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Raumzeitreisender
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Ahaus
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 757 Bewertungen
Bewertung vom 08.02.2020
Chaos
Kepel, Gilles

Chaos


ausgezeichnet

Der Soziologe Gilles Kepel gilt weltweit als renommierter Kenner der arabischen Welt. Er verbrachte bereits während seines Studiums ein Jahr in Damaskus und hat sich seitdem intensiv mit der Situation im Nahen Osten beschäftigt. In seinem Buch erläutert er die politische, wirtschaftliche, religiöse und gesellschaftliche Entwicklung in Nordafrika und im Nahen Osten, beginnend mit dem Jom-Kippur- oder Oktoberkrieg im Jahre 1973 bis zu den Massendemonstrationen gegen das Militär im Sudan Mitte 2019.

Den Dschihad unterteilt er in drei Abschnitte, den afghanischen Dschihad gegen die sowjetischen Besatzer, den al-Qaida-Dschihadismus gegen die USA und andere weit entfernte Feinde und den IS-Terrorismus gegen Ungläubige einschließlich der Verkündung des Kalifats in Mossul. Kepel erläutert im Detail die Ursachen und Folgen des arabischen Frühlings, die Kämpfe zwischen Sunniten und Schiiten und die Einmischung in die Politik durch den Westen. Karten im Mittelteil des Buches visualisieren die Krisenregionen.

Das Buch besticht durch seine sehr hohe Informationsdichte, die weit über das hinausgeht, was im Fernsehen oder sonstigen Medien über Konflikte im Nahen Osten berichtet wird. Insofern erfordert das Lesen auch volle Konzentration und möglichst Grundwissen über Ereignisse und Entwicklungen. Hilfreich ist die detaillierte Zeittafel am Ende des Buches, aber für notwendig halte ich auch ein Glossar mit Erläuterungen über Fachbegriffe. Dieser kleine Mangel ist vernachlässigbar im Hinblick auf durchweg sachliche Beschreibungen eines hoch emotionalen Umfeldes.

Bewertung vom 10.01.2020
Der Menschenfeind
Molière

Der Menschenfeind


gut

"Der Menschenfeind" ist eine Komödie des französischen Dramatikers Molière (Jean-Baptiste Poquelin) (1622 - 1673), die 1666 uraufgeführt wurde.

Die Komödie handelt von Alceste, einem verliebten Idealisten und Célimène, seiner jungen Traumfrau am königlichen Hof. Alceste liebt die Unabhängigkeit und hält nichts vom Leben am Hof und Célimène, durchaus interessiert, flirtet mit verschiedenen Männern. In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Komödie.

Die Ausdrucksweise ist altertümlich und damit gewöhnungsbedürftig. Das Buch liest sich nicht leicht. Der Aufbau in Szenen und in reiner Dialogform sind für die Aufführung auf der Bühne konzipiert. In reiner Textform fehlen dem Stück die belebenden Elemente (Bühnenbilder, Emotionen, Ausdrucksformen).

"Der Menschenfeind" ist ein Werk für Freunde des klassischen Theaters, in dem zeitlose menschliche und gesellschaftliche Eigenarten zum Ausdruck kommen.

Bewertung vom 07.01.2020
Und Marx stand still in Darwins Garten
Jerger, Ilona

Und Marx stand still in Darwins Garten


gut

Wenn sich zwei Größen der Menschheitsgeschichte begegnen, sind tiefgehende – bei den vorliegenden Personenen – kontroverse Diskussionen zu erwarten. Es ist eine ausgesprochen kreative Idee, Charles Darwin (1809 – 1882) und Karl Marx (1818 – 1883), die tatsächlich zur gleichen Zeit in London gelebt haben, aufeinandertreffen zu lassen.

Dummerweise sind beide Protagonisten in dem Buch beide alt und kränklich. Den gesundheitlichen Problemen wird mehr Zeit gewidmet, als fachlichen Darstellungen und Auseinandersetzungen. Zündstoff ist reichlich vorhanden, so bemerkt z.B. Darwin: "Vorbilder für kommunistische Utopien sind in all diesen Jahren unterm Mikroskop nicht aufgetaucht." (133)

Ilona Jerger legt den Fokus auf die menschliche Seite der beiden großen Denker. Es gibt Einblicke in das Familienleben. So ist z.B. Charles Frau Emma eine gläubige Christin, was im Hause Darwin immer wieder zu Diskussionen führt. Das Buch ist humorvoll. Aber es gibt nur ein eher zufälliges Treffen der beiden großen Denker. Der Titel des Buches ließ mehr erwarten.

Bewertung vom 03.01.2020
Das Cafe am Rande der Welt
Strelecky, John P.

Das Cafe am Rande der Welt


weniger gut

Werbemanager John, beruflich stets in Eile, hat die Orientierung in seinem Leben verloren. Eines Tages, als er sich schleppend im Stau auf dem Highway bewegt, macht er kehrt und fährt in der entgegengesetzten Richtung weiter, um nach einigen Kilometern den Stau im großen Bogen zu umfahren. Ohne Karte und ohne Navigationssystem verfährt er sich hoffnungslos. In einer menschenleeren Gegend taucht plötzlich ein Cafe auf.

Es handelt sich um ein ungewöhnliches Cafe. Schon die Speisekarte ist seltsam aufgebaut. John wird in freundlicher Atmosphäre mit existenziellen philosophischen Fragen konfrontiert. Er absolviert eine Art Selbstfindungskurs, bei dem ihm die Inhaber und das Bedienungspersonal des Cafes als Diskussionspartner behilflich sind. Seine Einstellung zum Leben ändert sich.

Das alles wirkt ein wenig naiv. Die Suche nach dem Sinn des (eigenen) Lebens und wie man diesen findet, macht den Kern des Buches aus. Diesem Zweck dienen die (bekannten) Geschichten von der Schildkröte und dem alten Fischer. Autor Strelecky bietet eine Art Lebensberatung, jedoch ohne wirklichen Tiefgang. Wer neue Erkenntnisse zu existenziellen Fragen erwartet, wird enttäuscht.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.01.2020
Genau richtig
Gaarder, Jostein

Genau richtig


ausgezeichnet

Albert erfährt von seiner Ärztin, dass er an einer tödlichen Krankheit leidet. Er fährt zu seiner Ferienhütte am Waldsee. Mit dieser Hütte sind zahlreiche Erinnerungen verknüpft. Albert denkt über sein Leben nach, über seine Familie und über seine Krankheit. Typisch Jostein Gaarder geht es in diesem Buch auch um philosophische Fragen.

Die gesamte Handlung umfasst 24 Stunden. Sie nimmt eine Wende, als ein Fremder auftaucht, der Albert zu kennen scheint. Es ist eine Geschichte über Leben und Tod, über Liebe und den Sinn des Lebens. Gaarder beweist mit diesem Buch mal wieder, dass er mit schwierigen existenziellen Fragen verantwortungsvoll umgehen kann.

Bewertung vom 31.12.2019
Ein Leben mehr
Saucier, Jocelyne

Ein Leben mehr


gut

Theodore (Ted) Boychuk hat den verheerenden Brand von Matheson in Nord-Kanada 1916 als damals 14-jähriger überlebt. Dabei verlor er seine gesamte Familie. Er wurde in der Region zu einer Legende. Jahrzehnte später ist die 80-jährige Fotografin Ange-Aimée auf den Spuren von Boychuk und will Hintergründe recherchieren.

Boychuk ist zu Beginn der Geschichte bereits tot, gestorben in einer einsamen Hütte, abseits der Zivilation, wo er zusammen mit Tom, einem 86-jährigem ehemaligem Schmuggler und Draufgänger und Charlie, einem 89-jährigem Naturburschen die letzten Jahre seines Lebens verbracht hat.

Die alten Männer gehen auf die Jagd und betreiben eine Hanfplantage. Ihre Ruhe wird gestört, als nacheinander 2 Frauen in der Hütte auftauchen und zwar die Fotografin sowie die eigensinnige Marie-Desneige, die 66 Jahre ihres Lebens in der Psychiatrie verbracht hat. Das Leben der Männer verändert sich.

Der Roman ist angereichert mit Retrospektiven. Jedoch wirken die Ereignisse nicht authentisch. Mit fast 90 Jahren in der Wildnis zu leben, hat mit Romantik nichts zu tun. Die Beschreibungen hätten den realen Gegebenheiten angepasst werden können. Auch wirken die Charaktere arg konstruiert. Dennoch hat mir das Ende der Geschichte gefallen.

Bewertung vom 30.12.2019
Größen der Mathematik
Stewart, Ian

Größen der Mathematik


sehr gut

Mathematiker, die Geschichte geschrieben haben

Ian Stewart stellt 25 bedeutende Mathematiker vor, aus der Antike bis in die Moderne, aus dem Osten wie aus dem Westen. Die historische Reise beginnt ca. 250 v. Chr. bei Archimedes von Syrakus und endet in der Neuzeit bei dem amerikanischen Mathematiker William Thurston.

Inhaltlich handelt es sich um eine Mischung aus besonderen Lebensumständen und mathematischen Leistungen der Protagonisten. Stewart versucht Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Ein besonderes Merkmal ist die Besessenheit der Mathematiker für ihr Fach. Auch kristallisierte sich ihr Talent früh heraus.

Die Biograhien sind zwangsläufig lückenhaft. Stewart vermittelt Ausschnitte aus ihrem Leben und ihren Werken. Wer sich für bestimmte Mathematiker interessiert, sollte auf Einzelbiographien zurückgreifen, die auf dem Buchmarkt zu finden sind. Im Gegensatz zu seinem Buch „Weltformeln“, stehen hier die Menschen im Vordergrund.

Bewertung vom 14.07.2019
Und Nietzsche weinte
Yalom, Irvin D.

Und Nietzsche weinte


ausgezeichnet

In diesem Roman beschreibt Irvin D. Yalom die fiktive Begegnung zweier realer Personen der Zeitgeschichte und zwar des Wiener Arztes Josef Breuer und des Philosophen Friedrich Nietzsche im Jahre 1882. Die Begegnung wird durch die junge Russin Lou Salomé eingeleitet, die sich Sorgen um den Gesundheitszustand ihres guten Bekannten Nietzsche macht. Nietzsche sei körperlich und seelisch krank und verzweifelt.

Nietzsche erweist sich als skeptischer Patient, dem es an Vertrauen mangelt und bricht die Behandlung daher nach kurzer Zeit ab. Erst nach einem Anfall und durch einen Trick kann Breuer ihn davon überzeugen, in Wien zu bleiben und zwar nicht als sein Patient, sondern als Therapeut von Breuer, der selbst Probleme mit seiner Patientin Bertha Pappenheim hat, der er verfallen ist.

Nietzsche geht auf das Angebot ein. Breuer hofft durch die folgende Gesprächstherapie Zugang zu Nietzsche zu bekommen und ihm so doch noch helfen zu können. Es folgen zahlreiche Gespräche zwischen Breuer und Nietzsche über Philosophie und Psychotherapie auf hohem Niveau. Diese Gespräche machen den Kern des Buches aus. Die Psychotherapie wird in diesem Buch quasi vorweggenommen.

Breuers junger Diskussionspartner und Freund Sigmund Freud trägt maßgeblich zu einer Wende in Breuers Gesundheitszustand bei. Die intensiven Gespräche und die Zuwendung erweisen sich auch für Nietzsche als äußerst nützlich. Autor Yalom ist selbst Professor für Psychiatrie und damit in der Lage, einen realistischen Gesprächsverlauf zu skizzieren. Zu guter Letzt geben die Protagonisten Einblick in ihre Psyche.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.03.2019
Der Tänzer
McCann, Colum

Der Tänzer


sehr gut

Rudolf Chametowitsch Nurejew (1938 - 1993) gilt als einer der größten Ballett-Tänzer des 20. Jahrhunderts. Aufgewachsen in der Nähe von Irkutsk, UDSSR, emigrierte er 1961 in den Westen nach Paris, wo seine internationale Karriere begann. Colum McCann zeichnet in seinem ausdrucksstarken Roman „Der Tänzer“ den Lebensweg dieses charismatischen, aber auch exzentrischen Ausnahmetalents nach.

Autor McCann lässt Zeitgenossen von Nurejew erzählen. So entstehen unterschiedliche Perspektiven, die wie Mosaiksteine zu einem Gesamtbild zusammengesetzt werden können. Deutlich werden Nurejews früh ausgeprägte Leidenschaft fürs Tanzen und sein unsteter Lebenswandel. Er versteht es, die Freiheit des Westens für seine Zwecke zu nutzen. Sein Lebenswandel ist exzessiv.

McCann ist ein begnadeter Erzähler, der die Lebensumstände schonungslos und eindringlich darstellt und intensiv in die Gefühlswelt der Protagonisten einsteigt. Nurejew führt ein außergewöhnliches Künstlerleben ohne Tabus. Unklar ist manchmal die Perspektive, aus der berichtet wird. Insofern ist ein konzentriertes Lesen erforderlich. Besonders beeindruckt hat mich die Darstellung seiner Kindheit in der Sowjetunion.