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Magnolia
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Bayern

Bewertungen

Insgesamt 622 Bewertungen
Bewertung vom 04.09.2023
Vom Himmel die Sterne (eBook, ePUB)
Walls, Jeannette

Vom Himmel die Sterne (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Wundervoll erzählt

An Jeannette Walls komme ich seit ihrer Autobiographie „Schloss aus Glas“ nicht vorbei, auch ihre beiden nachfolgenden Bücher haben es mir angetan. „Vom Himmel die Sterne“ reiht sich hier nahtlos ein, das Lesen war wiederum ein Hochgenuss.

Sallie Kincaid ist die Protagonistin, die Heldin, ihr bewegtes Leben füllt diese Buchseiten aufs Spannendste. Für ihren Vater, den Duke, ist sie sein Frechdachs. Die beiden sind sich nahe und wie es den Anschein hat sind sich auch ziemlich ähnlich. Nach dem Tod ihrer Mutter heiratet der Duke wieder und als sein Sohn Eddie geboren wird, ist die kleine Sallie bald nicht mehr erwünscht, sie wird zu ihrer Tante Fay geschickt. An ihre Mutter kann sie sich nicht mehr gut erinnern, sie war erst fünf, als sie stirbt. Nach Jahren wird sie zurückbeordert, der Duke hat erneut geheiratet, seine junge Frau ist voller Tatendrang, es geschieht ein Unglück, der Duke ist tot. Seine Schwester sieht ihre Chance gekommen und führt von nun an das Haus mit starker Hand.

Jeannette Walls lässt Sallie ihre Geschichte erzählen. Sie entwickelt sich zu einer unerschrockenen jungen Frau, neue Herausforderungen nimmt sie an. Sie fährt wie der Teufel, trägt beim Fahren bald Männerkleidung, sie arbeitet wie jeder andere auch, auf gesellschaftliche Konventionen pfeift sie. Die Kidcaids haben seit jeher mit Selbstgebranntem gehandelt, die Prohibition kommt da sehr ungelegen. Sallie stößt trotz ihrer beherzten Art nicht nur einmal an ihre Grenzen. Was würde der Duke tun? Sallie erinnert sich an so manche Aussage von ihm und versucht, danach zu handeln. „Wenn du ein Problem nicht lösen kannst, mach es zum Problem deines Gegners.“ Wenn das nur immer so einfach wäre.

Die Autorin hat mich wiederum gefangen, ich bin schlichtweg begeistert. Ihre Sallie hat Witz und Charme, sie lässt sich nicht unterkriegen, trotzdem ihre Möglichkeiten dann und wann erschöpft sind. Sie ist unerschrocken und ehrlich, auch wenn dieser Charakterzug des Öfteren eine gehörige Portion Stehvermögen erfordert. Je mehr ich lese, desto mehr erfahre ich von der doch weit verzweigten, ziemlich verschachtelten Familie. Jeder von ihnen hat seinen eigenen Kopf, drängt gefühlt in eine andere Richtung.

Inspiriert wurde die Autorin, wie sie zum Schluss verrät, auch von realen Personen und Ereignissen, die sie in einigen Figuren und Szenen mit hat einfließen lassen wie etwa einer Frau, die als „Königin der Roanoke-Schmuggler“ bekannt war. Es gäbe noch so viel mehr Interessantes hierüber zu berichten, ich werde es aber sein lassen, selber lesen ist immer ein bereichernde Option, zumal ich dieses Buch sehr empfehlen kann.

Jeannette Walls überzeugt auf ganzer Linie, ihre Charaktere sind vortrefflich gezeichnet, exzellent in Szene gesetzt, ihr Schreibstil ist gut lesbar, aber das wusste ich schon von ihren vorherigen Büchern.

Bewertung vom 03.09.2023
Der Totengräber und der Mord in der Krypta / Inspektor Leopold von Herzfeldt Bd.3
Pötzsch, Oliver

Der Totengräber und der Mord in der Krypta / Inspektor Leopold von Herzfeldt Bd.3


ausgezeichnet

Historischer Krimi vom Feinsten

Oliver Pötzsch setzt mit diesem dritten Band die Totengräber-Serie fort - eine historische Krimireihe vom Feinsten. Schon die beiden Vorgängerbände habe ich regelrecht verschlungen, dieser „…Mord in der Krypta“ steht ihnen in nichts nach.

Wien anno 1895. Unten, in der Stephansgruft, ist es immer ein wenig unheimlich, so mancher Besucher vermutet hier einen Geist. Josef Waldleitner, seines Zeichens Mesner, führt eine Gruppe die steilen Steinstufen hinunter und nun geschieht alles gleichzeitig. Sie entdecken eine Leiche, die Kerzen gehen aus, eine Besucherin fällt direkt in Ohnmacht. Ein Fall für den Inspektor Leopold von Herzfeldt. Der Oberpolizeirat Moritz Stukart holt ihn direkt vor der Oper ab. Leos entspannter Abend ist perdu.

Wie sich bald herausstellt, ist das Opfer, ein bekannter Arzt, keines natürlichen Todes gestorben. Er wurde auf raffinierte Art und Weise vergiftet. Leos Ermittlungen führen ihn in spiritistische Kreise, der Tote hat sich in diesen Sitzungen nicht gerade beliebt gemacht, er arbeitete an einer Streitschrift gegen den Spiritismus - ein durchaus denkbares Mordmotiv. Zum besseren Verständnis nimmt Leo an einer Séance teil, die bei keiner geringeren als der Operndiva Maria Vanotti in deren Wohnung stattfindet. Auch Julia ist bei dieser Sitzung zugegen, sie ist Tatortfotografin bei der Polizei. Beide verbindet auch privat sehr viel, eine Verbandelung unter Kollegen ist nicht gestattet und so halten sie ihre Liebe gezwungenermaßen geheim.

Es bleibt nicht bei diesem einen Mordfall, noch so einige beißen ins Gras. Es geht um einen Geisterfotografen und um den Nachtkrapp, der sich die Kinder holen soll. Um Lügner und Betrüger geht es auch und da wäre noch der britische Schriftsteller Arthur Conan Doyle, der zum Leidwesen von Leos Mutter seinen Sherlock Holmes hat sterben lassen.

Auch hat Augustin Rothmayer, der Totengräber vom Wiener Zentralfriedhof, wiederum eine nicht zu unterschätzende Rolle. Am Rande des Friedhofs hat er sich eine Hütte gebaut und wenn er nicht gerade mit den Gräbern beschäftigt ist, schreibt er an seinem neuesten Werk „Spuk und Geistererscheinungen“. Auszüge daraus sind den Kapiteln vorangestellt. Der Erlös des Buches soll Anna zugute kommen, sie hat ihre Mutter verloren und lebt seitdem bei ihm. Von ihrem Freund Jossi erfährt Anna, dass im Waisenhaus Kinder verschwinden. Eigentlich bearbeitet Oberinspektor Paul Leinkirchner diese Fälle, er sieht eine nähere Untersuchung aber eher als Zeitverschwendung an. Leo sieht das ganz anders.

Oliver Pötzsch hat mir wiederum spannende Lesestunden geschenkt. Er ist ein Meister seines Fachs, sein Thema hier sind Gespenster und spiritistische Sitzungen, ein weit verbreitetes Phänomen dieser Zeit, auch ist Franz Joseph Gall und seine Schädellehre involviert. So einiges habe ich erfahren, was mich hat schaudern lassen. Trotz der zuweilen unheimlichen Stimmung schafft es der Autor, seine Geschichten ruhig, sehr glaubhaft und gut nachvollziehbar zu erzählen. Die Polizeiarbeit und die privaten Momente sind gefühlt eine Einheit, Fiktion und Historie ebenso. Es sind so einige Handlungsstränge, gespickt mit viel Informativem zur Thematik, alles geschickt miteinander vermengt. „Wem nutzt es?“ Ja, diese Frage stellt sich Leo und kommt am Ende zu einem zufriedenstellenden Ergebnis.

„Der Totengräber und der Mord in der Krypta“ haben mir den Schlaf geraubt. Mich nicht mehr losgelassen, mich gefesselt und gespannt weiterlesen lassen. Aufhören war keine Option, wenngleich ich eine kurze Schlafpause einlegen musste. Ich hoffe, dass ich noch so einiges mehr von dieser mitreißenden Totengräber-Serie lesen werde und freue mich schon, wenn es wieder heißt: Ein neuer Fall für Leopold von Herzfeldt.

Bewertung vom 01.09.2023
Die Liebe des Pilgers / Pilger Bd.3
Schier, Petra

Die Liebe des Pilgers / Pilger Bd.3


ausgezeichnet

Lesenswerter Abschluss der Pilger-Trilogie

Der finale dritte Teil der Pilger-Trilogie ist ausgelesen und nun heißt es Abschied nehmen. Gleich zu Anfang finde ich einen Stadtplan der Koblenzer Innenstadt von 1379 und dahinter das gut gegliederte Personenverzeichnis. Dieses ist gerade bei historischen Romanen mit umfangreichen Personen und verzweigten Familienstrukturen hilfreich. Bald musste ich nicht mehr vorblättern, die Vorgängerbände waren mir schnell wieder im Gedächtnis. Für Neueinsteiger ist dieser Einstieg ins Buch perfekt, man findet sich gut zurecht und im Fortgang der Geschichte wird Wissenswertes gut ins Geschehen eingebunden.

Der Handel mit edelsten Pelzen und kostbarem Geschmeide lässt sich gut an, Palmiro ist ein angesehener Geschäftsmann. Auch wenn es ihm schwer fällt, so lässt er seinen Herzensmenschen Benedikt gehen, dieser will in seine alte Heimat. Und hier erwartet ihn eine Nachricht aus der Vergangenheit, die sein ganzes Leben mit weitreichenden Folgen auf den Kopf stellt.

Auch für Erasmus von London läuft es anders als gedacht. Der ehemalige Inquisitor fällt in Ungnade und wird in sein Heimatkloster zurückgeschickt, zwei Aufpasser begleiten ihn. Nichtsdestotrotz ist Erasmus noch immer darauf erpicht, Palmiro der Ketzerei zu überführen.

„Intrigen, Machtkämpfe und große Gefühle.“ Um nichts anderes geht es, jedoch ist dies mehr als genug. Die Handlungsstränge um die weit verzweigten Familiengeflechte entwickelt die Autorin weiter, es werden Intrigen gesponnen, Machtkämpfe ausgefochten, die großen Gefühle lassen gefühlt lange auf sich warten. Auch wenn Oswald seine Vorrechte als Erstgeborener an seinen Bruder Conlin abgetreten hat, so ist er doch so unberechenbar und zornig wie eh und je. Wohin das wohl führen mag? Zweisamkeiten (nicht nur) zwischen Mann und Frau werden offen oder im Verborgenen gelebt. Das sehr informative Nachwort befasst sich mit dem Umgang der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft in jener Zeit und nicht nur hier merkt man die hervorragende Recherchearbeit. Ein verborgenes Muttermal gibt Anlass für Raserei, eine verloren geglaubte Tochter wird gefunden. Es passiert viel, die Charaktere werden facettenreich und gut nachvollziehbar dargeboten. Ich war stets mittendrin, habe mich allen mehr oder weniger verbunden gefühlt. Petra Schier trifft den richtigen Ton, sie bietet Einblick in eine längst vergangene Zeit und führt ihre komplexe Trilogie zu einem gut nachvollziehbaren Ende.

Schön, dass ich dabei sein durfte aber schade, dass es nun vorüber ist. Die Pilger-Trilogie ist auserzählt und doch hoffe ich, dass ich den einen oder anderen Charakter in ihren nachfolgenden Büchern wiederfinden werde.

Bewertung vom 01.09.2023
Die Freiheit so nah
Kästner, A. A.

Die Freiheit so nah


ausgezeichnet

Freundschaft und Verrat

„Die Freiheit so nah“ und doch ist sie so weit entfernt. Acht Freunde sind sie, seit Kindertagen unzertrennlich und nach wie vor eine eingeschworene Gemeinschaft - für jeden einzelnen würden sie ihre Hand ins Feuer legen. Während ihrer Jugendzeit hin zum Erwachsensein begleite ich sie ein Stück ihres Weges, es sind die 80er Jahre. Sie sind ganz normale Jugendliche mit ihren Träumen und ihren Sehnsüchten, jedoch ist ihre Heimat auf der falschen Seite der Grenze, sie sind in der Enge des DDR-Systems gefangen.

Kay ist einer davon, es ist seine Geschichte. Er erinnert sich und lässt uns auch einen Blick in sein Fotoalbum werfen, das Cover zeigt ein Bild aus jenen Tagen und auf den Klappeninnenseiten sind noch mehr von der Rostocker Clique zu finden. Sie hatten nicht viel, aber ein paar Tage am Warnemünder Strand konnten sie sich doch leisten. Im Zelt oder in der Hängematte waren sie glücklich, sie kannten ja nichts anderes. Die indische Reisegruppe nannten sie sich, sie waren übermütig, Alkohol auch für sie erschwinglich und wie alle jungen Leute mochten sie Musik. Rockige, westliche, verbotene Musik. Es waren einfache Dinge, die ihnen nicht erlaubt waren. Kay träumte davon, als Seemann um die Welt zu schippern und beinahe wäre sein Traum auch Wirklichkeit geworden. So einige Fahrten hat er schon machen dürfen, aber plötzlich hieß es: Abmustern. Warum? Er hat sich nichts zuschulden kommen lassen. Auch andere in der Clique hatten mit Repressalien von Staats wegen zu kämpfen, einige von ihnen wurden gar weggesperrt. Seit jeher schwärmten sie von der unendlichen Freiheit - tun und lassen können, wonach ihnen der Sinn stand. Schon allein solche Gespräche waren gefährlich, Spione gab es in diesem Unrechtssystem zuhauf. Aber wer hat ein Interesse an ein paar jungen Kerlen? Bald kam der Verdacht auf, dass nur ein Insider all diese eigentlich harmlosen Infos haben konnte. War es gar einer von ihnen?

Lange habe ich kein so intensiv empfundenes Buch mehr gelesen. Der Roman nach einer wahren Geschichte ist mir sehr nahe gegangen. Als Kind des Westens wusste ich zwar von den üblen Machenschaften des Staatsapparats, der seine Bürger drillt, sie zu Spitzeln macht. Sie hatten linienkonform zu sein, mussten liefern. Einmal drin im System, gab es kein Zurück mehr. Nicht nur einmal fragte ich mich, wie weit man sinken muss, um seine Freunde, seine Familie, seine nächste Umgebung zu verraten. Ich werd das wohl nie verstehen können.

A. A. Kästner war direkt an der Quelle, ihr Ehemann, auf dessen Leben dieser Roman basiert, war einer von ihnen. Sie hat seine wahre Geschichte in einer gut lesbaren Form kurzweilig und spannend wiedergegeben. Von der ersten Seite an war ich dabei, sie hat mich regelrecht ans Buch gefesselt. Und ich hab das gerne zugelassen. Zwischendurch nimmt sie mich immer mal wieder mit nach Rostock-Parkentin ins Jahr 2016. Dort trifft sich der Rest der indischen Reisegruppe, um einen von ihnen zu betrauern. Bis zuletzt rätsle ich, wer dies sein könnte. Auch weiß ich erst am Ende um den Verräter. Diese Person hat sich gut getarnt, auch ich konnte ihn die ganze Geschichte über nicht zuordnen.

„Die Freiheit so nah“ ist ein Buch, das viele Emotionen frei setzt. Ein Buch, das ich unbedingt weiterempfehle, es zu lesen lohnt sich.

Bewertung vom 30.08.2023
Marthas Geheimnis / Die Zuckerbaronin Bd.1 (eBook, ePUB)
Sahler, Martina; Wolz, Heiko

Marthas Geheimnis / Die Zuckerbaronin Bd.1 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Zucker vs. Saccharin

Der Zucker der armen Leute war Saccharin - dieser künstliche Süßstoff wurde eher durch Zufall entdeckt, wie ich jetzt weiß. Die mächtige Zuckerindustrie sah ihr Monopol in Gefahr und erreichte, dass der wesentlich billigere Ersatzstoff von oberster Stelle 1902 verboten wurde. Nun galt es, Saccharin von der Schweiz ins Land zu schmuggeln, denn die Schweiz war auch hier neutral und die Schmugglern erfinderisch, was den Transport anging.

Korbinian Schinders Fuhrunternehmen geht mehr schlecht als recht, also steigt er mit seiner Familie ins Schmugglergeschäft ein und ist bald der ungekrönte Schmugglerkönig vom Bayerischen Wald. Seine drei Töchter unterstützen ihn seit jeher, jede auf ihre Weise. Martha ist die ungestüme, sehr eigenwillige älteste Tochter, die mit ihrem Vater meist auf Schmuggeltour geht. Gwendolyn bleibt lieber daheim, sie übernimmt die Buchführung und die jüngste, Helene, passt auf die Hühner auf, zum Mitfahren ist sie noch zu klein.

Auf der anderen Seite sind der reiche Zuckerbaron Wallendorf und sein Sohn Alexander, der Martha beim Tanzen kennenlernt und bald bahnt sich zwischen den beiden eine stürmische Liebschaft an. Er darf nicht wissen, dass sie die Tochter des Schmugglerkönigs ist und lange bleibt dies auch ihr Geheimnis. Doch irgendwann kommt ihre wahre Identität ans Licht.

Das Buch ist in vier Abschnitte gegliedert, der erste führt zurück ins Jahr 1908 und erzählt Marthas Geschichte. Dann, dreißig Jahre zuvor, vom Juni 1878 bis August 1898 geht es vom Bayerischen Wald nach Baltimore. Hier lesen wir von der Entdeckung des Saccharin durch den deutschen Chemiker Constantin Fahlberg, der zu dieser Zeit als Gastwissenschaftler in den USA arbeitet. Hierzulande treffen wir auf den jungen Leopold Wallendorf, der seine Idee einer Zuckerfabrik in die Tat umsetzt. Er und Korbinian Schinder kennen sich, auch wenn sie eher in Feindschaft miteinander verbunden sind. Beide verfolgen ihre Ziele, verwirklichen ihre Träume, jeder auf seine Weise. Ein weiterer Abschnitt ist mit „Wachstum und Hoffnung“ überschrieben, ihre Kinder sind mittlerweile im heiratsfähigen Alter.

Der Auftakt der Drei-Schwestern-Saga hat es mir angetan, schon nach den ersten Seiten fasziniert mich „Marthas Geheimnis“. Viele Szenen beruhen auf wahren Begebenheiten, wie das Autoren-Duo im Nachwort verrät. Die einfallsreichen Schmuggler mit ihren Tricks sind mir sehr ans Herz gewachsen, auch wenn sie illegal unterwegs waren. Durch das europaweite Verbot – die Schweiz ausgenommen – kam es zu einem für die Schmuggler lukrativen Schleichhandel, die Zuckerbarone wollten dies logischerweise nicht hinnehmen. Auf unterhaltsame Weise habe ich viel darüber erfahren, alle Charaktere waren lebendig und glaubhaft dargestellt, die Beschreibung der Landschaft im Bayerischen Wald und im Donautal um Deggendorf bildgewaltig, der Einblick in die Familien mit all den einhergehenden Konflikten gut nachvollziehbar.

Es waren interessante Lesestunden, ich habe so einiges über die Welt des Süßstoffes und die Verbreitung dessen erfahren. Die Geschichte um die „Zuckerbaronin“ geht weiter, ich werde natürlich dabei sein.

Bewertung vom 28.08.2023
Wilde Jagd
Freund, René

Wilde Jagd


ausgezeichnet

Eine gar geheimnisvolle Jagd

Professor Quintus Erlach stellt sich vor, er lebt jetzt wieder in seinem ziemlich maroden Elternhaus. Frau und Tochter sind am gefühlt anderen Ende der Welt, er und Machtnix, der Mischlingshund, blicken zurück auf die letzten zwölf Tage. Es ist so einiges passiert hier in Stein am Gebirge.

Gleich mal drängt sich eine Gestalt ins Licht. Wie entrückt steht die da, auf einer Lichtung, einen Stoffhund in der Hand. Wie sich später herausstellt, ist es Evelina, die neue Pflegerin des alten Zillner.

Quintus mit Machtnix und Evelina laufen sich bald wieder über den Weg und sie erzählt ihm von Angelika, der verschwundenen Pflegerin von Herwig Zillner, der im Rollstuhl sitzt und eine Rundum-Pflege braucht. Bald taucht auch Herwigs Sohn Adrian mitsamt Frau und Kindern auf. Er ist im Immobiliensektor ziemlich erfolgreich, auch ist er an Quintus Haus interessiert und bietet ihm eine enorme Summe. Schon verlockend, dieses Angebot, denn das Dach ist undicht, die Scheune perdu – was also hält ihn noch in diesem Dorf? Es ist dann doch die Suche nach Angelika, denn Evelina lässt nicht locker.

Es sind so einige Gestalten, die nicht so recht durchschaubar sind - seien es der Polizist, der Förster oder die Fußpflegerin und noch so einige mehr. Und Evelina kommt ziemlich mystisch daher, sie redet von den Seelen der Toten und „sieht“ zwei Ermordete im Wald. Ihre hellseherischen Fähigkeiten fördern noch so einiges zutage, Quintus lässt sich auf dieses Geheimnisvolle mehr und mehr ein. Und so bilden sie bald ein Team, natürlich mit Machtnix an ihrer Seite, das auf Evelinas Visionen baut. Quintus ist eher der zwar schlaue, aber auch ein wenig naive Professor, der zudem versucht, seine privaten Probleme in den Griff zu bekommen.

Eine gar „Wilde Jagd“ der Gefühle ist nun hinter mir, ich habe den Roman sehr genossen. Schon allein Machtnix hat mich schmunzeln lassen. Wer, bitteschön, kommt auf die Idee, seinem Hund diesen doch ungewöhnlichen Namen zu geben. Auch wenn wir dieses „macht nix“ öfter ungedanks aussprechen. Und auch, wenn Evelina als gar mystische Person daherkommt, so ist sie doch von dieser Welt. Nicht nur beim Dorfleben in Stein am Gebirge hat René Freund genau hingeschaut, der Gesellschaft den Spiegel vorgehalten - wie nebenbei, ohne anklagend zu sein. Seine Charaktere sind perfekt gezeichnet. Sie leben unter uns, diese kauzigen oder überspannten, aber auch die ganz normalen, harmlosen Typen, sie alle sind direkt aus dem Leben gegriffen.

Die „Wilde Jagd“ ist vorbei. Es war eine aufreibende Suche nach einer verschwundenen Pflegerin, eine sehr gelungene, kriminalistische Erzählung mit Witz und Charme und spannend bis zum überraschenden Ende aus der Feder von René Freund, die ich ohne Wenn und Aber wärmstens empfehlen kann.

Bewertung vom 23.08.2023
Kalmann und der schlafende Berg (eBook, ePUB)
Schmidt, Joachim B.

Kalmann und der schlafende Berg (eBook, ePUB)


sehr gut

Neues von Kalmann

Es gibt Neues von Kalmann, dem selbsternannten Sheriff von Raufarhöfn. Im Herbst 2020 habe ich ihn kennengelernt, diesen liebenswerten jungen Mann, bei dem die Räder manchmal rückwärts laufen.

Der Autor verrät, dass er gar nicht vor hatte, eine Fortsetzung von Kalmanns Geschichte zu schreiben, aber wie es manchmal so zugeht im Leben, kam der Sturm aufs Kapitol im fernen Washington D.C. dazwischen. Die Bilder im Netz zeigen einen jungen Mann mittendrin im Gewühl, in seinem Rucksack steckt eine isländische Fahne - es könnte Kalmann gewesen sein. Und da der sowieso endlich seinen Vater in Amerika kennenlernen will, könnte es gar nicht besser passen. Es ist so einiges los da drüben, sogar das FBI verhört ihn. Dabei stellt sich heraus, dass sein Großvater nicht nur Haie verarbeitet hat, er steht als Spion auf der schwarzen Liste. Nun kann er aber aus dem System genommen werden, er ist ja tot. Jetzt endlich, nach 36 Jahren, ist er bei Großmutter, die – so schlussfolgert Kalmann auf seine kindlich-naive Art - bestimmt sauer ist, weil er so lange auf sich hat warten lassen.

„Kalmann und der schlafende Berg“ knüpft an das erste Buch „Kalmann“ an, man sollte es schon gelesen haben. Denn da lernt man ihn kennen - seine arglose Sichtweise, seine Einfältigkeit, seine etwas verschrobene Weltanschauung. Joachim B. Schmidt gelingt es, das Geschehen um dem Sturm aufs Kapitol mitsamt dem damaligen Präsidenten als Antriebsfeder in Kalmanns Unbedarftheit wiederzugeben.

„Er ist zwar geistig nicht so ganz auf der Höhe aber so einigen Mitmenschen haushoch überlegen in seiner Geradlinigkeit, seiner Aufrichtigkeit.“ Im ersten Buch war ich ihm gefühlt näher, er war der Held, er war präsent in seiner kleinen Welt. Hier spielt das Weltgeschehen zu sehr mit hinein, Kalmann hat für mich nicht immer in diese Rolle gepasst.

Viel hat unser Held erlebt, von seiner amerikanischen Familie hat er irgendwann genug, viel lieber ist er wieder daheim in seinem Raufarhöfn, da passt er auch sehr viel besser hin. Auch wenn er sich manchmal so viele Gedanken zugleich macht, dass es sich wie ein Feuerwerk anfühlt: „Wenn der Kopf explodiert und die Fischsuppe überläuft, ist das unangenehm.“ Aber so ist es nun mal, wenn man Sheriff ist. Korrektomundo.

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Bewertung vom 23.08.2023
Sekunden der Gnade (eBook, ePUB)
Lehane, Dennis

Sekunden der Gnade (eBook, ePUB)


sehr gut

Hoch explosiv

Dennis Lehane hat einen Roman voller Hass und Gewalt geschrieben. Der ewig schwelende Konflikt zwischen Schwarz und Weiß ist Thema, er geht zurück ins Jahr 1974, nach Boston. Die Verantwortlichen der Stadt wollen, dass die Rassentrennung zumindest in den Schulen aufgehoben wird. Bis dato gehen sie nach Hautfarbe getrennt in ihre jeweiligen Schulen, das soll sich nun ändern. Aber sie begehren auf, die Diskrepanz zwischen Schwarz und Weiß wird deutlich spürbar.

Als dann Jules, Mary Pat Fennessys 17jährige Tochter, nicht heimkommt, macht sich Mary Pat auf die Suche nach ihr. Bald kommt ein Vorfall ans Licht, bei dem ein schwarzer Junge solange von vier weißen Jugendlichen gehetzt wird, bis er in die Gleise fällt und dabei ums Leben kommt und Jules soll eine dieser vier Teenager gewesen sein. Mary Pat macht sich auf die Suche nach ihrer Tochter, sie ist auf sich alleine gestellt, auf Hilfe kann sie nicht hoffen.

Es ist ein gewaltiges Buch, eine gewalttätige Geschichte. Mary Pat hat schon ihren Sohn an die Drogen verloren. Kann sie es verkraften, wiederum ein Kind zu verlieren? Schon von Kindheit an musste sie sich verteidigen, sie hat gelernt, ihre Fäuste einzusetzen. Vordergründig geht es um die Schulkinder, die in gemischten Klassen unterrichtet werden sollen. Eigentlich geht es um Mary Pats Wut. Und diese verleiht ihr die Kraft, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu kämpfen, Jules zu suchen. Nicht zuletzt macht die Liebe zu ihrer Tochter sie stark und auch unerbittlich. Sie lässt nicht locker, will wissen, wie es sich zugetragen hat, wie der schwarze Junge zu Tode kam. Und sie findet es heraus. Ihr Verlust macht sie noch mutiger, als sie sowieso schon immer war. Ihren Schmerz und ihre unbändige Wut prügelt sie regelrecht aus ihnen allen heraus, bis sie reden, bis zur bitteren Wahrheit.

Es ist wahrlich nichts für Zartbesaitete, auch wenn zwischendurch sowas wie Verständnis, ja Menschlichkeit hervorblitzt. Aber auch nicht mehr. Mir wurde dieses Gewaltbereitete teilweise zu viel, die Hauptfigur lässt keine Gnade walten. Nicht mal „Small Mercies“ wie der Originaltitel heißt. Und doch ist es ein Buch, in dem so viel Wahrheit steckt. Erschreckend realistisch, denn bis heute hat sich nicht viel geändert.

Bewertung vom 23.08.2023
Paradise Garden (eBook, ePUB)
Fischer, Elena

Paradise Garden (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Die Suche nach dem Vater oder Billies Traum vom Meer

Die 14jährige Billie und ihre Mutter haben ein sehr inniges Verhältnis. Es ist zwar nicht viel Geld da, ihr Sofa ist vom Sperrmüll, die Wohnung eher zusammengewürfelt und doch sind sie glücklich, sie haben ja sich. Ein gemeinsamer Tag im Möbelhaus ist mehr wert als die schönste Reise, auch wenn das Muttersein für Marika manchmal verdammt anstrengend ist. Am Monatsanfang essen sie ab und zu einen üppigen Eisbecher, den Paradise Garden, am Monatsende sind es dann eher Spaghetti mit Tomatensoße. Eines Tages erscheint Billies ungarische Großmutter, für die sie ihr Zimmer räumen muss. Wäre es nicht schön, wenn sie ihre Großmutter verschwinden lassen könnte – einfach so, wie der Zauberer das Kaninchen wegzaubert? Und auch deshalb, weil das angespannte Verhältnis von Marika zu ihrer Mutter nur zu deutlich spürbar ist? Als dann bei einem Streit Marika unglücklich stürzt und kurz danach stirbt, steht für Billie fest, dass sie nicht hierbleiben kann, sie macht sich auf die Suche nach ihrem unbekannten Vater. „Am Tag, als meine Mutter starb, fiel ich auseinander.“

Billie und ihre Mutter waren mir sofort nahe, es ist eine ganz besondere Mutter-Tochter-Geschichte. Trotz zweier Jobs reicht das Geld nicht und doch sind sie zufrieden. Es sind ihre ganz besonderen Momente, die sie zelebrieren, die ihnen keiner nehmen kann. In der maroden Hochhaussiedlung haben sie Nachbarn in ähnlicher Situation und doch spürt man den Zusammenhalt. Jeder ist für den anderen da, keiner wird im Stich gelassen. Die Schulfreundin mitsamt ihrem reichen Elternhaus kann da nicht mithalten, wenngleich sie sich oberflächlich um Großherzigkeit bemühen, ist doch der Klassismus schmerzhaft spürbar.

Auf eher unkonventionelle Art ist Billie von ihrer Mutter auf das Leben vorbereitet worden, was ihr jetzt zugute kommt. Mutig geht sie ihrem Ziel entgegen, sie entwickelt sich weiter, erweitert ihre persönlichen Grenzen, überschreitet sie. Mit ihren vierzehn Jahren ist Billie weder Kind noch Erwachsener, sie ist irgendwo dazwischen.

Die behutsame Erzählweise und die zu Herzen gehende Geschichte macht das Buch zu einem ganz besonderen Buch. Jeder einzelne Charakter ist authentisch, die gesellschaftliche Diskrepanz wird auch ohne erhobenen Zeigefinger deutlich. Billies Schicksal hat mich nicht mehr losgelassen, es war für sie auch ein Trip hin zu sich selbst.

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Bewertung vom 15.08.2023
Der Frühling ist in den Bäumen (eBook, ePUB)
Revedin, Jana

Der Frühling ist in den Bäumen (eBook, ePUB)


sehr gut

Eine mutige Frau geht ihren Weg

Sie war jung, zu jung und mit ihren 24 Jahren zu naiv. Eine Kombination, die Fred Dietrich magisch anzog. Sie heiraten überstürzt. Der Herr Doktor der Atomphysik sieht es als selbstverständlich an, dass seine Frau ihm stets zu Willen ist. Immer und überall und unter allen Umständen. Er nimmt sich, was immer er will. Und wieder einmal wacht sie benommen auf, kann sich an nichts mehr erinnern und wieder einmal hat Fred sie in eine prekäre Situation gebracht. Genug ist genug, sie will sich scheiden lassen. Was in diesen Jahren gar nicht so einfach ist, die Schuldfrage wird meist zugunsten des Mannes geklärt, für eine Frau bedeutet eine Scheidung eine gesellschaftliche Ächtung.

Reninas großer Traum ist es, mit der „Lady“ die erste deutsche Frauenzeitschrift zu gründen. Über die vier Jahreszeiten will sie pro Jahr vier Hefte herausbringen, jedes davon sollte unter anderem ein tiefgehendes Lebensporträt enthalten wie etwa das von Konrad Adenauer. Auch politisch will sie sich positionieren. Literatur, Musik, Theater, Technik, Handwerk, Forschung und noch mehr zeitaktuelle Themen sollen aufgegriffen werden, ein fortschrittliches Konzept will sie als Chefredakteurin voranbringen, ihre allerersten sechs Worte des Leitartikels „Sie lieben Ja-Sagen? Ich auch nicht.“ klingen vielversprechend. Ihr Weg bis dahin ist jedoch ein sehr steiniger.

„Steh auf beiden Fußsohlen“ hatte ihre Urgroßmutter sie ermahnt. Ein sehr guter Ratschlag, den die junge Renina so gar nicht umsetzen kann und die Zeit – wir sind in den 1950er Jahren – ist auch nicht gerade auf Seiten der Frauen. Nach dem zweiten Weltkrieg herrscht sowas wie Aufbruchstimmung, die Rolle der Frau beschränkt sich eher auf Kinder und Küche, Karriere ist für den Mann vorgesehen.

Aus heutiger Sicht mutet vieles seltsam an, die Frauen mussten sich ihre Rechte erst erkämpfen. Schon die ersten Seiten zeigen dies nur zu deutlich auf. Es geht um Gewalt in jeglicher Hinsicht, daneben treffen wir viele namhafte Persönlichkeiten in diesen Jahren wie etwa den jungen Christian Dior. Für mich etwas zu kurz gekommen ist die Redaktionsarbeit rund um die „Lady“. Im Vordergrund steht das Zerwürfnis der Eheleute, das sich viel aus sexueller Gewalt und brutalen Übergriffen speist neben Reninas Liebe zu den Pferden, wobei sie nach ihrem Entschluss, Fred zu verlassen, immer mutiger wird und auch die Pferdestärken der Autos zu schätzen lernt. Ihre Familie weiß sie hinter sich, auch gute Freunde stärken sie, was ihrem Selbstbewusstsein zuträglich ist.

In „Der Frühling ist in den Bäumen“ schreibt Jana Revedin über ihre Mutter, über das Rollenverständnis der Frau in den 1950er Jahren. Es ist ein Auf und Ab der Gefühle, das sich vor der malerischen Kulisse des Bodensees zuweilen in etwas langatmigen Dialogen verliert, das jedoch den Zeitgeist dieser Jahre gut nachvollziehbar wiedergibt.