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Ingrid von buchsichten.de
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Erkelenz

Bewertungen

Insgesamt 324 Bewertungen
Bewertung vom 19.04.2021
Was wir scheinen
Keller, Hildegard E.

Was wir scheinen


sehr gut

Der Name Hannah Arendt fällt im Literaturbetrieb immer mal wieder, so dass ich mir schon länger vorgenommen hatte, mich mit dem Namen hinter der Person zu beschäftigen. Daher sprach mich der Roman „Was wir scheinen“ von Hildegard E. Keller besonders an. Doch zunächst suchte ich im Internet nach Fotos, um während des Lesens ein Bild der Protagonistin vor Augen zu haben. Tatsächlich fand ich ein Video von Hannah Arendt mit ihrem Gespräch aus 1964 mit Günter Gaus. Danach blieb mir auch ihre Stimme und ihre Ausdrucksweise beim Lesen ständig präsent.

Hildegard E. Keller zeichnet in ihrem Roman ein detailliertes Bild von Hannah Arendt. Als Leserin begleitete ich die politische Theoretikerin, die nie als Philosophin bezeichnet werden wollte, auf ihrer letzten Reise im Sommer 1975 nach Tegna in der Schweiz. Dort verbringt sie, nur einige Monate vor ihrem frühen Tod durch Herzinfarkt, einige erholsame Wochen. Die Autorin wählt einen auktorialen Erzählstil. Immer wieder lässt sie deutlich werden, wie viel Kraft die Verteidigung ihrer Ansichten Hannah Arendt kostet und wie sehr sie die Ruhe in Tegna genießt, auch zum Nachdenken. Neben den alltäglichen Verrichtungen, die Hildegard E. Keller durch ihre Beschreibungen lebendig gestaltet, lässt sie Hannah Arendt sich an ihre einzelnen Lebensstationen erinnern, hauptsächlich seit ihrer Immigration mit ihrem zweiten Ehemann Heinrich Blücher und ihrer Mutter in die USA. Aber immer wieder flackert auch ein Gedanke an noch frühere Zeiten auf. Dabei werden ihre Meinungen zu verschiedenen Aspekten deutlich, mit denen sie sich tiefgehend auseinandergesetzt hat.

Religion war in der Kindheit der Protagonistin nie ein Thema, aber schon früh fand sie Zugang zu philosophischen Schriften. Wer sich auf diesem Gebiet auskennt, wird deutlich mehr Freude an diesem Roman haben als andere Leser. Gerade so wie jeder sich an seine Freunde und Bekannten erinnert, denkt Hannah an diese nur mit ihrem Vor- oder Spitznamen. Dadurch wurde es für mich erschwert, ihre Gedanken nachzuvollziehen, da ich nicht immer wusste, welche Person gemeint war, das erschloss sich mir erst im weiteren Verlauf. Sie kannte interessante Persönlichkeiten auf mehreren Kontinenten mit denen sie sich gerne konstruktiv austauschte, was auch in zahlreichen Dialogen im Buch verdeutlicht wird.

Hanna Arendt war durch ihre eigene Arbeit unabhängig von Ehepartner und Familie und blieb sich immer selbst treu. Sie vermied es, in der Öffentlichkeit zu stehen, konnte es aber nicht verhindern, dass sie durch ihre journalistische Tätigkeit im Rahmen des Eichmann-Prozesses an Bekanntheit hinzugewann und durch ihre energisch vertretene Meinung heftiger Kritik ausgesetzt war. Dieser Umstand nimmt im Buch zum Ende hin einen großen Umfang ein.

Im Roman wird die Handlung immer wieder durch Zitate von Hannah Arendt unterbrochen, so dass ich mir selbst auch ein Bild ihres klugen und denkscharfen Wissens machen konnte. Der Buchtitel ist einem ihrer Gedichte entnommen. Zwischen den drei Kapiteln ist ein Märchen von ihr zu lesen, das gefüllt ist mit Metaphern und an das sie durch manche Erfahrungen in Querverbindungen immer wieder erinnert wird.

Hildegard E. Keller zeichnet in ihrem Roman „Was wir sind“ dank ihrer ausgiebigen Recherche ein einfühlsames Portrait der Theoretikerin Hannah Arendt, in der sie deren Konzepte, Betrachtungsweisen und Auffassungen zu den verschiedensten philosophischen und politischen Themen herausstellt. Der Roman ist anspruchsvoll und erfordert einiges an Lesezeit, auch um die verschiedenen philosophischen Ansichten nachzuvollziehen. Wer sich dem Denken von Hannah Arendt wie ich gerne annähern möchte, dem empfehle ich gerne diesen Roman.

Bewertung vom 13.04.2021
Stay away from Gretchen / Gretchen Bd.1
Abel, Susanne

Stay away from Gretchen / Gretchen Bd.1


ausgezeichnet

Der Roman „Stay away from Gretchen – eine unmögliche Liebe“ von Susanne Abel spielt auf zwei Zeitebenen. Im Mittelpunkt der Geschichte steht Greta Monderath. Im Sommer 2015 ist sie 84 Jahre alt. Sie wird zunehmend dement, aber in ihren klaren Momenten erzählt sie ihrem Sohn Tom erstmalig von ihrer Kindheit und Jugend in Ostpreußen, die jäh mit Vertreibung zu Beginn des Jahres 1945 endete. Das Ziel der Familie bei ihrer Flucht waren Verwandte in Heidelberg, welches damals von der US-Armee eingenommen war. Der Titel nimmt Bezug auf das Fraternisierungsverbot, das die militärische Führung der US-Streitkräfte erlassen hatte. In diesem Rahmen sollen sich ihre Soldaten selbstverständlich auch von den schamlosen deutschen Frauen fernhalten. Aber nicht nur deswegen ist die Liebe von Greta zum GI Robert Cooper, eine unmögliche Liebe, sondern auch weil er afroamerikanisch ist.

Tom Monderath ist ein bekannter Nachrichtenmoderator im Fernsehen. Nach einigen Jahren im Ausland ist er in seine Heimat Köln zurückgekehrt. Um seine Mutter hat er sich bisher kaum Sorgen gemacht, sie wohnt allein in der elterlichen Wohnung und versorgt sich selbst. Nachdem sie mit dem Auto einen unvorhergesehenen Ausflug gemacht hat, beginnt Tom zu ahnen, dass Greta ihm über ihren Gesundheitszustand einiges vorgeflunkert hat. Sie wird von bestimmten Dingen getriggert, die bei ihr Erinnerungen auslösen und sie dazu veranlassen, ihrem Sohn von ihrer Vergangenheit zu erzählen. Durch Zufall entdeckt Tom in einem Dokument seiner Mutter das Foto eines kleinen Mädchens mit dunkler Haut. Aufgrund seiner guten Recherchefähigkeiten erfährt er bald mehr über die Herkunft des Kinds und dessen Zusammenhang mit seiner Familie.

Durch den furiosen Start mit der Irrfahrt von Greta wurde ich als Leser in die Geschichte hineingesogen. Mit Tom hat Susanne Abel eine moderne interessante Figur geschaffen. Tom ist alleinstehend mit wechselnden Partnerschaften. Er interviewt Politiker mit Rang und Namen und berichtet täglich von den aktuellsten Ereignissen zu denen auch das Thema der syrischen Flüchtlinge gehört. Zunächst wirkte er leicht hochnäsig und genervt auf mich. Im Laufe der Erzählung wurde er mir, auch aufgrund seiner tatsächlichen Sorge und sein Kümmern um seine Mutter sympathischer, auch weil ihm sein Bild in der Öffentlichkeit zunehmend weniger wichtig wurde.

Die Autorin hat ein Händchen dafür, das Tun und Handeln ihrer Charaktere authentisch abzubilden. Dabei lässt sie bei der Erkrankung von Greta persönliche Erfahrungen einfließen. Sie verdeutlicht, dass Demenz das Schwinden der Erinnerungen der betroffenen Person mit sich bringt aber auch für die Angehörigen nicht mehr greifbar sein wird.

Susanne Abel zeigt mir einerseits mit dem Rassismus in der US-Armee und andererseits mit dem Umgang der Deutschen mit sogenannten „Brown Babys“ zwei Themen auf, die mir bisher von ihrer Bedeutung nicht bewusst waren. Bestürzt verfolgte ich die Schilderungen, die realistisch im Beispiel die tatsächlichen Begebenheiten wiedergeben. Es gelingt der Autorin, Fakten auch in einem längeren Zusammenhang anregend einzubauen.

Mit dem Buch „Stay away from Gretchen“ hat Susanne Abel einen ansprechenden, bewegenden Roman geschrieben, der eine Verbindung zwischen der heutigen Flüchtlingskrise und den Flüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg zieht. Mit der Rassentrennung innerhalb der US-Armee und dem Umgang mit alleinerziehenden Frauen und ihren Babys, mit der besonderen Variante von Kindern mit dunkler Hautfarbe, im Nachkriegsdeutschland bindet sie heute wenig kommunizierte, aber wichtige Themen in ihre Geschichte ein. Mich hat die ergreifende Erzählung sehr berührt und daher empfehle ich sie gerne uneingeschränkt weiter.

Bewertung vom 12.04.2021
Pension Herzschmerz
Below, Christin-Marie

Pension Herzschmerz


sehr gut

Der Roman „Pension Herzschmerz von Christin-Marie Below spielt zu weiten Teilen auf der wunderschönen Nordseeinsel Norderney. Der Titel nimmt Bezug auf den großen Wunsch der drei besten Freundinnen Louise, genannt Lou, Anna und Kim. Sie möchten auf dem Eiland ein Gästehaus eröffnen. Das Cover lässt an Sonne, Strand und Meer denken und nur zu gerne wäre ich den jungen Frauen nach Norderney gefolgt. Dennoch konnte ich mich aufgrund der Geschichte zumindest gedanklich dorthin träumen.

Lou ist 28 Jahre alt, arbeitet als Reiseverkehrskauffrau und wohnt mit ihrem Freund Nils zusammen in Oberhausen. Als ihre Freundin Anna sich im Streit von ihrem Partner trennt, beschließen die beiden zu Kim nach Norderney zu fahren und ihr behilflich zu sein, denn diese hat sich bei einer tollkühnen Aktion den Fuß gebrochen. Allerdings hat Nils kein Verständnis für den spontanen Einfall zur Reise, denn eigentlich wollte er mit Lou gemeinsam in der Wohnung renovieren. Es kommt zum Bruch der Partnerschaft. Glücklicherweise haben sich Lou, Anna und Kim einander und manche gemeinsame heitere Stunde hilft ihnen über den Liebeskummer hinweg. Bald schon sind sie zaghaft bereit, eine neue Liebe zuzulassen.

Chistin-Marie Below hat ihren Roman in fünf Phasen des Endes einer Beziehung eingeteilt und immer einen Ratschlag hinzufügt, warum es jeweils wichtig ist, eine Freundin zur Seite zu haben. Ihre Figuren gestaltet sie realitätsnah, die Handlungen nachvollziehbar. Viele Probleme, die sich durch eine Trennung ergeben, werden nur kurz angeschnitten und überlagern dadurch nicht die amüsanten, kurzweiligen Teile der Erzählung. Für die Hilfe, die Kim zum Weiterbetrieb ihrer Fußpflege benötigt, bietet die Autorin eine machbare Lösung. Die Freundinnen bieten sich gegenseitig Freiräume, die sie an der Seite ihrer Partner nicht gefunden haben. Dennoch scheuen sie sich nicht, offene Worte miteinander zu äußern, manchmal überspielt durch kleine Neckereien, die die Schärfe aus der Situation nehmen.

Die Idee der Pension steht relativ schnell zur Diskussion und obwohl die Planung nicht ins Detail geht, hielt ich die Umsetzung durch die Freundinnen nicht nur aufgrund ihrer Kenntnisse, sondern auch aufgrund ihres Umgangs miteinander für machbar. Daher habe ich darauf gehofft, dass sie ihren Traum umsetzen können. Eine zusätzliche Bedingung, die die Drei bei der Verwirklichung ihres Ziels erfüllen müssen, sorgt für Abwechslung und vergnüglichen Szenen. Durch ihre Beschreibungen sorgt die Autorin dank ihrer Ortkenntnisse für Sommerflair mit viel Lokalkolorit.

Der Roman „Pension Herzschmerz“ von Christin-Marie Below ist eine Wohlfühlgeschichte über die Freundschaft dreier junger Frauen mit Liebeskummer und einer gemeinsamen Vorstellung über ihre Zukunft, die sich locker und leicht liest und durch seine humorvolle Art für einige unterhaltsame Stunden sorgt. Daher empfehle ich das Buch gerne weiter.

Bewertung vom 11.04.2021
Alles, was wir wissen und was nicht

Alles, was wir wissen und was nicht


ausgezeichnet

Der Titel des Buchs „Alles, was wir wissen – und was nicht deutet bereits an, dass es unmöglich ist, die Kenntnisse aller Menschen zu allen denkbaren Themen in einem Buch verständlich aufzubereiten. Das ist auch dem Herausgeber Christopher Lloyds bewusst und er hat sich hierzu Gedanken gemacht, dazu später mehr. Im Untertitel wurde hinzugefügt, dass das Buch Aussagen trifft über Raketen, Vulkane, Mumien, Bienen, Kriege, das Gehirn und unsere Zukunft. Die Begriffe sind jedoch bei Weitem nicht abschließend aufgelistet, sondern finden sich in einem der acht Themenbereiche wieder. Die Kapitel sind gegliedert in Universum, Erde, Materie, Leben, Menschen, Altertum und Mittelalter, Moderne Zeiten sowie Heute und Morgen und sorgen für einen spannenden Themenmix. Obwohl die unterschiedlichen Gebiete einzeln angesprochen werden, greifen sie dennoch ineinander über.

Christopher Lloyd kann man als Suchenden bezeichnen, der ständig nach Antworten auf die Fragen forscht, die sich für ihn täglich ergeben. Dabei bleibt seine Neugierde nicht still, woraus sich immer wieder neue Fragen ergeben. Diesem Umstand zur Folge hat der Herausgeber sich überlegt, wie er Verzweigungen und Anknüpfungspunkte im Buch darstellen kann. Aus diesem Anlass findet sich auf jeder linken Seite eine Fußnote mit Hinweisen zu verschiedenen Themen, die außerdem für den Leser interessant sein könnten mit Seitenangaben zum schnellen Auffinden. An dieser Stelle stehen auch die beratenden Experten genannt, die bei der Erstellung der jeweiligen Seite mitgearbeitet haben. Mit Foto und gelb unterlegt werden sie mit kurzer Zusammenfassung des Gebiets, auf dem sie arbeiten, auch noch einzeln rechts unten auf entsprechenden Seiten vorgestellt. Am Ende des Buchs findet sich ein Quellen- und Bildnachweis sowie die Mitwirkenden am Text, an den Illustrationen und zur wissenschaftlichen Beratung. Leider ist kein Stichwortverzeichnis hinzugefügt, vermutlich aufgrund der großen Anzahl von Begriffen, die hier zu nennen wären und weil der Leser auf die Querverweise zurückgreifen kann.

Das Buch ist eine große Fundgrube an Wissen. Es macht Spaß, darin zu blättern. Übersichtliche Grafiken, strukturierte Aufbereitungen von Daten und passende Fotos zu den Sachgebieten werden farblich voneinander abgegrenzt und sind dadurch Blickfänge, die auf kreative Weise dazu auffordern, betrachtet und gelesen zu werden. Schon Kinder ab etwa acht Jahren können gemeinsam mit Älteren auf Entdeckungsreise im Buch gehen, aber auch Erwachsene können nicht nur ihr Wissen auffrischen, sondern Erweitern und Neues entdecken. Dabei wird Jeder feststellen, dass sich längst nicht alle Frage mit den Kenntnissen unserer Zeit beantworten lassen

Auch in seinem Buch „Alles, was wir wissen und was nicht“ gelingt es dem Herausgeber Christopher Lloyd wieder, die Wissbegier des Lesers anzusprechen und neben der Vermittlung von Fakten dessen Neugier zu kitzeln auf die sich aus den Antworten aufwerfenden neuen Fragen. Mich hat das Buch sehr angesprochen, weil es mir auf unterhaltsame Weise Altbekanntes ins Gedächtnis gerufen, Zusammenhänge verdeutlicht, Einblicke gewährt und neues Know-How vermittelt hat. Daher empfehle ich das Buch gerne weiter.

Bewertung vom 29.03.2021
Der Countdown-Killer - Nur du kannst ihn finden
Suiter Clarke, Amy

Der Countdown-Killer - Nur du kannst ihn finden


ausgezeichnet

In ihrem Thriller „Der Countdown-Killer“ lässt die US-Amerikanerin Amy Suiter Clarke die investigative Podcasterin Elle Castillo gemeinsam mit der Kriminalpolizei in Minneapolis ermitteln. Der Untertitel „Nur du kannst ihn finden“ bezieht sich darauf, dass Elle durch die Reichweite des Podcasts auf Hinweise ihrer im ganzen Land verstreut sitzenden Zuhörer zurückgreifen kann. Allerdings gibt es auch noch einen weiteren Grund für ihre besondere Befähigung, den Täter zu finden, der sich dem Leser erst im Laufe der Geschichte erschließt.

Ende 2019 greift Elle in ihrem Podcast, den sie seit etwa einem Jahr betreibt, einen Cold Case auf, der durch besondere Grausamkeit auffällt. Der sogenannte Countdown-Killer tötete vor zwanzig Jahren mehrfach nach einem bestimmten Schema. Dabei entführte er innerhalb von wenigen Tagen immer drei Frauen, von denen jede in der Reihe ein Jahr jünger als die vorige war. Die Vorliebe des Täters für die Zahlen 21, 7 und 3 fällt bei den Ermittlungen auf und die Frage steht im Raum, ob die 20-jährige, die zuerst ermordet aufgefunden wurde wirklich das erste Opfer war. Nachdem ihm eine 11-jährige entkommen konnte, brach die Mordserie ab, es wird angenommen, dass der Täter verstorben ist. Aktuell geschieht wieder ein Mord auf ähnliche Weise wie die alten Fälle. Um weitere Morde zu verhindern, versucht Elle der Kriminalpolizei bei den Ermittlungen zu helfen und kommt dem aktuellen Täter immer näher.

Dadurch, dass die Autorin Podcastfolgen verschriftlicht in den Thriller einfügt konnte ich als Leser mich in die Lage der Zuhörer versetzen, die den Ausführungen von Elle folgen. Sehr geschickt setzt Amy Suiter Clarke den spannenden Folgen zunächst ein ganz normales Alltagsleben ihrer Protagonisten gegenüber. Das Vorstellen des Schemas im Podcast, wie der Täter vorgeht, und die Tatsache, dass es in Elles unmittelbarer Umgebung eine ihr sehr lieb gewordene Zehnjährige gibt, ließen mich schon bald hoffen und bangen.

Elle hat Kinderpsychologie studiert und für das Jugendamt gearbeitet, daher hat sie noch frühere Kontakt zur Kripo. Sie ist eine im Leben gefestigte Persönlichkeit, die von ihrem Ehemann in ihrem Handeln unterstützt wird. Von Beginn an war eine besondere Verbundenheit von Elle zum Fall des Countdown-Killers zu spüren.

Die Autorin hat die zwiespältigen Gefühle der journalistischen Arbeit von Elle gut herausgearbeitet. Obwohl ihr Podcast auch Kritiken erhält und sie durch die sozialen Medien persönlich angegriffen wird, habe ich Elle die Einstellung abgenommen, dass sie mit dem Podcast tatsächlich zur Aufklärung von Verbrechen beitragen und nicht allein ihre eigene Bekanntheit durch die Sensationslust der Zuhörer steigern möchte.

Mit dem manchmal zu Elle ruppigen Detective Sam Hyde und Commander Ayaan Bishar, mit der Elle seit einigen Jahren auch befreundet ist und schon mehrfach zusammengearbeitet hat, stehen zwei interessante Figuren, die ihren eigenen Ermittlungsstil haben, an der Seite der Podcasterin.

Der Thriller „Der Countdown-Killer“ von Amy Suiter Clarke hält die Spannung dank der cleveren Konstruktion bis zum Ende und wartet dann nochmal mit einer überraschenden Wendung auf, die zu dem besorgten Gefühl passte, welches ich beim Lesen in Bezug auf Elles Vergangenheit gespürt habe. Gerne empfehle ich das Buch an Thriller-Fans weiter.

Bewertung vom 26.03.2021
Der große Sommer
Arenz, Ewald

Der große Sommer


ausgezeichnet

Ewald Arenz schreibt in seinem Roman „Der große Sommer“ über eine Zeit unserer Jugend, die viele von uns kennen, zu denen ich mich zähle, und die verbunden ist mit den Ferien der wärmsten Jahreszeit in unseren Gefilden. Es ist der Sommer, in dem unsere Gefühle wie in einem Knäuel verwirrt scheinen, das wir stückweise aufdröseln müssen und dabei einen weiten Schritt vom Kind zum Erwachsenen gehen. Die Erinnerungen des Protagonisten Frieder an diesen Sommer sind verknüpft mit manchem Freibadabenteuer und dem Wagemut von immer weiter oben vom Turm aus zu springen und tief einzutauchen, genauso wie in die neue Welt die sich dem Adoleszenten öffnet.

Frieder, der Ich-Erzähler der Geschichte, streift über den Friedhof seiner Heimat, auf der Suche nach einem Grab, was bei mir die Neugier weckte zu erfahren, wer dort wohl beerdigt liegt. Immer noch wohnt Frieder vor Ort, dort wo er mit fünf Geschwistern aufgewachsen ist. Bei seiner Suche schweifen seine Gedanken zurück an den Sommer, als er 16 Jahre alt war und aufgrund seiner schulischen Defizite nicht mit der Familie in Urlaub fahren durfte, sondern zur Vorbereitung auf die Nachprüfung bei seiner geliebten Großmutter und ihrem Mann, dem unbeliebten Stiefvater der Mutter bleiben musste.

Was zunächst auf Frieder wie ein Desaster wirkt, werden Wochen voller Emotionen, geprägt von Liebe, Freundschaft, Zusammenhalt, Angst, Unverständnis, das zunehmende Begreifen schwieriger Gemütslagen und das allmähliche Aufbringen von Verständnis für andere Meinungen. An seiner Seite sind seine jüngere Schwester Alma, sein bester Freund Johann und Beate, die er unter besonderen Umständen im Freibad kennenlernt.

Es machte mir Freude, mich von Frieder in den Sommer Anfang der 1980er Jahre mitnehmen zu lassen und mich an die damaligen Gegebenheiten in Bezug auf Technik, Kultur und den Umgang miteinander zu erinnern. Der Autor ließ mich an der Seite seines Protagonisten zeitlich noch weiter zurückgehen bis zu den Anfängen der Liebe von Frieders Großmutter. Einerseits ist in diesem Kontext zu begreifen, warum dieser seinen Großvater als Kind lange siezen musste, andererseits möchte Frieder aus diesem Verständnis heraus für sich Schlüsse ziehen im richtigen Umgang mit seinen aufkeimenden Gefühlen für Beate. Schnell merkt er, dass seine bisherige spontane, unbefangene und unbeholfene Art verletzend sein kann. In diesem für ihn großen Sommer lernt er einiges über sein Einfühlungsvermögen, entwickelt Ambiguitätstoleranz und behält sich seinen offenen und weiten Blick in die Welt. Seine Ansichten zu Fragen, wie sie ihn im Alltag begleiten, festigen sich auch durch die Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen und dem Einblick in andere Familien wie beispielsweise die seines Freunds Johann, die finanziell deutlich besser abgesichert ist wie seine eigene.

Ewald Arenz hat mit „Der große Sommer“ einen einfühlsamen Roman geschrieben, der mich Zurückerinnern ließ an meine eigene Jugend. Der Autor hat persönliche Erfahrungen in seine Geschichte einfließen lassen, die auch gerade deshalb authentisch wirkt. Ich konnte darin am Auf und Ab der Gefühle des 16-jährigen Frieder teilzuhaben, der an der Seite seiner Freunde einen unvergleichbaren und unvergesslichen Sommer zu Beginn der 1980er Jahre erlebte. Gerne empfehle ich das Buch uneingeschränkt weiter.

Bewertung vom 19.03.2021
Die Erfindung der Sprache
Baumheier, Anja

Die Erfindung der Sprache


sehr gut

Im Roman „Die Erfindung der Sprache“ nahm mich Anja Baumheier mit auf die fiktive ostfriesische Insel Platteoog. Eine Kirche, ein paar Nahversorgungsgeschäfte und ein Mehrzweckhaus mit Arztpraxis, Polizeistation und Grundschule gibt es auf dem Eiland in der Nordsee. Besonders erwähnenswert ist die Bäckerei, denn sie wird von Leska und Ubbo Bakker betrieben, den Großeltern des Protagonisten Adam Riese. Eine Fähre sorgt dafür, dass Bewohner und Touristen in einer halben Stunde das Festland erreichen. Der Titel nimmt Bezug auf ein Buch mit gleicher Bezeichnung, das in der Geschichte eine wichtige Rolle bei der Auffindung von Adams Vater Hubert spielt.

Adam ist 32 Jahre alt und wohnt inzwischen in Berlin. Er ist Doktor für Sprachtheorie und angewandte Sprachwissenschaft und orientiert sich gerne an selbst erstellten systematisierenden Listen, die ihm einen gewissen Halt vermittelt und panikartige Anfälle vermeiden helfen. Sein Hang zur Zahl sieben ist eine seiner wunderlichen Schrullen, dazu ist er hochbegabt und sich bewusst, dass er autistische Züge trägt. Als er 13 Jahre alt war, ist sein Vater von einer Reise nicht zurückgekehrt. Eines Tages findet Oda, Adams Mutter, in einem Buch einen Hinweis auf den weiteren Verbleib von Hubert nach seinem Weggang. Adam macht sich nicht nur im eigenen Interesse, sondern vor allem zum Wohl von Oda auf die Suche danach, ob Hubert noch lebt und wenn ja, möchte er wissen wo.

Anja Baumheier zeigt ein kontrastreiches Leben von Adam, der zunächst in geborgenen Verhältnissen auf der kleinen überschaubaren Insel aufwächst. Aber auch dort erreichen ihn ungeahnte Schicksalsschläge, nicht nur durch das Verschwinden des Vaters, sondern auch durch einen weiteren großen Verlust. Das Adam mit seinem Verhalten immer wieder auffällt, ist spätestens im Umgang mit Gleichaltrigen zu bemerken. Von der gut ausformulierten Hauptfigur des Romans bis hinein in die Nebenfiguren kreiert die Autorin eigenwillige Charaktere wie beispielsweise die fürsorgliche, ständig besorgte, aus der Tschechoslowakei stammende Großmutter von Adam bis hin zu einer empathischen Logopädin, die wie jemand aus einem bekannten Kriminalroman aussieht.

Der Roman ist sprachlich facettenreich. Anja Baumheier hält an dem Originalton ihrer Figuren, die in der Sprache ihrer Heimat sprechen, fest; entsprechende Übersetzungen finden sich zum Verständnis in den Fußnoten. Ihre Beschreibungen sind häufig detailreich. Einen einmal aufgegriffenen Spleen der handelnden Personen behält sie konsequent bei, was ich später als erschöpfend empfand. Dadurch dehnt sich die Erzählung bei der Suche von Adam leicht aus. Trotz dramatischer Wendungen fehlt es nicht an gefühlvoll ausgeführten, mit sanfter Ironie ausgestatteten Situationen.

In ihrem Roman „Die Erfindung der Sprache“ schreibt Anja Baumheier in einer abwechslungsreich gestalteten Sprache über die Bedeutung von Identität und Heimat sowie den besonderen Wert von Freundschaft und Zusammenhalt. Die Geschichte ist tragisch berührend und dennoch amüsant mit hohem Unterhaltungswert. Daher empfehle ich sie gerne weiter.

Bewertung vom 09.03.2021
Das Fräulein mit dem karierten Koffer
Kaufmann, Claudia

Das Fräulein mit dem karierten Koffer


ausgezeichnet

Der Titel des Romans „Das Fräulein mit dem karierten Koffer“ von Claudia Kaufmann nimmt Bezug auf Sabine, eine der Protagonistinnen der Geschichte, die mehrmals in ihrem Leben in einem eben solchen Koffer ihre Habseligkeiten eingepackt und damit zu neuen Ufern aufgebrochen ist. Der Hintergrund des Covers zeigt den Marienplatz in München, denn die Erzählung spielt in der bayrischen Landeshauptstadt. Während in den 1960ern die Emanzipation fortschreitet, sind in einigen bedeutenderen beruflichen Positionen noch Bürger mit früherer nationalsozialistischer Gesinnung zu finden. Für die nachfolgende Generation ist eine Aufarbeitung, auch im privaten Umfeld zwar schwierig, aber wichtig.

Sabine ist 19 Jahre alt im für sie schicksalhaften Jahr 1964. Ihre Mutter Brigitte ist verwitwet und hat mit Heinz einen neuen Ehemann gefunden. Weil Sabine noch nicht volljährig ist, hat Brigitte bestimmt, dass sie keine eigene Wohnung haben darf, doch das Verhältnis zu Heinz ist getrübt. Sie verliebt sich in den Sohn einer angesehenen betuchten Familie und wird schon bald sie von ihm schwanger. Ihre Hoffnung, dass der Vater des erwarteten Kinds sie heiraten wird, zerschlägt sich recht schnell. Sie verlässt ihre Mutter im Streit. Auf sich allein gestellt bringt sie ihre Tochter Andrea zur Welt und kämpft darum, dass sie ihr Kind selbst erziehen darf.

Claudia Kaufmann stellt in ihrem Roman mit dem Kampf der Frauen für ihre Rechte ein wichtiges Thema im in den Mittelpunkt. Sie zeigt die Ohnmacht der weiblichen Singles in den 1960ern, wenn es darum ging, die Erziehung ihres Kinds selbst zu übernehmen. Vom Jugendamt wurde ihnen nach Nichtehelichenrecht ein Vormund zugewiesen, der seine eigenen Ansichten zum richtigen Umgang mit dem Nachwuchs kundtun konnte, eine Alternative war die Heimunterbringung des Minderjährigen. Die Autorin beschreibt im Hintergrund ihrer Geschichte die Entwicklung der Rechtslage. Gut nachvollziehbar arbeitet sie im weiteren Verlauf ihrer Schilderung auch die Vor- und Nachteile einer strengeren im Gegensatz zu einer eher antiautoritären Erziehung heraus.

Im Fokus steht zwar Sabine aber auch ihre Mutter Brigitte und ihre Tochter Andrea stehen beispielhaft für viele Frauen ihrer jeweiligen Zeit. Jede der Frauen beansprucht für sich, dass Richtige wohlüberlegt für den Nachwuchs getan zu haben. Sabine ist zu Beginn der Geschichte stark geprägt von ihrem Elternhaus und hat oft für die Handlungen ihrer Mutter kein Verständnis. Brigitte ist in der Lebenseinstellung aufgewachsen, dass Liebe für eine Ehe nicht unbedingt wichtig ist, sondern gewisse Kompromisse dabei zum Erfolg führen. Durch den Kampf für ihre Rechte wird aus Sabine eine selbständige, mutige Frau und dennoch haben sich einige Ansichten aus ihrer Jugend so verfestigt, dass sie nachwirken. Andrea profitiert von der Erziehungshaltung ihrer Mutter, findet darin aber auch Kritikpunkte.

Claudia Kaufmann erzählt im Roman „Das Fräulein mit dem karierten Koffer“ eine schicksalsschwere, aber herzerwärmende Geschichte über eine junge Frau in den 1960ern, die als Alleinerziehende für sich und die Rechte ihrer Tochter kämpft. Die Autorin schont dabei ihre Protagonistin nicht. Ich war von der Erzählung gefesselt und fand sie unterhaltsam, aber auch berührend. Sehr gerne empfehle ich das Buch weiter.

Bewertung vom 08.03.2021
Leichenblume / Heloise Kaldan Bd.1
Hancock, Anne Mette

Leichenblume / Heloise Kaldan Bd.1


ausgezeichnet

Der Thriller „Leichenblume“ der Dänin Anne Mette Hancock ist der erste Teil einer Serie, die in Kopenhagen spielt und bei der Heloise Kaldan, eine in den Bereichen Arbeit, Wirtschaft und Verbraucherschutz tätige Investigativ-Journalistin, sowie Kommissar Erik Schäfer sich der Aufklärung von Verbrechen widmen. Der Titel des Buchs bezieht sich auf eine Pflanze gleichen Namens, die einen Aasgeruch absondert. Die Pflanzenart wird von einer sehr wichtigen Figur in der Handlung als ihre Lieblingsblume bezeichnet.

Heloise erhält einen Brief von der gesuchten Mörderin Anna Kiel, während sie aufgrund eines von ihr geschriebenen Artikels mit beinhalteten falschen Informationen um ihre Arbeitsstelle bangt. Das Schreiben ist kryptisch. In weiterer Post erklärt die Briefeschreiberin, dass sie einiges mit der Journalistin gemeinsam hat und nennt Sachverhalte, die nur Heloises engste Bezugspersonen kennen können. Erste Anhaltspunkte führen sie zu einem kaltblütigen Mord an einem Anwalt vor einigen Jahren. Ein besorgniserregender Post auf Instagram führt dazu, dass sie die Kriminalpolizei einschaltet.

In der Zwischenzeit hat Erik von einer Zeugin einen neuen Hinweis auf den Aufenthaltsort von Anna Kiel erhalten. Heloise und er gehen ihren eigenen Weg zur Aufklärung der inzwischen verstrickt vorliegenden Hinweise und werden immer tiefer hineingezogen in ein Verbrechen übelster Art, das für Heloise sogar persönlich wird.

Schon nach wenigen Seiten konnte mich der Thriller in seinen Bann ziehen, denn die Spannung wird gekonnt subtil aufgebaut. Die Autorin bindet neben dem beruflichen auch das private Umfeld, in dem sich ihre Protagonisten bewegen, in die Handlung ein. Heloise ist eine engagierte Journalistin, sie arbeitet mit Leidenschaft in ihrem Beruf. Bald wird aber angedeutet und später wird es zur Tatsache, dass etwas aus ihrer Vergangenheit sie bedrückt.

Erik ist ein erfahrener Ermittler, der gelegentlich zum Sarkasmus neigt, geradlinig ist und glücklich verheiratet. Die Geschichte treibt auf ein ganz bestimmtes Thema zu, welches aber lange im Verborgenen bleibt. Neben den Perspektivenwechseln zwischen Heloise und Erik gibt es auch immer wieder kurze Szenen mit Anna Kiel, die aber rätselhaft sind und auf diese Weise nochmals zur Spannungssteigerung beitragen.

Der Schreibstil ist angenehm zu lesen, auch dank einer sehr guten deutschen Übersetzung durch Karoline Hippe. Durch einige unerwartete Wendungen war ich vom Inhalt gefesselt und wollte endlich erfahren, warum die nach ihrer Tat geflohene Anna jetzt eine Verbindung zu Heloise sucht. Die Spannungskurve hält Anne Mette Hancock in ihrem Thriller „Leichenblume“ bis zum Schluss hoch. Gerne empfehle ich das Buch an alle Leser, die gerne Kriminalromane lesen.

Bewertung vom 03.03.2021
Hard Land
Wells, Benedict

Hard Land


ausgezeichnet

Der Roman „Hard Land“ von Benedikt Wells beginnt mit zwei Feststellungen, die nicht nur neugierig auf die vorliegende Geschichte machen, sondern gleich zeigen, dass der Protagonist sich mit sehr gegensätzlichen Gefühlen in jenem einen besonders erinnerungswürdigen Sommer seiner Jugend auseinander zu setzen hat: er wird sich verlieben und er wird seine Mutter verlieren. Dabei bleibt die Beziehung zu ihr und die mit ihrem Verlust verbundenen Empfindungen anfangs noch offen und riefen eine gewisse Erwartung an die Erzählung bei mir hervor. Der Titel bezieht sich auf einen preisgekrönten Gedichtzyklus des fiktiven Lyrikers William Morris. In dem von Benedikt Wells geschriebenen Text nimmt er Bezug auf die harte Arbeit, die der eigene Grund und Boden dem Besitzer abverlangt, ein Leben lang, über die Jahreszeiten und Jahre hinweg.

Der fünfzehnjährige Sam wohnt im Jahr 1985 mit seinen Eltern in einem kleinen Ort in Missouri. Seine ältere Schwester Jean lebt seit einigen Jahren an der Westküste der USA, sein bester Freund ist mit seiner Familie vor Kurzem weggezogen und der Kontakt nahezu abgebrochen. Sams Vater ist arbeitslos, seine Mutter arbeitet trotz ihrer schweren Krankheit in ihrer eigenen Buchhandlung. Eigentlich soll er den Sommer bei Verwandten in Kansas verbringen, doch ein Aushang am Kino bringt ihn auf die Idee, dort auszuhelfen. Hier begegnet er der Tochter des Besitzers und zwei beliebten älteren Jungen, die er von der Schule kennt und die ebenfalls dort angestellt sind. Mit ihnen und durch sie wird der Sommer unvergleichbar und unvergesslich.

Ich finde es mutig von Benedict Wells, eine Coming-of-Age-Geschichte zu schreiben, die nicht dort spielt, wo er selbst aufgewachsen ist und die in einer Zeit spielt, die er selbst nicht erlebt hat. Dennoch meistert er diese Hürden mit Bravour. Dank seines hohen Einfühlungsvermögens versetzt er sich gekonnt an Ort und Zeit und vermittelte mir auf diese Weise Bilder und Gefühle, die ich nachvollziehen konnte. Auch ich habe in eben jener Zeit einen unvergessenen Sommer an der Seite von Freunden erlebt und kann auf ähnliche Erfahrungen zurückgreifen. Die Beschreibungen des Autors haben mich erreicht und die Empfindungen von Sam stellten sich für mich als authentisch dar.

Es ist ein Wechselbad der Gefühle, die Sam in jenem Sommer 1985 erlebt hat. Sam wird bewusst, dass er seine Schüchternheit überwinden muss, damit er nicht zur Verwandtschaft geschickt wird, die er aus bestimmten Gründen meiden möchte, wie seine Eltern es für ihn vorsehen. Seine Eigeninitiative ist der erste Schritt zur Selbstverwirklichung und Selbstbewusstsein. Verbunden ist dieser Schritt mit Freude und Leid, mit Lachen und Weinen. Es gibt viele nie erlebte Situationen, neue Eindrücke für ihn, die man gar nicht schnell genug verarbeiten kann und die sich zu einem ganz neuen Lebensgefühl steigern, bei dem die Welt einen kleinen Moment still zu stehen scheint, in dem aber andernorts sich die Erde weiterdreht und für Ereignisse sorgt, bei denen man später vielleicht bedauert, anwesend gewesen zu sein …

Benedict Wells hat mit „Hard Land“ einen Roman geschrieben, bei dem man die Sommerhitze knistern spürt und die Musik der 1980er vibriert. Mit seinem empathischen Schreibstil hat der Autor eine bewegende Coming-of-Age-Geschichte verfasst, die zeigt, wie man durch Freundschaft zu sich selbst finden und emotional reifen kann. Gerne vergebe ich hierzu eine Leseempfehlung.

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