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Aischa

Bewertungen

Insgesamt 548 Bewertungen
Bewertung vom 03.09.2021
Glüxfall
Jørgson, Til

Glüxfall


ausgezeichnet

Literatur ist immer auch Geschmackssache, und dies gilt für erotische Literatur wahrscheinlich noch etwas mehr als für andere Genres. Die sexuellen Vorlieben sind schließlich sehr individuell; was den einen anregt, findet die andere abstoßend.

Und so ist auch meine Beurteilung über diesen Roman überaus subjektiv. Bislang hat mich erotische Literatur wenig angesprochen, die Geschichten waren mir entweder zu romantisierend, zu niveaulos oder zu pornografisch. Dies hat sich mit "Glüxfall" definitiv geändert, dieses Buch trifft genau meinen Geschmack, es ist ein wahrer Schatz an sexuellen Fantasien.

Und obwohl es definitiv nicht an sexuellen Begegnungen mangelt, beschränkt sich Til Jørgson hier nicht auf eine mehr oder weniger willkürliche Aneinanderreihung von Geschlechtsakten. Nein, der Plot kann viel mehr: Die Lektüre konfrontiert einen mit unterschiedlichsten Thematiken, wie Autismus, der chinesischen Kultur, unerfülltem Kinderwunsch und auch der Verflechtung von Sex und Macht. Die Sprache ist explizit, der Autor nimmt kein Blatt vor den Mund und schafft es dennoch, nicht ins Ordinäre abzugleiten. Die Charaktere sind teils extrem, ich wurde oft überrascht, ohne dass dies auf Kosten der Glaubwürdigkeit ging. Jørgsons Stil ist witzig und intelligent - zwei Eigenschaften, die ich auch an einem Liebhaber schätze. Inwieweit Protagonist Hendrik autobiografische Züge trägt, bleibt letztlich ein Geheimnis, gewisse Parallelen zur Vita des Autors mögen die Fantasie der geneigten Leserin durchaus anregen ...

Ausstattung und Layout sind für ein Paperback hervorragend, eine kurze Personenübersicht und ein - oftmals humorvolles - Glossar sind willkommene Ergänzungen.

Wer Lust an der Lust hat (oder bekommen möchte), dem kann ich "Glüxfall" als Mitmachbuch für Erwachsene sehr empfehlen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.08.2021
Das Fräulein mit dem karierten Koffer
Kaufmann, Claudia

Das Fräulein mit dem karierten Koffer


sehr gut

Claudia Kaufmann ist unter anderem als Drehbuchautorin für "Lilly Schönauer" und "Der Bergdoktor" bekannt - nicht gerade mein TV-Geschmack.

Doch der neueste Roman aus ihrer Feder hat mich durchaus positiv überrascht. Er überzeugt als glaubhaftes Sittengemälde der noch jungen Bundesrepublik in den 1960er Jahren: Schwule erfahren nicht nur gesellschaftliche Ächtung, sondern ihnen droht überdies Strafverfolgung und Gewalt, und auch als ledige Mutter wird man gegängelt und verachtet.

Auch die dargestellten Generationenkonflikte haben mich beeindruckt: Die jungen Erwachsenen haben großenteils andere Moralvorstellungen als ihre Mütter und Väter und auch die unrühmliche Nazi-Vergangenheit der Eltern- und Großelterngeneration bietet reichlich Konfliktpotenzial.

Sprache und Setting ermöglichen dem Leser eine Zeitreise rund 70 Jahre in die Vergangenheit: Kaufmann schreibt Mannequin statt Model, und Diskothek statt Club, dies wirkt authentisch.

Im letzten Drittel lässt die Geschichte leider ein wenig nach; Zeitsprünge erschließen sich oft nur mühsam, es wird ein wenig konfus. Zudem hätte ich mir ein wenig mehr Münchner Lokalkolorit gewünscht. Leider gibt es nur wenige Beschreibungen der bayerischen Landeshauptstadt; der Roman hätte genauso gut in einer anderen Metropole des Nachkriegsdeutschlands spielen können.

Davon abgesehen ist es ein unterhaltsamer Roman mit Tiefgang, der Gott sei Dank auch auf ein klassisches Happy End verzichtet.

Bewertung vom 16.08.2021
Paracelsus - Die Fragen der Toten
Schmid, Eva-Isabel

Paracelsus - Die Fragen der Toten


sehr gut

Aller guten Dinge sind drei - leider hat sich Autorin Eva-Isabel Schmid bei ihrem aktuellen Roman nicht an dieses bekannte Sprichwort gehalten: Ihre Historienroman-Reihe rund um den bekannten Arzt, Naturforscher und Philosophen Theophrastus Bombast von Hohenheim, besser bekannt als Paracelsus, ist eine Diplogie, sprich: der zweite Band ist zugleich der letzte.

Dies ist allerdings auch fast das Einzige, das ich an diesem Werk kritisieren kann. Die spannende Melange aus akribisch recherchierten historischen Details und glaubhafter Erfindung ist extrem unterhaltsam. Dabei legt Schmid vor allem Wert auf die Entwicklung ihrer Charaktere. Ausufernde Beschreibungen von mittelalterlicher Mode oder Kulinarik á la Rebeca Gablé sucht man hier vergebens. Doch dies ist auch nicht nötig, stehen doch im Zentrum der Geschichte Medizin, Theologie und Alchemie, und hierzu zeichnet Schmid ein überzeugendes Bild des berühmten Arztes. Etwas schade fand ich, dass an keiner Stelle erwähnt wird, dass Paracelsus erwiesenermaßen Stotterer war.

Zudem habe ich eine Personenliste vermisst. So habe ich mich, obwohl ich den ersten Band kenne, anfangs etwas schwer getan, mich wieder in der Geschichte zurechtzufinden. (Tipp an dieser Stelle: Unbedingt Band 1 lesen, sonst dürfte dieser Roman nur schwer verständlich sein, da auf eine kurze Zusammenfassung des vorausgehenden Plots leider verzichtet wurde.)

Doch all dies sind Kleinigkeiten. Ich kann Schmids Paracelsus-Dilogie allen Liebhabern spannender Historienromane wirklich ans Herz legen, vor allem denjenigen LeserInnen, die sich für Medizinhistorie und starke Charaktere interessieren. Ich hätte liebend gerne weitere Bände "verschlungen".

Bewertung vom 09.08.2021
Sag mir, wer ich bin
Ward, Felicity

Sag mir, wer ich bin


weniger gut

Es hätte ein wirklich guter Roman werden können. Felicity Ward nimmt sich eines wichtigen und - leider - allgegenwärtigen Themas an: Wie kann ein Leben gelingen, das durch eine (Beinahe-)Vergewaltigung als Teenager traumatisiert wurde?

Die Geschichte ist spannend aufgebaut und erhält durch überraschende Wendungen viel Nervenkitzel. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, ich wollte unbedingt wissen, wie es weitergeht. Der Roman spielt überwiegend in Montreal, und bereits im Vorwort geht Ward auf die großen Spannungen zwischen englisch- und französischstämmigen Kanadiern ein. Noch in den 1970ern sahen sich viele Anglokanadier als die Elite des Landes und blickten auf die sozial und wirtschaftlich unter ihnen stehenden frankophonen Mitbürger herab.

Leider wird die interessante Darstellung dieser gesellschaftlichen Strukturen und der spannende Plot von einer mir unbegreiflichen Wendung überschattet: (ACHTUNG: SPOILER!)

Protagonistin Sally glaubt Jahrzehnte nach ihrer brutalen Misshandlung ihren Peiniger zu erkennen und entdeckt ausgerechnet mit diesem ihre sexuelle Leidenschaft. Überhaupt ist der Roman eine Ansammlung sehr verquerer Einstellungen zur Sexualität - auch dann, wenn man berücksichtigt, dass er vor rund 50 Jahren spielt. Ein paar Beispiele: Sallys Patenonkel und späterer Ehemann (sic!) denkt sich: "Jemand muss dieses Mädchen vögeln ..., das ist die einzige Lösung, und wenn es ohnehin jemand tun muss, dann kann ich das genauso gut selbst übernehmen." Ja, es mag Männer geben, die so denken, aber in einem reflektierten Roman sollte doch auch dargestellt werden, was dies mit "dem Mädchen" macht. Leider bietet die Autorin hier kaum Einblick in Sallys Gefühlswelt. - Philipp schließlich, der vermeintliche Täter, wirft Sally vor, er habe durch sie Geschmack an Gewalt und Brutalität gefunden. Das muss man sich mal vorstellen: Ein junges Mädchen erfährt unfassbare Gewalt, ist fortan zu keinem befriedigenden Sexualleben fähig, bis sie als Frau eine masochistische Beziehung eingeht, bei der ihr der sadistische Partner die "Schuld" an der Gewaltausübung gibt. Wie bitte ...?!

Ward möchte laut Vorwort ihren Roman als eine Allegorie über die Gefahr verstanden wissen, die Opfermentalität und Wiederholungsangst bergen. Dies ist in meinen Augen leider überhaupt nicht gelungen. Vielmehr schreibt sie den Opfern sexueller Gewalt eine Mitschuld an Wiederholungen zu, sollten sie es nicht schaffen, das erlittene Trauma zu verarbeiten.

Da hilft es auch nicht, dass die falsche Reaktion des Vaters aufgezeigt wird, der extrem wütend reagiert, als Sally als Kind von einem Exhibitionisten belästigt wird. Diese Wut des Vaters löst Schuldgefühle bei Sally aus, die auch bei dem späteren Übergriff wieder hoch kommen.

Unter dem Strich ein mehr als zweifelhafter Roman, ich hoffe nur, dass keine Opfer sexueller Gewalt sich damit auseinander setzen müssen.

Bewertung vom 20.07.2021
Willkommen beim Sommerfest!

Willkommen beim Sommerfest!


ausgezeichnet

Dieser Ratgeber für ein tolles Sommerfest ist ganz nach meinem Geschmack: Die frische, übersichtliche Optik macht sofort Lust, erste Leckereien auszuprobieren. Es finden sich 68 Rezepte, von Snacks, Salaten und Grillgut bis hin zu Desserts und Getränken ist an alles gedacht.

Dabei finden sich Klassiker wie Kartoffelsalat oder Spareribs genauso wenig wie innovative Portobelllopilz-Burger oder Tofu-Mango-Spießchen mit fruchtiger Salsa. Es gibt Fleischgerichte und Vegetarisches, die Auswahl ist wirklich vielfältig. Gemeinsam ist allen Rezepten eine sehr verständliche und übersichtliche Erläuterung. Auf einen Blick sieht man, was man benötigt, wie lange es dauert und für wie viele Personen es reicht. Die Zubereitung ist einfach und schnell, nicht unwichtig, wenn man viele Gerichte für ein buntes Buffet vorbereiten möchte.

Kreative Tipps für Deko und Rezepte für Marinaden und Würzmischungen runden das farbenfrohe Buch ab.

Eine klitzekleine Kritik: Das Paperback bleib nur anhand von Beschwerung der Seiten aufgeschlagen liegen. Dafür bekommt der abgerundete Buchrücken aber wenigstens keine Knicke.

Fazit: Ein außerordentlich gelungener, moderner Ratgeber für Feiern unter freiem Himmel, eine klasse Rezeptsammlung - zur gelungenen Sommerparty fehlt nur noch gutes Wetter!

Bewertung vom 20.07.2021
Elefanten
Mumby, Hannah

Elefanten


gut

Die studierte Verhaltensbiologin Hannah Mumby hat eine beeindruckende wissenschaftliche Karriere aufzuweisen: Nach Stationen in Cambrigde, Berlin und Colorado lehrt sie derzeit an die Universität in Hongkong, wo sie das Applied Behavioural Ecology and Conservation Laboratory leitet.

Untertitel und Klappentext des Hardcovers versprechen Einblicke in das Leben der Elefanten wie auch den Alltag der Erzählerin bei ihrer Feldforschung. Leider brilliert Mumby als Sachbuchautorin nicht ansatzweise so wie als Biologin. Dem Buch fehlt ein roter Faden, die Story ist so wirr, dass ich bei der Lektüre mehrfach zurückblättern musste, um überhaupt zu wissen, ob die Schilderungen sich gerade auf Erlebnisse in Kenia, Nepal oder Myanmar bezogen. Aber sei es drum, die sprunghafte Schreibe, teils an Tagebucheinträge erinnernd, hätte ich durchaus toleriert.

Mumbys Forschungsansatz hingegen ist in meinen Augen sehr fragwürdig: Sie möchte herausfinden, wie ein Elefant sich fühlt. Für einen Laien, für einen Tierliebhaber und Elefantenfreund ist dieser Wunsch verständlich - für eine Naturwissenschaftlerin finde ich eine derartige Sichtweise naiv und unprofessionell. Wie kann die Biologin Mumby glauben, dass man sich wirklich in einen Vertreter einer anderen Spezies hineinversetzen kann? Wirklich seltsam ist es in meinen Augen, wenn die Autorin erklärt, dass es ihr manchmal so vorkommt, als wäre es schwieriger, sich selbst in einem anderen Menschen wiederzuerkennen, als in einem Elefanten. Sie ist letztlich davon überzeugt, zu wissen, wie sich ein Elefant fühlt!

Außerdem überträgt Mumby immer wieder menschliche Eigenschaften auf Tiere. Dieser Anthropomorphismus ist in der Fabel durchaus charmant, hat für mich jedoch in einem Sachbuch nichts zu suchen. Negativ aufgefallen ist mir auch eine recht unkritische Betrachtung des Einsatzes von Arbeitselefanten in der Holzwirtschaft, die so gar nicht zu Artenschutz und Tierwohl passen will. Möglicherweise ist dies eine typisch britische postkoloniale Haltung.

Gefallen hat mir, dass zwischendurch auch humorvolle bis selbstironische Passagen auftauchen. Und die Beschreibung der Feldforschungsmethoden war sehr interessant, etwa die Versuche, anhand äußerlicher Merkmale wie Brust- oder Fußumfang auf das Gewicht eines Elefanten schließen zu können. Ein weiterer Pluspunkt ist eine umfangreiche Farbfotostrecke.

Unterm Strich konnte mich diese verquere Mischung aus tagebuchartigen Fragmenten und unwissenschaftlicher Liebe zu Elefanten nicht überzeugen.

Bewertung vom 16.07.2021
Mordsmäßig Münchnerisch 3

Mordsmäßig Münchnerisch 3


sehr gut

Zwanzig verschiedene AutorInnen, inklusive Herausgeberin Ingrid Werner, haben für diese Anthologie Kriminalkurzgeschichten verfasst. Alle spielen in der bayerischen Landeshauptstadt, und am Ende der Geschichte steht jeweils ein typisch bajuwarisches Rezept für ein Gericht, das in der Story eine Rolle spielt.

Das war es dann auch schon an Gemeinsamkeiten; die Krimis sind stilistisch wie inhaltlich höchst unterschiedlich. Sie spielen in der Gegenwart oder in der Nachkriegszeit, sind humorvoll oder tiefgründig, könnten genauso passiert sein oder sind mit einer Prise Mystery gewürzt. Auch ausgewiesene Münchenkenner dürften noch einiges Neues entdecken, wie etwa den Lost Place Floriansmühlbad, den früheren Straßenstrich in der Sendlinger Straße oder den alten Rangierbahnhof in Laim.

Besonders gut haben mir die hervorragenden Charakterstudien gefallen, grantelnde Hallodris, die "gschert daherreden" oder betrogene Gschpusis, die genussvoll Rache üben. Viele der Protagonisten scheinen geradezu der großartigen TV-Serie "Münchner Geschichten" aus den 1970ern entsprungen.

Die Rezepte sind leider nicht durchweg gelungen - Anfänger dürften etwa mit dem Nachkochen des Pichelsteiner Eintopfs überfordert sein, da sowohl auf Mengenangaben als auch Zubereitungszeiten verzichtet wird.

Die Optik des Paperbacks lässt hingegen keine Wünsche offen. Wer sich (noch) nicht so gut in München auskennt, kann sich auf den Umschlaginnenseiten grob orientieren. Denn dort ist je ein Stadtplan abgebildet, in dem die Tatort-Stadtteile verzeichnet sind. Besonders gut eignet sich das Taschenbuch als Unterwegslektüre, nicht nur wegen der kurzen Geschichten, die auf unterhaltsame Weise die Wartezeit auf die nächste Tram verkürzen, sondern auch, weil die Ecken des Buchs abgerundet sind und sich somit nicht so leicht abstoßen.

Mir haben - bis auf wenige Ausnahmen - alle Krimis sehr gut gefallen, und ich freue mich schon jetzt auf die nächsten spannenden Stadtteilstorys!

Bewertung vom 30.06.2021
Wiener Blut / Die Totenärztin Bd.1
Anour, René

Wiener Blut / Die Totenärztin Bd.1


sehr gut

Der Roman wird als spannende Mischung aus Medizinhistorie und Krimi angekündigt. In meinen Augen ist es ein ganz guter Krimi, nicht überragend, aber auch nicht schlecht. Vor allem anfangs und im letzten Drittel sorgen zahlreiche Twists für Überraschungen und Gänsehautmomente. Die Medizinhistorie kommt für meinen Geschmack allerdings ein wenig zu kurz. Was auch nicht wundert, wenn man weiß, dass die Protagonistin zwar ein abgeschlossenes Medizinstudium vorweisen kann, jedoch am Institut für Gerichtsmedizin in Wien lediglich Handlangertätigkeiten für ihre männlichen Kollegen ausüben darf. Die Stellung der Frau in der Gesellschaft Anfang des 20. Jahrhunderts wird immer wieder geschickt in den Plot eingeflochten, hier kann der Roman punkten.

Doch leider verliert er durch wiederholt allzu naives Verhalten der "Totenärztin" an Glaubwürdigkeit. Besser gesagt ist es nicht die Naivität an sich, solche Menschen gibt es durchaus. Was mich stört ist jedoch, dass diese Figur eigentlich permanent Glück hat, egal was sie riskiert, sie kommt immer mit heiler Haut davon. Und auch wenn in der Geschichte ein Polizist auf offener Straße die als Mann verkleidete Ärztin küsst, finde ich das reichlich seltsam. Immerhin spielt der Roman zu einer Zeit, in der Homosexualität in Österreich illegal war und mit schweren Strafen geahndet wurde.

Gefallen hat mir hingegen, wie detailliert Autor René Anour viele Szenen schildert. Ob es die Kleidung der Damen ist, die blühenden Pflanzen im Park oder (Vorsicht: nichts für Zartbesaitete!) auch die Obduktion einer Leiche samt Durchtrennung des Brustbeins: Hier braucht es seitens des Lesers wenig Fantasie, um sich mitten ins Romangeschehen hineinzuversetzen.

Wer sich also an der ein oder anderen kleinen Ungereimtheit nicht stört, bekommt einen soliden Krimi, dessen Ausgang die meisten überraschen dürfte. Die Ausstattung ist für ein Taschenbuch gut: In den Umschlaginnenseiten kann man sich auf einer Karte des historischen Wiens orientieren, im Anhang erläutert Anour was historisch verbürgt und was fiktiv ist. Ein Glossar medzinischer Fachbegriffe und eine Liste mit typisch österreichischen Ausdrücken helfen Lesern ohne entsprechende einschlägige Kenntnisse.

Die Geschichte endet mit einem großen Cliffhanger; schließlich ist "Wiener Blut" der erste Fall der Totenärztin, und die Leserschaft soll schon für den Folgeband angetriggert werden. Dies hat bei mir leider nicht ganz funktioniert, aber das ist vor allem Geschmackssache, der Roman dürfte seine Leser*innen finden.

Bewertung vom 30.06.2021
Die Sprache des Lichts
Kramer, Katharina

Die Sprache des Lichts


ausgezeichnet

Ich ziehe meinen Hut vor Katharina Kramer: Zwar bin ich davon ausgegangen, dass sie es als Journalistin und Übersetzerin versteht, mit Sprache umzugehen. Aber was sie mit ihrem Debütroman geschaffen hat, ist einfach umwerfend! Ihr ist ein großartiges Werk gelungen, eine Geschichte, die mich bezaubert hat, die aus der Flut der deutschsprachigen Historienromane heraussticht und die ihresgleichen sucht.

Der Roman versammelt eine Fülle von Themen: die Politik und Geografie Europas im ausgehenden 16. Jahrhundert, insbesondere unter dem Aspekt der Religionskriege, die Macht der Kirchen und religiöser Eiferer, die Abhängigkeit der Wissenschaften von der Förderung durch die jeweiligen Landesregenten, die Stellung der Frau und vieles mehr. Doch Kramer verzettelt sich nicht, denn wie ein roter Faden zieht sich das Leitmotiv durch die knapp 500 Seiten des Romans: die Bedeutung der Sprache für den Menschen.

Protagonist Jacob, ein armer Lateinlehrer auf der Flucht, begibt sich auf eine höchst abenteuerliche Reise durch halb Europa. Auf der Suche nach der göttlichen Sprache der Schöpfung wird er vom Jäger zum Gejagten. Jacob selbst ist nicht nur extrem sprachtalentiert und daher polyglott, sondern auch Synästhet: Jede Sprache, selbst jeder Dialekt erscheint ihm als bewegtes Muster voller farbiger geometrischer Formen vor seinem inneren Auge; er kann Sprachen folglich nicht nur hören, sondern auch sehen.

Die Geschichte hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt, mehr als so mancher Thriller. Ich habe mit den Figuren gebangt und gelitten, mich mit ihnen amüsiert und gefreut. Die Autorin hat Personen erschaffen, die mir nach wenigen Kapiteln vertraut wirkten. Man ist als Leser*in mittendrin - egal wie räumlich oder zeitlich weit entfernt die Szenen spielen. Besonders beeindruckt hat mich , wie Kramer die Erfindung und Entwicklung einer ersten Gebärdensprache schildert. Ich denke, genau so könnte es gewesen sein.

Im Anhang finden sich ausführliche Anmerkungen zum historischen und faktischen Hintergrund des Romans sowie eine exzellente Auswahlbibliografie. Wer ein Faible für Sprachen hat, findet hier ein Fülle von interessanten Verweisen, ob zu Pfeifsprachen, der Evidentialität des Bulgarischen oder zu Geheimcodes.

Fazit: Ein Muss für Sprachnerds, für alle anderen Liebhaber von guten Historienromanen eine absolute Empfehlung von mir! Ich hoffe sehr, dass ich bald mehr aus der Feder von Katharina Kramer genießen darf.

Bewertung vom 06.06.2021
Kretisches Schweigen / Michalis Charisteas Bd.3
Milonás, Nikos

Kretisches Schweigen / Michalis Charisteas Bd.3


sehr gut

Laut Klappentext hat sich Autor Frank D. Miller, der hier unter seinem Pseudonym Nikos Milonás veröffentlicht, bereits als Jugendlicher in Kreta verliebt. Von dieser Liebe zur größten unter den griechischen Inseln war für mich bei der Lektüre dieses Krimis wenig zu spüren, von detailreichen Beschreibungen der atemberaubenden kretischen Landschaften abgesehen. Im Gegenteil, das Bild, das Milonás von den eigenwilligen Inselbewohnern zeichnet, lässt sie nicht besonders vorteilhaft aussehen: Familienfehden erstrecken sich über Generationen, die Dorfgemeinschaften sind extrem verschlossen und misstrauisch gegenüber allen Fremden (inklusive der Polizei) und gewohnt, Konflikte untereinander zu regeln, gerne auch unter Zuhilfenahme von Schusswaffen.

Dies macht die Kreter nicht unbedingt sympathisch, aber interessant ist es allemal. Ebenso wie die Legende der Drousoulites, die eine zentrale Rolle im Roman spielt, und über die man etwas aus der bewegten Historie Kretas erfährt.

Die Geschichte hat leider im ersten Drittel einige Längen; vielleicht hätte ich dies anders empfunden, wenn ich die beiden Vorgängerbände gelesen hätte. Aber auch so hat mich der Roman schließlich gepackt. Manche Figuren wirken etwas überzeichnet, aber alles in allem ist es ein solider Krimi, der nicht zuletzt durch die uneingeschränkt logische Auflösung überzeugt. Der Autor verwendet häufig geiechische Ausdrücke, die jedoch umgehend erläutert werden. So entsteht ein hübscher Lokalkolorit.

Die Ausstattung kann sich - noch dazu für ein Softcover - sehen lassen: stabile Klappenbroschur, eine Karte mit den Orten, die in der Geschichte eine Rolle spielen, und ein umfangreiches Personenregister, das mir geholfen hat, bei den vielen ähnlich klingenden griechischen Familiennamen den Überblick zu behalten.