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Benutzername: 
LindaRabbit
Wohnort: 
Freiburg
Über mich: 
Leseratte erster Klasse!

Bewertungen

Insgesamt 248 Bewertungen
Bewertung vom 05.09.2021
Junge mit schwarzem Hahn
vor Schulte, Stefanie

Junge mit schwarzem Hahn


ausgezeichnet

Die Schwarzen Reiter und die Kinder

Stefanie vor Schulte entwickelt in ihrem Erstlingswerk eine brilliante Romanidee, die direkt von dem Einbandsgemälde des Romans entnommen worden sein könnte. Der Junge auf dem Gemälde schaut melancholisch, aber auch charakterlich gefestigt auf den Betrachtenden.Und darum geht es in dem Roman: Eine Geschichte über einen Jungen mit seinem schwarzen Hahn. Ein Junge mit einer nicht alltäglichen Geschichte.

Wer könnte dieser Junge sein? Wann und wo könnte er gelebt haben? Der Maler, mit dem Martin mitgeht, nimmt er eine Vaterrolle für den Jungen ein? Meint der Maler es gut mit ihm oder nützt er den feinsinnigen und hilfsbereiten Jungen aus?
Die Autorin lässt den Roman in einer Zeit spielen, die von Rechtlosigkeit und Armut geprägt ist. Die Menschen kämpfen täglich um ihr Überleben. Satt sein, glücklich sein, etwas für die Zukunft zurücklegen, die Kinder in Schulen ausbilden – all das gibt es hier nicht. Es herrscht der pure Überlebenskampf vor.

Der kleine Martin ist der einzige Überlebende einer größeren Familie, die der Vater eines Tages mit dem Beil erschlagen hat. Im Dorf kümmert sich niemand um ihn. Die Menschen haben eher Bedenken, dass sich sein Unglück auf sie übertragen könnte. Und dann dieser schwarze Hahn, der wie ein Teufel auf der Schulter des Jungen sitzt... Einzig ein Maler, der die Kirche im Dorf ausmalen soll, hat Mitleid mit dem Jungen und sieht in dessen Augen etwas Besonderes. Deshalb nimmt er ihn als Modell für den Christus, was die Leute im Dorf (die der Maler als Idioten bezeichnet) verärgert, ausgerechnet der Ausgestoßene.

Im Roman muss Martin viele Abenteuer bestehen und wächst dabei zu einer menschlichen Größe, erhaben über die Niederträchtigen um ihn herum. Das geht fast bis zur Selbstaufgabe des Jugendlichen. Aber seine eigentliche Aufgabe besteht darin herauszufinden, wer die wilden Reiter sind, die überall Kinder entführen, und was mit diesen Kindern passiert. Er findet es heraus.
Die übelste Gestalt in diesem Roman ist die Fürstin, die nur ihren eigenen kranken Egoismus auslebt und gar nicht merkt, wie ihr Volk darbt, hungert und verroht. Sie ist es auch, die die Aufträge für die Kindesentführungen erteilt. Martin muss nun an seine äußersten Grenzen gehen, um die Kinder zu befreien. Nachdem er auch noch eine Brachialaufgabe bewältigen muss, ist er der Retter.

Das ist alles sehr eindringlich beschrieben. Martin und die Fürstin bilden krasse Gegensätze. Während er – wie sein Vorbild Christus – das Gute will, ist die Fürstin geprägt von Eitelkeit und purem Egoismus und nicht ihrer Aufgabe als Landesfürstin gewachsen. Doch bei aller Grausamkeit und Hoffnungslosigkeit lässt der Roman am Ende einen positiven Ausblick auf die Zukunft zu. Martin kehrt zu dem Menschen zurück, der ihm am Meisten (neben seinem Hahn) bedeutet.

Der Schreibstil, knappe Sätze mit knallharten Aussagen. Ist das nicht Hemingway-Stil? Es ist aber auch ein sehr märchenhafter Stil. Mir kommt der gesamte Roman wie eine literarische Allegorie vor… Es ist eine brutale Erzählung, bei der ich öfters tief durchatmen musste. Kein leichter Stoff, sondern Ttiefgründiges über die Menschheit. Daher denke ich an ‚Allegorie‘, diese wortgewaltige Verarbeitung von Hilfbereitschaft, Egoismus, Not und Elend soll den Lesenden anregen (Parallelen in der real existierenden Welt zu sehen). Daher sind meine Anfangsfragen lediglich als Hinweise zu betrachten, denn es gibt keine näheren Angaben zum wo, warum, wieso.

Das Buch-Cover ist sehr ansprechend, ein künstlerisches Bild... gefällt mir gut!
Das Buch ist im Diogenes-Verlag erschienen, umfasst 227 Seiten und kostet 22 Euro.

Bewertung vom 05.09.2021
Ritchie Girl
Pflüger, Andreas

Ritchie Girl


ausgezeichnet

Wer die Wahrheit sucht, muss sie auch ertragen

Wer die Wahrheit sucht, muss sie auch ertragen! Keine Überschrift könnte besser sein als diese: Es ist ungemein brutal, was Paula ertragen muss.

Das Gedicht ‚keine, die so ging wie ich‘ am Anfang des Vorspanns weckt natürlich ungeheuer die Neugierde… keine, die so ging…. Und jetzt verschwunden ist? Es ist harter Tobak, denn es geht um die Nazizeit, um Aufarbeitung, ‚meine Schuld, deine Schuld‘ ?

Das Camp Ritchie existierte tatsächlich als Ausbildungslager für ‚Military Intelligence Training‘ (überwiegend deutschsprachige, jüdische und oppositionelle junge Männer, die in der US-Armee gegen Nazi-Deutschland kämpfen; dazu gehörten auch Thomas Mann, Stefan Heym, Georg Kreisler, um nur ein paar illustre Namen zu nennen). Die sogenannten Ritchie Boys waren ein wichtiger Bestandteil zur Besetzung Nazi-Deutschlands und danach für den demokratischen Aufbau. Kaum bekannt, weil alle Ritchie Boys Stillschweigen darüber hielten. Nun zum ersten Mal wird ein ‚Ritchie Girl‘ erwähnt, es gab auch später einen weiblichen Teil in Camp Ritchie. Allerdings wurden sie bei Beförderungen gerne übergangen und sie waren Belästigungen ausgesetzt. Der Name Ritchie stammt von einem Politiker.

Die Titelheldin Paula wuchs in Berlin auf und lebte neun Jahre während der Hitler-Diktatur dort (sie war eine privilegierte Ausländerin, deutsche Mutter, US-amerikanischer Vater, der aus reichem Haus kam). Nun kommen als Ritchie Girl ihre Deutschsprach- und vor Ort Kenntnisse gut an. In der Schlussphase des Zweiten Weltkrieges kommt sie wieder nach Europa und erlebt die verheerenden Auswirkungen von Faschismus und Krieg in Italien, in Österreich und dann in Frankfurt.

Doch Paula, hoch intelligent, gebildet, begabt, wird für Sonderaufgaben ausgesucht. Sie wird mit schlimmen Nazi-Verbrechern konfrontiert. Sie ist sogar in Nürnberg dabei als Todesurteile ausgeführt werden. Und immer wieder sucht sie die Wahrheit, wird mit ihrer eigenen Jugend konfrontiert, was sie als junger Mensch verdrängte und wie sehr ihr eigener Vater im ‚System‘ involviert war, denn die Nazi-Größen gingen in ihrem Elternhaus ein und aus. Und da ist noch ihre große Liebe, der sie wieder begegnet und immer noch an ihm hängt. Doch peu a peu bekommt sie immer mehr über ihn heraus und es ist die größte Scham in ihrem Leben. Doch da ist immer Sam... und Sam ist Sam. (Die Geschichte ist voller Überraschungen!)

Stil: Eine wortgewaltige Explosion mit solch interessanten und aufregenden Metaphern, dass mich fast jede Metapher umreißt und ich den Boden unter meinen Füßen verliere. Großartig zu lesen! Allerdings geht es recht langsam voran, es ist kein Buch was ich so nebenbei verschlingen kann, sondern was ständig zum Nachdenken anregt. Auch recherchiere ich viel im Internet dazu, weil ich manchmal einfach nicht glauben kann was ich lese. Aber es stimmt – der Autor hat hervorragend recherchiert. Und wo er Fiktionen eingebaut hat, gab er das in seinem Schlusswort auch zu. Sehr sauberes Handwerk!

Nur den Buchumschlag finde ich nicht besonders: Die Monumentalbauten am unteren Rand scheinen die Gebäude der IG Farben in Frankfurt zu sein, die erstaunlicherweise die Bombardierung von Frankfurt überstanden haben. Dahinter eine rot aufgehende Sonne oder Scheinwerfer – wie sie faschistische Staaten (Nazis, Stalin, usw.) gerne benutzen. Ich vermute, es bezieht sich als Symbol auf den Nazi-Faschismus.

Mein Schlusswort - der Autor sagt, als er das erste Mal vom Ritchie Camp hörte: „Du hast dein ganzes Leben lang diesen Roman in dir gehabt, und es nicht gewusst“. Jetzt hat er ihn geschrieben und es ist mehr als lesenswert!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.09.2021
Ein Koffer voller Schönheit / Frauen, die die Welt schöner machen Bd.1
Engel, Kristina

Ein Koffer voller Schönheit / Frauen, die die Welt schöner machen Bd.1


ausgezeichnet

Damals in den Sechzigern

Wer kennt noch die Avon Beraterin?

Avon, Kosmetikprodukte aus dem Köfferchen zu verkaufen – damals – eine Sensation. Heute, nicht mehr bekannt. Anne fährt mit ihrer Isetta (damals in den Sechzigern die Fahrsensation, heute steht die Knutschkugel im Museum in Bonn, mein Vater hatte eine solche Knutschkugel, zum vorne einsteigen... vor meiner Zeit). Anne sieht nicht aus wie die damals durchschnittliche deutsche Frau – sondern hat einen fremdländischen ‚touch‘ an sich. Das könnte vielleicht für eine neue Idee sogar von Vorteil sein. Der Vorspann erzählt von Annes erster Fahrt von Lüneburg aufs Land, zu einer Bäuerin, die sich für den Bauernball schick machen wollte. Anne erinnert sich auch an ihre Ehe, die mal liebevoll begann und jetzt nichts mehr ist.

Dieses Buch erzählt davon, wie schwierig der Weg der Nachkriegsfrauen (nach dem Zweiten Weltkrieg) war und wie sie ihren Weg in die Emanzipation sich bahnen mussten – etwas, was wir heute als selbstverständlich annehmen.

Was mich faszinierte, war die unkonventionelle Schwiegermutter … schön, so einen Schatz an seiner Seite zu wissen. Da kann der Mann noch so sehr hinterwäldlerisch sein. Sie ist lustig und fidel. Leider wohl sehr selten solche Schwiegermütter...

Stil: Nett erzählt, vor allem von den Schwierigkeiten eine Avon Beraterin zu werden. Erinnert mich auch an die Anfänge von Beate Uhse, die mit ihrem Erotikunternehmen anfänglich auch gegen massive Probleme anzugehen hatte und später eine großartige Unternehmerin wurde (trotz der Schmuddelecke).

Es ist ein wichtiges Buch, um sich darüber im Klaren zu werden wie schwierig Anfänge sind, der Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg, aber auch ein 'start up' (wie es heute so schön heißt) aufzubauen.
Durchaus lesbar für diejenigen auch, die heute ein neues Unternehmen aufbauen wollen. Die Schwierigkeiten bleiben, vielleicht auf anderer Ebene. Daher nicht aufgeben, Hütchen auf und durch!

Bewertung vom 02.09.2021
Das geheime Leben des Albert Entwistle
Cain, Matt

Das geheime Leben des Albert Entwistle


sehr gut

Der Briefträger

Der Buchtitel bringt es – allein das Wort geheim. Geheimnisse ziehen uns doch an. Und so will jeder dem Geheimnis des Briefboten auf den Grund gehen. Wer ist George? Auf was ist seine Sozialphobie begründet? Und wird die Suche nach seiner Liebe fündig? Dazu im Rahmen einer kleinen englischen Stadt (mit Charme, heißt es, denken wir da nicht an Cornwall und ähnliche literarisch bereits gut beackerte Regionen des britischen Königreichs?)

Stil: Leicht zu lesen, es geht ja meistens um Alltagsbeschreibungen von Albert und seinen inneren Ängsten, dass er nicht mit Leuten reden möchte. Er taut zweimal auf: Als er vor lauter Angst, den offiziellen Brief lesen zu müssen, zu seiner Beruhigung tanzte. Die Worte dazu bringen einem Albert ziemlich nahe und macht neugierig auf das schreckliche Geheimnis. Das zweite Mal, als er einen Weihnachtspullover kaufen muss und ihn die Verkäuferin ungemein geschickt um den Finger wickelt. So gut beschrieben, dass man meint daneben zu stehen. Dann ist da auch der Neuzuzug in seiner Postbotenrunde und da meint man seinem Geheimnis doch ein Stück näher gekommen zu sein.

Buchumschlag: Ein englisch roter Briefkasten, eine graue Katze, die Umrandung wie ein Luftpostbrief, Briefe, die über das Bild flattern. Sehr romantisch gemacht, anziehend!

Ich empfehle gern das Buch! Mit Albert um die Ecke ziehen. Der stille Held des Romans ist ein liebenswürdiger Mensch, den man einfach gernhaben möchte. Und wer Matt Cain kennt, mag erraten in welche Richtung Alberts Suche geht...

Matt Cain, Das geheime Leben des Albert Entwistle, Ullstein Verlag
(Dieses Buch ist das dritte von Matt Cain)

Bewertung vom 02.09.2021
Greta und Jannis
Kuratle, Sarah

Greta und Jannis


ausgezeichnet

Vor acht oder in einhundert Jahren

Greta lebt in den Bergen, fährt ab und zu in die Stadt, und sie träumt den Steinen, den Tieren, den Menschen Gedichte zu. Zarte Wortgebilde, die ich mir auf der Zunge zerschmelzen lasse. Greta ist von einigen Menschen und Wesen umgeben, die ihr wichtig sind... Jannis, Tante Severine, die Kinder, Cornelio. Ein Märchen auf 222 Seiten. Und immerzu: Vor acht Jahren...

Jeder Satz, vom Anfang an, liest sich wie ein Gedicht... ein unendliches Gedicht... Die bunten Federhüte, der Schnee, der auf Lippen schmilzt, und immer wieder - das Gebirge, im Gebirge, auf der Gebirgsstraße... Reisende im Zug, im Bus, und dann der Hof, Tante Severine, die Mädchen. Es braucht einige Zeit zu verstehen, aber gelingt das Verstehen?

Jannis und Greta, eine Liebesgeschichte? Es bleibt auf jeden Fall mysteriös. Innere Monologe, Dialoge mit Unbekannten, Gedankenfetzen, viel indirekte Rede (was schwieriger zu lesen ist, Konzentration ist angesagt, das ist kein Überfliegerbuch). Mysteriös. Bizarr. Wie vor acht oder in einhundert Jahren… das Mysteriöse des Schreibstils von Sarah Kuratle wandert auch in meine Rezension: Ich übernehme ihren Stil.

„Im kleinen Warteraum des Bahnhofs zählt ihm eine einsam tickende Wanduhr die Zeit im Stillen vor. Durch an ihren Rändern glanzvoll beschlagenen Fenster sieht er die Frau draußen zuerst Stirn gegen Sturm, dann wieder in die andere Richtung gepeitscht, wird sie sogar langsamer. Sie ist sehr schmal und blass, wie in den Mantel gefallen, kam sie ihm vor als sie seine Hand und seinen Arm hielt. Sie trägt keine Mütze am Kopf, warum lässt sie ihren grauen Schal flattern, ihre Haare wild in der Luft.„
Peng, das hat Wucht! Jedes Wort wie auf die Goldwaage gelegt. Worte, die mir auf der Zunge liegen wie ein Stück Schokolade und die ich langsam lutsche und vergehen lasse, bis sich mir der volle Geschmack im Mund entwickelt, bis sich mir der ganze Sinn öffnet.

Ich empfehle: Langsam lesen, wie ein Gedichtsband, dann die Worte vom Auge zum Ohr und weiter zum Gehirn, Buchstabe für Buchstabe, schmelzen lassen. Den Namen der Autorin, Sarah Kuratle, muss ich mir merken, da wird noch einiges kommen…

Ein wunderschön zarter Einband, der mit seinen roten Hartriegelbeeren und – blätter auffällig ist.

Sarah Kuratle, Greta und Jannis, Vor acht oder in einhundert Jahren, Otto Müller Verlag

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.08.2021
Ich hätte da was für Sie
Cordes, Vera

Ich hätte da was für Sie


sehr gut

Sauna für die Augen, Balsam für die Seele und für mich ein gutes Buch!

Sauna für die Augen... das hört sich schon einmal gut an. Jede hat doch irgendwann Probleme mit den Augen, gute Tipps sind sehr brauchbar... Noch besser, die Autorin hört auf andere, nimmt Tipps an. Wunderbar, so soll das Leben sein, ein Geben und ein Nehmen. Kompressen. Lidrandmassagen. Sehr praktische Tipps, Augen Sauna - wunderbar.

Das Titelbild zeigt eine sympathische, aufgeschlossen wirkende Autorin, ansprechend! Vera Cordes moderiert seit über 20 Jahren das NDR Magazin 'Visite': Ein Gesundheitsmagazin. Frau Cordes bezeichnet sich als Medizinjournalistin, wird aber auch öfters als Ärztin bezeichnet (fälschlicherweise). Kein Wunder bei ihren Ratschlägen - kleine Tricks helfen den Besuch in einer Arztpraxis zu vermeiden. Bei Rückenschmerzen gibt es den Trick mit dem Bauchnabel. Nächtliche Wadenkrämpfe - Hinweis dagegen im Buch! Arthrose, Schwindel, Fersensporn... you name it we information. Aus ihren unzähligen Interviews mit Experten und Expertinnen wurde dieses lehrreiche Buch zusammengestellt.

Ein praktischer Ratgeber für den Alltag, denn älter werden wir jeden Tag und die Wehwechen nehmen halt zu.

Bewertung vom 25.08.2021
Flucht nach Patagonien
Revedin, Jana

Flucht nach Patagonien


sehr gut

Das Grand Hotel in den Anden

Allein der Buchtitel ‚Flucht nach Patagonien‘ lockt. Eugenia Errazuriz ahnt was kommt, oder kann die bereits vorhandenen Anzeichen richtig deuten. Mit ihrem Vermögen hat sie bereits aufwärts strebende Talente gefördert (Coco Chanel und Pablo Picasso wird erwähnt). Mit dem jüdischen Innenarchitekten Jean-Michel Frank flieht sie nach Argentinien. Dort lässt die Kunstmäzenin das berühmte Grandhotel in den Anden von dem jungen Frank einrichten. Und er? Nicht überzeugt von sich, mit einer unsteten Todessehnsucht. Auf dem Schiff, sein Blickwinkel, 30 Grad nach links, 30 Grad nach rechts, kein gerader Horizont und keine Unterlagen, die aus Paris rechtzeitig ankamen, um das Grandhotel fertig zu stellen.

Das Buch ist der wahren Geschichte nacherzählt. Die darin vorkommenden Personen haben existiert und die Autorin erzählt auch, was mit ihnen passierte bis zu ihrem, teilweise tragischen Lebensende

Das Grandhotel existiert noch heute. Bis in die 70er Jahre ein beliebtes Hotel. Dann verfiel es. Heute ist es ein Golfressort.

Stil: Jana Revedin hat Ahnung von dem Metier, das sie beschreibt,. Sie ist selbst Architektin und hat bereits einige Bücher zu diesem Bereich, Architektur, Kunst, geschrieben. Manchmal ein bißchen holprig, doch im großen Ganzen sehr flüssig. Im Laufe der Geschichte jedoch wird zuviel von den großen Gestalten der Weltgeschichte erzählt (Kunst, Film, Flugpionierin, Politiker) und das zieht das Dröge etwas mehr in die Länge. Interessant sind die Details über Patagonien und seine Schönheiten, auch Erwähnungen der Mapuche und ihrer Sicht der Dinge (A. Earheart und das Geschenk, was Walt Disney von Mme Roosevelt überreichen soll. Vorahnung, dass Earhearts Pionierreise nicht gut ausgeht...). Leider kommt auch oft der depressive Charakter von Jean - Michel Frank zum Vorschein. Also kein heiteres Buch. L.-M. Frank ist mit Anne Frank verwandt und er versuchte auch die Familie Frank aus Amsterdam zu retten. Doch da waren sie bereits im Versteck verschwunden.

Buchumschlag: Zwei Schiffe, eines was vorbeifährt, das andere auf dem die Protagonistin steht und winkt, gekleidet im Stil der 1920 – 30. Nach dem Lesen des Buches kommt mir das Titelbild etwas apokalyptisch vor - das andere Schiff fährt vorbei, wie eine Chance im Leben, die verpasst wurde...

Interessant für diejenigen, die an Ereignisse im letzten Jahrhundert interessiert sind.

Bewertung vom 25.08.2021
Die Zeit der Kirschen
Barreau, Nicolas

Die Zeit der Kirschen


ausgezeichnet

Paris, ach Paris

Zeit der Kirschen, wer mag keine Kirschen? Kirschen erinnern an Kindheit, Kirschen erinnern an lustvolle Momente, das Aufplatzen der reifen Früchtchen zwischen den Zähnen. 'Zeit der Kirschen' als Name für ein Restaurant, da läuft doch schon beim Lesen des Restaurantnamens das Wasser im Mund zusammen, das kann nur etwas sehr Sinnliches sein.

Andre und der Valentinstag, seit Monaten harrt er wie die Katze vor dem Mauseloch darauf seiner geliebten Aurelie den Ring, den er seit Monaten in der Tasche trägt, ihr endlich feierlich zu überreichen und sie zu fragen:Willst Du?
Doch nun, an diesem Abend endlich, - 'es ist etwas ganz Unglaubliches passiert', Spannung, Spannung, jeder möchte wissen, was das Unglaubliche ist... aber wir wissen es natürlich schon... Aurelie wurde angerufen, sie hätte eine Michelin Stern erhalten. Und da kommt Andre wieder mal ganz unpassend mit seinem Antrag. Noch schlimmer - es soll eine Verwechslung sein. Und der tatsächliche Gewinner mit einem Restaurant gleichen Namens ist ein arroganter Schnösel. Aurelie findet den jedoch faszinierend... oh je, Andre, wärest du bloß schneller mit deinem Antrag gewesen...

Und natürlich kenne ich 'Das Lächeln der Frauen', war ganz hin und weg von der zarten Liebesgeschichte. Und ich hab' auch den Film gesehen. Jetzt die Fortsetzung der Liebesgeschichte, bei der sich Andre, wie beim ersten Band, natürlich wieder tolpatschig in alle Fettnäpfchen reinsetzt. Ach, du großer süßer Junge!
Und jede Minute leide ich mit diesem tolpatschigen Autor mit, der schon wieder dabei ist seine Liebe zu der schönen Aurelie zu vermasseln. Ach, Aurelie, wäre ich an Deiner Stelle, ich würde ihn einfach kompromisslos lieben.

Das Buch muss gelesen werden! Es ist ein Muss!

Dazu ein Titelbild in heiteren abendlichen Farben, Farben wie sie einfach zu Paris gehören. Im Hintergrund der Eifelturm, im Vordergrund das, was ich von Paris kenne, verschwiegene und geheimnisvolle Eckchen. Geschaffen für die Liebe!

Nicolas Barreau, "Die Zeit der Kirschen", Rowohlt - Verlag

Bewertung vom 25.08.2021
Wie man einen Tiger fängt
Keller, Tae

Wie man einen Tiger fängt


ausgezeichnet

Lily und der Tiger

Lily, ihre Mutter und die Schwester fahren zur Oma (die Oma wird Halmoni genannt, weil sie koreanisch ist)
Bereit bei der Autofahrt zu ihrer Halmoni kündigt sich der Tiger an. Er schaut sie das erste Mal an, während Lily sich gerade mal wieder unsichtbar macht (denn ihre Mutter und ihre Schwester streiten). Umzug in ein verregnetes Nest, weit weg von Kalifornien.

Und jetzt beginnt das Abenteuer: Lily und ihr Tiger. Nur ihre Halmoni versteht das. Halmoni findet den Tiger nicht gut. Lily will kein BAM sein (brave asian girl), doch sie erwartet Antworten von ihrer Halmoni. Zuerst müssen aber die Geister gefüttert werden.

Sehr schöner Erzählstil. Wunderbares Titelbild mit einem gezeichneten Tiger, auf dem die Worte eingeätzt wurden „Wie man einen Tiger fängt“.
Hervorragend für junge Menschen, um deren Fantasie anzuregen

Es ist ein Mutmacherbuch, macht Mädchen Mut, dass es möglich ist seine Ängste zu überwinden und sich dem Tiger zu stellen. Gleichzeitig erfährt man einiges zum Leben von koreanischen Menschen. Sehr schön!

Bewertung vom 25.08.2021
Dicke Biber
Balàka, Bettina

Dicke Biber


ausgezeichnet

Statt Mittelmeer nun heimische Natur.
Pico ist zuerst enttäuscht und stellt dann aber fest, wie unglaublich interessant es doch in den Donauauen sein kann. Als er frühmorgens schwimmen geht und die Natur voll auf sich wirken lässt, entdeckt er innerhalb weniger Meter viel Aufregendes. Doch dann tauchen zwei dunkle Gestalten auf, die sich beim Schwimmen an ihn hängen. (Boum boum boum, ich höre die Titelmusik vom Weißen Hai): ‚Kleine dunkle Augen, die ihn im Blick behalten...wie zwei Abfangjäger, die ein feindliches Flugzeug begleiteten… ‚er befand sich im fremden Hoheitsgebiet und wurde überwacht‘. Von den Bibern… So lustig geht es im Text weiter.

Stil: Sehr lustiger Schreibstil mit eigenwilligen Wendungen, dazu wunderschöne Schwarzweiß – Zeichnungen, die in den Text gesetzt wurden. Ein süßer nagender Biber… liebevolle kleine Details... ein Heer von Fliegen, Libellen, Schildkröten marschieren über die Seiten.

Coverbild:Zwei fette lachende Biber auf der Umschlagseite, als Hauptfiguren bleiben sie schwarzweiß, während der Rest um sie sehr farbenfreudig ist, aber mit ausgesprochen interessanter Formgebung. Fast ein Wimmelbild, so viel ist los auf dem Bild. Inmitten des Bildes verstecken sich hinter einem Baumstamm die beiden Kinder. Wenn da nicht jedes Kind sofort nach dem Buch greift...