leuven passiert dank des Kommandeur von Thadden glücklicherweise wenig. Unser Pater kann alle Manusskripte retten.

Es kommen aber zu viele Philosophen im Buch mit ihren Eitelkeiten vor und zu wenig Philosophie, so dass das Nachkriegskapitel vollends der Langeweile anheimfällt, ausgenommen vielleicht den Sprachenstreit um die Universität in Leuven.

Nur wen wirklich interessiert, ob die Manuskripte von Edith Stein im Husserl-Archiv oder im eigenen Archiv verwahrt werden sollen und wer wissen will, wer Husserls Kurzschrift entziffert hat, sollte die letzten 196 Seiten lesen. So gibt es trotz starkem Beginn nur 3 Sterne.

Bewertung vom 15.12.2021
Falsche Pandemien
Wodarg, Wolfgang

Falsche Pandemien


gut

Der Anti-Lauterbach

Bei Gegnern der verbreiteten Corona-Meinung kommt es auf die Qualifikation des Autors an. Und da kann man bei Herrn Wodarg als ehemaligem MdB für die SPD (!) und Arzt und Leiter eines Gesundheitsamts nicht klagen.

Wer Paul Schreyer gelesen hat, der wird auf den ersten 100 Seiten nichts Neues finden: Die Corona-Pandemie wurde von der Pharmaindustrie dank „Vogel-“ und Schweinegrippe“ von langer Hand vorbereitet.

Der Mittelteil ist der interessanteste. Dort stellt der Arzt Wodarg die medizinischen Maßnahmen in Fragen. Mir leuchtet ein, dass man Masken nicht den ganzen Tag tragen kann und nach gewisser Zeit eine Pause machen muss. Warum aber eine Ansteckung ohne Symptome nicht möglich sein soll, habe ich nicht verstanden. Was mich wiederum überzeugt hat, ist, dass die Qualität der Test nicht aussagekräftig ist und dass insbesondere ein positiver PCR-Test alleine nicht ausreicht, um jemanden für als covidkrank zu erklären.

Von seinen Argumenten gegen die Impfung kann ich Argument 1 (Eine Impfung ist gar nicht erforderlich) und 3 (Die Sicherheit der Impfung ist wegen fehlender Nachbeobachtungszeit ungewisss S.161f) nachvollziehen. Dass aber der Nutzen der Impfung nicht bestimmbar ist und die Corona-Kranken nur Alte aus Heimen sind, die wegen des unter Quarantäne gestellten Pflegepersonals in Krankenhäuser geliefert und dort gestorben sind, ist mir zu wenig plausibel.
Zugutehalten muss man dem Autor natürlich, dass dieses Buch vor der 4.Welle geschrieben wurde, so dass auch ein Wort zu Longcovid fehlt.

Ab Seite 272 beschwert sich Wodarg über die Politik und die Geldgier der an Covid-Beteiligten, die steigende Gewinnmaximierung selbst im Gesundheitssystem und die fehlende Darstellung anderer Meinungen, vor allem in den öffentlich-rechtlichen Sendern. Er hat vermutlich nicht unrecht, doch ich glaube, er hätte gut daran getan, diese Entwicklung in einem zweiten Buch zu schildern.

So konnte ich den Schlussteil wegen zahlreicher Wiederholungen schnell überfliegen und kann diesem Werk nicht mehr als 3 Sterne geben. Über eine Auseinandersetzung mit seinen Argumenten würde ich mich dennoch freuen.

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.12.2021
An das Wilde glauben
Martin, Nastassja

An das Wilde glauben


sehr gut

Der Kampf mit den Bären einer Frau

Dieses Büchlein fällt gleich mit der Tür ins Haus. Wir sind dabei wie eine Frau, Natassja Martin, in Kamschatka nach dem Kampf mit einem Bären, der ihr den Unterkiefer zertrümmert und ins Bein geschlagen hat, aber dank des Einsatzes eines Eispickels dann doch das Weite gesucht hat, verarztet und ins Krankenhaus kommt.

Wir erleben als zweiten Höhepunkt den Wettkampf der französischen Medizin mit der russischen. Erstere verliert, weil sich bei der Operation der französischen Platte in den Kiefer Keime mit einschleichen.
Doch dann, mit dem Kapitel Frühling lässt das Tempo schlagartig nach, die gerade genesene, obwohl vermutlich im Gesicht entstellt, wieder zurück nach Kamschatka reist, um das Ereignis des Kampfes in Träumen und in der Wirklichkeit philosophisch nachzuvollziehen.

Man soll es kaum glauben. Aber dieses 137 Seiten dünnes Büchlein ist 40 Seiten zu lang. 4 Sterne

Bewertung vom 07.12.2021
Sommerfrauen, Winterfrauen
Kraus, Chris

Sommerfrauen, Winterfrauen


gut

Alle lieben Tante Paula

Was ist das denn für ein Roman? Da will unsere Hauptfigur einen Film für seine Akademie in New York drehen. Er entscheidet sich zunächst für ein Film über Sex. Da er aber nicht pornographisch werden will, wählt er das Liebesspiel mit Ohrläppchen. Irgendwie hat er zwischendurch noch die Idee von einem Film über einen unbekannten Schriftsteller.

Dann aber trifft er Tante Paula, die als Jüdin aus Riga die Nazi-Zeit überlebt hat, weil der SS-Sturmführer in sie verliebt war. Ihres Lebensgeschichte wird der Filminhalt unseres Protagonisten, der eigentlich keinen „Nazischeiß“ (S.19) behandeln wollte.

Bleibt noch der Titel zu klären. Außer im Vorwort ist mir nicht klar, wo die Worte „Sommerfrau“ oder „Winterfrau“ erstmals genannt werden. Die Erklarkärung folgt aber erst auf S.179: „Eine Sommerfrau braucht Anbetung, männliche Hege und Pflege, eine Gartenschere, weil sie wie eine wilde Hecke wächst und geschnitten werden will, nach ihren Vorstellungen, aber gedüngt mit den Exkrementen des Mannes (oder zumindest sein Geld).“ Und auf S.180: „Die Winterfrau hingegen ist autark. […] Verantwortungsvoll und groß ist sie im Schmieden von kleinen Plänen. Eine Gartenschere braucht sie nicht, warum auch, auf ihr liegt immer Schnee. […] Männer sind Teil der feindlichen Natur. Ebenso Frauen. Die Winterfrau kann alleine leben, die Sommerfrau niemals.“

Wirklich überzeugend waren die Verhöre von Tante Paula, ebenso seine Gedanken über Ohrläppchensex. Dem gegenüber stehen leider unendlich langatmige Dialoge, vor allem im Bekanntenkreis unseres Helden, so dass mich leider nur für 3 Sterne entschieden habe.