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Ingrid von buchsichten.de
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Erkelenz

Bewertungen

Insgesamt 324 Bewertungen
Bewertung vom 27.02.2021
Kein Entkommen / Katja Sand Trilogie Bd.1
Wortberg, Christoph

Kein Entkommen / Katja Sand Trilogie Bd.1


sehr gut

„Trauma – Kein Entkommen“ von Christoph Wortberg ist der erste Band einer Thriller-Trilogie. Das erste Buch ist in drei Teile gegliedert, deren Bezeichnungen Wasser, Eis und Feuer sich mittelbar auf die dann geschilderten aufzuklärenden Taten beziehen. Für die Ermittlungen ist Katja Sand von der Mordkommission München zuständig, assistiert von ihrem Kollegen Rudi Dorfmüller. Katja ist alleinerziehend und hat momentan große Sorgen um ihre fünfzehnjährige Tochter Jenny, die eine Beziehung zu einem vier Jahre älteren Mann eingegangen ist, der auf die schiefe Bahn geraten zu sein scheint. Während sie versucht, ihr Privatleben wieder in Ordnung zu bringen, wird sie damit konfrontiert, dass ein Mann in einem See ertrinkt und nur kurze Zeit später ein Mann in einem Kühlschrank, der in einem Wald abgestellt wurde, erstickt. Beide Fälle deuten auf Selbstmord hin, aber daran will Katja nicht glauben.

Die einzelnen Teile werden unterbrochen von einer berührenden, entsetzlichen Geschichte über eine kleine Familie, in der der Vater nicht nur körperliche Gewalt anwendet, sondern seinem kleinen Kind auf perfide Art zeigt, welche Macht er ausüben kann. Man ahnt, dass die Schilderungen mit den Ermittlungen zusammenhängen könnten, der dritte Teil des Thrillers verschafft darüber Klarheit.

Der Thriller beginnt unüblich nicht mit einem Verbrechen, welches der Ermittler oder das Ermittlerteam aufzuklären hat, sondern zunächst mit einem privaten Problem der Hauptkommissarin Katja Sand. Ihr ist bewusst, dass ihre Arbeit sie manchmal sehr in Anspruch nimmt und ihre Tochter dabei zu kurz kommt. Das schlechte Gewissen plagt sie, zumal Jenny nun in einem Alter ist, um ihrer Enttäuschung über die geringe Aufmerksamkeit, die sie durch ihre Mutter erfährt, Ausdruck zu verleihen. Daher herrscht von Beginn an eine bedrückte Stimmung, die sich auch dadurch fortsetzt, weil die Ermittlungen nicht zum Ziel führen.

Obwohl Katja Sand als Mutter immer wieder an sich zweifelt, ist sie doch eine starke Frau, die es versteht, ihre Meinungen zu vertreten und ihre Intuitionen in die Ermittlungen einfließen lässt. Auf ihren Assistenten Dorfmüller kann sie sich verlassen und arrangiert sich mit seinen Vorlieben. Zu ihrer Mutter hat sie ein zwiespältiges Verhältnis, dass in der Vergangenheit begründet ist und immer wieder blitzt durch, dass sich Katjas privates Trauma, über das sie bis heute nicht offen reden will, vor vielen Jahren ereignet hat. Hier liegt noch einiges an Potential für die folgenden beiden Bände der Trilogie bereit, was mich neugierig darauf macht.

„Trauma – Kein Entkommen“ von Christoph Wortberg ist ein Thriller, der nicht nur gut inszeniert ist, sondern den Leser auch an den zerrissenen Gefühlen der Mordermittlerin Katja Sand teilnehmen lässt. Die Spannungskurve bleibt bis zum Schluss erhalten. Obwohl Katja manchmal Rückblick auf ihr Leben gewährt, bleiben wichtige Details verborgen zu denen ich mir Aufklärung in den beiden folgenden Bänden erhoffe. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung an alle Thrillerfans.

Bewertung vom 02.02.2021
Die Mitternachtsbibliothek
Haig, Matt

Die Mitternachtsbibliothek


ausgezeichnet

Büchereien sind für Leseratten ein anziehender Ort. Aber in der „Mitternachtsbibliothek“, wie der Brite Matt Haig sie in seinem gleichnamigen Roman beschreibt, ist sicher noch niemand von ihnen gewesen. Die 35-jährige Protagonistin Nora Seed ist kein Bücherwurm, doch das Schicksal führt sie in der Geschichte in die magische Welt, die der Autor in seinem Roman in Form der Mitternachtsbibliothek beschreibt. Vor Ort findet sie volle Regale vor, gefüllt mit Büchern, deren Einbände in allen erdenklichen grünen Farben erstrahlen. Alle Ausgaben sind gefüllt mit Biografien ihres Lebens, die sich in Details unterscheiden. Wie der Name schon sagt, kann die Bücherei nur um Mitternacht betreten werden, während Raum und Zeit stillstehen und man sich zwischen Leben und Tod befindet.

Während eines Schachspiels in der Bibliothek ihres Heimatorts Bedfords erfährt die sechszehnjährige Nora durch einen Telefonanruf vom plötzlichen Tod ihres Vaters. Das könnte der schlechteste Tag in ihrem Leben gewesen sein, doch neunzehn Jahre später, als sie ihren Job verloren hat, ihre Katze verstorben ist, sie Streit mit Verwandten und Freunden hat, fühlt sie sich einsam und empfindet ihr Leben nicht mehr lebenswert. Sie beschließt zu sterben und findet sich während des Übergangsprozesses in der Mitternachtsbibliothek gemeinsam mit ihrer früheren Schulbibliothekarin wieder. Sie erhält die Chance verschiedene Varianten ihres Lebens auszuprobieren. Wird sie eines finden, dass ihren Vorstellungen vom Glücklichsein entspricht?

Matt Haig greift in seinem Roman die interessante Idee auf, mit der sich bestimmt schon viele beschäftigt haben, was geschehen wäre, wenn man sich an einem oder mehreren Punkten im Leben anders entschieden hätte. Auf eine ruhige Art und Weise lässt er seine Protagonistin erfahren, dass es nicht einfach ist, sein Leben in allen Einzelheiten zufriedenstellend zu empfinden. Er gibt zu bedenken, dass eine Entscheidung mehr als eine weitreichende Änderung nach sich zieht.

Nora hat sich vielen Chancen bewusst entzogen, denn sie hätte vielleicht bei Olympia teilnehmen, mit einer Band erfolgreich sein oder als Gletscherforscherin oder Philosophin berühmt werden können. Diese Auflistung gibt nur einen Ausschnitt von Noras Möglichkeiten wieder und allein daraus lässt sich erkennen, dass es nicht einfach ist, das Leben zu finden, dass glücklich macht. Nora war als Kind schüchtern und durch Erfolge bekam sie im Vergleich zu anderen mehr Aufmerksamkeit, was ihr nicht behagte. Aber das war nur eines ihrer Sorgen, die sie zu dem gemacht haben, was sie heute ist. Die Mitternachtsbibliothek gibt ihr die Chance, Dinge zu ändern, die sie bereut. Der Weg dazu, sich selbst zu finden, ist mit vielen Erfahrungen verbunden, die teils wütend stimmen, traurig machen oder auch fröhlich, bedrückend sind oder heiter. Nora steht an einem Scheideweg vor der endgültigen Entscheidung über ihre Zukunft.

Matt Haig zeigt in seinem Roman „Die Mitternachtsbibliothek“, dass das Leben jedem von uns zahlreiche Entscheidungen abverlangt, die jeweils weitere Konsequenzen mit sich bringen. Seine Protagonistin Nora lernt, darüber nachzudenken, ob eine andere Entscheidung tatsächlich die besseren Auswirkungen gezeigt hätte. Noras Geschichte ist nachvollziehbar. Auf sanfte Art vermittelt der Autor ein Stück Philosophie, die nachdenklich stimmt und berührt. Gerne vergebe ich eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

Bewertung vom 26.01.2021
Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
Schröder, Alena

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid


ausgezeichnet

In ihrem Roman „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ schildert die in Berlin lebende Alena Schröder eine Familiengeschichte über vier Generationen hinweg. Die Erzählung spielt in der Gegenwart in der Bundeshauptstadt und nimmt die 27-jährige Doktorandin Hannah und ihre fast hundertjährige Großmutter Evelyn in den Fokus. In weiteren Kapiteln erfolgt ein Rückblick bis in die 1920er auf die Familiengeschichte. Der Titel nimmt Bezug auf ein verschollenes Bild aus dem Vermögen des im Zweiten Weltkrieg enteigneten jüdischen Kunsthändlers Goldmann, dessen einzige Erbin Evelyn ist, die sich diesem Umstand aber nicht stellen möchte und auf ihre ganz eigene Art damit ihre Enkelin betraut.

In der Generationengeschichte kommt auch Senta eine bedeutende Rolle zu, denn sie ist die Mutter von Evelyn. Sie wächst in den 1910er Jahren am Rand von Rostock auf und träumt davon, den Verlockungen Berlins zu folgen. Doch dann trifft sie Ulrich, den Kriegshelden, der Geschichten vom Fliegen erzählt. Bald wird sie schwanger und nach der Heirat immer unzufriedener. Sie lässt sich scheiden und erfüllt sich doch noch ihren Traum von Berlin. In der Hauptstadt erfährt sie an der Seite ihres jüdischen Ehemanns die zunehmenden Repressalien gegen die Religionsgemeinschaft. Silvia vervollständigt schließlich noch die Stammlinie als Tochter von Evelyn und Mutter von Hannah.

Es sind starke Frauenfiguren, authentisch und vielfältig, die Alena Schröder in ihrem Roman zeichnet, mit eigenen Vorstellungen vom Leben und einem enormen Willen, diese Vorstellungen zu verwirklichen. Das Verständnis von Generation zu Generation ist dadurch teils gestört, es kommt zu Brüchen, aber auch zu Annäherungen. Und obwohl manchmal große Weiten zwischen den Aufenthaltsorten liegen und auch die innere Verbundenheit nur ein loser Faden ist, gerät man einander nie vollständig in Vergessenheit. Auch wenn sich Senta, Evelyn und Silvia im Nachhinein nicht für gute Mütter halten, hat jede auf ihre Weise eine Möglichkeit gefunden, dem Nachwuchs eine vernünftige Perspektive für die Zukunft zu schaffen, die Freiraum zur Entfaltung der Persönlichkeit bietet.
Zwischen Gegenwart und Vergangenheit schildert die Autorin eine unterhaltsame Geschichte, die nie stillsteht und die sie bewusst so führt, dass immer eine gewisse unterschwellige Spannung auf den Fortgang bestehen bleibt. Raubkunst als Thema im Hintergrund fand ich ungewöhnlich, aber eine interessante Idee, über dessen Aufspüren ich durch die Erzählung gerne mehr erfahren habe.

Mit „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ hat Alena Schröder einen bewegenden und fesselnden, abwechslungsreichen Roman geschrieben, der mit einem unverbrauchten Hintergrundthema und faszinierenden Frauenfiguren aufwartet. Ich habe das Buch sehr gerne gelesen und empfehle es daher uneingeschränkt weiter.

Bewertung vom 02.01.2021
Das letzte Licht des Tages
Harmel, Kristin

Das letzte Licht des Tages


sehr gut

In ihrem Roman „Das letzte Licht des Tages“ erzählt Kristin Harmel auf zwei Zeitebenen. Einerseits schildert sie die Geschichte von Inès und Céline ab Mai 1940, andererseits steht Liv im Jahr 2019 im Mittelpunkt.

Inès ist eine junge Waise, die den Winzer Michel durch ihre beste Freundin Edith kennenlernt. Nach der baldigen Heirat folgt sie ihm auf sein Weingut in die Champagne. Michel kann sich auch zu Kriegszeiten auf seinen Kellermeister Théo und seine Frau Céline verlassen, während Inès sich aufgrund ihrer geringen Kenntnisse über die Weinproduktion häufig unnütz fühlt. Als sie herausfindet, dass Michel sich der Resistance angeschlossen hat, beginnt sie sich verstärkt für das politische Geschehen zu interessieren und hadert mit ihrer eigenen Einstellung. Währenddessen fühlt sie immer mehr Distanz zu ihrem Ehemann. Während sie selbst nach mehr Zuneigung sucht, ahnt sie nicht, was unterdessen das Herz von Michel bewegt.

Die in New York lebende, frisch geschiedene Liv folgt ihrer hochbetagten Großmutter Edith nach deren spontanem Besuch in die Heimat nach Frankreich. Edith verbirgt ein Geheimnis, steht aber kurz davor, es ihr mitzuteilen. Nur langsam entschlüsselt sich ihre Vergangenheit, während der attraktive Enkel einer renommierten Anwaltskanzlei, zu der Edith vollstes Vertrauen hat, an Livs Seite ist und sich gemeinsam mit ihr auf Spurensuche nach familiären Ereignissen im Zweiten Weltkrieg begibt.

Kristin Harmel nahm mich als Leser mit in die Champagne nach Reims und Umgebung. Mit viel Leidenschaft beschreibt sie dank sehr guter Recherche einige Details zu verschiedenen Produktionsschritte, die bei der Manufaktur von Champagner anfallen. Daneben greift sie mit dem Widerstand im Zweiten Weltkrieg in eben jenem Gebiet rund um Reims ein weniger beachtetes Thema der Geschichte auf, das deswegen besonders dramatisch ist, weil auch der Erste Weltkrieg in der Gegend große Schäden hinterlassen hat, in personeller wie auch materieller Hinsicht. Allerdings beschränkt sich die Autorin im Zusammenhang mit der Résistance allein auf Ereignisse, wie sie das Weingut und die dort lebenden Personen betroffen haben könnten, ohne die Fakten in einen größeren Zusammenhang zu stellen.

Die Figuren sind erfreulich wandlungsfähig, auch aufgrund der Geheimnisse, die vor allem die Widerstandskämpfer mit sich trugen. Zwar waren die Handlungen von Inés für mich nicht immer verständlich, aber die Autorin versucht ihr Vorgehen bestens zu begründen. Mit viel Empathie beschreibt sie die Beziehungen und Gefühle zwischen den Charakteren. Sie zeigt, wie schwierig es ist, mit einer langen zurückliegenden Schuld zurecht zu kommen und diese zu verarbeiten. Liebe, Hoffnung und Vertrauen, aber auch Missgunst und Unverständnis zwischen den Protagonisten ziehen sich durch das Geschehen.

Kristin Harmel führt ihren Roman „Das letzte Licht des Tages“, über einige unerwartete, manchmal tragische Wendungen auf beiden Zeitebenen zu einem überraschenden erfreulichen Ende. Die Geschichte hat einen hohen Unterhaltungswert und daher empfehle ich ihn gerne an Leser von Romanen mit Familiengeheimnis weiter.

Bewertung vom 02.01.2021
Miss Bensons Reise
Joyce, Rachel

Miss Bensons Reise


ausgezeichnet

In ihrem Roman „Miss Bensons Reise“ erzählt die Engländerin Rachel Joyce von dem großen Wunsch ihrer Protagonistin Margery Bensons, den goldenen Käfer von Neukaledonien zu finden. Titel und Cover weisen darauf hin, dass die Verwirklichung ihres Anliegens nicht im eigenen Land umsetzbar ist, sondern ihr eine lange Fahrt mit dem Schiff bevorsteht. Aber sie begibt sich nicht allein auf ihre große Reise. Die Frage, ob sie sich über ihre Begleitung freuen oder eher verzweifeln soll, macht einen Teil des Romans aus und gibt ihm einen besonderen Leseanreiz.

Margery war zehn Jahre alt, als ihre Familie die Nachricht vom Tod der im ersten Weltkrieg gefallenen vier Brüder erhielt, woraufhin der Vater sich erschoss. Just zu dieser Zeit beschäftigte er sich damit, den goldenen Käfer zu finden. Fünf Jahre nach dem zweiten Weltkrieg ist Margery Mitte Vierzig, weiterhin alleinstehend, unterrichtet als Lehrerin und hat infolgedessen wenig Mittel zur Verfügung. Nach einem alptraumhaften Morgen in der Schule beschließt sie, sich nun endlich ihren Wunsch zu erfüllen und in Neukaledonien nach dem Käfer zu suchen. Um vor Ort professionell zu wirken, benötigt sie eine Assistenz. Eine Stellenanzeige hat wenig Resonanz. Margery gibt sich bei den Bewerbungsgesprächen kultiviert und wählt schließlich Enid Pretty aus, eine junge Frau, die in Vielem das Gegenteil von ihr selbst ist. Auch Enid hat einen Traum, den sie sich erfüllen möchte. Aber sie verbirgt auch ein Geheimnis, dessen Schatten den Weg bis nach Neukaledonien findet.

Rachel Joyce lässt in ihrem Roman ihrer Fantasie vielfach blühen und bringt ihre Protagonistin in manche ungewöhnliche Situation. Sicherlich ist das nicht immer realistisch, aber sehr unterhaltsam und oft amüsant. Sie überdeckt damit die Sorgen und Probleme ihrer Figuren, die sie dennoch immer wieder in den Blick des Lesers hebt und ihn dadurch auf ihre ganz eigene Weise dazu auffordert, sich auch mit den weniger schönen Dingen und Ereignissen in der Welt zu beschäftigen. Ihre Geschichte hat sie in die 1950er Jahre eingebunden. Die britischen Konventionen und Werte der damaligen Zeit fließen in die Handlung ein. Selbst im fernen Neukaledonien finden die Lebensvorstellungen bei den im Land wohnenden Briten ihre Anwendung, wie Margery und Enid erfahren müssen.

Durch ihre einfühlsame Beschreibung der handelnden Personen gelingt ihr die Darstellung abwechslungsreicher Charaktere, die je ihr eigenes Päckchen zu tragen haben, sich aber ihren weiteren Weg mit viel Mut, Zuversicht und Hoffnung bahnen. Deutlich stellt sie heraus, wie viel es bedeutet, jemanden an seiner Seite zu haben, der sich auch mal uneigennützig kümmert und auf den man sich verlassen kann, auch wenn man nicht immer eine Meinung teilt. Eventuell gelingt es sogar, dadurch seinen Horizont zu erweitern. Obwohl man seine Vergangenheit nicht ändern kann, ist es möglich, sich und seine Ansichten zu ändern und dadurch sein zukünftiges Leben zu beeinflussen.

Zahlreiche unerwartete Wendungen und eine mit vielen kreativen dramatischen wie auch erfreulichen Ideen gespickte Geschichte, manchmal mit einem Augenzwinkern erzählt, machen „Miss Bensons Reise“ von Rachel Joyce zu einer großen Leseempfehlung für jeden.

Bewertung vom 07.12.2020
Wilde Jahre / Familie Winter Bd.2
Ruppert, Astrid

Wilde Jahre / Familie Winter Bd.2


ausgezeichnet

Der Roman „Wilde Jahre“ von Astrid Ruppert ist der zweite Band einer Trilogie über die Frauen der Familie Winter über vier Generationen hinweg. Die etwa 30 Jahre alte Maya erzählt aus der Ich-Perspektive ihre Geschichte im Jahr 2006 und 2007. Ihre Schilderungen werden unterbrochen von Kapiteln, bei denen diesmal hauptsächlich ihre Mutter Paula im Fokus steht. Aber die Erzählugn begleitet auch Mayas Oma Charlotte und deren Mutter Lisette. Der Rückblick auf die Familiengeschichte beginnt 1949 und endet in den 1990ern.

Zu Beginn des Romans begegnete ich Paula, während sie im Jahr 1977 ihre Neugeborene Tochter Maya betrachtet. In ihren Gedanken fragt sie sich, welche Gefühle ihre Mutter damals hatte, als sie geboren wurde. Bereits hier wird offensichtlich, dass sie ihre Tochter allein erziehen wird. In diesem Zusammenhang denkt sie an Harry, den ich zu diesem frühen Zeitpunkt der Geschichte weder vom Namen noch von der Person her zuordnen konnte.

Maya hat ihre Mutter immer nur als ruhelose Künstlerin gekannt mit wechselnden Liebhabern. Sie selbst bevorzugt es, zu dem immer gleichen Ort heimzukehren. Anders als Paula fühlt sie sich auf dem Land bei ihrer Großmutter Charlotte sehr wohl und sie ruht nicht damit, Fragen nach ihrer Herkunft zu stellen, denn sie kennt bis heute nicht ihren Vater. An ihrer Seite machte ich mich auf, Antworten zu suchen, die ich im Laufe des Romans gefunden habe.

Bei ihren liebenswerten Protagonistinnen arbeitet Astrid Ruppert deutlich spürbar deren Gegensätzlichkeiten heraus. Lisette, die im gutsituierten städtischen Bürgertum aufwuchs, ist ihrem Drang nach Freiheit nachgegangen. Sie hat sich dabei nicht den Wünschen ihrer Eltern gebeugt, die für sie ein Leben als Hausfrau und Mutter an der Seite eines Ehepartners aus der gehobenen Gesellschaftsklasse vorgesehen hatten. Ihre Tochter Charlotte hat sich mit einem Landwirt verehelicht, gemeinsam führen sie den elterlichen Hof des Ehemanns. Ihr Leben ist geprägt von jahreszeitlichen Arbeiten und Routine.

Auf dem Dorf kennt jeder jeden und daher hat Charlotte auch auf den Ruf der Familie zu achten. Paula ist das egal. Sie fühlt sich als Jugendliche fremdbestimmt und eingeengt. Schon früh begehrt sie auf. Immer klarer wird es für sie, dass sie nicht den Hof übernehmen möchte, sondern ihr Leben angefüllt sein soll von Musik. Ich konnte ihre Handlungen sehr gut nachvollziehen, weil sich in meiner Familie, obwohl zeitlich gesehen ein paar Jahre später, Ähnliches ereignet hat. Immer wieder fällt auf, wie sehr die Frauen in ihrer Selbständigkeit durch die geltenden Ehegesetze bis in die 1970er Jahre hinein eingeschränkt waren.

Maya ist den Trends ihrer Zeit zugeneigt. Ihr fällt das Schweigen zwischen den Generationen in ihrer Familie auf. Erst als sie auf eigenen Antrieb hin und ohne das Wissen ihrer Mutter, sich auf die Spur der jungen Paula begibt, setzt sie wie ein Puzzle die Antworten zu einem Gesamtbild zusammen, zu dem aber noch die Hintergründe über eine Zeit im Leben von Charlotte fehlen, die Thema des abschließenden dritten Teils der Winterfrauen-Reihe sein werden. Die Einsicht, die Vergangenheit zu kennen, aber ruhen zu lassen hat zwischen Maya, Paula und Charlotte das Verständnis untereinander gefördert. Sicher kann diese Feststellung auch in anderen Familien zu einer Annäherung der Generationen beitragen, denn Familie bietet oft Rückhalt und Geborgenheit, auf die auch die Frauen der Familie Winter gerne zurückgreifen.

Lisette hat ihrer Enkelin vermittelt, dass sie versuchen soll, das zu erreichen, was sie will, auch wenn nicht alles gelingt. Als Leser des Romans „Wilde Jahre“ von Astrid Ruppert brachte mich das zum Nachdenken. Überzeugende Figuren, bewegende Handlungen und eine realitätsnahe Darstellung prägen die Geschichte und ich bin schon sehr neugierig darauf, warum Lisettes Tochter Charlotte einen ganz anderen Weg wie ihre Mutter eingeschlagen hat. Darum freue ich mich schon auf den dritten Band der Serie und empfehle das Buch ge

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.12.2020
Lebenswerk
Schwarzer, Alice

Lebenswerk


ausgezeichnet

Alice Schwarzer als Namen habe ich etwa Ende der 1970er Jahre bewusst wahrgenommen, ohne mich jedoch näher mit den Meinungen der Person dahinter zu beschäftigen. Immer wieder und zunehmend interessiert nahm ich über die folgenden Jahre Kenntnis von dem Auftreten von Frau Schwarzer in den Medien. Ihr Buch „Lebenswerk“ bot mir die Gelegenheit mich mit ihren Ansichten im Zusammenhang zu beschäftigen und die mir in Erinnerung gebliebenen Mosaikteilchen ihres Schaffens in ein Gesamtbild zu bringen.
Zu Beginn der Ausführungen habe ich von den unterschiedlichen Strömungen des Feminismus erfahren, was mir bis dahin nicht präsent war. Weil Frau Schwarzer das Buch selbst geschrieben hat, gehen keine Informationen aufgrund der Vermittlung durch einen Biographen verloren. Sie positioniert sich innerhalb der Bewegung eindeutig und verteidigt ihre Standpunkte durchgängig. Um ihre Ansichten an die Öffentlichkeit zu bringen, handelt sie informierend, gibt sich sarkastisch, anklagend oder provozierend auch mit bewusster, wachrüttelnder unrichtiger Aussage über sich selbst.
Sie begründet ihre Meinungen mit den Erfahrungen aus ihrer eigenen Jugend, von der sie einige Erlebnisse schildert. Hauptsächlich beschäftigen sich ihre Aufzeichnungen aber mit der Zeit, ab der sie journalistisch arbeitet, also ab Ende der 1960er Jahre bis heute. Ein großes Highlight war sicherlich die Gründung der Zeitschrift Emma, die bis heute besteht und für die sie immer noch tätig ist. Interessant waren ihre Auseinandersetzungen mit Persönlichkeiten, die in der Öffentlichkeit stehen. Deutlich bewusst wurde mir beim Lesen wie viel sie mit ihrem Einsatz bewirkt hat, aber auch, dass es noch einiges zu erreichen gilt.
Ihre öffentliche Präsenz ist auch in ihren Zeilen zu spüren. Sie ist über die Jahre und Jahrzehnte hinweg zum Flaggschiff der Frauenbewegung geworden und an diese Stelle gehört sie auch nach wie vor hin. Das Buch lässt sich dank ihrer ausdrucksvoll beschreibenden Sprache leicht lesen. Im Mittelteil finden sich viele Fotos aus den vergangenen 50 Jahren. Es sind Porträts von ihr oder sie zeigen Frau Schwarzer im Gespräch mit bedeutenden Persönlichkeiten sowie im Rahmen wichtiger Zusammenkünfte. Im letzten Viertel des Buchs sind wichtige Schlüsseltexte nachzulesen, auf die Frau Schwarzer in ihrem Lebensbericht verweist. Ich empfehle das Buch all denjenigen, die sich ein umfassendes Bild der Person Alice Schwarzer und ihrer Meinungen machen möchten.

Bewertung vom 24.11.2020
Scheunenkinder / Fräulein Gold Bd.2
Stern, Anne

Scheunenkinder / Fräulein Gold Bd.2


ausgezeichnet

Der Roman „Fräulein Gold - Scheunenkinder“ von Anne Stern ist der zweite Teil einer Serie rund um die Schöneberger Hebamme Hulda Gold. Er spielt im historischen Berlin von Mitte Oktober bis Anfang Dezember des Jahrs 1923. Der Stadtteil „Scheunenviertel“ rückt in den Mittelpunkt dadurch, dass es dort im November des Jahres ein antisemitisches Pogrom gibt und die Protagonistin in dieser Zeit vor Ort ist. Die vordere Klappe des Buchs bietet in ihrer Gestaltung den Ausschnitt einer Karte von Berlin zur besseren Verortung der Lokalitäten. Der Untertitel des Romans ist unabhängig von den Ausschreitungen und bezieht sich auf strafbare Ereignisse im Viertel bei denen Kinder eine wichtige Rolle spielen. Im Prolog wirft die Autorin das Rätsel auf, wie die dort geschilderte Handlung in den Gesamtkontext einzuordnen ist. Erst zum Ende der Geschichte ergab sich für mich ein Gesamtbild, das allerdings nicht zum Verständnis des Romans notwendig war, wohl aber die Vergangenheit einer der Figuren klärt.

Hulda hat zu ihrem Vater kaum Kontakt, doch über dessen Bekanntenkreis erhält sie den Auftrag, nach der hochschwangeren Tamar im Scheunenviertel zu schauen. Die junge Frau ist eine Nichtjüdin aus Smyrna, dem heutigen Izmir und mit einem galizischen Juden verheiratet. Hulda erlebt die Spannungen in der Familie, die sich aus den verschiedenen Glaubensansichten ergeben. Zwei Tage nach der Geburt verschwindet das Neugeborene spurlos. Es ist nicht leicht, in dem verbauten, als anrüchig betrachteten Scheunenviertel nach einem Säugling zu suchen und als Auswärtige stößt sie bei den Bewohnern auf Misstrauen. Viele sind arbeitslos, das Geld hat immer weniger Kaufkraft. Dafür verantwortlich gemacht werden die Juden des Viertels weswegen es zu Unruhen kommt. Währenddessen ermittelt Kommissar Karl North, Huldas Freund, in einem Fall von Kinderhandel. Obwohl er Hulda gegenüber nicht ins Detail gehen darf, wittert diese einen Zusammenhang mit der Entführung und beginnt mit eigenen Recherchen.

Die sympathische Hulda, inzwischen 28 Jahre alt, ist stolz auf ihre Unabhängigkeit. Ihre Beziehung mit Karl erlebt im Roman einige Höhen, aber auch Tiefen, die von beiden bedauert werden. Sowohl Hulda wie auch Karl sehen die Schuld für ihre Streitigkeiten bei sich. Hulda entspricht nicht der damals geltenden Norm der Frau als Hausfrau und Mutter, weil sie sich ihrem Beruf eng verbunden fühlt. Obwohl es damals für die freien Hebammen klare Grenzen bei der Ausübung ihres Berufs in ihren Tätigkeiten gibt, setzt sie sich mit all ihren Fähigkeiten bei jeder Geburt für die Gesundheit von Mutter und Kind ein. Doch das Leben auf Rufbereitschaft geht nicht ohne Spuren an ihr vorbei. Karl hingegen hat Zweifel an seinen beruflichen Fähigkeiten, weil er den enormen Einsatz seines Kollegen bewundert und seine eigenen Ergebnisse ständig mit dessen vergleicht. Aufgrund seiner Vergangenheit scheut er davor, in der Liebe enttäuscht zu werden und nimmt jedes kritisch beurteilende Wort einer Situation von Hulda persönlich.

Es gelingt Anne Stern ihre Geschichte an eine wenig thematisierte, aber geschichtlich bedeutende Episode zu koppeln. Die Bevölkerung ist mehr und mehr unzufriedener. Zunehmend ist es schwierig, selbst Lebensnotwendiges zu besorgen, Hunger und Kälte nehmen zu. Obwohl Hulda nicht religiös ist, wird ihre jüdische Herkunft immer häufiger thematisiert. Die Autorin vermittelt die düstere Atmosphäre der damaligen Zeit. Dennoch finden auch die Vergnügungssuchenden einen Platz im kalten Berlin. Bis in die Nebenfiguren hinein begegnete ich Personen mit interessantem Hintergrund. In der hinteren Klappe wird nicht nur auf den ersten Band der Reihe hingewiesen, sondern auch auf den dritten Teil, der im Mai 2021 erscheinen wird.

Der zweite Band der Romanreihe um die Hebamme Fräulein Gold von Anne Stern stand dem ersten in nichts nach. Gerne empfehle ich das Buch an Leser historischer Romane weiter und freue mich auf den nächsten Band.

Bewertung vom 12.11.2020
Die Republik
Voland, Maxim

Die Republik


sehr gut

Der unter Pseudonym schreibende Autor Maxim Voland lässt seinen Roman „Die Republik“ in einer Parallelwelt spielen, in der im Jahr 1949 die drei Westmächte sich zurückzogen und die Sowjetunion die Kontrolle über das heutige Gebiet Deutschlands mit Ausnahme von West-Berlin erhielt. Jedoch spielt die Handlung nicht in einem historischen Setting, sondern in der Gegenwart. Inzwischen ist die DDR ein ernstzunehmender Faktor auf den internationalen Märkten, doch zum Westen hin sind die Grenzen weiterhin gesichert.

Eines Tages ereignet sich im Ostteil Berlins ein Giftgasanschlag, der vielen Zivilbürgern das Leben kostet. Der Vorfall ist schwer einzuordnen und wirft Fragen auf. Vor allem wird befürchtet, dass weiterer Schaden entstehen könnte. Unruhe entsteht unter den allgemein bekannten Agentenorganisationen der Welt. Zu Protagonisten werden ein Stasi-Oberst der DDR, eine MI6 Mitarbeiterin im Westteil Berlins und ein Dolmetscher aus Frankreich, der erstmalig zu Besuch bei seiner Familie im Saarland an sowie seine Cousine.

Der Roman ist nicht für sensible Leser gedacht. Ganz nach Bond-Manier agieren hier die verschiedenen Geheimdienste zu ihrem eigenen Vorteil. Verschwörungen, Intrigen, alte Abrechnungen zwischen den Agenten sind an der Tagesordnung. Jeder manipuliert so gut und so geheim er kann. Jeder Einsatz kostet zahlreiche weitere Opfer. Die Frage danach, warum und wieso sich der der Giftgasanschlag in Berlin ereignen konnte bleibt lange im Verborgenen. Bis fast zum Schluss wird der Drahtzieher gesucht. Aus dieser Hinsicht hält der Roman lange den Spannungsanteil. Die Figuren konnten meine Sympathie nicht wecken, wozu Rachegelüste ohne Rücksicht auf weitere Opfer beitrugen. Die Trauer der in den Fall verwickelten Zivilisten über die hinzunehmenden Verluste ist kurz und nur im Ansatz vorhanden.

Der Autor lässt immer wieder einen Teil Alltag in der DDR-Anteil durchblitzen, wie es heute sein könnte, wenn sich die Geschichte damals, wie oben erwähnt, ereignet hätte. Das Gedankenspiel ist durchaus eigenwillig und beachtenswert. Durch den hohen Anteil unterschiedlicher Agentenorganisationen verlangt es Aufmerksamkeit, die Mitwirkenden den entsprechenden Geheimdiensten zuzuordnen und im Blick zu behalten, wer auf welcher Seite mit welcher Motivation steht. Ein Personenverzeichnis und ein Glossar am Ende des Buchs ist hierbei hilfreich.

„Die Republik“ von Maxim Voland ist ein actionreicher Spionageroman mit vielen toughen Figuren, die eigennützig und mit wenig Gefühl handeln. Komplotte werden geschmiedet, Hinterhalte gelegt, Angriff und Verteidigung erbarmungslos umgesetzt und es gibt einige unerwartete Wendungen in einem ungewöhnlichen fiktiven Szenario bei dem Deutschland sich geschichtlich ganz anders entwickelt hat wie wir es kennen.

Bewertung vom 01.11.2020
Und die Welt war jung / Drei-Städte-Saga Bd.1
Korn, Carmen

Und die Welt war jung / Drei-Städte-Saga Bd.1


sehr gut

Der Roman „Und die Welt war jung“ von Carmen Korn spielt im Zeitraum von 1950 bis 1959 und nimmt drei Familien in den Mittelpunkt, die verwandt beziehungsweise miteinander befreundet sind. Carmen Korn verknüpft ihre Erzählung eng mit ihren Figuren, die in Hamburg, Köln und San Remo leben. Auch hier zeigt sich, wie die handelnden Personen durch die dem Wandel unterliegende Umgebung geprägt werden.

Der Galerist Heinrich und Gerda Aldenhoven wohnen mit ihren jungen erwachsenen Kindern Ursula und Ulrich und zwei alleinstehenden Kusinen von Heinrich in Köln. Zunächst wird der Alltag durch die angespannte finanzielle Situation des Haushalts beeinflusst, denn es wird noch wenig in Kunst investiert. Schon viele Jahre lang kennt Gerda ihre beste Freundin Elisabeth Borgfeldt, die mit ihrem Mann Kurt in Hamburg in einem Mehrparteienhaus lebt. Zum Haushalt gehört auch die verheiratete Tochter Nina und der Enkel Jan, dessen Vater als im Krieg verschollen gilt. Als Bankangestellter hat Kurt ein sicheres Einkommen, das wohlüberlegt ausgegeben werden möchte.

Heinrichs Schwester Margarethe ist mit dem italienischen Restaurator Bruno Canna verheiratet und wohnt mit ihm in San Remo. Das Ehepaar hat den jungen erwachsenen Sohn Gianni, der sich darauf vorbereitet in den Blumenhandel der Familie einzusteigen. Brunos Beruf bietet zwar den nötigen Abstand zu seiner Mutter, die als Patriarchin über ihre Familie wacht, doch keine Beschäftigungsgarantie.

Carmen Korn führt eine hohe Anzahl Personen durch die von ihr beschriebene Zeit. Um den Überblick zu behalten ist ein Personenverzeichnis und Stammbäume der Familien dem Roman vorgeschaltet. Bei der Vorstellung der Figuren gibt die Autorin einen kurzen Abriss über deren familiären beziehungsweise beruflichen Hintergrund. Das Jahr wird beim Jahreswechsel entsprechend angekündigt, die dann folgenden Kapitel sind mit Tag und Monat betitelt.

Wie in ihrer Jahrhundert-Trilogie so findet sich auch in diesem Roman der eigenwillige Schreibstil der Autorin mit kurzen Kapiteln, verkürzten Sätzen und der zügig voranschreitenden Entwicklung durch einige Zeitsprünge. Darin spiegelt sich die Vergänglichkeit des Moments wider und die Chance zu Neuanfängen. Die Schatten des Kriegs sind in einigen Aspekten immer noch zu spüren, deutlich wird das vor allem bei Nina, die ihren Ehepartner vermisst. Über die Jahre hinweg wächst die Kaufkraft der Bevölkerung und jenseits der Grundversorgung kann langsam auch daran gedacht werden, sich darüber hinaus wieder etwas Schönes zu leisten. Aber alle Protagonisten haben ihre eigenen Sorgen und Nöte und auch jenseits des Krieges wird jung gestorben, was der ganzen Geschichte einen durchgehend melancholischen Touch verleiht.

Deutlich wird auch die Gebundenheit, vor allem der Frauen an die Gesetze und die Konventionen ihrer Zeit. In der Generation der Kinder der Paare, die im Fokus stehen, schafft Carmen Korn dementgegen das Bild der Frau, die im Beruf Erfüllung findet. Sie kennt die von ihr gewählten Orte aus eigener Erfahrung sehr gut, was den Schilderungen Authentizität verleiht. Immer wieder lässt sie den örtlichen Dialekt einfließen und beschriebt bei Mahlzeiten die regionale Küche. Daneben konnte ich über gerade aktuelle Filme, Musik und Bücher lesen. Die Geschichte spielt allerdings nur im städtischen Bereich, so dass die Nachkriegsentwicklung auf dem Lande außen vor bleibt. Die historischen Hintergründe sind bestens recherchiert. Einige Ausführungen innerhalb der fiktiven Handlungsstränge sind kleinteilig und führen zu wenigen Längen.

„Und die Welt war jung“ ist der Auftakt der Dilogie einer Drei-Städte-Saga von Carmen Korn, die im gewohnt rasanten Stil durch die 1950er Jahre dreier Familien führt, die in Hamburg, Köln und San Remo leben. Das Buch endet mit einem Cliffhanger, der mich auf die baldige Fortsetzung hoffen lässt. Für alle Carmen Korn-Fans ist der Roman ein Muss, gerne empfehle ich ihn allen Lesern, die historische Romane aus dem letzten Jahrhundert

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.