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sleepwalker

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Insgesamt 467 Bewertungen
Bewertung vom 30.11.2020
Das Palais muss brennen
Spannagel, Mercedes

Das Palais muss brennen


weniger gut

„Ich hatte früh eine Abscheu in mir. Ich hatte früh Revolution in mir. Ich war antiautoritär verwahrlost. Ich war verwöhnt. Ich war schwierig, von Anfang an.“ – diese Sätze sind für mich die Quintessenz aus Mercedes Spannagels Erstlingswerk „Das Palais muss brennen“. Ihre Protagonistin Luise, Tochter der österreichischen Bundespräsidentin, kann man nämlich meiner Meinung nach mit Fug und Recht als „wohlstandsverwahrlost“ bezeichnen. Aus dem Plattenbau ins „Palais“ gezogen, sucht Lu ihren Weg und sich selbst und vor allem eine Möglichkeit, sich von ihrer Mutter und ihrer politischen Ausrichtung (sie ist Spitzenpolitikerin „einer superrechten Partei“) zu emanzipieren.
Aber statt ihren oder überhaupt einen Weg zu gehen, scheint sie sich dabei eher zu verlaufen. Ihr Jurastudium scheint sie nicht wirklich ernst zu nehmen, viel wichtiger ist für sie der Kampf gegen ihre Mutter und deren Vorstellungen und gegen alle möglichen Konventionen. Der Mutter-Tochter-Konflikt beherrscht das Buch von der ersten Seite an. Für Luise ist es ein Kampf „Gut gegen Böse“. Allerdings kämpft sie eher weniger. Sie verbringt ihre Tage hauptsächlich mit Kiffen, Feiern und Sex mit wechselnden Partnern, was noch nicht einmal eine Form passiver Revolution ist, sondern pubertär-unreifes Verhalten einer verzogenen Göre, die mir mit jeder Seite mehr auf die Nerven ging.
Die „rebellische Brut“ habe ich in dem Buch vergeblich gesucht, Luises Rebellion beschränkt sich überwiegend darauf, Konventionen zu brechen, sich dabei aber trotzdem von der verachteten Mutter aushalten zu lassen und Pläne für die Rebellion zu schmieden. Aber Leben ist das, was passiert, während man eifrig dabei ist, andere Pläne zu machen, das wusste schon John Lennon. Aber Lu belässt es meistens bei den Plänen und bei allem, was sie tut, scheint das Wichtigste zu sein, dass es ihre Mutter ärgert.
Sympathisch war mir in der Erzählung außer den Windhunden der Frau Bundespräsidentin niemand und auch sprachlich fand ich das Buch eher anstrengend als frisch und bis auf wenige spritzige Dialoge auch nicht wirklich witzig. Alles in allem fehlt mir in dem Buch auch eine wirkliche Handlung, alles plätschert irgendwie vor sich hin, dazwischen wird gekifft und miteinander geschlafen und dann ist das Buch zu Ende und ich musste überlegen, worum es überhaupt ging. Das Buch ist kein wirklicher Coming-of-Age-Roman, kein Familienroman, kein Psychogramm und keine Novelle. Irgendwie scheint die Autorin in einem Genre genauso wenig Fuß fassen zu können, wie ihre Protagonistin in ihrem Leben.
Alles in allem fand ich das Buch eher enttäuschend, denn nur an ein paar Stellen blitzt wirklich Rebellion durch, rückt der Mutter-Tochter-Konflikt oder auch der (innerfamiliäre) Zwist zwischen politisch Rechten und Linken und das Problem rechter Strömungen in den Regierungen in den Vordergrund. Vielleicht bin ich inzwischen auch zu alt für diese Art der Lektüre, allerdings dachte ich, da ich selbst aus einer ähnlich schwierigen Mutter-Kind-Beziehung stamme, könnte ich aus dem Buch etwas mitnehmen. Aber da lag ich falsch. Daher vergebe ich für die wenigen guten Passagen, in denen das Buch das erfüllt, was der Klappentext verspricht, 2 Sterne.

Bewertung vom 24.11.2020
Enna Andersen und die Tote im Mai
Johannsen, Anna

Enna Andersen und die Tote im Mai


ausgezeichnet

„Enna Andersen und die Tote im Mai“ ist Anna Johannsens neuer Krimi aus der „Enna-Andersen-Reihe“. Es ist zwar schon der zweite Teil der Serie, aber man kann ihn problemlos auch ohne Vorkenntnisse lesen.
Hauptkommissarin Enna Andersen kehrt nach dem Tod ihres Mannes in den Beruf zurück und ermittelt mit ihren beiden Kollegen in einem sogenannten „Cold Case“, einem Fall, der 20 Jahre zurückliegt. Damals ist eine junge Studentin verschwunden, Monate später wurde ihre Leiche gefunden. Die Ermittlungen erweisen sich als schwierig, denn es gibt viele Verdächtige, noch mehr Zeugen und noch viel mehr Gedächtnislücken. Und dann gibt es eine weitere Leiche und Enna und ihren Kollegen läuft die Zeit davon.
Das Buch hat mich von der ersten Seite an gefesselt und bis zum Schluss (der sehr stimmig ist) nicht losgelassen. Die angenehme Mischung aus Ermittlungsarbeit, Nachforschungen und Ennas Privatleben samt Söhnchen Elias und dem neuen polnischen Au-pair, machte das Buch sehr flüssig lesbar, die alltagsnahe Sprache tat ein Übriges.
Die Geschichte ist gekonnt konstruiert, schlüssig und wird stimmig aufgeklärt. Sie bietet Spannung und Unterhaltung, wie man es von einem soliden Krimi erwartet. Ein juristischer Fehler (oder vielleicht ist es einfach nur zu schwammig ausgedrückt): „»Drei Jahre auf Bewährung«, brummte Paulsen.“ – in Deutschland werden Freiheitsstrafen nur bis zu zwei Jahren auf Bewährung ausgesetzt, die Bewährungszeit kann allerdings bis zu fünf Jahre betragen, wie gesagt, vielleicht nur unglücklich ausgedrückt. Sonst fand ich den Krimi allerdings topp, von mir daher eine klare Lese-Empfehlung und 5 Sterne.

Bewertung vom 23.11.2020
Die Hornisse / Tom Babylon Bd.3
Raabe, Marc

Die Hornisse / Tom Babylon Bd.3


ausgezeichnet

Nach „Schlüssel 17“ und „Zimmer 19“ hat Marc Raabe mit „Die Hornisse“ den dritten Teil seiner Serie um Kommissar Tom Babylon nachgelegt. Leider finde ich den Titel ungünstig gewählt, da Patricia Cornwells Thriller „A hornet’s nest“ ebenfalls mit „Die Hornisse“ übersetzt wurde. Aber das nur am Rande, denn für mich stand Marc Raabes neues Werk in puncto Spannung dem von Patricia Cornwell in nichts nach.
Aus den beiden ersten Teilen kennt man Tom Babylon und seine Geschichte schon etwas (aufgewachsen in der DDR, seine Schwester verschwand als Kind und wurde nie gefunden, jetzt ist er mit Anne verheiratet und sie haben einen Sohn namens Phil), ich hätte nach „Zimmer 19“ nicht gedacht, dass es für den Ermittler noch persönlicher werden könnte. Weit gefehlt. Und auch seine Kollegin Sita Johanns vom LKA ist neben anderen Bekannten wie Bene und Gisell aus den ersten beiden Teilen wieder mit von der Partie. Natürlich kann man das Buch auch lesen und verstehen, ohne die beiden Vorgänger zu kennen, ich würde es aber jedem empfehlen, sie ebenfalls zu lesen, nicht zuletzt, da ich sie auch sehr gut fand.
Ein ausgerechnet im Gästehaus der Polizei brutal ermordeter Rockstar, eine unbekannte Frau, viele Verdächtige, weitere Tote und zahlreiche Überfälle – die Geschichte ist vielschichtig und spannend und dennoch führen immer wieder alle möglichen Spuren zu Tom Babylon und seiner Familie und sogar er selbst gerät in Verdacht, ein Mörder zu sein. Näher möchte ich darauf gar nicht eingehen, könnte ich auch nicht, ohne zu spoilern.
Die Geschichte ist, wie die beiden Vorgänger, flott, fesselnd und alltagsnah geschrieben, rasant spannend und mit nur wenigen Möglichkeiten zum Luftholen. Ich habe das Buch in einer Tour durchgelesen, bis zum stimmigen Schluss mit dem gewohnten Chliffhanger, der auf einen weiteren Teil hoffen lässt. Mich hat die Geschichte so gepackt, dass ich das Buch schlicht nicht aus der Hand legen konnte. Auffallend waren die vielen englischen Sätze. Nicht, dass ich sie nicht lesen konnte (ich spreche Englisch auf Muttersprachler-Niveau), sie passen auch dramaturgisch in die Geschichte, da der tote Rockstar ursprünglich aus Irland stammt und seine Managerin Amerikanerin ist. Aber weniger anglophile Leser könnte diese Tatsache eventuell stören.
Der Thriller ist gekonnt konstruiert und die Wechsel von Perspektiven und Zeitebenen fand ich stilistisch interessant. Insgesamt ist es ein rasant spannender Krimi um ein unbequemes aber nicht unsympathisches Ermittlerteam, ein Buch, das auf jeden Fall wieder Spaß und Lust auf mehr gemacht hat. Daher von mir 5 Sterne und eine ganz klare Lese-Empfehlung.

Bewertung vom 23.11.2020
Die Erfindung der Null
Wildenhain, Michael

Die Erfindung der Null


gut

Für mich war das Buch leider eher eine Nullnummer.
„Die Erfindung der Null“ von Michael Wildenhain hatte mich wegen des unüblichen Themas interessiert, denn, wann steht schon einmal ein promovierter Mathematiker im Mittelpunkt eines Romans? So dreht sich dieses Buch um Dr. Martin Gödeler, hochbegabt, analytisch-kluger Kopf und dennoch (oder deswegen) ein sozial eher inkompatibler Charakter, schrullig und etwas, das man gemeinhin als „gescheiterte Existenz“ bezeichnen könnte.
Er liebt die Mathematik, hat Probleme mit sich, der Gesellschaft und Normen. Sauberkeit und Körperhygiene sind ebenso unwichtig für ihn wie Überblick über Finanzen oder persönliche Beziehungen. Seine Doktorarbeit schafft er, seine Habilitationsschrift hat er begonnen und sie wieder verworfen. Neben der Mathematik spielen in seinem Leben drei Frauen eine Rolle: seine Kommilitonin Gunde, Mutter seiner Tochter Sophie, Susanne Melforsch, die in stalkt und zuletzt die Mathematikerin Dr. Elisabeth Lucile Trouvé.
Das Buch ist ohne Frage sprachlich hervorragend geschrieben. Der Autor bedient sich einer bildhaften Sprache mit teils erlesener Wortwahl. Das Thema ist exzellent gewählt, die Thematik (Nüchternheit der Mathematik, Liebesbeziehungen und Stalking, das allgemeine Scheitern durch Nonkonformiatät und Inkompatibilität mit den Normen und die Krimi-Komponente) bietet Brisanz und inhärente Spannung. Und dennoch konnte mich das Buch leider zu keiner Zeit wirklich fesseln oder gar begeistern. Einzig der Schluss war für mich überraschend und da war ich dann froh, mich durch die vorherigen Kapitel durchgekämpft zu haben.
Vielleicht aber auch, weil ich teilweise Menschen aus meinem Umfeld zu sehr in Dr. Gödelers Eigenarten wiederfinden konnte? Oder weil mehr zwischen den Zeilen steht, als darin? Denn eines ist klar: der Roman ist sehr anspruchsvoll und man muss sich auf ihn einlassen (können). Er ist kompliziert, ungewöhnlich und unbequem. Philosophisch und durchgeistigt, mir schlicht zu hoch. Etwas, was das Werk nicht zu einem schlechten Buch macht, es war nur schlicht nichts für mich. Daher von mir der Mittelwert mit drei Sternen.

Bewertung vom 23.11.2020
Wir müssen über Rassismus sprechen
DiAngelo, Robin J.

Wir müssen über Rassismus sprechen


sehr gut

„Wir müssen über Rassismus sprechen“ von Robin J. DiAngelo ist ein Buch zu einem unfassbar wichtigen und aktuellen Thema, das den Leser mehr oder weniger direkt angreift und aufrütteln möchte. Die Autorin ist Soziologin und hat sich daher wissenschaftlich mit Rassismus beschäftigt und daraus ein Sachbuch gemacht, das sich auch aufgrund der vielen Fußnoten, nicht unbedingt flüssig lesen lässt.
Aber natürlich macht es das nicht zu einem schlechten Buch. Es ist halt kein Roman, der sich so einfach mal nebenher lesen lässt, sondern ein Buch, das man mit Bedacht und Verstand lesen muss, die aufgestellten Thesen sacken lassen und weiter drüber nachdenken muss. In vielen gehe ich mit der Autorin nicht konform, aber das liegt mehr an meiner persönlichen Herkunft und Lebensgeschichte, und nicht an ihren Thesen und dem Buch.
Fakt ist: auf Menschen bezogen gibt es keine Rassen. Punkt. Hautfarbe, Herkunft und Abstammung kann sich keiner aussuchen – ein Rassist zu sein dagegen ist die Wahl jedes einzelnen. Sich selbst und seine Worte und Taten zu hinterfragen, eventuell rassistisches oder diskriminierendes Verhalten abzulegen, ist eine Frage von Anstand und Intelligenz, darauf geht die Autorin speziell in den letzten Kapiteln ein. Sie schreibt über weltweiten Rassismus, Diskriminierung und Vorurteile und grenzt jeden der Begriffe klar gegen die anderen ab. Sie beschreibt und erklärt „white supremacy“ und „white fragility“. Soweit, so gut.
Denn, vermutlich steckt tatsächlich, wie die Autorin konstatiert, in jedem Weißen irgendwo eine (wenn auch unterschiedlich große) Portion Rassismus („white guilt“), die es gilt abzulegen, was im Endeffekt sowohl dringend nötig, als auch an der Zeit wäre. Beim Rassismus muss sich also jeder an die eigene Nase fassen und vor der eigenen Tür kehren, was man als Leser aus dem Buch mitnimmt, ist daher völlig typabhängig. Aber der große „alle-Weißen-sind-Rassisten-Topf“, in den die Autorin uns Leser wirft, ist eine Form der Kollektivschuld, die sicher nicht bei jedem Leser gleich gut ankommt, denn für sie ist schlicht jeder Weiße ein Rassist, Bemühungen, keiner zu sein, werden meiner Meinung nach von ihr abgetan und keinesfalls honoriert. Von mir wegen der zum Teil sehr wissenschaftlichen Formulierungen und der teilweise gewöhnungsbedürftigen (da nicht alltäglichen) Nomenklatur 4 Sterne und eine Lese-Empfehlung.

Bewertung vom 18.11.2020
#Me Too
Kantor, Jodi;Twohey, Megan

#Me Too


ausgezeichnet

Inzwischen ist es etwas ruhiger um die #Me too-Bewegung geworden, dennoch hat sich dieser Hashtag sicher vielen Menschen unauslöschlich ins Gedächtnis gegraben und für viele hat er nichts an Aktualität verloren. Mit ihrem Buch „#Me too“ haben Megan Twohey und Jodi Kantor einen umfassenden Überblick über die Recherchen zum Thema veröffentlicht. Die beiden Journalistinnen hatten mit ihren Recherchen speziell zum amerikanischen Filmproduzenten Harvey Weinstein und seinem zweifelhaften Umgang mit Frauen recherchiert. Das Buch ist überaus schockierend und (trotz der sachlichen und journalistischen Form) flüssig zu lesen, teils sogar Krimi-artig spannend.

Ein unglaubliches Buch in mehrerlei Hinsicht. Natürlich ist da einerseits das Thema, das schwierig und unbequem ist, vielleicht auch triggernd (für alle Betroffenen hier von mir die Empfehlung, vorsichtig an das Buch heranzugehen, da es vieles wirklich unverblümt schildert und die Autorinnen auch bei der Wortwahl nicht zimperlich sind). Andererseits aber geben die Autorinnen dem Leser die Möglichkeit zum Einblick in lang andauernde unglaublich gründliche Recherche, die im Endeffekt zu einer lawinenartigen Bewegung geführt hat.

So schreiben sie über Harvey Weinsteins, aber auch Donald Trumps Rolle bei dem, was später unter dem Hashtag „Me too“ bekannt wurde: die systematische Ausnutzung einer Machtstellung gegenüber Frauen, um sie vor allem zu sexuellen Handlungen zu zwingen. Und natürlich fehlen auch Brett Kavanaugh und Christine Blasey Ford nicht. Etwas, das seine Kreise in Kunst und Kultur, aber auch in Politik und Finanzwelt zog. Und auch die juristischen Vertreter der Beschuldigten haben sich ganz sicher nicht mit Ruhm bekleckert, indem sie ihre Mandanten vertreten haben. Natürlich ist das ihre Aufgabe, ein Opfer beklagte allerdings später: „Für mich bestand das weitaus größere Trauma in dem, was bei den Anwälten ablief“.

So zeigt das Buch das, was genau hinter der „Me too“- Bewegung steckt, was den Stein ins Rollen brachte, was daraus wurde und wie es dazu kommen konnte, dass so viele Täter ungeschoren (oder mit verhältnismäßig billigen Vergleichen) mit ihren Taten davonkamen. Parallel dazu habe ich Ronan Farrows Buch „Catch and Kill“ gelesen, was zwar völlig anders geschrieben, aber eine hervorragende weiterführende Lektüre ist. „#Me too“ ist trotz aller Sachlichkeit sensibel geschrieben, die Autorinnen gehen mit den Opfern im Zuge ihrer Recherche mit viel Feingefühl und Menschlichkeit um, und haben mit ihrer Arbeit ein Stück Zeitgeschichte geschaffen und trotz aller Widrigkeiten viel bewegt. Ein beeindruckendes, bedrückendes und nachdenklich machendes Buch über Druck, Macht, Manipulation, Verunsicherung und Scham, aber auch über ganz viel Mut, den die Opfer aufbringen mussten, um von ihren Qualen und den Übergriffen zu berichten. Ich lege dieses Buch jedem ans Herz, der sich für das Thema interessiert und sich eine fundierte Meinung bilden möchte.

Bewertung vom 16.11.2020
Keine Panik, ist nur Technik
Ait Si Abbou, Kenza

Keine Panik, ist nur Technik


ausgezeichnet

Obwohl ein großer Teil der Bevölkerung mittlerweile mit technischen Geräten gut umgehen kann und viele als „digital natives“ bezeichnet werden können, ist sicher ebenso vielen nicht wirklich klar, was dahintersteckt und wie die Geräte überhaupt funktionieren. Was ist denn die „Künstliche Intelligenz“, die unseren Alltag erleichtern soll, vielen aber auch Angst macht?
Dieser Frage geht Kenza Ait Si Abbou in ihrem Buch „Keine Panik, ist nur Technik“ auf den Grund und erklärt verständlich und anschaulich, was sich hinter Algorithmen, Apps und Cookies verbirgt, wie „smart“ smarte Geräte tatsächlich sind und wie wichtig es für die Nutzer ist, zu wissen, was Künstliche Intelligenz ist und kann und wo die Gefahren dabei liegen. Denn Künstliche Intelligenz ist ein großer Teil unseres Lebens und spielt in unserem Alltag eine sehr große Rolle. Ob Smartphone, Smartwatch, Sprachassistenten oder ein Kühlschrank, der vermeintlich selbst mitdenkt.
Wie wichtig es daher ist, sich damit auszukennen und die Chancen und Grenzen zu erkennen, zeigt die Autorin an unzähligen Beispielen. Sie schreibt flüssig und unterhaltsam, immer kurzweilig und manchmal auch mit reichlich Witz. Bei allen Erklärungen und Versuchen, das Wissen populärwissenschaftlich für den interessierten Laien (denn das Thema ist nicht nur etwas für Nerds) zu vermitteln, verlässt sie aber nie den Boden der Professionalität. Sie lässt kein wichtiges Thema aus, nicht einmal das lästige Thema „CAPTCHAS“ und „reCAPTCHAS“.
Für mich war das Buch eine echte Bereicherung und ich habe sehr viel Neues erfahren und einiges dazugelernt. Daher von mir 5 Sterne und für jeden, der mal hinter die „Fassade“ der Künstlichen Intelligenz schauen möchte, eine echte Lese-Empfehlung.

Bewertung vom 12.11.2020
Solange wir zusammen sind
Pyron, Bobbie

Solange wir zusammen sind


ausgezeichnet

„Solange wir zusammen sind“ von Bobbie Pyron ist zwar ein Kinderbuch, aber es ist eigentlich noch viel mehr. So genau möchte ich auf die Geschichte selbst gar nicht eingehen. Da könnte ich darüber schreiben, dass Jewel obdachlos ist und mit ihrem Hund Baby auf der Straße lebt. Und dass sie, als sie wegen einer Lungenentzündung ins Krankenhaus muss, von Baby getrennt wird. Piper und ihre Familie haben durch Schicksalsschläge ihr Zuhause verloren und suchen ein neues. Die Wege von Jewel und Piper kreuzen sich und Piper setzt alles daran, Jewel und Baby wieder zusammenzubringen und ihnen einen Weg zurück ins Leben zu ermöglichen. Und natürlich könnte ich darüber schreiben, was Piper und ihre Familie in der Obdachlosenunterkunft erleben und etwas über Oberflächlichkeit und Scham erzählen. Das würde dem Buch aber nicht gerecht werden, denn das ist nur der oberflächliche Teil der Geschichte, darunter ist noch sehr vieles verborgen.

Denn das Buch ist auch eine einfach geschriebene, leicht zu lesende Geschichte über Freundschaft, Vertrauen, Schicksal, Hoffnung und Zusammenhalt. Und dass man vieles schaffen kann, wenn man daran glaubt und es versucht. Natürlich ist die Geschichte kitschig und teilweise voller Klischees. Aber das Buch ist einfach nur wunderschön und mit der Message „Zusammen können wir alles erreichen.“, irgendwie genau das, was ich (und sicher nicht nur ich) in der momentanen schwierigen Situation brauche. Das Buch zeigt, dass es nicht viel braucht, um glücklich zu sein, sondern dass Glück oft auch aus kleinen Dingen entstehen kann.
Ein Hoffnungsschimmer und eine rührende Geschichte, die ans Herz geht mir die Tränen der Rührung in die Augen trieb. Von mir ganz klare 5 Sterne und keine Lese-Empfehlung, sondern eine Aufforderung.

Bewertung vom 10.11.2020
Schuld - Emma Sköld und der tote Junge / Emma Sköld Bd.4
Sarenbrant, Sofie

Schuld - Emma Sköld und der tote Junge / Emma Sköld Bd.4


sehr gut

Es könnte für Emma Sköld alles so schön sein. Ihr Lebensgefährte und Kollege Nyhlén, der auch der Vater ihrer Tochter Ines ist, macht ihr einen Heiratsantrag. Beruflich läuft es für die Kommissarin auch ziemlich gut. Aber dennoch läuft es in ihrem Leben gerade nicht ganz rund. So lehnt sie Nyhléns Antrag ab und konzentriert sich ganz auf den aktuellen Fall: ein 16jähriger Junge ist tot. Ist er der Kollateralschaden eines aus dem Ruder gelaufenen Einbruchs? Gefunden wird der Junge von der polnischen Putzfrau, was dem Buch ein weiteres Thema beschert: Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Und dann gibt es weitere Opfer.
„Emma Sköld und der tote Junge“ ist Teil einer Serie aus der Feder von Sofie Sarenbrant (der vierte in deutscher Übersetzung, im Original gibt es noch mehr), war aber mein erstes Buch von ihr. Allerdings kann man es problemlos ohne jegliche Vorkenntnisse lesen, ich hatte zumindest keinerlei Verständnisprobleme. Thematisch fand ich das Buch klug konstruiert, da es neben dem eigentlichen „Krimi-Thema“ auch noch Themen wie Rassismus, Homophobie und toxische Maskulinität aufgreift und auch die sozialen Medien, samt der Gefahren, die sie mit sich bringen, werden nicht ausgespart. Haupt- und Nebenschauplätze wechseln sich ab, außerdem tauchen anonyme Tagebucheinträge auf, die der Leser lange Zeit überhaupt nicht zuordnen kann.
Emmas Privatleben gibt dem Leser wohlverdiente Verschnaufpausen, sorgte für mich aber manchmal auf für ein paar Längen, sodass mich die Geschichte nur phasenweise so richtig packen konnte. Allerdings muss ich sagen, dass diese Abschnitte dann enorm spannend sind und rasant und fesselnd erzählt werden. Der Schreibstil ist flüssig, die Sprache leicht und alltagsnah. An einer Stelle werden zwei Personen verwechselt, das ist zwar ein ärgerlicher Fehler, aber nicht weiter tragisch. Insgesamt ist es für mich ein solider Krimi mit überraschendem Schluss und bekommt daher von mir solide 4 Sterne und eine uneingeschränkte Lese-Empfehlung.

Bewertung vom 09.11.2020
Wenn du mich heute wieder fragen würdest
Keane, Mary Beth

Wenn du mich heute wieder fragen würdest


ausgezeichnet

„Wenn du mich heute wieder fragen würdest“ von Mary Beth Keane ist ein Roman, der mich etwas ratlos zurücklässt, denn er passte für mich von Anfang an in kein Genre so richtig. Es ist kein Familienroman, obwohl er von den beiden Familien Gleeson und Stanhope handelt. Es ist kein Polizeiroman und ganz sicher kein Krimi, obwohl Francis Gleeson und Brian Stanhope Polizeibeamte sind. Ich würde sagen, dass es am ehesten eine Mischung aus Drama, Coming-of-Age-Roman und Psychogramm ist, dazu die Geschichte von Liebe und Freundschaft.
Das Buch beginnt in den 1970er-Jahren und erzählt die Geschichten der beiden Familien, die nicht nur dadurch miteinander verwoben ist, dass Brian und Francis Kollegen und später Nachbarn sind. Spätestens, als sich Peter, der Stanhope-Spross und Kate, die jüngste Tochter der Familie Gleeson ineinander verlieben. Dieser Umstand setzt eine Dynamik zwischen den beiden Familien in Gang, die Dinge auslöst, die sie für immer prägen wird.
Das Buch ist berührend und fesselnd, ohne wirklich aufregend oder spannend zu sein. Am Anfang hatte ich Probleme, in das Buch hineinzufinden, da scheinbar nicht wirklich was passiert. Aber tatsächlich passiert ständig etwas, man muss es nur finden. Die Autorin hat in ihrem Roman sehr viele Themen wie psychische Probleme, Verlust, Schuld und Alkoholismus verarbeitet. Die latente Spannung und vieles, was zwischen den Zeilen zu finden ist (also zumindest für mich), machte es für mich nach ein paar Dutzend Seiten sehr schwer, das Buch aus der Hand zu legen, da ich viel zu neugierig war, wie es denn weitergeht.
Die Sprache ist einfach und flüssig, die Charaktere bis ins Detail gut ausgearbeitet und hervorragend beschrieben. Den von der Autorin geschilderten Umgang mit psychischen Erkrankungen und vor allem auch mit Alkoholismus fand ich sehr realistisch (wenn auch nicht wirklich akzeptabel), auch in meiner Familie wurde Bier nicht als Alkohol und Alkoholismus nicht als Krankheit angesehen.
Leider hat das Buch ein paar Längen und nicht nur einmal habe ich mich gefragt, wo das alles hinführen wird. Der Schluss macht die Geschichte allerdings zu einer runden Sache und eigentlich sollte ich es mit dem Wissen vom Schluss, direkt noch einmal lesen. Für mich ein gewöhnungsbedürftiges, aber unterhaltsames und nachdenklich machendes Buch, aus dem ich einiges mitnehmen konnte. Übers Schicksal und das, was wir daraus machen, über Familienzusammenhalt und über das, was uns zu dem macht, wer wir sind. Daher von mir solide 5 Sterne.