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Benutzername: 
Hennie
Wohnort: 
Chemnitz

Bewertungen

Insgesamt 268 Bewertungen
Bewertung vom 01.09.2016
Der kalte Saphir
Düblin, Michael

Der kalte Saphir


gut

„Der kalte Saphir“ – nicht nur der Saphir ist kalt, sondern auch die Beziehungen der Bandmitglieder untereinander sind seltsam unterkühlt.
Ich konnte mich für die Geschichte um die Band „Klarstein“ und der „Villa des Schreckens“ nicht erwärmen.

Der tatsächliche Mittelpunkt ist nicht Jerome, sondern Zed.

Mit dem kalten blauen Stein verleitete Jerome die Orchestermusikerin Zed in seine Band einzusteigen. „Klarstein“, somit fand man auch zum Namen. Man gewinnt den Eindruck, dass Jerome ein zielstrebiger, aber egozentrischer Charakter ist. Darüber vergißt er menschlich zu bleiben. Alles wird dem Erfolg untergeordnet. Sein System funktioniert erfolgreich auf der Bühne. Ansonsten „werkelt“ jeder für sich selbst. Die Bandmitglieder haben es versäumt, sich lebendige zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen, sowohl untereinander als auch nach außen.

Der Leser erfährt alles aus einer Sicht. Es sind die Wahrnehmungen des anerkannt genialen Tontechnikers der Band „Klarstein“ – Sebastian Winter - . Er sagt der namhaften Musikjournalistin Jule Sommer widerwillig ein Interview zu, nach 34jährigem Schweigen.

Am Ende läßt mich die Geschichte unbefriedigt zurück. Es bleiben die Fragen: Warum zog sich Winter so zurück? In diese (zwar schöne) Einöde? Wer beweist seine Aussagen? Begibt sich Jule auf die neuen Fährten? Kommt noch eine Fortsetzung, Teil 2?
Jule Sommer hat Hintergrundwissen aufgrund ihrer Tätigkeit. Für meinen Geschmack hat sie viel zu viel mit sich und ihren Gefühlen zu tun. Das langweilte und befremdete mich.

Ich wiederhole mich: Die Geschichte berührt nicht. Sie wird so kalt, wie nebenher erzählt. Und dabei geschieht ja so einiges! Nicht nur Jerome wird ermordet!

Die lange vergangene Zeit – 34 Jahre! – macht die Geschichte um Jerome, rund um die Band „Klarstein“ nebulös, verworren. Verwischte Spuren damals und im Verlaufe der vielen Jahre!!! Die Bandmitglieder sind für Jerome nur Beiwerk. Er ließ niemanden neben sich glänzen.
Sven z. B. wird als genial beschrieben. Warum blieb er nur so allein? Weshalb sein einsames schreckliches Ende?

Der Roman vermittelt den Anschein, dass es sich um eine real existierende Rockband handelte (die Texte, die Musik passen perfekt in die 70/80er Jahre).
Das Cover zeigt eine Tonspule aus den 70er Jahren und fast unentdeckt in der linken Ecke ein blauer Saphirring. Es ist stimmig, paßt zum Thema.
Das Buch ist klein und und liegt schön in der Hand, gebunden in einem Verlag mit uralten, traditionellen Wurzeln.

Fazit:
Ich habe mich zwar nicht gelangweilt, im Gegenteil, der Roman ließ sich gut lesen!
Aber, die unbestritten interessanten Charaktere wollten sich nicht zum schlüssigen Gesamtbild formen.
Für mich ist die Geschichte nicht rund, sie ist mir zu diffus. Ständig dachte ich: Jetzt kommt was Wesentliches, aber dann war´s wieder nichts!
Vielleicht stand ich auch nur „auf der Leitung“?
Von mir leider nur drei Sterne!

Bewertung vom 01.09.2016
Night Falls. Du kannst dich nicht verstecken
Milchman, Jenny

Night Falls. Du kannst dich nicht verstecken


gut

Zum Inhalt (Klappentext):
Sandra hat alles. Ein Traumhaus mitten in der Natur. Einen Mann, der sie auf Händen trägt. Eine 15-jährige Tochter, ihr großes Glück. Bis aus dem Traum ein Alptraum wird:
Zwei Fremde dringen in ihr Haus ein, schlagen ihren Mann brutal nieder und nehmen Mutter und Tochter als Geiseln. Draußen tobt ein Sturm. Es gibt keinen Ausweg. Schon gar nicht für Sandra. Denn sie kennt einen der Männer — und wollte ihn um jeden Preis vergessen.

Meine Meinung:
Das Buch ließ sich gut lesen. Man blieb nie lange im unklaren, warum sich was wie entwickelte. Von Beginn an war eindeutig klar, wer sind die Guten und wer ist der Böse.
Im wesentlichen handelt es sich um eine Familiengeschichte bzw. –tragödie.
In Rückblenden erfährt der Leser mehr über die Hauptprotagonisten des Buches.
Im Grunde sind alle wichtigen Charaktere überzeichnet bis hin zum Hund der Familie.
Ich möchte zwei Personen benennen:
1. Nick, ein vollkommen abgebrühter Typ hatte niemals in seiner Kindheit Konsequenzen für seine Taten verspüren müssen. Er ist von sich und seinen Handlungen vollkommen überzeugt.
2. Die penetrante Ignoranz, das Unvermögen seiner Mutter Barbara Zusammenhänge zu erkennen, ihre abgöttische Liebe und hündische Ergebenheit ihrem Sohn gegenüber sind die Ursachen für die tragischen Entwicklungen in seinem Leben. Bis zuletzt ist sie von dem total verkorksten Menschen absolut überzeugt.
Brauchte es wirklich diese grenzenlose Überhöhung des Charakters der Mutter? Mir war das zuviel! Die Frau bekam von keiner Seite richtig Gegenwind. Wenn, dann war es nur ein laues Lüftchen.

Ebenfalls vollkommen exaltiert, überzogen, dieses Riesenhaus der Familie Tremont, von Sandra, Ben, Ivy und des Hundes McLean. Ein protziger Kasten in totaler Abgeschiedenheit, in einer absoluten Einöde. Ivy, die 15jährige Tochter haßte das neue schalldichte Haus mit seiner freischwebenden Treppe.
Die nächsten Nachbarn, „die widerlichen Nelsons“ (O-ton Ivy) wohnten „eine ganze Joggingstunde entfernt“. So konnte das Geschehen ungehindert seinen Lauf nehmen...

Fazit:
Die gesamte Geschichte wirkt konstruiert. Es gab viele Wiederholungen und unnötige Längen im Ablauf der Ereignisse. Für einen Thriller war die Geschichte für mich nicht spannend genug, vieles vorhersehbar.
Das Cover gibt die Einsamkeit der Umgebung wider, in der die Familie Tremont lebt. Es ist aber eine Umgebung in der falschen Jahreszeit. Eine stürmische, schneeverwehte Winterlandschaft wäre passender gewesen. Einen thrillergemäßen Gruselfaktor besitzt es nicht.
„Night Falls“ ist für mich ein Krimi, der sich nicht aus der Masse des Literaturangebotes hervorhebt.
Ich vergebe drei Sterne.

Bewertung vom 01.09.2016
Abschied von gestern / Poldark Bd.1
Graham, Winston

Abschied von gestern / Poldark Bd.1


ausgezeichnet

„Poldark – Abschied von gestern“ Der erste Band:
Nach der Lektüre von beinahe 400 Seiten mit englischer Historie aus Cornwall, kann ich mit gutem Gewissen behaupten, lebendig gewordene Geschichte mit realistisch wirkenden Romanfiguren gelesen zu haben. Ich hatte zwar erst ein wenig Mühe, mich in den teilweise umständlichen Satzbau, in die ungewohnte, altmodische Sprache einzugewöhnen. Vielleicht ist das aber auch der Übersetzung geschuldet!?

Dann wollte ich wissen, wer ist dieser Winston Graham?
Meine Recherche ergab, dass es ein britischer Schriftsteller war, der von 1908 bis 2003 lebte. Er lebte selbst 30 Jahre in Cornwall. Graham recherchierte gründlich und forschte in alten Archiven. Der geschichtliche Hintergrund ist also real, sehr nah am tatsächlichen Leben in England Ende des 18.Jahrhunderts.
Dem Autor gelang es der englischen Geschichte um die Zeit der französischen Revolution Lebendigkeit zu verleihen. Auf der einen Seite beschreibt er das Landadeltum, auf der anderen das Leben der Unterschichten. Die Armut und den Kampf ums Überleben.

Zum Band 1: Cornwall 1783 - 1787
Im Jahre 1783 kehrt Hauptmann Ross Poldark aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg nach Cornwall zurück. Dort erfährt er, dass sich seit seiner Abwesenheit einiges verändert hat. Sein Vater ist verstorben und hinterließ einen großen Berg an Schulden und seine große Liebe Elizabeth ist inzwischen mit seinem Cousin Francis verlobt. Das muss er schmerzlich erleben, als er zuerst bei der Familie seines Onkel Charles einkehrt.
Trotz all dieser Umstände muss das Leben weitergehen. Nampara House – sein Zuhause- findet er total heruntergekommen und verdreckt vor. Auch seine Kupfermine ist in keinem guten Zustand. Ross hat einen starken Charakter und es gelingen ihm kleine Fortschritte.
Er nimmt das Mädchen Demelza als Dienstmädchen in sein Haus auf, nachdem er sie aus einer mißlichen Situation gerettet hat. Im Laufe der Jahre wird sie sich zu einer starken, gleichberechtigten Partnerin an seiner Seite entwickeln. Ross nimmt Demelza zur Frau, auch um dem Dorftratsch ein Ende zu bereiten. Das ist eine Heirat unter seinem Stand und wird ihm noch einiges an Ungemach bereiten...

Durch die Zeit in Amerika hatte Ross sich und seine Weltsicht verändert.
Dort nahm er Anzeichen eines neuen Lebens wahr. S. 102 „Alle Menschen wurden auf die gleiche Art geboren. Es gab also keine Vorrechte, die nicht von Menschen gemacht wurden.“

Fazit:
Da ich historische Romane sehr liebe, war das Interesse von Anfang an da. Ich bin nicht enttäuscht worden. „Abschied von gestern“ war spannend zu lesen und gab einen ersten Einblick in die Lebensumstände der Menschen. Man erfährt vom täglichen, schweren Kampf der einfachen Leute, von den Tätigkeiten und ihrer Arbeit über alle Jahreszeiten in Cornwall. Das sind die Feldbestellung, die Ernte, die Versorgung des Viehs, der Fischfang und die mühselige Arbeit in der Grube.
Das Cover zeigt den irischen Schauspieler Aidan Turner. Er ist der Darsteller des Ross Poldark. „Poldark“ ist eine achtteilige britische Fernsehserie.

Ich gebe sehr gern meine uneingeschränkte Leseempfehlung!
Nun habe ich mit dem Lesen des zweiten Bandes begonnen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.09.2016
Von Anbeginn des Tages / Poldark Bd.2
Graham, Winston

Von Anbeginn des Tages / Poldark Bd.2


ausgezeichnet

Die beiden Bände der Poldarksaga sind keine Schmachtfetzen (das sei angemerkt für diejenigen, die eine romantische Liebesgeschichte erwarten!), sondern der Versuch der Abbildung der Lebensumstände in Cornwall Ende des 18. Jahrhunderts!

Zum Inhalt:

Demelza, aufgrund ihrer Herkunft erst unsicher, wächst schnell in ihre Rolle als Frau eines Landadligen, als Herrin hinein. Sie wird selbstbewußter. Julia, die gemeinsame Tochter von Ross und Demelza, kommt unter besonderen Umständen auf die Welt. Es ist sehr stürmisch, der dünkelhafte, blasierte Arzt kommt zu spät zur Entbindung. Die einfachen Leute stehen Demelza bei ihrer Niederkunft erfolgreich bei.

Die junge, schöne Demelza hat nach der Einführung in die „bessere Gesellschaft“ viele Verehrer und selbstverständlich Neider unter den Damen.

Ihr Gatte Ross verfügt übereinen beträchtlichen Gerechtigkeitssinn und über eine hohe Toleranzschwelle. Er ist mutig und gerecht. Der junge Edelmann wollte, dass es seinen Leuten gut geht, beansprucht weniger an finanziellen Werten für sich als die meisten seines Standes. Viele seiner Gesellschaftsschicht sind verkommen, haben kein Gewissen. Ross greift immer wieder ins Geschehen ein, hilft seinen Arbeitern, seinen Untergebenen, wo er kann und kommt damit selbst mit den Gesetzen und ihren Vertretern in Konflikt. Fleiß, Faulheit, positive wie negative Eigenschaften sind nicht abhängig von einer Gesellschaftsschicht!
Ross und Demelza nähern sich an und schießen auch gelegentlich beide über´s Ziel hinaus. Sie lernen voneinander. Beide sehen Mißstände, Unzulänglichkeiten, Ungerechtigkeiten bis hin zur Verletzung der Menschenwürde. Da sind z. B. die Zustände im Gefängnis, die selbst für Tiere nicht zumutbar sind.
Winston Graham versteht es sehr eindringlich diese Dinge zu schildern und plastisch werden zu lassen. Die Beschreibung ist so genau, dass man sich das Dilemma vorstellen kann (die Enge, der Geruch, der unvorstellbare Schmutz, die Éxkremente, die gequälten Körper der Menschen...)...
Die Arbeit in den Gruben, in den Schmelzhütten ist schwer, unvorstellbar mühselig und gefährlich für Leib und Leben. Krankheiten greifen um sich. Die giftigen Dämpfe machen Mensch und Umwelt (Vegetation) kaputt. Ross setzt sich ein für die Rechte der Arbeiter.

Zum Ende hin wird es noch einmal sehr spannend. Alles spitzt sich zu. Trotz eines sehr tragischen Ereignisses endet Band 2 optimistisch.
Mit großer Erwartung voller Ungeduld sehe ich den nächsten Bänden entgegen.

Fazit - siehe auch Rezension Band 1 - :
Da ich historische Romane sehr liebe, war das Interesse von Anfang an da. Ich bin nicht enttäuscht worden. „Von Anbeginn des Tages“ war spannend zu lesen. Die Sprache war nicht so umständlich und schwierig zu verstehen wie in Band 1 (vielleicht liegt es an den unterschiedlichen Übersetzern?).
Das Cover zeigt die britische Schauspielerin Eleanor Tomlinson. Sie ist die Darstellerin der Demelza. „Poldark“ ist eine achtteilige britische Fernsehserie und soll bald auch im deutschen Fernsehen gezeigt werden.

Ich gebe sehr gern meine uneingeschränkte Leseempfehlung!

Bewertung vom 01.09.2016
Und damit fing es an
Tremain, Rose

Und damit fing es an


ausgezeichnet

Ich habe mit „Und damit fing es an“ einen wunderbaren, emotionalen, zu Herzen gehenden Roman um eine lebenslange Freundschaft gelesen!

Gustav Perle und der jüdische Anton Zwiebel lernen sich als Siebenjährige in der Schule im kleinen, schweizerischen Matzlingen Ende der vierziger Jahre kennen. Sie bleiben bis ins reife Alter verbunden. Das ist wiederum mehr Gustavs Verdienst, der Anton nie aus den Augen verliert. Ich habe die Person Gustav als sehr angenehmen, sensiblen, sich nie in den Vordergrund drängenden Menschen verstanden. Ein warmherziger, liebevoller Charakter! Er nimmt sein Leben, sein Schicksal an. Dabei ist er sehr geprägt von den ärmlichen Verhältnissen, in denen er aufwuchs. Seine alleinerziehende, lieblose Mutter hatte ihm eingebläut, zu sein wie die Schweiz. Er solle „sich beherrschen“, was er auch tut.

Rose Tremain erzählt eindrucksvoll im Rückblick von den Ereignissen, Hintergründen vor Gustavs Geburt. Der Leser erfährt vom Leben Emilie und Erich Perles, den Eltern von Gustav. Wie sie sich kennenlernen, wie sich ihr Zusammenleben gestaltet. Berührend sind die Umstände, die unheilvolle Verstrickung der Menschen, die zur Katastrophe führen.

Welche unrühmliche Rolle die Schweiz in der Judenfrage spielte, war für mich neu.

Im dritten und letzten Teil sind Anton und Gustav erwachsen. Während Gustav seine berufliche Zufriedenheit im Führen seines gutgehenden Hotels Perle gefunden hat, ist Anton immer noch ein Suchender. Viele Jahre arbeitete er als Klavierlehrer in Matzlingen. Dann glaubt er doch noch an eine Zukunft als erfolgreicher Pianist auf den Bühnen der Welt. Er verläßt seinen Heimatort und seinen Freund...

Am Ende des Buches resümiert Gustav, ob sein Leben glücklicher verlaufen wäre, wenn er Anton Zwiebel niemals kennengelernt hätte. Er war „geschult“ durch seine Mutter zu lieben, ohne geliebt zu werden. Dieser Mangel an Liebe hatte jedoch dazu geführt, dass er „besessen auf äußerliche Ordnung und Kontrolle“ achtete. Er wollte immer alles bestimmten Kategorien zuordnen. Die Dinge konnte Gustav nie so sein lassen, wie sie sein wollten.

Auch Anton hat, so scheint es, zum Ende hin seine Lebenslektion gelernt. Auf S.327 sagt er: „Wir müssen die Menschen werden, die wir schon immer hätten sein sollen“.

Fazit:
Ein Buch, dass mich einige Male zum Innehalten zwang. In meinem Falle regte mich die einfühlsame, feinnervige Geschichte zum Nachdenken an.
Das Buch war für mich ein außergewöhnliches Leseerlebnis. Dabei kommt die Autorin mit wenigen handelnden Personen aus. Das ist sehr übersichtlich.
„Und damit fing es an“ war meine erste Begegnung mit der Autorin Rose Tremain. Jetzt habe ich sie auf „dem Schirm“.
So viel sei verraten: Die Geschichte um Gustav Perle und Anton Zwiebel endet versöhnlich, aber anders, als ich es mir im Vorfeld vorgestellt hatte.

Sehr zu empfehlen! Von mir gibt es die volle Sternenanzahl!

Bewertung vom 01.09.2016
Bühlerhöhe
Glaser, Brigitte

Bühlerhöhe


ausgezeichnet

Die Autorin Brigitte Glaser läßt mit ihrem Werk „Bühlerhöhe“ deutsche Nachkriegsgeschichte lebendig werden.

In landschaftlich schöner Umgebung spielt der Roman Anfang der 50er Jahre, vorwiegend, jedoch nicht ausschließlich, im renommierten Hotel Bühlerhöhe und im nicht ganz so mondänen Hotel Hundseck.
Die spannende, teilweise dramatische Handlung wird über große Strecken im wesentlichen von drei Frauen getragen.

Da wäre als erstes die junge Israelin Rosa Silbermann, die direkt von der Orangenernte im Kibbuz Omarim weggeholt wird. In Haifa erhält sie von Oz (vom Geheimdienst Mossad) den Auftrag nach Deutschland zu reisen. Sie basteln an einer Legende für sie. Gemeinsam mit „ihrem Mann“ soll sie an den vertrauten Stätten ihrer Kindheit (Ferien auf der Bühlerhöhe im Schwarzwald) den Kanzler Adenauer vor einem geplanten Attentat schützen...

Dann wäre als zweite die argwöhnische, penetrant neugierige Hausdame des Hotels Bühlerhöhe, Sophie Reisacher, die auch eine interessante, komplizierte Vita hat, zu nennen. Sie bemerkt mit ihrem sicheren Instinkt, dass mit der aus Tanger allein angereisten Rosa Goldberg etwas nicht stimmt...

Die dritte im Bunde ist die junge schlichte Agnes, angestellt im unweit gelegenen Hotel Hundseck. Sie hat noch immer alptraumhafte, schreckliche Erinnerungen aus der französischen Besatzungszeit, die sie schließlich in der realen Gestalt ihres damaligen Peinigers einholen...

Brigitte Glaser erzählt eine fiktive Geschichte mit wahrem Hintergrund.
Im Jahre 1952 wurde durch Kanzler Konrad Adenauer ein Abkommen mit Israel unterzeichnet. Damit verpflichtete sich die junge BRD Wiedergutmachungszahlungen an den ebenfalls noch jungen jüdischen Staat zu zahlen. Bestimmte radikale Kreise in Israel wollten wiederum nicht, dass das „Blutgeld“ angenommen wird. Sie versuchten das zu verhindern, auch durch Anschläge.

Das Attentat hat aber so nicht stattgefunden, wie es in „Bühlerhöhe“ geschildert wird.

Die Autorin hat durch hervorragende Recherche ein historisches Thema aufgegriffen und mit ihren Mitteln umgesetzt. Durch die literarische Freiheit, die sie sich genommen hat, wurde die Geschichte für mich nachvollziehbar, gewann an Authenzität. Die Charaktere sind wunderbar gezeichnet. Sie wirken sowohl durch ihre positiven, als auch den negativen Eigenschaften sehr lebendig, plastisch.
Die Lesbarkeit des Buches gewinnt zusätzlich durch die kurzen Kapitel. Mir gefiel der Schreibstil sehr. Schnell hatte ich den spannenden Roman mit seinen thrillerhaften Momenten ausgelesen.

Ich kann dieses Buch nur empfehlen, vor allem der jüngeren Generation.

Bewertung vom 01.09.2016
Bevor die Welt erwacht
Wood, Monica

Bevor die Welt erwacht


ausgezeichnet

Eine großartige Geschichte, so unglaublich beeindruckend wie überwältigend einfach.
Da trennen zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, erstaunlich viele Lebensjahre, sage und schreibe 93 Jahre! Und trotzdem: Sie verstehen sich außerordentlich gut, der kleine 11jährige Junge, der ohne Namen bleibt und die uralte 104jährige Ona Vitkus.
Trotz ihres hohen Alters möchte Ona keine Hilfe annehmen. Der Junge bildet die Ausnahme. Er ist Mitglied in einer Pfadfindergruppe, zu deren Aufgaben es gehört, älteren Menschen zu helfen. Ona lernt den Jungen kennen und willigt ein, ihn zu beschäftigen. Sie akzepiert den Jungen, obwohl er einige Marotten hat. Sie bemerkt bald, dass ihr das Kind seltsam vertraut ist, wie aus ihrer eigenen Kindheit kommend. Aber: „Irgendetwas an ihm war verstörend“...S.38

Ganz plötzlich, vollkommen unerwartet verstirbt der Junge...

Sein Vater Quinn wird von seiner Mutter Belle, Quinns zweifache Exfrau, aufgefordert, die Aufgaben des Kindes zu übernehmen. Durch Ona lernt Quinn seinen Jungen kennen, mit dem er nie etwas anfangen konnte. Sie zeigt ihm, wie sein Sohn wirklich war.

Die alte Dame erzählt dem 11jährigen Jungen ihre tiefsten Geheimnisse, die er auf Tonband aufnimmt. ONAS LEBENSGESCHICHTE, die sie vordem niemanden erzählte.
Sie sagt: „seine reglose Aufmerksamkeit wirkte wie ein Serum“...(S. 87)
Der kleine Junge vermag ihr erstaunliche Erkenntnisse und unglaubliche Begebenheiten zu entlocken.
Beispiele: Ona heiratete einen viel älteren Mann, der „im Schlafzimmer so brav und phantasielos“ ihre Narbe niemals bemerkte. (S. 85) ODER: Sie „verwechselte ...Freude fälschlicherweise mit Liebe“ (S. 161) und „heiratete ... Howard Stanhope aus unverzeihlicher Phantasielosigkeit“...(S. 162)...

Ona blickt selbstkritisch, vor allem in ihrer Lebensbeichte auf ihr langes Leben zurück.
Quinn indes bemerkt quälend und schmerzlich seine nicht mehr rückgängig zu machenden Fehler. Ist zutiefst verzweifelt und möchte wenigstens, dass zu Ende bringen, was sein Sohn begonnen hat.

Der Junge ist gestorben, aber er ist im gesamten Buch präsent. Er ist ständig gegenwärtig, durch seine Handlungen, die nachwirken, seine 10 Punkte Listen, seine Interviews mit Ona...

Für mich waren die Interviews teilweise nicht leicht zu erfassen. Man weiß zwar, dass die drei Punkte im Text für den Jungen stehen, seine handgeschriebenen Fragen. Es wäre besser gewesen, seine lautlosen Fragen wären nochmals formuliert worden. (evtl. in Klammern gesetzt)

Fazit:
Das Buch verlangt aufmerksames Lesen. Barbara Wood fordert ihre Leser, Konzentration ist gefragt.
Sie schrieb einen emotionalen, gefühlvollen, leisen, nachdenklichen Roman.
Sehr empfehlenswert! Fünf Sterne!

Bewertung vom 01.09.2016
König Laurin
Thilo

König Laurin


sehr gut

Genre: Märchen – empfohlenes Lesealter ab 8 Jahre
Ort der Handlung: Irgendwo in den Alpen
Zeit: Hochmittelalter (ca. 1050 bis 1250)

„König Laurin“ ist ein schönes Buch zum Film und dann auch noch in zeitnaher Abfolge, erst das Buch, dann der Film.
Das Cover weckte bei mir neugieriges Interesse, zeigt es doch eine filmplakatmäßige Aufmachung mit den Darstellern, der Ritterburg und der bergigen Kulisse im Hintergrund.

Theodor, der Sohn von König Dietrich ist eine liebenswürdige Romanfigur mit positiven Charaktereigenschaften. Seit dem Tod seiner Mutter war er nicht mehr gewachsen. Das machte dem König Dietrich große Sorgen und ergriff drastische Maßnahmen.
Aber auch das Strecken des Sohnes in der Folterkammer brachte keinen Erfolg.

„Nur was groß ist, ist gut!“ Kann dieser Aussage von König Dietrich zugestimmt werden?

Theodor ist zwar klein von Wuchs, aber er hat andere Vorzüge. Er hat ein gutes, mitfühlendes großes Herz. Theodor besitzt zwar kaum Muskeln, dafür aber umso mehr Grips. Das beweist sein erfindungsreiches Verhalten, als es dem mageren Esel Grauchen an den Kragen gehen sollte.
Nach einem Beinahe-Unglück schließt der kleine Theo mit dem Zwergenkönig Laurin Freundschaft. Die Zwerge und König Laurin wurden von den Menschen vertrieben und leben versteckt.
Aus dem Königssohn wird am Ende der Geschichte ein großer Held. Die Moral von der Geschichte: Es kommt nicht allein auf die Körpergröße an...

Wie das alles zusammenhängt, war für mich als Erwachsene, als Großmutter von Enkelmädchen vergnüglich zu lesen.

Die Charaktere sind hervorragend gezeichnet. Die handelnden Personen sind gut, böse, intrigant, dumm... Die Eigenschaften wurden exzellent, kindgerecht ausgearbeitet. Das wird besonders deutlich beim Vetter Wittich und den Armeliten.
Die Sätze sind kurz und nicht verschachtelt. Die Schrift ist schön groß. Das empfohlene Lesealter für 8 Jahre finde ich in Ordnung.
Aber:
Hätte man für die modernen Begriffe deutsche Wörter genommen, da bin ich mir sicher, wäre die Geschichte um König Laurin und dem Königssohn Theodor genauso schön geworden. Ich finde solche Worte wie: Container, Flyer, Backstagebereich, Trainingsanzug, Allergie, chillen und viele mehr gehören nicht in ein Märchen, das in der Zeit der Ritter spielt.

Deshalb gibt es von mir auch nur vier Sterne!

Bewertung vom 01.09.2016
Nach einer wahren Geschichte
Vigan, Delphine

Nach einer wahren Geschichte


ausgezeichnet

Delphine, die Hauptprotagonistin ist eine Schriftstellerin. Die Vornamensgleichheit zur Autorin fällt auf. Autorin und Romanfigur sollen verschmelzen, zumal Delphine als Icherzählerin auftritt.
Delphine erleidet eine „Schreibblockade“ in der reinsten, schlimmsten Form. Sie schreibt wirklich rein gar nichts mehr (keine E-Mails, keinen Einkaufszettel...)
All das passiert, nachdem sie die Bekanntschaft mit L. machte, einer Ghostwriterin.
War es Zufall, dass sie sich begegneten?

Delphine scheint von dieser Frau so fasziniert zu sein, dass sie nicht merkt, wie diese in ihr Leben eindringt. L. übernimmt ihre Erledigungen und Pflichten...
Ihr „affektiver Schutz“ (durch heftige Gefühlsäußerungen gekennzeichnet, überschnell und reflexartig) funktionierte bis sie L. begegnete. D. fühlte sich sofort von L. verstanden bis ins Innerste. L. scheint eine Seelenverwandte zu sein, sie stellen sich dieselben Fragen.

Ich zitiere: S. 41 „Menschen, die die echten, die wichtigen Fragen stellen, sind selten“.

Die spielerisch wirkende Intensität mit der L. auf D. einwirkt, nimmt zu, während D.´s Unsicherheit sich literarisch ausdrücken zu können, immer mehr abnimmt. Man erwartet eine Eskalation. Statt dessen entwickelt D. für alles, was nur irgendwie mit Schreiben zu tun hat, eine Phobie. Diese Schreibblockade äußert sich bald auch durch körperliche Abwehrreaktionen. L. sorgt indes weiter mit ihren Einwänden für Unsicherheit.

S. 100 „Deine Figuren müssen einen Bezug zum Leben haben“.
S. 101 Delphine aber glaubte:“Der Leser war immer bereit, der Illusion nachzugeben und die Fiktion für Wirklichkeit zu halten“.

Mit klarer, sachlicher Sprache versteht es die Autorin den Leser lange Zeit im unklaren zu lassen, welche Ziele L. verfolgt. Ich werde es nicht verraten!

Diese Fragen bewegen mich: Wo beginnt die Wahrheit? Wo endet die Fiktion?
Das ganze Geschehen um L. und D. stellt für mich ein gewieftes, listiges Verwirrspiel auf literarischem Gebiet mit Vermutung, Tatsache, Identität und Übereinstimmung dar.

Delphine de Vigan beschreibt großartig Gefühle und Empfindungen in atmosphärischen Dichte. Unterschwellig ist eine ständige Gefahr/Bedrohung im Verlauf der Geschichte zu spüren. Ein starkes Buch!

Martina Gedeck spricht das Hörbuch und leiht Delphine de Vigans Roman ihre schöne Stimme. Sie sagt über das Werk:
„Kluges und geheimnisvolles Spiel um Literatur und Wahrheit, Identität und Künstlertum. Ein wunderbarer Text.“
Dem kann ich nichts hinzufügen. Ich stimme ihr voll zu.
Das Buch verlangt Aufmerksamkeit beim Lesen. Es ist keine leichte Lektüre.

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