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Frankfurt

Bewertungen

Insgesamt 643 Bewertungen
Bewertung vom 29.11.2022
Gastro Obscura
Wong, Cecily;Thuras, Dylan

Gastro Obscura


ausgezeichnet

Nackte Teepuppen, ein schwimmender Kuhstall und fruchtige Tinte!

Was haben nackte Teepuppen, ein schwimmender Kuhstall und fruchtige Tinte gemeinsam? Sie sind alle versammelt in einem neuen Buch mit vielem Kuriosen: ‚Gastro Obscura‘.
Für meine Back- und Kochbücher habe ich bereits ein eigenes Regal in der Küche um die guten Schätze immer griffbereit zu haben. Nun habe ich ein Buch entdeckt, dass sich so ohne weiteres in keine Schublade zwängen lässt, nicht nur, weil es ein massiv umfangreiches Werk ist, sondern weil der Inhalt zwar gut in die Küche passt, aber keine Rezepte enthalten sind!
‚Gastro Obscura‘ von Cecilia Wong und Dylan Thuras ist ein Atlas-Obscura-Buch. Denn die beiden hatten vor einigen Jahren mit großem Erfolg mit dem Atlas Oscura, in dem sie viele kuriose, weniger bekannte und bestaunbare Orte sammelten. Und nun haben sie dieses Konzept auf alles was mit Essen, Genuss, Verzehr und Essensbräuche zu tun, angewendet. Dieses Buch hält eine globale Fülle an Entdeckungen für den Gaumen bereit. Wahnsinn, was sich da alles findet!
Wir entdeckten bereits ein witziges Teil, dass wir in Vancouver, Canada am Strand bestaunen dürfen: den Geo duck!
Das Buch ist nach Kontinenten aufgebaut und selbst die Antarktis ist hier vertreten! Bei den größeren Kontinenten ist es dann auch noch mal regional aufgeteilt. Wer was Bestimmtes sucht, kann gut das Themenregister nutzen.
Wirklich ein großartiges Buch zum Stöbern und Entdecken. Was haben wir schon gemeinsam als Familie die Nase hier reingesteckt. Mal ein besonderes Coffee table book, dass wirklich JEDER in die Hand nimmt und gleich für Gesprächstoff sorgt.
Bilchreich und schön gestaltet, ist das Buch ein gelungenes Kompendium! Ihr werdet staunen, versprochen!

Bewertung vom 27.11.2022
Für euch
Sayram, Iris

Für euch


ausgezeichnet

Das Muttertier

Iris Sayram, eine doktortiteltragende Juristin, die als Journalistin erfolgreich ist, hat sich nun auch als Autorin bewiesen. Ihr Debütroman „Für euch“ arbeitet ihre Kindheit und Jugend auf. Ein Kuriosum, denn die Autorin sagt selbst, dass sie jahrelang, ach was, Jahrzehnte ihre Herkunft versucht hat zu verschweigen und unter den Teppich zu kehren. Vor allem, weil es ihr peinlich war, denn sie wuchs in bitterer Armut und in Mangel auf in den 80er & 90er Jahren im Friesenviertel in Köln. Ein Viertel in dem die Feierwütigen sich herumtrieben zwischen Discos und Puffs. Hier, genau hier, wird Iris Sayram groß mit einer Mutter, die Klos putzt und noch anderes macht um einfach an Geld zu gelangen. Machens an der Grenze zur Legalität. Der Vater, ein Spielsüchtiger mit türkischem Migrationshintergrund. Zwar hat die kleine Familie nicht viel materielles, aber sie lieben sich und wünschen sich eine bessere Zukunft für ihre Tochter.
Im Grunde ist der Roman eine Hommage an ihre aufopfernde Mutter Mimi, die ihre Kraft daraus zog sich für ihre Familie aufzuopfern: Für euch – wie der Titel lautet. Es zeigt wie man als Muttertier über sich hinauswachsen kann für das eigene Kind.
Iris Sayram schreibt hart und liebevoll zugleich, so zwiespältig ihre Kindheit und Jugend sicher oft war. Sie nimmt mit in einen Mikrokosmos, der vielleicht wenig Status und Bildung zu bieten hatte, aber ihr trotzdem eine gute liebevolle Lebensbasis gegeben hat. Jeder ist auf seine Weise zu dem geworden was er ist, geprägt durch seinen Lebensweg. Spannend zu erlesen wie die Autorin ihren eigenen Weg und die damit einhergehenden Emotionen über die Jahre hinweg nun von außen betrachten kann und realisiert was ihre Mutter geleistet hat.
Fazit: Mich hat der Roman beeindruckt, denn im Grunde fordert er uns alle auf mehr zu sehen hinter den gescheiterten Existenzen, die uns so oft begegnen und deren Geschichte wir nicht kennen.

Bewertung vom 26.11.2022
Das Zuhause
Coccia, Emanuele

Das Zuhause


weniger gut

Was bedeutet wohnen eigentlich?

Der italienische Philosoph Emanuele Coccia der an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris unterrichtet hat sich der Frage angenommen: Was ist ein Zuhause?
Sehr berechtigt nach solch einer langen Zeit in der wir alle sehr viel mehr Zeit in unseren vier Wänden verbracht haben. Da wurde ich neugierig was Emanuele Coccia dazu philosophiert.
Auf etwas mehr als 150 dicht bedruckte Seiten werden hier einige Theorie postuliert, anekdotenhaft über das Leben und Wohnen gesponnen. Es wird ein Blick in die Vergangenheit geworfen und was das Zuhause mit Land und Versorgung ausmachte um dann den Vergleich zur Gegenwart zu ziehen wo das Zuhause ein Rückzugsort von der Welt bedeutet wo es heimelig und stylisch sein sollte. Irgendwie nett zu lesen, aber zugleich auch nichtssagend. Ich hatte nach der Lektüre keinen großen Erkenntnisgewinne und fand es streckenweise auch anstrengend.

Bewertung vom 24.11.2022
Intimitäten
Kitamura, Katie

Intimitäten


ausgezeichnet

Interpretation der Sprache

Ein Hörgenuss! Ich lauschte dem Text nicht nur gerne, weil er unfassbar gut ist, sondern auch, weil Katja Danowski ihn fabelhaft gelesen hat! Sie modelliert den Text mit der Stimme und macht das ganze plastischer mit der Art und Weise wie sie es liest.
Im Roman geht um eine kosmopolitische Frau, die durch einen neuen Job am internationalen Gerichtshof als Dolmetscherin nach Den Haag kommt. Sie kennt die Welt, ist viel mit ihren Eltern gereist und oft umgezogen. Sie spricht mehrere Sprachen fließend -eine Weltbürgerin.
Der Roman erzählt aus Sicht der Protagonistin ihre Erlebnisse in Den Haag nach ihrer Ankunft und die folgenden Monate, ist aber zugleich auch so viel mehr. Wir lernen eine kluge und reflektiere Frau kennen, die ihren Einsätzen am Gerichtshof und ihre rTätigkeit als Dolmetscherin viel Raum gibt und deren Wichtigkeit reflektiert. Spannend fand ich besonders zu hören wie das Übersetzen auseinandergenommen wird und wie Übersetzungen in solchen Gerichtsverhandlungen einen Einfluss haben.
Neben diesem, aus meiner Sicht leitenden Erzählstrang, gibt es auch einen neuen Mann in ihrem Leben. Der allerdings in ungeordneten Verhältnissen auf sie trifft, da er in einer kaputten Ehe lebt und Kinder hat. Auch hier eher nüchtern erzählt, aber auf ehrliche reflektierte Art. Das Leben zweier Menschen mit Bodenhaftung wird uns präsentiert, die pragmatisch die Umstände und ihre Gegenseitige Zuneigung unter einen Hut bringen wollen.
Überhaupt schafft es Katie Kitamura in ihrer ruhigen Erzählart viel aus den Figuren herauszuholen ohne viel Handlung zu nutzen. Ein wirklich gelungener Text und hier in knapp 6 Stunden toll gelesen! Ich kann es sehr empfehlen!

Bewertung vom 24.11.2022
Neues Backen
Kratochvila, Laurel

Neues Backen


ausgezeichnet

Europäische Backtraditionen zwischen zwei Buchdeckeln

Aus meiner Sicht kann es gar nie genug Back- und Kochbücher geben, ob alte traditionelle Rezepte oder neue Kreationen. Es ist einfach toll neue Rezepte und Gaumenfreuden zu entdecken. Und hier kommen wir zu dem Buch mit dem schnörkellosen Titel „Neues Backen“ von Laurel Kratochvila. Eine Amerikanerin, die es in jungen Jahren nach Prag verschlug und dort in einer Kneipe arbeitete und mittlerweile in Berlin ist. Dort war der Plan mit ihrem Mann eine zweite Buchhandlung zu eröffnen, die leider nicht lief und sie begann zu Backen um den Laden auch als Café zu nutzen und so begann die Erfolgsgeschichte von ‚Fine Bagels‘! Aber den berühmten Bagels ist nur eine Seite gewidmet.
Laurel Kratochvila erzählt in diesem Buch die Geschichte von einem traditionellen Backhandwerk und portraitiert ihre momentanen Meister mit ihren Kreationen und Rezepten. Es ist spürbar wieviel Respekt sie dem Handwerk zollt und es feiert, dass wir Europäer diese Liebe zum Gebackenen zelebrieren und huldigen. Dafür braucht es eben manchmal den Blick von außen.
Wahrlich ist „Neues Backen“ eher ein Backbuch für Vielbäcker und Küchenliebhaber, die gerne ausprobieren und auch schon ein paar Grundlagen können! Sonst frustrieren die zum Teil doch recht umfangreichen Rezepte wie beispielsweise Croissants. Auch hier wieder die Verneigung vor der Komplexität des Backens. Aber keine Sorge, es enthält auch Alltagstaugliches wie gute Sauerteigbrote oder auch Brioche auf Sauerteigbasis. Es kommen Backwaren aus ganz Europa vor. Sei es aus Polen, Italien, Frankreich, Dänemark, Portugal und anderen europäischen Ländern. Vor allem enthält es auch viele Grundrezepte, die sich auch mit eigener Kreativität gut abwandeln lassen.
Aber jetzt auch ein paar Worte zum Layout: Sehr gelungen!!! Die Bilder rund um das Essen sehen so schmackhaft aus, da will man fast ins Buch beißen! Excuse my french, aber das ist food porn! Auch die Rezepte sind sehr übersichtlich gestaltet und meist auf einer Seite – ja, in recht kleiner Schrift. Die Rezeptseiten haben alle ein kleines Vorwort, wo die Autorin noch mal was zum Rezept loswerden will und das macht dieses Buch persönlich und äußerst nett. Zwischen der Fülle an Rezepten werden Bäckermeister:innen und ihre Läden portraitiert und man möchte sie alle aufsuchen!
Fazit: Ich blieb mit viel Appetit zurück und habe 2 Vorsätze getroffen: Jeden Monat eine Köstlichkeit aus diesem Buch ausprobieren und vor jedem Städtetrip schauen ob ich einer der Läden finden werde, die hier porträtiert werden!
PS: Ist auch auf Englisch zu haben!

Bewertung vom 16.11.2022
Die Tochter des Kommunisten
Durán, Aroa Moreno

Die Tochter des Kommunisten


ausgezeichnet

Gebrochene Identitäten

‚Die Tochter des Kommunisten‘, das ist Katja und auch die jüngere Schwester Martina. Geflohen vor dem Franco-Regime in Spanien nach Ostberlin in den 50er Jahren. Der kommunistische Vater integriert sich schnell und spricht nur noch Deutsch mit den Kindern, die Mutter Spanisch. Sie hat Sehnsucht nach der Heimat. Der Roman erzählt uns über 30 Jahre wie es Katja ergeht. Ihr wird zunächst ein Leben durch die Eltern übergestülpt, dem auch sie sich im Laufe der Zeit entzieht, da sie mit ihrer großen Liebe in den Westen flieht, Johannes. Auch sie ist nun im Exil und kann nachfühlen was bereits ihre Mutter in der Einsamkeit Ostberlins erfahren hat.
Der Debütroman der 1981 geborenen Spanierin Aroa Moreno Durán wurde in Spanien gefeiert und bekam den ‚Premio del Ojo Critico‘. Er ist auf den wenigen 172 Seiten eine gelungene Spanisch-Deutsch-Deutsche-Geschichte und das fabelhaft übersetzt von Marianne Gareis. Wirklich großartig ist die plastische kurzgehaltene Beschreibung des Erzählten, wie die Einsamkeit und Isolation auf Menschen wirkt und sie bricht. Das schmerzhafte Exil, bei aller Überzeugung tut einfach weh und kann hier von Eltern und Kindern in eigener Dynamik noch mal anders verstanden werden. Denn die Entfremdung durch den doppelten Bruch, erst von Spanien nach Ostberlin und dann wiederum mit Westdeutschland erlaubt einen Blick hinter die Entwurzelung durch ideologisches Getriebensein.
Wirklich äußerst lesenswert!

Bewertung vom 16.11.2022
Die letzte Tür vor der Nacht
Antunes, António Lobo

Die letzte Tür vor der Nacht


gut

Keine Leiche, kein Verbrechen

Es gibt zwar eine brutal ermordete Leiche, aber es handelt sich nicht um einen Krimi! Es verschwindet ein Geschäftsmann in Schwefelsäure und hat sich praktisch aufgelöst, aber das ist nicht der Fokus des Romans. Denn es ist klar wer die Mörder sind. Fünf Männer, die dubioser nicht sein könnten: ein zwielichter Rechtsanwalt und sein Bruder, ein sehr gewissenloser Kräuterhändler sowie zwei Geldeintreiber. Es ist ein fein ausgetüfteltes Psychogram dieser fünf Täter. Die anfängliche Gewalt dient António Lobo Antunes nur als Ausgangspunkt. Vor allem fußt dieser Leichenfund auf einer realen Begebenheit, die sich in der Nähe Portos zutrug.
Kein Roman, der sich nebenbei weglesen lies. Ich tat mich etwas schwer, vor allem wegen der Syntax. Oder besser, wegen der fehlenden Syntax. Wenig Satzenden, keine Anführungszeichen, nur Spiegelstriche, wenn gesprochen wird. Dann die doch sehr poetische offene mäandernde Sprache, die volle Aufmerksamkeit bedarf. Das machte mir den Lesefluss nicht sonderlich einfach.
Mich hat der Roman „Die letzte Tür vor der Nacht“ gereizt, weil der mittlerweile 80jährige António Lobo Antunes schon des Öfteren genannt wurde als Anwärter auf den Literaturnobelpreis! Der Portugiese hat schon viele Romane geschrieben und dies ist sage und schreibe der 29.! Spannend ist auch, dass er von Hause aus Psychiater ist und lange Zeit als Chefarzt in einer psychiatrischen Klinik arbeitete.
Und hier kommen wir zum großen Punkt der Überzeugung dieses Romans. Er ist ein Meister sich in die inneren psychischen Windungen anderer Menschen einzufüllen und zeichnet uns großartige nach in welchem Seelenzustand die Täter sind. Die abwechselnde Erzählperspektive lässt uns komplett eintauchen und wir ergründen sie alle.
Und da António Lobo Antunes in einem Interview mal sagte: „A good reader is hard to find“ (‚Ein guter Leser ist selten zu finden‘) überlasse ich es euch, ob ihr es wagen wollt!

Bewertung vom 10.11.2022
Verbrenn all meine Briefe
Schulman, Alex

Verbrenn all meine Briefe


ausgezeichnet

Wie kam der Schmerz in die Familie?

Alex Schulman ist einer DER schwedischen Autoren, die momentan große Aufmerksamkeit genießen. Im vergangenen Jahr erschien ins Deutsche übersetzt der Roman „Die Überlebenden“ und nun ist sein eigentliches Debüt übersetzt von Hanna Granz auch bei uns zu haben. Im Original ist diese autofiktionale Geschichte bereits 2018 erschienen und gibt uns einen intimen Einblick ins Schulmans Leben.
Drei Ebene hat der Roman und alle greifen ineinander und sind doch grundsätzlich verschieden. Sein Schreibstil entspannt wieder eine Sogwirkung in dem er sein eigenes psychologisches Familiendrama skizziert:
Analyse. Denn der erste Faden spielt in der Gegenwart und zeichnet ein von unvorhersehbarer Wut und vom Zorn gepackten Mann in Mitten seiner Familie. Alex Schulman schildert seine psychotherapeutischen Aufarbeitungen und macht sich auf die innere und äußere Spurensuche was ihn zu solch einem Verhalten leiten lässt. Schnell wird klar: Es liegt in der Familiengeschichte seiner Mutter begraben und er recherchiert.
Rekonstruktion. Strang Nummer 2 spielt im Jahr 1932, in dem seine Großmutter Karin (der auch das Buch gewidmet ist) ihrer großen Liebe Olof Lagercrantz begegnet, nur leider ist sie bereits verheiratet mit Sven Stolpe. Und dieses Drama entspinnt sich jahrzehntelang. Sven Stolpe macht seiner Frau das Leben zur Hölle und liefert sich einen erbitterten literarischen Kampf mit seinem Nebenbuhler. Olof und Karin lieben sich und doch kann es nicht sein und wird nie gelebt.
Erinnerung. Schulman taucht in seine eigene Kindheit ab und reflektiert wie er den narzisstischen, frauenverachtenden Mann, seinen Großvater, wahrgenommen hat. Mit Kinderaugen verfolgen wir die unheilvolle und kalte Stimmung im Hause der Großeltern.
Auch wenn hier viel vom Autor und all den bekannten schwedischen Literaten in seinem Umfeld enthalten ist, (Auch Karin war im Literaturbetrieb tätig als Übersetzerin ins Schwedische aus 4 Sprachen!) ist und bleibt es ein Roman, da ja doch viel unklar bleibt im Rückblick.
Schulman hat ein besonders ergreifenden Roman geschrieben, der mich noch lange nach der Lektüre beschäftigt hat. Er hat die Gabe in seinen Texten die Beklemmung einer ganzen Familie darzustellen und zeigt uns wie weit das Unglück dreier Personen noch sehr lange nachhallen kann in den kommenden Generationen. Wirklich ein Stück gute Literatur!

Bewertung vom 08.11.2022
Connemara
Mathieu, Nicolas

Connemara


ausgezeichnet

Das Gefühl einer ganzen Generation

Wie kommt ein ur-französischer Roman zu einem Titel einer irischen Landschaft, dem Connemara? Fast zu einfach, es gibt ein französisches Lied, dass den Franzosen vertraut ist, wie uns so mancher Schlager zum Karneval, es ist „Les lacs du Connemara“ von Michel Sardou. Und genau dieser Grundton soll dem Roman als Basis dienen. Denn es geht um die jetzt 40jährigen, die Generation, der Nicolas Mathieus selbst angehört.
Es geht um Hélène, knapp 40 Jahre alt, hat Karriere gemacht als Unternehmensberaterin in Paris und kommt nun nach einem Burnout mit ihren beiden Kindern zurück in die Provinz. Sie, die es im fernen und feinen Paris in eine Liga geschafft hast, wo wenige mithalten können, ist nun zurück. Sie trifft auf ihre Jungendliebe Christophe, der in der Heimat blieb, bodenständig und immer noch ein toller Kerl. Tja, und dann sind wir auch schon in jenem Klischee, dass schon so oft in der französischen Literatur durchgearbeitet wurde: Paris, das allmächtige Zentral, dass seine fleißigen Bienchen irgendwann wieder ausspuckt und in die Provinz zurückkehren lässt und eben doch wieder „Connemara“ hören und auf die Spitze wird es getrieben durch das Finden der alten Jungendliebe.
Aber keine Sorge, Nicolas Mathieu hat nicht ohne Grund den Prix Goncourt gewonnen. Es ist wahrlich ein altes Sujet, aber es ist wahnsinnig gut erzählt. Natürlich auch mit moderner Färbung, wenn dann von jungen dynamischen Start Up Menschen geschrieben wird. Wir tauchen ab in den Figuren und leben die Emotionen mit. Atmosphärisch und plastisch ist diese Geschichte erzählt. Nicolas Mathieu schreibt großartig und so fein, dass man auf runde Charaktere trifft, einfach gut. Auch die Gegensätze, die sich durch die Personen manifestieren, die Moderne im Vergleich zur Tradition oder eben auch die Provinz im Vergleich zur Metropole sind gut eingefangen. Besonders spannend ist der Klassenaufstieg thematisiert. Sicherlich verdienen Lena Müller und André Hansen auch einen Applaus für eine sehr gelungene Übersetzung!
Fazit: Folgt man dieser Frau in die Provinz ist es mit Haut und Haaren und man erlebt ein großartiges Portrait der gegenwärtigen Generation um die 40 ohne Kitsch und wirklich lesenswert gut.

Bewertung vom 05.11.2022
Globale Überdosis
Preger, Anne

Globale Überdosis


ausgezeichnet

Zu viel ist zu viel -unbedingt lesen!

Es stockt einem der Atem, wenn man dieses Sachbuch liest und ist konsterniert über diesen einen Stoff: Stickstoff! Einerseits ist das Leben ohne Stickstoff undenkbar, aber zu viel macht ein Gift daraus für uns und unsere Umwelt.
Früher war es mal eine Mangelware und musste kreativ wiedergewonnen werden, wie aus Vogelkot. Die Zeiten sind lange vorbei und das Buch erklärt uns wie es zu diesem extremen Verbrauch an Stickstoff und Einsatz als Düngemittel kam.
Vor allem erklärt dieses Sachbuch auch sehr gut wie der Stickstoff wo wirkt, also wenn z.B. Stickoxide in die Luft geblasen werden beim Autofahren mit dem Verbrennermotor und aus diesem Grund unsere niederländischen Nachbarn mittlerweile maximal 100 km/h auf der Autobahn fahren. Ein anderes Beispiel ist die Nitritbelastung des Grundwassers.
Erstaunliche Fakten werden einem serviert und wie der Stickstoff unsere Artenvielfalt kaputt macht, da genügsame Pflanzen keinen Raum mehr finden.
Positiv sind dann auch die praktischen Lösungen, die aufgezeigt werden und die politischen Anregungen, die es gibt. Wenn wir alle uns anstrengen Veränderungen herbeizuführen, dann können wir das Ruder rumreißen und die Welt gesunden lassen.
Geschrieben von Anne Preger, die von Hause aus Geoökologin ist, hat dieses Buch sehr fundiert recherchiert und dann angenehm leicht zu Papier gebracht. Sehr lesbar und vor allem: Das Wissen bleibt haften und bereichert das eigene Tun!
Fazit: Unbedingt lesen! Fahrt langsamer oder ÖPNV, iss weniger Fleisch! Auch hier auf allen Ebenen gewonnen!