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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
marakkaram
Wohnort: 
Lingen

Bewertungen

Insgesamt 564 Bewertungen
Bewertung vom 01.10.2018
Blau Türkis Grün
Guhr, Mareike

Blau Türkis Grün


sehr gut

Dies ist die Geschichte einer Frau, die sich im Laufe ihres Lebens immer wieder verliebt. Immer wieder neu. Einmal verliebt sie sich in die Farbe Blau, dann in die Farbe Grün, auch in Türkis, Hellblau, Schwarzblau, Blaugrün und natürlich in die kristallklare Schönheit des Wassers verliebt sie sich.

"Blau Türkis Grün" sind Momentaufnahmen. Kein klassischer Reisebericht, sondern eine recht gelungene Mischung aus Fotos, Tagebuch-Gedankensplitter und Reisebericht.

Dabei geht die Skipperin Mareike Guhr, die insgesamt 4,5 Jahre unterwegs war, auch nicht chronologisch vor. Es sind jeweils kurze Einblicke, die sie dem Leser vermittelt - mal mehr, mal weniger tief.

Ich persönlich hätte gern mehr über das tägliche Leben auf dem Wasser, das Miteinander sowie Land und Leute gelesen. Das hat mir in anderen Büchern schon besser gefallen.

"Blau Türkis Grün" besticht in erster Linie mit qualitativ hochwertigen, traumhaften Fotos, auch Unterwasseraufnahmen und den Gedankensplittern, die sich textlich durch Schreibmaschinenstil abheben.

Selbstredend unterhalten auch die Reiseberichte, aber da hab ich mir halt manchmal mehr gewünscht. Vor allem auch, weil es keine Chronologie gibt, sondern nur Stationen und Situationen hervorgehoben werden.

Fazit: Wen traumhafte Bildaufnahmen begeistern und wer sich an Sehnsuchtsorte wegträumen möchte, der ist hier genau richtig. Wer dazu noch mehr über Land und Leute erfahren möchte, dem sind die Texte evtl. das ein oder andere Mal zu dürftig.
Mich hat es trotzdem großartig unterhalten und ich blättere gerne immer wieder mal durch und träume mich weg.

Bewertung vom 27.09.2018
Das Geheimnis der Grays
Meredith, Anne

Das Geheimnis der Grays


sehr gut

Die Uhr schlug vier. Ich schlief ein. Es war der erste Weihnachtstag, mein Plan stand fest, und ich war voller Hoffnung.

Wie in jedem Jahr, trifft sich die komplette Framilie Gray im abgelegenen Landhaus des ungeliebten Vaters Adrian. An Heiligabend haben sich noch alle wie gewohnt versammelt, doch am nächsten Morgen ist der alte Gray tot. Eins ist klar, einer aus der Familie muss der Täter sein, aber gibt es überhaupt jemanden, der kein Motiv hatte....

~ * ~ * ~ *

Dies ist bereits der dritte Band der von Klett-Cotta neu aufgelegten, alten, englischen Krimiperlen.

Erwartet habe ich ja einen schönen klassischen Whodunit-Schmöker a la Agatha Christie. Und obwohl Anne Meredith den Vergleich mit der Queen of Crime nicht zu scheuen braucht, war ich dann doch überrascht, was hinter "Das Geheimnis der Grays" steckt. im Original heisst der erstmals 1933 erschienene Roman "Porträt of a Murderer", was es meiner Meinung nach exakt trifft. Denn hier begibt sich nicht der Leser auf Mördersuche, sondern er schaut der Familie dabei zu, ob sie ihn unter sich findet. Uns hat er sich bereits im zweiten Teil offenbart.

Doch das macht es nicht minder spannend. Es geht hier in erster Linie um das Zwischenmenschliche, das Familiengeflecht und die Psyche eines Mörders; es geht um Macht, Ehrgeiz, Spekulationen, Geldgier, Selbstverwirklichung und Anerkennung.

Anne Meredith hat ihre Figuren sehr klassisch und ohne charakterliche Überraschungen angelegt. Trotzdem stellt sich so manches Mal die Frage, wie gewisse Personen sich entscheiden werden. Welche Entscheidung hätte ich selber getroffen?

Und obwohl mir persönlich der Mörder von Anfang an unsympathisch war, hat die Autorin das Ziel den Menschen zu zeigen, indem sie den Leser an seiner Gedankenwelt teilhaben lässt.

Herausgekommen ist ein kurzweiliger Schmöker für die Herbst- und Winterzeit, der geschickt zu unterhalten weiss. Schön, dass der Klett-Cotta Verlag diese alten Krimiperlen noch einmal aufleben lässt.

Bewertung vom 19.09.2018
Redwood Love - Es beginnt mit einem Blick / Redwood Bd.1
Moran, Kelly

Redwood Love - Es beginnt mit einem Blick / Redwood Bd.1


ausgezeichnet

Cade beugte sich vor, um ihr ins Ohr zu flüstern. "So haben sie auch Jessica für den Job eingefangen. Ich würde fliehen. Lauf schnell weg. Ganz weit weg." (...) Langsam drehte sich Avery zu Cade um. "Ich bin ihnen direkt in die Falle gelaufen." Er schüttelte den Kopf. "Nach achtundzwanzig Jahren sollte ich eigentlich fähig sein, ihre Machenschaften zu durchschauen. Guck mich nicht so an. Sie sind hinterhältig. Verschlagen. Du warst doch auch dabei."

Neuanfang in Redwood.
Naja, so ganz sicher, ob es das Richtige für sie und ihre autistische Tochter Hailey ist, ist Avery sich anfangs nicht - sehr viel Natur und wenig Menschen. Aber ihre Ehe ist katastrophal gescheitert und ihre Mom besitzt dort ein paar Ferienhäuser, wo könnte sie also besser erstmal zur Ruhe kommen.

Aber das malerische Städtchen hat nicht nur die Stille der Natur zu bieten, sondern auch einen unheimlich attraktiven Tierarzt; Cade O`Grady. Das Avery sich geschworen hat, keinen Mann mehr in ihr Leben zu lassen, stört hier niemanden, sie geben Amors Pfeil ja nur einen kleinen Schubs....

~ * ~ * ~ *

Ich liebe "Redwood Love"! Titel und Cover sind Programm ~ ein traumhaft romantischer Wohlfühlroman, im Stil von Sarah Morgan, der mich schon ab der ersten Seite hatte.

Redwood Love hat halt alles, was ein guter Liebesroman braucht: tolle Charaktere, sympathisch, unheimlich authentisch und witzig, ein großartiges Setting, Familienbande und Freundschaft.

Kelly Morans Schreibstil ist flüssig, sehr angenehm und typisch für einen Liebesroman dieser Art. Auch, dass die Geschichte nicht vor Sex-Szenen strotzt, hat mir unheimlich gut gefallen, denn dafür knistert es umso mehr.

Avery, Cade und seine Brüder sind trotz des heimeligen Settings schon sehr authentisch und mehr als bodenständig, so dass man ihre Handlungen und Emotionen absolut nachvollziehen kann. Und auch die kleine Hailey wächst einem sofort ans Herz. Und dann gibt es ja auch noch die Einwohner von Redwood insbesondere das Drachentrio, bestehend aus Mutter und Tanten O`Grady, die immer wieder für eine unterhaltsame Idee gut sind. Auch hier, nicht überdreht, sondern eher die Art, über die man gerne schmunzelt, solange sie dich nicht selbst betrifft.

Ja, Redwood Love ist eins dieser Bücher voller Wärme, Zärtlichkeit und Gefühl. Mit einer Kleinstadtidyll-Atmosphäre die einen beim Lesen gefühlt umarmt und man möchte am liebsten sofort die Koffer packen und hinziehen.

Ich jedenfalls hatte nicht die geringste Chance mich seinem Charme zu entziehen und finde es großartig, dass der Rowohl-Verlag alle 3 Teile relativ zeitnah hintereinander rausbringt. Ich glaube, eine lange Wartezeit hätte ich nicht ausgehalten. Ich freue mich unheimlich auf Flynn O`Grade.

Bewertung vom 14.09.2018
Die Welt war so groß
Jaffe, Rona

Die Welt war so groß


sehr gut

Das College war ein Lebensabschnitt, da ging man hin, um was zu lernen, einen Mann zu finden, und dann kehrte man zum Ernst des Lebens zurück.

Erst Zimmernachbarinnen ~ dann Freundinnen
Emily, Daphne, Annabel und Chris lernen sich gleich in den ersten Tagen auf dem College kennen und obwohl sie unterschiedlicher nicht sein können, werden sie schnell Freundinnen. Doch damals war die Welt für Frauen noch sehr eng. Wer gegen die rigiden Moralvorstellungen verstieß, wurde mit Verachtung und Ausgrenzung bestraft. Auch aus dem Wunsch Ärztin zu werden, machte man ganz schnell ein Sozialkundestudium, mit dem man ja später Teilzeit in der Fürsorge arbeiten könne.
Beim Klassentreffen 20 Jahre später, stellt sich jede die Frage: Habe ich die richtige Entscheidung getroffen? Haben es die Anderen besser gemacht? Es hätte immer auch andere Möglichkeiten gegeben.....

~ * ~ * ~*

Der Roman, der 2005 verstorbenen Autorin Rona Jaffe, stammt aus dem Jahr 1979 und wurde bereits 1981 unter dem Titel "Die Schulfreundinnen. Ein Klassentreffen nach zwanzig Jahren" veröffentlicht. "Die Welt war so groß" ist allerdings nicht nur ein ansprechenderer, sondern auch sehr viel passenderer Titel, denn das Klassentreffen nimmt nur einen sehr geringen Part am Ende ein.

Rona Jaffe fängt aus meiner Sicht, die Moralvorstellungen der damaligen Zeit und das strenge Korsett der Frau perfekt ein. Dafür hat sie auch ihre Charaktere geschickt gewählt. Mit der Mischung aus liebenswürdig und jüdisch, lebenslustig und draufgängerisch, zurückhaltend und zynisch, bildhübsch und krank, deckt sie bei den Mädels ein genauso breites Spektrum ab, wie bei den Jungs. Und das wirkt weder gewollt noch überfrachtet, sondern ganz natürlich.

Erzählt wird abwechselnd aus der Sicht von Emily, Daphne, Annabel und Chris - sehr flüssig, interessant, aber sprachlich etwas distanziert. Man erfährt viel über ihre Gefühle, Sehnsüchte, Träume und Enttäuschungen, doch so richtig nahe gekommen bin ich keiner.

Dennoch hat mich ihre Geschichte gefesselt - es war wie eine doppelte Zeitreise, in die 50/60iger des Buches und in das Entstehungsjahr, den späten 70igern.

Bewertung vom 04.09.2018
Kranichland
Baumheier, Anja

Kranichland


ausgezeichnet

Einen Fehler durch eine Lüge zu verdecken, heisst, einen Flecken durch ein Loch zu ersetzen.

Als Johannes Groen nach dem Krieg aus Schlesien fliehen muss, findet er in Rostock eine neue Heimat und in Elisabeth die Liebe seines Lebens. Gemeinsam ziehen sie nach Ost-Berlin und bekommen 2 Töchter. Doch Johannes arbeitet fieberhaft am Aufbau des Sozialismus mit und merkt dabei gar nicht, wie ihm seine Familie entgleitet. Elisabeth betrügt ihn und seine Jüngste rebelliert offen gegen die DDR. Als sie mit ihrem Freund in den Westen abhauen will, muss Johannes eine folgenschwere Entscheidung treffen, deren Auswirkungen die Familie noch Jahrzehnte verfolgen....

~ * ~ * ~ *

Ein Roman, der erst auf den zweiten Blick (und Empfehlung) mein Interesse geweckt hat - der mich dafür aber umso positiver überrascht hat. Ich weiss auch gar nicht mehr, warum ich eine ziemlich trockene, sehr politisch ausgerichtete Geschichte erwartet hatte. Selbstverständlich spielt Politik eine wichtige Rolle, aber in erster Linie ist es eine Familiengeschichte. Und die ist großartig erzählt.

Es geht um Liebe, Selbstbetrug, Verzweiflung und Verrat - das Leben in der DDR, die Stasi und die Entscheidungen, die jeder Mensch in jeder Sekunde seines Lebens trifft.

Ich muss zugeben, selten war deutsche Geschichte spannender und interessanter eingebettet als in "Kranichland". Ich habe nebenbei und mit Lesegenuss sehr viel über die damalige Zeit erfahren.

Die Charaktere von Anja Baumheier sind so unheimlich authentisch, dass man das Gefühl hat, exakt so könnte es sich zugetragen haben. Und was mir dabei auch sehr gefallen hat, es gibt in dieser Familienkonstellation kein Gut und wirklich Böse, denn die Autorin schildert so lebendig und menschlich, dass man das Handeln nachvollziehen kann, auch wenn man selber vielleicht einiges anders gemacht hätte.

Ein mehr als gelungenes Debut!

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.09.2018
Alligatoren
Spera, Deb

Alligatoren


ausgezeichnet

Ich schließe Mary heute nicht in unserem Zimmer ein. Ich erinnere sie daran, dass sie still sein muss, was albern ist, weil die Stille ja schon in ihr wohnt, aber ich sag`s trotzdem noch mal, weil wir das mit Kindern nun mal so machen.

South Carolina 1924

Gertrude, Annie und Oretta, drei starke Frauen mit völlig unterschiedlichem Background, deren Schicksal jedoch eng miteinander verwoben ist.

Gertrude ist eine junge Frau mit 4 Kindern und einem gewaltätigen, saufenden Ehemann. Nach der Baumwollkäferplage steht sie vor dem Nichts und weiß nicht, wie sie ihre Mädchen durchbringen soll.

Annie führt ein wohlbehütetes Leben als Frau des reichsten und damit auch einflussreichsten Farmer der Gegend. Zusammen mit ihrem Sohn betreibt sie eine kleine Näherei in der Frauen der Umgebung Arbeit finden. Doch dann deckt sie ein Geheimnis auf, das ihre Welt vollständig aus den Angeln hebt.

Das Bindeglied bildet Oretta, die farbige Haushälterin mit ihrem unerschütterlichen Glauben, ihrer Bodenständigkeit und Lebenserfahrung.

Deb Spera legt mit ihrem Debut "Alligatoren" einen starken und atmosphärisch unheimlich dichten Südstaatenroman hin, dessen Sog man sich einfach nicht entziehen kann.

Sprachlich absolut ausgefeilt und trotzdem der Thematik angepasst, recht schlicht, fühlte ich mich an "Die Farbe Lila" und "Grüne Tomaten" erinnert. So ein Südstaatenniveau habe ich schon lange nicht mehr gelesen und ich habe jede Zeile genossen.

Auch der Erzählstil hat mir von Anfang an gefallen. Abwechselnd lässt sie die Frauen zu Wort kommen, dabei hat jede ihre unverwechselbare Art zu reden und zu denken.

Deb Speras Schreibstil; ausdrucksstark und eindringlich, beschwört nicht nur lebendige Bilder herauf, er transportiert auch schonungslos Geräusche (wie die tausender Baumwollkäfer), Gerüche und starke Emotionen. Die Autorin fängt diese alte Südstaatenatmosphäre grandios ein. Man wird unwillkürlich hineingesogen in die Zeit der Baumwollplantagen, der Wirtschaftskrise und des Rassismus, man spürt den zehrenden Hunger, die Maden im Körper und hört die Baumwollkäfer zu Tausenden fressen.

Die Charaktere wirken sehr authentisch und menschlich, mit Schwächen aber auch großer innerer Stärke.
Meist ist es ja so, dass einen ein Charakter und seine Geschichte mehr anspricht - hier waren für mich alle gleich stark.

Fazit: Ein großartiger Roman, den man so schnell nicht wieder vergisst. "Alligatoren" ist ein absolutes Lesehighlight und eine ganz klare Empfehlung von mir. Lesen! Lesen! Lesen! Es lohnt sich.

Bewertung vom 15.08.2018
Wenn wir wieder leben
Roth, Charlotte

Wenn wir wieder leben


gut

Meine Mutter sagt, man muss sich um den Kehlkopf herum eine Grenzlinie ziehen: Augen und Ohren nehmen alles auf, das Gehirn verarbeitet alles, aber der Hals filtert und in die Brust rutscht nichts. Sie hat das in Frankreich gelernt, in ihrer Zeit im Widerstand.

60iger Jahre: Als Wanda an der Uni den resoluten Andras kennenlernt, bringt er sie dazu das Leben ihrer Mutter und deren Schwester zu hinterfragen. Auf welcher Seite haben sie während des Krieges gestanden?

20iger Jahre: Die lebenslustige, quirlige Gundi verbringt schon seit ihrer Kindheit jeden Sommer im Ostseebad Zappot bei Danzig und fühlt sich dort zuhause. Zusammen mit ihren Freunden Julius und Erik und ihrer Schwester Lori verfolgt sie nur einen großen Traum: mit ihrer Musik erfolgreich zu sein und einen großen Hit zu schreiben. Doch der Durchbruch gelingt ihnen erst mit einem "geliehenen" Lied und der Unterstützung der Nazis....

~ * ~ * ~ *

Eine berührende Geschichte, der es leider an starken, sympathischen Charakteren mangelt.

Der Roman fängt sehr bewegend an, Wanda erinnert sich wie Matti ihr als Kind das Lebensband geschenkt hat, denn beim Spielen hat ihr das Tot-sein unheimliche Angst gemacht. Dieses Band soll sie immer daran erinnern am Leben zu sein.

Als ich diesen Auszug las, war ich schon hin und weg.

Leider ging es nicht so weiter, denn die Geschichte um die junge Gundi und ihre Freunde im Danzig der 20iger Jahre, hat mich nicht erreicht. Mir war und blieb Gundi durchweg unsympathisch. Ein sehr schwacher, oberflächlicher Charakter. Selbstbezogen kreist alles immer nur um sie, die Gefühle anderer, incl. ihrer Schwester und ihres Ehemannes sind ihr vollkommen egal. Bis zum Ende hin wächst sie nicht an der Situation und macht keine wirkliche Entwicklung durch. Ich hätte Gundi lieber beim erkennen und wachsen zugeschaut, grade weil ihre Situation zunehmend pikanter wird. Das hätte grosses Potential gehabt.
Aber auch Julius, Erik und Lore blieben viel zu blass und oberflächlich, so dass ich im Endeffekt zu keiner Person einen Zugang bekam. Sehr schade, denn das Thema an sich war sehr spannend und interessant und trotzdem ich habe mich durch den Mittelteil gequält und daran konnte dann auch der fulminante und wirklich gelungene Schluss nur noch wenig ändern.

Dabei ist der Schreibstil von Charlotte Roth eigentlich sehr angenehm und mir gefiel vor allem der Danziger Dialekt.

Die Geschichte wirkt durchaus authentisch und wenn mich jetzt noch die Charaktere berührt hätten, hätte es ein absolutes Highlight sein können.

Bewertung vom 15.08.2018
Solange wir uns haben
Ulmer, Andrea

Solange wir uns haben


sehr gut

Autsch. Total überfordert mit irgendwie allem, fasste Jessicas Leben erschreckend gut zusammen, aber ihrem Selbstwertgefühl half es nicht grade auf die Beine.

Die alleinerziehende Jessica ist 42 als sie in ihrem Auto eine Panikattacke erlebt und es seitdem nicht mehr schafft den Wagen auch nur vom Hof zu fahren, geschweige denn Arbeiten zu gehen. Krankgeschrieben soll sie sich entspannen, erst einmal zur Ruhe kommen... doch das wird von ihrem Chef großzügig ignoriert und auch mit ihrer kratzbürstigen Teenager-Tochter Miriam ist das Leben grad nicht immer einfach.
Ironischerweise kommt Hilfe und Verständnis von ihrer Nachbarin, der verrückten Katzenfrau, wie sie sie seit Jahren hinter ihrem Rücken nennt.

~ * ~ * ~ *

Die Themen Burn out und Panikattacken sind eigentlich selten leichte Kost, Andrea Ulmer wagt hier den Spagat und das sehr gelungen.

Ich konnte mich sofort mit Jessica identifizieren, wie wahrscheinlich die meisten Leser, denn es geht um Stress. Dauerstress, den wir in unserem schnelllebigen Leben schon gar nicht mehr als solchen wahrnehmen und auch darum, wie schwer es fällt, unser Leben und Gewohnheiten zu ändern. Andrea Ulmer legt aber nicht den Schwerpunkt auf die Therapie und Ursachenforschung, das wird tatsächlich eher aussen vor gelassen, sondern ihr geht es um die Rahmenbedingung: Freundschaft und Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind.

Die Hauptprotagonisten Jessica, Hildegard und Miriam wirken sehr authentisch und sympathisch. Man kann ihr Denken und Handeln nachvollziehen - nur zum Ende hin wollte die Autorin ein wenig zu viel und der Schluss geriet dadurch ein wenig oberflächlich.

"Solange wir uns haben" ist ein kluges Buch, mit einem humorvollen, flüssigen Schreibstil. Die relativ große Schrift und kurzen Kapitel regen zum weiterlesen an, so das ich es an einem Nachmittag verschlungen habe.

Mich der Roman richtig gut unterhalten. Er ist trotz ernster Themen sehr kurzweilig und zeigt, was im Leben wirklich wichtig ist: Freundschaft!

Bewertung vom 05.08.2018
Gork der Schreckliche
Hudson, Gabe

Gork der Schreckliche


gut

Die Arroganz in ihrer Stimme ist so schneidend, dass ich mich frage, warum meine Gehörgänge nicht anfangen zu bluten.

Eigentlich könnte das Drachenleben so entspannt sein, wären da nicht diese Mini-Hörner, die Gork daran hindern, selbstbewusst seinen Drachen zu stehen. Naja, wenn man ehrlich ist, sein mitfühlendes großes Herz ist für einen seiner Art auch nicht grade förderlich. Und so ist es kein Wunder, dass sein Spitznahme "Weichei" und sein Wille-zur-Macht-Ranking bei "Kuschelbär" rangiert. Absolut tödlich und das, wo die Zeit der Eierlege ansteht und seine Angebetete bislang selbst die mächtigsten und stolzesten Drachen in die Flucht geschlagen hat.
Nichtsdestotrotz, Gork ist fest entschlossen sie zu seiner Königin zu machen....

~ * ~ * ~ *

Eins muss man Gabe Hudson lassen, obwohl seine Ideen für mich so manches Mal übers Ziel hinausschossen, hat "Gork der Schreckliche" mich gut unterhalten.

Vor allem der Anfang und das Ende waren zum Niederknien. Göttlich, wie der junge Gork über Tolkien herzieht. Ja, man merkt es gleich, Humor wird in dieser Geschichte großgeschrieben und das durchgehend. Und dann wird, was anfangs überzeugt, irgendwann einfach nur anstrengend und auch nervig.
400 Seiten durchgängig in Umgangssprache erzählt und von einem Slapstick in den nächsten springend, wirkt zu gewollt. Vielleicht hätte eine Straffung dem Ganzen gut getan, denn manche der skurilen Ideen fand ich klasse, wie den Herzschrumpfer, nur hatten sie in der Masse kaum Platz sich zu entfalten, geschweige denn zu wirken.

Der Schreibstil ist, wie schon gesagt, pubertär und langweilt nach einer Weile mit mehr Wiederholungen als gut tun; Flügel sind immer ledrig, Füsse schwimmhäutig und wie oft "mein schuppiger grüner Arsch" erwähnt wird, mochte ich schon gar nicht mehr zählen.

Es fällt mir wirklich schwer, diesen Genre Mix aus Fantasy, SciFi und Humor zu bewerten. Mir war er viel zu überfrachtet und manchmal ist weniger einfach mehr, aber ich kann mir auch vorstellen, dass so manch einer absolut Spass an dieser skurilen Geschichte hat.

Fazit: Ein Roman der es mir nicht leicht gemacht hat. Großartiger Anfang ~ gelungenes Ende. Nur der Mittelteil schiesst oft ein wenig übers Ziel hinaus.

Bewertung vom 30.07.2018
Der Horror der frühen Medizin
Fitzharris, Lindsey

Der Horror der frühen Medizin


ausgezeichnet

Alles war infrage gestellt, alles war unerklärt, alles war zweifelhaft, nur die große Anzahl der Toten war eine unzweifelhafte Wirklichkeit. (Ignaz Semmelweis)

Nicht nur grausig sondern auch grausam und zumeist tödlich sind die Anfänge der Chirurgie. Amputationen bei vollem Bewusstsein, Behandlungen mit Quecksilber und Arsen... Die Unwissenheit der praktizierenden Ärzte ist größer als man sich heute vorzustellen vermag, aufgenommen wird zumeist nur der, der das Geld für seine Beerdigung gleich mitbringt.
Als Joseph Lister 1844 sein Studium beginnt, sterben fast alle Patienten an Infektionen. Warum und wie diese entstehen, darüber herrscht noch riesige Uneinigkeit. Doch Lister ist ein heller Kopf und mit seinem, oftmals so belächelten, Mikroskop beginnt er zu forschen....

~ * ~ * ~ * ~

"Der Horror der frühen Medizin" hält, was das großartig morbid-schaurige Cover verspricht; eine spannende und vor allem interessante Lektüre.

In dieser lebendigen Biographie geht es nicht nur um trockene Zahlen-Daten-Fakten und Lebensstationen, sondern Lindsey Fitzharris weiß so manch eine Anekdoten mitzuerzählen und lockert auch mit Geschichten rund um das 19. Jahrhundert auf (Weltausstellung etc. ) So beginnt Listers erste eigene OP einer Darmperforation mit dem Ehestreit der Sullivans und endet mit der Gerichtsverhandlung. Mich hat anfangs leicht irritiert, dass es keine Fussnoten gibt, aber die finden sich säuberlich aufgelistet im Anhang.

Das ist schon eine gelungene Mischung, die die Autorin und Medizinhistorikerin da auf die Seiten gebannt hat. Und das macht das Buch für mich aus. Es gibt (für mich) zumindest im ersten Drittel, keinen roten Faden (manch anderer mag ihn vielleicht finden).
Erzählt wird in erster Linie vom Arbeiten und Forschen Joseph Listers, dem Handwerk der ersten Chirurgen (in aller Detailtiefe und Grausamkeit) und den hygienischen damaligen Zuständen, verbunden mit dem Kampf der Patienten ums postoperative Überleben (Beobachtet wurde z.B., dass in der Großstadt von 11 Amputationen 10 Patienten während der Wundheilung verstarben).
Aber auch andere Zeitgenossen kommen nicht zu kurz, so wird der ein oder andere Arzt und Kurpfuscher aus Listers Umfeld sowie deren jeweiligen Ansichten mal etwas genauer unter die Lupe genommen, nicht nur seine Lehrer, Mentoren und Vorbilder, wie der spätere Schwiegervater James Syme.

Was mir sehr gefällt, ist der Schreibstil, der auch für einen vollkommenen Laien einfach, klar und verständlich ist. Hier wird nicht mit fachchinesisch um sich geworfen und medizinische Begriffe, wie Sepsis etc. ganz nebenbei schlicht erklärt. Somit liest es sich flüssig weg. Ein besonderes Highlight sind die Zitate, mit denen die Autorin die Kapitel einleitet. Die musste ich oftmals erstmal sacken lassen. Nur schade, dass es so gar kein Bildmaterial oder Skizzen gibt. Das habe ich extrem vermisst.

Fazit: Wer eine klassische Biographie Joseph Listers erwartet, der wird das ein oder andere Mal vielleicht ein klein wenig enttäuscht sein, aber wer einfach nur etwas über die Anfänge der Medizin und Chirurgie erfahren und dabei Lister begleitet mag, schöpft hier aus dem Vollen. Einen süffigeren und spannenderen Überblick kann man kaum erhalten.