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sleepwalker

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Insgesamt 501 Bewertungen
Bewertung vom 24.03.2021
Ins Leere gelaufen
Park, Byung Jin

Ins Leere gelaufen


ausgezeichnet

„Ich, depressiv? Niemals!“ – so dachte Byung Jin Park noch vor einigen Jahren. Schlafstörungen, Antriebslosigkeit, kurzer Geduldsfaden – ja, aber das liegt ja an etwas anderem. Dass er im zwei-Wochen-Rhythmus krank wurde hatte auch einen anderen Grund. Welchen? Das wusste er auch nicht so genau. Aber irgendwann konnte er sich vor der Diagnose nicht mehr verstecken. Der Anwalt musste sich der Wahrheit stellen: er leidet unter einer Depression. Wie er es geschafft hat, damit leben zu lernen, beschreibt der inzwischen 36-Jährige in seinem Buch „Ins Leere gelaufen“.
Dabei kommt bei ihm so einiges zusammen, was einen Menschen ganz schön mitnehmen kann: mit zehn Jahren aus Südkorea nach Deutschland gekommen, erst einmal für fünf Jahre, da der Vater eine befristete Stelle hatte. Er wurde praktisch ohne Sprachkenntnisse aufs Gymnasium eingeschult, hat sich durchgebissen, war er doch in Korea Klassenbester gewesen. Er fand Freunde, trieb Sport und regelte als „Manager“ für die Familie Dinge (vor allem mit Behörden), für die er eigentlich noch viel zu jung war. Und immer hatte er im Hinterkopf: „mach uns stolz“. Gefühle zeigen und zulassen hat er nie gelernt, auf sich selbst stolz zu sein oder gar sich selbst zu lieben noch viel weniger. An diesen Stellen im Buch griff ich zum ersten Mal nach einem Taschentuch.
Einige Tränen und Schluchzer weiter fühlte ich mich in dem Buch fast gespiegelt. Der Autor und ich sind so verschieden und doch so gleich in vielem. Und das geht ganz sicher den meisten depressiven Lesern so. Wer also Angst hat, getriggert zu werden, sollte mit dem Lesen lieber warten, denn das Buch wühlte zumindest in mir eine Menge Gefühle auf. So viele Ähnlichkeiten schwarz auf weiß zu lesen, das kann einem ganz schön zu schaffen machen. Umso schöner ist es, wenn man dann liest, wie Byung Jin Park seinen Weg gefunden hat. Nein, nicht aus der Depression heraus, denn ihm ist klar, dass sie ihn ein Leben lang begleiten wird. Aber er hat Wege gefunden, mit ihr zu leben. Nach gescheiterter Ehe aus der „die beste Tochter der Welt“ hervorging, hat er eine Lebensgefährtin gefunden. Auch seine Familie unterstützt ihn bis heute, obwohl er den Kontakt zu ihr zeitweise komplett abgebrochen hatte.
Nein, dieses Buch ist kein „weiteres Buch über Depressionen“ oder gar ein Ratgeber, auch wenn es viele gute und nützliche Anregungen bietet – nicht zuletzt die, sich Hilfe zu suchen. Es ist auch keine Biografie eines „perfekt integrierten Anwalts mit Migrationshintergrund“. Es ist die berührende Geschichte eines jungen Mannes, der sich auf der Suche nach sich selbst verloren hat und sich mit viel Anstrengung neu aufstellen musste. Der Hilfe brauchte, zuerst nicht suchte, dann aber annahm. Der sich selbst und die Liebe fand, außerdem seine Wurzeln in der Familie und die Flügel in der Beziehung zu seiner Lebensgefährtin.
Eine Erfolgsgeschichte also? Jein. Eine Geschichte über harte Arbeit, die auch nach dem Aufenthalt in der psychosomatischen Klinik jeden Tag weitergeht. Denn „dunkle Phasen kommen und gehen“. Es ist eine Geschichte über Liebe, Leben, Musik, über ein Klapprad und ein Naturschutzzentrum, die Kampenwand und Twitter. Und darüber, dass Wut und andere negative Gefühle zu einem selbst gehören und man sich trotzdem lieben darf und dass man es lernen kann und sollte, diese Gefühle anzunehmen. Und dass man manchmal stolz auf das Erreichte sein kann, denn das Leben ist kurz und man muss es leben, solange man kann und solange es andauert. Von mir eine klare Lese-Empfehlung und 5 Sterne.

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Bewertung vom 23.03.2021
Der Fall Gurlitt
Remy, Maurice Ph.

Der Fall Gurlitt


ausgezeichnet

„Der Fall Gurlitt. Die wahre Geschichte über Deutschlands größten Kunstskandal“ von Maurice Philip Remy ist ein Buch, das mich in mehrerlei Hinsicht fassungslos zurückgelassen hat. Es ist für mich nicht nur ein Buch über einen „Kunstskandal“, sondern ein Buch über viel mannigfaltigere Skandale. Denn es umfasst neben dem „Skandal“ der gefundenen Kunstwerke auch skandalös unsaubere Ermittlungsarbeit von Polizei und Zoll, skandalös unseriöse Politiker und skandalös unethische Pressearbeit. Der Autor entwirrt auf über 400 Seiten (plus mehr als 100 Seiten Quellenangaben) minutiös die Fäden, die bei Cornelius Gurlitt 2013 zusammengelaufen sind, in dem Jahr, als der Focus „Der Nazi-Schatz“ titelte und herausposaunte, dass in Gurlitts Münchner Wohnung 1500 Beutekunst-Stücke gefunden worden wären. Heute würde man das „Fake News“ nennen.
Der Inhalt des Buchs ist komplex und kompliziert. Fakt ist aber, dass der 80jährige Cornelius Gurlitt rüde aus seiner Anonymität gerissen wurde, als im Focus der oben genannte Artikel über ihn und seine ererbte Kunstsammlung erschien. Das Blatt nannte seinen kompletten Namen samt Wohnort und warf ihn damit praktisch der gesamten Journaille zum Fraß vor. Fakt ist auch, dass die genannten Zahlen falsch waren, vor allem der auf über eine Milliarde Euro bezifferte Wert der Sammlung und die Anzahl der „Beutekunst-Werke“, die schnell von 1500 auf nicht einmal ein halbes Dutzend zusammenschmolz. Fakt ist auch, dass Zoll und Polizei bei Gurlitt die Kunstwerke nach einer Hausdurchsuchung beschlagnahmte. „Die Begründung der Amtsrichterin aus Augsburg stand nicht im Einklang mit den Richtlinien für ein rechtsstaatliches Strafverfahren. Es bedarf zwingend konkreter Hinweise auf eine Straftat und zudem einer klaren zeitlichen Eingrenzung auf den Zeitraum, wann sie begangen worden sein soll. Beides fehlte im vorliegenden Fall.“ Sie genehmigte damit einen „Beschlagnahmeexzess gegen rechtsstaatliches Handeln“, für den der Begriff „Der Schwabinger Kunstfund“ viel weniger zutreffend ist, als „Der Schwabinger Kunstraub“.
Maurice Philip Remy hat den Fall Gurlitt in jahrelanger Recherche aufgearbeitet und präsentiert in dem Buch die Ergebnisse. So stellt er die Familie Gurlitt ab dem Großvater Louis dar, der 1812 den Grundstein für die Sammlung legte, die Cornelius Gurlitts Vater Hildebrand als Kunsthändler ausbaute und dann an seine Frau und letztendlich an seinen Sohn vererbte. Er beschreibt die Familiengeschichte, die Geschichte von jüdischen Familien, mit denen Hildebrand Gurlitt Geschäfte gemacht hat und die Vorgänge rund um den „Schwabinger Kunstfund“ fast wie einen Krimi. Rasant erzählt, präzise und mit unzähligen Fakten, Quellen und Querverweisen untermauert. Ein angenehmes Buch über ein unangenehmes Thema: die Enteignung von Juden in der NS-Diktatur. Angenehm fand ich es aus dem Grund, dass der Autor es schafft, trotz manchmal sehr emotionaler Passagen, die nötige journalistische Distanz zu wahren und nicht auf einen Populismus-Zug aufzuspringen. Er gibt den Menschen hinter der Geschichte eine Stimme, zeigt sie aber mit Licht- und Schattenseiten. Denn natürlich wurden auch auf Gurlitts Seite Fehler gemacht. Aber nichts, was die spätere Hatz auf Cornelius Gurlitt gerechtfertigt hätte. Die war wohl blinder Aktionismus. „Dabei ist davon auszugehen, dass die Verantwortlichen im Grunde von der guten Absicht getrieben waren, NS-Unrecht aufzuklären und, wo möglich, zu heilen [...] Aber all das kann nicht rechtfertigen, dass hierbei neues Unrecht begangen wurde.“Ob das Buch es schafft, den Namen Gurlitt rein(er) zu waschen, bleibt fraglich. Auf jeden Fall kann es an Cornelius Gurlitt nichts mehr gutmachen, er ist inzwischen verstorben. Was bleibt ist ein spannendes, wohlformuliertes Sachbuch, fast ein True-Crime-Thriller über Behörden-Versagen, Aktionismus und moralisch verwerfliches Handeln der Medien. Ein Lehrstück, wie neutraler Journalismus funktionieren sollte. Von mir 5 Sterne und eine klare Lese-Empfehlung.

Bewertung vom 23.03.2021
Keine Regeln
Hastings, Reed;Meyer, Erin

Keine Regeln


gut

Guter Einblick
„Wir arbeiten alle wie verrückt, aber das liegt daran, dass wir unsere Jobs so leidenschaftlich lieben.“ – so könnte man laut „Keine Regeln. Warum Netflix so erfolgreich ist“ von Reed Hastings und Erin Meyer die Firmenphilosophie von Netflix zusammenfassen. Alle lieben ihren Job, alle lieben die Firma und daher tun alle ihr Möglichstes, um die Firma erfolgreich zu machen. Ob dies so stimmt, beleuchtet das Buch von zwei Seiten. Die Autoren sind Reed Hastings, Mitbegründer und Mit-CEO von Netflix und Erin Meyer, Professorin an einer privaten Wirtschaftshochschule.
Das Buch ist eine Mischung aus Biografie des Firmengründers Reed Hastings und der Geschichte von Netflix vom online DVD-Verleih zur heutigen Streaming-Plattform. Die einzige Regel im Unternehmen ist, dass es keine Regeln gibt. Es gibt keine innerbetrieblichen Hierarchien und Urlaub kann jeder nehmen, wann er möchte, ebenfalls sind die Arbeitszeiten nicht starr geregelt und alles läuft, solange die Ergebnisse stimmen. Es liest sich wie eine glückliche große Familie, eine Utopie, in der alles auf Ehrlichkeit und Loyalität fußt. Das ist die Seite, die Reed Hastings in dem Buch beschreibt.
Die „Gegenseite“ vertritt Erin Meyer, die das System zum Teil kritischer sieht und ihre Kritikpunkte direkt neben den Texten von Reed Hastings klar darlegt. Denn wo viel Licht ist, kann auch viel Schatten sein. So toll ein System ohne Regeln und ohne Hierarchie klingt, so traumhaft sich flexible Arbeitszeiten und –orte anhören und wie schön es wäre, in einer Firma sein Feedback ohne Angst abgeben zu können – auch bei Netflix gibt es Schattenseiten. Denn trotz aller Freiheit erwartet natürlich auch Reed Hastings von seinen Angestellten Höchstleistungen und den bedingungslosen Einsatz aller, schlicht „Großartiges“. Wer damit nicht konform geht, ist raus, wenn auch mit guter Abfindung. Und vermutlich gibt es auch in dieser „heilen Familie“ Probleme, denn zu viel Freiheit kann schnell ausgenutzt werden, zu viel ehrliches Feedback kann schnell zum Streitpunkt werden und Strukturen ohne Hierarchie haben sich in der Vergangenheit selten bewährt.
Insgesamt ist es für mich ein interessantes Buch, das mit Vorsicht gelesen und kritisch betrachtet werden sollte. Es ist gut und flüssig geschrieben, manchmal kam ich mir aber ein bisschen vor wie in einer Mischung aus einem „positive thinking“-Seminar, einem Selbstoptimierungs-Workshop und einer Predigt in einer (pseudo) religiösen Vereinigung. Alles in allem fand ich es nett zu lesen, manche Anregung ist sicher auch gut und praktikabel, also ist es insgesamt kein schlechtes Buch, aber sicher auch keine „Wirtschafts-Bibel“ mit Weisheiten, die immer und überall passen. Von mir daher 3 Sterne.

Bewertung vom 23.03.2021
Inspector Swanson und die Bibliothek des Todes
Marley, Robert C.

Inspector Swanson und die Bibliothek des Todes


ausgezeichnet

„Inspector Swanson und die Bibliothek des Todes“ von Robert C. Marley ist ein Buch, das mich sehr zwiegespalten zurücklässt. Einerseits hat der Autor die Atmosphäre der ehrwürdigen Bodleian Library (Bibliothek der Universitäten von Oxford) sehr gut eingefangen, das Viktorianische England des Jahres 1895 ist auch greifbar gut beschrieben, ich bin ein großer Fan von Oscar Wilde (um den sollte es schließlich auch gehen) und dennoch konnte mich das Buch als Krimi nicht begeistern.
Die Krimi-Handlung ist schnell erzählt: der unsympathische Literaturprofessor Alistair Hargraves liegt mit einer Statue erschlagen in der Bibliothek. Sowas kennt inzwischen fast jedes Kind vom Cluedo-Brettspiel. Eine kleine Reihe Verdächtiger, darunter ein Hobby-Ermittler samt Verlobten und Mündel und eine junge Bibliotheksangestellte. Und wirklich spannender wird das Ganze auch nicht mehr.
Parallel zu den vor sich hin plätschernden Ermittlungen flicht der Autor episodenhaft Oscars Wildes Kampf um seiner Ehre ein, die wegen seiner Sodomie (veraltet für Homosexualität) auf dem Spiel steht. Verflochten werden diese „Einsprengel“ über den Schriftsteller dadurch, dass er sowohl mit dem Hobby-Ermittler Frederick Greenland, dessen Verlobter Louisa und auch mit Inspector Swanson befreundet ist. Dadurch tritt der Inspector im Lauf des Buchs schon früher in Erscheinung, obwohl er in die Ermittlungen erst ziemlich spät eingreift. Wer sich schon einmal mit Oscar Wilde befasst hat, weiß das meiste davon ohnehin und für das Buch bringen diese Passagen nicht wirklich einen Mehrwert, sie haben so gut wie nichts mit der eigentlichen Handlung zu tun.
Der Stil des Buchs machte mir ziemlich zu schaffen. Die Sprache ist für mich nichts Halbes und nichts Ganzes, sie wirkte für mich eher „auf alt getrimmt“, denn authentisch. Dazu bedient de Autor einige Klischees, so ist die junge Irin Miss Hill selbstverständlich rothaarig, hat blaue Augen und ist mittellos, aber bildhübsch und alle Männer liegen ihr zu Füßen. Und auch bei der Namenswahl für seine Charaktere gibt es Parallelen zu den Werken anderer Schriftsteller: „Badger“ ist der Spitzname von Billy Bob, dem Ziehsohn von Frederick Greenland, Ähnlichkeiten zu „the Artful Dodger“ aus Charles Dickens‘ „Oliver Twist“ sind vermutlich ebenso wenig zufällig wie beim Namen des Antiquars Mr. Hobbs, der an den Gemischtwarenhändler aus „Der kleine Lord“ von Lucy Maud Montgomery erinnert.
Die Charaktere sind zwar gut beschrieben, wenn ich sie auch im Großen und Ganzen nicht sympathisch fand. Das Buch ist der siebte Teil der Reihe um Inspector Swanson, für mich bleibt es sicher der einzige, den ich lesen werde. Vorkenntnisse aus den anderen Teilen sind nicht zwingend für das Verständnis nötig, wenn man allerdings wissen möchte, wie der ehemalige Straßenjunge und Taschendieb Badger und der Lebemann und Privatier Frederick zueinander gefunden haben, muss man wohl die anderen Teile auch lesen.
Insgesamt passen der Stil des Autors und ich nicht zusammen. Aber ich tue mich mit deutschsprachigen Autoren mit englischem Pseudonym zugegebenermaßen schwer, vor allem, wenn sie Dinge erklären wie „»Hill«, sagte sie und knickste erneut. »Miss Siobhán Hill.« Sie sprach den Vornamen wie Schiewon aus.“ Ja, natürlich, wie denn sonst? „Schiwan“? – dann wäre es die irische Aussprache. Was will der Autor damit bezwecken? Zeigen, wie gut er sich mit gälischen Vornamen auskennt? Man weiß es nicht.
Das Buch ist unterhaltsam, mehr nicht, noch nicht einmal wirklich spannend. Es ist, wie der Autor Oscar Wilde sagen lässt „»Conan Doyle erzählt immer Geschichten, Freddy. Und die meisten davon sind so flach wie eine Flunder.«“ – das trifft für mich auch auf dieses Buch zu. Den Ansatz fand ich gut, die Ausführung mangelhaft. Von mir für den meiner Meinung nach misslungenen Versuch, einen Krimi mit historischen Fakten und Fiktion zu verknüpfen und dabei Moral und Welt- und Frauenbild des viktorianischen Englands darzustellen, 2,5 Sterne, aufgerundet drei.

Bewertung vom 16.03.2021
Bornholmer Falle / Sarah Pirohl ermittelt Bd.2
Peters, Katharina

Bornholmer Falle / Sarah Pirohl ermittelt Bd.2


ausgezeichnet

Innerhalb von nur vier Wochen hat Katharina Peters mit „Bornholmer Falle“ schon den zweiten Krimi dieses Jahres veröffentlicht. Respekt! Leidet die Qualität mit der Geschwindigkeit, in der sie „liefert“? Mitnichten! Auch Bornholmer Falle war für mich ein spannender und gut geschriebener Thriller. Zwar brauchte die Geschichte für mich ein wenig Zeit, um in Fahrt zu kommen, dann packte sie mich aber und der Schluss, ein mega Cliffhanger, ließ die Spannung fast ins Unermessliche steigen. Jetzt heißt es auf den nächsten Teil der Reihe warten.
Im Zentrum des Krimis steht Sarah Pirohl, die seit dem Vorgängerband „Bornholmer Schatten“ zwischen Rostock und Bornholm pendelt und dort als Verbindungsbeamtin des BKA tätig ist. Sie ermittelt im Fall eines verschwundenen 18-Jährigen, der zuletzt gesehen wurde, als er die Fähre von Bornholm nach Sassnitz bestieg. Und als dann auch noch ein Freund des Verschwundenen getötet wird und sein Stiefvater sich mit undurchsichtigen Handlungen verdächtig macht, befinden sich Sarah und ihre Kollegen samt ihrem Freund Frederik mitten im Verbrechens-Sumpf. Und Sarah findet sich auch wieder mit den Geistern ihrer Vergangenheit und den Problemen ihrer Herkunftsfamilie konfrontiert. Ihr im Vorgängerband wegen seiner rechtsradikalen Umtriebe verhafteter Vater macht Sarah auch noch vom Gefängnis aus zu schaffen, denn er verfolgt weiterhin seine Ideen. Um jeden Preis. Obwohl Sarah versucht, sich von der Familie fernzuhalten (Kontakt hat sie zu ihrer Großmutter und ihrer Mutter), hat sie früh das Gefühl, dass ihr Vater auch mit ihren aktuellen Ermittlungen zu tun haben könnte. Mehr möchte ich zum Inhalt gar nicht ausführen.
Es ist der zweite Teil der Reihe um Sarah Pirohl, vermutlich ist es auch möglich, ihn ohne Vorkenntnisse zu lesen, denn die Autorin gibt sich sehr viel Mühe, „Wissenslücken“ zu füllen. Aber ich denke, um die komplizierten familiären Verhältnisse der Kommissarin wirklich verstehen zu können, sollte man den Vorgänger ebenfalls lesen. Er ist es auf jeden Fall wert. Sprachlich ist der Krimi ebenfalls bodenständig und flott geschrieben, sie flicht sogar ein paar wenige Sätze auf Dänisch ein.
„Bornholmer Falle“ ist ein handfester Krimi, flott und spannend geschrieben und für jeden, der gute, sauber konzipierte und durchdachte Krimis mag ein Muss. Ich empfehle das Buch auf jeden Fall uneingeschränkt weiter und warte gespannt auf den nächsten Teil. Fünf Sterne.

Bewertung vom 02.03.2021
Ankermord / Romy Beccare Bd.10 (eBook, ePUB)
Peters, Katharina

Ankermord / Romy Beccare Bd.10 (eBook, ePUB)


sehr gut

Zwei Arbeiter entdecken an der Binzer Seebrücke eher zufällig eine männliche Leiche, die mit einer Ankerkette an einem Pfeiler unter Wasser angekettet wurde. Hauptkommissarin Romy Beccare steht vor einem Rätsel. Erst als die Identität des Toten geklärt ist, kommt sie einen kleinen Schritt weiter, die Ermittlungen erweisen sich aber als vielschichtig und enorm aufwändig. Denn Marek Liberth ist selbst kein unbeschriebenes Blatt, er ist wegen kleinerer Drogendelikte vorbestraft und von seinem letzten Arbeitgeber, einer Zuliefererfirma für Werften, entlassen worden. Auch zu seiner Kindheit im Heim könnte eine Spur auf der Suche nach dem Mörder führen. Haupt-Augenmerk der Ermittler liegt allerdings auf der Firma, bei der Liberth gearbeitet hat, denn auch die Chefin scheint einiges zu verbergen.
So viel kann man zu "Ankermord", dem zehnten Band der Romy-Beccare-Reihe von Katharina Peters getrost sagen, ohne zu spoilern. Nachdem schon im Klappentext ein (Schreib- oder Grammatik)Fehler versteckt ist, wusste ich nicht, ob der neue Teil der Serie den anderen, die ich schon kenne, gerecht werden würde. Aber ich wurde nicht enttäuscht, dieser Krimi steht den anderen in Puncto Spannung und Lesefreude in nichts nach. Ein Wehrmutstropfen für mich war aber der dann doch sehr abrupte Schluss, der im Vergleich zum Rest des Buchs für mich einen zu kleinen Anteil ausmachte. Er ist zwar schlüssig und führt konsequent die Handlungsteile und Fährten zusammen, mir kommt er aber zu plötzlich.
Sprachlich fand ich das Buch gut und flüssig zu lesen, den Stil und auch die stellenweise brutalen Schilderungen von Gewalttaten bin ich von der Autorin von ihren anderen Büchern gewohnt. Die Spannungskurve ist, vor allem bedingt durch die Komplexität, die vielen falschen Ansätze und Verdächtigen, ziemlich konstant hoch. Die Charaktere sind wie immer sehr klar und bildhaft ausgearbeitet und jeder in seinen Eigenheiten geschildert, Sympathien und Antipathien bildeten sich bei mir schnell. Neben den üblichen Hauptdarstellern wie Romy Beccare und Jan Riechter, habe ich mich besonders über ein Wiedersehen mit Ruth Kranold gefreut, die ich schon aus dem Vorgänger-Band kenne. Obwohl es schon Band 10 der Reihe ist, kann man das Buch aber ohne Probleme lesen und verstehen, wobei ich jedem die anderen Teile der Serie ans Herz lege. Und auch die Landschaftsbeschreibung der Insel Rügen kam nicht zu kurz.
Es ist mit Sicherheit nicht das beste Buch der Serie, aber trotzdem ein solider und bodenständiger Krimi mit einer ausgewogenen Mischung aus sehr viel Spannung und ein bisschen Privatleben. Von mir daher solide vier Sterne und ich freue mich auf den nächsten Teil.

Bewertung vom 01.03.2021
Just Like You
Hornby, Nick

Just Like You


sehr gut

Über 20 Jahre nach „About a boy“ war es für mich mal wieder an der Zeit für ein Buch von Nick Hornby. Und da ich die Brexit-Verhandlungen gespannt verfolgt habe, fand ich sein neuestes Werk „Just like you“ interessant, verspricht es doch laut Klappentext „Liebe in Zeiten des Brexit“. Und tatsächlich schafft das Buch es auf sehr spannende Weise, beides zu verknüpfen. Und eines ist schon von Anfang an klar: kompliziert wird beides.
Die 42-jährige Lucy Fairfax, Mutter von zwei Söhnen, lebt von ihrem alkoholkranken Ehemann getrennt und die beiden stehen kurz vor der Scheidung. Großbritannien und die EU sind noch nicht getrennt, 2016 steht das Land aber kurz vor dem Referendum, das über die Scheidung entscheiden soll. Joseph ist 22, lebt noch bei seiner Mutter, bestreitet seinen Lebensunterhalt als Aushilfsmetzger, Fußballtrainer und Babysitter. Lucy und Joseph, so verschieden die beiden sind (denn zusätzlich zum Altersunterschied ist Lucy weiß und Joseph nicht), verlieben sich ineinander und ihre Beziehung ist analog zu den Diskussionen um den Brexit: voller Missverständnisse, Zweifel, Höhen und Tiefen und, um es mit einem Wort zu sagen: kompliziert. Wie die Liebesgeschichte im Buch endet, möchte ich nicht spoilern. Und wie die Sache mit dem Brexit ausging, das ist Geschichte.
Tatsächlich hat mich das Buch positiv überrascht. Die unterschiedlichen Charaktere (Altersunterschied, verschiedene Herkunft und Hautfarbe, sie ist Englischlehrerin und er hat seinen Weg im Leben noch nicht gefunden, und so weiter) waren hervorragend ausgearbeitet und sehr plastisch beschrieben. Auch fand ich die Protagonisten sympathisch dargestellt. Die Brexit-Diskussionen fand ich ebenfalls gut geschildert, das Hin und Her zur Entscheidungsfindung für oder gegen den EU-Austritt Großbritanniens, die Für- und Wider-Argumente, die Lügen und Halbwahrheiten – da trifft der Autor den Nagel ordentlich auf den Kopf.
Ähnlich wie die On-Off-Ja-Nein-Vielleicht-Beziehung zwischen Joseph und Lucy ändert sich auch die Haltung ihres Umfelds (und die Haltung vieler Briten) zum Brexit. Ein gutes Beispiel ist Josephs Mutter, die als Krankenschwester erst die ausländischen Kolleg:innen aus Polen, Ungarn und Spanien unverzichtbar findet, später aber für den Brexit stimmt, weil sie daran glaubt, dass danach 161 Millionen Pfund wöchentlich ins Gesundheitssystem fließen werden. (Stand 2020/21 wissen wir, dass das auch nicht stimmt).
Hornby deckt also in seinem Buch jede Menge Themen ab: Brexit, Liebe mit Altersunterschied und Rassismus im Allgemeinen und im Speziellen (Joseph macht eine unerfreuliche Erfahrung mit einem von Lucys Nachbarn und der Polizei), aber insgesamt zeigt er auch, wie unterschwellig xenophob viele Briten sind (»Ich stimme für den Austritt. Zu viele Auflagen, zu viele Albaner.« oder „»Ganz ehrlich, ich habe kein Problem mit Einwanderung. Ohne Einwanderung wären wir nicht hier. Aber die kommen nicht her, um ein Teil von England zu werden, oder? Die ganzen Osteuropäer und so weiter. Die kommen hier so überfallartig an, unterbieten die örtlichen Arbeiter, verdienen sich was und hauen wieder ab“).
Hornbys Stil ist ein bisschen holprig und ich hatte anfangs Mühe in das Buch zu finden, das gab sich aber nach ein paar Dutzend Seiten. Außerdem ist es sehr dialog-lastig, was ich ebenfalls gewöhnungsbedürftig fand. Dennoch, wie die Liebe der beiden Protagonisten und der Brexit hat auch das Buch für mich zwei Seiten. Man kann es als leichten Unterhaltungsroman lesen, ein bisschen über die lustigen Szenen und den manchmal aufblitzenden Wortwitz schmunzeln; oder man kann es als einen durchaus tiefgründigen gesellschaftskritischen Roman lesen und sich seine eigenen Gedanken machen und Meinung bilden. Manche Gedankengänge muten fast philosophisch an.
So oder so - insgesamt finde ich das Buch absolut lesenswert. Eventuell werde ich mir mal das englische Original besorgen, denn manchmal finde ich die Übersetzung nicht ganz gelungen. Von mir aber 4 Sterne.

Bewertung vom 01.03.2021
Vegan Backen
Schober, Corinna

Vegan Backen


ausgezeichnet

Zuerst einmal vorneweg: ich lebe weder vegetarisch noch vegan, sondern bestenfalls flexitarisch. Aber ich habe zweierlei: selten Eier im Haus und einen Mann, der gerne Kuchen isst. Also habe ich ein großes Faible für Backen ohne Eier entwickelt, und da bin ich mit veganen Rezepten immer sehr gut bedient. „Vegan Backen“ von Corinna Schober bietet für jeden, der ohne tierische Produkte backen möchte, ob Veganer oder nicht, ganz tolle Rezepte, Anregungen und Tipps.
Denn Backen ohne tierische Produkte heißt nicht Backen ohne Geschmack und Genuss. Weit gefehlt. Auch ohne das gewohnte Ei, Milch, Jogurt oder die „gute Butter“ im Teig kann man leckere Backwerke zaubern. Das zeigen die ansprechenden Bilder im Buch ganz deutlich. Schön finde ich an den Rezepten für die Muffins, Kuchen und Torten auch, dass die Autorin komplett ohne Ei-Ersatz auskommt, so brauchen ihre Backwerke weder Sojamehl, geschroteten Leinsamen oder sonstiges „Ersatz-Ei“, sondern meistens Grundzutaten, die man immer im Haus hat. Spontanem Backen steht also nichts im Weg. Auch Zuckeralternativen haben in den Rezepten ihren Platz, können aber meistens gegen „normalen“ Haushaltszucker ausgetauscht werden, wenn man sie nicht verwenden möchte oder nicht im Haus hat.
Das Buch beinhaltet mehr als 35 Rezepte aus den Kategorien „Kleine Leckereien“, „Schnelle & Einfache Kuchen“ und „Besondere Kuchen & Torten“. Den krönenden Abschluss des Rezept-Teils bildet eine Zusammenstellung zu Themen wie „Das Prinzip: Vegan Backen“, „Vegane Alternativen und Zucker-Alternativen“, dazu Grundrezepte für veganen Mürbe- und veganen Rührteig, die den Leser:innen die Scheu vor dem Ausprobieren nehmen wollen, denn schon aus diesen beiden Grund-Teigen kann man viele verschiedene Kuchen zaubern.
Einzig die Tatsache, dass das Buch kein Inhaltsverzeichnis hat, finde ich eher schade. Aber die vielen ansprechenden Bilder, die umsetzbaren Rezepte, die dazu noch mit Kalorienangaben und Angaben zu Eiweiß-, Fett- und Kohlehydratgehalt geben, konnten mich schnell trösten. Das Buch ist so simpel geschrieben, wie die Rezepte augenscheinlich sind, auch Aussagen zur Größe der Backform, wie viele Stücke das Rezept ergibt und wie lange Zubereitung und Backen brauchen, sind vorhanden. Klare Angaben, gute Tipps und Bilder, die Lust aufs Ausprobieren machen. Mehr braucht’s nicht. Von mir 5 Sterne.

Bewertung vom 01.03.2021
»Frau Doktor, wo ich Sie gerade treffe...«
Koock, Ulrike

»Frau Doktor, wo ich Sie gerade treffe...«


ausgezeichnet

Dr. Ulrike Koock „kenne“ ich als Schwesterfraudoktor aus den sozialen Medien, wie man sich aus den sozialen Medien halt so „kennt“. Aber ich habe mich sehr auf und über ihr Buch „Frau Doktor,
wo ich Sie gerade treffe.... Warum ich mit Leib und Seele Landärztin bin“ gefreut. Und ich wurde nicht enttäuscht. Einige der im Buch veröffentlichten Geschichten kannte ich zwar schon von ihrem Blog, aber das macht sie nicht schlechter oder uninteressanter, denn, wie auf ihrer Website steht, schreibt sie vor allem deshalb, „um all die schönen und traurigen und lustigen Geschichten nicht zu vergessen.“
Und an ihrem Berufsalltag als angestellte Ärztin in einer hessischen Landarztpraxis lässt sie ihre Leser:innen teilhaben. Fiktiv gliedert die Autorin ihre Arbeitswoche unter kreativen Überschriften wie „Marathonmontag“, „Diagnosendienstag“, bis „Fisimatentenfreitag“, „Supersamstag“ und „sentimentaler Sonntag“. Und die Woche hat es in sich. Riesiger Patientenansturm trifft da auf Reanimation im Flur und in dem Zusammenhang unter der Überschrift „Ja, ihr reanimiert. Aber kann ich meine Spritze haben?“ trifft Egoismus auf lebensrettende Maßnahmen. Als Landärztin behandelt sie die verschiedensten Krankheiten, von Psychosen, Würmern und Grippe bis Herzinfarkt und wieder zurück, da ist ihr nichts Menschliches fremd. Fremd ist sie in dem Ort, in dem sie lebt ebenfalls, was dazu führen kann, Arztgespräche an der Kühltheke im Supermarkt zu führen – oder die Flucht zu ergreifen. Zwischen Joghurt und Gemüsetheke Hämorrhoiden oder die Ergebnisse der Darmspiegelung zu diskutieren kann selbst für die engagierteste Frau Doktor zu viel des Guten sein.
Ulrike Koock traf in ihrer Laufbahn schon auf vieles: schamlose (und sinnlose) Charmeoffensiven („Sie sind schon so ein saftiger, reifer Pfirsich“), Diskriminierung („Ich gehe nur zum Herrn Doktor“) und muss immer wieder zwischen „Ich hab doch nichts! Ich bin nur alt“, „Ich bin net so de Aazdgänger“ aus „Die kleine weiße Tablette und die aus der rot-weißen Schachtel“ korrekte Medikamentenpläne zusammenpuzzeln. Und auch aufklärende Gespräche mit Impfgegnern und Anhängern von Pseudomedizin sind immer wieder an der Tagesordnung.
„Landarztromantik in gestärktem Weiß“ – Fehlanzeige. Große Heldin im Alltag? Unverzichtbarerer Bestandteil des (Land-)Lebens? Absolut. Ulrike Koock errichtet für die Angehörigen ihres Berufsstands ein kleines aber feines Denkmal und lässt die Leserschaft an ihrem Alltag teilhaben. Vermutlich werden einige Leser:innen ihre Hausärzt:innen künftig anders sehen. Vielleicht nicht als Helden, aber vielleicht auch nicht mehr als bloßen Dienstleister. Man muss seinem Hausarzt, respektive seiner Hausärztin, keine Mirabellen vorbeibringen, aber den nötigen Respekt und Anstand entgegenbringen, damit wären vermutlich einige schon glücklich.
Das Buch ist meist flapsig und flott geschrieben, meistens aber mit einem ernsten Unter- oder Zwischenton, manchmal sogar lehrreich und informativ, aber immer gut und flüssig zu lesen. Für mich war die Freude der Autorin an ihrem Beruf, dem Umgang mit Menschen (den sie ursprünglich eigentlich gar nicht wollte, denn „nach dem Studium entschied ich mich – trotz kindlicher Landarztträume – dafür, dass ich zukünftig keinen Kontakt zu Patienten haben möchte…“) , aber auch den Spaß am Schreiben in jeder Zeile spürbar. Nicht umsonst wurde Ulrike Koock für ihren Blog „Schwesterfraudoktor“ mit dem Goldenen Blogger Award 2019 ausgezeichnet. Von mir von ganzem Herzen fünf Sterne.

Bewertung vom 23.02.2021
Madame Curie und die Kraft zu träumen / Ikonen ihrer Zeit Bd.1
Leonard, Susanna

Madame Curie und die Kraft zu träumen / Ikonen ihrer Zeit Bd.1


sehr gut

Der Name Marie Curie ist sicher fast jedem geläufig, auch wenn man sich weder in Physik noch in Chemie übermäßig gut auskennt. Wer sich aber genauer hinter dem Namen verbirgt und welche Geschichte mit dem Namen verknüpft ist, wissen vermutlich nur wenige. Diese Wissenslücke will Susanna Leonard mit dem biografischen Roman „Madame Curie und die Kraft zu träumen“ füllen. Und das gelingt ihr meiner Meinung nach ganz hervorragend.
Eingeteilt in drei große Zeitebenen, nimmt die 59-jährige Marie Curie im „Jetzt“ 1926, kurz vor der Hochzeit ihrer Tochter Irène, ihre Zuhörer:innen (Bekannte, Bewunderer und ihre beiden Töchter) durch Erzählungen mit auf eine Reise durch ihr Leben. Diese Erzählungen handeln von ihrer Kindheit und Jugend in Polen und ihrer Studien- und Forschungszeit in Paris.
Geboren als Maria Salomea Skłodowska im russisch besetzten Polen, kämpfte sie schon früh gegen Vorurteile und Benachteiligungen. Einerseits hatte sie als Polin schlechtere Chancen in der Gesellschaft, und als Mädchen gleich gar. Trotzdem schaffte sie es, ihre Schulzeit mit Bestnoten zu beenden, sich privat mithilfe der „Fliegenden Universität“ weiterzubilden und mit dem Geld, das sie als Hauslehrerin verdiente, ihrer Schwester Bronia ein Studium an der Pariser Sorbonne zu ermöglichen. Sich selbst erfüllte sie den Traum vom Studium (in vielen Ländern durften Frauen bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts nicht studieren, oft nicht einmal Abitur machen) erst ab 1891, nachdem sich auch die Heirat mit dem Sohn ihrer Arbeitgeber zerschlagen hatte. In Paris zeigte sich, wie ehrgeizig, wissbegierig, neugierig und schlicht begabt Sklodowska war. Sie lernte den Lehrer und Physiker Pierre Curie kennen und lieben – der Rest ist vermutlich hinlänglich bekannt. Gemeinsam gewannen sie 1903 zusammen mit Henri Becquerel den Nobelpreis für Physik, sie bekam 1911 den Nobelpreis für Chemie und widmete ihn ihrem 1905 an den Folgen eines Verkehrsunfalls verstorbenen Mann.
Marie Curie war ihrer Zeit in vielem voraus: sie studierte, als noch wenige Frauen studierten; sie forschte als eine der ersten (auf sehr hohem wissenschaftlichen Niveau); sie gewann als erste Frau den Nobelpreis und als einzige zweimal, noch dazu in zwei verschiedenen Fächern. Eine zu ihrer Zeit eher unbesungene Heldin und Vorreiterin, Wegbereiterin, Koryphäe und ein großes Vorbild vor allem für Studentinnen. Heute sieht das anders aus: sie ist bekannt, berühmt und eventuell auch berüchtigt. Im Buch wird sie als ehrgeizige Forscherin dargestellt, der die Wissenschaft über alles geht. Sie weiß schon früh, wie gefährlich die radioaktive Strahlung der von ihr und ihrem Mann entdeckten Elemente Radium und Polonium ist (den Begriff Radioaktivität verwendeten die beiden als erste), nimmt aber die Risiken in Kauf. Sie selbst stirbt an den Folgen der Strahlung, was aus den Mitarbeitern wird, die sich dem Risiko ebenso ausgesetzt haben, wird nicht erwähnt. Aber Marie Curie hatte wohl noch eine andere, eine herzliche und menschliche Seite, ein solides Gegengewicht zu ihrem Ehrgeiz und ihrem Forschungsdrang. Die große Liebe zu ihrem Mann und ihren Töchtern und die enge Verbundenheit mit ihrem Vater und den Geschwistern, gingen mir beim Lesen ans Herz.
Für mich war das Buch eine Bereicherung und eine Freude, es zu lesen. Leider enthält es mehrere Fehler, sowohl orthografische, als auch logische. Dennoch finde ich, dass die Autorin eine gute Möglichkeit gefunden hat, ihrem Publikum den Menschen Marie Curie näherzubringen. Das Buch ist flüssig geschrieben und leicht zu lesen. Die wissenschaftlichen Aspekte überwiegen nie, sie sind gerade so wenig vertreten, wie der Lesefluss verträgt, aber so viel, dass der interessierte Leser Anregung zur weiteren Recherche erhält. Für mich eine runde Sache, ein Stern Abzug wegen der zahlreichen Fehler, daher vergebe ich 4 Sterne.