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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 04.03.2008
Exit Ghost
Roth, Philip

Exit Ghost


gut

Nathan Zuckermann tritt ab. Solche literarischen Begräbnisse beglücken uns wie im Fall von John Updikes Rabbits Ausscheiden, wenn wir ihrem beschriebenen Leben über die Jahrzehnte gefolgt sind und begierig sind, wie es weitergeht. Autoren fühlen sich nicht selten berufen, ihrem Alter Ego einen würdigen Abschied zu bescheiden, indem sie es nicht den Lesern überlassen, deren Verbleib weiterzuspinnen. Was bei John Updike geglückt ist, erscheint bei Philip Roth wie ein letztes Aufbäumen. Roths Held ist mit einmal zum teilnahmslosen Beobachter ergraut, dessen Liebeswallungen angesichts einer Prostataerkrankung im Keim erstickt zu sein scheint. Er ist brav geworden. Wenn man sich zum Vergleich die Dialogpassagen aus Täuschungen ansieht, wo auch Mann und Frau über Seitensprüngen, Sex, Betrug reden, bemerkt man den Zahn der Zeit, der hemmungslos an Nathan Zuckermann genagt hat. Selbst seine Ausfälle Bush gegenüber legt er lieber Jamie, der jungen Frau in den Mund, die Zuckermanns Beispiel folgen und mitsamt Ehemann aus New York fliehen will, um möglichst wenig von den nächsten Jahren mitzubekommen. Wie auf Freigang bewegt sich Zuckermann bei seiner Rückkehr durch eine ihm fremd gewordene Welt. Wenn ihn noch etwas erregen kann, dann die falsche biographische Darstellung eines verstorbenen Schriftstellerkollegen, den schon lange keiner mehr liest. Dass es dabei auch noch zu einem Generationskonflikt zweier Schriftsteller kommt, wäre vor zwanzig Jahren zu einem Drama angeschwollen. Dies alles ist literarisch auf gewohnt hohem Niveau wiedergegeben, doch fehlt der Biss, der unverfälschte Zorn der frühen Jahre, werden Roths Themen einmal mehr aufgegossen, ohne eine neue Seite zu zeigen. Etwas für Roth-Kenner. Nicht gerade für Einsteiger, die könnten danach womöglich seine Meisterwerke verschmähen.
Polar aus Aachen

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.03.2008
Schiffbruch mit Tiger
Martel, Yann

Schiffbruch mit Tiger


weniger gut

Booker Prize, Deutscher Bücherpreis! Das muss ein Roman sein, der einen umhaut, wenn Deutsche und Engländer sich ausnahmsweise einmal einig sind, was Unterhaltungsliteratur ausmacht. Zu Anfang sieht man sich einem Spaß ausgesetzt: Tiere, Tiger und Menschen in einem Boot und nichts zu fressen an Bord. Dann glaubt man, sich einem tiefen philosophischen Sinn gegenüber, der sich um das Sein und das Nichts dreht und den letzten Fragen der Menschheit auf amüsante Weise zugewandt ist. Schließlich, vorausgesetzt man hat nicht aufgegeben, hofft man noch einmal wie auf den ersten Seiten schmunzeln, den Wagemut des Autors bewundern zu dürfen, sich einer solchen Geschichte zu stellen. Doch dann bricht die große Langweile über einen ein, und man hält lediglich durch, um herauszufinden, wie das Ganze endet. Auch dass nicht gerade ein Höhepunkt. Warum also all die Lobeshymnen, die Preise? Manchmal ist es mit der Literaturkritik so wie mit dem Tiger: Man hat schon so vieles gefressen, und auch wenn der Magen knurrt, will niemand auf offener See alleine sein. Zumal wenn der letzte Begleiter einmal gefressen, spätestens am nächsten Morgen der Hunger zurückkehrt. Mit wem reden, mit wem einer Meinung sein? Etwas für Tierliebhaber, für Seeleute an Land, für Hungrige, die gerne debattieren und für die Liebhaber von Badewannenwasserabenteuern.
Polar aus Aachen

5 von 11 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.03.2008
Der große Himmel
Shepard, Sam

Der große Himmel


ausgezeichnet

Sam Shepards Geschichten in diesem Band erscheinen schmalbrüstig, verschämt, wie der Junge, den wir alle aus unserer Schulzeit kennen, uns an ihn erinnern, sobald wir darauf angesprochen werden, der da war, der sich nie aufgedrängt hat und bei dem wir uns wunderten, wie viel Wut, Kraft, Liebe in ihm steckten. Manche dieser Geschichte sind nicht mal zehn Seiten lang. Sie müssen nicht viel erzählen, um zum Kern zu kommen. Es sind Momente der Angst, der Verzweiflung, des verstohlenen Glücks, die kein langes Leben brauchen, um von sich zu erzählen. Sie stehen am Straßenrand, sitzen im Diner mit dem Rücken zur Wand, sie kommen so wundervoll leicht daher, dass sie einem vertraut werden, wenn man nicht sowieso davon ausgeht, sie irgendwo schon einmal in anderer Form mitten aus unserem Leben heraus erlebt zu haben. Der Himmel ist weit in Sam Shepards Welt, grenzenlos. Nur treten zu wenige darin die große Reise an. Dafür kann der Himmel nichts, mag Sam Shepard denken und behält ihn weiterhin im Blick.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.03.2008
Der Balkon
Genet, Jean

Der Balkon


ausgezeichnet

Die Revolution ist ausgebrochen. Irgendwo da draußen. Während drinnen im Bordell die guten Bürger Rollen spielen, sich die Masken abreißen, indem sie sich hingegeben und ihren Masken weitere Masken aufsetzen. Leicht macht es Genet dem Theater nicht. Seine Dramaturgie ist angelegt, wie ein Spiegel, der erst einen leichten Riß aufweist und sich allmählich in sich verzweigt, in unzählige Ästelungen ausufert, obwohl wir nie vergessen, dass es ein Spiegel ist. Es wird Kritik geäußert, doch birgt sie einen Funken Verständnis, erscheint der Schein als einziger Ausweg, mit diesem Leben überhaupt fertig zu werden. Lust wird mit einmal zu einem harten Stück Brot, das selbst aufgeweicht, einem keine Befriedigung bringt. Ein hinterhältiges Stück, eine Szenerie an der man sich die Zähne ausbeißen kann, wenn man sie zu oberflächlich betrachtet. Eine echte Herausforderung. Und wieder einmal bleibt das Gefühl zurück, dass Genet milde lächelt, wenn wir glauben, ihn verstanden zu haben.
Polar aus Aachen

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.03.2008
Duras, Marguerite
Duras, Marguerite

Duras, Marguerite


ausgezeichnet

Kein langes Stück, doch reine Poesie in der Übersetzung von Peter Handke. Nicht umsonst ist das Stück einmal von Robert Wilson inszeniert worden. Seine Sprache veranlaßt einen geradezu in Bildern zu lesen, zu hören, zu sehen. Die übliche Aufspaltung in Dialogform ist aufgelöst, indem Passagen individueller Beschreibung eingeflochten sind. Dabei folgt Marguerite messerscharf den Verwerfungen männlicher Sexualität wie Ansprüchen, entwirft weibliche Erkenntnis dem gemeinsamen Scheitern. Die äußerst knappe Form, nicht selten in reduzierten Aussagen, führt zu dem Gefühl der Zeitlosigkeit, der Erinnerung, die mitten drin stecken geblieben ist. Eine radikale Geschichte der Einfachheit, als läge der Duras viel daran, uns zu sagen: So steht es um Mann und Frau, ihr könnt es beschönigen, ihr könnt es verdammen, mehr bleibt nicht zu sagen.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 01.03.2008
Täuschung
Roth, Philip

Täuschung


ausgezeichnet

Kammern unterstellt man zumeist ein Geheimnis. Außerdem geht das Gerücht um, dass das Gedächtnis sich Kammern zulegt, in denen sich Erinnerungen ablagern. Zu beidem soll es angeblich Schlüssel geben. Das richtige Wort, ein passendes Bild, eine Musik, die man wieder erkennt oder plötzlich taucht ein Name wie aus dem Nebel auf. Minette Walters hat sich in diesem Roman der Amnesie zugewandt, und es gilt für Jinx Kingsley nicht nur schrittweise in ihr bisheriges Leben zurückzufinden, sie muß auf ihrem Weg auch Täuschungen und Lügen passieren, um zur Wahrheit vorzudringen. Minette Walters legt geschickt Fallstricke aus, die den Leser in die falsche Richtung führen, um gegen Ende überraschend auf eine Gerade einzubiegen, die die zuvor erwähnten Kammern erhellen. Die Hochzeit ist geplatzt, ein Selbstmordversuch mißlungen und drei Morde gilt es aufzuklären. Nicht gerade ein glückliches Leben, in das Jinx da zurückkehrt. Da gibt es für eine versierte Kriminalroman-Autorin eine Menge zu tun. Walters besteht es mit Bravour, indem sie wie in all ihren starken Romanen überzeugende Charaktere des Guten wie Bösen mit Halbwahrheiten aufeinander losgehen läßt.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 01.03.2008
Dunkle Kammern
Walters, Minette

Dunkle Kammern


sehr gut

Kammern unterstellt man zumeist ein Geheimnis. Außerdem geht das Gerücht um, dass das Gedächtnis sich Kammern zulegt, in denen sich Erinnerungen ablagern. Zu beidem soll es angeblich Schlüssel geben. Das richtige Wort, ein passendes Bild, eine Musik, die man wieder erkennt oder plötzlich taucht ein Name wie aus dem Nebel auf. Minette Walters hat sich in diesem Roman der Amnesie zugewandt, und es gilt für Jinx Kingsley nicht nur schrittweise in ihr bisheriges Leben zurückzufinden, sie muß auf ihrem Weg auch Täuschungen und Lügen passieren, um zur Wahrheit vorzudringen. Minette Walters legt geschickt Fallstricke aus, die den Leser in die falsche Richtung führen, um gegen Ende überraschend auf eine Gerade einzubiegen, die die zuvor erwähnten Kammern erhellen. Die Hochzeit ist geplatzt, ein Selbstmordversuch mißlungen und drei Morde gilt es aufzuklären. Nicht gerade ein glückliches Leben, in das Jinx da zurückkehrt. Da gibt es für eine versierte Kriminalroman-Autorin eine Menge zu tun. Walters besteht es mit Bravour, indem sie wie in all ihren starken Romanen überzeugende Charaktere des Guten wie Bösen mit Halbwahrheiten aufeinander losgehen läßt.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 29.02.2008
Ausgebrannt
Eschbach, Andreas

Ausgebrannt


sehr gut

Das Szenario, das Andreas Eschbach in seinem Roman Ausgebrannt beschreibt, wäre in den 60er Jahren ein Science Fiction gewesen, in den 70ern hätte es zu Stirnrunzeln geführt und im neuen Jahrtausend muß man sich mit dem Gedanken anfreunden, dass es so kommen wird. Eschbach verzichtet bei seinem Stillleben des technisierten Zukunftsglaubens auf alles zu Reißerische und schafft es, indem er seine Geschichte in mehrere Einzelschicksale aufsplittet, die allesamt mit dem Versiegen der Ölquellen verbunden sind, Spannung zu erzeugen. Der Leser will wissen, wie geht es denn nun weiter mit den Scheichs, mit der Tante-Emma-Laden-Besitzerin, mit den hochfliegenden Plänen Markus Westermanns, der sich eine Idee aneignen wollte, um mit fremdem Risikokapital reich zu werden. Natürlich tun sich auch Schwächen auf. Die tief in den Wälder versteckte autarke Gemeinde, die sich um einen Referent versammelt und sich archaische Gesetze auferlegt, geparkt mit einer Liebesgeschichte zwischen Westermann und ausgerechnet der Tochter des Referent ist schon knapp an der Grenze. Auch dass Westermann nicht viel später auf der Suche nach dem Geheimnis seines Vaters ausgerechnet auf jene Frau trifft, der er verfallen war und die ihn auszuspionieren versucht hat, und dass ausgerechnet diese Frau von ihm schwanger ist, da hört man die Konstruktion schon arg knirschen. Man verzeiht dies Eschbach jedoch, weil er es schafft, uns wissenschaftliche Fakten und politische Zusammenhänge äußerst unterhaltsam zu vermitteln, und einen dazu bringt, darüber nachzudenken, wie es denn wirklich einmal kommen könnte. Der Roman ist ein Schmöker und macht es einem schwer, ihn zur Seite zu legen, weil man vielleicht gerade tanken muß.
Polar aus Aachen

8 von 8 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.02.2008
Der Fotograf
Katzenbach, John

Der Fotograf


weniger gut

Wie wichtig ein überzeugender Plot für eine Geschichte ist, zeigt sich an John Katzenbachs Roman Der Fotograf. Eigentlich ist alles für einen Serienkiller-Thriller vorfanden. Durchgeknallter Fotograf, Familienbande, ein entführtes Opfer, das es zu retten gilt, ein Detective, die versucht, dem Mörder ihrer Nichte auf die Spur zu kommen, doch die Geschichte kommt nicht aus den Startlöchern heraus. Sie weckt das Interesse nicht wirklich. Man schaltet ab, während sich im Hintergrund das Verbrechen voranschleppt. Nichts ist tödlicher für die Spannung, als wenn man sich auf Grund von endlosen Wiederholungen, gestreckten Beschreibungen langweilt. Es fehlt an der überzeugenden Charakterzeichnung der Hauptfiguren. Sie bleiben blass an der Oberfläche, agieren so, wie man es sich nun einmal vorstellt. Der Psychopath ist psychopathisch, der Detective verzweifelt und nur beim verschleppten Opfer gelingen Katzenbach ab und zu Momente eindringlicher Angst. Zu wenig, um eine Geschichte zu retten, die vorhersehbar und lediglich behauptet erscheint. Da Katzenbach sein Personal gerne im dem Umkreis der Psychiatrie rekrutiert, kann man nur hoffen, dass sich sein nächster Roman um einen Plot dreht, der den Namen verdient.
Polar aus Aachen

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.02.2008
Dreck / Pulp Master Bd.11
Disher, Garry

Dreck / Pulp Master Bd.11


ausgezeichnet

Nun hat Wyatt im ersten Roman seiner Reihe so eben mal überlebt und plant nun schon wieder, da das Verbrechen nun mal seinen Mann nährt, im zweiten Roman den Überfall auf einen Geldtransporter. Es ist nicht neu, dass meistens was dazwischen kommt. dass ein genialer Coup an Kleinigkeiten scheitert. Wyatt ist nun mal nicht vom Glück verfolgt. Das macht ihn sympathisch. Als Leser schließt man ihn bei seiner verzweifelten Suche nach dem bißchen Glück in seinem Leben ins Herz. Ein Leben, das vor allem darauf beruht, dass Wyatt es finanzieren kann, ohne arbeiten zu müssen. Und das macht Menge Arbeit. Wir dürfen ihm dabei zusehen und gleichzeitig verschafft uns Disher aus anderer Perspektive einen Einblick in die Widerstände, die sich auftun und Wyatt am Ende stoppen werden. Doch um unseren Helden braucht man sich keine Sorgen zu machen: Er wird überleben, irgendwie, irgendwo. Und das kommt dem Glück gleich, dass der Autor ihm zugesteht. Wunderbar beschrieben im Stile des Hard-Boiled-Romans, jedoch versehen mit leicht melancholischen Zügen. So was liest sich an einem Stück, weil man es nicht zuschlagen will.
Polar aus Aachen

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.