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hamburger.lesemaus
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Bargfeld-Stegen

Bewertungen

Insgesamt 333 Bewertungen
Bewertung vom 06.06.2022
Braunes Erbe (MP3-Download)
Jong, David De

Braunes Erbe (MP3-Download)


ausgezeichnet

Natürlich wusste ich, dass die Unternehmer wir Thyssen, Flick und Co. Nazideutschland unterstützt haben, aber dieses Buch, mit so vielen feinen recherchierten Details, hat mich entsetzt und mir regelmäßig Gänsehaut gemacht:

Das braune Erbe: Die dunkle Geschichte der reichsten deutschen Unternehmerdynastien
David De Jong,
gelesen von Alexander Gamnitzer

Direkt nach der Machtergreifung Hitlers hat dieser die führenden Magnaten zu sich bestellt. Diese folgten Hitler bereitwillig und boten ihm ihre Unterstützung an.
Leise und hinter dem Rücken der Alliierten produzierten diese Waffen und rüsteten auf.
Später, während des 2. Weltkrieges und der Arisierung, entmachteten und enteigneten sie jüdische Banken und Firmen, die sie dann untereinander aufteilten.
Man muss sich wirklich fragen, ob es ohne Flick, Porsche, Oetker, Quandt, Thyssen, von Fink und Co. zum Krieg hätte kommen können.

Die Prozesse nach dem verlorenen Krieg, wo die Herren hätten zur Rechenschaft gezogen werden müssen, war eine Lachnummer und hat mich sprachlos gemacht.
David De Jong hat gründlich recherchiert. Ich habe ganz viel Neues erfahren und bin entsetzt.

Wenn ihr jetzt denkt, na ja, das was du jetzt geschrieben hast, ist ja nichts unbekanntes, dann höre dieses Buch. Es geht 15 Stunden und 25 Minuten. Ich bin mir sicher, dass auch du vieles zum ersten Mal hören wirst!

Lest/Hört dieses Buch!
5 Sterne

Bewertung vom 06.06.2022
Barbara stirbt nicht (MP3-Download)
Bronsky, Alina

Barbara stirbt nicht (MP3-Download)


sehr gut

Barbara stirbt nicht
Alina Bronsky,
gelesen von Thomas Anzenhofer


Walter Schmidt ist empathielos, ein Stiesel, ein Muffel, ein Patriarchat, intolerant und ein Rassist. Eines Morgens wacht er auf und sein erster Gedanke ist, dass es nicht wie gewohnt nach Kaffee richt, wie es sollte. Stattdessen findet er Barbara im Bad, wo sie auf dem Boden liegt. Er macht ihr ein paar Vorwürfe, wischt ihr das Blut von der klaffenden Kopfwunde und bringt die völlig unterkühlte Barbara wieder ins Bett.
Da Barbara auch die nächsten Tage keine Anstalten macht aufzustehen, muss er wiederstrebend und fluchend lernen wie man Kaffee kocht. Für den Haushalt war immer Barbara verantwortlich. Die Küche hat er nie betreten, überhaupt, für Frauensachen ist er nicht zuständig!
Irgendwann taucht sein Sohn auf, der sich Sorgen um seine Mutter macht und sie ins Krankenhaus bringen will, aber Walter weist ihn zurück, denn Barbara war nie krank.
Die Wochen vergehen ohne das Barbaras Gesundheitszustand sich verbessert. Ganz langsam beginnt Walter, mit Hilfe eines YouTube-Kochvideos kochen zu lernen und findet sogar Gefallen daran. Ob er sich zum Ende des Buches verändert hat, müsst ihr selber herausfinden.


Ein Buch, dass mich (Nähkästchen auf) an meine eigene Kindheit erinnert. Noch heute isst mein Vater nicht, wenn ihm keiner den Teller auffüllt (Nähkästchen wieder zu).
Mich hat das Buch zwischendurch wirklich aufgeregt: Walter, der seit 54 Jahren verheiratet ist und immer erklärt, dass Barbara ja nicht seine erste Wahl war und er sie nur geheiratet hat, weil sie damals schwanger war. Das keiner der Kinder gerne kommt, merkt er gar nicht. Diese mangelnde Selbstreflexion … grrr .. hat mich ganz wahnsinnig gemacht.
Aber genau das wollte die Autorin bewirken und ich habe dem Sprecher des Hörbuchs, deren Stimme perfekt passt, wirklich gerne zugehört.
Ein gutes Buch, auch wenn der Protagonist ein wahrer Unsympath war.
4 Sterne

Bewertung vom 02.06.2022
Die Entflohene
Huisman, Violaine

Die Entflohene


sehr gut

Die Entflohene
Violaine Huisman,
aus dem Französischen von Eva Scharenberg

TW: Vergewaltigung, Abtreibung, Suizid, Vernachlässigung von Kindern, Tabletten- und Alkoholmissbrauch.

„Maman hatte alle möglichen Verhaltensstörungen, man hätte sie auch gut in Form einer Liste von Krankheitsbildern porträtieren können: Schizophrenie, Mythomanie, Kleptomanie, Alkoholismus, abwechselnd Depressionen und Hysterie. Sie konnte überdreht sein oder niedergeschlagen, essen wie ein Scheunendrescher oder fast verhungern, sie war in jeder Beziehung extrem.“ (S.49)

Violaine Huisman schreibt hier eine Hommage auf ihre wunderschöne, aber exzentrische Mutter Catherine („Maman war eine der schönsten Frauen der Welt. Das sagten alle, die sie in ihren Glanzzeiten erlebt hatten und ihre Schönheit war für sie selbst mindestens genauso fatal wie für ihre Männer und Frauen, die ihr verfielen.“ S.11), eine Frau, die einer Naturgewalt glich. Eine Ehefrau, die ihre drei Ehemänner hinterging oder selbst betrogen wurde. Eine Mutter, die ihre Kinder zwischen fanatischer Liebe und abstoßender Gleichgültigkeit behandelte: „Seht zu, wie ihr zurecht kommt!, das war der ewige Refrain ihrer Litaneien, sie sagte, wir sollen uns verpissen und nicht dauernd angeschissen kommen, wir sollten mal damit aufhören, auf die ganze Welt zu scheißen, wir sollten endlich kapieren, dass sie sich einen Scheiß für die Fragen und Sorgen verhätschelter fauler Gören interessierte. Seht zu, wie ihr zurechtkommt, ihr kotzt mich an mit euren bescheuerten Problemen! Das war aber nicht das Ende von Mamans Beschimpfungen, in der Regel fingen sie so erst an. (S.12)

Die Autorin teilt ihr Buch in drei Teile auf:
- Im ersten Teil sind Violaine und ihre ältere Schwester Teenager in Paris und sie erzählt im Rückblick, ein wenig durcheinander, jedoch absolut verständlich, wie es zu Catherines Einweisung in die Irrenanstalt kam und wie die Mädchen währenddessen herumgeschoben wurden. „Weihnachten war immer eine Qual, aber in diesem Jahr war es nur ein Martyrium, und ich konnte und kann immer noch nicht fassen, dass wir so tun mussten, als würden uns die Geschenke gefallen, weil wir Papa nicht kränken durften, ihm gefiel es, und wir durften ihn nicht verärgern, wir hatten nur ihn und waren nicht bereit, uns zu Waisen zu erklären, deshalb bemühten wir uns mitzuspielen, zu lächeln und danke zu sagen und möglichst vor Freude zu strahlen, damit Papa uns nicht in einem Wutanfall hinauswarf.“ (S.18)
- Im folgenden Teil wird ganz chronologisch das Leben Catherines von der Geburt an bis zur Einlieferung beschrieben. Mit allen Höhen und Tiefen lernen wir sie kennen und auch ein bisschen hassen.
- Im letzten Teil ist Violaine erwachsen und lebt seit zehn Jahren in den Vereinigten Staaten („ … es müsse mir gelingen, mein Leben zu leben, das, was sie mir an Leid und traumatischen Erfahrungen zugemutet habe, sei zu viel gewesen, ich müsse fortgehen, um mich woanders entfalten zu können, nicht auf den Trümmern ihres Schmerzes, nicht auf den Mienenfeldern unserer Vergangenheit, sondern in einem Land der Zukunft, in einer neuen Stadt. S. 221) und bekommt einen Anruf von ihrer Schwester, der sie zwingt noch einmal nach Paris zurückzukehren.

Huisman hat hier einen kraftvollen und imposanten Roman geschrieben. Auch wenn an Fäkalsprache nicht gespart wurde, so ist der Sprachstil fast immer auf hohem Niveau. Diverse Male habe ich zurückgeblättert, da ich dachte mich verlesen oder etwas verpasst zu haben. Ein autobiografisches Romandebüt, welches mich berührt hat..
Eine Leseempfehlung für diejenigen, die keine schwachen Nerven haben und französische Literatur lieben.
4 Sterne

Bewertung vom 29.05.2022
Die Geschichte von Kat und Easy
Pásztor, Susann

Die Geschichte von Kat und Easy


sehr gut

Die Geschichte von Kat und Easy
Susann Pásztor

Susann Pásztor schreibt ihren Roman auf zwei Zeitebenen;
- 1973: Kat und Easy, Teenager, leben in einem kleinen Dorf und sind beste Freundinnen. Easy ist der Hingucker des Dorfes, während Kat immer in ihrem Schatten steht. Sie erleben den ersten Sex, experimentieren mit Drogen und Alkohol und verlieben sich in den selben Mann. Nachdem dieser zu Tode kommt, trennen sich ihre Wege.

- 46 Jahre später treffen sich die beiden Frauen auf Kreta wieder und stellen fest, dass viel Unausgesprochenes zwischen ihnen steht. Erst nach und nach kommt die ganze Wahrheit ans Licht.
„Es wimmelt nur so von Rollenklischees hier, und auch ich war eins mit meiner gekränkten Eitelkeit, nach all den Jahren immer noch nichts anderes als die Freundin vom schönsten Mädchen zu sein.“ (S.105)

Susann Pásztor hat hier ein sehr realistisches Buch geschrieben. Es geht um die erste Liebe und ihrer Verletzlichkeit, um kleine Lügen, die ein ganzes Leben verändern können.

Der leichte Schreibstil liess mich schnell ins Buch finden und auch wenn mir beide Protagonistinnen nicht übermäßig sympathisch waren, fliegt man förmlich durch die Seiten. Die Tiefe des Buches wurde mir erst am Schluss deutlich.
Von mir eine klare Leseempfehlung
4 Sterne

Bewertung vom 28.05.2022
Mädchen, Frau etc. - Booker Prize 2019
Evaristo, Bernardine

Mädchen, Frau etc. - Booker Prize 2019


sehr gut

Mädchen, Frau ETC.
Bernadine Evaristo,
aus dem Englischen von Tanja Handels

Da war ich wohl die Letzte, die dieses Buch gelesen hat, oder?
Es lag lange auf meinem #stapelungelesenerbücher und ich ahne auch warum - ich mag ja gar keine Kurzgeschichten. Zu wenig Inhalt und kaum hat es begonnen, so endet es auch schon wieder.
Vielleicht werde ich aber überrascht?!

Evaristo lässt viele, meist schwarze Frauen zu Wort kommen. Alle erzählen ihre Geschichten: Von ihren Vorfahren, deren Flucht, Umsiedlung, vom Rassismus und ihrem jetzigen Leben mit allen Höhen und Tiefen.
Das besondere an diesem Buch ist, dass die meisten Frauen sich kennen oder verwandt sind. Deshalb erzählt auch mal eine Frau in einem anderen Kapitel das Geheimnis einer vorherigen Protagonistin.
Mir gefiel das Buch sehr! Es hat überhaupt nicht diesen typischen Kurzgeschichten-Charakter. Lediglich die ersten zwei Geschichten konnten mich nicht überzeugen.
Der ungewöhnliche Schreibstil ohne Punkt und Großbuchstabe zu Beginn eines Satzes, hat mich überhaupt nicht gestört.
Ein sehr gutes bis hervorragendes Buch!
4½ Sterne und eine klare Leseempfehlung von mir.

Bewertung vom 25.05.2022
Der Mann im Untergrund (MP3-Download)
Wright, Richard

Der Mann im Untergrund (MP3-Download)


gut

Wichtiges Thema, konnte mich aber nicht packen.

Der Mann im Untergrund
Richard Wright
aus dem Amerikanischen von Werner Löcher-Lawrence,
gesprochen von Patrick Abozen und Timo Weisschnur


Der schwarze Arbeiter Fred Daniels erhält am Ende der Woche seinen Lohn und geht zur Bushaltestelle, um nach Hause, zu seiner hochschwangeren Frau, zu fahren.
Aufgehalten wird er von drei weißen Polizisten, die ihn beschuldigen, die Nachbarn seiner Arbeitgeberin kaltblütig ermordet zu haben. Fred streitet alles ab, er sei noch nie im Hause der Nachbarn gewesen und einen Doppelmord könnte er, ein treuer Kirchgänger, schon gar nicht verüben.
Die Polizisten hören ihm nicht zu, inhaftieren ihn, foltern und manipulieren ihn so lange psychisch und physisch, bis er ein Schuldgeständnis unterschreibt.
Fred kann flüchten, hebt einen Kanaldeckel an und versteckt sich in der Kanalisation.
In diesem zweitem Teil des Buches verliert er seine Unschuld und kommt zu einer überwältigenden Einsicht, die ihn im dritten Teil des Buches zu den Polizisten zurückführt.


Der afroamerikanische Autor Richard Wright (1908-1960) war einer der einflussreichsten Schriftsteller seiner Zeit in Amerika. Der Roman wurde bereits 1941/42 geschrieben, jedoch zunächst von seinem Verleger abgelehnt. Heute erscheint dieser Roman erstmals in ungekürzter Fassung.
Leider ist "polizeiliche Gewalt“ in Amerika noch immer hochaktuell #blacklivesmatters und daher auch ein wichtiges Thema, jedoch konnte mich der Roman nicht ganz einfangen.
Begonnen hat er so eindrücklich, dass ich Fred am liebsten zur Hilfe geeilt wäre, aber für mich verlor sich die Spannung, als er in die Kanalisation floh. Die erlebten Geschichten im Untergrund wurden mir lang, trotz der sehr guten Sprecher des Hörbuchs.
Dennoch 3 Sterne für den spannenden Einstieg ins Buch, das gute Cover und das wichtige Thema, was bestimmt viele Leser finden wird.

Bewertung vom 21.05.2022
Crossroads
Franzen, Jonathan

Crossroads


sehr gut

Nettes Buch

„Selbst wenn man achtzig Jahre lang lebte, war die Dauer eines Lebens verschwindet gering, man schaute sich einmal um, schon waren achtzig Jahre mit all ihren Sonntagen vorüber. Das Leben hatte keine Länge; nur in der Tiefe lag die Rettung.“ (S. 779)

CROSSROADS
Jonathan Franzen,
aus dem Englischen von Bettina Abarbanell

Eine Familiengeschichte mit all ihren Problemen:
- Vater und Pastor Russ Hildebrandt hat nur ein Ziel: die gutaussehende, verwitwete Frances, Gemeindemitglied, zu beeindrucken. Mit dem Hintergedanken, mit ihr zu schlafen, sie zu ehelichen und ein neues Leben zu beginnen. Auf diesem Weg ignoriert er alles, schlägt Warnungen in den Wind, hört keinem zu und übersieht alle Befindlichkeiten seiner Mitmenschen.
- Mutter Marion, die psychisch labil ist, an Fettsucht leidet und von ihrem Mann abgelehnt wird.
- Sohn Clem, der sein Studium hinwirft und sich freiwillig für den Vietnamkrieg meldet, ohne das Einverständnis seiner Eltern einzuholen.
- Tochter Becky, super Star der Schule, verliebt sich in den coolen Gitarrenspieler und spannt ihn kurzer Hand Laura aus.
- Sohn Perry, hoch intelligent, aber drogen- und alkoholabhängig.

Die Probleme der Familie Hildebrandt konnten mich nicht immer in ihren Bann ziehen. Einige Passagen waren so spannend, dass ich das Buch nicht aus der Hand legen konnte, bei andern Familienmitgliedern wurde das Buch zum Kaugummi.
Aber wenn ich das gesamte Buch bewerten sollte, so ist es ein gutes Buch mit einem grandiosen Erzählstil.

Fazit:
800 Seiten-Bücher sind schwer, aber meine Muskeln sind gestärkt und ich weiß jetzt, was in den Köpfen von Pastoren vorgeht ;)
4 Sterne

Bewertung vom 15.05.2022
Von hier bis zum Anfang
Whitaker, Chris

Von hier bis zum Anfang


ausgezeichnet

„Ich wünschte nur, es gäbe irgendwas in der Mitte. Denn da leben die Leute. Es muss nicht immer alles oder nichts sein … schwimmen oder untergehen. Die meisten Leute waten durchs Wasser, und das genügt. Denn wenn du untergehst, dann ziehst du uns mit runter.“ (S.57)

Von hier bis zum Anfang
Chris Whitaker

Wow wow wow, was für ein Buch!
Warum das Buch 1 Jahr auf meinem #SUB #stapelungelesenerbücher lag, kann ich euch erklären: Ich hatte mir vor über einem Jahr eine Leseprobe geladen und kam überhaupt nicht ins Buch hinein. Warum verstehe ich heute selbst nicht, denn der Beginn liest sich flott und gut - wie das ganze Buch.
Ich habe es durchgesuchtet, inhaliert, habe es geträumt und geliebt.

Aber von hier jetzt mal zum Anfang:
Die 13-Jährige Duchess wächst mit ihrem 5 Jahre alten Bruder Robin bei ihrer Mutter in Cape Heaven auf. Ihre Mutter ist selten zu Hause, ist chronisch pleite und öfter betrunken als nüchtern, Väter unbekannt. Duchess obliegt die Aufgabe sich um alles zu kümmern und das macht sie wild entschlossen und zur Not, wenn sich ihr jemand in den Weg stellt, auch mit Fäusten.
Star, ihre Mutter, ist seit ihrer Kindheit traumatisiert. Ihre jüngere Schwester wurde vor 30 Jahren getötet, woraufhin ihr Teenager-Freund, Vincent King, des Mordes an ihrer Schwester zu 10 Jahren Haft verurteilt wurde und diese in einem Männergefängnis absitzen musste.

Als King 30 Jahre später, am Tage seiner Haftentlassung, von seinem ehemaligen besten Freund, Chief Walker, abgeholt wird, ist nicht jeder darüber glücklich, dass Vincent wieder nach Cape Heaven zieht.

Das ganze Buch wird in zwei Handlungssträngen erzählt, dabei passiert so viel, dass das Buch immer wieder eine neue Wendung nimmt.
Whitaker hat einen eigenen Schreibstil, der perfekt zu dieser Geschichte und den kraftvollen Charakteren passt.

Duchess zu ihrem Grossvater in Montana: „Wenn du mir das alles zeigst, die ganze Schönheit hier, und denkst, dass ich das auch sehe … dann solltest du wissen, das alles verblasst neben dem, was ich vorher gesehen habe. Das Lila da … , sie macht eine Handbewegung zu den Heidelbeeren, erinnert mich an ihre Rippen, so heftig wurde auf sie eingeprügelt. Das blaue Wasser, das sind ihre Augen, ganz klar, man sieht sofort, dass keine Seele mehr drin wohnt (S.198)

Fazit:
Es ist ein Krimi, eine Tragödie, ein Drama, eine wahnsinnige Geschichte, deren Spannungsbogen früh beginnt und gefühlt nie abschwächt.
Große Leseempfehlung 6 / 5

Bewertung vom 13.05.2022
Viktor
Fanto, Judith

Viktor


sehr gut

„Das wir jüdisch waren, wusste ich von Kind an, nicht aber, was es bedeutete“. (S.17)

Viktor
Judith Fanto

Die junge Geertje van den Berg lebt in Nijmegen, den Niederlanden und studiert dort Jura.
1939 flohen ihre jüdischen Eltern und Großeltern aus Wien nach Belgien, wo sie sich nach kurzer Zeit erneut vor den Nazis verstecken mussten. Nach dem Krieg emigrierten diese nach Holland.
Schon lange ist ihre ganze Familie katholisch und sie versuchen jegliche Dinge, die sie mit dem Judentum in Verbindung bringen könnten, zu verwischen.
Wann immer Geertje gewisse Themen wie „Religion" oder "Flucht vor den Nazis“ bei ihrer Familie anspricht, verfällt diese ins Schweigen. Nur wenn Geertje mal wieder vorlaut ist, murmelt ihr Großvater: „Das muss sie von Viktor haben!“
Viktor, so viel hatte sie herausgefunden, war der Bruder ihres Großvaters, ein Betrüger, der ein Lotterleben mit Glücksspiel, Betrügereien, Pferdewetten und gefälschten Ausweisen führte, ein Mann, der sich nicht um gesellschaftliche Konventionen kümmerte.

Die Autorin schreibt ihr Buch auf zwei Zeitebenen:
- 1994: In diesem Erzählstrang versucht Geertje die Vergangenheit ihrer Familie zu beleuchten, gleichzeitig möchte sie sich zum Judentum bekennen.
- 1914: Wir begleiten die Familie Rosenbaum durch den ersten und zweiten Weltkrieg, wobei Viktor die Hauptperson ist. Er ist das „schwarze Schaf“ der Familie und sein Vater lässt keine Gelegenheit aus, ihm sein Fehlverhalten vorzuhalten.

Viktor ist ein flüssiges und sehr lesenswertes Buch. Unglaublich gut haben mir die Konversationen zwischen Viktor und seinem Vater bzw. Schwester gefallen. Und auch das Leben der Juden in Wien zur Zeit des Anschlusses an das Nazi-Deutschland, per Volksentscheid (!), war sehr aufschlussreich.
Dank des Stammbaumes auf den ersten Seiten des Buches konnte ich mich schnell einlesen.
Judith Fanto beschreibt hier eindrucksvoll und auf literarisch hohem Niveau ihre Familiengeschichte. Ein weiteres Schicksal der dunkelsten und traurigsten Zeit der deutschen Geschichte.
Leseempfehlung 4 Sterne

Bewertung vom 11.05.2022
Für immer und noch ein bisschen länger
Leciejewski, Barbara

Für immer und noch ein bisschen länger


ausgezeichnet

Wunderschönes Buch
Da mich weder das Cover noch der Titel ansprachen (Entschuldigung an dieser Stelle an den Ullsteinverlag), konnte ich das Buch

Für immer und noch ein bisschen länger
von
Barbara Leciejewski,
gelesen von Ulrike Kapfer,

ein paar Wochen recht gut ignorieren.
Aber dann sah ich diese vielen positiven Bewertungen und da wurde ich doch neugierig, zumal mich ja gerade zwei andere Liebesromane überzeugen konnten.

Doch dann kam es ganz anders: Für mich war dies gar kein Liebesroman. Ja, okey, die Protagonistin Anna verliebt sich schon in diesem Buch, aber im Vordergrund steht eine ganz andere Geschichte, eine Geschichte aus dem echten Leben, die mitten in der Covid-Zeit spielt.


München 2020:
Anna, Pianistin, hat vor 6 Jahren ihren Verlobten Jeremias bei einem Autounfall verloren. Seitdem lebt sie allein in der großen Altbauwohnung und versucht alle Kontakte mit Freunden und Bekannten zu vermeiden.
Als Anna ihre Wohnung gekündigt wird, ist es keine Option zu ihrem Vater zu ziehen. Dieser hat sich nach dem Tod ihrer Mutter, im Kindbett, nie um sie gekümmert - schlimmer: Er hat sie direkt nach ihrer Geburt zu seinen hartherzigen Eltern gegeben.
In München stehen die Leute für bezahlbare Altbauwohnungen ’Schlange’ und es ist ihr nicht möglich in dieser 3-monatigen Kündigungsfrist eine Wohnung zu finden. Ihre einzige Möglichkeit bleibt ein Zimmer in einer großen Wohnung einer Alten-WG. Ihre Mitbewohner sind alle über 70 Jahre alt, ein wenig schrullig, liebenswert aber mit kleinen Eigenarten.
Als das Virus Deutschland fest im Griff hat, rücken die fünf Mitbewohner zusammen, lernen sich besser kennen, profitieren voneinander und helfen sich gegenseitig wieder ins Leben zu finden.


Der Schreibstil der Autorin ist flüssig und die Sprecherin des Hörbuches ist wunderbar. Leciejewski hat es ganz wunderbar verstanden ihre kaltherzige Protagonistin Anna in ihrer Geschichte langsam zu verändern - und das komplett ohne Kitsch, sondern mit Gefühl.
Ein ganz liebenswertes Buch, welches ich nicht mehr aus der Hand legen konnte. Ich musste mir sogar das Hörbuch laden, damit ich keine Minute verpasse.
5 Sterne