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Benutzername: 
Igelmanu
Wohnort: 
Mülheim

Bewertungen

Insgesamt 989 Bewertungen
Bewertung vom 01.03.2021
Memento Monstrum (Bd. 1)
Till, Jochen

Memento Monstrum (Bd. 1)


ausgezeichnet

»Nie war es so schwer wie heute, in all meinen 589 Lebensjahren nicht. Unzählige Kriege habe ich schadlos überstanden, etliche Naturkatastrophen konnten mir nicht den Garaus machen, Feuersbrünste sind einfach an mir abgeprallt, selbst die vielen Mordanschläge des heimtückischen Van Helsing habe ich überlebt. Ob ich die vor mir liegende Zeit heil überstehen werden, ist allerdings äußerst fraglich.«

Graf Dracula hat in seinem langen, untoten Leben wirklich schon sehr viel erlebt, aber das Beaufsichtigen von kleinen Kindern gehörte nicht dazu. Und nun lassen ihn Frau und Tochter schmählich im Stich, vergnügen sich bei einem Wellness-Wochenende mit Übertagung und überlassen ihm die Betreuung der drei Enkel. Ein Alptraum!
Anfangs ist er noch rettungslos überfordert, doch dann findet er zum Glück heraus, dass die kleinen Monster begeistert an seinen blutigen Lippen hängen, während er aus seinem Leben erzählt. Und da gibt es so einiges zu berichten!

Ich habe ja schon ein paar Vampirgeschichten für Kinder gelesen, aber noch nie eine so niedlich-lustige wie diese hier! Ich bin total begeistert, habe manches Mal laut gelacht und meiner Umgebung Passagen vorgelesen.

Schon die Ausgangssituation macht Spaß. Graf Dracula hat Familie und fürchtet sich vor seinen Enkeln – herrlich! Aber noch schöner sind seine Geschichten, der Autor hat sich mit großer Fantasie die unglaublichsten und schrägsten Dinge einfallen lassen. So erfahre ich beispielsweise, dass Dracula mit dem Yeti ein ganz besonderes Erlebnis hatte, ich lese über sein erstes Haustier und seine Zeit als Geheimagent, ich begegne sehr bekannten Persönlichkeiten und einem ungewöhnlich begabten Werwolf. Und natürlich macht Van Helsing nichts als Ärger, zieht aber stets den Kürzeren.

Die witzigen Texte werden von tollen Illustrationen begleitet. Farbenfroh, witzig und durchweg liebenswert. Der Graf und seine Familie werden als niedliche Fledermäuse dargestellt, vor ihnen sowie vor sämtlichen anderen Monstern muss sich kein Kind fürchten. In der Summe ergibt das einen großen Lesespaß für Kinder und Kinder im Herzen. Am besten mit einem leckeren Lolli, Blutgruppe B ;-)

Fazit: Toll illustrierte, herrlich witzige und liebenswerte Geschichte voller Vampire und Monster, vor denen sich niemand fürchten wird.

Bewertung vom 26.02.2021
Dracula (Graphic Novel)
Bess, Georges

Dracula (Graphic Novel)


ausgezeichnet

»Mein lieber Freund,
willkommen in den Karpaten. Ich kann es kaum erwarten, Sie zu sehen. Nehmen Sie die Postkutsche um 15 Uhr in die Bukowina. Mein Wagen erwartet Sie am Borgo-Pass. Ich hoffe, Sie werden in meinem Land einen angenehmen Aufenthalt verbringen.
Ihr Freund Dracula«

Der junge Anwalt Jonathan Harker reist im Auftrag seiner Kanzlei nach Transsilvanien. Ein wohlhabender Kunde namens Graf Dracula möchte in London Grundbesitz erwerben und Jonathan soll die Geschäfte zum Abschluss bringen. Schon die Reise durch das fremde Land ist beängstigend, mehrfach versuchen Menschen, ihn zu warnen und von der Weiterfahrt abzuhalten. Doch Jonathan ist pflichtbewusst und tut alles als Aberglauben ab. Ein schlimmer Fehler…

Die grundsätzliche Geschichte des wohl berühmtesten Vampirs ist sicher vielen bekannt. Das Original von Bram Stoker zählt zu meinen absoluten Lieblingsbüchern, ich finde es einfach großartig. Diese Graphic Novel orientiert sich im Wesentlichen am Original und setzt es sehr gelungen um.

Ich verstehe mich nicht auf Kunst und die adäquate Beschreibung von Bildern fällt mir schwer. Ich werde daher versuchen, meine Empfindungen beim Lesen wiederzugeben. Zunächst einmal war auch diese Novel eine, die ich nicht einfach und schnell durchblätterte. Lange verweilte ich bei den einzelnen Bildern, ließ sie auf mich wirken und studierte die Details. Die hatten es häufig in sich. Da finden sich Schädel, Klauen, Gebeine, Zähne, immer wieder Insekten und Fledermäuse, allesamt Symbole des Grauens, durchgehend in schwarz-weiß, voller starker Kontraste. Und sie verbinden sich zu ausdrucksstarken Bildern, die fesseln und faszinieren, die Gesamtkomposition ist düster und geradezu alptraumhaft. Großartig, wenn zum Beispiel im Vordergrund eine Szene zu sehen ist und gleichzeitig im Hintergrund, praktisch über allem, das Gesicht des Grafen erscheint!
Die starken Kontraste erschienen mir wie ein Hinweis auf die klare Abgrenzung von Gut und Böse. Es ist eine alte Geschichte, die hier zugrunde liegt und in ihr haben Vampire nichts Nettes an sich, sind schlicht und ergreifend abstoßende Monster.

Das Lesevergnügen wird durch die überaus edle und hochwertige Aufmachung des Buchs verstärkt. Schwer liegt es in der Hand, die Seiten sind dick, das Cover golden. Für mein Empfinden passt es perfekt zu einer solch klassischen Geschichte.

Fazit: Großartige Umsetzung des Klassikers. Ausdrucksstark und düster, der perfekt illustrierte Alptraum.

Bewertung vom 23.02.2021
Der Fledermausmann / Harry Hole Bd.1
Nesbø, Jo

Der Fledermausmann / Harry Hole Bd.1


gut

»Police officer, are you?«
Die Beamtin schaute von dem Spezialvisum auf und musterte ihn, aber ihr verkniffener Mund hatte sich wieder entspannt.
»Ich hoffe, es sind keine norwegischen Blondinen ermordet worden?«
Sie lachte erfrischend auf und knallte gutgelaunt den Stempel auf das Visum.
»Well, just one«, antwortete Harry Hole.

Harry Hole, Kommissar aus Oslo, ist nach Sidney gereist, um dort bei der Aufklärung des Mords an einer jungen Norwegerin zu helfen. Mit Andrew, einem australischen Kollegen und Aborigine, macht er sich an die Arbeit. Die erste Spur ist schnell gefunden, doch dann müssen die Ermittler entsetzt feststellen, dass sie es wohl nicht mit einer einzelnen Tat, sondern mit einem Serienmörder zu tun haben. Der Täter agiert grausam und überlegt, zieht eine blutige Spur durchs Land und ist ganz sicher damit noch nicht am Ende…

Schon lange wollte ich eine Krimi-Bildungslücke stopfen und las daher nun meinen ersten Harry Hole, der gleichzeitig auch der erste der Reihe ist. Zu meiner Überraschung spielt die Handlung nicht in Norwegen, sondern in Australien. Ein sehr reizvoller Schauplatz – ich war gespannt!

Was gleich einen ordentlichen Reiz ausmachte, war die Teamarbeit von Harry und Andrew, dem Aborigine. Dieser zeigte sich sehr mitteilsam, erzählte Harry (und damit auch mir) diverse Mythen der Aborigines, berichtete über ihre gesellschaftlichen Probleme und furchtbare Ereignisse ihrer Geschichte. Alles wirklich sehr interessant, sorgte aber in der Summe für ein paar Längen.

Und bei denen blieb es nicht. Auch andere Charaktere hatten viel zu berichten, ein persönliches Drama jagte das nächste. Alles ein wenig gestrafft hätte der Spannung gutgetan. Zumal man mit etwas Krimierfahrung dadurch schon früh merkt, in welche Richtung das Ganze läuft.

Was mir aber am meisten aufstieß, war der Charakter des Harry Hole. Mit dem komme ich nicht gut klar. Er ist völlig kaputt, Alkoholiker, egozentrisch und mit beachtlichem Gewaltpotential. Ich weiß, nicht wenige Leser stehen auf solche Charaktere, ich habe mich aber nicht selten geekelt und mein Rechtsempfinden jaulte auf. Aktuell bin ich mir nicht sicher, ob ich ihm mit einem weiteren Band noch eine zweite Chance geben werde.

Fazit: Reizvoller Schauplatz, blutig und eine düstere Stimmung voller persönlicher und gesellschaftspolitischer Probleme. Dazu ein völlig kaputter Ermittler. Mein erster Fall für Harry Hole war vermutlich auch mein letzter.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.02.2021
Breuckmann, Manni

"Manni Bananenflanke, ich Kopf - Tor!"


sehr gut

»Eine kleine, zu allem entschlossene Jury … hat es sich angemaßt, die Wichtigkeit und Unvergesslichkeit von Fußballszenen zu bewerten. Wir haben die Dreistigkeit besessen, aus Hunderten von spektakulären Spielen und Situationen die auszuwählen, die sich besonders heftig in unserer Erinnerung eingenistet haben.«

Manni Breuckmann gehörte für mich über viele Jahre hinweg fest zum Samstagnachmittag, war er doch einer der Eckpfeiler der großartigen Bundesligakonferenz im Radio. Ich mochte seine Stimme, ich mochte seine ganze Art der Berichterstattung. Wenn er begeistert ist, dann merkt man das. Und wenn er sich aufregt, ärgert oder langweilt, dann eben auch. Dann ziehen sich durch die leicht schnoddrigen Kommentare ordentliche Spuren von Sarkasmus.

In diesem Buch hat er sich 57 ausgewählte Szenen vorgenommen, er nennt sie »Mosaiksteine in der Geschichte des deutschen Fußballs«. Hierbei handelt es sich aber nicht nur um Sternstunden, sondern auch Packungen und so richtig mies gelaufene Dinge sind dabei. Was den Zeitraum angeht, sind sowohl echte Nostalgie-Klassiker dabei als auch aktuelle Ereignisse aus der letzten Saison. Gut gefiel mir, dass auch über Spieler und Mannschaften aus der damaligen DDR berichtet wurde.

Der Aufbau der Kapitel ist immer gleich: zunächst eine kurze Beschreibung der legendären Szene, dann die Schilderung des Protagonisten oder eines Beteiligten und anschließend Mannis Kommentar dazu. Also ein wenig so, wie damals im Radio. Nur noch mit Fotos ;-)

Grundsätzlich ist die Auswahl natürlich subjektiv. Über einige Ereignisse wird man nicht streiten, andere haben, je nachdem, wie das eigene Fußballherz schlägt, weniger Bedeutung und manche Dinge fehlen einem beim Lesen. Es ist unmöglich, eine vollständige Aufzählung zu liefern.
Ich habe natürlich trotzdem was zu meckern ;-) Mir wollte absolut nicht in den Kopf, wieso man Spieler anderer Nationalitäten, die schon seit vielen Jahren in der Bundesliga spielen, komplett außer Acht lässt. Für mich gehören die zum deutschen Fußball dazu. Besonders sprang mir das beim Thema Bundesliga-Torschützenliste ins Auge. Über den Platz 1 (Gerd Müller) brauchen wir nicht zu diskutieren. Laut Manni Breuckmann folgen dann auf den Plätzen 2-7 Klaus Fischer, Jupp Heynckes, Manni Burgsmüller, Ulf Kirsten, Stefan Kuntz und Dieter Müller. Tatsächlich befindet sich aber auf Platz 3 Robert Lewandowski, rückt womöglich in dieser Saison auch noch auf Platz 2 vor. Und den 6. Platz hat Claudio Pizzaro inne. Er hat fast 20 Jahre in der Bundesliga gespielt, 490 Spiele stehen auf seinem Konto. Ich meine, da hätte er sich eine Erwähnung im Rahmen des deutschen Fußballs locker verdient.
Aber davon abgesehen, war alles prima. Ich habe in Erinnerungen geschwelgt, ein paar neue Dinge erfahren und in der Summe viel Spaß gehabt.

Fazit: Ein schönes Stück Fußball-Nostalgie mit nett schnoddrigen Kommentaren. Macht Spaß!

Bewertung vom 12.02.2021
Mitten im August / Capri-Krimi Bd.1
Ventura, Luca

Mitten im August / Capri-Krimi Bd.1


sehr gut

»Er antwortete nicht. Er lächelte nicht. Er schaute sie an, als wollte er sagen: Du weißt, was passiert ist. Und er hatte recht. Sie wusste, was passiert war.«

Ein heißer Tag im August. Enrico Rizzi, Inselpolizist auf Capri, arbeitet am (wie er findet) schönsten Ort der Welt. Im Dienst hat er es für gewöhnlich nur mit kleineren Delikten zu tun, der junge Mann, der erstochen in einem Boot liegt, ist die große Ausnahme. Und eigentlich fällt ein Mord in den Zuständigkeitsbereich der Kollegen aus Neapel, doch die Füße stillzuhalten ist nicht Rizzis Stärke.

Einen Krimi, der auf Capri spielt, hatte ich noch nie gelesen, entsprechend war ich auf diesen hier sehr gespannt. Ich erwartete reizvolle Beschreibungen der sonnengefluteten, schönen Landschaft, die wurden auch zuverlässig geliefert, als Regionalkrimi punktete das Buch auf voller Linie und sorgte für sofortiges schlimmes Fernweh.

Der Fall startete langsam, entwickelte sich dann aber und wurde immer fesselnder. Der ermordete junge Mann war Student der Ozeanologie, Umweltschutz und Rettung der Meere werden immer wieder thematisiert. Könnte hier irgendwo das Motiv für die Tat liegen? Und die Freundin des Opfers ist verschwunden, hat sie womöglich mit der Tat zu tun?
Aus unterschiedlichen Perspektiven wird die Geschichte erzählt. Mal blickt man durch Rizzis Augen, mal durch die seiner Kollegin Antonia Cirillo, mal durch die der Freundin. Besonders diese Abschnitte fand ich interessant. Was geht in ihr vor? Was weiß sie, was hat sie getan? Rückblenden ließen mich mitermitteln und die Auflösung empfand ich als stimmig.

Die Hauptcharaktere waren mir sympathisch. Rizzi ist ebenfalls noch jung, hilft neben der Arbeit seinem Vater in dessen Obst- und Gemüsegarten und bemüht sich um eine junge Frau mit Tochter. Er ist sehr engagiert und ehrgeizig, hat auch gute Ideen, aber man merkt schon, dass es ihm bei der Aufklärung dieses Kapitalverbrechens an Erfahrung fehlt. Interessant auch seine Kollegin Cirillo. Sie wurde degradiert und nach Capri strafversetzt, Details dazu sind noch nicht bekannt, nur, dass sie wohl ein Problem mit ihrer Selbstbeherrschung hat. Der Autor schreibt derzeit an einem zweiten Fall für das Team, ich bin gespannt, ob das Geheimnis von Cirillos Degradierung da gelüftet wird.

Fazit: Gelungener Fernweh-Krimi, Capri steht jetzt auf meiner langen Reise-WL für eine Zeit nach Corona. Sympathische Charaktere und ein spannender Fall, hier lese ich gerne weiter.

Bewertung vom 10.02.2021
Der Tod kommt in Schwarz-Lila
Hefner, Ulrich

Der Tod kommt in Schwarz-Lila


sehr gut

»Als er auf das Heck des Schiffes zuging, hörte er ein schepperndes Geräusch. Er fuhr zusammen und spähte hinaus in die Finsternis. Nichts war zu erkennen. Seit achtundvierzig Jahren fuhr er zur See und war beileibe kein ängstlicher Mensch, dennoch lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken.«

Das ungute Gefühl trügt den alten Kapitän Hansen nicht, ein schlimmer Tod steht ihm bevor. Auch einem alten Herrn auf Wangerooge geht es nicht besser, seine Leiche wird in den Dünen gefunden. Kriminalhauptkommissar Martin Trevisan von der Kripo Wilhelmshaven nimmt mit seinem Team die Ermittlungen auf und muss bald entsetzt feststellen, dass diese Toten nur der Beginn einer fürchterlichen Mordserie im Wangerland sind.

Das schöne Wangerland – ich mache da gerne Urlaub. Ich empfinde die Gegend stets als sehr friedlich und entspannend. Diese Idylle wird nun heimgesucht von einem Täter, der sich wie ein Phantom bewegt und den ratlosen Ermittlern kaum Ansatzpunkte gibt. Die Suche nach dem Mörder wird eine mühselige und kleinteilige Arbeit gegen die Zeit…

Dieser Krimi gefiel mir sehr. Der Autor ist selber Polizeibeamter, das merkt man deutlich. Die Ermittlungsarbeit wird detailliert beschrieben, das wirkt sehr realistisch.
Überhaupt steht die Polizeiarbeit immer im Vordergrund. Regionales wird nicht so ausführlich berücksichtigt, wie es bei Küstenkrimis sonst der Fall ist und auch das Privatleben der Ermittler findet nur am Rand statt. Trevisan ist alleinerziehender Vater einer pubertierenden Tochter und zu seinem großen Bedauern hat er nicht so viel Zeit für sie, wie nötig wäre. Aber die Arbeit hat Priorität, das Private kommt oft zu kurz. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass auch das sehr realistisch ist.

Fazit: Sehr gelungener und spannender Polizeikrimi, diese Reihe verfolge ich gerne weiter.

Bewertung vom 04.02.2021
Südlich vom Ende der Welt
Possnig, Carmen

Südlich vom Ende der Welt


ausgezeichnet

Carmen Possnig ist eine junge Ärztin, die im Auftrag der ESA zusammen mit zwölf weiteren Wissenschaftlern ein komplettes Jahr auf der Forschungsstation Concordia in der Antarktis verbracht hat. Ihr fesselnder Bericht führte mir vor Augen, wie wenig ich eigentlich über diesen Ort auf der Erde weiß, den nur die wenigsten Menschen jemals aufsuchen. Das beginnt schon mit der Erkenntnis, dass das Team auf Concordia massiv unter der Höhenkrankheit leidet, da die Station auf 3.800 Metern Höhe liegt.

Die Auswirkungen auf den Körper bei einem Daueraufenthalt in großer Höhe sind ein Punkt von Carmens Possnigs Forschung. Die weiteren Faktoren sind natürlich die extreme Kälte, die Isolation und das Eingesperrtsein. Überwintern auf Concordia bedeutet, vier Monate in völliger Finsternis zu verbringen, bei Temperaturen bis zu -80°. Die Crew ist neun Monate lang völlig auf sich gestellt, denn während der Wintermonate von Februar bis ca. Mitte November kann kein Flugzeug dort landen, gibt es keine Möglichkeit, in einem Notfall zu helfen oder zu evakuieren.

Der Stil der Autorin gefiel mir sehr. Es wirkt, als würde sie neben mir auf dem Sofa sitzen und plaudern, unterhaltsam und leicht verständlich. Ihr Gebiet ist die Medizin, daher beschreibt sie ausführlich die von ihr durchgeführten Untersuchungen und Testreihen. Welche Effekte hat der stetige Sauerstoffmangel? Wie wirkt sich die Isolation auf das Immunsystem aus? Wie verändern sich im Laufe des Aufenthalts die motorischen und kognitiven Kompetenzen? Hochinteressiert las ich von den Symptomen des Winterover-Syndroms, das in unterschiedlicher Stärke jeden trifft, der einen Winter auf der Antarktis verbringt. Beeindruckend auch, wie lange (oder womöglich sogar dauerhaft) gesundheitliche Beeinträchtigungen nach der Rückkehr noch anhalten.

Die faszinierende Umgebung ist natürlich ein weiterer Schwerpunkt. Schon die Fotoseiten im Mittelteil des Buchs versetzen mich in ehrfürchtiges Staunen, wenn ich mir aber dann noch vorstelle, dass man sich, um diese Eiswüsten, diesen Sternenhimmel, live anschauen zu können, zuvor in zahlreiche Schichten von Spezialkleidung einwickeln muss, die nicht einen Fitzel Haut frei lassen, dann bleibt mir nur große Bewunderung für die Menschen, die sich das wagen.

Und es sind nicht nur die extremen Umweltbedingungen, die sie auf sich nehmen. Die kleine, völlig isolierte Crew durchlebt zwischenmenschliche Probleme, die man sich so ohne Weiteres nicht vorstellen kann. Vieles davon wird durch das schon zitierte Winterover-Syndrom ausgelöst, das ist (wenn man es nicht selbst erleben muss) wirklich faszinierend zu lesen. Da wird über Banalitäten gestritten, einige haben häufig Wutausbrüche, andere Depressionen. Allen kritischen sozialen Situationen ist gemein, dass man ihnen durch die besondere Situation nicht ausweichen kann. Aber das Team bemüht sich um Zusammenhalt, erdenkt immer neue gemeinsame Freizeitaktivitäten, von Kochabenden bis zur Partynacht. Sehr beeindruckend, davon kann man was lernen! Sehr angenehm fand ich auch, dass wann immer die Autorin über Probleme mit Kollegen schreibt, sie diese nicht namentlich benennt. Ein Zeichen für die freundschaftliche Verbundenheit und das Verständnis füreinander.

Neben all dem lese ich über das ganze vorbereitende Bewerbungs- und Auswahlverfahren, über das Kennenlernen der Crew und das medizinische Notfalltraining am Mont Blanc. Über Training im Sojus-Simulator, über Weltraummedizin und die Arbeit von Glaziologen. Immer wieder blicke ich auf die Übersichtskarten und blättere durch die Fotoseiten. Es gibt einige Rückblicke auf berühmte Expeditionen, die Station wird ausführlich beschrieben und selbstverständlich fehlen auch die Hinweise auf den Klimawandel und die dramatischen Folgen der Erderwärmung nicht.

Fazit: Absolut faszinierend! Ein großartiges und hochinteressantes Buch, unterhaltsam geschrieben und mit zahlreichen beeindruckenden Fotos.

Bewertung vom 29.01.2021
Ein Ort für die Ewigkeit
McDermid, Val

Ein Ort für die Ewigkeit


ausgezeichnet

»George zog an seiner Zigarette und dachte einen Moment darüber nach. Er hatte von solchen Orten gehört, nur noch nie einen besucht. Er konnte sich das Leben in einem so abgelegenen, eingegrenzten Winkel der Welt kaum vorstellen, wo alles über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eines Menschen ein Wissen sein musste, das der ganzen Gemeinde bekannt war.«

Scardale, ein winzig kleiner Ort in der Grafschaft Derbyshire. Die gerade einmal 30 Einwohner führen ein isoliertes Leben, genügen einander und fühlen sich in ihrer Abgeschiedenheit völlig sicher. Hier, anders als in den großen Städten, können sich Kinder noch frei und ohne Gefahr bewegen. Dachte man.
An einem kalten Dezembertag 1963 kehrt die 13jährige Alison von einem Spaziergang mit ihrem Hund nicht zurück. Die alarmierte Polizei startet sofort eine großangelegte Suchaktion, doch ohne Erfolg, das Mädchen wird nicht gefunden. Stattdessen aber Spuren, die auf ein Verbrechen hindeuten…

Bücher über verschwundene Kinder und potentielle Sexualmörder gibt es reichlich, ich rechnete mit keinen großen Überraschungen, als ich die Lektüre begann, stellte dann aber hochzufrieden fest, dass ich mich geirrt hatte. Das Buch entwickelte seinen ganz eigenen Sog, fesselte mich bis zum Ende und sorgte dafür, dass ich nach dem Zuklappen weitergrübeln musste. Die berüchtigte „Was-hätte-ich-getan“-Frage tauchte ebenso auf wie die nach Schuld, Mitschuld und Gerechtigkeit.

Für den jungen Detective Inspector George Bennett ist es der erste große Fall, den er leitet. Er kniet sich richtig rein, will sich zum einen beweisen und verfügt zudem nicht über die Fähigkeit anderer Ermittler, nach Feierabend abzuschalten. Wie es ihm ergeht, in welchem Maße ihn Zweifel und Versagensängste quälen und wie sich der Fall auf sein ganzes Leben auswirkt, ist ein weiteres zentrales Thema des Buchs. Letzteres wird besonders deutlich im 2. Teil, der im Jahr 1998, also fünfunddreißig Jahre nach Alisons Verschwinden, spielt.

Er hat es aber auch nicht leicht bei seiner Arbeit. Scardale und seine Einwohner sind ein ganz spezieller Fall. Viele sind miteinander verwandt, die Dorfgemeinschaft schottet sich gegen jeden Fremden ab und präsentiert sich verschlossen. Probleme löst man normalerweise selbst und schaltet die Polizei nur dann ein, wenn es gar nicht mehr anders geht. George muss sich mächtig anstrengen, um ihr Vertrauen zu erlangen und sie kennenzulernen. Das fiktive Dorf nahe der tatsächlich existenten Stadt Buxton wird samt seiner umgebenden Landschaft so intensiv beschrieben, dass ich alles deutlich vor Augen hatte und mit den Protagonisten unter der fiesen Witterung litt.

Ich möchte ansonsten über die Handlung nichts erzählen. Ich hatte mich zum Glück auch nicht weiter informiert und konnte so wunderbar mitermitteln, zweifeln, grübeln und mich so richtig packen lassen. Ein großartiges Buch!

Fazit: Dieses Buch lässt einen nicht kalt. Ein ruhiger Krimi, aber sehr spannend und mit einer ganz eigenen, dichten Atmosphäre.

Bewertung vom 20.01.2021
Hauptstadt der Tiere
Maier-Wolthausen, Clemens

Hauptstadt der Tiere


ausgezeichnet

Es ist schon eine ganz besondere Beziehung, die die Berliner mit ihrem Zoo verbindet. Aber es ist auch ein ganz besonderer Zoo! Eröffnet wurde er am 1. August 1844, das Buch hier erschien zum 175. Jubiläum im Jahr 2019. Der Berliner Zoo ist damit einer der weltweit ältesten Zoos, zieht jährlich Millionen von Besuchern an und brachte eine Reihe überregional berühmter Tierpersönlichkeiten hervor, z.B. Flusspferd Knautschke oder Eisbär Knut.
Ich lernte den Zoo als junges Mädchen kennen. Mit der Familie war ich für eine Woche nach Berlin gereist, aber während die anderen eine Sehenswürdigkeit nach der anderen besichtigten, war ich drei Tage hintereinander in Zoo und Aquarium. Noch heute kann ich mich an einige besonders eindrucksvolle Tierbegegnungen erinnern!

Mit diesem Buch reist der Leser durch 175 Jahre Zoogeschichte, was zugleich auch eine Reise durch die deutsche Geschichte bedeutet. Gestartet im Kaiserreich geht es durch die Weimarer Republik, zwei Weltkriege, die Nazizeit, kalten Krieg und Wende bis zum Jahr 2019. Immer gab es enge Verflechtungen zwischen Zoo und Politik, das wird hier deutlich. Ein Zeitstrahl zieht sich durch das Buch und zeigt damit zusätzlich auf einen Blick wichtige Ereignisse der deutschen und der Stadtgeschichte Berlins an.
Sehr beeindruckend und wichtig fand ich, dass bei keinem der dunklen Kapitel (Völkerschauen, Nazizeit) mit deutlichen und kritischen Worten gespart wird. So wird beispielsweise sehr detailliert das Verhalten gegenüber den jüdischen Aktionären und Aufsichtsratsmitgliedern beschrieben.

Während der Teilung wurde 1955 im Ostteil der Stadt der Tierpark eröffnet, lange waren die beiden Zoos Konkurrenten, heute gehören sie zusammen, arbeiten miteinander und ergänzen sich. Der ebenfalls sehr sehenswerte Tierpark ist der größte Landschaftstiergarten Europas, der Berliner Zoo der artenreichste der Welt. Dazu kommt noch das beeindruckende Aquarium! Der Schwerpunkt des Buchs liegt sicherlich beim Zoo, aber immer wieder wird auch über den Tierpark berichtet, wichtige Ereignisse geschildert. Auch hier fehlen traurige Kapitel, wie beispielsweise Stasi-Aktivitäten, nicht.

Die Lektüre fesselte mich wirklich. Der Stil ist kein bisschen trocken, auf den meisten Seiten finden sich tolle Fotos und Zeichnungen, viele historische Aufnahmen, Abdrucke sehenswerter Dokumente und immer wieder zur jeweiligen Zeit passende Zoopläne. Jedes Kapitel startet mit einer ausführlichen Infoseite zu einzelnen Tieren, z.B. Gorilla, Elefant, Giraffe, Flusspferd, Plumplori oder Panda. Ich lese über die erste Freianlage mit natürlich gestaltetem Lebensraum aus dem Jahr 1903, über Katharina Heinroth, die 1. Zoodirektorin Deutschlands, die ab August 1945 die wichtige Aufbauarbeit des größtenteils zerstörten Zoos betrieb und über mein persönliches Zoo-Highlight, das Nachttierhaus. Wie gerne würde ich jetzt auf der Stelle dorthin fahren!

Den Leser erwarten ferner viele Infos zur Architektur der Tierhäuser und interessante Exkurse, wie z.B. „Vom kolonialen Selbstbedienungsladen zu internationalen Zuchtprogrammen“. Immer wieder im Blick ist die Entwicklung in der Tierhaltung, die sich durch stetige Verbesserungen der Haltungsbedingungen auszeichnet und einen großen Schwerpunkt auf den Artenschutz legt. Auch der Berliner Zoo ist höchst engagiert in verschiedenen Artenschutzprogrammen, unterstützt allein 21 Projekte in 15 Ländern. Ein Blick auf die Zukunftsplanung rundet alles perfekt ab.

Bewertung vom 13.01.2021
Prost, auf die Wirtin
Kalpenstein, Friedrich

Prost, auf die Wirtin


sehr gut

»Und woher weiß du das? Bist du oft im Wirtshaus?«
»Nein. Die Schneider Heidi hat’s meiner Mama erzählt. Und die weiß es von der Grießbacher Gudrun, weil der ihr Mann im Schützenverein ist. Der war aber an dem Abend nicht da, aber der Kleinschmidt Kurti hat’s ihm erzählt. Kurti ist der zweite Vorstand vom Schützenverein und amtierender Schützenkönig.«

In Brunngries, einem kleinen Ort in den Chiemgauer Alpen, gehen die Uhren noch etwas anders. Hauptkommissar Constantin Tischler, frisch aus München dorthin versetzt, fühlt sich an seinem neuen Einsatzort aber sofort rundum wohl. Was auch gut ist, denn er hat noch nicht einmal seine Umzugskisten ausgepackt, als er zur Leiche der Wirtin Franziska Leidinger gerufen wird. Wer erschoss die beliebte Franziska in einem Waldstück? Der ganze Ort steht vor einem Rätsel. Aber natürlich gibt es Gerüchte und schon bald die ersten Verdächtigen. Tischler nimmt seine Arbeit auf, mal unterstützt und mal leicht ausgebremst von dem höchst eifrigen Polizeiobermeister Felix Fink.

Ich gebe zu, als ich das Cover sah, fürchtete ich, dass der Krimi albern und/oder soft wäre. Schon bald konnte ich jedoch erleichtert aufatmen. Das Cover steht für die Art, in der ganz wunderbar mit bayerischen Klischees gespielt wird. Das ist sehr unterhaltsam und ließ mich immer wieder schmunzeln. Darüber hinaus präsentiert sich hier ein schöner, runder Krimi mit einer im Grunde klassischen Story und einem gelungenen Schluss. Bei den Ermittlungen nutzen Tischler und Fink die örtlichen Besonderheiten (siehe Eingangszitat). Sehr effektiv, obwohl vor allem bei Fink der Schuss auch schon mal nach hinten losgeht ;-)

Damit wären wir bei den Charakteren. Fink ist ein richtig netter, auch wenn er vor lauter Eifer nicht selten von einem Fettnapf in den nächsten fällt. Der junge Polizist ist manchmal noch etwas naiv, hat aber ordentlich Potential. Tischler hat ein paar Macho-Eigenschaften, die ich nicht so mag und einige Punkte seiner Vergangenheit kann ich bislang (weil nur angedeutet) noch nicht richtig einordnen. Vermutlich klärt sich das bei weiteren Fällen.

Fazit: Schöner, runder Krimi. Unterhaltsam durch das Spiel mit den Klischees. Mir hat das gut gefallen und beim nächsten Fall für Tischler (erscheint im März 2021), bin ich gerne wieder dabei.