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YukBook
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München

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Insgesamt 289 Bewertungen
Bewertung vom 23.02.2019
Träume
Klein, Stefan

Träume


ausgezeichnet

„Letzte Nacht habe ich ja wieder was total Verrücktes geträumt!“ Nicht selten wundere ich mich morgens über meine überbordende Fantasie und versuche, die wirren nächtlichen Erlebnisse zu rekonstruieren. Oft frage ich mich, warum ausgerechnet Figur x oder y plötzlich in meinem Traum auftaucht, obwohl ich tagsüber keinen Gedanken an sie verschwendet habe. Oder ich versuche, wiederkehrende Motive zu deuten.

Aufschlussreiche Erklärungen fand ich nun in diesem Buch von Stefan Klein. Er erläutert zunächst, welchen großen Stellenwert Träume in der Antike hatten und wie es neugierigen und hartnäckigen Forschern gelungen ist, sie greifbar zu machen. Er weist auf erstaunliche Phänomene hin, zum Beispiel dass Blinde genauso in Bildern träumen wie Menschen mit Augenlicht; oder dass wir in Träumen die absurdesten Dinge kritiklos hinnehmen und Dinge mit uns geschehen lassen statt uns dagegen aufzulehnen.

Der Autor schreibt sehr anschaulich und unterhaltsam, ganz gleich ob er die verschiedenen Schlafphasen und Gehirnaktivitäten erklärt oder typische Traumarten beschreibt. In seinem Text schwingt eine Faszination mit, die ansteckend ist. Ich war zum Beispiel überrascht, wozu Schlafwandler fähig sind – dieser Abschnitt las sich fast wie ein Krimi. Der Wissenschaftsjournalist serviert nicht alle Erkenntnisse gleich auf dem Präsentierteller, sondern baut einen Spannungsbogen auf, vermittelt uns nach und nach die Fortschritte der Traumforschung und lockert den Text mit geschichtlichen Anekdoten oder eigenen Erlebnissen auf.

Anscheinend muss ich mir keine Gedanken machen, dass ich oft von bevorstehenden Abiturprüfungen oder wichtigen Terminen träume, die ich verpasse. Damit stehe ich nicht allein. Laut Klein gleichen wir aktuelle Eindrücke mit gespeicherten Erfahrungen ab, häufig auch aus der Kindheit, wo die Erlebnisse besonders intensiv waren. Wenn ich das nächste Mal wieder etwas Verrücktes träume, koste ich einfach diese „Triumphe der menschlichen Vorstellungskraft“ aus.

Bewertung vom 16.02.2019
Nein! Ich geh nicht zum Seniorenyoga! / Marie Sharp Bd.4
Ironside, Virginia

Nein! Ich geh nicht zum Seniorenyoga! / Marie Sharp Bd.4


ausgezeichnet

Der Roman beginnt mit einer Silvesterfeier im Haus der Hauptfigur Marie Sharp. Freunde und Familie sind versammelt, so dass man als Leser gleich einen guten Überblick über das bunte Ensemble bekommt. Das ist vor allem hilfreich, wenn man so wie ich die vorangegangenen Tagebücher von Marie noch nicht kennt.

Die 69-jährige lebt in London und ist geschieden, hat jedoch die Beziehung zu ihrem Ex wieder aufgewärmt. Die harmonische Eintracht wird jäh gestört, als der spirituell angehauchte Untermieter Robin bei ihr einzieht. Dieser räuchert die ganze Wohnung, um sie vor Einbrechern zu schützen, vergisst jedoch die Gartentür, was schwerwiegende Folgen hat.

Die Erlebnisse und Gedanken, die Marie in ihrem Tagebuch notiert, decken die ganze Bandbreite ab – von brüllend komisch über turbulent und verrückt bis hin zu schmerzvoll und tragisch. Ich war positiv überrascht, dass sich die Geschichten nicht nur um das Älterwerden und typische Generationskonflikte drehen. Wenn Marie dem Drängen ihres Enkels nachgibt und einen Apple Store aufsucht, um sich ein iPhone zuzulegen, wird der Kauf amüsant und zugleich realistisch geschildert. Sie lebt nach ihren Prinzipien, ist aber auch in der Lage, aus Rücksicht oder Empathie für ihre Mitmenschen nachzugeben.

Ein besonderes Highlight ist Maries zehntägige Reise mit ihren Freundinnen nach Indien. Es fällt ihr sichtlich schwer, sich vom Diener ihrer Gastgeber von vorne bis hinten bedienen zu lassen. Auch hier wird ihre Figur nuancenreich gezeichnet. Mal lässt sie ihren bissigen Humor aufblitzen, dann wieder überrascht sie durch eine empfindsame und warmherzige Seite. Im Laufe der Geschichte muss sie noch so manche Rückschläge erleiden und zeigt, wie verletzlich, aber auch stark sie ist. Ihre Lebensfreude ist ansteckend. Zum Schluss ist mir die Figur richtig ans Herz gewachsen.

Bewertung vom 13.02.2019
Die fünf magischen Momente des Lebens
Röhrig, Dorothee

Die fünf magischen Momente des Lebens


ausgezeichnet

Jeder hat sie sicher schon erlebt – die Schlüsselmomente, die das Leben in wenigen Sekunden in eine neue Richtung lenken, ausgelöst durch einen Satz, einen Gedanken oder Hinweis. Dorothee Röhrig nennt sie magische Momente und stellt ihre persönlichen fünf in diesem autobiografischen Sachbuch vor.

Zuvor erläutert sie, warum es sich lohnt, sich diese prägenden Augenblicke in Erinnerung zu rufen. Für sie sind es „Aussichtspunkte auf der Lebensstrecke“, die uns dabei unterstützen, unsere Lebensgeschichte zu verstehen. Mediziner, Hirnforscher, Psychologen und Philosophen kommen ebenfalls zu Wort, so dass wir das Thema in einem größeren Zusammenhang betrachten können.

Die Autorin spannt uns ganz schön auf die Folter, bis sie ihren eigenen ersten magischen Moment enthüllt. Auch mit den übrigen lässt sie sich Zeit und baut so einen Spannungsbogen auf. Sympathisch ist, wie behutsam und offen sie den Leser anspricht und – mal staunend, mal zweifelnd – aus ihrem Leben erzählt. Sie schafft eine so lebendige Atmosphäre, dass man ihre Gefühle und Stimmungen gut nachempfinden kann – zum Beispiel ihre Aufregung bei einem Interview mit Karl Lagerfeld. Sie lässt auch Freunde, Bekannte und Prominente ihre Wendepunkte schildern. Diese sehr persönlichen Erfahrungsberichte waren für mich eine besondere Bereicherung und ein schöner Ausgleich zu den Expertenmeinungen.

Da ich mich viel mit dem Thema Selbsterkenntnis beschäftige, waren mir die meisten Gedanken nicht ganz neu. Manchmal schien mir die Linie zwischen Schlüsselmomenten und ganz allgemeinen Glücksmomenten auch nicht ganz eindeutig. Trotzdem konnte ich wertvolle Anregungen mitnehmen, zum Beispiel im Alltag noch achtsamer und offener für diese magischen Momente zu sein, um die Fülle der Möglichkeiten im Leben voll auszuschöpfen.

Bewertung vom 04.02.2019
Die Sache mit Norma
Oksanen, Sofi

Die Sache mit Norma


gut

Der Titel lässt vermuten, dass sich der Roman um eine Frau namens Norma dreht. Eine tragende Rolle spielt aber vor allem ihre Haarpracht, die sie unter einem Turban versteckt. Die Autorin hat Normas Locken regelrecht Leben eingehaucht: Sie wachsen nicht nur extrem schnell, sondern können auch den Gemüts- und Gesundheitszustand anderer Menschen erkennen. Zugleich sind sie Objekt der Begierde und stacheln die Sensations- und Profitgier weltweit agierender Clans an.

Inwiefern das alles mit dem angeblichen Selbstmord ihrer Mutter Anita zusammenhängt, erfährt Norma erst, nachdem sie in deren Wohnung auf enthüllende Videoaufzeichnungen stößt. Allmählich kann sie den zwielichtigen Max Lambert, der sie während der Beerdigung ansprach und sich als guter Freund der Mutter ausgab, einordnen und begreift, in welche Machenschaften und Intrigen diese verwickelt war.

Der Roman ist eine Mischung aus Thriller, Familiendrama und Märchen und lässt sich in keine Schublade stecken. Und genau darin liegt für mich das Problem. Obwohl das Thema rund um den Haarkult, Haarverlängerungen, Schönheitsidealen und mafiösen Geschäften höchst spannend und brisant ist, konnte mich die Geschichte nicht richtig packen. Sie enthält zu viele Figuren, die nur oberflächlich charakterisiert werden, und zu viele Handlungsstränge, denen man nur schwer folgen kann. Auch der Erzählstil war mir zu distanziert und emotionslos. Die auf dem Klappentext angekündigte Dramatik und Magie hat sich für mich trotz vieler interessanter Ansätze leider nicht entfaltet.

Bewertung vom 07.01.2019
Die Fußspur Buddhas

Die Fußspur Buddhas


gut

Wollen, aber nicht können – dieser tragische Kontrast fällt mir ein, wenn ich mir den 77-jährigen Utsugi Tokusuke, Hauptfigur dieses Romans, vorstelle. Dabei ist 'wollen' nicht nur abstrakt, sondern durchaus körperlich zu verstehen. Objekt seiner Wolllust und seines Begehrens sind schöne Frauen im Allgemeinen und seine Schwiegertochter Satsuko im Speziellen, wie wir seinen Tagebucheinträgen entnehmen können. Ganz schön pervers, könnte man meinen, doch Satsuko zeigt sich keineswegs abgeneigt gegenüber seinen Annäherungsversuchen, ja stachelt ihn geradezu an. Sie scheint die Spielchen auszukosten und noch mehr die teuren Geschenke, die sie im Gegenzug erhält. Immer wieder wird der Gegensatz zwischen der Schönheit, Jugend und Weiblichkeit der ehemaligen Revue-Tänzerin und der Hässlichkeit des alten Mannes herausgestellt.

Während mich Utsugis detaillierte Krankengeschichte und Behandlungen ein wenig ermüdete, amüsierte mich seine Selbstironie. Seine erotischen Fantasien vermischen sich mit Minderwertigkeitsgefühlen angesichts seines körperlichen Verfalls und Zweifeln an seiner geistigen Verfassung. Das führt sogar soweit, dass er seine eigenen Atemgeräusche mit dem Zirpen einer Grille verwechselt – ein ganz typisches Beispiel für Tanizakis Humor.

Mit subtilen Andeutungen, Sinn für Ästhetik und viel Empathie für den Protagonisten taucht Jun’ichiro Tanizaki tief in die Psyche eines alternden Mannes ein, der schon ein Grabmal für sich in Kyoto aussucht, sich aber nur schwer von den schönen Dingen im Leben trennen kann.

Bewertung vom 18.12.2018
Flâneuse
Elkin, Lauren

Flâneuse


sehr gut

Flanieren und Schreiben gehen Hand in Hand. Das zeigt erneut ein aktuelles Buch aus der Feder von Lauren Elkin. Jedes Kapitel ist einer Stadt gewidmet, durch die die Autorin entweder selbst spaziert oder in der sie sich auf die Spuren von berühmten Schriftstellerinnen, Romanfiguren oder historischen Ereignissen begibt.

Für Virginia Woolf zum Beispiel waren die Straßen von London und die Gespräche von Passanten eine wahre Fundgrube für Geschichten. Nicht nur sie selbst, auch ihre Protagonistinnen lieben es, durch die Stadt zu schlendern, auch wenn dies damals gesellschaftlich verpönt war. George Sand stellte es ganz clever an: Sie schlüpfte einfach in Männerkleidung, um ungehindert Paris erkunden zu können. Flanieren ist in ihrer Autobiografie ein konstantes Thema.

So lesen sich viele Kapitel wie literarische Abhandlungen. Persönlicher wird Lauren Elkin, als sie von ihrem einmonatigen Aufenthalt in Venedig erzählt und eine Kunsthistorikerin als Romanfigur ins Leben ruft. Dass Flanieren nicht nur Freude bereitet, erlebt sie in Tokio, wo sie gezwungenermaßen ihrem Freund folgt. Die Großstadt ist so zerklüftet, dass sie sich nur schwer zu Fuß erkunden lässt.

Lauren Elkin schweift in ihrem Buch sehr weit aus, mäandert durch literarische, historische und politische Themen und beschreibt Schauplätze von Rebellionen und Demonstrationen. Mit Flanieren hat das für mich wenig zu tun. Ist man bereit, auch mal vom Weg abzukommen und sich in unbekannte Seitenstraßen treiben zu lassen, wird man bei der Lektüre auf manch interessante Entdeckungen stoßen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.12.2018
Das Lager in der Wüste
Uchida, Yoshiko

Das Lager in der Wüste


ausgezeichnet

Hätte ich dieses Buch nicht gelesen, hätte ich wohl nie etwas über das Schicksal der Issei und Nisei erfahren. Die Eltern der Autorin zählen zu den Issei – so bezeichnet man die erste Generation der Japaner, die in die Vereinigten Staaten auswanderten – und ließen sich in Kalifornien nieder.

Uchida beschreibt zunächst ihre Kindheit und schildert sehr offen ihren Zwiespalt als japanischstämmige Amerikanerin. Sie fühlt sich wie eine Amerikanerin und möchte als vollwertiges gesellschaftliches Mitglied akzeptiert werden, ist aber durch die Erziehung auch durch japanische Werte geprägt. In beiden Nationalitäten fühlt sie sich wegen der ausländerfeindlichen Haltung minderwertig und flüchtet sich in die Gesellschaft und studentischen Aktivitäten der Niseis, um möglichst wenig anzuecken.

Das arglose Leben hat mit dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor 1941 ein jähes Ende. Yoshiko Familie wird – wie weitere etwa 120.000 japanischstämmige Amerikanner/innen– als feindliche Ausländer eingestuft. Innerhalb weniger Tage müssen sie ihre Wohnung ausräumen und werden in ein Sammellager in Tanforan verfrachtet und in Pferdeboxen untergebracht.

Da die Autorin aus erster Hand berichtet, kommt es einem vor, als wäre man selbst vor Ort. Sie schildert die menschenunwürdigen Lebensbedingungen, die dürftigen Lebensmittel, mangelnden Waschplätze und die permanente Wehrlosigkeit. Ich hatte befürchtet, dass mich die Lektüre so schockiert und deprimiert, dass ich nicht mehr weiterlesen kann. Doch das Gegenteil war der Fall: Ich war sehr betroffen, aber auch voller Respekt, wie die Erzählerin es schafft, das Beste aus der Situation zu machen, das Lagerleben so sinnvoll wie möglich zu gestalten und sogar einige glückliche Momente zu genießen.

Man könnte meinen, dass sich die Lage kaum verschlimmern kann, doch genau das trifft ein, als die Internierten von Tanforan in ein anderes Lager in Utah überführt werden. Hier werden sie zusätzlich durch Sandstürme geplagt. Auch hier schreibt Yoshiko Uchida wieder so lebendig, dass ich förmlich die Sandkörner auf meiner Haut spüren konnte.

Die Autorin vermittelt durch ihren Bericht den nachfolgenden Generationen nicht nur eine sehr wichtige historische Begebenheit in der japanisch-amerikanischen Geschichte, sondern verdeutlicht auch, wieviel Menschlichkeit und Gemeinschaftsgeist in größter Not bewirken können.

Bewertung vom 09.12.2018
Alles fließt: Der Rhein
Heidenreich, Elke

Alles fließt: Der Rhein


ausgezeichnet

Eine Sache haben Elke Heidenreich und ich gemein: Wir sind beide am Rhein aufgewachsen. Was ihre Beobachtungen und Kenntnisse rund um den Fluss betrifft, ist sie mir jedoch weit voraus. Wie schön, dass sie uns in diesem Hörbuch an den vielfältigen Geschichten teilhaben lässt.

Ihre Entdeckungsreise mit dem Fotografen Tom Krausz per Schiff und mit Auto beginnt an den beiden Quellen im Kanton Graubünden und führt flussaufwärts über Liechtenstein, den Bodensee, Basel, Straßburg, Speyer, Wiesbaden und Koblenz bis zum Mündungsdelta an der Nordsee. Ihre Beobachtungen, Reflexionen und Hintergrundinformationen über die Städte und Regionen am Rhein und den Fluss selbst sind so abwechslungsreich wie die Landschaft, die an ihnen vorbeizieht.

Mal spannt sie einen geschichtlichen Bogen bis zu den Eroberungszügen der Römer und den Reformationskriegen; dann wieder stellt sie die Bedeutung des Rheins als riesigen Industriezweig und als Touristenattraktion heraus oder wirft einen kritischen Blick auf die Umweltproblematik. Die Tier- und Pflanzenwelt in den Rheinauen finden in ihren Geschichten ebenso Platz wie die vielfältige Architektur von Kirchen, Burgen, Schlössern und Fachwerkhäusern sowie dichterische Zitate.

Geschickt verwebt Elke Heidenreich historische, politische, wirtschaftliche und geografische Besonderheiten mit Mythen und Sagen, die sich um den Strom ranken. Dadurch, dass sich Elke Heidenreich von ihrem unmittelbaren Eindruck leiten lässt, sind die Geschichten für den Hörer sehr greifbar. Während der Reise kommt sie selbst ins Staunen, zum Beispiel über die zahlreichen Schleusen oder eine Straße in Straßburg voller Storchennester, und wir staunen mit. Sie erzählt auch von ihrer ganz persönlichen Beziehung zum Rhein und bringt uns mit ihrem gewohnten Witz und Ironie oft zum Lachen. In solchen Momenten dachte ich mir, wie gut, dass die Autorin selbst liest. Und wer die Bilder, die in unseren Köpfen entstehen, noch visuell unterstützen möchte, kann sich im schön gestalteten Booklet die Aufnahmen und vielseitigen Gesichter des Rheins in Ruhe zu Gemüte führen.

Bewertung vom 20.11.2018
Halbe Arbeit - ganzes Leben
Mengewein, Alexander

Halbe Arbeit - ganzes Leben


ausgezeichnet

Das Titelbild dieses Buches ist sehr treffend: Es zeigt die Silhouette eines Mannes, dessen eine Hälfte einen Anzug und einen Aktenkoffer, die andere Hälfte Shorts und einen Cocktail in der Hand trägt. Hier werden aber nicht etwa Arbeit und Urlaub gegenübergestellt, sondern eine ausgewogene Work-Life-Balance, die Axel Mengewein für erstrebenswert und durchaus realisierbar hält. Wie, das zeigt er in seinem Ratgeber und Plädoyer für mehr Teilzeitarbeit.

Zunächst nennt der Autor und Fernsehredakteur eine Reihe von Gründen, die in unserer heutigen Zeit für diesen Trend sprechen, sowohl aus Sicht des Arbeitnehmers als auch Arbeitgebers: zum Beispiel dass Teilzeitarbeiter laut Studien glücklicher und produktiver leben, dass unsere fortgeschrittene Technik flexible und standortunabhängige Tätigkeiten ermöglicht und dass sich immer mehr Nachwuchsführungskräfte für flexible Arbeitszeitmodelle interessieren. Damit möchte er besonders bei den Lesern, die schon länger damit liebäugeln, ihre Arbeitszeiten zu reduzieren, sich jedoch aus beruflichen, persönlichen oder finanziellen Gründen nicht trauen, Ängste und Bedenken ausräumen.

Doch wie kann man sich diesen Wunsch konkret erfüllen? Diese Frage beantwortet Mengewein umfassend, indem er zunächst verschiedenste Formen von Teilzeitarbeit – darunter die Brückenteilzeit, die ab 2019 eingeführt wird – und ihre Besonderheiten erläutert. Da er einige dieser Möglichkeiten selbst erprobt hat, kann er die Fakten durch interessante Erfahrungsberichte bereichern und nennt auch Beispiele aus seinem Bekanntenkreis und aus Großkonzernen. Bei aller persönlicher Begeisterung und Überzeugung weist er auch auf mögliche Nachteile und Gefahren hin, die es zu umschiffen gilt: zum Beispiel als Teilzeit-Trojaner ausgenutzt zu werden, in einen völlig unproduktiven Teilzeit-Müßiggang zu geraten oder die Schwierigkeit, in Teilzeit Karriere zu machen.

Ich habe das Buch in einem Rutsch durchgelesen, nicht nur, weil mich das Thema sehr interessiert, sondern weil es so unterhaltsam geschrieben ist. Axel Mengewein vermittelt verständlich und lebendig viel Wissenswertes über Teilzeitarbeit und ermutigt den Leser nicht nur dazu, so frei und selbstbestimmt wie möglich zu leben und zu arbeiten, sondern auch aktiv eine moderne Arbeitswelt mitzugestalten.

Bewertung vom 13.11.2018
Die Kunst zu lesen
Trigg, David

Die Kunst zu lesen


sehr gut

Menschen, die in Bücher vertieft sind, sieht man im Zeitalter von Smartphones und eBook-Readern immer seltener. Umso mehr Freude bereiten Bildbände wie dieser, die die Schönheit der Bücher und den Reiz des Lesens zelebrieren. Über 300 Werke aus verschiedensten Epochen und Stilrichtungen sind darin abgebildet und thematisch locker sortiert. Sie stammen von namhaften Malern wie Botticelli, Spitzweg, Cézanne, Magritte und Lichtenstein, aber auch von unbekannteren Künstlern.

Zunächst erinnerte mich das Buch an Bände wie "Frauen, die lesen, sind gefährlich" oder "Frauen und ihre Bücher". Doch das Themenspektrum ist hier weitaus größer. Dargestellt sind nicht nur Leser, sondern auch das Buch allein in vielfältigen Formen und Arrangements: als brennende Objekte, von der Decke oder von Ästen abgehängt, zu einem Turm aufgestapelt oder als durcheinander geworfener Haufen. Viele Gemälde und Installationen würde man gern einmal live sehen. Genauso interessant ist die Botschaft, die dahinter steckt und bei manchen Werken kurz erläutert wird.

Auch inhaltlich erfüllen Bücher ganz unterschiedliche Zwecke, wie der britische Kunstkritiker durch seine Auswahl verdeutlicht: Sie dienen der Bildung und Aufklärung, der Unterhaltung und Ablenkung vom Alltag, der Kontemplation oder erotischen Fantasien. Am Anfang kam ich mir vor wie in einer Galerie, in der ich ein Bild nach dem anderen mit einer gewissen Distanz wahrnahm, doch im Laufe der Lektüre tauchte ich immer tiefer ein in die einzelnen Bilderwelten, hörte förmlich die spielenden Kinder hinter der lesenden Frau am Strand oder fragte mich, welche Geschichte die Magd wohl derart in Bann zieht.

Der Bildband ist eine spannende Zeitreise quer durch verschiedene Kulturen und Schichten, die uns nicht nur die Bedeutung von Büchern durch die Epochen, sondern auch die Vergänglichkeit menschlichen Wissens vor Augen führt. Das einzige Manko ist die zu klein geratene Schrift, die das Lesevergnügen trübt. Eine etwas großzügigere Gestaltung hätte dem Buch gut getan.