Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Europeantravelgirl

Bewertungen

Insgesamt 327 Bewertungen
Bewertung vom 22.03.2023
Die Bibliothek der Hoffnung
Thompson, Kate

Die Bibliothek der Hoffnung


ausgezeichnet

Herzensbuch und Highlight

Als im zweiten Weltkrieg London in den Luftangriffen des Blitz zerbombt wird, flüchten viele Menschen, Kinder werden aufs Land verschickt. Aber auch eine noch nicht fertiggestellte Underground-Station wird zum Shelter, zum Schutzraum für tausende Menschen. Dort unter der Erde entsteht zusätzlich zu den kargen Schlafgelegenheiten eine eigene kleine Welt mit einem Theater, einem Café und sogar einer Bibliothek.

Der Roman war für mich ein bewegendes Highlight. Zum einen berührt die Geschichte allein schon aufgrund ihres historischen Hintergrunds. Zum anderen schenkt uns die Autorin mit Bibliothekarin Clara und deren Freundin Ruby zwei großartige Heldinnen, die beide ein Herz aus Gold haben und – in Rubys Fall – auch das Herz auf der Zunge tragen. Aber auch all die anderen Bewohner:innen habe ich beim Lesen rasch in mein Herz geschlossen, allen voran Beatty und Marie. Die beiden jüdischen Mädchen mussten vor der deutschen Besatzung von der Kanalinsel Jersey flüchten und finden in der Bethnal Green Station Schutz und Zuwendung. Zusammen mit den „Kanalratten“, wie sich die Kinder des Shelter selbst nennen, können sie sich in den Büchern der Bibliothek in fremde Welten flüchten und finden bei Clara und Ruby Wärme und Sicherheit.

Die Geschichte schildert unbeschönigt das Leben in London während des Kriegs mit all seinen Ängsten, Nöten und Gefahren, aber auch den unglaublichen Zusammenhalt der Menschen. Dabei trifft die Autorin genau den richtigen Ton, um die typisch britische Haltung zu vermitteln, dass jede/r seinen noch so kleinen Beitrag für die Gemeinschaft leistet. Darüber hinaus beschwört dieser wunderbare Roman die Magie von Büchern, die Kindern Abenteuer ermöglicht, misshandelten Ehefrauen Auswege aufzeigt und die Menschen auch in dunkelsten Zeiten träumen lässt.

Dieses Buch hat mich lachen und weinen lassen, ist mir direkt ins Herz gegangen und wird dort bleiben.

Bewertung vom 14.03.2023
Gletschergrab
Indriðason, Arnaldur

Gletschergrab


ausgezeichnet

Wahrheit und Lüge

Am Ende des Zweiten Weltkriegs stürzt ein Flugzeug auf dem Vatnajökull in Island ab und wird im Schneesturm vom Gletscher einverleibt. Ganz in Vergessenheit geraten ist es nie, denn als es zur Jahrtausendwende vom abschmelzenden Eis wieder freigegeben wird, wird ein von langer Hand vorbereiteter Plan in Gang gesetzt. Plötzlich landen in Keflavik Militärmaschinen, es gibt geheime Transporte, und auf dem Vatnajökull wimmelt es vor Soldaten.

Von Anfang an wird mit Verschwörungstheorien gespielt. Protagonistin Kristín wird bei ihrer Arbeit im Ministerium von einem aufgebrachten Querulanten mit absurden Vorwürfen bombardiert, doch dann berichtet ihr Bruder von der Bergrettung plötzlich von Soldaten auf dem Eis. Sein letztes Lebenszeichen. Was verbirgt sich dort, wofür der amerikanische Geheimdienst sogar zu töten bereit ist? Eine Bombe? Ein gefährliches Virus? Die Gerüchteküche brodelt, und plötzlich schwebt Kristín in Lebensgefahr.

Der Thriller beginnt ein wenig schleppend. Wenn man sich durch den zähen und etwas undurchsichtigen Anfang gekämpft hat, wird man aber belohnt mit einer hochspannenden Story, die nun ein ordentliches Tempo vorlegt. Die Ereignisse überschlagen sich und es kommt zu atemberaubenden Flucht- und Kampfszenen. Mit Gewalt wird dabei nicht gerade zimperlich umgegangen. Das raue Wetter und die schwierigen Straßenverhältnisse in Island sowie natürlich vor allem der Gletscher im Schneesturm tragen als Kulisse maßgeblich zur Dramatik bei. Doch hinter all der Action geht es um Wahrheit und Lüge, um Gerüchte und vor allem irrsinnige Verschwörungstheorien. Und nicht zuletzt um die Frage: Was ist die geheimnisvolle Operation Napoleon?

Wohlgemerkt wurde der Thriller bereits 1999 geschrieben. Die Neuauflage erfolgt jetzt im Zusammenhang mit seiner Verfilmung fürs Kino.

Bewertung vom 12.03.2023
Der Blumenkavalier
Baumgartner, Michaela

Der Blumenkavalier


sehr gut

Blumig-frivoler Ausflug nach Wien

Die Wohlleben-Töchter Sophie und Fanny kehren aus England zurück ins heimatliche Wien, wo sie nicht nur von ihren Eltern und ihrem Bruder, sondern auch von ihrer Freundin Emilia freudig empfangen werden. Grund zur Freude sollte auf jeden Fall die schwangere Sophie haben, doch diese plagen auch Ängste, nicht zuletzt wegen des Zerwürfnisses mit ihrer Schwiegermutter. Fanny hingegen macht sich voller Begeisterung an die Einrichtung ihres Gartenpalais und vor allem an die Gartenanlage. Leider muss sie feststellen, dass ihr geliebter Paul ohne ein Wort des Abschieds auf Reisen gegangen ist. Doch da gibt es ja noch den ungarischen Grafen Erdély, mit dem Fanny bald mehr als nur die Leidenschaft für Pferde zu verbinden scheint.

Bei dem Roman handelt es sich um den dritten Band einer Reihe. Der Einstieg fiel mir unerwartet schwer, denn es war recht knifflig, all die Namen und Titel richtig zuzuordnen und die zurückliegenden Ereignisse zu rekonstruieren. Als diese Hürde überwunden war, ließen sich die Ereignisse rund um die vielen Charaktere aber ganz wunderbar lesen. Da waren die selbstbewusste Emilia, die unkonventionelle Fanny, der anfangs noch ungestüme Bruder Georg sowie die restliche Familie und Wiener Gesellschaft. Dabei war ich zutiefst erstaunt, wie frivol es da zuging. Hinter fast jeder Hecke wird geschnaggselt, und zwar bereitwillig nach dem ersten Handkuss. Das hätte ich bei einer Erzählung über die österreichische Biedermeierzeit schlicht nicht erwartet und fand es hoch interessant zu erfahren. Die Autorin ist ja Historikerin und hat da mit ihrem Roman ein ganz neues Licht auf die Epoche geworfen.

Insgesamt ist dieser Roman das reinste Überraschungspaket. Während das Cover stark an die so beliebten Regency-Romane erinnert, bedient sich die Autorin einer historisch und lokal angepassten Sprache, was ich großartig fand, denn wo sonst ist man „enthusiasmiert“, findet man ein „Dekolletetscherl“ oder ist die Rede von „Abattanten“ und dem „Fichu“? Wirklich wunderbar, wenn man sich darauf einlässt. Dazu kommt jede Menge botanisches Wissen vom Feinsten, und ganz besonders gefiel mir das „Akrostichon“, ein damals äußerst beliebtes Blumenrätsel. Tatsächlich spielen auch historische Ereignisse in die Handlung hinein, was wiederum einen sehr interessanten Hintergrund bildet. Dieser Roman wirft einen ganz neuen Blick auf die Biedermeierzeit, die mir in diesen Facetten gar nicht bewusst war.

Bewertung vom 09.03.2023
Das Elixier der Lügen / Silver & Poison Bd.1
Lück, Anne

Das Elixier der Lügen / Silver & Poison Bd.1


sehr gut

Die Magie des Silbers

Avery ist wohl das, was man eine gescheiterte Magierin nennen würde. Ohnehin nur mit einer schwachen Gabe als Poisonerin ausgestattet, fristet sie ihre Zeit als Barkeeperin im Rhapsody, wo den Kunden ganz besondere Drinks ausgeschenkt werden. Nebenbei, und das darf niemand wissen, erledigt sie kleine Aufträge für Gangsterboss Dorian Mars, um sich aus dessen Gang freizukaufen. Wenn ihr da nur nicht immer dieser eine Detective über den Weg laufen würde, mit dem sie eine gemeinsame Vergangenheit teilt. Doch gerade dem begegnet sie ständig, vor allem seit in New York immer mehr Magier ermordet werden. Etwas Geheimnisvolles geht vor sich, und auch Averys Magie scheint sich zu verändern.

Die Urban Fantasy erinnert in ihrer Handlung stark an einen Krimi, nur eben mit magischen Elementen. Die düstere Atmosphäre unsicherer Gassen in New York ist gut eingefangen. Streckenweise hat man das Gefühl, ein Gangsterepos zu lesen. Die magischen Elemente sind geschickt eingeflochten und schlüssig erklärt. Dank einiger überraschender Wendungen und dank undurchsichtiger Charaktere weiß man beim Lesen nie, wem man glauben kann. Gerade diese Ungewissheit sorgt für ordentlich Spannung. Actionszenen und teilweise auch etwas grausame Szenen tragen zum düsteren Ambiente bei. Überhaupt ist die Stimmung einer der ganz großen Stärken dieses Fantasy-Romans.

Am Ende zeigten sich einige kleine Schwächen in der Logik, aber vielleicht werden diese ja im zweiten Band aufgelöst. Auf diesen darf man auf jeden Fall schon sehr gespannt sein!

Bewertung vom 05.03.2023
Weite Sicht
Pilz, Thorsten

Weite Sicht


ausgezeichnet

Lass dir Zeit

„Lass dir Zeit“ – Diese im Buch geteilte Lebensweisheit haben sich die Charaktere dieses Romans zu Herzen genommen. Genau genommen haben sie sich ihr ganzes Leben lang Zeit gelassen. Und plötzlich wird alles ordentlich durcheinandergewirbelt. Auslöser ist Friedrichs Tod. Nach seinem Ableben nimmt sich seine Frau Charlotte Zeit, alle Angelegenheiten und ihr Befinden zu ordnen. Erstaunliches tritt nun plötzlich zutage. Während die Verhältnisse zwischen Charlotte und ihren Geschwistern Johannes und Gesine sowie Adoptivschwester Sabine jahrelang geklärt und gefestigt schienen, brechen nun Gräben auf, die niemand vermutete. Und dann taucht auch noch plötzlich die Dänin Bente auf, ein Gesicht aus der Vergangenheit. Nicht nur für Charlotte fühlt es sich an, als ob alles in seine Einzelteile zerfiele.

Der Roman hat mich positiv überrascht. Es ist ein wunderbar arrangiertes Gefüge zwischen den Beteiligten, das eine ganz unerwartete Dynamik entwickelt. Und vor allem beherzt die Geschichte ihren eigenen Ratschlag: „Lass dir Zeit“. Der Roman lässt den Dingen ihren Lauf, gesteht den Figuren Zeit für Entwicklungen zu, und – was für mich am erfreulichsten war – er erzählt die einzelnen Stränge auch aus. Nicht nur rätselhafte Andeutungen und ungeklärte Geheimnisse, nein, die Fäden werden zertrennt und neu verknüpft bis sie sich am Ende zu einem Band zusammenfügen. Der Schreibstil ist angenehm zu lesen, und die Personen, ihre Entwicklungen und Beziehungen zogen mich immer mehr in ihren Bann. Diese Erzählung konnte mich emotional wirklich erreichen und so berühren, dass bei mir tatsächlich ein paar Tränen flossen.

Bewertung vom 05.03.2023
Freakshow
Bloom, Katie Mae

Freakshow


sehr gut

Nichts ist wie es scheint in der Freakshow

Ein Detective wird gerufen, um die Vernehmung einer berüchtigten Gefangenen zu übernehmen, während draußen der Mob tobt. Es ist der mittlere Westen in Amerika, während Europa sich am Vorabend des 1. Weltkriegs befindet. Die Angelegenheit scheint eindeutig. Die Zirkuskünstlerin Madame Mallory aus einer Freakshow. Eine schwarze Witwe. Die Bevölkerung geht bereits auf die Barrikaden wegen des Gesindels. Doch schnell wird dem Detective klar, dass mehr dahintersteckt. Und Mallory bleibt genau diese eine Nacht, um ihre Geschichte zu erzählen. Noch ahnt der Detective nicht, dass er selbst mit dieser verwoben ist.

Es ist kein klassischer Thriller im eigentlichen Sinne, der sich beim Lesen ausbreitet. Die ganze Atmosphäre dieses Buchs hat mich an Steampunk erinnert, die Story ist gespickt mit Charakteren, die alle etwas zu verbergen scheinen, und reichlich außergewöhnlichen Kulissen. Auch der zeitliche Kontext erscheint trotz der Definition vor dem Ausbruch des 1. Weltkriegs nicht streng historisch, sondern voller Rätsel und Verschwörungen. Überhaupt ist dies der rote Faden, der sich durch das Buch zieht, dass nichts ist wie es scheint. So erleben wir mit Mallory nicht etwa eine lineare Handlung, sondern diese springt zu verschiedenen Episoden mit teils überraschenden Wendungen und Offenbarungen. Am Ende fügen sich die Puzzleteile faszinierend und völlig unerwartet zusammen.

Einige Fragen bleiben noch offen, die ihre Beantwortung in den übrigen Teilen der als Trilogie angelegten Reihe finden werden. Man darf daher brennend auf die Fortsetzung gespannt sein!

Bewertung vom 26.02.2023
Let's be wild / Be Wild Bd.1
Böhm, Nicole;Stehl, Anabelle

Let's be wild / Be Wild Bd.1


ausgezeichnet

Gar nicht wild, sondern schön gechillt

Dieser wunderbare Roman von Annabelle Stehl und Nicole Böhm lebt und atmet die großartige Atmosphäre des Big Apple! New York - das steht für ein Lebensgefühl, für Aufbruchstimmung. Es sind gleich vier Protagonist:innen, die wir begleiten dürfen. Dreh-und Angelpunkt ist die Influencer-Agentur Greenwood & Steele.

Ich mochte Shae, Tyler, Evie und Ariana auf Anhieb, vor allem aber die Dynamik, die sich zwischen ihnen sehr bald entwickelt. Jeder/m von ihnen liegt der Job in der Agentur sehr am Herzen, aber jede/r trägt auch ein schweres Päckchen mit sich, teils aus der Vergangenheit und teils sehr aktuell. Es macht Freude zu beobachten, wie die Vierergruppe zueinander findet. Deep talks und feiner Humor, Beziehungsdramen und leidenschaftliche Affären, und dies alles vor der Kulisse des niemals schlafenden New York. Mich hat die Handlung voll und ganz überzeugt, weil hier keine künstlichen Dramen geschaffen, sondern Probleme aus dem realen Leben angesprochen werden. Die Einblicke in die Agentur und die Welt der Influencer fand ich mega interessant. Vor allem mochte ich das dargestellte Bild dieser Influencer, die nicht für eine Scheinwelt mit Filter, sondern für Themen wie Body Positivity und mehr Realität in Social Media einstehen.

Es sind vor allem die Vibes der Metropole und die Dynamik innerhalb der Clique, die diese besondere Atmosphäre schaffen. Klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 22.02.2023
Julia und der Hai
Hargrave, Kiran Millwood

Julia und der Hai


ausgezeichnet

Symbolstarke Geschichte über Freundschaft, Familie und Mental Health

Julia zieht mit ihren Eltern für einen Sommer von Cornwall auf die entfernteste Insel der Shetlands. Ihr Vater soll dort einen abgelegenen Leuchtturm reparieren, während ihre Mutter, eine Meeresbiologin, sich auf die Forschungsjagd nach einem uralten Grönlandhai macht. Julia ist oft allein und versucht, Freundschaften im Dorf zu schließen.

Was als schöne Abenteuergeschichte um Familie und Freundschaft beginnt, gewinnt rasch an Tiefe und Symbolkraft. Das Buch schildert hervorragend die zunehmende Besessenheit der Mutter vom Grönlandhai. Da alles aus Julias kindlicher Sicht geschildert ist, spüren wir mit ihr intuitiv, dass es hier nicht nur um das biologische Interesse an dem Tier geht. Dieser geradezu zur Legende aufgebauschte Grönlandhai verfolgt Julia infolgedessen sogar schon in ihren Träumen.

Es ist ein wertvolles und authentisches Buch über "Mental health", geschrieben aus der Sicht des Kindes. Dazu strotzt die Erzählung nur so vor Symbolkraft. Kiran Millwood Hargrave trifft hier genau den richtigen Ton, um eine besondere Atmosphäre zu erzeugen. Die im Original so herausragende Kunst der Autorin, mit Sprache umzugehen, verliert auch in der deutschen Übersetzung von Alexandra Ernst nicht an Qualität. Letztendlich ist es vor allem das Zusammenspiel der Worte mit den Bildern ihres Ehemanns Tom de Freston, der dieses wunderbare Buch zu einem wahren Schatz werden lässt.

Dadurch entwickelt dieses Buch sogar noch viel mehr Strahlkraft als der in der Geschichte so symbolträchtige Leuchtturm.

Bewertung vom 19.02.2023
Männer sterben bei uns nicht
Reich, Annika

Männer sterben bei uns nicht


gut

Ein Stillleben in Worten

Zum Tod der Großmutter kommen sie alle zusammen. Alle Frauen. Da ist Luise, der Augenstern der Großmutter, und die Erbin des Anwesens am See. Luise, die sich an vieles scheinbar nicht zu erinnern vermag, die vieles nicht zu wissen scheint. Und all die anderen Frauen, die sich nicht in der Gunst der Großmutter hatten sonnen dürfen. Verstoßene Frauen, verachtete Frauen und sogar verschwunden gewesene Frauen. Nur keine Männer.

Das Cover des Romans von Annika Reich schmückt ein prächtiges Stillleben, und ebenso erschien mir beim Lesen auch der Inhalt der Erzählung: Wie eine Anordnung prachtvoller Komponenten mit geheimnisvoller Bedeutung. Staunend betrachte ich nicht nur die Sujets auf der Bildkomposition, sondern auch die Parade der Frauen und deren Begegnungen und Gespräche in der Textkomposition. Und wie ein Stillleben leblose Gegenstände zeigt, fühlt es sich beim Lesen stellenweise an, als würden mir leblose Seelen gezeigt. Vieles bleibt rätselhaft, so wie Luises Gedächtnis, das ihr vieles unterschlägt oder sie Dinge anders sehen und bewerten lässt. Der Einfluss der Großmutter wirft lange Schatten. Bereitwillig hatte Luise zu deren Lebzeiten die Deutungshoheit an diese abgegeben. Oft frage ich mich beim Lesen, wie ihr die wahren Zusammenhänge entgehen konnten – doch auch mir entziehen sie sich beim Lesen nur allzu gerne, so dass mir stellenweise nur die staunende Betrachtung der geschilderten Momentaufnahmen bleibt. Und hinter allem thront im Hintergrund unheilverkündend und symbolträchtig das Anwesen am See.

Wer es schafft, diesen Kurzroman wie ein bildhaftes Kunstwerk als Gesamteindruck in sich aufzunehmen, wird mit Eindrücken und Andeutungen gefüllt. Wer sich eine klare Deutung wünscht, wird von der Geschichte enttäuscht sein.

Bewertung vom 18.02.2023
Das Lachen der Pinguine
Meran, Arabella

Das Lachen der Pinguine


ausgezeichnet

Die wahre Stärke der Frauen

Als die junge Dänin Caroline den norwegischen Kapitän Klarius Mikkelsen heiratet und dafür ihre Arbeit als Buchhalterin aufgibt, träumt sie von einem Leben voller Abenteuer. Einiges kommt ganz anders nach ihrem Umzug nach Norwegen als sie es sich erhofft hatte, aber schließlich geht ein langgehegter Traum in Erfüllung, als sie ihren Mann auf einer Expedition begleiten darf. Als erste Frau überhaupt setzt sie einen Fuß in die Antarktis. Eindrücke für die Ewigkeit prägen sich bei ihr ein. Doch wie kommt es, dass von diesem Rekord 50 Jahre später niemand mehr weiß? Im Jahr 1995 begibt sich die Journalistin Jesse Brubaker auf Spurensuche.

Mit Caroline und Jesse begleitet der Roman auf zunächst zwei Zeitebenen zwei starke Frauenfiguren. Stark nicht im heldenhaften Sinne. Aber stark in ihren Wünschen und Vorstellungen für ihr Leben, im Streben nach dem ganz persönlichen Glück. Was dies für jede von ihnen bedeutet, lernen sie und wir im Verlauf der Erzählung.
Der Roman nimmt sich Zeit und Raum, um seine Sogwirkung langsam, aber unwiderstehlich zu entfalten. Vom beengten Leben im dänischen Küstenort zum schwierigen Neuanfang in Norwegen begleiten wir Caroline. Und wir reisen mit ihr vom Skagerrak zum Äquator und schließlich in die Antarktis, wo gewaltige Eindrücke warten: Da ist der Walfang in seiner ganzen ungeschönten Brutalität und Maßlosigkeit, und da ist das ewige Eis in seiner überwältigenden Schönheit und Ewigkeit.

Beim Lesen fühlte ich mich Caroline eng verbunden, dank der teilweise gewählten Briefform erhielt ich tiefen Einblick in ihr Inneres und wurde von ihren Gedanken und Träumen mitgetragen. Auch der Handlungsstrang um Jesse ist wahnsinnig interessant aufgebaut und spiegelt das Lebensgefühl der 1990er Jahre hervorragend wider. Als ehemalige redaktionelle Mitarbeiterin erkannte ich vieles wieder und konnte mich auch hier einfühlen. Überhaupt ist dies ein meisterhaft recherchiertes Werk, was maßgeblich zur Authentizität der Erzählung beiträgt.

Ein wunderbarer Roman, der auch nach den bewegenden letzten Seiten noch in mir nachhallte.