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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 16.03.2008
Durch Mark und Bein / Tempe Brennan Bd.4
Reichs, Kathy

Durch Mark und Bein / Tempe Brennan Bd.4


weniger gut

Leider reicht der Roman nicht an seine Vorgänger heran. Zwar steht auch hier im Mittelpunkt die Forensikerin Tempe Brennan. Doch nach gelungenem Einstieg, der spannenden Beschreibung, was nach einem Flugzeugabsturz geschieht, dem Chaos und Horror bei der Bergung und Identifikation führt ein Fuß, dessen Verwesungszustand nichts mit dem Absturz zu tun hat, sie auf die Spur eines eigenwilligen Falles und mitten in die Folterkammer eines abgelegenen Hauses. Der ganze Plot wirkt überzogen, auf den blossen Schrecken hin geschrieben. Die Täter versteckt hinter einer anonymen Fassade wirken blass. Außer der Rekonstruktion der Opfer gibt es kaum überraschende Wendungen, lediglich der Effekt des Entsetzens wird in den Vordergrund gerückt. Den Hintergründen merkt man die Mühen an, einen einigermaßen glaubhaften Fall zu konstruieren. Natürlich hilft der Zufall den meisten Thriller über die Klippen hinweg und nicht selten knirschen die Scharniere gewaltig, damit die Geschichte nicht ins Stocken gerät, doch bei guten Thrillern überzeugt zumindest der Plot oder Charme einer Geschichte. Hier geht’s nur um alte Knochen.
Polar aus Aachen

0 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.03.2008
Tödliche Aktien, Sonderausgabe
Ridpath, Michael

Tödliche Aktien, Sonderausgabe


sehr gut

Dass in der Welt von Hedge Fonds, Risikokapital, vernichteten Existenzen aufgrund schwankender Kurse es nicht immer gewaltfrei zugeht, ist nicht neu. Dass mit Michael Ridpath ein Autor das Genre dadurch bereicherte, dass er wunderbar auf der Klaviatur der Wirtschaftsseiten zu spielen vermag, überzeugende Charaktere aufzubauen versteht, zeigt sich wiederum in diesem Roman. Ganz oben, on the top, ist die Luft eisig, der Absturz kann innerhalb von Stunden geschehen, wenn man sich verkalkuliert, keine neuen Absatzmärkte entdeckt. Wieso nicht in Bondscape investieren? Es sind gerade die unbekannten, viel versprechenden Firmen, die den großen Profit versprechen. Microsoft, Apple wären nie ohne Fremdkapital aus ihren Garagen herausgekommen. Dass ausgerechnet der Bruder eines Traders offenbar eine bahnbrechende Software entwickelt hat und deswegen ermordet, der Aktienkurs seines Unternehmens manipuliert wird, stellt Mark Fairfax vor die Entscheidung, seine Karriere aufzugeben, um sich des Lebenstraums seines Bruders anzunehmen. Spannend beschrieben. Hier stellt nicht das englische Pfarrhaus des Pater Brown sondern die Welt der Großfinanz die Kulisse, in der die Gier das eigene wie das Leben anderer bestimmt. Michael Ridpath weiß nicht nur, wovon er schreibt, er kann es auch.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 15.03.2008
Ein Mord für Kay Scarpetta / Kay Scarpetta Bd.2
Cornwell, Patricia

Ein Mord für Kay Scarpetta / Kay Scarpetta Bd.2


sehr gut

Bevor die Flut an Gerichtsmedizinerinnen in das Genre schwappte und es unter Blut setzte, schuf Patricia Cornwell in Dr. Kay Scarpetta, Chief Medical Examiner in Richmond, eine Protagonistin, an der sich viele ihrer Nachfolgerinnen orientieren. Auch sie besitzt einen messerscharfen Verstand, auch sie wird immer wieder in Fälle hineingezogen, obwohl sie eigentlich Urlaub verdient hätte und vor allem bewährt auch sie sich in einer Männerwelt, die ihr ablehnend entgegentritt. Diesmal wird eine erfolgreiche Schriftstellerin mit einem einzigen gezielten Hieb gemetzelt. Ein Manuskript verschwindet, eine alte Liebe taucht auf und interessiert sich ausgerechnet für das Skript. So was wirft natürlich über den Fall hinaus Fragen auf, und schon sitzt Scarpetta mitten zwischen den Stühlen und darf sich nur auf eine verlassen: auf sich. Cornwell weiß mit Spannung umzugehen, schreibt gute Dialoge und sorgt für überraschende Wendungen. Sie verzichtet auf das Blutrünstige, auf den haschenden Effekt zugunsten des Entsetzens und hält Scarpetta geschickt unterhalb dem Superfrau-Niveau. Auch in Serie gegangen behält sich viel von ihrem Charme.
Polar aus Aachen

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.03.2008
Ein Job
Dische, Irene; Kaiser, Reinhard

Ein Job


sehr gut

Wie man mit einem Genre fulminant spielt, beweist Irene Dische in ihrem kurzen Roman Ein Job. Der Killer ist Kurde, kommt nach New York, spricht die Sprache nicht, kennt sich nicht aus und wird in einen Job eingewiesen, den er so eigentlich nicht ausführen mag. In seiner liebevollen Hilflosigkeit erinnert manches an Jim Jarmuschs fulminanten DDR-Taxifahrer Grokenberger aus Night on Earth, von Armin Müller-Stahl gespielt. Es geht ums nackte Überleben. Wie die meisten beruhigt sich auch Alan Korkun damit, dass es ja nur ein Job ist. Staatlich beauftragte Tötungsmaschinen beruhigen ihr Gewissen mit ähnlich abstrusen Äußerungen. Der Roman ist mit der Noir-Serie verglichen worden. Ähnlichkeiten sind nicht nur beabsichtigt, sie füllen das Fundament, auf dem Dische ihren Esprit versprüht. Er beschränkt sich aufs Wesentliche, vor allem jedoch ist er ein reines Lesevergnügen, vor allem für jene, die sich mit Thrillern auskennen und sicher in der skurilen Geschichte viele typische Charaktere des Genre finden.
Polar aus Aachen

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.03.2008
Hannibal
Harris, Thomas

Hannibal


weniger gut

Es ist ein Fluch, wird manch erfolgreicher Autor denken, wenn er einen Charakter geschaffen hat, dem die Welt zu Füßen liegt. Natürlich will jeder wissen, wie es weitergeht. Die Vermarktungszahlen gieren nach mehr. Zumal wenn der Film den Hype weiter anheizt. Bevor Harris seinen Fehlschuss Hannibal Rising losließ, der über Hannibal Lecters Jugend, seine Beweggründe berichtete, schuf er im dritten Band, der sich um seinen kultivierten Psychopathen drehte, eine Art Abschluss, deren Ende bewußt so offen bleibt, das immer noch ein vierter Teil droht. In ihm wächst Hannibal in Italien zu einer solchen Größe an, dass niemand ihm noch etwas anhaben kann. Er ist klüger, er ist schneller, er wird wieder davon kommen. Bei einem Autor wie Harris, der sich auf das Genre wunderbar versteht, enttäuschend. Er fühlt sich berufen, den Schrecken weiter zu steigern, die Schweine loszulassen, aus dem Hirn zu speisen, sich mit seiner hartnäckigsten Verfolgerin Clarice Starling zu belasten, seinen Leser vorzuführen, dass er angesichts der verkommenen Welt ein Recht besitzt, sich jede Freiheit zu nehmen. Das alles hätte genügt, aber Harris mußte Mason Verger lostreten, jenen rachelüsternen Milliardär, der ein Kopfgeld aussetzt. Dass ist reichlich stark Tobak, in Richtung Film gedacht. Da waren Harris vorherige Monster, die in Lecters Umgebung auftauchen, weitaus subtiler. Trotzdem gibt es in dem Roman anspruchsvolle Passagen, Spannungsbögen, die in anderen nachgeahmten Romanen fehlen. Etwas mehr Selbstbeschränkung, weniger Seitenblicke auf die perversen Erwartungen des Markts wäre mehr gewesen.
Polar aus Aachen

2 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.03.2008
Billy Bathgate
Doctorow, E. L.

Billy Bathgate


ausgezeichnet

Dutch Schultz war einer der skrupellosesten Unterweltgrößen der 30er Jahre. Dass Docotorows Romanheld ausgerechnet ihm begegnet, seine Odyssee durch die Hinterhöfe und Gosse in der Prohibition mündet, ist Mahnmal und Versuchung zugleich. Einerseits verlockt in Schultz der Aufstieg zu fadenscheinigem Ansehen und schnellen Reichtum, wenn man nur gewissenlos genug ist, andererseits schreckt seine Hinrichtung als Preis für ein solches Leben ab. Dass ein Junge, der vaterlos an der Seite einer überdrehten Mutter eine neue Vaterfigur sucht, die ihm Halt bietet, ist verständlich. Doctorow schafft es, uns in die Faszination des Jungen für die Welt der Gangster hineinzuziehen. Wo alles möglich erscheint, wenn man es sich zutraut und keine Skrupel kennt, kommt man sich wie auf dem Rummelplatz vor, wo man nur den Mut aufbringen muss aufs Riesenrad zu steigen, um sich hoch über die Köpfe anderer zu erheben. Billy erschleicht sich Schultz Vertrauen, findet als jugendlicher Bewacher für dessen Liebschaft Drew Verwendung und erhält nach und nach Einsicht in die Schattenwelt von illegalen Wetten, Bars, Schmuggel, Prostitution. Es ist die schillernde Geschichte über das Maß an Verführung, das einem in aussichtsloser Situation befallen kann, und es ist der allmähliche Zusammenbruch der Maskerade. Tat für Tat hin zur nackten Wahrheit. Wer sich fragt, wieso einer auf die schiefe Bahn geraten kann, ist in diesem Roman gut aufgehoben. Billy Bathgate hat Glück, dass Dutch Schultz erschossen wird. Ob er sich dem Kreislauf der Gewalt hätte entziehen können, wenn Schultz nicht geplant hätte, Drew zu ermorden, ist eine Frage, die offen bleibt. Billy Bathgate bewahrt sich die Naivität, die ihn am Ende retten wird. Sei es aus Liebe, sei es Einsicht, sei es aus blankem Entsetzen.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 14.03.2008
Niemand denkt an Grönland
Griesemer, John

Niemand denkt an Grönland


sehr gut

In Niemand denkt an Grönland werden Griesemers Figuren ähnlich wie in Rausch ein Opfer der Geschichte. War es in Rausch ein Kabel, das durch den Atlantik gezogen werden sollte, begegnen wir in diesem Roman am Ende des Korea-Krieges einem Corporal, der auf einer geheimen Basis in Grönland, die als Lazarett für Kriegsverletzte eingerichtet wurde, seinen Dienst tut. Warum solche Lazarette überall auf der Welt eingerichtet werden, dürfte klar sein: Die Zahl der Verluste, der Kriegsversehrten lassen sich in Grenzen halten, solange sie als persona non grata behandelt werden. Vorzeigbar sind sie erst wieder, wenn sie die Statistik drücken. Griesemer führt uns an einen verlassen Ort in eisiger Wildnis. Wir begegnen einem verrückten Kommandanten, einer Geliebten, den Schrullen militärischer Bereitschaft und den Gesetzmäßigkeiten des Wahns, den Kriege mit sich bringen. Wenn sich Rudy Spurance im Verlauf der Geschichte dem Geheimnis des Stützpunkts nähert, gerät er in Gefahr. Es sind die eigenen Leute, die alles unter Verschluss halten wollen, auch wenn sie den Corporal nicht davon abhalten können, sich selbst in ausweglose Lage zu manövrieren. Mit dem Geschick für einen klugen Spannungsaufbau beschreibt Griesemer ähnlich wie in Rausch einen Moment der Geschichte, der unbemerkt verstreicht, wenn keiner ihn bemerkt.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 13.03.2008
Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
Kundera, Milan

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins


ausgezeichnet

Die politischen Verhältnisse stehen vor einer grandiosen Umwälzung, die privaten Beziehungen lechzen nach Freiheit, sexueller Unabhängigkeit, ganz Europa träumt vom Aufbruch. Auch der Prager Chirurg Tomas, der die Frauen liebt. Obwohl auch er an den Umwälzungen des Prager Frühlings teilnimmt, sich politischen Hoffnungen hingibt und sich gegen die Restauration stemmt, liegt für viele Leser die Faszination seines Romans besonders an der Dreiecksgeschichte zwischen ihm, der Serviererin Teresa und der Malerin Sabina. Wie da drei Menschen, um etwas ringen, dass sie nicht festhalten können, macht den Zauber dieses Buches angesichts der Kälte draußen aus. Milan Kundera zeichnet ein faszinierendes Bild vom Einmarsch der Sowjet-Truppen. Ihm gelingt mit diesem Roman etwas, was sehr selten glückt: Die Liebe wird zu einer Metapher der Verhältnisse, die ein Land zwischen Wünschen, Restauration und Aufbruch hin und her reißen. Das Paar flüchtet in die Schweiz, wird von seiner Vergangenheit eingeholt und kehrt nach Prag zurück, obwohl dies bedeutet, dass Tomas seine Karriere aufgeben muß, um sich als Fensterputzer über Wasser zu halten. Doch die Gespenster der Vergangenheit lassen ihn nicht in Ruhe, bis er sich in die Einsamkeit zurückzieht. Auch dies ein wunderbares Gleichnis für die Zeit nach dem Prager Frühling.
Polar aus Aachen

7 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.03.2008
Unschuld
Brodkey, Harold

Unschuld


ausgezeichnet

Der erste Band mit Storys in an Almost Classical Mode hat es zu seltsamem Ruhm gebracht, weil sich darin eine Story befindet, die sich ausgiebig dem weiblichen Orgasmus widmet. Spanner werden hier nicht auf ihre Kosten kommen. Vielmehr schafft es Brodkey fulminant, dem Unbeschreiblichen seine Sprache zu leihen, so dass wir uns der Illusion hingeben dürfen, alles auf der Welt sei in Worte zu kleiden, ohne es bloßzustellen. In Classical Mode? Was heißt das? Die deutsche Übersetzung Nahezu klassische Stories nähert sich der Formulierung an und schreckt so gleich ab, indem man Klassiker am liebsten in den Schrank verbannen würde. Brodkeys Stories hingegen sind dem Augenblick verbunden. Es ruht kein Staub auf ihnen. Was in Unschuld als Moment tiefsten Miteinanderseins empfunden wird, kommt dem Nachspüren von Einsamkeit gleich. Und so blitzen auch in den übrigen Storys erinnerte Momente auf, die trotz ihrer mitreißenden Handlung, der sezierenden Szenerie, den Blick vor allem nach innen richten. Ob das Jugenderlebnisse sind, dass Werben um den Adoptivsohn, Brodkeys Menschen wissen um ihre Begrenztheit, um das Loch in der Mitte, um das was F. Scott Fitzgerald den Knacks nannte, den Riss, der sich nicht füllen läßt. Wie Brodkey dem Sprache verleiht, ist faszinierend zu lesen.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 12.03.2008
Place de la Bastille
de Winter, Leon

Place de la Bastille


gut

Wer hat nicht schon mit dem Gedanken gespielt, was wäre: wenn die Ereignisse anders Verlauf wären? Paul de Wits Leidenschaft gehört der Geschichte. Er hat ein langes Manuskript über die französische Revolution verfaßt und fragt sich nun, was wäre mit der französischen Revolution geschehen, mit uns heute, unseren Werten, wenn die Kutsche mit Maria Antoinette und dem König in Varennes eingetroffen wäre? Wenn nicht so viele merkwürdige Zufälle dies verhindert hätten? Wenn der König vom sicheren Ausland die Gegenrevolution angeführt hätte? Ein Gedankenspiel das Historiker gerne spielen. Vor allem mit Schurken wie Hitler oder Stalin. Bei Paul de Wit kommt ein persönliches Interesse an den möglichen Krümmungen der Zeit hinzu. Er glaubt, seinen Zwillingsbruder auf einem Foto an der Place de la Bastille erkannt zu haben, gerade in dem Moment als er seine Geliebte Pauline fotografiert. Was wäre, wenn es diesen Bruder wirklich gibt? Müsste nicht sein ganzes Leben anders aussehen? Leon de Winter hat einen Roman über was wäre wenn geschrieben. Auch wenn die bei ihm üblichen skurilen Gestalten hier fehlen, bleibt der Roman streckenweise amüsant, nur die Anstrengungen der Geschichte einen theoretische Boden zu geben, erscheint mühselig nachgereicht.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.