Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Lunamonique
Wohnort: 
Bremen

Bewertungen

Insgesamt 413 Bewertungen
Bewertung vom 28.07.2018
Guten Morgen, Genosse Elefant
Wilson, Christopher

Guten Morgen, Genosse Elefant


sehr gut

In „Guten Morgen, Genosse Elefant“ von Autor Christopher Wilson gerät der zwölfjährige Juri Romanowitsch Zipit in eine gefährliche Lage, die ihm jederzeit das Leben kosten könnte.

Juris Vater Zoo-Veterinär Professor Roman Romanowitsch Zipit soll im geheimen Auftrag des Ministeriums für Staatssicherheit einen Genossen behandeln. Generalsekretär Josef Petrowitsch findet Gefallen am Jungen mit dem freundlichen Gesicht und erklärt ihn zu seinem Lieblingstrottel. Jederzeit können die Launen des Mannes aus Stahl Juris Tod bedeuten.

„Papa sagt, mein Aussehen ist ein Betrüger, ein schamloser Lügner. Er sagt, dass ich – auch wenn ich in vieler Hinsicht ein gutes Kind bin, sehr freundlich – halb so gut bin, wie mein Gesicht es andeutet.“ Fremde Menschen vertrauen Juri persönliche, geheime und unnötige Sachen an. Autor Christopher Wilson hat sich eine besondere Hauptfigur ausgedacht. Durch einen Unfall ist Juri langsam und vergesslich, in Spielen wie Dame aber ein Ass. Mit seiner ehrlichen, direkten Art und allerlei neugierigen Fragen geht er ohne Hemmungen auf Menschen zu. Er wird unterschätzt, als Trottel hingestellt. Andererseits kann er nur mit einem Lächeln unbewusst Dinge aus Fremden herauskitzeln, die sie niemandem erzählen wollten. Die Geschichte wird in der Ich-Perspektive aus Sicht von Juri erzählt. Er spricht den Leser auch mal persönlich an. Mit seinem Vater Roman lebt Juri in einer Personalwohnung im Hauptstadtzoo. 1954 in der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken sind alle der Willkür der Staatssicherheit ausgeliefert. Mit dem Geheimauftrag für Roman beginnt die Ungewissheit. Bald ist Juri auf sich allein gestellt. Was mit seinem Vater passiert ist, bleibt Zeit offen. Der Fokus liegt über lange Strecken des Romans auf den Dialogen zwischen Generalsekretär Josef Petrowitsch und Juri. Die Mächtigen, ihre Ansichten, Ängste, Strategien und Verschwörungen werden auf die Schippe genommen. Wer ist der Schlimmste von allen? Es scheint keinen Ausweg für Juri zu geben. Er wird zum Spielball des Generalsekretärs und der Geschehnisse. Autor Christopher Wilson erzählt Juris Geschichte herrlich schräg und humorvoll. Der Machtwahnsinn funktioniert auch als Seitenhieb auf aktuelle Politiker. Originelle Details, wie die politischen Regeln beim Dame-Spiel, lockern die Satire auf. Ein bisschen langatmig wirken zeitweise die Gespräche. „Man weiß nie, was Menschen widerfährt – sie können verschwinden, sich verdoppeln oder ungeschehen gemacht werden.“ Eine wirklich unglaubliche Geschichte, die Juris bröckelnde Naivität in Szene setzt. Er durchschaut viel mehr, als Andere denken. Ende und Ausklang sind gut gelungen.

Mit wenigen Mitteln erregt das kreative Cover Aufmerksamkeit. Details und Titel ziehen die Blicke aufs Buch. Machtspiele, Intrigen, Verfolgungswahn, „Guten Morgen, Genosse Elefant“ nimmt mit schwarzem Humor Stalin und Konsorten aufs Korn. Die wenigen Längen des Romans verzeiht man gerne.

Bewertung vom 20.07.2018
Opfer
Lemaître, Pierre

Opfer


ausgezeichnet

Für seinen Roman „Au revoir là-haut“ („Wir sehen uns dort oben“) wurde Schriftsteller und Drehbuchautor Pierre Lemaitre 2013 mit dem bedeutendsten französischen Literaturpreis „Prix Goncourt“ ausgezeichnet. In „Opfer“ entscheiden Sekunden über Leben und Tod.

Anne Forestier ist zur falschen Zeit am falschen Ort. Die Katastrophe ist nicht mehr aufzuhalten. Mit unglaublicher Brutalität geht besonders einer der Täter vor. Für Lebensgefährte Kommissar Camille Verhoeven ist der Raubüberfall, bei dem Anne zum Opfer wurde, zur persönlichen Sache geworden. Denn Anne ist als Zeugin immer noch in Gefahr.

Statt in Kapitel ist der Roman in Tage eingeteilt. Stundenangaben kennzeichnen die Geschehnisse. Ungewöhnlich ist der Erzählstil, ein allwissender Beobachter mit Galgenhumor, der auch mal den Leser persönlich anspricht. Zu Anfang entsteht der Eindruck eines drohenden Amoklaufs. Tatsächlich handelt es sich um einen Raubüberfall, der aufgrund eines unvorhergesehenen Ereignisses eskaliert. Das Grauen für alle Beteiligten nimmt seinen Lauf. Besonders hervorgehoben wird die Brutalität eines Täters. Er ist besessen von dem Gedanken, Anne zu ermorden. Obwohl der Erzählstil zeitweise seltsam nüchtern erscheint, ist es die Sprache, die für Eindringlichkeit sorgt. Camilles Entsetzen, Verzweiflung und Wut nach dem Tatgeschehen wird greifbar. Bald wechselt die Perspektive vom Beobachter-Erzähler immer wieder zur Ich-Perspektive des Täters. Seine Intelligenz, Zielstrebigkeit und kaltblütige Planung ist beängstigend. Die Spannung bleibt auf einem hohen Niveau. Niemand weiß, dass Camille in den Fall persönlich involviert ist. Er kann also nicht jede Information weitergeben, was ihn mehr als einmal in einen Zwiespalt bringt. Kann er Anne im Alleingang retten? Sein Gegner scheint immer einen Schritt voraus zu sein. Nach und nach entpuppt sich der Thriller als undurchsichtiges Verwirrspiel. Was ist das Ziel der Jagd? Der Plot ist raffiniert gestrickt. Der Leser tappt lange Zeit im Dunkeln. Spekulationen laufen ins Leere. Durch die lauernde Gefahr sind bei allen Beteiligten die Nerven zum Zerreißen gespannt. Wer ist am Ende Gewinner, wer Verlierer? Nichts scheint sicher. Abgründe, Manöver und Strategien, ein Pageturner der Extraklasse, filmreif inszeniert.

Das Cover ist Understatement pur, passt aber zum Inhalt. Detail, Titel und Autorenname ziehen die Blicke aufs Buch. Wer einmal einen Thriller von Autor Pierre Lemaitre gelesen hat will mehr davon. Er spielt in einer eigenen Liga. „Opfer“ bietet originelle, spannungsgeladene und beste Thriller-Unterhaltung. Kaum noch zu toppen.

Bewertung vom 12.07.2018
Liebe zukünftige Lieblingsfrau
Pantelouris, Michalis

Liebe zukünftige Lieblingsfrau


gut

„Liebe zukünftige Lieblingsfrau“ von Autor Michalis Pantelouris ist das Hörbuch zur wöchentlichen Kolumne im SZ-Magazin, die sich als Überraschungserfolg entpuppte.

Trennung nach 10 Jahren Ehe. Zwei Töchter, die nur alle zwei Wochen bei ihm wohnen. Die Lebensveränderung, daraus resultierenden Herausforderungen und Suche nach der Frau fürs Leben verarbeitet Michalis Pantelouris in seiner Kolumne „Liebe zukünftige Lieblingsfrau.“

Autor Michalis Pantelouris erzählt seine Geschichte von Trennung, Neuanfang und Frauenbekanntschaften schonungslos ehrlich. Der Schlussstrich ist schwer zu akzeptieren, erinnert doch vieles an eine glückliche Familienzeit. Seine Töchter nennt er liebevoll Nr.1 und Nr.2, um sie zu schützen. Denn Michalis gibt viel Persönliches preis und eine Grenze muss sein. Als Hörbuch kommen seine Erlebnisse nicht ganz so unterhaltsam rüber. Auch der Humor ist rar gesät. Kater Willy Brandt mit seiner eigensinnigen Art stiehlt der Hauptfigur fast die Show. Trauer, Einsamkeit, Verzweiflung, der Fall ins Bodenlose muss aufgehalten werden. „Ich werde das überleben, und ich werde glücklich sein.“ Das Alltägliche und der Datingmarkt haben so manche Stolpersteine parat. Sympathisch machen den freiberuflichen Autor seine Unsicherheiten und Schreibschwierigkeiten. Der verdammte erste Satz für die Kolumne will ihm einfach nicht einfallen. Umso überraschter ist der über 40jährige „mächtige Herrscher von gar nichts“ von dem durchschlagenden Erfolg. Plötzlich hagelt es Heiratsanträge, dabei hat er schon mit drei Frauenbekanntschaften reichlich zu tun und muss herausfinden, wer denn nun seine zukünftige Lieblingsfrau ist. Der Helfersyndrom kommt nicht nur bei den Kolumnenleserinnen auf. Es gibt nicht viele Romantiker wie Michalis Pantelouris, die ihrer zukünftiger Traumfrau in Briefen so schön und verführerisch die zukünftige Zweisamkeit schildern können. Ein Mann, der sich Gedanken macht und zwar auch über die Wünsche der Frau an seiner Seite. Seine Stimme klingt warmherzig, passend zu Herzensangelegenheiten. Wie geht es am Ende aus? Nicht jede Frage wird beantwortet.

Auf dem Cover wirkt Michalis Pantelouris etwas verschämt. Er ist der öffentlichste Romantiker Hamburgs. „Liebe zukünftige Lieblingsfrau“ könnte Männer dazu anzustacheln, ihre romantische Seite zu zeigen. Frauen erliegen eher dem Charme des Autors. Das Hörbuch bietet kein mitreißendes, turbulentes Abenteuer, aber dafür einen offenen Einblick in die Männerwelt nach einer Trennung. Auch nicht zu verachten.

Bewertung vom 11.07.2018
Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren
Benjamin, Ali

Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren


ausgezeichnet

„Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren“ ist das Erfolgsdebüt von Autorin Ali Benjamin. Der Jugendroman wurde für den National Book Award nominiert und wird verfilmt. Ein Schicksalsschlag bringt Suzy an ihre Grenzen.

Suzys ehemalige beste Freundin Fanny ist ertrunken, obwohl sie eine sehr gute Schwimmerin war. Was kann ihr zum Verhängnis geworden sein? Suzy sucht nach einer Antwort. Bei ihren Recherchen stößt sie auf etwas, das alles erklären könnte.

Mit „Geisterherz“ ist ein berührender Einstieg in eine aufwühlende Geschichte gelungen. Die Qualle dient in diesem Roman als Metapher. Es geht um Verlust, Trauer, Abschied, um ein Herz, das aufhört zu schlagen. Suzy erzählt von ihrer Freundschaft mit Fanny und wie sich alles verändert hat. Die persönliche Ansprache an die Freundin und Ich-Perspektive lassen viel Nähe zur Hauptfigur zu. Suzys Gefühle werden greifbar. „In den ersten drei Wochen der siebten Klasse habe ich vor allem eines gelernt: Ein Mensch kann unsichtbar werden, indem er einfach schweigt.“ Nichtsprechen ist für das zwölfjährige Mädchen die Lösung, um mit etwas Unfassbaren fertig zu werden. Ein harter Kontrast zum Dauersprechen mit Fanny. Suzys Erinnerungen lassen glückliche Freundschaftszeiten wieder aufleben. Kurze Kapitel sorgen für einen guten Lesefluss und untermalen die Intensität der Geschichte. Suzy ist in der Schule eine Außenseiterin. Autorin Ali Benjamin erzählt auf bewegende Weise, wie die Kluft zwischen Suzy und Fanny immer größer wird. Einsamkeit, Verzweiflung, das Thema „Mobbing“ nimmt immer mehr Raum ein. Intelligent, neugierig, liebenswert, wissbegierig, es fällt leicht mit Suzy mitzufühlen und mit ihr die Welt nicht mehr zu verstehen. Suzy entwickelt einen Plan, wie sie alle zur Einsicht bringen kann. Andersartigkeit ist etwas Besonderes, nicht die einzige Botschaft dieser Geschichte. Der Lehrreiche wird nie so unterstrichen, dass es wie ein erhobener Zeigefinger daherkommt. Im Gegenteil, der Fokus liegt auf der Hauptfigur und ihren Erlebnissen. Suzy legt sich eine These zu Fannys Ertrinkungstod zurecht, die ihr Trost und Halt bietet. Mit einer Deadline steigt die Spannung. Alles scheint möglich. Das letzte Buchdrittel rührt zu Tränen. Suzys Abenteuer reißt mit. Warmherzig und eindringlich erzählt. Das Thema „Verlust“ und Suzys Gefühlswelt werden auf originelle Weise in Szene gesetzt.

Das kreativ gestaltete Cover stimmt auf eine phantasiereiche Hauptfigur ein. Der Titel erregt zusätzlich Aufmerksamkeit. „Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren“ ist für Teenager ab 12 Jahren gedacht und hilft jung und alt mit einem harten Schicksalsschlag umzugehen. Ein sehr empfehlenswerter Roman für alle, die realitätsnahe, bewegende und originelle Geschichten lieben.

Bewertung vom 04.07.2018
Wähle den Tod
Herrmann, Jutta Maria

Wähle den Tod


weniger gut

Nach „Hotline“, „Schuld“ und „Amnesia“ ist „Wähle den Tod“ der neueste Thriller von Autorin Jutta Maria Hermann. Jana wird von ihrer Vergangenheit eingeholt.

Jana Langenfeld lebt mit ihrem Ehemann Hannes, Tochter Kim, Sohn Max und Hund Bennie außerhalb Berlins. Als sie eines morgens im Garten eine schreckliche Entdeckung macht, kehrt die Angst zurück. Will ihr jemand drohen? Jana hat ihre Vergangenheit verheimlicht und kann sich niemandem anvertrauen.

Der Einstieg in die Geschichte mit „Davor“ hat Intensität. Fragen kommen auf. Das Undurchsichtige fesselt. „Dein Werk, denke ich, und völlig unpassend steigt ein Kichern in mir hoch. Jetzt hast du auch sie auf dem Gewissen.“ Leider ist von der gelungenen Inszenierung am Anfang, atmosphärisch starken Sprache, bald nichts mehr zu spüren. So mancher Dialog wirkt hölzern. Es fehlt dem Erzählstil an eigener Note. Jana verstrickt sich in Lügen und Ausflüchten, statt die Wahrheit zu sagen. Tochter Kim begibt sich in eine gefährliche Situation. Das Ausmaß an Naivität und Risikobereitschaft ist nicht nachvollziehbar. 14 Jährige sind heute taffer und durchschauen mehr. Jana hat nicht nur ein Geheimnis. Vieles wirkt zu abgedroschen. Die Charaktere bleiben zu blass. Ihnen fehlt es an Persönlichkeit, besonderen Merkmalen und Eigenheiten. Die kurzen Kapitel sorgen für einen guten Lesefluss. Die Bedrohung für Jana und ihre Familie steigt. Mancher Hinweis lässt Fragen aufkommen. Vieles ist zu vorhersehbar. Auch die Überraschungseffekte sind nicht mehr so gelungen inszeniert. Es wird zu viel erklärt. Wiederholungen bei emotionalen Beschreibungen bremsen die Geschichte aus. Hat der Plot noch anfangs überzeugt, fehlt es immer mehr an Raffinesse. Selbst die Auflösung erfüllt nicht die zu Beginn des Thrillers hochgeschnellten Erwartungen. Das Tempo nimmt im entscheidenden Moment zu stark ab. Langatmiges Reden statt Taten. Ein entscheidender Dialog wirkt viel zu unecht. Es wird sich zu sehr an Klischees bedient. Einige Handlungen sind nicht nachzuvollziehen. Auch der Schluss überzeugt nicht. Aus ein paar guten Ansätzen wurde nicht das Psychothriller-Potential herausgeholt.

Das Cover erregt mit wenigen Mitteln Aufmerksamkeit. Der Titel weckt die Neugierde. „Wähle den Tod“ kann nicht mit anderen Thrillern mithalten. Oft lässt sich erahnen, was als Nächstes passiert. Es hapert über lange Strecken an der notwendigen packenden Atmosphäre. Trotzdem sind Bruchstücke einer guten Basis erkennbar. Die eine oder andere Idee hätte zünden können, wenn die Umsetzung eindringlicher gewesen wäre und der Fokus auf fesselnde Szenen, Tempo, effektvolle Überraschungen und gegensätzliche und mitreißende Protagonisten wesentlich verstärkt worden wäre.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.07.2018
Als die Tage nach Zimt schmeckten
Bijan, Donia

Als die Tage nach Zimt schmeckten


ausgezeichnet

„Als die Tage nach Zimt schmeckten“ ist der Debütroman von Köchin und Autorin Donia Bijan. Zod wünscht sich nichts sehnlicher als seine Tochter wiederzusehen.

Nach 30 Jahren kehrt Noor zurück nach Teheran. Der 75jährige Zod hat seine Enkelin Lily noch nie kennengelernt. Die 15jährige ist entsetzt über die Reise und macht es der Familie mit ihrer Teenager-Sturheit nicht gerade leicht. Für sie ist Teheran ein fremdes Land, viel zu weit entfernt von Zuhause.

Der Prolog mit dem ungeduldig auf einen Brief von seiner Tochter wartenden Zod ist ein gelungener Einstieg in die warmherzige Geschichte. Zwei Welten treffen aufeinander, Amerika und Teheran. Autorin Donia Bijan lässt die Atmosphäre in Zods Heimat anhand von Gerüchen und Speisen aufleben. Zods Sehnsucht nach seiner Familie und seine tiefe Liebe zu Teheran, seinem Café Leila und den Menschen, die dort ein- und ausgehen, wird greifbar. Zod ist die eigentliche Hauptfigur. Sein Leben und sein Schicksal berühren. Mit dem Rückblick 1961 in Paris kommen Wahrheiten und Geheimnisse zu Tage. Eine schockierende Wende macht betroffen. Ungerechtigkeiten, Schrecken und Grausamkeiten, die dunklen Seiten von Zods Heimat sind schwer zu begreifen. Wie im Leben und Land verändert sich auch die Geschichte. Nichts scheint mehr vorhersehbar. Jeder Charakter könnte im nächsten Moment am Abgrund taumeln. Trotzdem schwappt die Liebe zum ursprünglichen Iran auf den Leser über. Das Café Leila wird zum Synonym für Heimat, Familie, Zusammenhalt, Schutz und Sicherheit. Ist es möglich, die zwei Welten Amerika und Iran miteinander zu verbinden? Welche Heimat zählt am Ende? Interessant ist die Entwicklung des Charakters Lily und ihre immer deutlicher werdende Persönlichkeit. Auch Unikat Naneh Goli entpuppt sich als zentrale Figur. Herzerwärmend ist Karim mit seiner hilfreichen Art und besonderen Sehnsucht. Jeder braucht den anderen auf seine Weise. Sprachbarrieren werden überwunden, Zuneigungen entstehen. Mehr und mehr entwickelt der Roman eine unglaubliche Intensität. Mitfiebern fällt leicht. Ungeahnte Gefahren lauern. Die Spannung steigt. Alles kann passieren. Gefühle bestimmen Entscheidungen. Das letzte Buchdrittel wird zur Achterbahnfahrt. Ein kluger Plot mit Überraschungen und einem gelungenen Ende.

Das Cover beeindruckt mit einer besonderen Atmosphäre, die durch Szene und Farben ausgelöst wird. Der Titel klingt nur im ersten Moment kitschig und gibt einen Hinweis auf die Geschichte. „Als die Tage nach Zimt schmeckten“ ist ein beeindruckendes Debüt, das seine eigentliche Kraft mit dem Aufenthalt in Teheran nach und nach entfaltet. Unvorhersehbar, fesselnd, erschütternd. Ein sehr empfehlenswertes Buch.

Bewertung vom 27.06.2018
Familie und andere Trostpreise
McDonagh, Martine

Familie und andere Trostpreise


gut

„Familie und andere Trostpreise“ ist der Debütroman von Autorin Martine McDonagh. Eine Reise in die Vergangenheit offenbart ungeahnte Wahrheiten.

„Außer der Tatsache, dass der Schlüssel zum Universum in meine Obhut überging, unterschied sich dieser Geburtstag nicht wirklich von einem normalen Geburtstag. Einundzwanzig ist ja einfach irgendeine Zahl, oder? Aber ziemlich bald lief der ganze Tag aus dem Ruder.“ Aufgrund der Ereignisse beschließt Sonny, nach England zu reisen und seine Mutter zu suchen.

Sonny hasst jede Veränderung, kann Knutsch-, Saug- und Essgeräusche nicht ausstehen und Briefumschläge machen ihm Angst. Sein Lieblingsfilm ist eine Zombiekomödie. Vertrauen hat er nur zu seinem Vormund Thomas. Die Reise aus seinem sicheren Universum wird für Sonny zur Herausforderung. Überall lauern Alltagsgeräusche, die ihn abstoßen und nicht immer ist eine Flucht möglich. Die Geschichte wird in der Ich-Perspektive aus Sicht der Hauptfigur erzählt. Die persönliche Ansprache an die Mutter berührt. Es ist zu spüren, dass sie ihm immer noch viel bedeutet, obwohl sie ihn schon vor Jahren verlassen hat. Jeder hat seine Geheimnisse. Auf seiner Reise begegnet Sonny den Menschen, die seinen Eltern nahestanden standen. Die Konfrontationen kosten Überwindung. Sonny ist nicht erpicht darauf, seiner Vergangenheit zu nahe zu kommen. Seine Gesprächspartner versuchen permanent, ohne es zu wissen, Grenzen zu überwinden. Die Gedankenkommentare der Hauptfigur setzen seine wahren Emotionen in Szene. Sonnys Eigenarten, seine Abscheu, unterschwellige Sehnsucht und Hoffnung tragen die Geschichte. Haben seine Eltern ihn völlig verkorkst? Im letzten Buchdrittel kommen Wahrheiten ans Licht, die schockieren. Das Leben seiner Familie ist schon früh aus dem Ruder gelaufen. Treibende Kraft war sein herrschsüchtiger, egoistischer und manipulativer Vater. Schwer nachzuvollziehen für Sonny, dass Menschen wie seine Mutter Sarah, Guru Bim vergöttert haben und ihm gefolgt sind. Das Skurrile und die Charaktere hätten der Geschichte einen besonderen Unterhaltungswert verleihen können. Tatsächlich schwingt eine ansteigende Schwere mit. Ein Junge wurde zum Spielball seiner Eltern. Liebe hat er nur außerhalb seiner Familie erfahren. Das Verhalten von Mutter Sarah und Vater Robin alias Guru Bim ihrem Sohn gegenüber ist verantwortungslos und unerträglich. Wird sich alles zum Guten wenden? Es geht um Narzissmus, Liebe, Schicksale, die miteinander verbunden sind, Schuld und Reue. Welche Konsequenzen wird Sonny aus seiner Reise ziehen? Was ist sein zukünftiger Weg? Es fällt einerseits schwer, zu der Hauptfigur Zugang zu entwickeln, andererseits kommt der Wunsch auf, dass Sonny an seinen Erfahrungen wächst und sein Lebensziel findet. Sonnys lehrreiche Erkenntnis am Ende ist das Highlight und rundet die Geschichte ab. Die letzten Zeilen fassen seine Emotionen und seine Einsicht perfekt zusammen.

Das Cover mit den unbeschwerten Kindheitsszenen schürt die Erwartungen auf eine unterhaltsame, humorvolle Geschichte. Kreativ ist die Gestaltung mit den Fotos. Der Titel deutet Schwierigkeiten in der Familie an, hat aber immer noch eine gewisse Leichtigkeit. „Familie und andere Trostpreise“ offenbart die dunklen Seiten der Charaktere und hat überraschende Wendungen parat, wirkt aber auch über lange Strecken etwas langatmig. Nicht der erhoffte Lesespaß, aber eindringlich und besonders. Am Interessantesten sind Sonny und Thomas. Der Roman hat auch eine Weisheit zum Thema „Leben“ parat.

Bewertung vom 22.06.2018
Fiona: Den Toten verpflichtet / Fiona Griffiths Bd.1
Bingham, Harry

Fiona: Den Toten verpflichtet / Fiona Griffiths Bd.1


sehr gut

„Fiona - Den Toten verpflichtet“ von Autor Harry Bingham bildet den Auftakt zur Krimireihe um die junge Polizistin Fiona Griffith aus Cardiff. Inzwischen sind Band 2 „Fiona – Das Leben und das Sterben“ und Band 3 „Fiona - Als ich tot war“ erschienen.

Gegen einen Ex-Polizist wird wegen Unterschlagung ermittelt. Millionär Brendan T. Rattigen ist nach einem Absturz mit einem Kleinflugzeug verschwunden. Der Mord an einer Prostituierten und ihrer sechsjährigen Tochter macht fassungslos. Fiona, eigentlich mit dem Papierkram im Betrugs-Fall beschäftigt, lässt der Doppelmord nicht mehr los. Warum mussten die beiden sterben?

Der Einstieg mit dem Bewerbungsgespräch gibt erste Hinweise auf Fionas Persönlichkeit. Sie ist eigensinnig und unberechenbar. Der Krimi wird in der Ich-Perspektive aus Sicht von Fiona erzählt. In Fahrt kommt die Geschichte mit dem Doppelmord. Rätselhafte Spuren und Fakten lassen Fragen aufkommen. Spekulationen werden in Gang gesetzt. Fiona will unbedingt an der „Operation Lohan“ beteiligt sein, ist ab eigentlich noch mit dem Betrugs-Papierkram beschäftigt. Sie hat alle Mühe, ihren Chef davon zu überzeugen, dass sie ein festes Ermittlungsteam-Mitglied werden sollte. Der Krimi wird durch die Hauptfigur getragen. Ihre Alleingänge steigern die Spannung. Ein Trauma aus der Vergangenheit hat Auswirkungen auf Fionas Handlungen. Was ist damals geschehen? Als Einzelkämpferin hat Fiona wenig Rückhalt. Die junge Ermittlerin sticht heraus, aber es gibt auch interessante Nebenfiguren wie Krav Maga-Lehrer Lev, Kollege David Brydon und DCI Dennis Jackson. Ist Fiona eine brillante Ermittlerin, Nervensäge oder beides? Die Dialoge zwischen Fiona und Jackson sorgen für Unterhaltung, weil klar ist, dass Fiona immer ihrer Intuition folgen und Regeln außer Kraft setzen wird. Langsam setzen sich die Puzzleteile zusammen. Einzig Fiona glaubt, dass diese Auflösung nicht alles sein kann. Die Erwartungen auf einen packenden Showdown steigen. Im letzten Buchdrittel nimmt das Tempo zu sehr ab und der Focus liegt auf Fionas Handicap. Die junge Polizistin geht zu hohe Risiken ein. Der Schluss mit den Szenen an einem besonderen Handlungsort ist gelungen. Ein Überraschungseffekt beim Ausklang macht neugierig auf die nächsten Bände.

Passend zum Inhalt steht auch die Hauptfigur auf dem Cover im Mittelpunkt. Farbzusammenspiel und Titel erregen Aufmerksamkeit. „Fiona – Den Toten verpflichtet“ punktet mit einer interessanten Hauptfigur. Ihr Geheimnis zieht sich durch die Krimireihe. Der Erzählstil ermöglicht viel Nähe zu Fiona. Von mutig bis makaber, die Ermittlerin ist für die ein oder andere Überraschung gut.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.06.2018
Stille Feinde / Isaiah Quintabe Bd.2
Ide, Joe

Stille Feinde / Isaiah Quintabe Bd.2


sehr gut

„Stille Feinde“ ist nach „IQ“ der zweite Band der Thriller-Reihe um Privatdetektiv Isaiah Quintabe von Autor Joe Ide. I.Q. hat gleich zwei kniffelige Fälle zu lösen.

Der Tod seines geliebten Bruders Marcus lässt Isaiah nicht mehr los. Es tauchen Spuren auf, die alles in einem anderen Licht erscheinen lassen. Marcus' damalige Freundin Sarita beauftragt Isaiah mit einem heiklen Fall. Ihre Halbschwester Janine und deren Freund Benny haben sich mit Spielschulden in eine gefährliche Lage manövriert.

Eine Entdeckung wühlt alte Wunden auf. Der Prolog stellt das Emotionale und Rätselhafte in den Vordergrund und zeigt Isaiahs Hartnäckigkeit. Er wird nicht eher ruhen, bis er den Tod seines Bruder aufgeklärt hat. Warum musste Marcus vor acht Jahren sterben? Die innige Beziehung der beiden Brüder berührt. Mit Saritas Auftrag steigt die Gefahr für Isaiah und seinen Freund Dodson. Auf Janine und Benny hat es nicht nur eine Gang abgesehen. Frauen im Thriller wie Sarita, Deronda und Cherise haben Persönlichkeit und Köpfchen. Sie sind alles Andere als blasse Nebenfiguren. IQ's Intelligenz, Kombinationsgabe, Mut und Entschlossenheit sind gefordert. Janine und Benny aus dem Schlamassel zu holen erweist sich als Höllenaufgabe. Streitigkeiten mit Dodson machen es nicht einfacher. IQ als einsamer Wolf, der sich langsam einer Einsicht nähert, überzeugt. Die Übermacht der Feinde, Kampfszenen und ausweglose Situationen, Pulp Fiction-Flair kommt mit der Unberechenbarkeit einiger Protagonisten auf. Das Rätsel um Marcus' Tod zieht sich wie ein roter Faden durch den Thriller. Lange bleibt das Motiv undurchsichtig. Explosive Stimmungen, hochkochende Gefühle, alles läuft mehr und mehr aus dem Ruder. Hass und Rache, auch Isaiahs gnadenlose Seite wird deutlich. Die Anzahl der Feinde steigt. Wer wird überleben, wer bleibt auf der Strecke? IQ ist immer wieder für Überraschungen gut. Das Himmelfahrtskommando steuert auf einen packenden Showdown zu. Gibt es einen Ausweg? Alles scheint verloren. Überraschende Wendungen zum Schluss, eine Portion Humor darf nicht fehlen. Im letzten Buchdrittel dreht die Geschichte noch einmal voll auf. Die Auflösung zum Tod des Bruders ist gut platziert. Auch ohne Cliffhanger weckt der Ausklang auf ganz eigene Art die Neugierde auf den nächsten Band.

Der Titel fasst den Inhalt treffend zusammen. Das Cover erregt mit seiner kreativen Gestaltung Aufmerksamkeit. „Stille Feinde“ erfüllt die Erwartungen. Ein filmreifer Thriller, der sich schnell zum Pageturner entwickelt. Etwas verwirrend sind manchmal die abrupten Handlungswechsel und der Einschub zum Prolog. Die Vielzahl an gelungenen, sehr unterschiedlichen Charakteren lässt die Story realitätsnah und lebendig wirken. Ein fesselnder Roadmovie.