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Lesendes Federvieh
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München
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Hinter dem Namen Lesendes Federvieh verbirgt sich das Blogger-Duo kathiduck und Zwerghuhn. Wir lesen querbeet alles, was uns zwischen die Finger kommt und veröffentlichen die Rezensionen dazu auf unserem Blog (lesendes-federvieh.de). Dort gibt es übrigens noch viele weitere Beiträge rund ums Thema Buch. :)

Bewertungen

Insgesamt 539 Bewertungen
Bewertung vom 03.07.2020
Desert Nurse - Eine Krankenschwester folgt ihrem Herzen
Hart, Pamela

Desert Nurse - Eine Krankenschwester folgt ihrem Herzen


sehr gut

Sydney, 1911: Evelyn träumt davon Ärztin zu werden, doch ihr Vater verweigert ihr die Auszahlung ihres Erbes bis sie entweder verheiratet oder 30 Jahre alt ist. Deshalb beginnt sie hinter seinem Rücken heimlich eine Ausbildung zur Krankenschwester und meldet sich beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges freiwillig bei der Australischen Armee. Zur Versorgung der zahlreichen Verletzten wird sie nach Ägypten geschickt, wo sie tagtäglich mit dem eigenwilligen Dr. William Brent um das Überleben der Verwundeten kämpft. Doch ihre aufkeimenden Gefühle für den begabten, feinsinnigen Arzt haben eigentlich keinen Platz in ihrem Traum eines eigenständigen Lebens als Frau und Ärztin.

Bei medizinhistorischen Romanen werde ich immer schwach, doch bei „Desert Nurse“ hat mich besonders der Schauplatz Ägypten während des Ersten Weltkrieges gereizt und ich wurde definitiv nicht enttäuscht.

Hatte man ein stilles Mäuschen erwartet, welches das Verbot ihres Vaters Medizin zu studieren kampflos hinnimmt, so wurde man bereits zu Beginn eines Besseren belehrt. Mit gerade einmal 21 Jahren fasst Evelyn den mutigen Entschluss ihren Traum als Ärztin zu arbeiten in die Realität umzusetzen. Selbst wenn das bedeutet sich hinter dem Rücken ihres Vaters zur Krankenschwester ausbilden zu lassen und sich freiwillig für den Ersten Weltkrieg mit Stationierung in Ägypten zu melden. Diese Vorgehensweise finde ich absolut bewundernswert und zeugt von unglaublicher innerer Stärke. Allerdings zeigt sie auch die einschneidenden Defizite der damaligen Gesellschaft auf, die es Frauen nahezu unmöglich machte ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Vor diesem Hintergrund ist es auch verständlich wie sehr sie sich davor sträubt ihre Gefühle für den jungen Chirurgen Dr. William Brent zuzulassen, der sich anfangs ebenfalls – wenn auch aus anderen Gründen – zurückhält. Die schrittweise Annäherung der beiden vor der Kulisse der Kriegswirren inmitten schwerverletzter Soldaten ist absolut spannend zu verfolgen. Beide leben für die Medizin und haben genaue Vorstellungen wie ihr zukünftiges Leben aussehen soll.

Dieser mitreißende, historische Roman beeindruckt besonders durch den atmosphärischen Schreibstil, welcher die Wüste Ägyptens förmlich lebendig werden lässt, und die ausdrucksstarken Charaktere, allen voran die starke, weibliche Hauptfigur.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.07.2020
Orangenträume / Kalifornische Träume Bd.2
Inusa, Manuela

Orangenträume / Kalifornische Träume Bd.2


sehr gut

Es ist schon lange Tradition. Jeden Juli nehmen sich die Freundinnen Rosemary, Jennifer und Michelle Zeit, um ihre Freundin Lucinda auf ihrer Orangenfarm in Kalifornien zu besuchen. Sie erzählen sich von alten Zeiten, was so alles in ihrem Leben passiert und genießen die Sonne und das Miteinander auf der Farm. Doch die drei Freundinnen wissen noch nicht, dass es das letzte Treffen gewesen sein könnte, denn Lucinda hat mit großen finanziellen Problemen zu kämpfen, es ist ungewiss, ob sie die Orangenplantage erhalten kann. Aber mit solchen Freundinnen, von denen jede auch ihr Päckchen zu tragen hat, muss es einfach einen Ausweg geben...

Wenn ich mich mit einem Buch zum Abtauchen und Genießen in fremde Welten in den Lesesessel zurückziehen möchte, dann greife ich besonders gerne zu einem Roman von Manuela Inusa. Denn sie ist für mich ein Garant für gute und entspannende Lesestunden. So auch diesmal mit ihrem neuesten Buch "Orangenträume", das auf einer Orangenfarm in Kalifornien spielt.

Man riecht die Orangen, spürt die kalifornische Sonne und sieht das Farmhaus mit seinem in die Jahre gekommen Charme. Vor solch einer tollen Kulisse erzählt die Autorin die Geschichte von Lucinda und ihren drei besten Freundinnen aus Jugendtagen, von denen jede einzelne mit Schicksalsschlägen zu kämpfen hat.

Spannend und berührend geschrieben, eben mit ihrer angenehmen, fluffigen Schreibweise, zieht sie den Leser in ihren Bann. Auch die Charaktere sind mit viel Herzblut und Freude am Detail ausgearbeitet. Man kann sie sich super vorstellen und fühlt einfach mit allen vier Freundinnen mit. Solchen Zusammenhalt hätte wohl jeder gerne.

Schön finde ich bei Manuela Inusa auch immer wieder, dass sie nicht nur Romane zum Wohlfühlen schreibt, sondern wichtige gesellschaftliche Themen in ihren Büchern verarbeitet, hier ein Beispiel ist die häusliche Gewalt. Sie schärft so den Blick für Missstände in unserer Gesellschaft und das ohne erhobenen Zeigefinger. Das finde ich großartig.

"Orangenträume" ist ein kurzweiliges und wunderbar unterhaltsames Buch, das noch lecker abgerundet wird durch Lucindas sommerliche Orangenrezepte. Was will das Leserherz mehr? Jetzt bleibt mir nur noch die Vorfreude auf August, denn dann soll der dritte Band dieser Buchreihe, "Mandelglück", erscheinen.

Bewertung vom 26.06.2020
Friday Black (deutschsprachige Ausgabe)
Adjei-Brenyah, Nana Kwame

Friday Black (deutschsprachige Ausgabe)


sehr gut

Nana Kwame Adjei-Brenyah erzählt in zwölf außergewöhnlichen Geschichten von Rassismus, Gewalt und ausuferndem Komsumverhalten. Wie ist es in Amerika jung und schwarz zu sein? Wie sieht Rassismus im Alltag aus? Aktueller kann ein Buch momentan nicht sein...

Friday Black ist eine Sammlung von 12 Kurzgeschichten die es in sich haben. Storys, die man nicht einfach so wegliest, sondern wirken lassen muss. Der Autor öffnet dem Leser auf ganz eigene Art und Weise die Augen über das aktuelle Amerika. Rassismus, Gewalt und Konsumterror sind die zentralen Themen, mit denen er sich in seinem klasse Debütroman beschäftigt. Er erzählt nicht einfach Geschichten, sondern verpackt sein Anliegen und seine Kritik in einem Mix aus realitätsnahen und dystopischen Kurzgeschichten.

Er schreibt in einer klaren, sehr direkten und mitreißenden Art und Weise. Manchmal ziemlich brutal, aber immer auf den Punkt gebracht. Er nimmt eben kein Blatt vor den Mund und bereitet seine Gedankengänge und Überlegungen erfrischend modern für seine Leser auf. Bei jeder seiner Storys waren es für mich die Zwischentöne, die den Leser dazu bringen, sich noch intensiver über die Missstände Gedanken zu machen.

"Die Finkelstein Five"- Geschichte ist mein absoluter Favorit im Buch. Erschreckend aktuell angesichts der Unruhen in den USA nach dem Tod von George Floyd, aber auch unbegreiflich mit welch zweierlei Maß Menschen nach Hautfarbe beurteilt werden. Obwohl ich das Buch insgesamt super finde und sehr gerne gelesen habe, fand ich nicht alle Kurzgeschichten gleich stark, die Botschaften, die der Autor darin verpackt hat, jedoch schon.

"Friday Black" ist ein aufrüttelnder Debütroman, durch den man sich vorstellen kann, was Rassismus im Alltag wirklich bedeutet und wie tief verwurzelt dieser in der Gesellschaft ist. Es ist allerhöchste Zeit zu begreifen, dass wir alle gleich sind!

Fazit: Brandaktuelles, starkes und wachrüttelndes Debüt

Bewertung vom 14.06.2020
Der Sommer mit Ellen
Friis, Agnete

Der Sommer mit Ellen


sehr gut

Als Jakob einen Anruf von seinem betagten Großonkel Anton bekommt, ist ihm klar, dass er zurück nach Ostjütland zur Farm seiner Onkel reisen muss. Er soll den beiden helfen, Ellen aufzuspüren, die einst einfach verschwand. Jakob taucht ein in eine Vergangenheit, dem Sommer mit Ellen, die er bisher verdrängt hatte. Doch nun, fast vierzig Jahre später, holen ihn die Ereignisse ein...

Kraftvoll und realistisch erzählt Agnete Friis aus Sicht von Jakob was während des Sommers mit Ellen so alles geschah. Atmosphärisch dicht fängt sie die Enge und das schwere Leben der Dorfbewohner in den späten 1970 iger Jahren ein. Sie nimmt dabei kein Blatt vor den Mund und schildert diese Zeit auf dem Land genau so wie sie war, entbehrungsreich und teilweise recht derb. Das spiegelt sich auch an manchen Stellen in ihrer Wortwahl wider, was die Handlung richtig lebendig macht.

Allerdings musste ich mich erst in den Rhythmus der Geschichte einfinden, denn zu Beginn lies die Autorin noch so einiges im Nebel. Stück für Stück lichtet sich die Handlung, die eine absolut gelungene Mixtur aus Kriminalfall und Gesellschaftsporträt ist. Diese unaufgeregte, fast schon distanzierte Abhandlung der Geschehnisse hat mir sehr gut gefallen. Gerade durch die beiden Zeitebenen, dem 15 jährigen Jakob auf der einen Seite und dem über fünfzigjährigen beruflich erfolgreichem Erwachsenen heute lassen das Erzählte aus völlig unterschiedlichen Perspektiven und Sichtweisen zu einem gelungenen Ganzen verschmelzen.

Die Autorin erzählt wunderbar locker und geradeheraus. Dadurch schafft sie es, die Stimmungen, Gefühle und verdrängte Erinnerungen einzufangen. Fast schon wie ein Tatsachenroman, der das Verschwinden zweier junger Frauen aufarbeitet. Schnörkellos mit einem großen Potential zum Nachdenken, ist dieser Roman einfach richtig gut. Kein Wunder, dass "Der Sommer mit Ellen" 2018 als bester dänischer Roman nominiert wurde.

Fazit: Vielschichtiger Mix aus Krimi und Sozialstudie

Bewertung vom 11.06.2020
Die Notaufnahmeschwester
Wollschläger, Ingeborg

Die Notaufnahmeschwester


sehr gut

Als erfahrene Notaufnahmeschwester hat Ingeborg Wollschläger gefühlt schon alles erlebt. In Form eines Rundganges durch die Notaufnahme erzählt sie nun von ihren skurrilsten, menschlichsten und dramatischsten Alltagserlebnissen. Große wie kleine Notfälle werden angesprochen, wie etwa die ältere Dame mit Bluthochdruck, die gerne sterben würde oder der junge Mann der mal eben dringend Zahnseide benötigt. Auch Anekdoten über das Miteinander der Kollegen und das Zusammenarbeiten von Pflege und Ärzten kommen nicht zu kurz und geben einen unterhaltsamen Einblick in die durch und durch menschliche Notaufnahme.

Ingeborg Wollschläger ist definitiv ein Charakter. Sie ist die gute Seele der Notaufnahme, die selbst dann Herzlichkeit versprüht, wenn einem nur noch nach Heulen zumute ist, aber auch diejenige, die immer gerne viel erzählt und das herrlich amüsant und authentisch. Mehrmals habe ich mich während des Lesens bei einem wissenden Grinsen ertappt, weil sie es mit ihren scharfen Charakterzeichnungen genau auf den Punkt trifft. Durch ihre Schilderungen werden die Patienten aus Saufnasenhausen und die anstrengenden Angehörigen genauso lebendig wie ihre Kollegen aka der Haubentaucher, das Askhole, die Heißdüse, die Arbeitsbiene, der Laber Rhabarber und viele geniale Bezeichnungen mehr.

Witzig, spritzig und sympathisch echt nimmt Ingeborg Wollschläger den Leser strukturiert mit auf einen Rundgang durch die Notaufnahme. Sie beginnt mit ihrer Zeit als Schwesternschülerin und schildert ihre Anfänge in der Notaufnahme, bis die eigentliche Führung losgeht und man neugierig darauf wartet, dass sich die Türen öffnen. Doch zunächst heißt es "Vor der Notaufnahme – Bitte warten!", wo man allerhand spannendes Handwerkszeug à la Regelwerk für eine Notaufnahme, die häufigsten Reaktionen auf den Beruf der Krankenschwester und Selfempowerment präsentiert bekommt. Es folgen jede Menge lustige wie schmerzhafte Anekdoten über den Arbeitsalltag in der Notaufnahme selbst, die anstrengenden wie liebenswürdigen Patienten und die teils speziellen Kollegen mit ihren Eigenheiten.

Die teils unterschwellige Kritik am Wandel im Pflegewesen und den jüngeren Generationen schwillt stellenweise zu regelrechten Schimpftiraden an, womit sie für meinen Geschmack ein wenig über das Ziel hinausgeschossen ist. Unglaublich berührt haben mich hingegen die Passagen über das Sterben in der Notaufnahme, in welchen sie einer älteren Dame in ihren letzten Minuten eine Stimme verleiht. Ich war bedrückt und hatte Gänsehaut gleichermaßen als ich ihren letzten Gedankengängen gefolgt bin.

"Die Notaufnahmeschwester" verspricht für all diejenigen ein großartiges Lesevergnügen, die abseits von Grey’s Anatomy einen Blick hinter die tatsächlichen Kulissen einer Notaufnahme werfen möchten ohne dort selbst Gast zu sein. Herrlich amüsant erzählt Ingeborg Wollschläger von skurrilen, dramatischen und herzerwärmenden Geschichten, die das Leben schreibt.

Bewertung vom 04.06.2020
Allegro Pastell
Randt, Leif

Allegro Pastell


sehr gut

Leif Randt erzählt die Liebesgeschichte von Tanja Arnheim, einer gefeierten Autorin und ihrem Freund Jerome Daimler, ein gefragter Webdesigner. Die beiden führen eine gut funktionierende Fernbeziehung, so scheint es jedenfalls. Dank moderner Medien sind sie sich zu jeder Tages- und Nachtzeit nahe, physisch nur an langen Wochenenden, wenn sie sich in ihrer jeweiligen Komfortzone besuchen. Mit konkreter werdenden Zukunftsplänen oder langweiligem Beziehungsalltag haben sie so ihre Berührungsängste. Das stellt ihre Beziehung letztendlich vor eine große Bewährungsprobe.

Leif Randt pickt sich in seinem Roman "Allegro Pastell" einen (hoffentlich) kleinen Teil unserer Gesellschaft heraus, diejenigen, die in allererster Linie mit sich selbst beschäftigt sind. Sie stammen aus der gehobenen Mittelschicht, sind erfolgreich im Job und haben auch sonst keine großen Probleme. Ich finde, man könnte sie durchaus aus Egoisten bezeichnen. Eine Liebesgeschichte unter solchen Voraussetzungen kann daher nur ganz speziell sein. Eine, die irgendwie kühl und alles andere als romantisch ist, passend zum Lebensgefühl "nur ja nichts Endgültiges".

Leif Randt nimmt seine Leser mit zu seinen beiden Protagonisten Tanja und Jerome, die versuchen solch eine moderne Beziehung zu führen. Wie eine Stimme aus dem Off schildert der Autor den Alltag und den jeweiligen Beziehungsstand der beiden. Sprachlich ausgefeilt, cool, am Zahn der Zeit und hervorblitzender Ironie, schaut Randt ganz genau hin und bringt die Dinge auf den Punkt. Tanja war mir von Anfang an unsympathisch mit ihrer „Tanja first“ Philosophie, Jerome hingegen ist nicht so konsequent wie sie und konventionellen Dingen doch nicht ganz abgeneigt. Marlene ist ein Lichtblick, denn mit ihrer geradlinigen Art gibt sie dem Leser Hoffnung, dass es auch Menschen gibt, die nicht nur an sich selbst denken.

Durch seine pointierte und distanzierte Art des Erzählens ist es spannend und unterhaltsam zu lesen, wie sich Tanja und Jerome weiter entwickeln. Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, man muss sich auf die Geschichte einlassen, dann entwickelt sich eine richtige Sogwirkung.

Bewertung vom 04.06.2020
Daisy Jones and The Six
Reid, Taylor Jenkins

Daisy Jones and The Six


ausgezeichnet

Daisy Jones, eine junge, bildschöne junge Musikerin möchte mit ihren eigenen Songs berühmt werden. Als sie zur Band The Six stößt, beginnt für alle Beteiligten eine atemberaubende Karriere, die nicht nur Sonnen- sondern auch Schattenseiten mit sich bringt...

Taylor Jenkins Reid hat mit ihrem Buch "Daisy Jones and The Six" einen absoluten Volltreffer gelandet. Sie erzählt darin die Geschichte dieser fiktiven Band und zwar so authentisch und lebendig, man ist als Leser einfach mittendrin im Bandleben.

Das Besondere ist dabei der Erzählstil der Autorin, denn sie schildert alle Erlebnisse vom Beginn bis zum Ende der Band in Interviewform. Dabei lässt sie die Bandmitglieder, Manager, Freunde, einfach alle die sich an die Bandzeiten erinnern konnten, zu Wort kommen und ihre Erinnerungen Revue passieren. Das ist so mitreißend und spannend geschrieben, ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen.

Durch die flotte und abwechslungsreiche Sprache, denn jeder Protagonist erzählt auf seine eigene Art und Weise, schwebt man schlichtweg im Dunstkreis der Band mit und sitzt immer in der ersten Reihe. Mir hat es großen Spaß gemacht den Werdegang der Band zu verfolgen. Auch die Charaktere sind wunderbar skizziert mit all ihren Stärken und Schwächen, ihren Gedanken und Sehnsüchten.

"Daisy Jones and The Six" ist ein toller Roman, er gibt nicht nur Einblicke in den Alltag einer erfolgreichen Band, sondern vermittelt auch das Lebensgefühl einer ganzen Generation. Das Buch ist locker, fesselnd, berührend geschrieben - einfach ein lässiges Leseerlebnis.

Fazit: "Daisy Jones And The Six", hätte es sie wirklich gegeben, wäre ich ein großer Fan gewesen.

Bewertung vom 28.05.2020
Offene See
Myers, Benjamin

Offene See


ausgezeichnet

Kurz nach Ende des zweiten Weltkrieges: Der 16-jährige Robert ist sich nicht sicher, ob er der alten Familientradition folgen und Bergarbeiter werden soll. Er möchte mehr sehen als nur die Enge und Finsternis einer Kohlemine. So beschließt er die Natur zu erkunden und ans Meer zu wandern. Kurz bevor er sein Ziel erreicht, lernt er eine ältere Dame kennen, die ihn zum Tee in ihr verwildertes Cottage einlädt. Er ist von der unkonventionellen Dulcie fasziniert, von ihren modernen Ansichten und ihrem Weitblick, etwas, das es in der Enge seines Bergarbeiterdorfes schlichtweg nicht gibt. Statt weiter zu ziehen, bleibt Robert eine Weile bei Dulcie und hilft ihr bei allen Arbeiten, die anfallen. Dabei taucht er in eine ihm unbekannte Welt ein. Als er jedoch eine wild wuchernde Hecke zurückschneiden will, die den Blick aufs Meer versperrt, lehnt Dulcie das schroff ab. Das Gleiche gilt für ein Manuskript mit Gedichten, die er in einem heruntergekommenen Schuppen findet...

Die letzte Seite ist gelesen und ich würde "Offene See" am liebsten sofort nochmal von vorne beginnen. Diese kraftvolle, atmosphärische Erzählweise entwickelt eine solche Sogwirkung, dass man wirklich glaubt mit Dulcie und Robert in diesem herrlichen Cottage mitsamt verwildertem Garten in Yorkshire zu sein. Man riecht, schmeckt, sieht die Landschaft, jede einzelne Knospe, jeden einzelnen Grashalm, spürt die Sonne, den Wind, hört das Meeresrauschen. In dieser wundervollen Kulisse weckt Dulcie in Robert die Neugierde auf das Leben und die Literatur.

Sie ist einfach wunderbar direkt, witzig, unkonventionell und absolut liebenswert mit ihren lebensklugen Ansichten und Ideen, die sie Robert in den Kopf pflanzt. Die Geschichte verzaubert den Leser von Beginn an, jeder Satz ist so schön und treffend formuliert, dass es eine wahre Freude ist, Seite um Seite mehr davon zu entdecken. Ein kleines Beispiel aus dem Buch: "Oberhalb der Bucht wachten herrschaftliche Häuser, während die Sonne kupferne Scherben wie Schrapnellsplitter über das Meer warf."

Das ist wirklich ein ganz, ganz besonderes Lesevergnügen, denn er zeigt für mich wie schön Sprache doch sein kann. Eines meiner Lieblingsbücher - und nicht nur des Jahres 2020. Großartig

Fazit: Ein literarisches Sahnestückchen zum Genießen

Bewertung vom 23.05.2020
Gott hat auch mal 'nen schlechten Tag
Astner, Lucy

Gott hat auch mal 'nen schlechten Tag


gut

Bei einem Helikopterabsturz verliert der bekannte TV-Moderator Jacob Chrissen seine Frau und seinen Sohn. Er selbst hat das Unglück wie durch ein Wunder überlebt. Doch er sieht keinen Sinn mehr im Leben, das er zuvor so ausschweifend geführt hatte. Die achtjährige Lupi hingegen könnte dringend ein Wunder gebrauchen und sieht in Jacob die Lösung. Denn er muss schließlich Gott persönlich sein, da er den Sturz vom Himmel überlebt hat. Sie ist wild entschlossen, Jacob in zehn Tagen zu zeigen, dass das Leben schön ist und ihn die Welt noch braucht.

Die Kombination aus amüsantem Titel und farbenfrohen Cover hat mich direkt neugierig gemacht, welche Geschichte sich hinter "Gott hat auch mal ’nen schlechten Tag" verbirgt. Diesen humorvollen wie nachdenklichen Roman habe ich gerne gelesen, wenngleich der Funke nicht gänzlich übergesprungen ist.

Jacob Chrissen war mir zunächst furchtbar unsympathisch, weil er dem Klischee des karrierefixierten Mannes entsprach, der seine Familie immer erst an zweiter Stelle nach der Arbeit stellte. Selbst Treue war für ihn ein dehnbarer Begriff. Diese vermutlich gewollte Abneigung hat seinen Schmerz allerdings nicht weniger einschneidend spürbar gemacht, als er bei dem Helikopterabsturz seine Frau und seinen Sohn verliert.

Anstelle die Trauer zuzulassen, schottet er sich ab, verstößt die Schwiegereltern und seine Schwester, um sich in seinem Selbstmitleid zu verlieren und seinem sinnlos gewordenen Leben ein Ende zu setzen. Denn erst mit dem Tod seiner Familie beginnt er zu realisieren, wie sehr sich der Schleier der Selbstverständlichkeit in der vergangenen Zeit über das gemeinsame Glück gelegt hat und die Wertschätzung zunehmend im Hintergrund verblasste. Mir ist absolut bewusst, wie sehr er trauert, dennoch fand ich sein Verhalten denjenigen gegenüber, die ihm helfen wollten, obwohl sie selbst in Trauer vergehen, unentschuldbar egoistisch und feige.

Von seiner abweisenden, verzweifelten Art und der fortwährenden Todessehnsucht lässt sich die achtjährige Lupi glücklicherweise nicht abbringen. Dieses kleine Mädchen ist mir in ihrer außergewöhnlichen Liebenswürdigkeit sofort ans Herz gewachsen, denn sie versprüht trotz ihrer schwierigen familiären Umstände eine unglaubliche Lebensfreude und Weisheit. Mit ihrer altklugen Art erschien sie mir mehrmals wie eine alte, weise Seele im Körper eines jungen, aufgeweckten Mädchens. Für sie ist Jacob das Wunder, das sie dringend benötigt, um nicht vom Jugendamt in eine andere Familie gesteckt zu werden.

Lupi überredet Jacob zu einem Deal, um ihn in 10 Tagen von der Schönheit des Lebens zu überzeugen. In dieser Zeit darf er sich nicht umbringen, so die Vereinbarung. Darauf folgen herrlich amüsante Szenen der gewitzten Lupi, die unangekündigt mitten im Wohnzimmer steht und Jacob beispielweise zu einer waghalsigen Rettungsaktion animiert. Aber auch die traurigen, nachdenklichen Abschnitte dürfen nicht fehlen, die von Mobbing, der Suche nach einem festen Zuhause und Zugehörigkeit handeln.

Benötigte die Geschichte anfangs ein bisschen lange, um in die Puschen zu kommen, so kamen mir später einige Wendungen zu urplötzlich und glatt, um glaubhaft zu erscheinen. Auf vollkommene Abschottung und ausgeprägter Todessehnsucht folgt Friede-Freude-Eierkuchen, begleitet von einem achterbahnähnlichen weiteren Verlauf. Das Erzähltempo hatte in seinen Handlungssprüngen mehr Ähnlichkeit mit einer Kino-Komödie als mit einer vollkommen überzeugenden Lektüre.

"Gott hat auch mal ’nen schlechten Tag" vereint laute und leise Töne der Trauer im Stile einer Komödie für die Kinoleinwand, begleitet von einer speziellen Freundschaft des egoistischen, verzweifelten TV-Moderators und der großartigen, weisen achtjährigen Lupi.

Bewertung vom 22.05.2020
Beide Seiten einer Strasse
Beradt, Martin

Beide Seiten einer Strasse


gut

Berlin Anfang des 20. Jahrhunderts: Das sogenannte Scheunenviertel ist der Zufluchtsort vieler jüdischer Einwanderer aus Osteuropa. Darunter ist auch der junge Frajim Feingold, der von seiner Familie mit großen Hoffnungen nach Berlin geschickt wird. Doch er schafft es nicht, dauerhaft Arbeit zu finden und ist so auf Almosen angewiesen. Zurück kann er nicht mehr und so muss er weiterhin versuchen sich durchzuschlagen, wie so viele andere auch...

Martin Beradt schlägt in seinem Buch "Beide Seiten einer Straße" ein interessantes Kapitel jüdischen Lebens auf. Er erzählt von Einwanderern aus Osteuropa, den sogenannten Ostjuden, die im Berliner Scheunenviertel vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten auf ein besseres Leben hofften.

Im Mittelpunkt steht dabei die Grenadierstraße in Berlin, denn hier erzählt er vom Alltag der Bewohner. Von den Händlern, den neu Dazugekommenen, denjenigen, die sich gerade so über Wasser halten, einfach ein buntes Spektrum an Lebensentwürfen in dieser ganz eigenen Gesellschaft.

Man taucht beim Lesen in diese fremde Welt vollständig ein, das liegt sicher auch am Schreibstil des Autors, der genau in die Zeit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts passt, an den ich mich aber erst gewöhnen musste. Für mich war es, als ob ich ein Theaterstück mit großem Ensemble verfolgen würde. Das heißt, es ist viel los, es passiert viel. Das hat mir gut gefallen. Aber genau damit war es an so mancher Stelle schwierig den Überblick über die vielen Namen nicht zu verlieren.

Man muss sich für dieses Buch Zeit nehmen, damit man auch alle Facetten erkennen kann, denn ohne Umschweife schildert Martin Beradt dieses Leben mit all den guten und schlechten Seiten der vielen Bewohner. Eben direkt aus dem Leben gegriffen. Damit ist ihm ein authentisches und interessantes Gesellschaftsporträt gelungen.

Fazit: Guter Einblick in das Berliner Scheunenviertel in den 1920er Jahren