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Benutzername: 
Hennie
Wohnort: 
Chemnitz

Bewertungen

Insgesamt 268 Bewertungen
Bewertung vom 21.05.2017
Mr. Peardews Sammlung der verlorenen Dinge
Hogan, Ruth

Mr. Peardews Sammlung der verlorenen Dinge


ausgezeichnet

DAS MUSEUM DER VERLORENEN DINGE
Ruth Hogan gelang mit ihrem Debütroman ein wundervolles Werk. Im Klappentext erfährt der Leser, dass sie durch einen schweren Autounfall und durch eine Krebserkrankung zum Schreiben fand. Die Geschichte um „Mr. Peardews Sammlung verlorener Dinge“ zeichnet sich vielleicht auch deshalb, wegen der traumatischen Erlebnisse, durch eine besondere Sensibilität aus.
Der Roman beginnt recht ausgefallen und entbehrt nicht einer gewissen Komik. Der alleinreisende Charles Bramwell Brockley wird in einer Keksdose im Zug von London Bridge nach Brighton gefunden. Er hat großes Glück, dass er Anthony Peardew in die Hände fiel. Ansonsten wäre seine Asche in dem Behältnis in den nächsten Abfalleimer gewandert. Stattdessen erhält die Huntley & Palmers Keksdose einen geordneten und beschrifteten Platz in Andrews Sammelsurium gefundener Dinge. Vor 40 Jahren begann er mit dieser seltsamen Marotte, nachdem er das Liebespfand seiner Verlobten Therese verlor und sie am gleichen Tag bei einem Unfall verstarb.
Anthony Peardew, so heißt also die Hauptperson des Romans. Er und seine verlorenen Dinge sind der Dreh- und Angelpunkt im Buch. Die Geschichte spielt in zwei Zeitebenen. Die eine Ebene beginnt in den siebziger Jahren (1974/1975) und bezieht Personen wie Eunice, Bomber, dessen Eltern und seine Schwester Portia mit ein. Deren Lebensläufe, Schicksale verflechten sich stetig mit der Handlung um Anthony und seine Fundstücke und führen bis zur Gegenwart.
Die andere Zeitebene spielt in der Gegenwart und bindet die Personen um Laura ein, Freddy, der Gärtner von Anthony, Sunshine, das junge Mädchen mit Down-Syndrom.
Wie ein roter Faden verbinden die verlorenen Gegenstände Gegenwart und Vergangenheit.
Laura, eine junge, geschiedene Frau Mitte dreißig, erledigt für Anthony den Haushalt und hilft ihm bei der Buchhaltung. Sie fühlt sich wohl im „Padua“, in Anthonys Villa. Nach seinem unerwarteten, plötzlichen Tod teilt ihr sein Anwalt mit, dass sie nun Alleinerbin vom gesamten Besitz ist. Anthonys Vermächtnis an Laura war, dass einige der verlorenen Gegenstände irgendwann an ihre Besitzer zurückgegeben und ihrer Bestimmung übergeben werden können... Ob und wie das gelingt, ist äußerst lesenswert.

Die Autorin schuf einmalige, gleichermaßen anziehende (Sunshine, Bomber) wie auch abstoßende (Portia, Felicity) Charaktere.
Ruth Hogan schrieb ein Buch über das Leben, die Liebe in ihren unterschiedlichen, variantenreichen Erscheinungsformen, über das Verlieren und Finden von Gegenständen, aber auch von Menschen. Sie erzählt feinsinnig mit tiefem Humor und bissiger Ironie. Ihr gelingen außergewöhnliche Sätze, die mir lange im Gedächtnis bleiben werden.
Auf S. 76 „Eine ganz leichte Fontanelle in ihrem Charakter“.
Auf S. 90: „Seine Liebe war die Farbe ihrer Prellungen“.
Auf S. 144: „Wie kann ein Getränk, das nass ist, weil es ein Getränk ist, trocken sein?“

Manchmal traten mir vor lauter Rührung die Tränen in die Augen. Vor allem wegen Sunshine, das Mädchen mit dem „Daunendrom“. Meine Lieblingsfigur im Roman. Sie ist so ein unverstellter, liebenswerter Charakter, sehr warmherzig und äußerst mitfühlend. Sunshine ist der Grund, warum ich die übersinnlichen Sequenzen im Buch nachvollziehen kann und nicht als störend empfinde.
Ruth Hogan gelang es mit einer Leichtigkeit eine berührende Geschichte um eine große Liebe zu schreiben. Wie sie gefundene Dinge mit den Schicksalen von vielen Menschen neben den Hauptpersonen miteinander verbindet, das ist eine reife literarische Leistung.
Es ist schon das zweite Buch (neben „Der Freund der Toten“ von Jess Kidd) in diesem Jahr, was mir außerordentlich gut gefällt.
Meine bedingungslose Leseempfehlung und fünf Sterne!

Bewertung vom 07.05.2017
Der Freund der Toten
Kidd, Jess

Der Freund der Toten


ausgezeichnet

MIT DEN TOTEN IM BUNDE
„Der Freund der Toten“ - Der Roman ist für mich ein Anwärter für das Buch des Jahres 2017. –
Ein absolut gelungenes Debüt der Engländerin Jedd Kiss! Ihr folgt man gern durch die Geschichte des charmanten Hippies und Womanizers Mahony, der seine Wurzeln in dem kleinen irischen Ort Mulderrig sucht.
Vor 26 Jahren wurde er in Dublin in einem Körbchen vor dem Waisenhaus abgestellt. Beigelegt wurde damals ein Briefumschlag. Diesen Umschlag erhält er über Umwege erst viel später aus dem Nachlaß der ihm nie gewogenen Schwester Veronica. Der Inhalt trifft ihn bis ins Mark: Ein Foto seiner blutjungen Mutter Orla Sweeney, die ihn liebevoll im Arm hält, umseitig mit einer aussagekräftigen Beschriftung. Er war immer der Annahme, dass seine Mutter ihn nicht wollte. Mit dem Beweis in den Händen, das es so nicht war, macht er sich auf den Weg in den Ort seiner Geburt.
Der Roman beginnt im Jahre 1950 mit einer unglaublich präzisen Beschreibung der brutalen Tötung einer jungen Frau im Wald. Ihr Kind entgeht der Ermordung durch das plötzliche, wundersame Verbergen des Kleinen durch Blätter und Farne.
Weiter geht es dann 1976. Mahony kommt im beschaulichen Mulderrig an und erzeugt von Anfang an Unruhe durch sein merkwürdig vertrautes Gesicht. Er findet in Rathmore House eine Unterkunft. Dort wohnt die alte Mrs Cauley, eine ehemalige Schauspielerin, sehr hell im Kopf, aber mit siechem Körper. Sie hilft Mahony Licht in das mysteriöse Verschwinden seiner Mutter zu bringen. Gemeinsam hecken sie einen cleveren Plan aus. Am Ende geht der auch auf, aber lange Zeit sieht es danach aus, dass Mahony das gleiche Schicksal wie seine Mutter ereilt. Zu viele Bewohner Mulderrigs stellen sich gegen ihn oder halten sich bedeckt. Doch Mahony hat starke Verbündete. Die Toten stehen ihm bei. Sie helfen dabei, dass sich langsam Mosaiksteinchen zu Mosaiksteinchen fügt. Allen voran ist da die kleine Ida, die ihr gelbes Jojo sucht und der bedauernswerte Hund, der totgeschlagen wurde, weil er die Untat an Orla verhindern wollte.

Durch Jedd Kiss feinsinnigen, illustrativen Schreibstil, durch die beeindruckenden Sätze, die sie formuliert, durch die bildhaften Vergleiche, die sie findet, wird der Roman zu einer literarischen Besonderheit. Sie weiß um die Wirkung der Worte und setzt sie ganz bewußt ein.
Es fällt mir schwer die poetisch angehauchte Geschichte einem Genre zuzuordnen. Es gibt viele Krimielemente als auch solche Elemente, die märchenhaft, übernatürlich oder magisch sind. Auch der Humor kommt nicht zu kurz, mal bitter, bissig, spitzzüngig und gemein oder sogar schwarz. Ich bin daher einverstanden, dass man „Der Freund der Toten“ als Roman bezeichnet.
Die Autorin zeichnet Charaktere, die einzigartig sind. Herausgreifen möchte ich den Pater Eugene Quinn, der mit dem tückischen Aussehen eines Wiesels geschlagen ist. Diesen Nachteil unterstreicht sie noch in der Beschreibung des Pfarrhauses, das mit dem Auftauchen von Mahony plötzlich durch eine Unmenge von Fröschen bevölkert wird (eine von den 10 biblischen Plagen?).
Das Cover des Buches ist ein Eyecatcher. Es fügt sich auch im nachhinein nahtlos in den Gesamteindruck des Buches ein. Da sind Augen aus dem schwarzen Hintergrund, Blumen und Farne, Fuchs und Hase zu sehen.
Das Ende der Geschichte geht aus wie im Märchen. Das Gute siegt über das Böse. Mahony darf glücklich mit einer Frau sein weiteres Leben gestalten. Und wenn er nicht gestorben ist, dann lebt er noch heute.
Ein beeindruckendes Debüt, das ich mit fünf glitzernden, blinkenden Sternen bedenken möchte. Meine unbedingte Leseempfehlung!

Bewertung vom 07.05.2017
Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster
Pásztor, Susann

Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster


ausgezeichnet

Würdevolles Sterben

Susann Pásztor behandelt hier ein ganz schwieriges Thema mit dem die meisten überfordert sind. Es wird oft verdrängt. Die Autorin baut ihre Geschichte mit Fred Wiener und dessen 13jährigem Sohn Phil auf. Beide sind etwas eigenbrötlerisch, sehr zurückhaltend, fast introvertiert. Sie haben ihre Rituale miteinander, die sie davon abhalten, sich gegenseitig zu nerven. Fred ist um die vierzig, von seiner Frau Sabine geschieden und etwas dicklich. Phil dagegen für sein Alter zu klein, ist ein begabter Junge, ein kleiner Wortakrobat, schreibt Gedichte und sammelt Wörter, die er in sein System ordnet.
Fred Wiener also ließ sich als ehrenamtlicher Sterbebegleiter ausbilden. Karla Jenner García, 60 Jahre alt, erkrankt an Bauchspeicheldrüsenkrebs, ist die Erste, die er begleiten möchte. Sie ist eine überaus taffe Frau und macht es ihm nicht gerade leicht. Karla hat sehr genaue Vorstellungen, was sie will und was nicht. Fred jedoch weiß nicht wirklich, wie er sich der Todkranken nähern soll. Er ist total verunsichert. Wiederholt stellt er an sich selbst die Fragen, auf die die sterbenskranke Frau Antworten möchte. Warum wurde er Sterbebegleiter? Wieso möchte er sich so eng mit dem Tabuthema Tod befassen? Er versucht immer wieder das Gelernte zu rekapitulieren und anzuwenden. Doch Theorie und Praxis sind zwei verschiedene Dinge. In seinem Bestreben der sterbenden Karla noch etwas Gutes zu tun, schießt Fred weit über seine Kompetenzen hinaus. Es geht gründlich schief. Durch einen Zufall und über seinen Sohn Phil, der Karlas Fotoarchiv digitalisiert und dadurch der Nachwelt erhält, findet er wieder Zugang zu ihr.

Die Sterbebegleitung, das Befassen mit dem Tod, mit seinen Vorboten, mit der Endlichkeit unseres Seins. Das sind die Themen, die unangenehm sind. Ich selbst habe solche Literatur bisher gemieden.
Susann Pásztor erzählt eine Geschichte, die mir sehr ans Herz ging. Genau diese heimtückische Krankheit, an der Karla starb, nahm mir auch meinen Vater vor der Zeit.
Ich war sehr erstaunt mit welcher Leichtigkeit das schwere Thema bewältigt wurde. Das eine oder andere Mal musste ich schmunzeln. Zum Beispiel das Gespräch über die Bestattungsmodalitäten, das Karla sehr souverän und nachdrücklich mit dem geschäftstüchtigen Bestatter führt.
„Ich kann mich mit dem Tod so intensiv auseinandersetzen, wie ich es möchte und aushalte“. Er mit seinen Vorschlägen: Karla als „Diamant“ oder „Korallenriff“ oder ...
Das wirkt ungewollt komisch, makaber, befremdlich auf diejenigen für die das Sterben noch kein Thema ist.
Der Tod gehört zum Leben, zu unserem Alltag. Diese banale Weisheit führt die Autorin mit einer Selbstverständlichkeit zu einem normalen Abschluß. Ohne auf die Tränendrüsen zu drücken, ohne Wehleidigkeit, ohne Bitterkeit, unaufdringlich, niemals aufgesetzt. Die handelnden Personen passen hervorragend zusammen, wie bei einem Puzzle. Das Buch wurde behutsam und mit viel Fein- und Taktgefühl geschrieben bis zum Ende.
„Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“ so der Titel des Buches und so ist es dann auch. Mit einem optimistischen Ausklang schließt die Geschichte ab. Die Protagonisten sind gereift. Phil ist auch körperlich gewachsen, größer geworden und kann mit seiner Mutter Sabine und derem neuen Freund befreit umgehen. Fred wurde selbstsicherer.

Ein schönes, ein wichtiges Buch. Von mir eine unbedingte Leseempfehlung.

Bewertung vom 28.03.2017
Ragdoll - Dein letzter Tag / New-Scotland-Yard-Thriller Bd.1
Cole, Daniel

Ragdoll - Dein letzter Tag / New-Scotland-Yard-Thriller Bd.1


ausgezeichnet

DIE STETIG TICKENDE TODESUHR
„Der neue Bestsellerautor Daniel Cole sorgt für einzigartige Spannung, die süchtig macht“. Der Aussage kann ich mich vorbehaltlos anschließen. Dem jungen Autor gelang mit „Ragdoll - Dein letzter Tag“ ein starker Debütroman. Ragdoll ist ein äußerst clever erarbeitetes Mordkomplott mit überraschenden Wendungen und Zusammenhängen.

Die Handlung:
Die Geschichte beginnt im Jahr 2010 im „Old Bailey“, dem berühmten Londoner Gerichtsgebäude. Detective William Oliver Layton-Fawkes, genannt WOLF, rastet im Gerichtssaal vollkommen aus als das Urteil für den „Feuerbestatter“ genannten Serienmörder nicht schuldig lautet. Er schlägt ihn fast tot. Vier Jahre später kehrt Wolf nach seiner Suspendierung wieder zu seinem Ermittlerteam der Metropolitan Police zurück. Er wird zu einem grausigen Fund gerufen. In einer Wohnung, die seiner gegenüber liegt, hängt eine Leiche. Das besonders Entsetzliche ist, dass sie aus sechs Körperteilen von sechs Opfern grob zusammengenäht wurde zu einer „Ragdoll“. Fast gleichzeitig erhält die Journalistin Andrea, Wolfs Exfrau eine Liste, auf der sechs weitere Morde mit genauem Todeszeitpunkt angekündigt werden. Der Ragdoll-Mörder ist unwahrscheinlich clever und trickst die Polizei aus. Die „Todesuhr“ beginnt zu ticken und ein nervenaufreibender Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Der letzte Name auf der Liste lautet:
DETECTIVE WILLIAM OLIVER LAYTON-FAWKES .

Meine Meinung:
In einer besonderen Erzählweise, in einer direkten Draufsicht auf das Geschehen vermittelte Daniel Cole von der ersten bis zur letzten Seite eine unheimliche, knisternde Spannung und erzeugte einen mitreißenden Sog. Eine unerklärliche atemberaubende Atmosphäre! Dabei versteht er es scheinbar auch noch zwischen den Zeilen Spuren für den Leser zu legen und starke Charaktere zu schaffen. Vom Prolog an bis zum Schluß endet jedes Kapitel mit einer Überraschung. Ein fortwährendes Auf und Ab in den Ermittlungen sorgt dafür, dass der Mißerfolg überwiegt. Das ist aber auch kein Wunder bei dem chaotisch agierenden Ermittlerteam mit einem Chef, der sich nicht durchsetzen kann. Die äußerst brutalen Morde und ein ständiger Wettlauf mit dem übermächtig erscheinenden Killer tun ihr Übriges. Wolf gebärdet sich zeitweise wie eine tickende Zeitbombe, die auf ihre Selbstzerstörung wartet. Er hat den schwierigsten und außergewöhnlichsten Charakter, obwohl er zumindest bei den Frauen einen ganz schönen Schlag besitzt. Eine besondere Beziehung verbindet ihn mit Emily Baxter, der unberechenbaren Kollegin. Sie brauchen sich wie die Luft zum Atmen. Alex Edmunds, der jüngste im Team, ist ehrgeizig und arbeitet wie ein Berserker Tag und Nacht. Am Ende des Buches war dieser Protagonist mit seiner privaten Entscheidung für mich eine besondere Überraschung.
Es war alles für mich plausibel und folgerichtig. Vor allem die Einblendungen aus der Psychiatrie aus den Jahren 2010/11 halfen mir beim Verstehen der Geschehnisse. Viel psychologisches, psychopathisches, übernatürliches (Gott, Teufel, Dämon), krankhaftes spielte eine große Rolle.
Wolf geht aus dem grausamen Mordgeschehen nicht als Sieger, aber auch nicht als Verlierer hervor. Das Ende ist meiner Meinung nach offen und läßt dem Autor Raum, ob er die Geschichte weiterverfolgt als Fortsetzung oder ob er es dabei beläßt.
Das Cover in seiner Düsternis, schwarzer Vogel auf schwarzem Grund, paßt zum Genre. Mit dem Inhalt des Thrillers hat es nichts zu tun.
Ich vergebe fünf Sterne für ein reifes Debüt.

Bewertung vom 23.03.2017
Das letzte Bild der Sara de Vos
Smith, Dominic

Das letzte Bild der Sara de Vos


ausgezeichnet

Dominic Smith erreichte mit seinem Buch „Das letzte Bild der Sara de Vos“ weltweite Beachtung. Das war seinen drei Vorgänger-Romanen nicht vergönnt.

Als allererstes fiel mir das tolle Cover ins Auge. Noch mehr gefiel es mir, als ich das Buch in den Händen hielt. Es fühlt sich fast an wie Leinwand.
Ausgangspunkt für den Roman ist das Gemälde von Sara de Vos, einer niederländischen Malerin des 17. Jahrhunderts, des sogenannten Goldenen Zeitalters. Man sieht nur einen kleinen Ausschnitt des Bildes, das eine zugefrorene Wasserfläche mit vielen Eisläufern zeigt. Es stellt eine Winterlandschaft im Abendlicht dar und wird recht ausdrucksstark am Anfang des Buches beschrieben. Sara de Vos ist eine fiktive Malerin, die 1631 als erste Frau in die Malergilde aufgenommen wurde. Nachempfunden wurde sie vom Autor einer Sarah van Baalbergen. Sie lebte von 1607 bis vermutlich nach 1638. Ein Sterbedatum kann nicht nachgewiesen werden. Sie war das erste weibliche Mitglied der Haarlem-Gilde von St. Luke und verheiratet mit dem Landschaftsmaler Barent van Eysen. Beide schufen keine bleibenden Werke bzw. können nicht sicher zugewiesen werden.

Zur Handlung:
Etwas mehr als 300 Jahre nach seiner Entstehung wird das einzige erhaltene Werk der Künstlerin Sara de Vos „Am Saum eines Waldes“ aus dem Haus des reichen Patentanwalts Marty de Groot gestohlen. Zwei Gangster tauschten es gegen eine „meisterlich gefertigte Kopie“ (O-ton Marty) aus. Gehörten diese zu den „Beatniks“, die Martys Ehefrau Rachel zur geselligen Umrahmung der Benefizveranstaltung für Waisen eingeladen hatte?
Marty verständigt nicht die Polizei, sondern beauftragt einen Privatdetektiv. Dieser wird bald fündig. Eleanor Shipley, genannt Ellie, eine introvertierte, junge, etwas verwahrloste Kunstgeschichtsabsolventin fertigte nach Auftrag eine exakte Kopie. Sie setzt ihr ganzes Wissen, ihre ganze Meisterschaft bei der Kunstrestaurierung in diese Arbeit. Wie sich der 15 Jahre ältere, verheiratete Marty der Fälscherin nähert ist erstaunlich, bezaubernd und gleichzeitig befremdlich. Was bezweckt der Mann? Warum übergibt er sie nicht einfach der Polizei?

Meine Meinung:
Dominic Smith erzählt die Geschichte in drei Zeitebenen (1636-49/1957-58/2000) und auf drei Kontinenten (Europa/Amerika/Australien).
Sara de Vos mit ihrer malerischen Kunstfertigkeit als Frau ist der Dreh- und Angelpunkt der unterhaltsamen und faszinierenden Geschichte. Wie der Autor die historische Fiktion aus der Vergangenheit mit zeitgenössischen Details lebendig in die Gegenwart überträgt, hat mich überzeugt. Geschickt verbindet er die Schicksale und zeigt die menschlichen Schwächen und Stärken auf. Grenzenlose Trauer, Verzweiflung und Hoffnung, Betrug, Täuschung und Selbsttäuschung, die Suche nach der Liebe, nach dem Sinn des Lebens machen einen Großteil des Buches aus.
Die Sache mit den Bildern entwickelt ein Eigenleben, die in einer Katastrophe für Ellie zu enden droht. Ein „Kuddelmuddel“ um die beiden Gemälde entsteht. Was ist das echte? Was ist die Kopie? Doch viel Zeit vergeht. Erstaunliches bringt die Expertise im Jahre 2000 zu Tage...

Das Buch endet versöhnlich. Es hat ein optimistisches Ende.

Eine Leseempfehlung und fünf Sterne von mir!

Bewertung vom 16.03.2017
Die Verseflüsterin
Fougerousse, Nicolas

Die Verseflüsterin


gut

FEHLENDER ZUSAMMENHANG
Marcus, ein junger gutsituierter IT-Spezialist in einer renommierten Firma hat mit Isabelle, seiner Ehefrau, scheinbar den passenden Lebensstil gefunden. Sie leben in Paris, in einem schönen Haus. Doch es macht sich Bequemlichkeit, Alltagstrott und –routine breit. Auch sexuell passiert nichts Aufregendes mehr. Sie führen eine Beziehung, die vom tagtäglichen Einerlei geprägt ist. Keine Höhepunkte. Kaum Abweichungen vom gewohnten Rhythmus. Marcus fühlt sich sicher wie in einem Kokon, „seinem Kokon.“ Dabei bleibt vieles auf der Strecke, vor allem kaum Zeit für- und miteinander, wenig Raum für Emotionen, Gefühle. Alles im Gleichmaß. Keine Ausbrüche. Da passiert plötzlich etwas Außergewöhnliches.
„Hör auf Deine Gefühle!“ So lautete die erste von insgesamt drei Botschaften an die Adresse von Marcus. Wer hat ihm den Zettel mit diesen Worten hinter die Scheibenwischer seines Autos geklemmt? War es seine Frau? Marcus kommt ins Grübeln...

Ein starker Beginn des Buches. Die Leseprobe zum Buch des jungen Franzosen gefiel mir ausnehmend gut. Sie begann hoffnungsvoll. Es wäre für mich interessant gewesen die männliche Sicht auf persönliche Dinge zu lesen. Die meisten Bücher mit der Beziehungsthematik werden ja von Frauen geschrieben. Deshalb war mein Interesse sofort geweckt.
Ich bin also mit großen Erwartungen an das Buch herangegangen. Wenn man das luftig-leicht erscheinende Cover sieht mit dem wehenden Blatt Papier im zarten Windhauch – ja dann- denkt man einen Beziehungs-/Liebesroman. Dazu noch dieser poetische, romantische Titel!
Stattdessen habe ich auf 230 Seiten keinen roten Faden im Handlungsverlauf entdecken können. Lose Enden, die irgendwo/irgendwie zerfasern. Es wird postuliert, philosophiert, behauptet, erklärt, was das Zeug hält. Die Erzählung bleibt seltsam blutleer, ohne Leben. Sie berührt mich nicht. Mir erscheint es so, als hätte der Autor nicht gewußt, wie er alles unter einen Hut bekommen soll. Ja, vielleicht hat er zuviel gewollt. Schade.
Durch den väterlichen Freund Angelo, den er durch Zufall kennenlernt, erhält er lebenskluge Ratschläge, führt philosophische Gespräche. Im Teil II des Buches tritt plötzlich Sarah auf, die Mutter von Marcus, die vorher nur unwesentlich und unerkannt in Erscheinung trat. Wie dann am Ende alles miteinander verknüpft wird, hat mich in der Tat sehr verblüfft. Aber anders als es im Klappentext des Romanes ausgedrückt wird. Bedingungslose Liebe? Vergebung? Berührung bis in die Tiefen der menschlichen Seele? Davon las ich leider nichts. Mich läßt „Die Verseflüsterin“ rat- und hilflos zurück.
Von mir nur 3 Sterne!

Bewertung vom 12.03.2017
Das Brombeerzimmer
Töpfer, Anne

Das Brombeerzimmer


sehr gut

In den süßesten Früchten steckt ein Geheimnis

Die junge Nora wohnt mit ihrem treuen Labrador Watson im Ruhrpott, aber mitten im Grünen, in ihrem Paradies. Doch der Schein trügt, denn seit einem Jahr ist ihr geliebter Julian, ihre große Liebe, nicht mehr an ihrer Seite. Ihn ereilte beim täglichen Joggen unerwartet der Herztod. Ausgerechnet an einem Sonntag, ihrem „JuNo“-Tag. Die Erinnerungen an ihren Mann sind die ständigen, quälenden Begleiter der jungen Frau. Jeden Sonntag kocht sie sieben Gläser Marmelade ein. Marmelade, die er so liebte. Ein ganzes Jahr lang. Nun sind sie pyramidenartig gestapelt auf seinem Schreibtisch im Arbeitszimmer. Sie merkt, so kann sie nicht weitermachen. Durch Zufall findet sie einen Umschlag und bald auch den dazugehörenden Brief. Julian hatte seine Großtante Klara um ein besonderes Brombeermarmeladenrezept für Nora gebeten, als Überraschung zum Hochzeitstag. Daraus wurde ja leider nichts. Ihre Neugier ist geweckt und bald beschließt die junge Frau nach Kinnbackenhagen, gelegen in der traumhaften vorpommerschen Boddenlandschaft in unmittelbarer Nähe der Ostsee, zu fahren. Sie möchte Klara gern kennenlernen.

Ich habe das Buch sehr schnell gelesen. Julians Familiengeschichte und die Geheimnisse darum wurden interessant aufgeschrieben. Sie waren aber am Ende nicht so spektakulär wie man aus dem Klappentext erhoffen konnte. Dieser Satz ließ auch mehr erwarten:
“In den süßesten Früchten steckt ein Geheimnis,...“ Das pflegte Klaras Oma zu sagen und wurde oft von Klara zitiert.
Wunderschön empfand ich die Beschreibung der Landschaft (das ist direkte Werbung, um dort zu urlauben) und der Rezepte. Mir ist ein um das andere Mal das Wasser im Mund zusammengelaufen. Man bekommt direkt Appetit, wenn man die leckeren Rezepte und immer wieder vom Essen, von den tollen Torten- und Kuchenvarianten liest.
Ein Zitat möchte ich noch anbringen, das mir sehr gut gefiel und auf viele Lebenslagen zutrifft. Auf Seite 329:
„Was gut werden soll, benötigt Zeit. Manchmal muss man einfach nur Geduld haben.“

Mein Fazit:
Die Autorin verfügt über einen angenehmen Schreibstil. In einer liebevollen, emotionalen Art läßt sie ihre Personen agieren. Glaubhaft und herzergreifend schildert sie die Trauerbewältigung und in kursiven Sätzen bringt sie uns Lesern den verstorbenen Julian nahe. "Brombeerzimmer" endet offen. Vielleicht setzt Anne Töpfer in einer Fortsetzung die beruflichen Pläne von Nora, Katharina, Mandy, Klara in die Tat um? Es wäre schön mehr zu erfahren, auch zu den noch offenen Liebesbeziehungen. Anregendes Potential ist noch genug vorhanden.
Das Cover sieht verlockend, verführerisch aus. Es ist gut gelungen.
Die Rezepte sind es wert, dass man sich mit ihnen befaßt. Die Zeit ist günstig, das Frühjahr und der Frühsommer nahen (z. B. für Holunder, Walnuss und Erdbeerlimes) Geeignet für Partys und lauschige Abende im Garten oder auf dem Balkon.

Anne Töpfer ist das Pseudonym der Autorin Andrea Russo, die selbst gern leidenschaftlich nach traditionellen Rezepten kocht und bäckt. Sie lebt in Oberhausen wie auch die Romanfigur Nora Kluge.

Meine Leseempfehlung: 4 Sterne!

Bewertung vom 01.03.2017
Perfect Girl - Nur du kennst die Wahrheit
MacMillan, Gilly

Perfect Girl - Nur du kennst die Wahrheit


sehr gut

Eine Familientragödie - Kein Thriller
Ich möchte meine Rezension damit beginnen, dass „Perfect Girl“ auf keinen Fall ein Thriller ist. Nach der Definition wird bei einem Thriller eine spannende Handlung erzeugt, die nicht nur in kurzen Passagen präsent ist, sondern während des gesamten Geschehens, über den gesamten Roman. Man erwartet als Leser dabei einen kontinuierlichen Wechsel zwischen Anspannung und Erlösung. Das vermisste ich völlig.
Die Geschichte, die sich in der Hauptsache um den Unfall dreht, den Zoe als 15jährige verschuldete, bezeichne ich als Familientragödie mit unabsehbaren Folgen.

So beginnt die Geschichte:
Zoe Masey und Lucas Kennedy, zwei hochbegabte Teenager geben ein Klavierkonzert zugunsten des Vereins für familiäre Trauerbegleitung. Es ist das erste Konzert nach der Haftentlassung des jungen Mädchens. Urplötzlich endet der Vortrag in der Kirche durch das wutentbrannte, laute Auftreten des Vaters einer tödlich Verunfallten. Das Unheil nimmt seinen Lauf. Nur wenig später ist Maria tot.

Wie konnte es dazu kommen?
Der Auslöser war unzweifelhaft Zoes Unfall unter Alkoholeinfluss, bei dem drei Teenager starben. Sie bekennt sich schuldig, kommt ins Gefängnis und wird in ihrem „ersten Leben“ als Mörderin gebrandmarkt. Maria trennt sich von Philip und beginnt mit Chris und dessen Sohn Lucas das „zweite Leben“. Dabei verschweigt sie die Vergangenheit.
Im Haus des Stiefvaters herrscht eine beklemmende, künstliche Atmosphäre, nur seine Meinung zählt und er will perfekte Menschen um sich haben. Maria hat sich immer unter Kontrolle, ist unterwürfig, verstellt sich, ist nicht mehr die Mum, die Zoe kennt. Sie tut alles für das neue, zweite perfekte Leben, zu dem noch Baby Grace gehört.
Zoe hatte aus dem Gerichtsprozess und der Zeit im Jugendgefängnis gelernt, dass sie mit der Wahrheit nicht weiterkam.
Der Titel des Romans wurde paßgenau auf Zoe zugeschnitten. Sie kennt die Wahrheit, aber die nutzte ihr nichts. Sie bekam nie die Gelegenheit das Drama außerhalb des Gerichtssaals aus ihrer Sicht zu erzählen. „Ich verzeihe dir“ – diese Worte hätte sie gern gehört. Wie wird sie sich verhalten? Hat sie ihre Lehren gezogen? Bekommt sie eine Chance auf ein „drittes Leben“?

Fazit:
Gilly Macmillan erzählt in kurzen Kapiteln aus verschiedenen Perspektiven. Im wesentlichen aus der Sicht von Zoe, ihrer Tante Tessa und deren Liebhaber Sam. Wenig Erzählerpotential erhalten Tessas Ehemann Richard und der Stiefbruder von Zoe, Lucas. Überhaupt nicht zu Wort kommen Chris, der Stiefvater und Maria, die Mutter sowie Philip, der Vater Zoes.
Es sind nur zwei Tage, in denen alles passiert, ein Sonntag und ein Montag.
Die Autorin schreibt einfühlsam, anteilnehmend, aber durch die verschiedenen Sichtweisen gerät das Buch deutlich zu lang.
„Perfect Girl“ ist eine solide geschriebene Geschichte über zwischenmenschliche Beziehungen mit vielen unterschiedlichen Facetten. Nichts für ausgesprochene Thrillerfans! Von mir 4 Sterne!

Bewertung vom 01.03.2017
Betrunkene Bäume
Dorian, Ada

Betrunkene Bäume


ausgezeichnet

Ein Gleichnis zwischen Bäumen und Menschen

Im Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit erzählt Ada Dorian in einfachen, schönen Worten die Lebensgeschichte von Erich Warendorf. Er, der als junger Mann im fernen Sibirien in Einsamkeit mit dem jungen einheimischen Wolodja unterwegs war, hatte nur zwei große Lieben in seinem 80jährigen Leben, die Bäume und seine Frau Dascha.

Erich lebt immer häufiger in seinen Gedanken, in seinen Träumen in der Vergangenheit. Das Alter macht ihm zu schaffen, aber die Pflanzen interessieren ihn immer noch. Die Bäume sind seine Obsession. Der alte Mann hat einen skurillen, absonderlichen, unglaublichen Spleen, seinen Wald im Schlafzimmer! Hier fühlt er sich wohl und geborgen, einfach befreit von der Last des Alters. Doch Erich muss einsehen, dass er wegen seiner Gebrechen der Wissenschaft keinen großen Nutzen mehr bringen kann. Er fühlt sich wie ein „altes Messgerät“, das gegen ein modernes ausgetauscht werden muss.
In der 17jährigen, eigenwilligen, sich unverstanden und verlassen fühlenden Katharina, die von zu Hause abgehauen ist und die Schule schwänzt, findet er so etwas wie eine Verbündete. Erich lügt und laviert, um seine Selbständigkeit zu behalten, auch um der Bevormundung durch seine Tochter Irina und der Pflegerin zu entgehen. Er will nicht ins Heim. Als alles auffliegt, will er zu seiner geliebten Dascha nach Sibirien. Katharina soll mitkommen, da der Vater dort an einer Pipeline arbeitet.

„Betrunkene Bäume“, es war dieser Titel, der mich auf das Buch aufmerksam gemacht hat. Die Geschichte besitzt eine besondere philosophische Tiefe. Die betrunkenen Bäume spielen im Roman eher eine untergeordnete Rolle, aber die Metapher bleibt bei mir im Kopf hängen. Sowohl Erich als auch Katharina sind haltlos, haben ihre Wurzeln verloren. Sie versuchen sich gegenseitig zu stützen. Erichs Erkenntnisse über sein eigenes Leben kommen viel zu spät.
„Im Kopf ist endlich mal Ordnung.“ (S.235)
Der Schluss des Buches kommt überraschend, ist traurig, aber läßt auch hoffen...

Ada Dorian ist ein sehr menschliches, wertvolles, absolut lesenswertes Buch gelungen. Es erzählt von der Einsamkeit im Alter, von Isolation trotz sozialen Kontakten, von verpaßten Gelegenheiten, von dem Verlust der Selbstkontrolle, von mangelnder Kommunikation, von fehlendem Vertrauen,...
Die Geschichte läßt viel Raum für eigene Gedanken, Vergleiche. Erstaunlich, wie die Autorin die Befindlichkeiten des alten Mannes auf den Punkt bringt. Ihr sind natürliche, lebensechte Charaktere gelungen. Ohne Pathos! Nüchtern! Geradlinig!
Die Autorin hat ein großes, angenehmes Erzähltalent mit präziser Wortwahl. Ich möchte mehr von ihr lesen. Möglicherweise in einer Fortsetzung mit Katharina, Wolodja und Dascha? Und den „Betrunkenen Bäumen“?
Ich vergebe meine uneingeschränkte Leseempfehlung und fünf Sterne!