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Volker M.

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Insgesamt 374 Bewertungen
Bewertung vom 12.11.2022
Privates Vermögensmanagement
Wendler, Matthias

Privates Vermögensmanagement


weniger gut

Ursprünglich hatte Matthias Wendler für seine Kinder ein paar Ratschläge niedergeschrieben, mit denen sie ihre finanziellen Entscheidungen optimieren und sein Erbe gewinnbringend fortführen können. Aus dieser Idee ist nun dieser Ratgeber geworden, um seine Gedanken einer breiteren Leserschaft vorzustellen. Er hat dazu die Komplexität des Themas soweit reduziert, dass nur das nötigste Rüstzeug behandelt wird, um den Leser bei seinem privaten Vermögensmanagement zu unterstützen. Er soll dazu in die Lage versetzt werden, gute Entscheidungen auf den klassischen Kapitalmärkten - Aktien, Anleihen und Immobilien - zu treffen und schlechte möglichst zu vermeiden.

Im Theorieteil vermittelt Wendler, warum es wichtig ist, dass sich die Geldanlage den klassischen Lebensphasen (Ausbildung, Heirat, Kinder, Haus, Arbeitsleben, Rente) immer wieder anpassen muss, erklärt die wichtigen Anlageklassen (Anleihen, Aktien, Immobilien) und vermittelt ein Grundverständnis der nationalen und internationalen Kapitalmärkte.

Anschießend beschreibt der Autor, wie man das richtige Depot findet, wie Transaktionen durchgeführt werden und welche Möglichkeiten es bei der Auswahl von Wertpapieren und dem Aufbau eines Wertpapierportfolios mit Sparplänen und Einmalanlage gibt. Gewinnrealisierungen und Kapitalentnahmen sowie Portfolio-Strategien ergänzen diesen Praxisteil.

Im dritten Teil geht Wendler auf weiterführende Themen ein, wie z. B.: Gibt es das richtige Timing bei Wertpapierkäufen und -verkäufen? Was taugen Chartanalysen? Wie könnten Strategien bei einem Börsencrash aussehen?

Zur Verdeutlichung hat Wendler viele Tabellen und Grafiken mit Zeitreihen in seine Beschreibungen einbezogen. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob die vielen Formeln dem Einsteiger nützen, für Fortgeschrittene stellen sie durchaus einen Mehrwert dar.

Das wäre auch mein Hauptkritikpunkt: Meines Erachtens hat Wendler seine Zielgruppe aus den Augen verloren, oder er war sich nicht klar, wer dies überhaupt sein sollte. Das Buch richtet sich weder an Einsteiger (dafür fehlt mir eine strukturierte Wissensvermittlung im Theorieteil), noch an Fortgeschrittene (denen muss man nicht erklären, wie man ein Depot findet und Transaktionen durchführt). Wirklich brennende Fragen bleiben dagegen unbeantwortet: Wie kann man dem Realverlust des Vermögens bei einer Inflation von über 10 % entgegenwirken? Welchen Einfluss hat der Ukrainekrieg auf die Geldanlage? Bei einem aktuellen Buch müssen diese Themen einfach behandelt werden.

Die Liste mit weiterführender Literatur im Anhang umfasst spärliche acht Bücher bzw. Zeitschriftenartikel der Zeit von 2003 bis 2018. Der Autor listet keine Themenschwerpunkte auf und bewertet die Literatur auch nicht. Für den Leser ist das aus meiner Sicht wenig hilfreich.

Dieser Vermögensratgeber ist nichts Halbes und nichts Ganzes - auf der einen Seite zu oberflächlich und auf der anderen Seite zu detailliert, wenn Wendler über die Regression von Wachstumsraten oder Tabellen zu den Schlüsselindizes referiert (wobei die Gelehrten darüber streiten, ob das für die Zukunft überhaupt noch aussagekräftig ist). Man merkt dem Ratgeber leider seine Entstehung aus einer Zettelsammlung an und ich habe eine stringente und didaktische Wissensvermittlung in Theorie und Praxis vermisst.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

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Bewertung vom 10.11.2022
Metropolen
Wilson, Ben

Metropolen


ausgezeichnet

Städte gibt es seit mindestens 10 000 Jahren, wobei hier gleich eine Problematik erkennbar wird: Was ist eine Stadt? Die ältesten Städte würden heute kaum als Dörfer durchgehen, aber sie hatten dennoch Merkmale, die sie als Städte ausweisen: Eine Stadtplanung, arbeitsteilige Tätigkeiten, überregionaler Handel und eine Versorgung aus dem Umland, nicht aus dem Stadtgebiet. Da das heutzutage auf fast alle Siedlungen zutrifft, definiert sich die Stadt mittlerweile nach der Einwohnerzahl und jedes Land legt eigene Schwellen fest.

Ben Wilson erzählt die Geschichte der Stadt im Kontext der summarischen Weltgeschichte, wobei interessanterweise viele Entwicklungen überall auf der Welt parallel ablaufen. Das betrifft nicht nur die zeitliche Parallelität, sondern auch die Sequenzen, in der sich Städte entwickeln. Aus diesem Grund wagt Wilson am Ende auch eine Prophezeiung für die Zukunft.

Wilson strukturiert sein Buch chronologisch, wobei er in jeder Epoche eine kleine Zahl an Städten exemplarisch heranzieht, um die dominierenden Prinzipien darzustellen. Hierbei berücksichtigt er die historischen Hintergründe, die oft auf Stadtstrukturen und -funktionen, aber auch auf den Niedergang zurückwirken. Ein triviales Beispiel sind Stadtmauern in kriegerischen Zeiten, aber es gibt auch wesentlich subtilere Einflüsse.

Die für mich nach wie vor interessanteste Stadt überhaupt ist Mohenjo Daro, auch wenn sie im Buch nur eine Randnotiz bleibt: Vor 5000 Jahren entstand im Indusdelta eine Stadtzivilisation ohne erkennbare Hierarchie, ohne religiöse Machtstrukturen, ohne Waffen und ohne Kriege, dafür mit Stadtplanung und einem Abwassernetz, das in dieser Qualität erst wieder am Ende des 19. Jahrhunderts in Europa erreicht wurde. In jedem Haus gab es Toiletten mit Wasserspülung und Duschen in wasserdichten Duschkabinen, auf den Straßen standen öffentliche Mülltonnen. Unter diesen auf gegenseitiger Rücksicht und Gemeinwohl basierten Regeln lebten über 100 000 Menschen fast 1000 Jahre lang zusammen, in der damals größten Stadt der Erde. Auch diese vorbildliche und fortschrittliche Kultur ging durch den Einfall benachbarter Völker und andere Faktoren unter.

Sehr deutlich wird im Buch übrigens eine Hauptursache für den Zusammenbruch von Zivilisationen und hochentwickelten Städten und Gesellschaften: Es ist die ungeregelte Migration von Menschen mit nicht kompatiblen Werten, wobei primär nicht einmal Aggression im Spiel sein muss. Jede Zivilisation braucht Regeln des Zusammenlebens, an die sich (fast) alle halten, sonst verlöscht sie. Beispiele gibt es in der Geschichte, aber auch in der Gegenwart genügend.

Die meisten von Wilsons Schlussfolgerungen konnte ich nachvollziehen, insbesondere die Tatsache, dass Städte dann besonders erfolgreich sind, wenn sie Innovation und Kreativität fördern und nicht durch übermäßige Regelungen einschränken (Deutschland). Aus genau diesem Grund sieht Wilson die Zukunft der Städte im Beispiel Lagos, mit anarchischen Strukturen, weitgehend machtlosen Kontrollinstanzen, exorbitanten Kriminalitätsraten und einer Bevölkerung, die sich zu 70 % am Existenzminimum durchschlägt. Wilson bewundert Lagos’ Kreativität und Innovationsfreudigkeit (auch wenn ein großer Teil davon auf kriminellem Gebiet stattfindet) und nennt dies euphemistisch den „informellen Sektor“. Er stellt Lagos auf eine Stufe mit dem Nachkriegs-Tokyo, dessen heutige Innenstadt er ernsthaft mit den Slums von Mumbai vergleicht. Für mich, der ich Tokyo ganz gut kenne, ist es ehrlich gesagt irritierend, wenn mir eine Gesellschaft wie die von Lagos als Idealbild präsentiert wird. Aber vielleicht ist Tokyo ja tatsächlich - so wie die Idealstadt Mohenjo Daro - dem Untergang geweiht. Denn Tokyo funktioniert in der Tat nur, weil alle Bewohner die gleichen Werte teilen und auch danach leben.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 09.11.2022
Alles, was Sie über Stock-Picking wissen müssen
Tillinghast, Joel

Alles, was Sie über Stock-Picking wissen müssen


ausgezeichnet

Joel Tillinghast gilt als der Altmeister und stiller Star der Fondsszene und managt seit fast 33 Jahren den Fidelity Low-Priced Stock Fund. Darum überrascht es nicht, dass er das Stock-Picking, also die Auswahl von Einzelaktien präferiert und ETFs eher kritisch gegenübersteht, da deren Portfolios zu viele Nieten enthalten, die auf die Rendite drücken. In diesem Buch hat er die Quintessenz seiner beruflichen Erfahrungen zusammengetragen. Herausgekommen ist ein hilfreicher Ratgeber für alle, die auch auf der Suche nach günstig bewerteten Einzelaktien sind.

Anders als andere Aktien-Autoren nutzt Tillinghast keine Merksätze, Info-Boxen oder Flow Charts, sondern erzählt in strukturierter, sachlicher Form aus seiner Praxis. Er verwendet weder blumige Marketingsprache noch macht er an irgendeiner Stelle Eigenwerbung für seinen Fonds. Es geht ihm erkennbar darum, den Leser zu informieren und zwar allgemeinverständlich, praxisnah und überlegt. Ein großer Fokus liegt auf der Frage, ob man ein Unternehmen, in das man investierten möchte, wirklich kennt. Hier gibt es zahlreiche Abstufungen, die ein naiver Börsenneuling möglicherweise gar nicht wahrnimmt, weil er in einer Flut von Daten ertrinkt, deren Relevanz er oft falsch einschätzt. Gerade bei öffentlich aktiven Unternehmen kann man den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen, was zum Teil auch Strategie ist (z. B. Tesla). Tillinghast lässt von solchen Unternehmen, deren „Charakter“ ihm nicht zusagt, grundsätzlich die Finger. Er ist Investor und kein Spekulant, er versucht seine Entscheidungen rational zu treffen und nicht aus dem Bauch heraus. Sehr transparent erklärt er, welche Branchen nachhaltiger oder belastbarer sind als andere, woran man die Qualität (!) der Gewinne erkennt oder wie man die Schuldenlast eines Unternehmens bewertet. Das macht er nicht mit abstrakten Formeln, sondern indem er Zusammenhänge darstellt, die sich logisch gut nachvollziehen lassen. Tillinghast behandelt auch das komplexe Thema Auslandsaktien, bei denen nicht nur die Informationsbeschaffung schwierig sein kann, sondern auch national geprägte Unternehmensphilosophien eine große Rolle spielen. Für den Anleger ist das mindestens so bedeutsam wie steuerliche Aspekte, wird aber meistens übersehen.

Sehr wichtig ist Tillinghast die Psychologie des Anlegers, der sich nicht verleiten oder in die Irre führen lassen darf. Bestimmte angeborene Verhaltensmuster muss man aktiv brechen, um nicht in beliebte Investorenfallen zu tappen. Anlageentscheidungen werden grundsätzlich mit unvollständigen Informationen getroffen, selbst wenn (oder gerade weil) man im Internet mit Daten überschüttet wird und trotzdem kann man auf dieser Basis „richtige“ Entscheidungen treffen, wie Tillinghast an zahlreichen Beispielen zeigt.

Besonders gefallen hat mit der unaufgeregte Stil, der sich wohltuend von dem marktschreierischen Geplärr so mancher „Börsengurus“ und „Crashpropheten“ unterscheidet, die oft nur Werbung in eigener Sache machen. Leider hat das Buch keinen Index, sodass es wirklich schwer ist, ein Thema wiederzufinden, denn die Kapitelüberschriften sind oft nicht selbsterklärend.

"Alles, was Sie über Stock-Picking wissen müssen“ stellt meiner Meinung nach genau die richtigen Fragen. Der Autor unterscheidet präzise zwischen dem, was man zu wissen glaubt und dem, was man wirklich weiß. Er bewahrt den Leser vor Fehleinschätzungen, Manipulation und falschen Erwartungen und gibt wertvolle Tipps mit hohem Praxisnutzen. Aktienanlage ist sicher keine Raketenwissenschaft, aber sie enthält erstaunlich viel Psychologie und man muss arbeiten, um die Spreu vom Weizen zu trennen.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 07.11.2022
Die Bamberger Apokalypse. 2 Bände
Oltrogge, Doris;Schneidmüller, Bernd;Wagner, Bettina

Die Bamberger Apokalypse. 2 Bände


ausgezeichnet

Seit 2003 ist die Bamberger Apokalypse UNESCO Weltdokumentenerbe. Die in der Reichenhaller Malerschule zwischen dem Ende des 10. Jahrhunderts und 1024 entstandene prachtvoll illuminierte Handschrift ist in dieser Epoche absolut singulär und Stilistik und Ikonografie hinterlassen ihre Spuren bis in die zeitgenössische christliche Kunst. Nach über 20 Jahren erscheint hiermit erstmals wieder ein qualitativ hochwertiges, fachlich kommentiertes Faksimile, das den aktuellen den Stand der Forschung darstellt. Der Band beleuchtet die Entstehungsgeschichte des Codex und fasst kunsthistorische, paläografische und materialwissenschaftliche Untersuchungen anschaulich und auch für den Laien verständlich zusammen.

Die Handschrift befindet sich seit über einem Jahrtausend in Bamberger Besitz, heute dem der Staatsbibliothek, wo noch weitere 164 Codices aus Heinrichs II. großzügiger Stiftungstätigkeit in Bamberg erhalten sind. Der Codex bediente das Bedürfnis, die rätselhaften Visionen des Sehers Johannes visuell auszulegen, insbesondere, da um das Jahr 1000 eine ausgeprägte Untergangsstimmung unter den Zeitgenossen herrschte.

Interessant ist, dass der Band nicht nur die Apokalypse des Johannes enthält, sondern dieser angebunden auch noch ein 80-seitiges Evangelistar, das in keinem inhaltlichen oder liturgischen Zusammenhang steht. Es ist auch bindetechnisch vom Rest getrennt und reicht qualitativ nicht an die Apokalypse heran, was zu zahlreichen (oft fehlerhaften) paläografischen und historischen Interpretationen führte. Genauso wurde die Krönungs- und Huldigungsdarstellung in der Vergangenheit vehement diskutiert, ohne dass bis heute Konsens über die tatsächlich dargestellten Personen herrscht. Diese Kontroversen werden in den begleitenden Fachbeiträgen sehr anschaulich und mit ergänzendem Bildmaterial zusammengefasst. Auch die wechselvolle Familiengeschichte der Ottonen und Heinriche, die in der Mitte des Mittelalters die geschichtlichen Weichen für mehrere Jahrhunderte stellen sollten, sowie die Gründung des Bistums Bamberg im Jahr 1007 sind eng mit dem Prachtcodex verbunden. Warum der lateinischen Transkription der Handschrift der Text der deutschen Einheitsübersetzung von 1980 und nicht die aktuelle von 2016 zugrundeliegt, hat sich mir allerdings nicht ganz erschlossen.

Die materialwissenschaftlichen Untersuchungen zu Farbpigmenten, Mal- und Schreibtechnik, den beteiligten Händen, sowie den verwendeten Metallfolien liefern zwar keine ausgesprochenen Überraschungen, sind dennoch hochinteressant und bestätigen zum einen den Reichenauer Kontext und zeigen, wie zerstörungsfreie Untersuchungsmethoden heute solche Aufklärungen elegant möglich machen.

Der Faksimileteil reproduziert das Originalformat in klaren Farben, allerdings ohne die Verwendung von Goldfoliendruck, was der prachtvollen Wirkung aber kaum abträglich und inhaltlich ohne Bedeutung ist. Detailvergrößerungen einiger Miniaturen befinden sich im materialwissenschaftlichen Kapitel. Im Anschluss an den Faksimileteil liefert eine sehr umfassende kunsthistorische und ikonografische Diskussion den zum Verständnis der Darstellungen nötigen Hintergrund und referenziert zu diesem Zweck zahlreiche Vergleichsminiaturen aus ähnlichem Regional- und Zeitkontext.

Die Bamberger Apokalypse ist ein einmaliges Dokument über das Interesse der mittelalterlichen Menschen am Ende der Zeit, dem sie sich selber so nahe fühlten. Dass dieses Welterbe nach 20 Jahren erstmals wieder umfassend faksimiliert und wissenschaftlich so gründlich aufgearbeitet wurde, ist dem 1000-jährigen Jubiläum sehr angemessen.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 06.11.2022
Parasiten
Wöhrmann-Repenning, Angela

Parasiten


gut

Parasiten sind buchstäblich überall. Wo es Lebewesen gibt, gibt es auch Parasiten, die mit manchmal abenteuerlichen Strategien ihre Fortpflanzung sichern. Angela Wöhrmann-Repenning hat als Professorin für allgemeine Zoologie Vorlesungen zu diesem Thema gehalten, die offenbar viel Anklang gefunden haben. Nach ihrer Emeritierung fand sie die Zeit, ihr Wissen in allgemeinverständlicher Form zusammenzufassen.

„Parasiten“ behandelt ausschließlich tierische Parasiten, deren Wirt vor allem der Mensch ist. Die Autorin wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass man sich fast überall Parasiten einhandeln kann und dass nicht wenige parasitäre Erkrankungen für den Menschen tödlich enden (können). Zwar sind subtropische und tropische Regionen besonders gefährlich, aber auch durch heimische Haustiere oder auf dem Teller gibt es potenzielle Infektionsquellen. Nicht alle Parasiten sind unbedingt schädlich. Oft merkt man nicht einmal den Befall oder es gibt, wie im Fall einiger Bandwürmer, sogar Hinweise auf gesundheitsfördernde Effekte, vor allem bei Menschen mit fehlgeleitetem Immunsystem.

Angela Wöhrmann-Repenning strukturiert ihre Kapitel systematisch nach Stämmen, Ordnungen, Gattungen und Familien, wobei sie einige prominente Kandidaten im Detail vorstellt. Von den Einzellern (Amöben, Trypanosomen u. ä.), über Würmer, Nematoden bis zu Milben und Insekten. Die Prominenten sind z. B. die Schlafkrankheit, Malaria, Bandwürmer, Zecken oder Mücken. Erstaunlich ist, dass selbst nahe verwandte Arten oft völlig verschiedene Vermehrungszyklen haben und wie phantasievoll die Anpassung an ungewöhnlichste Lebensräume ist. Wöhrmann-Repenning zeigt die Schwierigkeiten, die vom Parasiten zu überwinden sind und wie er sich daran angepasst hat. Nicht selten sind mehrere Zwischenwirte oder komplizierte Paarungsmechanismen involviert.

Die einzelnen Beiträge sind ausgesprochen interessant, gut strukturiert und anschaulich geschrieben. Zwei Dinge haben mich dennoch gestört: Zum einen versucht die Autorin, ihrem Text eine humorvolle Note zu geben, was in den meisten Fällen misslingt. Allzu großmütterlich und weitschweifig ist der Tonfall, zu bemüht sind die „Pointen“ und stilistisch rutscht Angela Wöhrmann-Repenning öfter in eine etwas ungelenke Umgangssprache ab, die sowohl dem Thema als auch der ansonsten sachlichen Darstellung unangemessen ist („Männer, die sich bei gemeinsamen Feiern lustvoll ein Hackfleischbällchen nach dem anderen hinein zwirbeln“). So was kann man in einer Vorlesung bringen, obwohl solche Formulierungen auch da schon reichlich angestaubt wirken, aber zumindest meiner Meinung nach gehören sie nicht in ein Sachbuch. Es ist leider kein Einzelfall, sondern auf jeder Seite finden sich solche Beispiele.

Der zweite Punkt ist die Aktualität. Schon im Vorwort erwähnt die Autorin, dass sich die Systematik der Zoologie in den letzten Jahren aufgrund genetischer Verwandtschaftsuntersuchungen radikal geändert hat, dass sie diese Neustrukturierungen in ihrem Buch aber nicht berücksichtigen will. Auch ihr Literaturverzeichnis im Anhang listet kein Lehrbuch auf, das jünger als 30 Jahre ist, die zitierten Fachartikel sind eher älteren Datums und stammen meistens aus der Sekundärliteratur. Der Umstand, dass ich als Nicht-Biologe (wenn auch als Naturwissenschaftler) vieles bereits wusste, was Angela Wöhrmann-Repenning zusammengetragen hat, hinterließ zumindest bei mir den Eindruck, dass das Material möglicherweise nicht mehr ganz taufrisch ist.

Positiv sind in jedem Fall die anschauliche Darstellung, die zahlreichen Praxishinweise zur Diagnose (oft wird Parasitenbefall von Hausärzten übersehen!) und die steten Warnungen vor möglichen Infektionsherden. Parasiten sind nicht nur eklig, sondern auch wissenschaftlich spannend und oft erschreckend raffiniert. Man sollte sich von Frau Wöhrmann-Repenning nicht unbedingt in eine permanente Alarmstimmung bringen lassen, aber ein bisschen Vorsicht ist definitiv angebracht.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.11.2022
Stadtleben im Alten Ägypten
Köpp-Junk, Heidi

Stadtleben im Alten Ägypten


weniger gut

Der Untertitel führt inhaltlich in Irre: Es ist weniger der Alltag und noch weniger die allgemeine altägyptische Gesellschaft, die in den Fachbeiträgen dargestellt werden und selbst die Beschränkung auf die pharaonische Zeit stimmt nicht ganz. Am Beispiel der Geschichte zweier Metropolen wird vor allem die Stadtentwicklung anhand von Grabungsbefunden dargestellt, die mit deutscher Fachunterstützung in den letzten zwei Jahrzehnten erhoben wurden. Es sind dies die umfangreichen Grabungen in Pi-Ramesse im Nildelta, der ehemaligen Hauptstadt Ramses II., deren Entdeckung noch gar nicht so lange zurückliegt, sowie die Stadt Hermopolis, Gauhauptstadt in Oberägypten, mit einem Fokus auf die Ptolemäer bis weit in die Römerzeit.

Zunächst wird geklärt, was die Ägypter unter einer „Stadt“ verstanden und ob sich diese Definition mit unserem heutigen Bild deckt. Hier bieten unerwartet Städtehymnen tiefere Einblicke in die Wahrnehmung der Bevölkerung, wobei unklar bleibt, ob es sich um Herrscherlyrik oder eher Brauchtum handelte.
Der Grabungsort Pi-Ramesse besitzt Vor- und Nachteile: Er wurde nur minimal rezent überbaut, aber schon in der Antike weitgehend demontiert. Spolien finden sich zahlreich in benachbarten Städten, aber außer Fundamenten ist vor Ort wenig geblieben. Dennoch lassen sich viele Funktionen im städtebauliche Kontext identifizieren und auch die technische Beherrschung des Nils ist rekonstruierbar. Nicht erhalten ist die materielle Kultur der einfachen Bewohner (wenn es sie in Pi-Ramesse denn gab), denn im Nildelta sind vergängliche Objekte, anders als in der Wüste, nicht erhalten geblieben.
Hermopolis teilt mit Pi-Ramesse den Umstand, niemals überbaut worden zu sein, was großräumige Untersuchungen erlaubt. Die Autoren fokussieren sich hier besonders auf die ptolemäische und römische Stadtplanung, deren Bauprinzipien und Nutzungskonzepte. Es wird deutlich, dass die Gauhauptstadt gerade in römischer Zeit eine letzte große Blüte hatte.

Die Kapitel zur Organisation der Gesellschaft und zum Alltagsleben sind äußerst kurz geraten, wenn nicht sogar enttäuschend oberflächlich. Es sind kurze Einführungen in Themen wie Verkehr, Handel, Musik, Spiele oder der Herstellung von Lebensmitteln. Die Themen werden summarisch abgehandelt, es gibt keine Informationen über zeitliche Entwicklungen oder konkrete Ausgestaltungen und nur sehr wenige Funde werden abgebildet, um die Aussagen zu belegen. Im Gegensatz zu den architektonischen Untersuchungen, die fachlich oft sehr ins Detail gehen, reichen diese Informationen kaum über einen „Was ist was?“-Band hinaus. Der Adressatenkreis für das Buch hat sich mir im Nachhinein nicht erschlossen. Da die Themen Alltag und Gesellschaft im Titel prominent erwähnt werden, ergibt sich eine Erwartungshaltung, die für mich jedenfalls weitgehend nicht erfüllt wurde.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 04.11.2022
Lucky Luke 101
Achdé;Jul

Lucky Luke 101


ausgezeichnet

Tierschützer Ovide Byrde hat in Cattle Gulch schlechte Karten: Die Bevölkerung lebt vom Viehhandel und kann Ovides Botschaft der Tierliebe wenig abgewinnen. Weder Cowboys noch Restaurantbesitzer würden freiwillig auf Fleisch verzichten oder ein Kätzchen aus dem Tierheim adoptieren, im Gegenteil: Man beabsichtigt, den penetranten Tierprediger am nächsten Baum aufzuknüpfen. Zwar kann Lucky Luke das verhindern, aber dann lässt sich Byrde mit zwielichtigen Gestalten ein, um sein Ziel zu erreichen und diese Typen haben nicht nur das Tierwohl im Sinn.

„Rantaplans Arche“ hat wieder einmal starke Bezüge zu aktuellen Entwicklungen. Bei Lucky Luke wird Ovide Byrdes Organisation von einer kriminellen Bande unterwandert, die die guten Absichten mit Waffengewalt durchsetzen will und sich ganz nebenbei die eigenen Taschen füllt. Auch wir erleben mittlerweile täglich, wie Menschen in „guter Absicht“ Gesetze brechen, andere unterdrücken oder einfach nur die lautstarke Meinung von einigen wenigen als die Mehrheit darstellen, der sich alle unterordnen müssen. Hauptsache, man steht auf der „richtigen“ Seite, dann sind alle Mittel erlaubt. Der Woke-Aktivismus lässt grüßen.

Lucky Lukes Botschaft ist da ziemlich eindeutig: Lasst andere Meinungen gelten, redet miteinander, seid tolerant, dann gewinnen am Ende alle. Ob das unsere Woke-Aktivisten irgendwann mal schaffen? Lucky Luke lässt die Hoffnung jedenfalls nicht sinken.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 03.11.2022
Schluss mit Bluthochdruck
Anlauf, Manfred;Nolte, Anke

Schluss mit Bluthochdruck


ausgezeichnet

Bluthochdruck bleibt häufig unerkannt und wenn er diagnostiziert wird, gibt es viele Möglichkeiten, ihn wieder auf Normalwerte einzustellen, wie Anke Nolte und Manfred Anlauf in ihrem Ratgeber "Schluss mit Bluthochdruck" beschreiben.

Neben einem gesünderen Lebensstil (Bewegung, Essen/Abnehmen, Entspannung) wird auch das komplexe Thema des richtigen Medikaments ausführlich behandelt. Bei der Hochdrucktherapie mit Medikamenten kann auf neun Wirkstoffgruppen und über 50 Wirkstoffe und Hunderte von Präparaten zurückgegriffen werden, die auch noch miteinander kombiniert werden können. Lässt sich der Blutdruck mit Medikamenten schwer einstellen, ist der Hausarzt häufig überfordert, sodass z. B. eine Bluthochdrucksprechstunde im Krankenhaus die bessere Wahl ist - wie ich persönlich auch schon feststellen musste.

Mit diesem Ratgeber ist der Patient bestens auf die Gespräche mit dem Arzt vorbereitet und kann auch vorher viele Maßnahmen selbst umsetzen bzw. die Standardtherapien des Hausarztes kritisch bewerten. Ist eine medikamentöse Behandlung erforderlich, sind die Wirkungsweisen z. B. von Diuretika, Betablockern, ACE-Hemmern oder Sartanen mit ihren Vor- und Nachteilen bereits bekannt und der Patient ist in der Lage, auch konkretere Nachfragen zu Nebenwirkungen oder Alternativen zu stellen.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 03.11.2022
Cloudmoney
Scott, Brett

Cloudmoney


ausgezeichnet

Unser Leben ist immer stärker mit dem Internet verwoben und es werden Unmengen an personenbezogenen Daten gesammelt, die Einblick in unsere Gewohnheiten und Überzeugungen geben und die zu jeder Zeit dokumentieren, in welcher Situation wir uns befinden. Unsere Zahlungsdaten enthüllen, ob man ein wohlhabender Hausbesitzer oder ein Rentner in prekären finanziellen Verhältnissen ist. Die Sammlung dieser Daten ermöglichen auch Vorhersagemodelle, was man als Nächstes tut oder wie man auf eine politische Provokation reagieren wird. Für jeden, der solche Charakterprofile erstellen möchte, ist Bargeld ein großer Informationsblocker, da es anonym ist und keine Spuren auf der "letzten Meile" hinterlässt.

In "Cloudmoney" beschäftigt sich der britische Journalist Brett Scott mit den drei großen Themenkomplexen Bargeld, "Bankgeld" und Kryptogeld.

Nur Bargeld ist durch die Notenbanken abgesichert. Das "Bankgeld", das Sparer z. B. auf Konten bei Kreditinstituten haben, wird auch nur durch diese abgesichert. Der Staat steht nur bis zur Höhe der Einlagensicherungsgrenze für diese digitalen Gelder gerade. Digitales Geld, das wir privat ausgegeben, ist ein im übertragenen Sinn ein Spielkasinochip der Banken und nur physisches Bargeld ist staatliches Geld, das wir tatsächlich besitzen können. Scott macht unmissverständlich klar: Nur Bares ist Wahres.

In der Realität fällt es uns schwer, eine Grenze zwischen Bargeld und digitalen Bankchips zu ziehen. Scotts Ausführungen zum Thema "Was ist Geld" sind aber so einleuchtend und verständlich erklärt, wie ich es bisher noch in keinem Buch gelesen habe. Man versteht, warum Bargeld aus Sicht der Banken, Zahlungsunternehmen, FinTech-Branche sowie der Staaten und Zentralbanken ein Störfaktor ist und abgeschafft werden muss. Auch hinterfragt Scott die gängigen Narrative in den Medien, die täglich Jubelnachrichten z. B. über spannende Fintech-Apps oder die Vorteile von digitalen Zahlungsmethoden (bequemer, benutzerfreundlicher, sicherer, keimfrei, kostengünstiger...) bringen.

Eigentlich sollte der Grundsatz "Transparenz für die Mächtigen und Schutz der Privatsphäre für die Schwachen" gelten, aber das Gegenteil ist der Fall. Große Institutionen hüllen sich in undurchsichtige Verschwiegenheitserklärungen und komplizierte Vertragskonstrukte, glauben aber dazu berechtigt zu sein, alle andere "nackt" zu sehen.
Der Autor betrachtet in diesem Zusammenhang die vielen Gesichter von Big Brother, nicht nur Finanzinstitute und Staaten, sondern auch im Kleinen z. B. die Überwachung des (Ausgabe-)Verhaltens durch Apps (Haushaltsplanung, "Selbstvermessung") und erklärt, was hintern den neuen Ideen "Big Bouncer" und "Big Butler" steckt.
Wer das Gefühl hat, überwacht zu werden, verändert sein Verhalten. Er kauft bestimmte Dinge nicht mehr, weil sie evtl. den Kreditscore oder die Versicherungsprämie oder die Einstufung in gute und schlechte Bürger (China) beeinflussen. Noch ist unser Zahlungssystem fragmentiert und auf verschiedene physische und digitale Formen aufgeteilt, aber das verändert sich gerade oder ist bereits - wie in China - kein Zukunftsszenario mehr.

Auch das spannende Thema Kryptogeld thematisiert Scott ausführlich und bringt eine sehr gute und verständliche Einführung zur Blockchain, auch wenn die vereinfachte Beschreibung immer noch "intellektuell anspruchsvoll" ist, wie der Autor selbst schreibt. Aber Scott gelingt es mit vielen Metaphern das Thema auch Einsteigern nachvollziehbar näher zu bringen. Insgesamt beurteilt er die "Krypto-Token" - er spricht ungern von Währungen - eher kritisch und sieht sie eher als Tausch- und Sammlerobjekte an.

Scotts "Cloudmoney" hat mich gefesselt, weil er es immer wieder schafft, komplizierte Sachverhalte verständlich und nachhaltig (!) zu erklären, zu analysieren und auf die falschen Narrativen und drohenden Gefahren hinzuweisen. Man sollte kein Kapitel überspringen, auch weil die Beispiele teils aufeinander aufbauen. Ein spannendes, und wie ich finde auch wichtiges Buch.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 30.10.2022
Ernst Haas: The American West
Lowe, Paul

Ernst Haas: The American West


ausgezeichnet

Ernst Haas, geboren 1921 in Wien, emigrierte 1950 auf Einladung von Robert Capa in die USA, wo er seine künstlerische Heimat fand. Er ist ein Pionier der Farbfotografie, nicht in dem Sinne, dass er zu den frühen Adepten gehörte, sondern dass er die Möglichkeiten der analogen Farbfotografie sowohl technisch als auch künstlerisch auslotete. Haas wurde Vizepräsident der Fotografenvereinigung Magnum, später auch ihr Präsident, aber diese Position behielt er nicht lange. Er war ein überaus unabhängiger Geist, der zwar mit Werbefotografie seinen Lebensunterhalt bestritt (und durch sie auch weltberühmt wurde), sich in diesem Metier aber nie wohlfühlte. Zwänge waren ihm ein Gräuel, vor allem aber ließ er sich nicht in ein künstlerisches Korsett stecken. Jedem Werbeauftrag drückte er seinen Stempel auf, der von den Vorstellungen seiner Auftraggeber immer ein wenig abwich.

Haas‘ Herz schlug für den Wilden Westen, mit seinen Landschaften und Menschen. Nicht zufällig ist er der Erfinder des „Marlboro Man“, dessen unverwechselbare Ästhetik die Werbefotografie bis heute beeinflusst, auch wenn Zigarettenwerbung mittlerweile verboten ist. Aber die romantisierende Sicht auf den harten Alltag der Cowboys und die naturverbundene Lebensweise der Native Indians ziehen sich wie ein roter Faden durch sein Werk. Haas war auch Set Photographer bei verschiedenen Filmproduktionen und die Arbeiten bei „Little Big Man“ nutze er gleichsam als Zeitreise ins 19. Jahrhundert, indem er die sehr realistischen Kostüme und Kulissen wie eine historische Dokumentation inszenierte. Wenn man die Bilder in „The American West“ betrachtet, die alle zwischen den frühen 50ern und etwa 1970 entstanden, dann sind sie durchzogen von der Sehnsucht nach einer vergangenen Zeit, mit einsamen Landschaften, ursprünglichen Lebensweisen und, wenn die Fotos reportagehafte Elemente enthalten, mit einer Kritik der Dominanz westlicher Werte und westlichen Konsums. Haas mochte die werbliche Vermarktung traditionellen Indianerlebens überhaupt nicht, auch wenn er indirekt dazu beitrug.

Die Fotos zeichnen sich durch eine geradezu virtuose Verwendung des analogen Farbfilms aus. Haas verschmolz mit seiner Kamera, die er so perfekt beherrschte, dass er Kontraste, Bildaufbau und Belichtungszeiten genau so einsetzte, um das Bild zu schaffen, das ihm innerlich vorschwebte. Das für den Titel verwendete Foto ist geradezu exemplarisch in seiner durch Wischeffekte gesteigerten Dynamik bei gleichzeitig perfekter Belichtung bis in die Details. Natürlich hat er auch klassische Landschaftsaufnahmen gemacht, aber auch diese zeichnen sich durch ein feines Gespür für Strukturen, Farben und Kontraste aus. Was Ansel Adams für den s/w-Film, ist Ernst Haas für den Farbfilm.

Ernst Haas war ein Dokumentar des „Wilden“ Westens, den er idealisierte und feierte, aber seine Fotos differenzieren dennoch zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Gelebt hätte Ernst Haas sicher gerne im 19. Jahrhundert, seine Augen aber hatte er ganz im 20..

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)