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Havers
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Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 14.11.2021
Der kalte Glanz der Newa / Leningrad-Trilogie Bd.1
Creed, Ben

Der kalte Glanz der Newa / Leningrad-Trilogie Bd.1


sehr gut

„Der kalte Glanz der Newa“ ist der Auftakt einer geplanten Trilogie (der zweite Band ist im Original für 2022 angekündigt). Hinter dem Pseudonym Ben Creed verbirgt sich das britische Autorenduo Chris Rickaby und Barney Thompson, letzterer einstmals Student am Konservatorium St. Petersburg, mit Sicherheit für die stimmigen Beschreibungen hinsichtlich des musischen Aspekts verantwortlich. Aber dieser Thriller hat wesentlich mehr zu bieten. Neben einem fesselnden Plot zeichnet er sich vor allem durch dessen Verankerung in dem historischen Kontext aus, der ein Gefühl der nachprüfbaren Authentizität vermittelt. Dabei nie trocken und belehrend, dennoch aber informativ die besondere Atmosphäre dieser dunklen Epoche der russischen Geschichte transportierend.

Leningrad im Winter 1951. Noch sind die Wunden des Zweiten Weltkrieges nicht verheilt. Nicht nur die Temperaturen sind eisig, auch durch die Gesellschaft weht ein rauer Wind. Die stalinistischen Säuberungen haben Wunden geschlagen und Misstrauen gesät. Die Macht des Staates ist allgegenwärtig. Willkür greift um sich, jeder kann verhaftet werden, in einem Gulag enden. Ein falscher Schritt, ein unbedachtes Wort, das Leben ein Balanceakt auf dem Drahtseil.

Als auf einem Bahngleis fünf sorgfältig arrangierte Leichen gefunden werden, betraut man Revol Rossel mit dem Fall. Einst war er ein begabter Violinist, jetzt dient er nach einem brutalen Verhör mit der Geheimpolizei, in dessen Verlauf seine Finger verstümmelt wurden, bei der Miliz. Das aber nur dank seiner Verdienste während des Krieges und der Belagerung. Eine Entscheidung, die er auch wegen des spurlosen Verschwindens seiner Schwester getroffen hat, auf deren Rückkehr, ob lebendig oder tot, er noch immer hofft.

Die Leichen sind verstümmelt, alle Identifikationsmerkmale entfernt. Die Untersuchungen ergeben, dass sie brutal gefoltert wurden, bevor sie einen qualvollen Hungertod gestorben sind. Eine der Leichen trägt die Uniform der Geheimpolizei, weshalb Rossel fest damit rechnet, dass diese den Fall übernehmen wird. In der Zwischenzeit ermittelt er äußerst vorsichtig und muss zu seinem Entsetzen feststellen, dass er die Opfer kennt, stehen sie doch alle mit dem Musikkonservatorium, an dem auch er studiert hat, in Verbindung. Je tiefer er in den Fall einsteigt, desto gefährlicher wird es für ihn, denn die Spuren führen auch in den Kreml…

Bewertung vom 13.11.2021
Niemandsmeer
Adams, Hope

Niemandsmeer


sehr gut

Im 19. Jahrhundert ist es im Britischen Empire gängige Praxis, einen Teil der verurteilten Straftäter*innen ans Ende der Welt zu deportieren. Die Schwere des Vergehens ist dafür nicht ausschlaggebend, manchmal reicht dafür schon ein Bagatelldelikt. Möglichst weit weg ist die Devise. Was eignet sich dafür besser als Tasmanien, die zu Australien gehörende Insel 240 km südlich des Festlands, bis 1855 Van Diemen’s Land genannt. 73.000 Straftäter*innen werden dorthin deportiert, bevorzugtes Ziel ist dabei Port Arthur, zwischen 1830 und 1877 das größte Gefängnis des Empire außerhalb des Mutterlandes.

Der Hintergrund von Hope Adams‘ „Niemandsmeer“ ist historisch verbürgt, ebenso das Ergebnis der Handarbeit während des dreimonatigen Aufenthalts auf See, bekannt als der Rajah-Quilt, der noch heute in der National Gallery of Australia ausgestellt ist. Fiktiv hingegen sind die Ereignisse an Bord sowie die geschilderten tragischen Schicksale der Frauen, die in Rückblicken erzählt werden. Adams erzählt deren Geschichten unaufgeregt, aber sehr empathisch. Unterschiedliche Leben am Rand einer Gesellschaft, die kein Erbarmen kennt. Perspektivlose Leben, die sich im Kern gleichen, ausnahmslos geprägt von Erniedrigung und Armut. Ein historischer Roman, der ein Thema der britischen Historie aufgreift, das nicht in Vergessenheit geraten sollte.

Wir schreiben das Jahr 1841. Im April sticht ein Schiff von England aus mit Ziel Van Diemen’s Land in See, an Bord fast 200 Frauen (sowie einige wenige Kinder), allesamt wegen kleiner Vergehen verurteilt. Zusammengepfercht auf engstem Raum muss die lange Passage bewältigt werden. Mit an Bord ist die idealistische Kezia Hayter, die die Aufsicht über die Frauen hat. Ein von ihr initiiertes Projekt, das Nähen eines Quilts, soll deren Gemeinschaftsgefühl stärken. Doch dann wird eine ihrer Schutzbefohlenen erstochen, und es gilt, den Mörder/die Mörderin zu entlarven. Keine leichte Aufgabe für Kezia, den Kapitän und den Geistlichen, denn schließlich könnte es jeder/jede sein. Aber auch eine andere Passagierin fürchtet um ihr Leben, hat sie sich doch unter falscher Identität der Gruppe angeschlossen, um dem Galgen zu entgehen…

Bewertung vom 10.11.2021
Reichtum verpflichtet
Cayre, Hannelore

Reichtum verpflichtet


sehr gut

Die de Rignys sind eine einflussreiche bretonische Sippe, die im Lauf der Zeit mit durchaus fragwürdigen Mitteln ein beachtliches Vermögen angehäuft hat. Aber wie so oft profitieren nicht alle Familienmitglieder gleichermaßen davon. Die einen haben Geld, die anderen nicht. Die einen sind moralisch, die anderen skrupellos.

Mit Blanche hat es das Leben nicht gut gemeint. Seit einem Unfall gehbehindert, fristet sie ihr Berufsleben in einem anspruchslosen Job im Justizministerium, wo sie tagein, tagaus Unterlagen in der Gerichtsreprografie einscannt. Ist zwar nicht das, wofür sie promoviert hat, sichert aber zumindest den Lebensunterhalt und bietet ihr die Gelegenheit, brisante Informationen aus diesen Dokumenten an dubiose Gestalten zu verhökern und so ihr Gehalt aufzubessern. Als sie per Zufall herausfindet, dass sie mit den de Rignys verwandt ist, offenbar aber zu dem verarmten Zweig gehört, erwacht ihr Interesse und sie beginnt mit der Recherche, getrieben von dem Wunsch, an das Familienerbe zu kommen. Nicht für sich, nein, zumindest nicht alles. Sie möchte die Welt besser, gerechter machen, das Geld dafür investieren, begangenes Unrecht an Mensch und Natur auszumerzen. Aber dafür braucht sie einen Plan, muss in der Erbfolge nach oben rücken, und um das zu bewerkstelligen, darf sie nicht zimperlich sein…

„Reichtum verpflichtet“ bewegt sich auf zwei Zeitebenen, vergleicht die gegenwärtige Ungleichheit in der Gesellschaft mit der des Jahres 1870/71, und erzählt die Geschichte von Blanches Ahnen Auguste de Rigny, ein Anhänger der Pariser Commune, der ihr gar nicht so unähnlich ist. Beide Außenseiter, beide willens, zur Veränderung der jeweiligen Gesellschaft beizutragen, in der der Wert des Einzelnen an seinen monetären Mitteln gemessen wird.

Kapitalismus- und gesellschaftskritisch, provokant, hochpolitisch, aber auch bissig, ironisch und entlarvend. Ein Roman über unsere Gegenwart und unsere Vergangenheit.

Bewertung vom 05.11.2021
Meeressarg / Fabian Risk Bd.6
Ahnhem, Stefan

Meeressarg / Fabian Risk Bd.6


gut

Bösewichte haben in Krimis/Thrillern Hochkonjunktur, aber selten reizt ein Autor das Thema so aus wie Schwede Stefan Ahnhem. Sechs Bände gibt es mittlerweile, in denen das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Kim Sleizner, Fabian Risk und Dunja Hougard wesentlicher Bestandteil der Handlung ist. In „Meeressarg“, dem aktuellen und (hoffentlich) letzten Band der Reihe, überspannt Ahnhem allerdings den Bogen und überstrapaziert die Geduld seiner Leser*innen auf 504 Seiten über das erträgliche Maß hinaus.

Es gibt drei Eckpunkte der Handlung:

1) Eine männliche und eine weibliche Leiche werden samt Auto aus dem Hafenbecken geborgen. Die Identität des Mannes ist rasch geklärt, es ist der Leiter des dänischen Nachrichtendienstes, bei der Frau vermuten die ermittelnden Beamten, dass es sich um eine Prostituierte handelt.

2) Theodor, Fabian Risks Sohn, hat in der Untersuchungshaft Selbstmord begangen. Die Umstände sind mehr als dubios und lassen Risk an den offiziellen Darstellungen zweifeln, weshalb er seine eigene Ermittlung startet.

3) Die ehemalige Ermittlerin Dunja Hougard ist auf dem Kriegspfad, und der Gegner ist wie gewohnt ihr ehemaliger Chef Kim Sleizner. Sie möchte ihn entlarven, aus dem Spiel nehmen, sein schändliches Verhalten öffentlich machen und überwacht deshalb mit Hilfe zweier IT-Nerds jeden seiner Schritte.

Die Punkte 1 und 2 werden eher en passant abgehandelt, im Zentrum steht ganz klar das Duell zwischen Dunja und Sleizner. Letzterer gedeckt von einem mächtigen Netzwerk, dessen Mitglieder aus den obersten Etagen von Politik und Polizei dafür sorgen, dass er sein kriminelles Treiben ungehindert fortsetzen kann. Ein mächtiger Gegner, der Dunja und ihren Helfern alles abverlangt.

Gerade im Mittelteil, der sich überwiegend auf die Überwachung konzentriert, an der wir in aller Ausführlichkeit teilhaben müssen, zieht sich die Story extrem in die Länge. Spannung Fehlanzeige, man wünscht sich im Gegenteil sehnlichst das Ende herbei. Und der Showdown am Schluss…geschenkt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.11.2021
State of Terror
Rodham Clinton, Hillary;Penny, Louise

State of Terror


gut

Hillary Rodham Clinton, von 2009 bis 2013 im Kabinett Obama Außenministerin, danach Rückkehr ins Privatleben. 2015 gibt sie ihre Kandidatur bekannt, unterliegt aber bei der Präsidentschaftswahl 2016 ihrem republikanischen Widersacher Donald Trump. Daraufhin folgt der Rückzug aus der Politik.

Louise Penny. Eine kanadische Journalistin und Autorin, die durch ihre Three Pines-Kriminalromane mit Inspektor Gamache bekannt ist. Eine Reihe, die auch von Frau Clinton gerne gelesen wird.

Die beiden Frauen sind miteinander befreundet, und aus dieser Freundschaft entwickelt sich die Idee, gemeinsam einen Spannungsroman zu schreiben, der mittlerweile unter dem Titel „State of Terror“ @harpercollinsde veröffentlicht wurde.

Zum Inhalt: Nachdem die Demokraten wieder das Ruder im Weißen Haus übernommen haben, muss sich Außenministerin Ellen Adams kurz nach Amtsantritt einer Herausforderung stellen, die ihr alles abverlangt: London, Paris, Frankfurt, drei Bombenanschläge, und die Vereinigten Staaten könnten das nächste Ziel sein, was es unbedingt zu verhindern gilt. Wer steckt hinter den Anschlägen? Was ist seine Motivation? Und gibt es vielleicht sogar Verbindungen ins Weiße Haus? Schnelles Eingreifen ist gefragt.

Prinzipiell ein Szenario, das nicht so weit hergeholt erscheint, aber der Umgang mit dieser Krisensituation scheint mir doch mehr als unglaubwürdig. Der Präsident sitzt mit seinen Beratern gemütlich im Oval Office, während die Außenministerin mit Freundin, Tochter und einer Mitarbeiterin hektisch in der Welt umherfliegt, Gespräche mit Freund und Feind führt, um das Schlimmste zu verhindern. Absolut nicht realistisch.

Amüsant sind allerdings die Seitenhiebe auf Eric Dunn, den Amtsvorgänger des Präsidenten. Hier hat sich Frau Clinton wohl jede Menge Frust von der Seele geschrieben, aber immer darauf bedacht, keine Angriffsfläche für juristische Auseinandersetzungen zu bieten. Aber auch die Ähnlichkeiten Politikern in Regierungsverantwortung sind offensichtlich, wobei mir das unter dem Strich dann doch etwas zu viel Putin Bashing war. Kritische Distanz sucht man allerdings vergebens, wenn es um die aktuelle amerikanische Außenpolitik, insbesondere den Truppenabzug aus Afghanistan und seine Folgen geht. Enttäuschend.

Keine Frage, die Story ist spannend, auch wenn man den Ausgang erahnen kann. Geboten wird jede Menge Tempo, unterstützt durch die kurzen Abschnitte aus unterschiedlichen Perspektiven sowie unzähligen Dialogen. Was dabei aber komplett auf der Strecke bleibt, sind die Personen. Deren Charakterisierung erschöpft sich leider weitestgehend in den Vergleichen mit Figuren aus amerikanischen TV-Serien. Und wenn wir schon einmal beim Thema sind, mich hat dieser Thriller schon nach den ersten Seiten an die Netflix-Serie „Designated Survivor“ erinnert. Vielleicht stehen ja die Produzenten bei dem Autorenduo Clinton/Penny auch schon Schlange…

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.11.2021
Say Cheese!

Say Cheese!


sehr gut

„Say Cheese“ ist der ideale Ideengeber für all diejenigen, die eine Vorliebe für dieses herzhafte und vielfältige Nahrungsmittel jenseits des langweiligen Käsebrots haben.

In 65 Rezepten nehmen uns die britischen Autoren mit auf eine Reise um die Welt, servieren altbekannten Klassiker wie Käsefondue, Raclette oder Pizza Quattro Formaggi servieren, aber auch leckere internationale Rezepte, die mit Sicherheit ihren Platz auf dem Teller finden werden.

Los geht es mit einer detaillierten Einleitung zum Thema „Geschmolzener Käse“, in der die Frage beantwortet wird, zu welchen Sorten man wann greifen sollte. Es folgt das mit „Brot“ überschriebene Kapitel, in dem wir sowohl den simplen Drei-Käse-Toast als auch das raffinierte Philly Cheesesteak Sandwich finden, absolut für ein schnelles Essen geeignet. Der Abschnitt schließt mit einer amerikanischen Fleischbällchen-Pizza.

Die nachfolgenden Nudelrezepte sind typisches Soulfood auf Pasta-Basis, aufgepeppt mit diversen zusätzlichen Zutaten wie Gemüse, Fleisch oder Fisch. Hier halten sich aber glücklicherweise die üblichen al forno Zubereitungen mit Tomatensoße und Ragù im Rahmen.

Das Gemüsekapitel bietet wenig Überraschung. Mit Ausnahme des Englischen Brotpuddings, der griechischen Zucchinibratlinge und der Tartiflette aus Savoyen sind es im Wesentlichen die bekannten Gemüsesorten, die mit Käse gratiniert werden.

Den Abschluss bilden die Ofenkäse, Suppen und Fondues, alles einfach und ohne großen Aufwand zu realisieren.

Die Rezepte sind durch die Bank weg relativ einfach gehalten und somit auch für Anfänger absolut geeignet, die dazugehörigen Fotos vermitteln einen guten Eindruck des zu erwartenden Resultats. Die Zubereitung ist so klar und im Detail beschrieben, dass auch hier keine Fallstricke lauern. Aber die Zutatenliste verrät ganz klar die britische Herkunft des Kochbuchs. Mit den Gewürzen habe ich kein Problem, auch nicht mit den italienischen bzw. französischen Käsesorten, die kann ich in den jeweiligen Feinkostläden besorgen. Aber wo, bitteschön, bekommt man Monterey Jack oder Lincolnshire Poacher her? Hier hätte ich mir eine alternative Empfehlung gewünscht.

Mit kleinen Abstrichen alles in allem ein alltagstaugliches Kochbuch für Kochanfänger und Käseliebhaber.

Bewertung vom 02.11.2021
Der Nachtwächter
Erdrich, Louise

Der Nachtwächter


ausgezeichnet

Louise Erdrich, Autorin mit Chippewa-Wurzeln, 2021 mit dem Pulitzer 2021 für diesen Roman ausgezeichnet, zeigt in „Der Nachtwächter“ das dunkle Kapitel der „Termination Bill“ auf, die ihren Anfang zu Beginn der fünfziger Jahre hat. Verträge, die seit langem Bestand haben, werden gebrochen mit dem Ziel, die Stämme zu zerschlagen, die Ureinwohner von ihrem Land zu vertreiben und in Städte umzusiedeln. Schlussendlich Landraub mit legitimen Mitteln. Druck wird im Wesentlichen über die finanzielle Schiene aufgebaut. Den Stämmen wird der autonome Status aberkannt, die Entschädigungszahlungen für die Besiedlung von Stammesland eingestellt. Die Auswirkungen, die dies hat, sind bis heute deutlich zu sehen: Armut, Alkoholismus, Arbeitslosigkeit, fehlende Perspektiven und nicht zuletzt der Identitätsverlust der Vertriebenen.

Erdrichs Großvater wurde im Turtle Mountain Reservat in North Dakota geboren, und seine Geschichte ist Inspiration und Grundlage für diesen Roman, in dessen Zentrum Thomas Wazhushk steht. Nachts bewacht er eine Fabrik, in der tagsüber die Frauen des Turtle-Mountain-Clans arbeiten, unter anderem auch seine Nichte Pixie. Thomas ist ein guter, ein mitfühlender Mensch und will die anstehende Vertreibung mit allen Mitteln verhindern, weshalb er einerseits innerhalb des Reservats versucht, zu informieren und einen Marsch nach Washington zu organisieren, andererseits aber auch viele Nächte damit verbringt, lange Briefe an die Verantwortlichen in Washington zu schreiben, um seinen Stamm vor der Auslöschung, aber auch den Erfahrungen zu bewahren, die Pixie machen muss, als sie in Minneapolis nach ihrer Schwester sucht, die das Reservat verlassen hat und spurlos verschwunden ist.

Es ist ein buntes Kaleidoskop, zusammengesetzt aus unzähligen Einzelschicksalen, Drama und leisem Humor, übernatürlichen Erscheinungen, Mystik und Spiritualität. Eine liebe- und respektvolle Hommage an die Menschen, die trotz aller Widrigkeiten ihre Würde behalten und mit aller Entschlossenheit für ihre Traditionen und ihre Existenz kämpfen. Lesen!

Bewertung vom 30.10.2021
Inmitten der Nacht
Alam, Rumaan

Inmitten der Nacht


ausgezeichnet

„Inmitten der Nacht“ habe ich ausgewählt, weil er auf der Leseliste des ehemaligen US-Präsidenten Obama zu finden ist. Und alle Bücher, die ich in der Vergangenheit aufgrund seiner Empfehlungen gelesen habe, konnten überzeugen. So auch dieses.

Amanda, Clay und die beiden Kinder, eine weiße Mittelklasse-Familie aus Brooklyn, mieten für den Familienurlaub eine Luxus-Villa auf Long Island. Das großzügige Anwesen liegt abgelegen im Wald, es gibt keine Nachbarn und zum Einkaufen muss man einige Zeit fahren. Das Anwesen lässt keine Wünsche offen, Pool, Jakuzzi, hochwertige Ausstattung, alles vorhanden. Entspannung pur, die allerdings nur kurz währt, denn schon am Abend des ersten Urlaubstages steht ein älteres Paar, Ruth und GH, unangemeldet vor der Tür, schwarz, völlig verstört. Wenn man ihren Aussagen Glauben schenken kann, sind sie die Besitzer des Hauses und suchen Zuflucht, weil ein großflächiger Stromausfall New York lahmgelegt hat und sie nicht in ihre Wohnung in der Park Avenue gelangen können. Verifizieren lässt sich diese Aussage nicht, denn weder TV, noch Internet oder Telefon funktionieren. Sämtliche Verbindungen zur Außenwelt sind gekappt.

Aus dieser Ausgangssituation entwickelt sich ein Szenario, das zu Beginn nur mysteriös erscheint, aber im Verlauf der Handlung zunehmend bedrohliche Züge annimmt. Was geht da draußen vor sich? Soll man das vermeintlich sichere Refugium verlassen und in die Stadt zurückkehren? Ist das wirklich nur ein Stromausfall? Ist das Land im Krieg? Wurden Atomwaffen eingesetzt? Was hat es mit der Herde Rehe auf sich oder den Flamingos, die urplötzlich auf dem Grundstück auftauchen? Woher kommt der ohrenbetäubende Knall, der Risse in den Glasscheiben verursacht?

Es gibt keine Antworten, nur Unsicherheit, eine verwirrende neue „Normalität“, mit der die beiden Familien zurechtkommen, sich trotz aller Vorurteile und Zweifel zusammenraufen, unterstützen müssen, damit sie eine Überlebenschance haben.

„Leave the world behind“, so der Originaltitel, ist ein Roman, der perfekt in unsere Zeit passt. Beeindruckender und beunruhigend. Packend und atmosphärisch. Der die Hilflosigkeit, die Verunsicherung, den Kontrollverlust und die Ängste thematisiert. Der auch die Themen Vorurteile und Rassismus nicht ausklammert. Ein Roman über eine beängstigende Zukunft, am ehesten vergleichbar mit Cormac McCarthys „Die Straße“. Ein Roman über unsere Gegenwart, der viele Fragen aufwirft, aber keine einfachen Antworten parat hat. Lesen!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.10.2021
Dunkelblum
Menasse, Eva

Dunkelblum


ausgezeichnet

Dorfromane fluten bereits seit einiger Zeit den Büchermarkt, und spätestens seit Juli Zeehs „Unterleuten“ zeigen sie auch jenseits der Heimeligkeit die Untiefen, die in diesem geschlossenen Mikrokosmos lauern. Seit Generationen schwelende Streitigkeiten, aber auch gravierende Ereignisse, deren Einfluss auf das Miteinander im Endeffekt für das Zusammengehörigkeitsgefühl gegenüber allem Fremden verantwortlich ist.

Eva Menasses neuer Roman hat einen realen Hintergrund, auch wenn Dunkelblum ein fiktiver Ort ist (steht stellvertretend für Rechnitz). Aber die Ereignisse in dieser Gemeinde im Burgenland, unweit der ungarischen Grenze, fungieren als Beispiel für eine geografischen Region, die sich als das letzte westliche Bollwerk versteht und in der in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs unzählige Massaker an Zwangsarbeitern verübt wurden. Verscharrt in eilig ausgehobenen Massengräbern. Totgeschwiegen. Aus der kollektiven Erinnerung gestrichen. Verleugnet, verschwiegen und vergessen. Und dennoch eingegraben in die Biografie jedes Einzelnen.

Aber die Zeiten ändern sich, 1989 fällt der eiserne Vorhang fällt, die Grenzen nach Osten sind offen, die Vergangenheit hält Einzug in das Leben der Dörfler. Flüchtlinge aus der ehemaligen DDR drängen in die Freiheit, werden mit Tritten und nicht mit offenen Armen empfangen. Eine Studentengruppe aus Wien kümmert sich um den verwahrlosten jüdischen Friedhof, stellt unangenehme Fragen, wie der Besucher aus Übersee. Und plötzlich ist die Vergangenheit wieder präsent.

Eine Unzahl von Personen, Stimmen und Meinungen sowie wechselnde Erzählperspektiven stellen hohe Anforderungen an die Leser*in, machen die Lektüre zu Beginn sperrig und verwirrend. Aber je tiefer man in diesen dörflichen Kosmos eintaucht, desto klarer wird die Dynamik innerhalb der Gruppe, der Umgang jedes Einzelnen mit der Schuld, die dieses Dorf in dunklen Zeiten auf sich geladen hat und die bis in die heutige Zeit hineinreicht. Vergangenheitsbewältigung? Fehlanzeige.

Dunkelblum ist überall, nicht nur im österreichischen Burgenland.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.10.2021
Die Früchte, die man erntet / Sebastian Bergman Bd.7
Hjorth, Michael;Rosenfeldt, Hans

Die Früchte, die man erntet / Sebastian Bergman Bd.7


gut

Es sind zwei Handlungsstränge, die den siebten Band der schwedischen Krimireihe um Sebastian Bergman und das Team der Reichsmordkommission „Die Früchte, die man erntet“ bestimmen. Zum einen ist da der Heckenschütze, der wahllos aus dem Hinterhalt Menschen erschießt. Offenbar ohne Verbindung. Zum anderen stellt das Auffinden einer Leiche sämtliche Ermittlungsergebnisse in einem längst ad acta gelegten Mordfall in Frage und zwingt das Team, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein Kollege involviert, vielleicht sogar der Mörder sein könnte.

Wie bereits in den Vorgängern der Reihe (mit dem Untertitel „Ein Fall für Sebastian Bergman“) liegt der Schwerpunkt weniger auf der Krimihandlung als auf der Dynamik, die sich aus den zwischenmenschlichen Beziehungen entwickelt. Und auch wenn Bergmans Tätigkeit als freiberuflicher Profiler bei der Reichsmordkommission nicht mehr gefragt ist, nimmt seine Person über weite Strecken eine wichtige Rolle ein. Er praktiziert mittlerweile wieder als Psychotherapeut und kümmert sich rührend um seine Enkeltochter. Aber dennoch ist es noch immer der tragische Verlust seiner Familie, der ihn nicht zur Ruhe kommen lässt. Verstärkt wird dies noch durch einen Klienten, der ihm offenbart, dass auch er seine Tochter durch den Tsunami verloren hat und Hilfe braucht. Ein thematischer Schwerpunkt, der wohl auch in künftigen Bänden Raum einnehmen wird.

Funktioniert dieses Buch als Kriminalroman? Nur bedingt. Die Handlung ist dürftig, kaum spannend, zieht sich in der ersten Hälfte in die Länge. Verweise auf die Vorgängerbände sind zwar vorhanden, für Neueinsteiger aber bei weitem nicht ausreichend, um die Bedeutung des Cold Case zu erfassen. Und die Schlusssequenz plus doppeltem Cliffhanger wirkt um der Dramatik willen dermaßen wild konstruiert, dass man nur noch den Kopf schütteln kann. Ein absurder Showdown, der jedem Actionfim zur Ehre gereicht, aber hier völlig fehl am Platz ist.