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Xirxe
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Hannover
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Insgesamt 876 Bewertungen
Bewertung vom 13.09.2018
Roßbacher, Verena

Ich war Diener im Hause Hobbs


ausgezeichnet

Vorweg: Auch wenn in den ersten zwei Zeilen dieses Buches steht: 'Dies ist eine einfache Geschichte.' - das ist es ganz sicherlich nicht. Vielleicht noch die Grundform: Ein nicht mehr ganz junger, aber auch nicht zu alter Mann erzählt, wie er zu dem wurde, der er jetzt ist. Der sich schuldig fühlt und mit diesem Bericht den Versuch unternimmt, seine Frage nach der Schuld zu klären.
Christian, der Protagonist, tritt seine erste Stelle als Butler bei einer Familie in Zürich an, die sich mit ihm und er sich mit ihr sehr wohl fühlt. Dies ändert sich, als seine Arbeitgeberin Freunde von Christian kennenlernt und sich sein Privatleben wie auch sein Beruf zu überschneiden beginnen. Ein Drama nimmt seinen Lauf.
Die Geschichte an sich ist gut bis zur Hälfte vergleichsweise unspektakulär; es ist die Beschreibung von Christians Leben mit der Familie Hobbs sowie die Zeit davor in seinem Heimatort Feldkirch mit den engsten drei Freunden Olli, Isi und Gösch. Es ist der Schreibstil der Autorin, der diesen bis dahin eher harmlosen Bericht zu etwas Besonderem macht. Verena Rossbacher lässt ihren Protagonisten in einer unglaublich exakten wie auch bildhaften Sprache alltägliche Szenen erzählen, die dadurch zu etwas Außergewöhnlichem werden: "Herr Hobbs hatte sein Jackett abgelegt, weich und wie eine fläzende, grau gemusterte Katze lungerte es auf dem großen Sessel im Erker, ..., und die Schuhe, scheinbar nachlässig von den Füssen gestreift, lagen tändelnd neben Frau Hobbs' glitzernden, eleganten Stilettos ..." Daneben gibt es wunderbare Exkurse der unterschiedlichsten Art, wie beispielsweise zu Schuld oder zu Pflichten an sich im Alltag (grandios!). Die Szenarien wechseln rasch zwischen Gegenwart und Vergangenheit und man muss mit Konzentration bei der Lektüre bleiben, um nicht den roten Faden zu verlieren.
Ab der zweiten Hälfte folgt jedoch eine Überraschung der nächsten, nichts ist mehr zu spüren von der Gleichförmigkeit, die bis dahin den Text bestimmte. Glaubt man als Lesende mehr oder weniger zu wissen, was geschah, wird allerdings die Verblüffung von Seite zu Seite zu größer. Und erst jetzt stellt man fest, wie raffiniert diese mehr als 370 Seiten miteinander verbunden sind. Denn bereits zu Beginn gibt es die ersten Andeutungen auf das, was sich erst am Ende herausstellt. Es lohnt sich, nach Beendigung der Lektüre noch einmal nach vorne zu blättern, um einzelne Passagen nochmals zu lesen.
Eine grandiose, anspruchsvolle Unterhaltung, hinter der mehr steckt als man auf den ersten Blick erkennt.

Bewertung vom 09.09.2018
Raab, Thomas

Walter muss weg / Frau Huber ermittelt Bd.1


ausgezeichnet

Endlich Witwe! Nach 53 unglücklichen Ehejahren kann Frau Huber der Zukunft endlich mit Freuden entgegenblicken - mehr oder weniger. Denn die Beerdigung ihres Ehemannes Walter läuft völlig aus dem Ruder, als der Sarg fällt und bricht und statt Walter der tote Bestatter Albin herausfällt. Walter wird doch nicht ... Frau Huber lässt all dies keine Ruhe und so beginnt sie mit ihren Nachforschungen.
Fast die gesamten 370 Seiten erzählen den Verlauf eines Tages, an dem jedoch so viel geschieht, dass woanders zwei Wochen dafür nicht ausreichen dürften. Jede Menge Leichen, die jeweils dort auftauchen, wo sie nicht hingehören: In falschen Gräbern, im Moor, im Obstgarten; Verfolgungsjagden, obskure Gestalten - und zwischendrin immer wieder Frau Huber. In Glaubenthal, dem Ort dieses Geschehens, scheint es drunter und drüber zu gehen.
Es grenzt fast schon ans Slapstickhafte, wenn Leichenwagen durch die Luft fliegen und ihre Fracht ans Freie befördern, Men-in-Black-artige Gestalten rote Rosen in Gräber werfen oder Frau Huber mit Wolf durch den Wald rennt. Doch es ist nicht nur die Handlung allein, die das Besondere dieser neuen Krimireihe ausmachen: Thomas Raab, der Autor, ist ein Sprachkünstler sondergleichen, der mit Worten spielt und jongliert, dass einem beinahe schwindlig wird. Mit einem unglaublichen Gespür für Doppel- und Vieldeutigkeiten der Sprache entstehen Sätze, die fast schon kunstvoll wirken: "An jenen wenige Körperteilen, die da aus dem Schlamm ragen, dem rechten nackten Knie, rechtem Arm, einem Teil des an der Schläfe aufgeschlagenen Gesichtes, hat allerlei Getier begonnen, nicht nur am Zahn der Zeit nagen zu wollen." Und auch nicht an Gesellschaftskritik sparen: "Öxit, Dexit, Fraxit, Ixit, Grexit, Poxit, weiß der Teufel, damit sich irgendwann in diesem Jahrhundert die Menschen wenigstens wieder in Kleinkriegen ordentlich zerfleischen können, wenn sie schon kein drittes weltweites Gemetzel zusammenbringen!".
Ein klasse Auftakt zu einer neuen Krimireihe um Frau Huber, von der ich gerne mehr lesen möchte!

Bewertung vom 09.09.2018
Lehane, Dennis

Der Abgrund in dir


ausgezeichnet

Sollte man dieses Buch in ein Genre einordnen, wird es schwierig. Denn auf diesen mehr als 500 Seiten findet sich so gut wie alles: Familiengeschichte, die mehr einem Drama ähnelt; eine Liebesgeschichte, die zu schön ist um wahr zu sein; und nicht zuletzt ein Thriller, der sich bereits auf den ersten Seiten des Buches ankündigt, denn Rachel, die Hauptfigur und Icherzählerin, erschießt ihren geliebten Mann.
Nach diesem furiosen Auftakt berichtet Rachel, wie es soweit kommen konnte: über ihre Kindheit mit einer (vermutlich) neurotischen Mutter und die Suche nach ihrem Vater; ihre Karriere als Journalistin und der bodenlose Absturz; ihre erste, glücklose Ehe. Doch dann trifft Rachel Brian, den sie Jahre zuvor kennengelernt hat und mit dem sie sehr lose per Mail in Kontakt geblieben ist. Er wird die Liebe ihres Lebens und ihr Glück scheint perfekt, als gewisse Unstimmigkeiten in ihrem gemeinsamen Leben auftauchen und schlussendlich zu Brians Erschießung führen.
Für viele AutorInnen wäre hier vermutlich das Ende schon erreicht (immerhin Seite 338 und auch bis dahin bereits eine klasse Unterhaltung), aber bei Dennis Lehane beginnt nun erst der dritte (Thriller)Teil, der mindestens ebenso viele Überraschungen zu bieten hat wie die ersten beiden.
Dieses Buch hat nicht nur eine spannende und äußerst wendungsreiche Geschichte zu bieten, sondern vermittelt zudem sehr überzeugend die Verfasstheit der Protagonistin. Wie sie über einen Parkplatz geht und überall erwartet, von Kugeln niedergestreckt zu werden - das lässt sich kaum besser schildern. Die Panikattacken, die sie in den unpassendsten Momenten überfallen - ich musste während des Lesens tief ein- und ausatmen, um sicher zu gehen, genügend Luft zu bekommen. Kein Wunder, denn Lehane, der als therapeutischer Berater geistig Behinderte und sexuell missbrauchte Kinder betreute, kennt solche Empfindungen wohl sehr genau.
Ein rundum gelungenes Buch, bei dem kleine Unstimmigkeiten (weshalb wundern sich die Gangster nicht, dass Rachel alleine ist?) nicht weiter ins Gewicht fallen.

Bewertung vom 09.09.2018
Kellerhoff, Lutz W.

Die Tote im Wannsee / Kommissar Wolf Heller Bd.1


ausgezeichnet

Heller, 32jähriger Kommissar der Berliner Mordkommission, ermittelt im Jahre 1968 in einem Mordfall einer jungen Frau. Eigentlich eher Routine, doch von allen Seiten werden ihm bei den Ermittlungen Steine in den Weg gelegt, bis er sogar von dem Fall abgezogen wird. Doch Heller gibt nicht auf: Irgendetwas ist hier faul, oberfaul.
All dies geschieht vor dem Hintergrund der studentischen Unruhen, die die Autoren gekonnt mit dem Kriminalfall verknüpfen. Auch die Schilderung der gesellschaftlichen Verhältnisse ebenso wie die damaligen Arbeitsbedingungen der Berliner Mordkommission wirken glaubwürdig und authentisch, wenn auch kaum vorstellbar. Ermittlungen ohne Handy und DNA-Spuren? Unglaublich ;-)
Die Hauptfigur Heller ist erfreulicherweise im Vergleich zu vielen anderen KrimikollegInnen erstaunlich bodenständig und erfreut sich bester Gesundheit - keinerlei Alkohol- oder Drogenprobleme ;-) Doch er ist ausreichend komplex angelegt, um auch über sein Arbeitsgebiet hinauszudenken, was Raum für zusätzliche Spannungselemente offen lässt.
Wolf Heller als ermittelnder Kommissar gibt hier ein überzeugendes Debüt mit jeder Menge Potential für weitere Folgen. Ich würde mich freuen!

Bewertung vom 25.08.2018
Harper, Jane

Ins Dunkel


gut

Wer einen packenden Thriller lesen möchte, ist bei dem zweiten Band dieser Reihe definitiv falsch. Spannung baut sich hier nur langsam auf, und das große Bibbern wird man beim Lesen vermutlich auch nicht bekommen ;-)
Einige MitarbeiterInnen eines großen Finanzunternehmens machen, getrennt nach Geschlecht, eine Wochenendwanderung in einem riesigen Waldgebiet. Zum vereinbarten Treffpunkt am Ende trifft die Frauengruppe schwer mitgenommen mit deutlicher Verspätung ein - doch eine Teilnehmerin fehlt. Sofort werden aufwändige Suchmaßnahmen eingeleitet, auch vor dem Hintergrund, dass ausgerechnet diese Frau die Informantin der Steuerfahndung ist, die kurz davor steht, dem Unternehmen umfangreiche Geldwäscheaktivitäten nachweisen zu können.
SteuerfahnderInnen als Hauptfiguren in einem Thriller? Mutet erst einmal etwas seltsam an, doch auch dieses Thema kann vermutlich sehr spannend sein. In diesem Buch jedoch spielen Carmen und Aaron, beide bei der Steuerfahndung, eher schon eine Nebenrolle. In zwei sich abwechselnden Erzählsträngen wird zum einen über die Suche nach der vermissten Alice berichtet, was zumindest zu Beginn eher etwas langatmig daherkommt. Was soll man auch schon groß über eine Suchaktion berichten? Im Gegensatz dazu rollt der zweite Teil das Geschehen von hinten auf: der Aufbruch der Frauengruppe, die ersten Reibereien untereinander usw.. Diesen Part fand ich deutlich interessanter und auch spannender, denn es knirschte an allen Ecken und Ecken und ich fragte mich, wann und zwischen wem es zum großen Knall kommt.
Die Autorin legt zudem eine ganze Reihe möglicher Spuren zu eventuellen TäterInnen, von denen sich zumindest manche etwas allzu beliebig in Luft auflösen. Von den Beteiligten hat in gewisser Weise wirklich beinahe jede/r irgendwie Dreck am Stecken, aber bedauerlicherweise wird dies, ebenso wie viele der Konflikte, nur oberflächlich dargestellt. Schade, denn ich glaube, etwas mehr Tiefe hätte der Geschichte gut getan.
So bleibt es bei einer netten, mal mehr, mal weniger spannenden Unterhaltung, die in den tiefen Wäldern Australiens spielt.

Bewertung vom 25.08.2018
Lucadou, Julia von

Die Hochhausspringerin


ausgezeichnet

Julia von Lucadou entwirft in ihrem ersten Roman eine Welt, in der Alles und Jedes dem ökonomischen Prinzip unterworfen ist, ganz im Sinne der herrschenden Unternehmen. Die Menschen verpflichten sich (scheinbar freiwillig!), ihr Dasein in Gänze den Unternehmen zu widmen, mit denen sie einen Vertrag schließen. Dazu stehen sie unter permanenter Überwachung, ob sie auch alles dafür tun, gesund und leistungsfähig zu bleiben. Also Sport, Entspannung, gesundes Essen usw. Verstöße werden umgehend in Form von Vermerken und medizinischen Pflichtterminen geahndet, schlimmstenfalls erfolgt eine Degradierung. Da sich selbst die 'Aufzucht' der Menschen nach ökonomischen Kriterien richtet (Brutmaschinen, Internate - natürliche Familien vermindern die Leistungsfähigkeit durch Schwangerschaft, Pflege der Kinder usw.), vermissen die Leistungsträger jedoch nichts und genießen ihre scheinbaren Privilegien wie saubere Umgebung, schöne Wohnung, Ausstattung usw., leben jedoch ständig unter Druck, nicht mehr zu genügen und vielleicht absteigen zu müssen; in die Peripherien, wo die Unterschicht lebt.
Riva ist eine dieser Leistungsträgerinnen und scheint alles zu haben, wovon der Rest nur träumt. Doch eines Tages verweigert sie ohne Angaben von Gründen ihre Arbeit, das Hochhausspringen. Hitomi, eine junge, karriereorientierte Psychologin, soll Riva wieder motivieren, doch das gestaltet sich wesentlich komplizierter als erwartet. Statt Verbesserungen bei ihrer Patientin zu erreichen, geht es Hitomi immer schlechter, je mehr sie sich mit diesem Fall befasst.
Es ist eine grauenvolle Welt, die hier entworfen wird, ohne Gefühle und soziale Bindungen, denn diese haben keinen ökonomischen Nutzen. Doch sind wir tatsächlich noch so weit davon entfernt? Riva erinnert mit ihrer ständigen Verfügbarkeit auf sämtlichen Mediakanälen, sehr manchen (Pseudo-)Celebrities, die rund um die Uhr online zu sein scheinen. Und die permanente gesundheitliche Überwachung unter dem Deckmantel einer mütterlichen/väterlichen Fürsorge (Ich meine es doch nur gut mit Dir - damit Du ganz schnell auch wieder ganz viel arbeiten kannst) existiert doch heute bereits, wenn auch (noch) nicht in dieser übertriebenen Form. Noch erfolgt die Bekanntgabe der eigenen Leistungs- und Gesundheitsdaten freiwillig; man muss sich nur in den diversen Sportforen umschauen. Doch schon längst sind sie auch zu Kriterien bei der Beurteilung potentieller BewerberInnen geworden.
Julia von Lucadous Buch ist ein Warnsignal vor einer Zukunft, deren erste Anzeichen sich bereits bei uns entdecken lassen. Wehret den Anfängen!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.08.2018
Gardam, Jane

Weit weg von Verona


ausgezeichnet

Bücher liest man ja mit den unterschiedlichsten Erwartungen. Sie sollen einem Gefühle vermitteln, Spannung, Lehrreiches und/oder schlicht die Zeit vertreiben. Dieses Buch entspricht wohl mehr dem Letzteren, wobei es jedoch unfair wäre, es als 'bloße' Unterhaltungsliteratur abzutun, denn dafür ist es viel zu schön geschrieben. Vielleicht ist es eher ein Jugendbuch, denn eine 13jährige erzählt hier von ihrem Leben in England während des II. Weltkrieges. Und das so unglaublich schnodderig und altklug, wie 13jährige halt mal so sind - offenbar nicht allzu viel anders als heutzutage.
Die 13jährige Jessica lebt mit ihren eher unkonventionellen Eltern in einem kleinen Ort an der Küste, wo sie ein Leben führt wie vermutlich viele andere 13jährige auch. Doch sie ist anders als die meisten ihrer gleichaltrigen Schulkameradinnen. Zum einen weiß sie stets, wann jemand lügt, zum andern muss sie immer die Wahrheit sagen - nicht unbedingt zur Freude aller Anwesenden. Doch das stört Jessica nicht, denn sie hat eine unglaubliche Abneigung gegen jede Form der Anpassung. Eine ungemein sympathische 'Heldin' - unerschrocken und neugierig, die selbst in den brenzligsten Situationen (wie beispielsweise einem Bombenangriff) nicht den Kopf verliert.
Jane Gardam trifft den Ton dieses jungen Mädchens so überzeugend, dass ich keine Minute daran zweifelte, ihr persönlich zuzuhören. Wunderbar zu lesen, auch wenn es keine großartigen Höhepunkte gibt, wie Manche bemängeln. Einfach eine schöne Geschichte!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.08.2018
Fitzharris, Lindsey

Der Horror der frühen Medizin


sehr gut

Wer sich gelegentlich vorstellt, ob es nicht schön gewesen wäre, im 19. Jahrhundert gelebt zu haben, in der Zeit der großen Erfindungen und Neuerungen, die oder der sollte sich dieses Buch zu Gemüte führen. Ich vermute jedoch, Gedanken dieser Art werden nach dem Lesen keine Chance mehr haben ;-)
Die Autorin Lindsey Fitzharris wirft ein helles Licht auf diese dunklen Zeiten, in denen die Elektrizität noch in den Kinderschuhen steckte. Im Mittelpunkt steht Joseph Lister, der Sohn einer Quäkerfamilie, der Chirurg wurde und sich sein gesamtes Leben der Frage widmete, wie die hohe Sterberate in den britischen Krankenhäusern verringert werden könnte. Voller Hingabe und Leidenschaft beschäftigte er sich neben seinem eigentlichen Beruf, der Chirurgie, mit den wissenschaftlichen Untersuchungen, wie Infektionen nach Operationen entstehen und wie sie verhindert werden können. Mit seinem Können und seiner Überzeugungskraft gelang es ihm, nach und nach in vielen Ländern seine antiseptischen Methoden zu etablieren.
Doch dieses Buch ist keine reine Biographie, auch wenn der Umschlagtext sowie mein oben Geschriebenes dies suggerieren mögen. Denn sicherlich die Hälfte der 240 Seiten ist den Schilderungen der damaligen medizinischen Verhältnisse gewidmet. Dass es nicht schön war, ahnte ich schon vor dem Lesen - gewissen Historienfilmen sei Dank. Aber dass es sooo entsetzlich zuging! Fitzharris breitet einzelne Fälle derart präzise aus, dass ich fast das Gefühl hatte, ihre Freude am Detail zu spüren ;-) Nun gut, sie ist Medizinhistorikerin - also kein Wunder. Aber auch ihre Beschreibungen der Lebensverhältnisse der Bevölkerung ließen mich beim Lesen heftig schlucken; und bei der Darstellung damaliger Operationen habe ich zwischendurch gelegentlich eine Pause eingelegt.
Ob Lindsey Fitzharris eine gute Autorin ist, wage ich nicht zu beurteilen, denn dieses Buch ist eher eine Fleißarbeit. 23 Seiten weist der Anhang auf, äußerst kleingeschrieben, der in normaler Schriftgröße sicherlich den doppelten Platz eingenommen hätte. Es müssen Unmengen an Literatur gelesen worden sein, wovon die unzähligen Zitate im Buch zeugen.
Alles in allem eine unterhaltsam zusammengefasste Beschreibung einer Zeit und eines Mannes, der dem Überleben vieler Menschen (auch heute noch) einen großen Dienst erwiesen hat und zu Unrecht fast vergessen wurde. Zumindest bei uns. Dabei erinnert uns Listerine jeden Tag an ihn ;-)

Bewertung vom 10.08.2018
Georgi, André

Die letzte Terroristin


ausgezeichnet

Zwanzig Jahre ist es her, dass die Rote Armee Fraktion (RAF) ihre Selbstauflösung verkündet hat. Doch bis heute sind nur wenige Täter und Täterinnen der Dritten Generation von 1985 bis 1993 bekannt und verhaftet worden. Viele der Morde und Attentate dieser damaligen Zeit sind noch immer unaufgeklärt und lassen somit viel Raum für Theorien jeglicher Art.
Auch André Georgi nutzt diesen Freiraum und stellt eine fiktive Terroristin in den Mittelpunkt seines neuen Thrillers, während viele der weiteren handelnden Figuren deutlich realen Personen zuzuordnen sind. Schnell lassen sich die im Buch beschriebenen Attentate den ermordeten Managern Alfred Herrhausen und Detlev Karsten Rohwedder zuordnen; zwei der Terroristen stellen mit großer Wahrscheinlichkeit Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams dar. Georgi hält sich bei den Beschreibungen der Tatabläufe eng an die bekanntgegebenen Ereignisse, wohingegen sich die im Hintergrund ablaufenden Geschehnisse vermutlich an dem Buch 'Das RAF-Phantom' von Gerhard Wisnewski, Wolfgang Landgraeber und Ekkehard Sieker orientieren.
Gekonnt verbindet er diese beiden Ebenen zu einem bis ans Ende spannenden Thriller, der eine Enthüllung anbietet, die unglaublich klingt, aber auf den zweiten Blick vielleicht doch überhaupt nicht so abwegig scheint. Hinzu kommt ein für ein solches Genre ungewöhnlicher Schreibstil: Manche der Sätze tropfen geradezu vor Ironie, Sarkasmus und teilweise sogar ein bisschen Bösartigkeit, dass es eine wahre Freude ist ;-) Dass sie dabei gelegentlich etwas ausufern und ein wenig zu komplex geraten - geschenkt. Ein packendes Leseerlebnis!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.07.2018
Seethaler, Robert

Das Feld


gut

Die Geschichten der Toten des Feldes, des Friedhofes des kleinen Städtchens, sind wie ein Palimpsest. Denn die neuen Toten werden auf den alten begraben ('Man rutscht ab mit der Zeit', S. 99) und erzählen dann ihre Geschichten - und damit so ganz nebenbei auch die Geschichte ihrer Stadt. Sie handeln von den Dramen des Lebens wie auch vom kleinen Glück, das für die Einzelnen nicht selten das große ist. Liebe, Tod, Glück und Tragik liegen nah beieinander, nicht selten auch im selben Haus. Manche stellen sich ihren Lebenslügen, andere halten selbst im Tod noch daran fest - wie die Menschen eben sind. Schön ist die Verbundenheit einiger Figuren, die bei manchen enger (beispielsweise als Paar), bei anderen nur lose besteht. Auf diese Weise erlebt man beim Lesen immer wieder eine unterschiedliche Sicht auf dasselbe Geschehen, was immer wieder faszinierend ist.
Es ist ein Buch, das unglaublich die Phantasie anregt, denn Vieles wird nur angedeutet. Jedoch stets in einem Maße, das ausreicht, um eine Vorstellung zu vermitteln und schon beginnen die eigenen Gedanken eigene Wege zu gehen. Der Postbote - welches Drama spielt sich bei ihm daheim ab? Mit wem sitzt die Witwe auf der Terrasse? Was war Buxters letzte Tat? Es gibt mehr Fragen als Antworten, aber das macht auch den Reiz dieses Buches aus.
Doch mit einer Sache haderte ich: Der Tonfall war für alle Toten annähernd gleich. Ob ein Kind oder eine alte Frau erzählen - die Unterschiede sind marginal und fallen kaum ins Gewicht. So wird es schwer, die einzelnen Stimmen als Person im Gedächtnis zu behalten, es sind die Geschichten, die sich einem einprägen müssen.
Dennoch eine schöne Lektüre mit viel Raum für die eigene Phantasie.