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Bücherfreundin

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Insgesamt 283 Bewertungen
Bewertung vom 26.04.2022
Unser wirkliches Leben
Crimp, Imogen

Unser wirkliches Leben


ausgezeichnet

Fesselnder Roman über Liebe und Abhängigkeit
Die englische Autorin Imogen Crimp erzählt in ihrem lesenswerten Debütroman die Geschichte von Anna. Aufgrund eines Stipendiums studiert die 24jährige an einem Londoner Konservatorium klassischen Gesang. Von ihren Eltern erhält sie wenig finanzielle Unterstützung. Um die Miete für ein kleines Zimmer bezahlen zu können, das sie zusammen mit ihrer Freundin Laurie bewohnt, arbeitet sie an den Abenden als Sängerin in einer Jazzbar. Dort begegnet sie dem gutaussehenden Max. Der 38jährige arbeitet bei einer Bank, bewohnt ein eigenes Appartement mit herrlichem Ausblick und verfügt über die finanziellen Mittel, um Anna regelmäßig zum Essen auszuführen. Zwischen beiden beginnt eine Affäre. Anna ist in Max verliebt und wünscht sich eine enge Liebesbeziehung, obwohl Max ihr gleich zu Beginn klargemacht hat, dass er keine ernsthafte Beziehung sucht.
 
Die unsichere Anna versucht ständig, dem launischen Max zu gefallen, und langsam verschieben sich ihre Prioritäten. Obwohl sie vor einer vielversprechenden Karriere als Opernsängerin steht, vernachlässigt sie mehr und mehr ihr Studium, versäumt immer häufiger Unterrichtsstunden, wichtige Proben und Vorsingen. Als sie bei einem Vorsingen eine Panikattacke erleidet, wird ihr klar, dass ihr Leben so nicht weitergehen kann.
 
Der Roman wird aus der Perspektive von Anna in der Ich-Form erzählt und beschreibt die außergewöhnliche Beziehung zum unberechenbaren Max, der mal unterhaltend und charmant, dann wieder kalt und unnahbar ist. Max ermutigt sie, ihren Job zu kündigen, wodurch sie sich auch in eine finanzielle Abhängigkeit von ihm begibt, sich aber gleichzeitig zum Ziel setzt, die von Max gern angenommene regelmäßige Unterstützung eines Tages an ihn zurückzuzahlen. 
 
Der fesselnde und teilweise aufwühlende Roman, der in schönem und intelligentem Sprachstil geschrieben ist, hat mich von Anfang an in seinen Bann gezogen und liest sich sehr flüssig. Die fehlenden Satzzeichen bei den Dialogen waren ein wenig gewöhnungsbedürftig.

Sehr gern habe ich mich von Imogen Crimp, die selbst Operngesang studiert hat, in die interessante Welt der Oper entführen lassen und freue mich schon auf ihr nächstes Buch.
Ich kann diesen psychologischen Roman mit Tiefgang sehr empfehlen - von mir 5 Sterne!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.04.2022
Der fürsorgliche Mr Cave
Haig, Matt

Der fürsorgliche Mr Cave


ausgezeichnet

Bedrückende Familiengeschichte
Der Droemer Verlag legt mit "Der fürsorgliche Mr. Cave" ein bereits 2008 veröffentlichtes und nun endlich ins Deutsche übersetzte Frühwerk von Matt Haig vor. Es handelt sich um seinen dritten Roman, und es ist das bisher einzige Buch von Matt Haig, das nicht dem Genre der spekulativen Fiktion zugeordnet wird.

Der psychologische Roman erzählt die zutiefst berührende Geschichte des Antiquitätenhändlers Terence Cave, der hilflos mit ansehen muss, wie sein 14jähriger Sohn Reuben infolge einer Mutprobe tödlich verunglückt. Nachdem Terence Mutter Selbstmord verübt hatte und auch seine Frau bereits vor Jahren bei einem Raubüberfall ums Leben gekommen ist, ist er nun von dem Gedanken besessen, seine Tochter Bryony, Reubens Zwillingsschwester, um jeden Preis vor den Gefahren des Lebens beschützen zu müssen. Er will sie nicht auch noch verlieren, denn sie ist alles, was ihm geblieben ist. Ständig sorgt er sich um sie. Er kontrolliert und überwacht sie, missbilligt ihren Umgang, stellt sie durch seine peinlichen Kontrollen vor ihren Freunden bloß und erstellt eine Liste mit 13 Regeln "für ihre eigene Sicherheit".

Seine Maßnahmen führen dazu, dass Bryony rebelliert und sich mehr und mehr von ihm abwendet. Sie lügt ihn an und trifft sich heimlich mit ihren Freunden. Terence weitet seine Kontrollen aus, obwohl ihn seine Schwiegermutter Cynthia immer wieder beschwört, seiner Tochter Freiheiten zuzugestehen, statt sie einzusperren. Er kann nicht ertragen, dass seine hübsche Tochter von jungen Männern umworben wird. Letztendlich steigert er sich immer mehr in seine Obsession hinein, und es kommt zur Katastrophe.

Das in der Ich-Form an die Tochter gerichtete Buch ist keine leichte Lektüre, sie geht unter die Haut und macht sehr betroffen. Das Buch ist fesselnd und hat mich von Anfang an in seinen Bann gezogen. Der Autor hat den zerstörerischen Weg und die seelische Verfassung seines Protagonisten sowie die damit einhergehenden Halluzinationen sehr intensiv und glaubhaft beschrieben.

Ich kann diese in wunderbarem Sprachstil geschriebene tragische und aufwühlende Geschichte, die mich noch lange beschäftigen wird, sehr empfehlen. Von mir 5 Sterne!

Bewertung vom 20.04.2022
Der Tote aus Zimmer 12
Horowitz, Anthony

Der Tote aus Zimmer 12


ausgezeichnet

Gelungener Krimi in englischer Tradition
Der zweite Kriminalroman von Anthony Horowitz "Der Tote aus Zimmer 12", in dem die ehemalige Lektorin Susan Ryeland ermittelt, knüpft an "Die Morde von Rye Hall" an. Es ist sicher hilfreich, diesen ersten Band zu kennen. Mir fehlte das Basiswissen, da dies mein erster Roman der Serie ist, dennoch habe ich mich sehr schnell zurechtgefunden.

Susan Ryeland führt mit ihrem Lebensgefährten Andreas auf Kreta ein kleines Hotel. Eines Tages suchen die englischen Eheleute Lawrence und Pauline Treherne Susan auf und berichten ihr, dass in dem von ihnen geführten renommierten Hotel Branlow Hall in Suffolk vor 8 Jahren, am Hochzeitstag ihrer Tochter Cecily, ein Mord passiert ist. Dieser Mord diente dem Schriftsteller Alan Conway als Grundlage für seinen Roman "Atticus unterwegs". 
Cecily hatte vor kurzem das Buch gelesen und ihren Eltern telefonisch berichtet, dass das Buch die Lösung des damaligen Mordfalls enthält. Der Roman beweise, dass seinerzeit die falsche Person des Mordes für schuldig befunden wurde. Seitdem ist Cecily spurlos verschwunden. Ihre Eltern sind in großer Sorge und bitten Susan, die das Buch seinerzeit lektoriert hatte, ihnen gegen Zahlung eines Honorars in Höhe von 10.000 Pfund zu helfen. Susan ist klar, dass sie für die Ermittlungen zurück in ihre alte Heimat muss und begibt sich auf die Reise nach England. Dort geht sie einer Vielzahl von Spuren nach und gerät selbst in Gefahr. 

Die Geschichte ist in der Ich-Form äußerst spannend geschrieben und außergewöhnlich, da es innerhalb des Buches ein zweites Buch gibt. In diesem dreht es sich um den Mord an einer Schauspielerin, der durch einen deutschen Privatdetektiv aufgeklärt wird. Beide Fälle sind auf interessante Art miteinander verknüpft.

Anthony Horowitz ist es gelungen, einen faszinierenden Krimi englischer Tradition vorzulegen, der mich vom Anfang bis zum Ende gefesselt hat. Der gepflegte, kluge Sprachstil liest sich flüssig und hat mir sehr zugesagt. Wer klassische Kriminalromane ohne viel Blutvergießen schätzt, wird viel Lesefreude an diesem Buch haben.

Ich freue mich bereits jetzt auf den nächsten Band - Leseempfehlung von mir und 5 Sterne!

Bewertung vom 12.04.2022
Die sieben Schalen des Zorns
Thiele, Markus

Die sieben Schalen des Zorns


ausgezeichnet

Anspruchsvoller und aufrüttelnder Roman
Markus Thiele, Schriftsteller und Rechtsanwalt, hat mit seinem dritten Buch "Die sieben Schalen des Zorns" einen aufrüttelnden und tiefgründigen Roman veröffentlicht, der sich mit dem wichtigen und brisanten Thema Sterbehilfe beschäftigt. 
 
Max und Jonas kennen sich seit ihrer Internatszeit und haben nie den Kontakt zueinander verloren. Als junge Studenten gewinnen die Freunde eine Segelregatta. Bei der anschließenden Siegesfeier wird viel Alkohol konsumiert, und auf der Fahrt zur Party einer Freundin kommt es zu einem schweren Verkehrsunfall. 
 
25 Jahre später: Max praktiziert inzwischen als Hausarzt und Internist, Jonas hat Karriere als Staatsanwalt gemacht. 
Max' Tante Maria, die ihn nach dem Tod seines Vaters aufgenommen hatte, erkrankt an Alzheimer und nimmt ihrem Neffen das Versprechen ab, ihr Sterbehilfe zu leisten. Als die Zeit dafür gekommen ist, verabreicht Max ihr die tödlichen Medikamente. Wenig später wird er wegen Beihilfe zur Selbsttötung angeklagt. Max fürchtet, seine Approbation zu verlieren. Er bittet Jonas, ihm zu helfen und stürzt diesen damit in einen gewaltigen Gewissenskonflikt.
 
Der Autor erzählt rückblickend die Lebensgeschichten der Freunde: auf der einen Seite die schwere Jugend von Max, die tragischen Verluste, die er erleben musste, auf der anderen Seite der Weg von Jonas, der durch die Dominanz des Vaters vorgezeichnet war. Im letzten Drittel des Buches stehen die Ermittlungen sowie der Verlauf des spannenden Prozesses gegen Max im Vordergrund.
 
Das in schönem und intelligentem Sprachstil geschriebene Buch hat mich von der ersten Seite an gefesselt und zutiefst berührt. Es beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit ein selbstbestimmter Tod möglich ist und ob hierzu Hilfe erlaubt ist. Der Autor erklärt die Unterschiede zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe und bringt dem Leser auf eindrucksvolle Weise die Problematik in der Rechtsprechung nah. 

Der kluge Roman gehört für mich bereits jetzt zu meinen diesjährigen Lesehighlights.
Absolute Leseempfehlung von mir und wohlverdiente 5 Sterne!

Bewertung vom 11.04.2022
Via Torino
Leuthner, Aja

Via Torino


gut

Langatmige Familiengeschichte
Der Debütroman "Via Torino" von Aja Leuthner, beworben als "Eine große deutsch-italienische Familiengeschichte" weckte sofort mein Interesse. Ich mag Italien, und interessante und gut geschriebene Familiengeschichten mag ich auch. Aber ich wurde leider enttäuscht.
 
Die Autorin beschreibt auf wechselnden Zeitebenen die Geschichten dreier Frauen in Italien und Süddeutschland. Es handelt sich dabei zunächst um Eleonora, Tochter einer wohlhabenden Familie, die 1969 gegen den Willen ihrer Eltern ihr Jurastudium abbricht, um mit einem Studienkollegen nach Turin zu ziehen. Dort schließt sie sich den Streiks der Arbeiter gegen die damaligen schlechten Arbeitsbedingungen der Automobilindustrie an. Sie verliebt sich unsterblich in den jungen, mittellosen Sizilianer Valerio.
 
Bei der zweiten Protagonistin handelt es sich um Rosalia, Eleonoras Tochter, die sich unmittelbar nach ihrem Abitur in den neunziger Jahren in einen Italiener verliebt und schwanger wird. Sie erlebt eine bittere Enttäuschung und schwört sich, nie wieder italienischen Boden zu betreten. Als Naturwissenschaftlerin macht sie Karriere und zieht ihre Tochter Milena mit Hilfe ihrer Eltern allein groß.
 
Milena, Rosalias Tochter, möchte wissen, wer ihr leiblicher Vater ist. Rosalia weigert sich jedoch standhaft, den Namen des Mannes preiszugeben, und Milena macht sich daher ohne Wissen der Mutter auf die Suche nach ihrem Vater.
 
Der umfangreichste Teil des Romans ist Eleonora gewidmet. Hier nimmt die viel zu ausführliche Schilderung der Arbeiteraufstände in Turin den größten Raum ein. Es ist mir sehr schwergefallen, in die einzelnen Geschichten der Frauen einzutauchen, die Personen sind mir fremd geblieben und haben mich emotional nicht berührt.
Gut gefallen hat mir dagegen die Schilderung der damaligen italienischen Verhältnisse und die Beschreibung von Rosalias schwieriger Kindheit als Halbitalienerin in Deutschland. 
 
Der Schreibstil der Autorin ist gut zu lesen. Alles in allem ist mir der Roman zu überfrachtet: viel, viel Arbeiteraufstand, etwas sizilianische Mafia, dagegen eher oberflächlich beschriebene einzelne Lebensabschnitte der drei Protagonistinnen. Die Zusammenführung auf den letzten Seiten fand ich ziemlich kitschig und unglaubwürdig.

1 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.03.2022
Die andere Schwester / Karlstad-Krimi Bd.2
Mohlin, Peter; Nyström, Peter

Die andere Schwester / Karlstad-Krimi Bd.2


sehr gut

Spannende Kriminalgeschichte
Das schwedische Autorenduo Peter Mohlin und Peter Nyström hat mit "Die andere Schwester" den zweiten Teil seiner Karlstad-Serie veröffentlicht. Das Buch schließt sich handlungsmäßig an den ersten Band "Der andere Sohn" an, und es ist sicherlich hilfreich, diesen ersten Band zu kennen. Mir fehlte das Basiswissen, da dies mein erster Roman der Serie ist. Die Vorgeschichte wird allerdings in Kurzform erzählt, so dass man sich schnell zurechtfindet.

Im Mittelpunkt des Geschehens steht John Adderley, ein ehemaliger FBI-Agent, der im Rahmen eines Zeugenschutzprogramms wieder in Schweden, der Heimat seiner Mutter, lebt. Unter dem Namen Fredrik Adamsson ist er als Ermittler für die Polizei in Karlstad tätig. In den USA war es ihm und seinem Freund und Kollegen Trevor gelungen, den Anführer eines nigerianischen Drogennetzwerkes, Ganiru, hinter Gitter zu bringen. Doch auch aus dem Gefängnis heraus wird er von Ganirus Auftragskillern verfolgt, so dass sein altes Leben ihn schnell wieder einholt.

In Karlstad wird in einer Kaffeerösterei die Leiche einer jungen Frau aufgefunden. Stella Bjelke war die nicht von jedem geschätzte Geschäftsführerin des Dating Services Raw, einer erfolgreichen Dating-App. Sehr schnell gerät ihre Schwester Alicia Bjelke, die als IT-Verantwortliche bei Raw tätig ist, unter Verdacht. 
Parallel zur Suche nach Stellas Mörder gerät John mehr und mehr unter Druck, da sein eigenes Leben akut bedroht ist. Nach einem schweren Ermittlungsfehler wird ihm Mona Ejdewik von der Landeskriminalpolizei zur Seite gestellt. Die Zusammenarbeit mit ihr stürzt John in neue Konflikte.

Der Krimi ist sehr spannend und in schönem Sprachstil geschrieben, er liest sich sehr flüssig, und es gibt einige unerwartete Wendungen. Allerdings war mir keiner der Protagonisten wirklich sympathisch. Die Ermittlungen fand ich nicht immer glaubwürdig, und das Ende empfinde ich als moralisch sehr zweifelhaft. 

Bewertung vom 14.03.2022
Die Kinder sind Könige
Vigan, Delphine

Die Kinder sind Könige


ausgezeichnet

Aufrüttelnde Gesellschaftskritik
Mit großer Begeisterung habe ich bereits einige Romane von Delphine de Vigan gelesen und mich daher schon sehr auf ihr neues Buch "Die Kinder sind Könige" gefreut.

Der Roman erzählt die Geschichte der jungen Mélanie, die von Jugend an ein Faible für Realityshows hat. Ihre eigene Teilnahme an einer Datingshow mit 26 Jahren gerät zum Flop, sie scheidet bereits in der ersten Runde aus. Das Englischstudium gibt sie auf, um in einem Reisebüro zu arbeiten. Sie heiratet Bruno, einen Informatiker, und im gleichen Jahr wird Sohn Sammy geboren, zwei Jahre später Tochter Kimmy.

Nach Sammys Geburt fällt Mélanie in ein tiefes Loch. Sie füllt die innere Leere, indem sie sich auf den Vorschlag ihres Mannes hin bei Facebook anmeldet. Mélanie findet dort neue Bekannte, postet Kommentare und stellt Fotos ein. Sie hat das Gefühl, endlich wieder am Leben teilzunehmen. Ein Jahr später, nach der Geburt der kleinen Kimmy, wechselt Mélanie von Facebook zu Youtube und verfolgt dort intensiv alle Beiträge, die für sie von Interesse sind. Vor Kimmys 3. Geburtstag postet sie ihr erstes Youtube-Video.
Sie lässt Kimmy vor der Kamera singen und erzählen, später ist auch Sammy mit dabei. Ihre Filme erreichen immer mehr Abonnenten, man nimmt Kontakt wegen Product Placement auf. Bruno gibt seinen Beruf auf und kümmert sich um die Produktion der Filme. Die neue Tätigkeit bringt ihnen 5 Millionen Follower und einen gewissen Wohlstand, aber auch die ständige Verpflichtung, die Community zu unterhalten. Jede Aktivität, jedes Ereignis wird zum Gegenstand einer Story, der Konsum steht im Mittelpunkt der Filme. Mélanie sieht in all dem ein Geschenk, das Glanz in das gemeinsame Leben gebracht hat.

Als Kimmy 6 Jahre alt ist, verschwindet sie während eines Versteckspiels mit anderen Kindern der Wohnanlage. Die Polizei wird eingeschaltet, die Ermittlerin Clara wird mit der Welt der sozialen Netzwerke konfrontiert, die ihr bislang völlig unbekannt war.

Der gesellschaftskritische Roman hat mich von der ersten Seite an in seinen Bann gezogen. Die Vermarktung und Präsentation von Kindern durch ihre Eltern im Internet war mir bislang neu und hat mich betroffen und nachdenklich, aber auch wütend gemacht. Die Geschichte hat mich an den Film "Die Truman-Show" erinnert, in dem Truman nach Drehbuch in einer fiktiven Welt lebt und alle Menschen, die ihn umgeben, Schauspieler sind.
Das großartige Buch zeigt die Schattenseiten der Realityshows und sozialen Netzwerke auf und beschreibt das tägliche Leben der Familien, in denen die Kinder ohne ihre Einwilligung im Internet zur Schau gestellt werden. Es dokumentiert auch die seelischen Schäden, die Kinder erleiden, die für Netzwerke von ihren Eltern kommerziell ausgebeutet werden und keine normale Kindheit erleben dürfen.

Sehr eindrucksvoll beschreibt die Autorin, wie Mélanie immer mehr in den Sog ihrer Internetsucht gerät und sich ihr ganzes Leben nur noch darum dreht, ihre Kinder in ihrem Kinderkanal zu präsentieren.
Hochinteressant fand ich die Begegnung mit den inzwischen erwachsenen Kindern von Mélanie und deren Einstellung zu den Jahren als Internetstars am Ende des Buchs.

Der wunderbare und kluge Erzählstil von Delphine de Vegan hat mir wieder sehr gut gefallen, das Buch fesselte mich bis zum Ende. Es gehört bereits jetzt zu meinen diesjährigen Lesehighlights - von mir eine klare Leseempfehlung und verdiente 5 Sterne!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.03.2022
Mongo
Darer, Harald

Mongo


ausgezeichnet

Mit ganz viel Herz und Humor erzählte Geschichte - klare Leseempfehlung
Der neue, sehr lesenswerte Roman von Harald Darer erzählt die Geschichte eines jungen Paares, das sein erstes Kind erwartet. Dieser schöne Umstand wird getrübt durch die Tatsache, dass Katja, die werdende Mutter, Angst hat, dass das Kind mit dem Gendefekt Trisomie 21 geboren werden könnte. Ihre Sorge ist nicht unbegründet, da ihr Bruder Markus mit dem Down-Syndrom auf die Welt gekommen ist. Harry, der Ich-Erzähler, ist überfordert, nicht nur von der Tatsache, bald Vater zu werden, sondern auch von den nachzuvollziehenden Ängsten seiner Partnerin. Gemeinsam suchen sie einen Spezialisten für Pränataldiagnostik auf.

Rückblickend erzählt Harry von Albert, dem Jungen mit Down-Syndrom, der im gleichen Dorf wie er lebte und den er einmal derart schlecht behandelte, dass er später von seinem Vater - das einzige Mal in seinem Leben - gezüchtigt wurde. Er beschreibt, wie er den Bruder seiner Freundin Katja kennenlernte, wie befangen er damals war und wie schwer er sich tat, mit Markus ins Gespräch zu kommen. Im Laufe der Zeit beginnt er, das eine oder andere mit seinem Schwager zu unternehmen, und er schildert auf sehr warmherzige und berührende Weise die lustigen Erlebnisse mit Markus, aber auch die ganz und gar nicht lustigen.
Harry erzählt sehr eindrucksvoll und mit sehr viel Herz und Humor über Markus' Leben mit dem Down-Syndrom, die damit verbundenen Probleme und alltäglichen Herausforderungen, er berichtet aber auch über die liebenswerte und charmante Art seines Schwagers.

Der Autor ist Österreicher, an seinen besonderen Schreibstil habe ich mich sehr schnell gewöhnt. Es gab natürlich einige mir unbekannte Begriffe und Redewendungen, aber dank des Internets waren Unklarheiten immer schnell beseitigt. Der Roman hat mich von Beginn an in seinen Bann gezogen und bis zum Ende gefesselt und begeistert.

Das schöne bunte Cover ist ein Hingucker, der Titel eine bewusste Provokation, die hoffentlich viele dazu veranlasst, nicht nur den Klappentext zu lesen.

Von mir 5 Sterne und eine klare Leseempfehlung!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.03.2022
Der Erinnerungsfälscher
Khider, Abbas

Der Erinnerungsfälscher


ausgezeichnet

Außergewöhnliche und berührende Lebensgeschichte
Abbas Khider erzählt in seinem neuen, vom Hanser-Verlag veröffentlichten Roman die Geschichte von Said Al-Wahid. Seit fast zwei Jahren ist Said Schriftsteller, er hat an einer literarischen Podiumsdiskussion in Mainz teilgenommen und befindet sich auf der Heimreise nach Berlin zu seiner Frau Monica und seinem Sohn Ilias. Während der Zugfahrt bekommt er einen Anruf seines Bruders Hakim aus dem Irak, der ihm mitteilt, dass die Mutter im Krankenhaus liegt und wahrscheinlich nicht mehr lange leben wird. Said macht sich spontan auf den Weg zum Frankfurter Flughafen und nimmt die nächste Maschine nach Bagdad.

Auf seiner Reise in die alte Heimat erinnert sich Said an sein bisheriges Leben.
Als junger Mann floh er vor dem Terrorregime des Irak. Es dauerte Jahre, bis er auf Umwegen endlich in Deutschland ankam. Aber auch dort war es nicht einfach für ihn, der Bürokratismus war eine ständige Herausforderung, die ersehnte Einbürgerung ein mühsamer, sich über Jahre hinziehender Prozess. Seitdem führt er seinen Reisepass, für den er so lange kämpfen musste, ständig mit sich.

Als er mit dem Schreiben beginnt und seine eigene, wahre Geschichte niederschreiben möchte, stellt er fest, dass seine Erinnerungen unvollständig sind. Ein großer Teil ist durch ein Loch im Gedächtnis verloren gegangen, einfach verschwunden. Er muss seine Gedächtnislücken schließen, neu erfinden, bezeichnet sich selbst als einen Erinnerungsfälscher, der die Lücken mit fiktiven Inhalten füllt.

Der in wunderschönem Sprachstil geschriebene Roman über Said hat mich sehr berührt und nachdenklich gemacht. Es ist die Geschichte eines Mannes, der seinen eigenen Erinnerungen nicht traut, aber auch eine unter die Haut gehende Geschichte über die Probleme in der neuen Heimat Deutschland, über Vorurteile, wiederkehrende Demütigungen und Schikanen.

Ich kann diesen großartigen Roman nur empfehlen - von mir wohlverdiente 5 Sterne!

Bewertung vom 03.03.2022
Für diesen Sommer
Klönne, Gisa

Für diesen Sommer


ausgezeichnet

Großartige und fesselnde Familiengeschichte
Gisa Klönne, von der ich bisher noch kein Buch gelesen habe, erzählt in ihrem neuen Roman die Geschichte der Familie Roth.
Das Buch beginnt damit, dass Franziska für drei Wochen ihren betagten und hilfsbedürftigen Vater Heinrich in dessen Haus betreuen soll. Ihre Schwester Monika ist verreist, und sie soll die geplanten Umbauarbeiten im Haus vorbereiten und überwachen. Vater und Tochter haben sich seit der Beerdigung der Mutter nicht mehr gesehen, und Heinrich reagiert nicht sehr begeistert auf den Besuch seiner Tochter. 

In zahlreichen Rückblicken aus Franziskas und Heinrichs Sicht schildert die Autorin das Leben, die Sorgen, Enttäuschungen und Schicksalsschläge der Familie.
Franziska, mittlerweile Anfang 50, wollte schon sehr früh die Welt retten, schloss sich Umweltaktivisten an und verließ nach zahlreichen Diskussionen mit dem Vater gegen den Willen der Eltern bereits mit 17 Jahren das Elternhaus. Sie bezeichnet sich als schwarzes Schaf der Familie, das die Eltern immer nur enttäuscht hat. Sie hat gescheiterte Beziehungen hinter sich, hat Jahre in Ashrams verbracht und ihren Weg immer noch nicht gefunden. Ihre drei Jahre ältere Schwester Monika hat dagegen alles erreicht, was sie sich vorgenommen hatte: Studium, Karriere, Familie, guter Kontakt zu den Eltern. 
Heinrich, Sohn einer Tänzerin, heiratete früh die Kriegswaisin Johanne. Nach der Geburt der ersten Tochter erleidet die kleine Familie einen Schicksalsschlag, von dem Johanne sich nie mehr erholte. Inzwischen ist Heinrich alt geworden, verwitwet, und gesundheitliche Einschränkungen machen ihm das Leben schwer.

Gisa Klönne rollt die Ereignisse der Vergangenheit und die Erinnerungen von Franziska und Heinrich ganz behutsam und langsam auf, bisweilen nur in ganz kurzen Abschnitten. Mich hat diese Art des Erzählens von Anfang an begeistert, und ich konnte mich sehr gut in die Charaktere der Personen einfühlen. Der Roman ist in wunderbarem, klugem Sprachstil geschrieben. 
Sehr gut hat mir gefallen, wie die Autorin den Zeitgeist in ihren Roman hat einfließen lassen. 

Klare Leseempfehlung von mir und 5 Sterne für diesen großartigen Familienroman!