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Juti
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Insgesamt 631 Bewertungen
Bewertung vom 22.10.2021
Das Zeitalter der Inseln
Bonnett, Alastair

Das Zeitalter der Inseln


weniger gut

Drei Bücher habe ich in diesem Jahr über Inseln gelesen und das Buch von Schalansky kann ich empfehlen. Dieses Buch nicht, obwohl die „selsamsten“ und die „allerseltsamsten“ Orte gerne gelesen habe.

Ich nehme aus diesem Buch mit, dass trotz Klimawandel und steigendem Meeresspiegel die Landfläche wächst, weil vor allem in Dubai und in China künstliche Inseln angelegt wurden und werden. Außerdem habe ich gelernt, dass die meisten Vulkaninsel wegen des lockeren Lavagesteins recht schnell wieder verschwinden.

In den Vorgängerbänden konnten man dank geografischer Koordinaten noch den Zielort bei google-maps suchen. Hin und wieder entstand der Wunsch, den beschriebenen Ort zu besuchen. Hier nicht.

Hauptproblem des Buches ist, dass der Autor seine regionale Linie verlassen hat und Theoriekapitel ins Buch einbaut, die völlig misslingen. Welchen anderen Sinn die Einleitung als eine Zusammenfassung, ja im Tongateil einfach eine schlichte Wiederholung haben soll erschließt sich mir nicht. Seine Karten sind Kinderzeichnungen – welch ein Unterschied zu Schalansky!

Nach der Einleitung folgt auf 25 Seiten der Theorieteil „Warum wir Insel bauen“.
Ich kann kurz zusammenfassen:
1. Militärinsel mit Beispielkapitel im Südchinesischen Meer
2. Neue Land für Häuser und Landwirtschaft mit Beispielkapitel Flevopolder
Exkurs: Erhöhung der Malediven
3. Inseln für Reiche oder Konsum Beispiel Dubai oder Panama
4. Heilige Insel, ohne Extrakapitel, dafür wird der Müllinsel im Regionalteil ein Kapitel gewidmet, die, wenn überhaupt, in den Theorieteil gehört.
5. Inseln für Leuchtürme (für mich keine Inseln, auch nicht für Windräder, selbst wenn wie in der Nordsee die Mitarbeiter eines ganzen Windparks auf einer aufgeschütteten Insel leben sollen), für Küstenschutz (mischt im Regionalteil die Bereiche „verschwindende und geplante Inseln“ und für den Tourismus (überschneidet sich mit 3.).

Bonnett hätte doch irgendwann merken müssen, dass er besser über die ökonomischen und ökologischen Vor- und Nachteile von Inseln schreibt und für gefährdete und wachsende Insel im Klimawandel stets Beispiele nennt. Wie beispielsweise zwischen den Inseln der World in Dubai das Wasser ausgetauscht wird, bleibt unbeantwortet. Also nur 2 Sterne.

Bewertung vom 16.10.2021
Samenklau
Sievers, Corinna T.

Samenklau


ausgezeichnet

zahnärztliche Nymphomanin
Eigentlich wollte ich den Kommentar für "Vor der Flut" schreiben, aber dort fehlt er leider.

Während die Autorin in ihrem Buch „Halbwertzeit der Liebe“ noch eine Handlung konstruiert hat, kommt sie hier gleich zur Sache. Anstatt in den Bergen hat die Ich-Erzählerin diesmal eine Zahnarztpraxis auf einer einsamen Insel, wo die Ärztin ihr Gehalt in den drei Sommermonaten verdient und in den restlichen Monaten genug Zeit für andere Dinge hat. Auch ich dachte erst an Sylt bis dann ein Eisberg auftaucht, der am Ende aktiv wird, aber mehr verrate ich nicht.

Wichtiger ist, dass unsere Heldin mit Howard verheiratet ist, der impotent zu sein scheint. So muss die Ärztin ihre unstillbare Begierde mit den Patienten ihrer Praxis erfüllen. Dies ist auch sinnvoll, weil sie die Inselbewohner schon alle erkannt hat, jedenfalls die gut aussehende.
Die besondere Situation liegt darin, dass der Vater eines Kindes nach dem ersten Flüssigkeitsustausch auf ein Treffen über Nacht in einem Luxushotel besteht, dem Howard erst zustimmen muss.

Mir hat das Lesen viel Spaß bereitet und hoffe, dass Sievers bis zum nächsten Sommer etwas Neues einfällt. Umfassend analysieren und allzu viel hinein interpretieren würde ich in dieses Buch nicht, eben ein Sommerbuch, 5 Sterne

Bewertung vom 14.10.2021
Dein ist das Reich
Döbler, Katharina

Dein ist das Reich


gut

vertane Chance

Wir müssen uns immer fragen, was die Autorin mit dem Buch wollte. Wenn Sie ihre Familiengeschichte aufschreiben wollte, dann ist ihr das rundum gelungen. Doch dann fragt sich, warum ich das Buch lesen soll.

Ich wollte dieses Buch lesen, weil was über die Kolonialzeit im Kaiser-Wilhelm Land oder Deutsch-Neuguinea erfahren wollte. Während des Lesen stelle ich fest, dass aus europäischer Sicht mindestens zwei verschiedene Geschichten erzählt werden müssen: die der Handelskompanien, die ihre Produkte auf Plantagen anbauen und die Einheimischen wie Sklaven ausbeuten und die christlichen Missionare, die ihre Religion verbreiten wollen.

Von letzteren erfahren wir, dass durch sie die Kriege auf den Inseln weniger wurden. Auch werden die asiatischen Mitarbeiter zwar nicht gleich – eine Ehe zwischen beiden Volksgruppen gilt als ausgeschlossen – aber doch anständig behandelt. Nur vor einer papuaischen Volkskirche, die Europäern wie Papuanern die gleichen Rechte zuerkennt, wird Abstand gehalten. Die Überlegenheit der deutschen Missionare wird mit dem Lesen der Heiligen Schrift begründet. Immerhin werden zu diesem Zweck Missionsschulen gegründet.

Im letzten Teil geht es um die Verstrickung der Missionare mit den Nazis. Wir erfahren leider, dass das Wort Gottes nicht vor dem Nationalismus schützte.

Das Buch hätte gut 200 Seiten kürzer sein können, vor allem Heiner und Marie waren zu bieder. Auch die biblischen Zitate waren mir zu oft und zu platt. Kritische Themen werden dagegen oft nur angehaucht. Ich werden wohl noch Götz Aly lesen müssen. 3 Sterne

Bewertung vom 05.10.2021
Die Schachnovelle
Zweig, Stefan

Die Schachnovelle


ausgezeichnet

Weltklassiker

Angesichts des neuen Films habe ich mir zwei Nachmittage Zeit genommen und den Klassiker noch einmal gelesen.

Im Gegensatz zum neuen Film beginnt das Buch mit dem „Weltschachmeister“ Czentovic, der außer Schach zu spielen nichts anderes kann. Im Gegensatz zum neuen Film gibt es einen Ich-Erzähler, der auf dem Schiff von New York nach Bounes Aires versucht, den Weltmeister zu erblicken und lockt ihn erst mit seiner Frau durch Schachspielen im Rauchersalon. Dann gesellt sich der Millionär Mc Connor hinzu, dessen Ego trotz Geld unbedingt eine Partie gegen Czentovic braucht. Im Buch beraten sich alle, verlieren die erste Simultanpartie und hätten auch die zweite verloren, wenn nicht der mysteriöse Dr. B. Sich an die Partie Aljechin gegen Bogoljubow 1922 erinnert hätte und noch ein Remis herausholt.

Erst dann erfährt der Ich-Erzähler die Vergangenheit von Dr. B., der im neuen Film Bartoz heißt und der von den Nazis in Isolationshaft festgehalten wurde und dann ein Schachbuch als Abwechselung findet. Im Film wird die Haft mit dem folgenden Schachspiel auf dem Schiff verglichen, aber mehr verrate ich nicht.

Auch im Buch spielt Dr. B. gegen Czentovic, wird aber in der zweiten Partie verrückt, „Schachvergiftung“ heißt es im Buch, so dass der Weltmeister im letzten Satz großmütig resümiert: „Schade. Der Angriff war gar nicht so übel disponiert. Für einen Dilettanten ist dieser Herr eigentlich ungewöhnlich begabt.“ Der Film endet anders, aber auch das soll nicht verraten werden.

Was im Film fehlt, dass Dr. B. aus dem Hotel Metropol erst ins Krankenhaus kommt und von dort entlassen wird. Dass die Gestapo einen Gefangenen einfach so freilässt ist unwahrscheinlich, deswegen für den Film nur 4, für das Buch aber volle 5 Sterne.

Bewertung vom 05.10.2021
Meine Welt schmilzt
Ylvisaker, Line Nagell

Meine Welt schmilzt


sehr gut

Spitzbergen live

Ein Reiseführer über die Antarktis beginnt mit den Worten: „Fahren Sie nicht dorthin!“ Und das war bevor das große Kreuzfahrtschiffzeitalter vor Corona begonnen hatte. Gleiches gilt wohl auch von Spitzbergen.

Diese Buch wurde von einer Journalistin geschrieben, die mit ihrer Familie auf Spitzbergen lebt. Der Anfang des Buches ist beeindruckend. Ein Klimawandelleugner müsste wohl das ganze Skript in Frage stellen, so schlagend sind die Beweise auf dieser norwegischen Polarinsel.
Weil selbst im Winter auf den Fjorden das Eis fehlt, kann das warme Atlantikwasser die Luft erwärmen und frühere Temperaturen von -20 Grad gehören der Vergangenheit an. Spitzbergen gehört zu den Orten mit dem größten Temperaturanstieg auf der Erde. Hinzu kommt, dass die wärmere Luft auch mehr Wasser aufnehmen kann. Aus einem Ort in der arktischen Polarwüste, wo die Häuser nicht einmal Dachrinnen haben, ist innerhalb weniger Jahre ein niederschlagsreicher Ort geworden.

Eindrücklich wird über die Folgen einer Lawine aus dem Jahr 2015 berichtet, bei der zwei Menschen starben. Es hätten aber noch viel mehr sein können. Seitdem bemüht sich die Inselregierung um Lawinenschutz und hat die erste Häuserzeile unterhalb des Berges dauerhaft evakuiert.

Die Autorin hat einen alten Robbenjäger gesprochen, der auf einer einsamen Hütte den dunklen Winter verbracht hat. Sie ging mit Wissenschaftler*innen auf Forschungsreise rund um Spitzbergen und erklärt uns, dass die östlichen Inseln aufgrund des fehlenden Atlantikwassers ein deutlich kühleres Klima haben. Sie berichtet über die politischen Verträge, die die Inselgruppe an Norwegen bindet, aber russische Orte zulässt. Sie schreibt über den Kohleabbau, das viele Fliegen, das Saatgutarchiv, den Schutz vor Eisbären, von Mikrobakterien im auftauenden Permafrostboden und nicht zuletzt über störende Touristen, die die Familie selbst verfolgt haben, als sie vor ihnen aus der Hauptstadt geflüchtet ist.

All das hätte die Bestnote verdient, wenn nicht zwischendurch immer allgemeine und bekannte Erklärungen zum Klimawandel die spannende Beschreibung Spitzbergens unterbrechen würde. Auch würde ich mich freuen, mal ein Buch zum Klimawandel zu lesen, ohne mit dem Grünen* konfontiert zu werden. Offenbar gibt es ihn auch in Norwegen. Also 4 Sterne.

Bewertung vom 01.10.2021
Wie der Soldat das Grammofon repariert
Stanisic, Sasa

Wie der Soldat das Grammofon repariert


weniger gut

balkanisches Chaos

Während des Lockdown hat mir eine Bekannte Bücher geliehen. So kam ich zu diesem Buch, dessen Autor mit Heimkehr ein wirklich gutes Buch geschrieben hat und den ich als Heidelberger ansehe.

Dennoch komme ich nicht umhin, zu sagen, dass ich mich durch die Seiten gequält habe. Es tauchen zwar immer wieder hübsche Sprachbilder wie die verschiedenen Tode von Tito auf, aber der rote Faden bleibt nicht immer sichtbar. Auch weiß ich nicht, ob ich mich beispielsweise über zwei Seiten nur ausgeschriebene Zahlen freuen oder ärgern soll.

Natürlich frage ich mich, wieso ich so kritisch bin und komme zu dem Ergebnis, dass der Jugoslawien-Krieg sich doch weit aus meinem Gedächtnis entfernt hat und dass dieses Buch vor über 10 Jahren wegen seiner Aktualität mehr Anhänger hatte. Stanisic mag ich erst zu den richtig großen Autoren zählen, wenn er mal über etwas anderes als seine Familie schreibt. Von mir nur 2 Sterne.

Bewertung vom 17.09.2021
Inseln
Francis, Gavin

Inseln


gut

Schalansky ist besser

Wie der Atlas von Schalansky hat auch dieses Buch ein schönes Design. Zu etwa einem Drittel enthält es Karten, denen aber die Legende fehlt, so dass selbst ich als Geografie-Kenner nur bei etwa 70% der Karten weiß, was wirklich abgebildet ist. Ein zweites - wie ich finde - gravierendes Manko ist, dass es kein Orts- bzw. Inselregister gibt.

Der Text des Buches ist über weite Strecken ein Reisebericht des Autors. Weil er so viele Bücher zitiert, dachte ich anfangs der Urheber sei Literaturwissenschaftler, aber er schreibt selbst, er sei Arzt. Ein Arzt ist als Reisender beliebt, weil er wegen seiner Kenntnisse gute Kontakte zur einheimischen Bevölkerung aufbauen kann, aber als Autor weniger geeignet, da er weder zur Geografie noch zur Botanik Stellung beziehen kann. Er vergleicht seine Reiseerfahrungen nur mit seinen Vorgänger aus der Literatur.

Gegen Ende des Buches wird klar, dass er zu seinem stressigen Beruf ein Ausgleich in der Einsamkeit sucht. Als Schotte aus Edinburgh, gehen seine meisten Trips auf die May-, die Orkney- und die Shetlandinseln. Aber auch ein Besuch in der Antarktis fehlt nicht.

Ich habe das Buch schnell und gerne gelesen, dennoch fehlen die überraschenden Geschichten wie bei Schalansky und kann beim besten Willen nicht mehr als 3 Sterne rausrücken.

Bewertung vom 14.09.2021
Die Tsantsa-Memoiren
Koneffke, Jan

Die Tsantsa-Memoiren


schlecht

andere Vorstellung

Als ich dieses Buch aufschlug wünschte ich wie bei Schalansky auf einer fernen Insel in einem fernen Land, meinetwegen auch zu einer Zeit zu kommen, die den Träumen vom Paradies nahe kommt. Weit gefehlt. Es geht doch sehr um die Gewalt der Kolonialzeit, doch nicht immer trifft es den, den man erwartet.

Die Sprachwitze des Autors habe ich überlesen und in diesem Tempo vielleicht auch vieles andere. Als mit der Reise nach Europa ich noch immer nicht mit dem Humor des Autors übereinstimmte, legte ich das Buch nach 53 Seiten zur Seite. 1 Stern

Bewertung vom 14.09.2021
Kein schöner Land

Kein schöner Land


gut

mittelscharfe Gegenwartsanalyse

Eigentlich wollte ich nach dem Bachmannpreis nur nochmal Leander Steinkopf lesen. Selbstverständlich merkte ich, dass er nur einen von 8 Texten schrieb. Und sein Text über das Essen, über die Art der Deutschen das Wiener Schnitzel mit Jägersoße zu übergießen, hat mir am besten gefallen. Ich hätte mir gewünscht, dass er ein Wort zum „Zigeunerschnitzel“ verliert, das wegen vermeintlicher Diskriminierung immer mehr von der Speisekarte verschwindet, aber nun gut. Steinkopf wünscht sich eine deutsche Küche wie die italienische oder französische Küche im gesunden Mittelmaß zwischen Tiefkühlpizza und Sternerestaurant.

Die weiteren Themen, insbesondere Mode - wo in Deutschland eine Konformismus herrscht, der Uniformen gleicht – und Theater, was nicht mein Ding ist, fand ich weniger spannend.
In der Literatur dagegen sind die Deutschen breit aufgestellt und in der Politik wird die These behandelt, dass Gegenwartsprobleme nicht a la Trump mit einem zurück in die Vergangenheit gelöst werden sollen, sondern neue, kreative Lösungen zu suchen sind. Beim Thema Kunst fragt sich die Autorin, wo die Schönheit geblieben ist. Und die Popmusik hat ihre Themen längst weichgespült, wie Forster, Giesinger und Fischer zeigen. In Film und Fernsehen ist die Entwicklung aber erfreulicher. Sascha Hehn und das Traumschiff werden keine Traumquoten mehr erreichen.

Ob der Einleitungsartikel und die Abschlussdiskussion sein mussten, sei dahingestellt. Insgesamt werte ich es als gutes Zeichen, dass ich am Ball geblieben bin. 3 Sterne