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hasirasi2
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Dresden

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Insgesamt 1140 Bewertungen
Bewertung vom 04.02.2023
Soraya / Ikonen ihrer Zeit Bd.9
Janson, Brigitte

Soraya / Ikonen ihrer Zeit Bd.9


sehr gut

Was kommt nach der Märchenhochzeit?

„Es ist alles so schnell gegangen. Ich habe das Gefühl, ich sitze auf einem Kettenkarussell, das nicht mehr anhalten kann.“ (S. 89)
Die meisten Märchen enden mit dem Happy End, Sorayas beginnt damit. Sie ist erst 18, als sie 1950 Mohammad Reza, dem Schah von Persien (heutiges Iran) vorgestellt wird. Der braucht dringend eine Frau, die ihm einen männlichen Erben schenkt, von seiner ersten Frau hat er sich deswegen schon scheiden lassen. Zum Glück funkt es sofort zwischen ihnen und er bittet ihren Vater direkt nach dem Kennenlernen um ihre Hand. Eine märchenhafte Hochzeit wird gefeiert, der ein traumhaftes Leben voller Liebe folgen soll, aber die politischen Unruhen und Sorayas anscheinende Unfruchtbarkeit trüben das Glück …

Brigitte Janson erzählt vom Leben einer jungen Frau, die zu ihrer Zeit von vielen zuerst bewundert und beneidet, später bemitleidet und von der Presse gejagt wurde. Soraya ist noch sehr jung und leicht naiv, als sie den Schah kennenlernt. Ihre Mutter ist Deutsche und ihr Vater ein persischer Fürst, darum ist sie in verschiedenen Kulturen aufgewachsen und entsprechend privilegiert erzogen worden, erscheint seinen Beratern perfekt. Schließlich soll sich der Iran in der Welt behaupten und eine teilweise europäische Frau ist dem Ganzen sehr dienlich.

Die Autorin erzählt sehr flüssig, bildlich und mitreißend von Sorayas Leben mit dem Schah, dabei stehen ihre tiefe Liebesbeziehung und karitative Arbeit im Vordergrund. Sie beschreibt aber auch, wie sehr beide unter der Kinderlosigkeit leiden, schließlich braucht das Land einen Thronfolger.
Leider wurden mir die politischen Entwicklungen im Iran etwas zu kurz abgehandelt, die ja einen großen Einfluss auf ihre Ehe hatten, und wie die Familie ihrer Mutter nach Russland und zu ihrem nicht unbeträchtlichen Vermögen gekommen ist.
Dafür fand ich es sehr interessant, dass die Kaiserinmutter und ihr weiblichen Verwandten die Frau des Schahs (vor)aussuchten, also Soraya, ihre Vorgängerin und ihre Nachfolgerin, und nicht der Schah selber – er konnte also anscheinend nicht selber über sein Schicksal entscheiden.

Mein Fazit: Die bewegende Geschichte einer großen Liebe und ihr trauriges Ende.

Bewertung vom 02.02.2023
Die Unannehmlichkeiten von Liebe - Die deutsche Ausgabe von
Hazelwood, Ali

Die Unannehmlichkeiten von Liebe - Die deutsche Ausgabe von "Loathe to Love You"


sehr gut

Liebe ist keine Wissenschaft

Mara arbeitet als Ingenieurin bei der Umweltbehörde und teilt sich ein geerbtes Haus mit Liam, der als Anwalt für einen Ölkonzern arbeitet. Da ist Stress vorprogrammiert, zumal er ihr unbedingt ihre Haushälfte abkaufen will. Aber je leidenschaftlicher sie sich streiten, um so mehr fühlen sie sich auch zueinander hingezogen.

Sadie setzt für eine kleine Firma nachhaltige Bauprojekte um. Eines Tages lernt sie im Café Erik kennen, der für ein großes Ingenieurbüro arbeitet. Sie verbringen einen Abend und eine Nacht zusammen und reden dabei auch über Sadies nächstes geplantes Projekt. Doch dann bekommt Eriks Firma den Zuschlag dafür. Hat er ihre Ideen geklaut?

Hannah trifft an ihrem ersten Arbeitstag bei der NASA ausgerechnet Ian wieder, den sie vor Jahren im Promotionsstudium für eine Hausarbeit interviewt und dabei verführt hat. Als wäre das nicht schon peinlich genug, rettet er sie Monate später aus einer Gletscherspalte in der Arktis, in die sie beim Testen eines Mars-Rovers gestürzt ist.

Ali Hazelwood vereint in ihrem Buch drei Kurzgeschichten und ein Bonuskapitel, die sich um die Freundinnen Mara, Hannah und Sadie drehen. Sie haben ihr Studium endlich abgeschlossen und sind erfolgreich ins Berufsleben gestartet, aber mit Männern haben einfach sie kein Glück.

Wie schon in ihren Romanen beschreibt Ali Hazelwood die Probleme von Frauen in der Forschung bzw. wissenschaftlichen Berufen, ihre Schwierigkeiten, wahr- und ernstgenommen zu werden und sich durchzusetzen. Das Hauptaugenmerkt liegt hier aber auf dem Zwischenmenschlichen, dem Prickeln zwischen den auf den ersten Blick so unpassenden Partnern – und es geht heiß her zwischen ihnen.
Die Liebesgeschichten sind sehr charmant geschrieben und auch wenn sich die Protagonisten auf den ersten Blick äußerlich ähnlich sind (die Frauen alle klein und zart und die Männer Marke Wikinger bzw. schottische Highlander), so haben sie doch unterschiedliche Charaktere. Ich mochte auch die freundschaftlichen Beziehungen der Drei untereinander sehr und habe mich über Facetime Anrufe köstlich amüsiert.

Wer bei den kalten Temperaturen draußen auf heiße Gedanken kommen und sich gut unterhalten lassen will, liegt mit „Die Unannehmlichkeiten von Liebe“ genau richtig 😉.

Bewertung vom 02.02.2023
Mein Leben in deinem
Moyes, Jojo

Mein Leben in deinem


ausgezeichnet

Guten Tag, guten Tag, ich will mein Leben zurück

„Guten Tag, guten Tag, ich will mein Leben zurück
Guten Tag, ich gebe zu ich war am Anfang entzückt
Aber euer Leben zwickt und drückt nur dann nicht
Wenn man sich bückt“

Wer von Euch kann sich noch an das Lied von „Wir sind Helden“ erinnern? Ich kann es immer noch auswendig und es ist mir beim Lesen von Jojo Moyes‘ „Mein Leben in Deinem“ nicht aus dem Kopf gegangen, weil es die Situation von Sam und Nisha meisterhaft beschreibt.

„Es ist, als würde ich mit einem Geist leben. Ich weiß nicht mal genau, ob er überhaupt nicht wahrnimmt, dass ich da bin.“ (S. 229) Sams Mann Phil hat erst seinen Vater und dann seinen Job verloren, Depressionen, die er nicht behandeln lässt, und liegt den ganzen Tag im Bett oder auf der Couch. Seitdem hängt alles an ihr. Sie muss das Geld verdienen, einkaufen, putzen, den Hund Gassi führen und sich um ihre in den 60ern festgesteckt gebliebenen Eltern kümmern – also auch bei ihnen einkaufen, putzen und sich sagen lassen, dass sie eine schlechte Ehefrau ist und ihren Mann entmannt, weil sie die Hauptverdienerin ist. Doch ihr Leben ändert sich, als sie im Fitnessstudio die falsche Tasche erwischt und ihre beruflichen Termine in fremden Designer High Heels und einer teuren Jacke erledigen muss …

„Ich habe keinen Ort, an den ich gehen kann.“ (S. 48) Nisha hat ihren Mann Carl auf eine Geschäftsreise nach London begleitet, als im Fitnessstudio ihre Tasche mit den maßgefertigten Louboutins und der Chanel-Jacke verschwindet und sie von Carls Security nicht mehr in das gemietete Penthouse des Hotels gelassen wird. Sie strandet in Flipflops und Bademantel in der Lobby, ohne Ausweis, Geld oder Kleidung, in der Hand die Scheidungsvereinbarung, die ihr Mann aber nur im Tausch gegen die gestohlenen Schuhe unterschreiben will. Was ist passiert? Bis vor wenigen Stunden war ihr Leben doch noch ein Jetset-Traum?!

Jojo Moyes lässt ihre Protagonistinnen erst ins fast Bodenlose stürzen, bis sie sich wieder aufrappeln und die Veränderungen als zweite Chance begreifen.
„Gehe hundert Schritte in den Schuhen eines anderen, wenn Du ihn verstehen willst“, rät ein indianisches Sprichwort, und tatsächlich haben Sam und Nisha sofort Bilder vor Augen, wer bzw. wie die andere Frau ist, deren Kleidung und Schuhe sie jetzt tragen. Doch schon Sams erste Schritte in den Louboutins machen ihr klar, dass Nishas Leben auch unbequeme Seiten haben muss („Ich komme mir vor, als würde ich auf Essstäbchen laufen.“ (S. 17)). Und Nisha wollte nie wieder in die Situation kommen, solche hässlichen, bequemen, unauffälligen Schuhe zu tragen, wie die von Sam – sie kann sich nur zu gut an das Gefühl erinnern und hatte gehofft, es für immer hinter sich zu haben.

Jojo Moyes trifft die traurig-trostlose Grundstimmung perfekt, in der sich die beiden Frauen befinden.
Sam reibt sich zwischen der Sorge um ihren Mann und ihrem unverschämten Chef, der sie mobbt, auf. Sie duckt und schlängelt sich so unauffällig wie möglich durchs Leben. Ihre fast erwachsene Tochter versucht ihr immer wieder klarzumachen, dass Frauen heute nicht mehr die „Sklaven“ ihre Eltern, Chefs und Ehemänner sind, aber sie fühlt sich für alles verantwortlich und zuständig. Nur wenn sie die Louboutins trägt, bekommt sie eine Ahnung, wie ihr Leben auch sein könnte. „Sie geben mir das Gefühl, eine andere Version von mir selbst zu sein, glaube ich. Wenn ich könnte, würde ich sie jeden Tag tragen.“ (S. 226)
Nisha war es gewöhnt, (an)gesehen und bewundert zu werden. Sie hat Carl 18 Jahre lang den Rücken frei gehalten und ihm jeden Wunsch von den Augen abgelesen, während er ihr ein scheinbar sorgenfreies Luxusleben ermöglicht hat. Jetzt hat sie nichts mehr und wird von der Ungläubigkeit über Carls perfiden Plan, ihrem Rachedurst und der Sorge um ihren Sohn im New Yorker Internat gleichzeitig fast aufgefressen und angetrieben. Durch Zufall findet sie einen Job und Frauen, die zu Freundinnen werden und ihr helfen wollen, ihr altes Leben zurückzubekommen.

Jojo Moyes hat sich mit ihrem Plot wieder mal selbst übertroffen. Sie zeigt, dass uns Fremde manchmal mehr Empathie entgegenbringen als Familie oder angeblich gute Bekannte, was Freundschaft bedeutet und was man zusammen erreichen kann.
Ich habe mit den Frauen mitgelitten und mitgefiebert und Carl leidenschaftlich gehasst. Das Buch ist sehr spannend geschrieben und das furiose Ende, das ich zwar erahnt, aber anders erwartet hatte, hat mich sehr überrascht. Ein echtes Lesehighlight.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.01.2023
Cosmopolitan - Die Zeit der Frauen
Rosen, Renée

Cosmopolitan - Die Zeit der Frauen


ausgezeichnet

Sex sells

„Ich war vor etwa einer Woche in New York angekommen, und genau wie die Stadt war auch ich lebendig, erfüllt von Möglichkeiten, vom Abenteuer. Alles konnte passieren. Mein Leben fing gerade erst an.“ (S. 10)
1965 kommt Alice Weiss aus Ohio nach New York, um Fotografin zu werden. Sie wird dabei von einer alten Freundin ihrer Mutter unterstützt, die ihr einen Job bei der Cosmopolitan verschafft – allerdings nicht als Fotografin, sondern als Sekretärin der neuen Chefredakteurin Helen Gurley Brown.
Eigentlich soll die Cosmo eingestellt werden, da die Verkaufszahlen rückläufig sind. Aber Helen will aus dem Hausfrauenmagazin ein modernes Heft machen, das „ihre Mädchen“ über Sex aufklärt, wie sie sich Männern und Vorgesetzten gegenüber verhalten sollen und wie man im Beruf weiterkommt. „Die neue Cosmo-Leserin ist eine junge, dynamische ledige Frau. Sie ist karriereorientiert und ehrgeizig. Sie sexy, fröhlich und temperamentvoll. Sogar ein bisschen unartig. Und ich kenne sie besser als irgendjemand sonst, weil ich dieses Mädchen war.“ (S. 109) Damit stößt sie beim Management nicht gerade auf Gegenliebe und immer mehr (männliche) Mitarbeiter verlassen das sinkende Schiff …

„Cosmopolitan – Die Zeit der Frauen“ hat mich extrem fasziniert. Es ist sehr unterhaltsam geschrieben und legt ein hohes Tempo vor. Man spürt in jeder Zeile die Aufregung und den Druck, unter dem alle in der Redaktion stehen.
Helen Gurley Brown hat mich beeindruckt. Sie ist eine kleine, zierliche Person, ständig auf Diät und am Rande des Nervenzusammenbruchs, wenn ihr wieder Steine in den Weg gelegt werden, aber sie stampft ihre männlichen Gegner einfach mit einem zuckersüßen Lächeln in den Boden und setzt sich (fast) immer durch. „Helen … ist knallhart. Eine eiserne Faust in einem Samthandschuh.“ (S. 75) Sie ist sehr innovativ und geht völlig neue Wege, bindet z.B. die Werbung in redaktionelle Beiträge ein, so dass sie auf den ersten Blick nicht als Anzeige erkennbar ist. Außerdem fördert sie neue Autoren und Fotografen und lässt die Artikel verständlicher formulieren. Und sie stellt die Cosmo unter das Motto: „Sex sells“.
Aber Helens Ansichten sind auch bei den Frauen umstritten. Sie fordert zwar mehr Freiheit, Karrieren und selbstbestimmten Sex für die Frauen, aber die sollen das letztendlich nutzen, um sich einen Ehemann zu angeln.

Alice hat die Liebe zur Fotografie und die Sehnsucht nach New York von ihrer verstorbenen Mutter geerbt. Die ist damals mit ihrem Mann nach Ohio gegangen, obwohl sie ein gefragtes Fotomodell war. Dass hinter ihrem Weggang noch mehr steckt, erfährt Alice zufällig von der Freundin ihrer Mutter ...
Helen wird zu ihrer Mentorin, beruflich und privat, die viel fordert aber auch viel gibt. Sie traut ihr den schwierigen Job einfach zu und berät sie im Umgang mit Männern.

Renée Rosen verbindet geschickt die wahre Geschichte von Helen Gurley Brown mit der fiktiven von Alice, die ihren Beruf und Platz im Leben und in New York noch sucht und einem gut gehüteten Familiengeheimnis auf die Spur kommt. Es macht großen Spaß, Alice Werdegang (und den der Cosmo) zu begleiten, zu sehen, wie sie sich immer mehr emanzipiert und über sich hinauswächst, wie aus dem Mädchen aus Ohio eine taffe New Yorkerin wird, die Sex wie ein Mann hat – ohne Liebe und Hintergedanken bzgl. ihrer Karriere.

Die perfekte Mischung aus „Der Teufel trägt Prada“ und „Down with Love – Zum Teufel mit der Liebe!“ – für mich ein Lesehighlight.

Bewertung vom 26.01.2023
Die Galerie in Valencia
Baumann, Margot S.

Die Galerie in Valencia


sehr gut

Die Jungen Wilden von Valencia

Elena Alvarez hat für ihren Berliner Chef das Konzept für die neue Zweigstelle seiner Galerie in Valencia erarbeitet. Jetzt überrascht er damit, dass sie diese auch aufbauen soll – schließlich ist sie Halbspanierin und dürfte keine Verständigungs-probleme haben. Dumm nur, dass ihr Vater Spanien als Jugendlicher verlassen und ihr seine Muttersprache nie beigebracht hat.
Zudem überwirft sie sich mit den spanischen Architekten Carlos und Arnau, weil ihr Chef deren Konzept nie wollte. „Ihre Firma hat den Zuschlag bekommen, weil Sie diese Location gefunden haben. Aber von jetzt an geht es nach unseren eigenen Plänen weiter.“ (S. 30) Doch je mehr sie sich in den Entwurf der beiden einarbeitet, desto besser findet sie deren Idee, auch junge spanische Straßenkünstler auszustellen. Traut sie sich, die Vorgaben ihres Chefs zu ignorieren? „… ich habe mein ganzes Leben immer auf der vorgegebenen Spur verbracht. Vielleicht ist es einfach mal an der Zeit, etwas zu wagen.“ (S. 95)
Doch das ist nicht ihr einziges Problem. Ihr Vater hat nie über seine Heimat oder Vergangenheit gesprochen – was ist damals passiert? Und nicht zuletzt findet sie Carlos ziemlich heiß und ihm scheint es mit ihr genauso zu gehen …

Elena hatte bisher nie richtiges Interesse an einer festen Beziehung, ihre berufliche Karriere war ihr stets wichtiger. Die Galerie ist ihre Chance für den Aufstieg – aber nur, wenn sie die Vorgaben ihres Chefs genau umsetzt. Jetzt grätschen Carlos Ideen und sein Charme dazwischen, es knistert zwischen ihnen. Aber da ist auch noch das Schweigen ihres Vaters und seine Angst vor seiner Heimat, denen sie gern auf den Grund gehen würde.

Carlos genießt das leichte Leben am Mittelmeer und versucht, bei seinen Projekten das Alte zu bewahren und Neues geschickt zu integrieren. Dazu zählt auch, dass er „jungen wilden“ Straßenkünstlern eine Plattform bieten will und Elenas Galerie ihm dafür perfekt erscheint. Was aber, wenn er sich zwischen seiner Idee und ihr entscheiden muss?

„Die Galerie in Valencia“ ist eine leichte, flüssig zu lesenden Liebesgeschichte ohne große Überraschungen, die durch die zweiten Zeitebene, in der Margot S. Baumann die Vergangenheit von Elenas Vaters und seiner Familie unter dem Franko-Regime erzählt, etwas mehr Tiefe erhält.
Mich persönlich stören allerdings 2 Schnitzer. Zum einen gibt es ein Wochenende, das 4 Tage dauert. Und zum anderen wird Elenas Vater als 18jähriger von seinen Eltern regelmäßig ermahnt, vor dem Fußballspielen die Hausaufgaben zu machen. Das kann ich mir beim besten Willen auch in den 1970ern nicht wirklich vorstellen.

Bewertung vom 24.01.2023
Der Tote im Kurhaus / Fräulein vom Amt Bd.2
Blum, Charlotte

Der Tote im Kurhaus / Fräulein vom Amt Bd.2


ausgezeichnet

Legenden des Nils

„Alma, du musst ihm helfen. … Du hast es doch schon einmal gemacht.“ (S. 54) Zwei Jahre nach ihrem ersten „Abenteuer“ bittet Almas Freundin und Mitbewohnerin Emmi sie, sich wieder in Ermittlungen zu stürzen. Auf der Premierenfeier der Oper Aida im Ballsaal des Kurhauses wurde der Tenor ermordet. Der war Emmis aktueller Galan und hatte an dem Abend einen Streit mit seinem Vorgänger, der seinen Platz an Emmis Seite nicht kampflos räumen wollte. Da alle Indizien auf ihn weisen, scheint die Polizei gar nicht in andere Richtungen zu ermitteln.
Alma zögert erst, schließlich war ihr erster Fall nicht ganz ungefährlich, freundet sich dann aber zufällig mit der ägyptischen Sopranistin Mary an und erfährt von ihr mehr über die anderen Mitglieder der Truppe. Schnell wird ihr klar: „In diesem Ensemble gibt es mehr als genug Gründe für einen Mord.“ (S. 52) Nicht nur, dass einige Mitglieder untereinander anscheinend nicht immer ganz freiwillig verbandelt sind, sie haben sich zum Teil auch in Ägypten im Rahmen einer Ausgrabung kennengelernt …

„Fräulein vom Amt – Der Tote im Kurhaus“ ist der zweite Teil der Reihe um die Telefonistin Alma aus der Feder des Autoren-Duos Charlotte Blum und genauso spannend und unterhaltsam wie der Vorgänger. Die Wirtschaft hat sich endlich erholt, die Inflation wurde durch die Einführung der Reichsmark beendet und die Stimmen der Nationalsozialisten werden immer lauter.
Baden-Baden ist der Ägyptomanie verfallen, denn kurz zuvor hat Howard Carter das Grab des Tutenchamun mit seinen unzähligen Schätzen entdeckt und dadurch Kunst und Mode nachhaltig beeinflusst. Der Auftritt des Ensembles der durch Europa tourenden Aida-Oper ist der absolute Höhepunkt des Ganzen und wird jetzt durch den Mord überschattet.

Bei ihren Nachforschungen dazu wird Alma mit den großen Gefühlen und Dramen vor und hinter der Bühne konfrontiert und entdeckt so manche Verbindung und Abhängigkeit, die eigentlich geheim bleiben sollte. Gleichzeitig schwelgen sie und die sowieso schwärmerisch veranlagte Emmi in den abenteuerlichen Schilderungen über Ägypten und die Ausgrabungen und träumen dabei von der großen weiten Welt – und der Liebe. Während Emmi weiter von einem Flirt zum nächsten flattert und sich nicht festlegen kann oder will, hat sich Alma letztlich gegen die Beziehung zu Kriminalkommissar Ludwig Schiller entschieden, weil sie ihren Beruf als Telefonistin und ihr unabhängiges Leben zu sehr liebt.
Ludwig ist zu Beginn von den Untersuchungen ausgeschlossen, da er im Gegensatz zu seinem Chef nicht den gerade aufkommenden Lehren Hitlers, sondern der jungen Republik anhängt. Trotzdem kann er Alma bald Informationen zukommen lassen.

Das Autorenduo bringt auch das damalige Zeitgefühl wieder wunderbar rüber. Ich liebe die Seitenhiebe auf die veraltete und unpraktische bis gefährliche Mode (ich sage nur Hutnadeln) ihrer Großmütter und habe mich sehr über den Kauf der neu aufgekommenen leicht anstößigen Gymnastikkleidung für Frauen (Hosen!) und die dabei vorgeführten Übungen amüsiert.

Vor allem ist das Buch aber wieder ein sehr gut inszenierter klassischer Howdunit, der mich bis zum Ende fesseln und überraschen konnte.

Bewertung vom 20.01.2023
Von Spaß war nie die Rede
Berg, Ellen

Von Spaß war nie die Rede


ausgezeichnet

Im Prinzip vergeben, aber die Route wird gerade neu berechnet

„Vielleicht liegt es daran, dass ich Fee heiße. Nomen est omen. Jedenfalls bin ich die gute Fee vom Dienst, auf die man rund um die Uhr zählen kann. … Ich kann auch gar nicht anders, denn das Wort »nein« existiert nicht in meinem Wortschatz.“ (S. 6) Wenigstens zu sich selbst ist Fee ehrlich, denn Mann, Kinder, Chef, Kollegin und beste Freundinnen kennen sie nur als stets hilfs- und einsatzbereite Frau für wirklich alle Fälle. Eine spontane Party mit den Kollegen des Mannes? Kein Problem. Zum Mädelsabend noch schnell den Lieblingskuchen der Gastgeberin backen? Ehrensache. Geburtstagsgeschenk und Überraschung für die Frau des Chefs innerhalb weniger Stunden, obwohl sie längst Feierabend hat? Fees leichteste Übung. Dass ihr eigenes Leben dabei auf der Strecke bleibt, sie sich gehen lässt und sich keiner für ihre Wünsche und Träume interessiert, geht ihr an einem besonders stressigen Tag auf. „Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr.“ (S. 28)
Urlaub muss her, sagen ihre Freundinnen, zur Not auch mit der Familie. Außerdem ein Zumbakurs mit einem extrem schnuckeligen Lehrer und ein Reiseblog, da kann sie den Familienurlaub, bei dem einiges schief geht, gleich aufarbeiten. Der Blog hat Erfolg. Die witzigen Fotos und Sprüche bringen ihr jede Menge Follower und die Einladung zu einem Wellnesswochenende auf Mallorca und einem Meditationsworkshop auf Bali. Von diesen Reisen hat sie immer geträumt. Aber setzt sie ihre Ehe damit endgültig aufs Spiel?

Ellen Berg hat mit Fee wieder eine Protagonistin mitten aus dem Leben geschaffen, in der sich so manche Frau wiedererkennt – ich mich auch. Wann trauen wir uns schon mal, nein zu sagen, oder dem Gatten (oder Kindern) z.B. das Einräumen der Spülmaschine zu, meist machen wir es „schnell“ selber.
Fee ist an dem Punkt in ihrem Leben, an dem sie entsetzt begreift, „…, dass ich für Christian nicht mehr die Frau fürs Leben bin, sondern nur noch das Mädchen für alles.“ (S. 60) Seine Aussage, sie arbeite ja nur halbtags und habe darum Zeit, sich um die nervige Verwandtschaft, Kinder und den Alltagskram zu kümmern, nimmt sie jahrelang hin und schwelgt dafür in Mordfantasien, in denen Tupperware eine wichtige Rolle spielt – und über die herzlich lachen musste. Als Ausgleich schreibt sie Briefe an ihr inneres Kind, in denen sie von ihren Träumen erzählt, ihre Hoffnungen und Wünsche für die Zukunft aufschreibt.

Ellen Berg legt mit ihrem Buch den Finger in die Wunde und regt zum Nachdenken an. Wann haben wir das letzte Mal was nur für uns getan, ohne auf andere Rücksicht zu nehmen? „Von Spaß war nie die Rede“ schafft die perfekte Balance aus Humor, Denkanstößen und Selbstverwirklichung.

Bewertung vom 17.01.2023
Der Tote von Wiltshire / Lockyer & Broad ermitteln Bd.1
Webb, Katherine

Der Tote von Wiltshire / Lockyer & Broad ermitteln Bd.1


sehr gut

Die Frau mit den zwei Gesichtern

„Sie müssen mich besuchen … Es geht um damals. Um Harry Ferris.“ (S. 8) Vor 14 Jahren hat Detective Inspector Matthew Lockyer bei einem seiner ersten Fälle die junge Haushälterin Hedy Lambert des Mordes überführt. Jetzt will sie, dass er den Fall neu aufrollt, denn das angebliche Mordopfer ist wieder aufgetaucht.
Der Tote wurde damals lange für Harry Ferris gehalten, den vor Jahren verschwundenen Sohn ihres Arbeitgebers, Professor Ferris. Erst ein DNA-Test ergab, dass es sich dabei um einen Pavee handelte, der Harry ähnlich sah. Jetzt ist Harry wieder da – und damit auch Lockyers Selbstzweifel, ob er wirklich die Richtige hinter Gitter gebracht hat, auch wenn alle Indizien für Hedy sprachen ...
Zusammen mit seiner jungen Kollegin Gemma Broad nimmt er sich die alten Akten vor. Sie befragen alle, die in den Fall involviert waren, und laufen gegen eine Mauer des Schweigens. „Früher oder später müssen Sie sich ja doch damit abfinden, dass alle Ihre Nachforschungen nichts ergeben, weil es nichts zu finden gibt.“ (S. 355) Der Professor liegt seit Jahren im Sterben, seine näheren Verwandten wollen von nichts wissen und sein Butler wacht eifersüchtig über ihn und seine Besucher. Erst Harrys altes Kindermädchen bringt sie auf eine neue Spur. Was wäre, wenn doch Harry und nicht der Pavee ermordet werden sollte?

„Ich war… ein Niemand! Ich war ein Nichts! Ich war nur eine Haushälterin, die dort gearbeitet hat …“ (S. 125) Hedy war bei ihrer Verhaftung eine blasse, unscheinbare junge Frau, die sich vor ihrer Umwelt zu verstecken schien und auf ihrer Unschuld beharrte. Daran haben die vielen Jahre in Haft nichts geändert. Sie ist seltsam emotionslos, wenn es nicht gerade um den Mord geht.
Lockyer hat in seiner Jugend einen schlimmen Verlust erlitten, an dem er sich die Schuld gibt über den er nicht hinwegkommen. Er ist voller Selbstzweifel und hat Schlafstörungen, streift nachts durch die düstere Landschaft. Außerdem hat er sich ein altes, extrem renovierungsbedürftiges Häuschen gekauft und wohnt unter einem undichten Dach zwischen zerfetzten Tapeten – ich wäre da längst schreiend rausgerannt.

Ich bin ehrlich, ich habe mich mit dem Buch zu Beginn etwas schwer getan. Alles wirkt alles grau und trostlos, der alte Fall, das Anwesen des Professors, die Menschen, die Umgebung.
Außerdem braucht die Handlung, bis sie endlich Fahrt aufnimmt, aber dann wird es extrem spannend. Plötzlich gibt es mehrere Verdächtige und Motive, und immer sind sich Lockyer und Broad (und ich) sicher, dass der- bzw. diejenige es jetzt aber wirklich war – und liegen wieder falsch. Dazu kommen Lockyers Gefühle für Hedy. Sie fühlten sich damals einander nahe, sind bzw. waren in ihrer Verletzlichkeit und Einsamkeit verwandte Seelen.

„Der Tote von Wiltshire“ war mein erstes, aber garantiert nicht letztes Buch von Katherine Webb. Die düstere Stimmung und der leicht abgehalfterte Lockyer passten gut zusammen und gefielen mir sehr, und die Auflösung ist ein echter Hammer. Außerdem macht das leicht gruselige Ende neugierig auf die Fortsetzung.

Bewertung vom 13.01.2023
The Man I Never Met - Kann man lieben, ohne sich zu kennen?
Cook, Elle

The Man I Never Met - Kann man lieben, ohne sich zu kennen?


ausgezeichnet

Das Leben geht doch weiter, oder?

„Ich habe auf einen Mann gewartet, dem ich nie begegnet war und der nie ankam.“ (S. 385) Alles hat mit einem Zahlendreher angefangen. Statt seines zukünftigen Arbeitgebers hatte Davey aus Texas Hannah in London am Telefon. Ein paar Wochen lang schreiben, telefonieren und videochatten sie. Mit jedem Gespräch kommen sie sich näher, freuen sich immer mehr aufeinander und sind dabei, sich ineinander zu verlieben. „Mit einem Mann, dem ich nie begegnet bin, Luftschlösser zu bauen und große Pläne zu schmieden ist bestimmt ein bisschen albern, und dennoch denke ich unentwegt darüber nach.“ (S. 90) Und dann steht sie am Flughafen, um ihn abzuholen, doch er sitzt nicht im Flieger und sein Telefon ist ausgeschaltet.

„The Man I Never Met” hat mich echt überrascht. Was als leichte, zauberhafte Liebesgeschichte beginnt, geht bald so viel tiefer.
Bei ihren bisherigen Beziehungen hat Hannah und Davey immer irgendwas gefehlt. Aber jetzt passt es. Ohne, dass sie sich je gegenübergestanden oder gar in den Arm genommen haben, schmieden sie Pläne für eine gemeinsame Zukunft. Doch die endet abrupt, bevor sie beginnen kann. Davey zieht sich komplett zurück und verbittet sich jeden weiteren Kontakt. Hannah soll ihr Leben ohne ihn planen. Aber wie kann sie sich einem neuen Mann öffnen, wenn sie immer nur an Davey denkt?!

Hannah geht oft den Weg des geringsten Widerstandes und gibt nach, lässt anderen ihren Willen, weil sie harmoniebedürftig ist. Dadurch nimmt sie aber auch hin, dass sie sich demjenigen unterordnet und die Führung über ihr Leben überlässt – sei es ihr Chef oder Partner. Darum respektiert sie auch Daveys Wunsch, sich nicht mehr bei ihm zu melden, aber vergessen kann sie ihn nicht.

Mir gefällt, dass Hannah nicht in einer Blase lebt. Das Leben geht weiter, auch wenn ihr großer Traum gerade den Bach runtergeht. Ihre beste Freundin lebt in einer tollen Beziehung und ihre 70jährige Nachbarin findet noch mal die große Liebe.
Elle Cook schildert ihre Protagonisten und deren Erlebnisse sehr warmherzig und humorvoll. Hannahs Nachbarin ist herrlich schräg und man freut sich mit ihr über ihren Neubeginn.

Mir gefällt das Buch auch deshalb so gut, weil ich mich und meinen Mann in Hannah und Davey wiedererkannt habe. Unsere Beziehung hat ganz ähnlich angefangen, aus einem lockeren Telefonat wurden stundenlange Anrufe. Außerdem war ich in fast der gleichen Situation wie Davey und wollte eigentlich niemanden an mich binden, weil ich nicht wusste, wie es mit mir weitergehen würde. (Ich bleibe hier so kryptisch, um den Grund von Daveys Abtauchens nicht zu verraten.)
Ich konnte mich beim Lesen also in beide Seiten hineinversetzen, Hannahs Unverständnis für den Kontaktabbruch und Daveys falsch verstandene Rücksichtnahme. Mir hat gefallen, dass Elle Cook zwischendurch immer mal die Perspektive gewechselt hat und Davey die Situation aus seiner Sicht schildern konnte. Und ich mochte die Leichtigkeit, mit der sie sich seinem schweren Thema genähert hat, ohne irgendwas zu beschönigen. Man merkt den Stellen an, dass sie da aus eigener Erfahrung schreibt.

5 Sterne für diese zauberhafte vielleicht-Liebesgeschichte mit einem berührenden Hintergrund, die endet, bevor sie richtig beginnen kann …

Bewertung vom 07.01.2023
Not exactly love. Wer braucht schon ein Happy End?
Brook, Kate

Not exactly love. Wer braucht schon ein Happy End?


gut

Dating und Familie

„Können wir ausmachen, dass es zwischen uns nicht … peinlich wird?“ (S. 8) fragt Alfie Hazel, nachdem sie in seinem Zimmer Sex hatten. Darüber hätten sie vielleicht besser vorher reden sollen, denn sie wohnen in einer WG. Bisher war ihr Zusammenleben völlig unkompliziert. Sie konnten nächtelang über alles reden, jetzt tanzend sie schweigend umeinander herum, denn eigentlich mögen sie den jeweils andern, denken aber, für sie bzw. ihn war es nur ein One-Night-Stand. Und bevor sie die Sache klären können, stehen Hazels Schwester Emily und ihre Frau Daria vor der Tür. Die beiden ziehen gerade aus Australien zurück in die Nähe von London und suchen einen Samenspender.

Die Leseprobe von „Not exactly love” war locker und humorvoll, der Klappentext versprach einen cleveren „… Roman darüber, was Liebe und Familie heute bedeuten.“ Aber so ganz konnte mich das Buch leider nicht überzeugen, obwohl mir die Grundidee sehr gut gefallen hat.
Hazel und Alfi sind typische Mitzwanziger, die in winzigen Zimmern in einer Londoner WG wohnen und auf der Suche nach der großen Liebe und in Hazels Fall auch nach dem Durchbruch sind. Sie ist freiberufliche Illustratorin und erreicht mit ihren Comics, in denen sie von ihrem Leben und ihren Dating-Erfahrungen als weiße Frau erzählt, viele Clicks und Follwer auf Instagram, aber leben kann sie davon nicht. Also jobbt sie in einem Café. Alfie ist Grundschullehrer und ziemlich bodenständig. Nach ihrer gemeinsamen Nacht und ein paar amüsanten Verwicklungen könnte es also zum Happy End kommen, aber dann kommt ihnen das Leben dazwischen. Plötzlich dreht sich alles um Emily und Daria und ihren Kinderwunsch. Ein Samenspender muss gefunden werden, die Befruchtung muss klappen etc.

Das sind schon viele, zum Teil sehr berührende und nachvollziehbare Themen, aber Kate Brook wollte anscheinend alle wichtigen Probleme unserer Zeit unterbringen. Also werden u.a. auch Veganismus, Umweltschutz, CO2 Ausstoß, diverse Phobien, Krankheiten, Familiendramen, Tinderdates, Cybermobbing und Corona behandelt. Das war mir einfach zu überfrachtet und auch das Ende fand ich etwas unrund. Vielleicht gehöre ich mit deutlich über 20 aber auch nicht mehr zur Zielgruppe, also lasst Euch bitte nicht von mir abschrecken.