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Bellis-Perennis
Wohnort: 
Wien

Bewertungen

Insgesamt 901 Bewertungen
Bewertung vom 01.04.2024
Wilde Wut (eBook, ePUB)
Schmöe, Friederike

Wilde Wut (eBook, ePUB)


gut

Dieser Krimi ist der 16. aus der Reihe rund um Privatermittlerin Katinka Palfy und ihrem Lebenspartner KHK Hardo Uttenreuther. Für mich ist es der erste Krimi von Autorin Friederike Schmöe.

Worum geht’s?

Man findet die Leiche von Michael Dreysbach unterhalb der Bamberger Heinrichsbrücke. Auf den ersten Blick scheint der Mann unglücklich gestürzt zu sein, doch als man ein Stück Stoff in seinem Hals, Antidepressiva und Kokain in seinem Blut sowie in seiner Jackentasche entdeckt, ist klar, dass der Sohn des berüchtigten Immobilienmaklers Günther Dreysbach ermordet worden ist. Es scheint, als hätte der Tote eine Menge Feinde gehabt. Nur, wer ist der Täter?

In einem weiteren Handlungsstrang lernen wir Babs kennen, die einerseits durch eben solche Immobilienspekulanten ihre Wohnung verloren hat, und andererseits psychische Probleme hat. Gemeinsam mit einer Gruppe Gleichgesinnter protestiert sie gegen die Gentrifizierung und gerät dadurch in den Fokus der Polizei. Babs bittet ausgerechnet Katinka Palfy um Hilfe, die ihrerseits eine Klagsdrohung wegen Blattlausbefall erhalten hat. Dem schäbigen Kaufangebot für ihr Haus vor einem Jahr hat Palfy keine Beachtung geschenkt. Als sie erneut ablehnt, lernt sie die kriminelle Ader des Immobilienmaklers kennen, die Sabotage und Sachbeschädigung beinhaltet.

Bei ihren Recherchen entdeckt Katinka, dass es zahlreiche Mieter und Eigentümer gibt, die von Dreysbach Machenschaften betroffen sind. Bei einigen macht sich wilde Wut breit.

Bei den Ermittlungen stellt sich heraus, dass die Dreysbachs eine höchst dysfunktionale Familie sind. Patriarch Günther demütigt Frau und Kinder, lässt alle nach seiner Pfeife tanzen und wer nicht mitmacht, wird ausgestoßen.

Meine Meinung:

Die Stadt Bamberg kenne ich nicht, weshalb ich sowohl zu Architektur als auch zur Geschichte eine Beziehung aufbauen konnte.

Die Charaktere KHK Hardo Uttenreuther, Katinka Palfy sowie der Journalist Dante Wischnewski leben in verschiedenen Wohnungen unter einem Dach und scheinen miteinander befreundet zu sein. Berufliches und Privates wird recht gut getrennt und man hilft einander mit Rat und Tat.

Die Machenschaften von Immobilienhaien sowie die Gentrifizierung ganzer Stadtteile bieten immer wieder Stoff für Konflikte, beschäftigen Legionen von Rechtsanwälten und inspirieren Krimiautoren. Allerdings habe ich dazu schon deutlich fesselnder Krimis lesen können.

Obwohl ich üblicherweise keine Probleme habe, irgendwo in der Mitte oder am Ende eine Reihe einzusteigen, ist werde ich diese hier nicht weiterverfolgen.

Fazit:

Leider hat mich der Krimi nicht wirklich gefesselt, daher nur 3 Sterne.

Bewertung vom 01.04.2024
Verzogen, verweichlicht, verletzt
Nickel, Susanne

Verzogen, verweichlicht, verletzt


ausgezeichnet

Susanne Nickel ist Autorin und Unternehmensberaterin. Sie erlebt tagtäglich, wie die, als Generation Z bezeichneten jungen Menschen, die zwischen 1995 und 2010 geboren sind, bei vielen Arbeitgebern ob ihrer Einstellung zu Arbeit und Leistung für Kopfschütteln sorgen.

In vier Abschnitten beleuchtet die Autorin die aktuelle Situation und versucht Lösungen aus dem Dilemma zu finden:

Was läuft falsch am Arbeitsmarkt?
Eine Generation auf dem Egotrip?
Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum?
Und jetzt? Welche Lösungen gibt es?

Zunächst stellt Susanne Nickel das „Haus der Generationen“ vor. Auch wenn es sich hier um Daten aus Deutschland handelt, kann das meiste auch auf Österreich übertragen werden.

Generation Silent (1929-1945)
Generation (Baby)Boomer (1945-1964)
Generation X (1965-1979)
Generation Y (1980-1994)
Generation Z (1995-2010)

Die Autorin berichtet über ihre Erfahrungen mit Personalchefs, die händeringend Mitarbeiter suchen und an der Erwartungshaltung der Bewerber schier verzweifeln. Ich kann auch ein kleines Beispiel anbieten, obwohl ich üblicherweise bei Personalentscheidungen nicht mitzureden habe, aber diesmal bei Vorstellungsgesprächen dabei war. Wir (eine österr. Bundesdienststelle) hatten unlängst eine Lehrstelle für den Lehrberuf „Verwaltungssassistenz“ (also eine Bürostelle) ausgeschrieben. Ein Bewerber (25 Jahre) hat gemeint, er möchte nur 20 Stunden pro Woche arbeiten, die aber dafür vollständig im Homeoffice, das Gehalt natürlich für die Vollzeit, die Mitgliedschaft in einem Fitnesscenter seiner Wahl und einen Dienstwagen. Unserem HR-Chef ist die Spucke weggeblieben.

„Die Generation Z zeigt, dass sie sich schwertut mit der Realität und dem Leben der anderen, es zählt vorrangig das eigene.“

Die grundsätzlich Kernaussage des Buchs ist „Die deutsche Wirtschaft ist auf die junge Generation angewiesen, was heißt, dass Unternehmen gezwungen sind, sich auf Veränderungen einzustellen. Sie müssen reagieren.“ Ja, das unterschreibe ich gleich. Aber auf solche oder ähnliche unverschämten Forderungen einzugehen, halte ich nicht wirklich für sinnvoll. Was kommt dann als Nächstes?

Susanne Nickel provoziert natürlich, bietet aber auch, nachdem sie die verschiedenen Perspektiven einige Ideen zur Abhilfe an. Die zehn Fragen eines HR-Managers an die Bewerber halte ich für einen interessanten und einfachen sowie kostenlosen Ansatz. Man könnte ähnliche Fragen auch dem Bestandspersonal stellen, damit die „ihre“ Firmen nicht verlassen. Ich kenne einige altgediente KollegInnen, deren Leitspruch ist „Für das Gehalt mache ich das nicht. Die Verantwortung übernehme ich nicht. Das steht nicht in meiner Arbeitsplatzbeschreibung.“

„Viele Wünsche der Z-ler – etwa in Bezug auf Führung, Flexibilität und ehrliches Feedback – sind inzwischen Forderungen aller Generationen.“

Auffällig bei der Generation Z ist, dass sie, wenn es nicht nach ihrem Kopf geht, sofort gekündigt wird. Job-Hopping ist ein weit verbreitetet Phänomen. Es scheint, als ob Ausdauer oder Durchhalten, wenn es einmal eine Durststrecke gibt, nicht mehr vorhanden sind. Es muss immer alles JETZT, SOFORT, AUF DER STELLE passieren, wenn nicht, wird gekündigt - das entspricht oft dem Verhalten eines Kleinkindes im Trotzalter. Vermutlich, weil viele der Generation Z Einzelkinder sind, deren Eltern ihnen die Wünsche erfüllt haben, noch bevor sie ausgesprochen worden sind.

Meine Meinung:

Das Buch ist einerseits unterhaltsam, gut zu lesen , trotzdem regt es zum Nachdenken an. Nach zunächst sehr kritischen Beispielen zur Generation Z versetzt sich die Autorin gegen Ende des Buches in deren Perspektive und regt einen Dialog zwischen den Generationen an.

Autorin Susanne Nickel will in diesem Buch nicht nur Missstände aufzeigen, warnen und zur Diskussion anregen, sondern praktikable Lösungen finden und zum konkreten Handeln auffordern. Denn sie glaubt: Die Generation Z und die Boomer könn(t)en viel voneinander lernen. Gut gefallen hat mir die klare Struktur und die konstruktive Kritik, die auch die Firmenchefs nicht außen vor lässt. In dieser schwierigen Lage ist partnerschaftliches Miteinander der Generationen das Gebot der Stunde.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem Buch, das zu Diskussionen anregt, um ein partnerschaftliches Miteinander unterschiedlicher Generationen zu erreichen, 5 Sterne.

Bewertung vom 01.04.2024
Dämonen
Ammerer, Gerhard;Bauer, Nicole;Watzka, Carlos

Dämonen


sehr gut

Wer glaubt, dass „Teufelsaustreibungen“ längst Vergangenheit und Aberglauben sind, sollte dieses Buch lesen.
Gerhard Ammerer, Nicole Bauer und Carlos Watzka untersuchen in zehn Kapiteln war es mit dem Glauben an Dämonen und Teufeln auf sich hat,

Neben einer Einleitung gliedert sich das Buch wie folgt:

Grundlagen der europäischen Dämonologie: Hellenismus, Judentum, Neues Testament
Der Kampf gegen die bösen Geister vom Frühmittelalter bis zum Erscheinen des Hexenhammers
Ein Zenit der Dämonisierung: Besessenheit während der „Glaubensspaltung“
Besessenheit und Austreibungspraxis im Barock und das „Rituale Romanum“ von 1614
Die dämonische Besessenheit in der Kritik - die Aufklärungszeit
Teufelsglaube zwischen politischer Marginalisierung und populärer Alltäglichkeit im Biedermeier
Zwischen Beschwörung und Bannung: Dämonen im „Kulturkampf“ des Pressewesens
Symbolische Präsenzen. Praktiken der Teufelsaustreibung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Abschied vom Teufel? Besessenheit und Exorzismus im späten 20. Jahrhundert
Rückkehr des Teufels? Globalisierung und Dämonisierung seit den 1990er-Jahren

Mit einem Resümee und Ausblick schließt das Buch, das neben einem Anhang zahlreichen Abbildungen enthält.

Meine Meinung:

Die rituelle Teufelsaustreibung hat in Österreich eine lange Geschichte, ich möchte fast sagen „Tradition“. An Hand von durch Protokolle und Akten belegten Exorzismen beschreiben die drei Autoren das Procedere.

Wenn es nicht so traurig und brutal wäre, müsste man fast schmunzeln, wenn man liest, dass bei der Teufelsaustreibung, die man 1783 an dem Ötztaler Bauernmädchen Johanna Scheiber vollzogen hat, ein Tirolerisch sprechender Teufel mit angeblich Millionen (?) anderer Teufel ausgefahren sei. Man stelle sich bitte den höllischen Stau vor.

Diese Teufelsaustreibung ist heute noch als „Wunder von Seefeld“ bekannt und hat Seefeld zum Wallfahrtsort gepusht. Ein Schelm, der hier Böses vermutet, wenn durch Wallfahrer viel Geld in die Kassen der Kirche gespült worden ist.

Skeptische Geister haben die Darstellung schon damals angezweifelt. Immerhin ist auch in Österreich das Zeitalter der Aufklärung angebrochen. Kaiser Joseph II. regiert und hat, wie man weiß zahlreiche kontemplative Klöster aufgehoben. Man nähert sich zahlreichen, bislang rätselhaften Phänomenen inzwischen mit dem Blick der Naturwissenschaft.

Die Autoren – der Historiker Gerhard Ammerer, die Religionswissenschafterin Nicole Bauer und der Soziologe Carlos Watzka – spannen einen weiten Bogen: von antiken Kobolden und Zwischenwesen, halb Mensch, halb Gott, über die jüdischen Totengeister sowie Unholde der muslimischen Welt bis hin zum dämonischen Personal der christlich-katholischen Lehre. Vor allem bei Letzterer, weil in Österreich die Religionsgemeinschaft mit den meisten Gläubigen, spielt die Erzählung von gefallenen Engeln, deren Chef der Teufel ist, der ein Heer von Dämonen befehligt, eine große Rolle. Nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der jüngsten Zeit. Hierzu gibt es interessante Stellungnahmen sowie Zeitungsberichte aus 2011 bzw. 2023.

Wenn man sich so manchen Politiker, der wild gestikulierend und mit bis zur Grimasse verzerrten Gesicht seine Botschaft verkündet, ansieht, könnte man fast an Dämonen glauben. Aber nur fast!

Fazit:

Gerne gebe ich diesem interessanten Werk der Autoren Ammerer, Bauer, Watzka, das einen wisssenschaftlichen Einblick auf Österreichs Geschichte in Bezug auf Dämonen und Teufel gibt, 4 Sterne.

Bewertung vom 01.04.2024
Acqua alta
Autissier, Isabelle

Acqua alta


ausgezeichnet

Isabelle Autissier stellt in ihrer Dystopie die Zerstörung Venedigs im Jahre 2021 durch ein gewaltiges Naturereignis dar. Doch ist es wirklich das Zusammenspiel zwischen Sturm und Wasser, das auf die maroden Mauern der Serennissa, die die Stadt zerstören? Oder ist es vielmehr die Gier nach noch mehr Umsatz, noch mehr Gewinn in Kombination von Ignoranz und Korruption? Mahner, die zum Schutz der Stadt und der Lagune aufrufen, gab und gibt es schon lange. Hat die Technikgläubigkeit der Menschen nun ein Ende?

Ob das mehr als sechs MilliardenEuro teure und jährlich rund 100 Millionen Euro an Unterhaltskosten verschlingende Sperrwerk Modulo Sperimentale Elettromeccanico (kurz MO.S.E.) Venedig wirklich schützen kann, wird die Zukunft zeigen.

Stadtrat Guido Malegatti irrt mit seinem Boot durch die Kanäle der zerstörten Stadt Venedig und lässt die Katastrophe Revue passieren, als müsse er sich noch einmal davon überzeugen, dass sie wirklich geschehen ist.

„Die Stadt, in der kein Stein mehr auf dem anderen liegt, wirkt abstoßend wie ein vor aller Augen verwesender Kadaver, wie ein geschändeter Körper. Mancherorts haben Gasexplosionen ganze Stockwerke zertrümmert und zusammen mit Kurzschlüssen anschließend Brände ausgelöst, deren Trümmer und rußige Holzbalken im Dunst aussehen, als würden sie noch immer qualmen. Hinter solchen Mauern haben Menschen gelebt, Pläne geschmiedet, Lust und Leid und großes Glück empfunden. Mit dem Einsturz ist nicht nur die prächtige Architektur verschwunden, sondern mit ihr auch das unscheinbare Leben, das die Stadt zusammengehalten hat.“

An jenem Abend, an dem sich die Katastrophe zusammenbraut, lassen sich die Tore des Sperrwerks nur halb aufrichten und der Chefingenieur spricht von Sabotage ...

Meine Meinung:

Die Zerstörung Venedigs durch Naturgewalten ist hier nur Fiktion. Doch was, wenn MO.S.E wirklich nicht hält? Es bliebe kaum Zeit, die Bevölkerung zu evakuieren.

Isabelle Autissier hat hier eine äußerst fesselnde Dystopie geschaffen. Sehr gut haben mir die Erklärungen von Professore Boldi gefallen, in denen er seine Studenten, darunter Léa auf die Schäden der Mauern der Palazzi hinweist, während alle Welt nur den Canaletto-Blick bewundert.

Während die Katastrophe Guido schwer verletzt auf der Terrasse überlebt hat, ist seine Ehefrau Maria Alba, Nachfahrin eines Dogen von der herabstürzenden Decke im Schlafzimmer getötet worden. Auf seiner Fahrt durch die Kanäle Venedigs können wir Leser die Geschichte bis zum Untergang miterleben. Wir erfahren aus der Sicht von Maria Alba, Guido und Léa was Venedig für jeden einzelnen von ihnen bedeutet. Maria Alba, die Traditionsbewusste, die fest an den Fortbestand Venedigs glaubt und Guido, der ausschließlich an den Profit denkt, den die Touristen mit ihren Kreuzfahrtschiffen erwirtschaften (wobei nachgewiesen ist, dass diese Besucher kaum einen Cent ausgeben innerhalb der Stadt ausgeben, sondern lediglich gaffen).

Wir erleben allerdings auch mit, wie aus einer Tochter aus gutem Haus, der an nichts gemangelt hat (außer vielleicht an Zuneigung) eine militante Gegnerin ihres Vaters wird, die sogar bereits ist, das Sperrwerk Mo.S.E. zu sprengen.

Fazit:

Isabelle Autissier gelingt es meisterhaft, das Katastrophenszenario realistisch darzustellen. Ob es den Verantwortlichen von Venedig gelingen wird, ähnliches in Zukunft zu verhindern? Gerne gebe ich hier 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 01.04.2024
Wie man die lebenswerteste Stadt der Welt überlebt
Rainer, Andreas;Wiener Alltagspoeten

Wie man die lebenswerteste Stadt der Welt überlebt


ausgezeichnet

Mit diesem Buch setzt Andreas Rainer, der als Wiener Alltagspoet bekannt ist, seine Betrachtungen im Wiener Alltag fort. Er schaut den Wienerinnen und Wienern aufs Maul.

Er nimmt die diversen Auszeichnung der Bundeshauptstadt ein wenig auf die Schaufel. Wien ist 2023 abermals zur „Lebenswertesten Stadt der Welt“ gewählt worden und erhält wenige Tage danach den Titel der „unfreundlichsten Stadt“.

Als Wienerin muss ich sagen: Beides stimmt, allerdings hängt es auch davon ab, WEN man fragt.

Mit seinen fünfzig Zitaten, die er in 13 Kapitel zusammenfasst, versucht Andreas Rainer die Widerspruche zu belegen bzw. zu erklären. In vielen Fällen stimme ich ihm zu, doch im Kapitel 10 „Wohnungssuche: Es ist überall gleich schlecht“ gehen unsere Meinungen auseinander.

In diesem Kapitel ortet er die Unflexibilität der (Ur)Wiener Bevölkerung, ihr bekanntes Territorium zu verlassen. Das stimmt meiner Ansicht nach nicht wirklich.

Hat man, nach längerer Suche endlich eine Wohnung gefunden, die dem Geldbörsel und Bedürfnissen wie kurze Wege in die Arbeit, Infrastruktur in der Nähe entspricht, verlässt man diese nicht leichtfertig. Das hat wenig mit Unflexibilität zu tun, sondern zeugt eher von Bodenständigkeit.

Andere, so wie ich, haben ihr Grätzl verlassen. Nach Rainers Diktion wäre ich schon eine Kosmopolitin, da ich im 9. Bezirk (Alsergrund) meine jüngere Kindheit verbracht habe. Nachdem das baufällige Biedermeierhaus behördlich gesperrt (und anschließend abgerissen worden ist), sind wir in den 2. Bezirk (Leopoldstadt) verpflanzt worden. Mit dreißig habe ich dann den Schritt über die Donau in den 22. Bezirk (Donaustadt) nach Essling, gewagt, was meinen Weg in die Arbeit von 10 Minuten Fußweg auf (damals) 1 Stunde 15h mit Öffis verlängert hat.

Und damit bin ich bei der folgenden Aussage von Andreas Rainer, der ich vehement widersprechen muss:

„Die 23 Wiener Gemeindebezirke sind [im Vergleich zu Berlin] in der Größe überschaubarer, und mit den Öffis erreicht man fast jeden anderen Punkt der Stadt innerhalb einer halben Stunde.“

Aber nur FAST. Wenn ich, nach einem Fußmarsch von 10 Minuten mein leistungsfähiges Öffi (Bus) erreiche und dann 30 Minuten fahre, bin ich nach wie vor im 22. Bezirk und gerade einmal bei der U-Bahn, die mich dann zugegeben schnell in die Innenstadt in die Arbeit bringt. So ähnlich geht es jenen KollegInnen, die aus den anderen Himmelsrichtungen Wiens ins Zentrum fahren. Das soll kein Raunzen oder Jammern sein, sondern ist einfach eine Feststellung, die sich leicht mittels Routenplaner der Wiener Linien (Wiener Verkehrsverbund) nachprüfen lässt .


Und ja, ich liebe Wien und sage das auch immer wieder öffentlich. Ich bin stolz darauf hier zu leben, stolz auf die funktionierende Infrastruktur vom köstlichen Hochquellenwasser an, der aus der Leitung rinnt, auf die Müllabfuhr, auf die Absperrgitter bei Baustellen, damit niemand in die Künette fällt (wie in Brüssel wo Baustellen vor allem auf Gehwegen oft nur mangelhaft abgesichert sind), die Straßenbeleuchtung, Kindergärten, Schulen bis hin zu den öffentlichen Verkehrsmitteln, auch wenn die manchmal nicht in der üblichen Taktfrequenz fahren oder wegen Instandhaltungsarbeiten manchmal gar nicht fahren.

Wien bietet seinen Bewohnerinnen und Bewohner mehr als nur das nackte „Überleben“.

Fazit:

Ein gewohnt liebevoll kritischer Blick auf Wien und seine Bevölkerung. Auch wenn nicht immer alles so ist, wie es scheint, gebe ich Andreas Rainers „Wien-Liebe to go“ wieder 4 Sterne.

Bewertung vom 01.04.2024
Salzburg für Kinder
Klammer, Sandra

Salzburg für Kinder


ausgezeichnet

Dieser illustrierte Stadtführer für Kinder zwischen 6 und 99 Jahren hat mich begeistert!

Da ist zunächst die Aufmachung: Coole lllustrationen, die zum Ausmalen anregen, hat Jill Goritschnig gestaltet. Die informativen Texte, die Sandra Klammer geschrieben hat, machen Lust, das eine oder andere im Buch enthaltene Rätsel direkt vor Ort zu lösen.

In elf Kapiteln wird den kleinen und großen Lesern die Landeshauptstadt des gleichnamigen Bundeslandes und ihre Geschichte vorgestellt.

Sehr gut gefällt mir, dass auch andere Berühmtheiten aus Salzburg vorgestellt werden (siehe S. 157 ff). Denn die Stadt hat mehr zu bieten als die Familie Mozart.

Paracelsus (1493-1541)
Christian Doppler (1803-1853)
Hans Makart (1840-1884)
Irma von Troll-Borostyáni (1847-1912)
Rosa Kerschbaumer-Putjata (1851-1923)
Stefan Zweig (1881-1942)
Grete Weiskopf (1905-1966)
Hans Holztrattner (1939-2013)

Weshalb diese Personen berühmt waren, müsst ihr selbst herausfinden.

Dieser tolle Stadtführer ist eine Mischung aus Geschichts- und Malbuch. Zahlreiche weiterführende Tipps regen an, sich in der Stadt an der Salzach weiter umzusehen, vielleicht den Rupertikirtag zu besuchen oder einen der angegebenen Ausflüge zu unternehmen. Hier ist für jede und jeden etwas dabei. Denn, langweilig wird einem in der Mozartstadt nie!

Wer Lust auf etwas Süßes hat, findet im Café Tomaselli oder in der Konditorei Fürst die eine oder ander Torte (Aber, das ist mein ganz persönlicher Tipp!).

Das Buch ist ein ideales Geschenk zum Vorlesen und selber lesen.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem toll illustrierten und informativen Stadtführer für jung und alt 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 01.04.2024
Die Gaben des Wassers
Hochegger, Karin

Die Gaben des Wassers


ausgezeichnet

Mit ihren Gedanken zum Wasser in all seinen Erscheinungsformen wie Nebel, Tau, Regen, Schnee, Eis, schlammiger Pfütze, Moor, See, Bach, Fluss, Strom oder dem Ozean zollt sie ihm ihre Bewunderung.

Das Wasser ist unsere Lebensgrundlage, das es zu behüten gilt. Wir Menschen sind Teil des Kreislauf, bestehen wir Erwachsene doch zu 70 Prozent Wasser (Neugeborene zu rund 95%).

In ihrer Hommage an lebendiges und stilles Wasser betrachtet Autorin Karin Hochegger vor allem die unterschiedlichen Süßgewässer und erzählt aus ihrem reichen Schatz aus ökologischem und kulturgeschichtlichem Wissen.

Wasser - Bedingung des Lebens
Quelle und Ursprung
Rinnsal, Bach und Wasserfall - Aqua viva
Jeder Fluss ist eine Reise
Von kleinsten Gewässern, Tauperlen und Wassertröpfchen - dem Marginalen Bedeutung schenken
Stille Wasser - Tümpel, Teich und Weiher
Königin See
Aus dem Wasser wächst das Moor
Die Begabungen des Wassers

Die Autorin bringt uns die vielen Begabungen des Wasser in einer fast schon poetisch anmutenden Weise näher. Zahlreiche eindrucksvolle Fotos sowie eine lange Liste weiterführender Literatur runden diese Hommage an das Wasser ab.

Das Buch ist, wie könnte es anders sein - am 22 März, dem Tag des Wassers - im Verlag Anton Pustet in gediegener Ausführung, als Hardcover mit Lesebändchen, erschienen. Es eignet sich perfekt als Geschenk für Menschen, die sich gerne am Wasser aufhalten, das kühle Nass schätzen und ihm seine Ehrerbietung darbringen.

Fazit:

Gerne gebe ich dieser Hommage an das Wasser 5 Sterne.

Bewertung vom 01.04.2024
Burgen, Schlösser und Ruinen
Stögmüller, Nina;Versic, Robert

Burgen, Schlösser und Ruinen


ausgezeichnet

Autorin Nina Stögmüller und Fotograf Robert Versic nehmen uns in diesem Buch auf 25 Wanderungen in das oberösterreichische Mühlviertel mit. Der Fokus der Wanderungen liegt auf Burgen, Schlössern und Ruinen. Einige sind davon bewohnt und repräsentativ, andere haben ihre beste Zeit leider schon hinter sich und wieder andere sind dem Zahn der Zeit anheim gefallen.

Um die Orientierung zu erleichtern, sind die 25 Routen in vier Gebiete, die den politischen Bezirken entsprechen eingeteilt:

Bezirk Freistadt
Bezirk Perg
Bezirk Rohrbach
Bezirk Urfahr

Es gibt natürlich noch viel mehr Burgen, Schlössern und Ruinen zu sehen, und die Auswahl für dieses Buch ist dem Duo dem Vernehmen nach schwer gefallen.

Nehmen wir uns die Zeit, die 25 Burgen, Schlössern und Ruinen zu erwandern. Zur Einstimmung gibt es örtlich Sagen und Hintergrundinformationen zu lesen.

Wie in allen ihren Wanderführern weist Nina Stögmüller auf die richtige Ausrüstung und eine sorgfältige Tourenplanung hin. Ihr Beitrag ist die genaue Vorstellung der einzelnen Wanderung, die neben Charakter, Wegbeschreibung, einen Kartenausschnitt und gleich zu Beginn eine Art „Steckbrief“ enthält. Zahlreiche Fotos, die Lust machen, die Wanderschuhe zu schnüren und den Rucksack zu packen, sowie ein Glossar der Burgen, Schlösser und Ruinen vervollständigen diesen Wanderführer.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem tollen Wanderführer, der Lust macht, die eine oder andere Burg zu besuchen, 5 Sterne.

Bewertung vom 26.03.2024
Mutproben
Hitzlsperger, Thomas;Gertz, Holger

Mutproben


ausgezeichnet

Homosexualität im Proffußball - das letztes Tabu?

„Mutproben“ von Thomas Hitzlsperger ist nicht nur die Geschichte (s)eines Coming-outs, sondern auch die beachtenswerte Entwicklung eines jungen Mannes vom elterlichen Bauernhof in die Welt des Profifußballs. Das Buch liest sich sehr spannend und gibt Einblick in die Welt des Profifußballs in der der schnöde Mammon mehr zählt, als der einzelne Spieler.

Wie könnte es sonst sein, dass die Fußball-WM an Länder wie Quatar und Saudi-Arabien vergeben wird, in denen Menschen- und Frauenrechte aufs Gröbste vernachlässigt sowie Homosexualität bestraft werden?

Warum wird männliche Homosexualität gerade im Fußball so vehement negiert und abgestritten? Weil im Fußball eine ureigene männliche Identifikation innewohnt?

Hitzlsberger geht, wie die ehemalige Bundesliga-Spielerin Tanja Walther-Ahrens in ihrem 2011 erschienen Buch „Seitenwechel“ der Frage nach, wieso es im männlichen Fußball nahezu unmöglich ist, seine Homosexualität als aktiver offen zu leben. Es scheint, dass hier ein archaisches Männlichkeitsideal in den Köpfen von Trainern, Spielern, Funktionären und Fans tief verwurzelt zu sein, das voller Widersprüche steckt.

Dazu passen auch die überschwänglichen, oftmals peinlichen Umarmungen oder Gesten nach einem Tor oder gar einem Sieg. Hier scheint wenig Männliches vorhanden zu sein. Auch der auffallend zur Schau gestellte Körperkult zahlreicher Spieler trägt zur Doppelmoral bei. Da wird tätowiert, die Haare gestylt, Zopferl geflochten und die Sixpacks zur Schau gestellt und gleichzeitig die Homosexualität geleugnet.

Die Antworten auf die Frage, warum es für aktive Profifußballer so schwer ist, sich als homosexuell zu outen, sind nicht leicht zu finden. Hitzlsperger beschreibt die inneren Kämpfe, das Für und Wider eines Outing sehr anschaulich. Er erzählt aus eigener Erfahrung vom Klima in der Kabine, der Reaktion von Öffentlichkeit und Medien sowie und deren Folgen für ihn als Einzelnen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass seit Hitzlspergers Coming Out vor nun gut 10 Jahren kein aktiver Fußballer in Deutschland den Schritt gewagt hat.

Weltweit gibt es rund zehn männliche Fußballprofis, die sich zu ihrer Homosexualität bekennen. Das Thema scheint weiterhin unter den Teppich gekehrt zu werden.

Hitzlsperger erzählt von Justin Fashanu, dem Pionier aus England. Er war der erste Spieler, der sich 1990 (!) während seiner Profikarriere geoutet hatte. Fashanu war mit einer Welle an Ablehnung konfrontiert. Sein Trainer Brian Clough beschimpfte ihn vor versammelter Mannschaft etwa als "verdammte Schwuchtel". Fashanu wurde gleich doppelt diskriminiert: schwarz und schwul - eine unheilvolle Kombination, die ihn letztlich das Leben gekostet hat. Nachdem er von einem Minderjährigen der Vergewaltigung beschuldigt worden ist, begeht er Selbstmord.

Gemeinsam mit Co-Autor Holger Gertz erzählt Thomas Hitzlsperger in seiner lebendigen Autobiografie zahlreiche Anekdoten, zeigt aber auch seine verletzliche Seite als seine Persönlichkeit. Dabei wirkt Hitzlsperger, „Hitz the Hammer“ wie ihn die Engländer auf Grund seines scharfen Schusses nennen, geerdet. Er ist Vorbild. Sein Aktivismus ist leise und bestimmt, Brachialgewalt ist nicht das Seine. In seinem Buch verknüpft er Privates mit Öffentlichem. Er spricht sachlich und ohne die weit verbreitete Heuchelei die Widersprüche im Männerfußball an. Dabei ist er weder selbstgerecht oder belehrend oder suhlt sich in Selbstmitleid.

Dass Homophobie im Männerfußball noch immer sehr weit verbreitet ist, zeigt sich bei fast jedem Wiener Derby ein Bild machen. Die schwulenfeindlichen Fangesänge gehören genauso zum schlechten Ton eines Spiels zwischen Rapid und der Austria wie das spezifische Umfeld, das diese toxische Männlichkeit fördert.

Dass Hitzlpergers Buch nur wenige Wochen nach dem Eklat im Anschluss an das letzte Wiener Derby erschienen ist, ist wohl ein Treppenwitz der Geschichte. Was ist da passiert? Nach dem Sieg Rapids sind Funktionäre, Spieler und Fans durch homophobe Schlachtgesänge mehr als unangenehm aufgefallen. Rapid-Präsident Alexander Wrabetz sollte Hitzlspergers Buch als Pflichtlektüre für Spieler, Fans und Funktionäre seines Vereins einführen.

Dabei könnte gerade der Fußball einiges zur Akzeptanz von Homosexualität bewirken, denn "Der Ball ist rund und kann deswegen mehr ins Rollen bringen als viele es sich vorstellen können."

Fazit:

Dieser Autobiografie, die Pflichtlektüre für Fußballfunktionäre, Spieler und Fans sein sollte, gebe ich gerne 5 Sterne.