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solveig

Bewertungen

Insgesamt 471 Bewertungen
Bewertung vom 23.02.2017
Betrunkene Bäume
Dorian, Ada

Betrunkene Bäume


sehr gut

Symbolreich

Die Rahmengeschichte ist einfach: der über 80jährige Rentner Erich wehrt sich gegen den Plan seiner Tochter Irina, ihn in einem Altersheim unterzubringen. Da er zunehmend Mühe hat, seinen Alltag selbst zu regeln, kommt ihm die Idee, sich von seiner neuen Wohnungsnachbarin Katharina helfen zu lassen. Und hier treffen nun zwei parallele Geschichten aufeinander, zwei völlig unterschiedlichen Menschen, denen nur ihre zunehmende Isolation gemeinsam ist und der Wunsch, einem geliebten Menschen nach Sibirien zu folgen. Integriert und verwoben mit dem Rahmen sind Erichs Erinnerungen und Träume, die weit in seine Vergangenheit zurück führen und den Leser spüren lassen, dass Ada Dorian selbst osteuropäische Wurzeln hat.
In ihrem ansprechenden Stil und präziser Sprache erzählt die junge Autorin, wie Erich und Katharina versuchen, ihr Leben zu meistern. Sehr bildhaft schildert sie den Alltag des Rentners, der seinen Lebensinhalt, die Forschung, nicht völlig aufgeben und sich zurückziehen will, und seine Begegnung mit der 17jährigen Katharina, die im Begriff ist, aus Trotz und Kummer über den Weggang ihres Vaters und seine Arbeit im fernen Sibirien ihr altes, geregeltes Leben hinter sich zu lassen. Sie scheint wie einer der „betrunkenen Bäume“zu sein, von denen Erich ihr aus seiner Forschung berichtet: ein Baum, dessen Wurzeln den sicheren Halt im (Permafrost-)Boden verliert, dadurch seine Wuchsrichtung ändert und in Schieflage gerät. Doch ist der Titel, den Ada Dorian ihrem Debütroman gegeben hat, auch auf andere Charaktere ihres Buches anwendbar; denn Erich hat ein Geheimnis…

Bewertung vom 23.02.2017
Der Widerspruch
Günther, Herbert

Der Widerspruch


sehr gut

Widerspruch und Demokratie


„Man muss das als gegeben hinnehmen: Demokratie ist nie bequem.“ So formulierte es einmal Theodor Heuss (1884 – 1963), und diese Erfahrung machen auch vier Schüler, die kurz vor ihrem Realschulabschluss stehen, in Herbert Günthers Jugendroman „Der Widerspruch“.
Aus wechselnden Perspektiven erzählt der Autor hier vom familiären und schulischen Alltag der Teenager Reni, Britta, Robert und Jonas, wie sie ihn im Jahr 1963 erleben. Kurze Meldungen, die „Zeitungssplitter“, geben einen informativen Überblick über die Ereignisse dieses Jahres. In den Köpfen vieler Menschen ist das Gedankengut der vergangenen Diktatur noch vorhanden. Obwohl Krieg und Drittes Reich seit bereits 18 Jahren „Geschichte“ sind, gibt es auch in der jungen Demokratie immer noch zahlreiche Leute mit brauner Vergangenheit, die an exponierten Stellen sitzen und den Ton angeben: eigentlich schon ein Widerspruch in sich.
So haben die vier Realschüler neben der Auseinandersetzung in und mit dem Elternhaus auch Probleme mit einigen Lehrern, vor allem mit dem Schulleiter, der die unabhängige Berichterstattung der Schülerzeitung gefährdet. Britta hat als einzige den Mut, dem Direktor zu widersprechen und muss die Konsequenzen tragen. Ihre Schulkameraden Robert, Jonas und Reni, ebenfalls als „renitent“ eingestuft, geraten gar in Konflikt mit der Polizei. Und auch Lembek, der ermittelnde Kommissar, sitzt in der Zwickmühle und muss sich zwischen Gehorsam und Gewissen entscheiden: Hat er den Mut zum Widerspruch?
Unterhaltsam aufbereitet und gut nachvollziehbar regt der Roman jugendliche Leser an, sich intensiver mit dem stets aktuellen Thema Zivilcourage auseinanderzusetzen. Die Botschaft des Buches ist deutlich: selbständiges Denken und (wenn nötig) der Mut zum Widerspruch sind wesentliche Elemente, ohne die eine Demokratie nicht funktionieren kann.

Bewertung vom 21.02.2017
Preußens erste Königin
Drachenberg, Margarete

Preußens erste Königin


sehr gut

Lebensbild einer klugen Frau

„Die Prinzessin von Hannover ist eine sehr liebenswürdige Person. Ihre Taille ist mäßig. Sie hat den schönsten Hals und die schönste Haut, die man sich denken kann, große, sanfte, blaue Augen, eine wunderbare Menge schwarzer Haare, Augenbrauen, als wären sie mit dem Zirkel gezogen, eine gut proportionierte Nase, einen rosigen Mund, sehr schöne Zähne und einen lebendigen Teint. Ihr Gesicht ist weder oval noch rund, sondern hält sich dazwischen. Was den Geist angeht, ist sie sehr begabt und von sehr teilnehmender Einfühlsamkeit. Sie singt gut, spielt Cembalo, tanzt mit viel Würde und weiß, was sehr wenige Menschen auch in fortgeschrittenerem Alter als ihrem wissen.“
So beschreibt die Pariser Zeitschrift „Mercure galant“ Sophie Charlotte, die einzige Tochter von Ernst August, Herzog von Braunschweig und Lüneburg, und Sophie von der Pfalz. Ein schmeichelhaftes Urteil der Zeitgenossen! Entspricht diese Schilderung der Wahrheit? In der kurzweiligen Anekdoten-Sammlung, die Margarete Drachenberg zusammengestellt hat, kann sich der Leser selbst einen Überblick verschaffen. Wie in einer Biografie fügt die Autorin kurze Episoden, Zitate und Briefauszüge zu einem eindrucksvollen Bild der jungen Kurfürstin und späteren ersten preussischen Königin zusammen.
Auf anregende, amüsante Art entwirft sie das Lebensbild einer jungen Frau, die den Spagat zwischen Pflicht und Neigung schafft: Neben ihren Aufgaben als Landesmutter und dem steifen höfischen Zeremoniell in Berlin gelingt es Sophie Charlotte, sich ihren privaten Freiraum zu erhalten und einen Großteil ihrer Zeit ihren intellektuellen und musischen Interessen zu widmen. Zum Ärger ihrer Mutter zieht sie sich nach anfänglichen Versuchen, sich in die Hofpolitik einzumischen, ganz aus dem politischen Geschehen zurück. Im Alter von nur 36 Jahren stirbt sie an einer Lungenentzündung.
Geschickt zusammengestellt und sachlich formuliert, geben die Anekdoten ein umfassendes Lebensbild der Königin wieder. Eine Zeittafel und ein Literaturverzeichnis vervollständigen die Lektüre. Was das Büchlein für mich perfekt gemacht hätte, wäre eine Ahnentafel gewesen, anhand der sich der Leser die Namen der Fürsten und Regenten, die in den Erzählungen vorkommen, vor Augen führen kann. Dennoch: ein lesenswertes, unterhaltsames Buch!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.02.2017
Emma, der Faun und das vergessene Buch
Gläser, Mechthild

Emma, der Faun und das vergessene Buch


sehr gut

Magisches Lesevergnügen

Seltsame Dinge geschehen in dem vornehmen Internat Schloss Stolzenburg. Die 16jährige Emma, frisch aus den Sommerferien zurückgekehrt, scheint nicht ganz unschuldig an den Ereignissen zu sein. Denn beim Aufräumen der alten, vernachlässigten Schlossbibliothek ist sie auf ein verstecktes Buch gestoßen, dessen Geheimnis sie und ihre Freundinnen zu ergründen suchen. Die Nutzung dieser „Chronik“ - das stellen sie recht bald fest - ist zwar aufregend, aber nicht ungefährlich.
Mit ihrem Roman „Emma, der Faun und das vergessene Buch“ ist es Mechthild Gläser gelungen, ein für alle „Kids“ der Altersgruppe der 12- bis 16jährigen gleichermaßen spannendes Buch zu schreiben. In frischem positivem Ton spricht sie mehrere Themen an, die Teenager tagtäglich beschäftigen: Schule, Freundschaft,Verliebtheit und erste Liebe, aber auch der Wunsch, so manches Mal der Wirklichkeit zu entfliehen oder sie verändern zu können. Für die Älteren sind sicherlich die zahlreichen kleinen Hinweise auf Jane Austen und ihre Werke sichtbar.Und auch wenn vielleicht der Großteil der Zielgruppe die Bücher von Jane Austen nicht kennt, bietet Gläser dem jungen Leser einen ebenso spannenden wie humorvollen Lesestoff, der seine Fantasie beflügelt.
Mechthild Gläsers jugendliche, lockere Sprache sorgt für Leichtigkeit und Schwung und verleiht den Charakteren des Romans Authentizität. Die Autorin spielt mit Traum und Fantasie, mischt die Elemente und sorgt damit für ein magisches Lesevergnügen!

Bewertung vom 14.02.2017
Sein blutiges Projekt
Burnet, Graeme Macrae

Sein blutiges Projekt


sehr gut

Gelungener Mix aus Fiktion und Historie


Sommer 1869: in dem kleinen schottischen Ort Culduie ist ein schreckliches Verbrechen geschehen. Der 17 Jahre alte Roderick MaCrae, Sohn eines armen Kleinbauern, gesteht die Tat, einen dreifachen Mord, und lässt sich ohne Gegenwehr festnehmen. Während er in der Haftanstalt auf seinen Prozess wartet, schreibt er auf Wunsch seines Verteidigers eine kurze Monografie, wobei er den Fokus auf die Dinge in seinem Leben legt, die ihn zu den Morden an drei Menschen seines Dorfes geführt haben. In dem Vorwort zu seinem Krimi erklärt der Autor, er sei rein zufällig bei der Ahnenforschung auf die Aufzeichnungen gestoßen, die ihn zu diesem Roman inspiriert haben. Allerdings, so merkt er an, könne niemand die Echtheit der Dokumente garantieren. Und so lässt er den Leser während des ganzen Romans im Ungewissen über die Authentizität des Falles. Neben Rodericks Aufzeichnungen verwendet der Autor Zeugenaussagen von Nachbarn, Gutachten und Prozessakten, die den Fall weiter beleuchten und ihm den Anschein von Wahrheit geben. Sehr geschickt mischt Graeme Fiktion und Wahrheit, indem er einen (konstruierten) Mordfall an einen tatsächlich existierenden Ort platziert und mit historisch belegten gesellschaftlichen Umständen verbindet.
In Roddy MaCraes Aufzeichnungen des ärmlichen, harten Lebens eines Crofters, eines schottischen Kleinbauern, macht der Autor den Leser vertraut mit Roddys Situation, seiner Armut, seinem familiären Umfeld und den Abhängigkeiten, denen er ausgeliefert ist.
Die bitteren Lebensumstände der Hochländer im 19. Jahrhundert und die Anfänge der Kriminalpsychologie bilden das tatsächliche Gerüst des Romans und geben ein ausdrucksstarkes Bild damals verbreiteter Ansichten wieder: „Die Vererbung kann nicht die alleinige Ursache für das Begehen eines Verbrechens sein. Der Gestank der Armenviertel, Hunger und ein allgemeines Milieu von Unmoral müssen als Faktoren miteinbezogen werden.“ (S.216)
In diesem gelungenen Mix aus Fiktion und Wirklichkeit lässt MaCrae Burnet seinen Leser nach den Hintergründen des Mordes forschen. Roddys Aussage liefert eine Erklärung. Gibt es noch weitere mögliche Motive?
Ein ungewöhnlicher, spannender Roman!

Bewertung vom 14.02.2017
Dinge, die vom Himmel fallen
Ahava, Selja

Dinge, die vom Himmel fallen


ausgezeichnet

Gibt es Sicherheit?

Wie einen der Flickenteppiche, die ihre Tante Annu webt, setzt sich die achtjährige Saara die Erinnerung an ihre Mutter zusammen, sorgfältig, Stück für Stück. Aus farbigen Details wird ein Bild, welches das Mädchen niemals vergessen will; denn ihr glückliches Familienleben zu dritt hat abrupt ein Ende genommen, als ihre Mutter Hannele von einem (wortwörtlich aus heiterem Himmel) herabstürzenden Eisbrocken ums Leben kam. Seit diesem ebenso bizarren wie schrecklichen Unglück, das zufällig Hannele traf, lebt Saara mit ihrem Vater bei Tante Annu, wo jeder auf seine Weise versucht, mit dem Verlust fertig zu werden. Auch Annu selbst hat Unglaubliches zu verarbeiten und ist auf der Suche nach Schicksalsgefährten in der ganzen Welt. Zufall? Schicksal?
In ihrem schönen, fast poetischen Stil erzählt Ahava mit großem Einfühlungsvermögen hauptsächlich aus der Sicht des Mädchens Saara die Ereignisse. Sehr bildhaft schildert die Autorin, wie Saara und die Erwachsenen über einen Verlauf von drei Jahren mit dem Verlust der Mutter und des harmonischen Familienlebens umgehen. Das Kind greift dabei häufig Bilder aus bekannten Märchen auf, die für sie Gedanken oder Geschehnisse symbolisieren. Aber Tante Annu, die auf ihre Weise ihr Geschick zu begreifen sucht, kommt ebenfalls zu Wort und auch Krista, die spätere Partnerin Pekkas. Auch ihr Schicksal entspricht nicht dem, was landläufig unter „Normalität“ verstanden wird. Ist es Zufall oder Schicksal, was den Protagonisten widerfährt?
„Und so wie der Himmel und das Meer nicht zuverlässig sind, so ist es auch die Erde nicht…“
So drückt Annu ihre Erkenntnis aus.
Auch, wenn wir überzeugt sind, unser Leben fest im Griff zu haben: wer kann schon sicher sein, dass er nicht von einem unerwarteten Ereignis, und sei es noch so unwahrscheinlich, aus der Bahn geworfen wird? Es gibt keine Garantien. Sämtliche Planungen und Versicherungen für unser Leben - wie sinnvoll sind sie eigentlich? Diese Fragen werden den Leser sicherlich auch nach Beendigung des Romans noch weiter beschäftigen.

Bewertung vom 07.02.2017
Die Mutter des Satans
Beinert, Claudia;Beinert, Nadja

Die Mutter des Satans


sehr gut

Margarethe Luther - ein Lebensbild


Hinter jedem berühmten Menschen, der etwas Besonderes in der Welt geleistet oder bewirkt hat, stehen (oft unbeachtet) andere, die einen erheblichen Verdienst an seinem Erfolg haben. In erster Linie sind es die Eltern, die ihr Kind prägen; denn nachweislich beeinflusst die Erziehung und das Vorbild von Vater und Mutter bereits im Babyalter die Entwicklung, im positiven wie auch im negativen Sinn. Zu Zeiten Martin Luthers war die Erziehungsarbeit in der Klasse der einfachen Leute größtenteils Aufgabe der Mutter, und so ist es nur folgerichtig, seinen Lebensweg zurückzuverfolgen und über Margarethe Luther und ihr Wesen nachzuforschen.
Die Aufgabe, die sich Claudia und Nadja Beinert gestellt haben, ist nicht einfach; denn abgesehen von einem Porträt, das Lucas Cranach d.Ä. von Luthers Mutter schuf, als sie bereits eine alte Frau war, ist nicht viel über sie bekannt. Aus den wenigen Fakten über sie und ihr Leben an der Seite von Hans Luder und einigen an sie adressierten Briefen ihres Sohnes Martin gelingt es den beiden Autorinnen, eine spannende Romanbiografie zu gestalten. Sensibel verbinden sie bekannte Tatsachen über Luther und seine Familie mit allgemeinen Erkenntnissen über den Alltag im Spätmittelalter und lassen den Leser das Leben der „Mutter des Satans“ nachempfinden. Eingebettet in eine Rahmenhandlung - Margarethe wird von Cranach in Wittenberg porträtiert (es ist das Bildnis auf dem Buchcover) - wird ihr eigener Rückblick auf ihr entbehrungsreiches, hartes Leben, ihre tiefe Religiosität, ihre Pflichten als Ehefrau und Mutter, aber auch auf die zwar strenge, aber liebevolle Erziehung ihrer Kinder geschildert. Aus Margarethes Blickwinkel beschreiben Claudia und Nadja Beinert sehr eindrucksvoll die Zeit des ausgehenden Mittelalters. Ihre akribische Recherchearbeit verleiht dem Roman Authentizität; Sehr bildhaft und detailreich erzählen sie von bitterer Armut, Aberglauben, der wiederholten Heimsuchung durch die Pest und der ständigen Angst vor den furchtbaren Strafen Gottes. Sie entführen uns in eine finstere Epoche, ein Stück Zeitgeschichte, verwoben mit dem Schicksal der Familie Luther.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.02.2017
Meinen Hass bekommt ihr nicht
Leiris, Antoine

Meinen Hass bekommt ihr nicht


sehr gut

Ein Marienkäfer als Symbol


13. November 2015: für Antoine Leiris beginnt ein Albtraum. Seine Frau Hélène besucht ein Konzert im Pariser Club Bataclan - und kehrt nie wieder zurück. Unter den vielen Menschen, die bei dem Attentat ihr Leben verloren, war auch Antoines Ehefrau, Mutter eines 17 Monate alten Jungen.
Auf knapp 140 Seiten versucht Leiris, seinen Schmerz über den gewaltsamen Tod seiner geliebten Frau auszudrücken, seine Trauer in Worte zu fassen. Eindrucksvoll beschreibt er in kurzen Kapiteln, wie er nun allein den Alltag bewältigt, Arbeit, Haushalt und Betreuung seines kleinen Sohnes managt. Die Solidarität und Hilfsbereitschaft der Menschen, die nach diesem Attentat sehr groß ist, vermag Antoine zu helfen, jedoch nicht zu trösten. Doch die Sorge um das Kind gibt dem Vater eine Perspektive. Der Gedanke an seine Verantwortung als Vater und die Zukunft des kleinen Melvil gibt ihm Halt.
Aber ihn beschäftigt auch die Frage nach dem „Warum“ der Tat, die Melvil eines Tages stellen wird. Bisher kam der Kleine nie mit Schrecknissen in Berührung, sondern wurde vor allen bösen Absichten oder Meinungen behütet; selbst schlimme Wendungen in seinem Kinderbuch wurden überblättert. Symbolhaft für das furchtbare Geschehen im Bataclan und die Begegnung mit bösen Dingen steht die Hauptfigur aus Melvils Lieblingsbuch: ein Marienkäfer, der von einer bösen Fee in ein Angst und Schrecken verbreitendes Insekt verwandelt wird.
Antoines Appell an die Attentäter: Hier ist kein Platz für Hass oder gar Rachegedanken. Diese Genugtuung gönnt er den Tätern nicht. Wichtiger ist ihm das Gedenken an die Opfer, die Trauer - und das Weiterleben.

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.01.2017
Operation Rubikon
Pflüger, Andreas

Operation Rubikon


ausgezeichnet

Thriller mit kritischem Hintergrund



Die geheime „Operation Rubikon“ - das ist eine Kriegserklärung des BKA-Präsidenten Richard Wolf gegenüber dem organisierten Verbrechen und seine Infiltration in die Spitzenpolitik. Allerdings hat Wolf nur wenige Mitstreiter, weniger als die Legion, mit der Julius Cäsar einst den Rubikon, die Grenze zum römischen Reich, überschritt.
Doch so klug, mutig und entschlossen Wolfs Vertraute dem Imperium der international agierenden Drogen- und Waffenhandelsmafia auch entgegentreten - der Boss der Mafia scheint stets am längeren Hebel zu sitzen und über bessere Kontakte zu verfügen. „Wir hocken in einer dieser Glaskugeln, in denen man es schneien lassen kann. Jemand hält unsere kleine Welt in den Händen und schüttelt sie.“ So formuliert einer der Protagonisten die Situation. Ist der Kampf von „Operation Rubikon“ aussichtslos?
Andreas Pflüger gelingt es auf fesselnde Weise, die komplizierten Verflechtungen diverser Organisationen für den Leser sichtbar zu machen: Zuständigkeiten von Bundeskriminalamt, BND oder der Generalbundesanwaltschaft und die Verbindungen zum Bundesgerichtshof und Bundesjustizministerium. Über welche Macht verfügt der Bundesinnenminister eigentlich? Wo laufen die Fäden zusammen?
Fachmännisch entrollt der Autor auf knapp achthundert Seiten ein aufwühlendes Epos von Intrigen und Machtspielen, zeigt auf, wie auch Deutschland zu einer „Bananenrepublik“ werden kann.
Aus unterschiedlichen Perspektiven schildert er das brutale Gesicht des Organisierten Verbrechens, Verwicklungen bis in höchste Kreise der Politik und den mutigen, aber vergeblich scheinenden Kampf einiger weniger Menschen, die sich dagegen stellen, und schickt den Leser auf eine atemlose Verfolgungsjagd.
In seinem klaren, ansprechenden Schreibstil erzählt Pflüger von menschlichen Schwächen und menschlichen Stärken: Geldgier und Machtstreben sind wesentliche Motive in dem Thriller, aber ebenso Rechtsempfinden und Treue. Doch auch private Probleme, Leiden und Ängste werden thematisiert; so etwa die schwierige Beziehung zwischen Wolfs Tochter Sophie, die ebenfalls der „Operation Rubikon“ angehört, und ihrem Vater.
Mit diesem Buch ist Pflüger ein sehr komplexer Roman gelungen, der nicht nur eine äußerst spannende Handlung enthält, sondern zudem eine Botschaft an den Leser weitergibt und dazu anregt, sich selbst weiter zu informieren. Wirklich sehr empfehlenswert!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.01.2017
Die Geschichte eines neuen Namens / Neapolitanische Saga Bd.2
Ferrante, Elena

Die Geschichte eines neuen Namens / Neapolitanische Saga Bd.2


sehr gut

Jugendjahre in einer bewegten Zeit


Ein neuer Name und seine Konsequenzen: in Band zwei der „Neapolitanischen Saga“ erlebt die 16jährige Lila Cerullo - nun Signora Carracci - die Auswirkungen ihrer früh eingegangenen Ehe. Sie und ihre Freundin Lenú, die sich bereits als kleine Mädchen fest vorgenommen haben, dem Elend des Armenviertels Rione zu entfliehen, gehen unterschiedliche Wege, um ihr Ziel zu erreichen. Lila erhofft sich eine bessere Zukunft, indem sie (ganz traditionell) den aufstrebenden jungen Lebensmittelhändler Stefano heiratet. Die weniger selbstbewusste Lenú will sich durch Fleiß und gute Noten in Schule und Studium hoch arbeiten; durchaus nicht selbstverständlich für ein Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen.
Die unterschiedlichen Lebenswege der ehemals besten Freundinnen im Neapel Mitte des letzten Jahrhunderts laufen eine Weile parallel nebeneinander her, trennen sich, treffen aber immer wieder zusammen. Welches der Mädchen kann mit seiner Entscheidung den erhofften Ausbruch aus der Armut erreichen?
In schlichter, einprägsamer Sprache, aber sehr eindrucksvoll in farbig, teils drastisch beschriebenen Episoden lässt Ferrante in der Fantasie des Lesers eine Zeit wiedererstehen, in der das Leben von Mädchen und Frauen noch sehr eingeschränkt und vom Willen der Väter und Ehemänner dominiert war, ihre Rolle festgelegt auf die der zukünftigen Ehefrau und Mutter, dem (Ehe-)Mann untergeben. Die Autorin erschafft lebendige, authentische Charaktere, in die sich der Leser leicht einfühlen kann, und erzählt packend von den Schwierigkeiten, mit denen sich Lila und auch Lenú auseinandersetzen müssen, weil sich beide auf ihre Weise über gesellschaftliche Tabus hinwegsetzen. Eindrücklich und ohne zu beschönigen schildert sie eine Zeit wirtschaftlicher und sozialer Probleme, mafiöse Gesellschaftsstrukturen und den Aufstieg der Camorra, mit denen die Schicksale der Freundinnen verflochten sind.
Um den Einstieg zu erleichtern, gibt Ferrante zu Beginn des Buches einen Überblick in der Art „Was bisher geschah“, eine Personen- und Handlungsbeschreibung der wichtigsten Charaktere ihres Romans, wie man es von Fernsehserien her kennt.
Schaffen es die beiden Mädchen, jede auf ihre eigene Weise, das Leben zu führen, das sie sich als Kinder erträumt haben?

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.