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⇢ Ich bin: Ex-Buchhändlerin, Leseratte, seit 2012 Buchbloggerin, vielseitig interessiert und chronisch neugierig. Bevorzugt lese ich das Genre Gegenwartsliteratur, bin aber auch in anderen Genres unterwegs. ⇢ 2020 und 2021: Teil der Jury des Buchpreises "Das Debüt" ⇢ 2022: Offizielle Buchpreisbloggerin des Deutschen Buchpreises

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Insgesamt 735 Bewertungen
Bewertung vom 10.07.2016
Die Bücherfreundinnen
Platt, Jo

Die Bücherfreundinnen


gut

Erstmal vorneweg: ich war enttäuscht, dass Bücher gar keine so große Rolle spielen, wie der Titel erwarten lässt! Ja, es wird das ein oder andere Buch namentlich erwähnt, aber eigentlich ist der Buchclub nur ein Vorwand für die Freundinnen, sich zu treffen, zusammen was zu trinken und darüber zu quatschen, wie sie die in Liebessachen vom Pech verfolgte Alice am besten verkuppeln könnten. Diese schafft es meist nicht einmal, das gemeinsam ausgesuchte Buch zu lesen. dabei hat sie mal Anglistik studiert. (Da weint das Leserherz...)

Nein, "Die Bücherfreundinnen" ist meiner Meinung nach kein Buch über Bücher, dafür aber wenigstens ein Buch über die Freundschaft in allen möglichen Schattierungen. Also eine halbe Mogelpackung...? Anfangs habe ich darüber noch gegrummelt, aber da die Geschichte trotzdem unterhaltsam, witzig, manchmal rührend und im Grunde eine nette Sommerlektüre ist, habe ich Jo Platt die fehlenden Buchtipps irgendwann großzügig verziehen. Dennoch war es für mich eher ein Buch für zwischendurch - mehr ein "Kann man lesen" als ein "Muss man lesen". Das lag sicher zum großen Teil daran, dass ich die Geschichte sehr vorhersehbar und daher auch nicht sonderlich originell fand, obwohl mir die Umsetzung ansonsten ganz gut gefiel. (Im letzten Drittel schwächelt sie aber ein wenig, zumindest kam es mir so vor.)

Groß Spannung kam für mich nicht auf, denn es gibt im Grunde keinen ernsthaften Konflikt und auch keine Entwicklung, deren wahrscheinliches Ergebnis nicht absehbar ist, aber dafür ist es ein echtes Wohlfühlbuch zum Seele baumeln lassen.

Die verschiedenen Bücherfreundinnen waren mir direkt sympathisch, man lernt aber nicht alle von ihnen näher kennen. Besonders am Anfang hatte ich deswegen etwas Probleme, den Überblick zu behalten! Das Buch hat dabei gegenüber dem Hörbuch den Bonus, dass innen auf der Klappbroschur die wichtigsten Charaktere aufgelistet sind.

Das Buch hat mir vor allem dort gut gefallen, wo man die Freundschaft zwischen den gänzlich unterschiedlichen Frauen spürt. Sie haben alle ihre Schrullen und kleinen Marotten, aber das ist für sie überhaupt kein Hindernis, denn sie haben sich in vielen Jahren kennen und lieben gelernt.
Bunt, lebendig und mit liebevollen Details werden vor allem Alice, ihr Chef David und ihre Freundin Sophie beschrieben, während andere etwas blass bleiben.

Für mich hatte das Buch deutlich weniger Tiefgang als erwartet. Hier werden durch den Tod von Lydia, einer der Bücherfreundinnen, zwar Verlust und Trauer thematisiert, aber doch eher am Rande - besonders die Frage, wie man nach dem Tod eines Partners damit umgeht, dass man sich irgendwann wieder neu verlieben und weiterleben will, wurde hier in meinen Augen leider nur oberflächlich behandelt. Die Rückblenden, in denen man mehr über Lydia erfährt, hören irgendwann einfach auf.

Die Liebesgeschichte konnte mich ebenfalls nicht so recht packen, denn ich fand sie ziemlich vorhersehbar und bekam auch kein richtiges Gespür dafür, warum ausgerechnet diese beiden Menschen denn nun so gut zusammenpassen sollen. Ich hatte bis zum Schluss nicht dein Eindruck, IHN richtig zu kennen.

Das Ende der Geschichte erschien mir seltsam lustlos und rief in mir keine großen Emotionen hervor. Gerade zum Abschluss hätte ich mir gewünscht, dass die großen Themen Trauerbewältigung, Liebe und Weiterleben noch einmal stärker angesprochen werden! Stattdessen gibt es das obligatorische Missverständnis, bevor sich alles in Wohlgefallen auflöst.

Aber das klingt jetzt alles negativer, als es gemeint ist! Nein, "Die Bücherfreundinnen" ist für mich kein großartiges Buch, das man unbedingt gelesen haben muss, und es wird mein Leben auch nicht verändern, aber es hat mir dennoch als einfache, anspruchslose Lektüre für zwischendurch Spaß gemacht.

Der Schreibstil ist flüssig, leicht und unterhaltsam zu lesen; besonders die Dialoge sind locker-flockig und humorvoll geschrieben.

Bewertung vom 06.07.2016
Das magische Fenster im Bild
Lieser, Jolanta

Das magische Fenster im Bild


sehr gut

Das Büchlein ist sehr ansprechend gestaltet: das Titelbild ist fantasievoll und macht neugierig, und auch die für das Cover und die Kapitelüberschriften ausgewählte Schriftart ist hübsch und außergewöhnlich. Das für die Seiten verwendete Papier ist schwer und fühlt sich gut an.

Jedes der fünf Abenteuer, die die kleine Kaya erlebt, wird von einer passenden Illustration eingeleitet. Diese sehen aus wie mit Buntstift gezeichnet, was ich für ein Kinderbuch genau richtig finde! Die einzige Illustration, die mir nicht so gut gefiel, war die im dritten Kapitel, denn sie erschien mir für kleinere Kinder ziemlich gruselig.

Kaya ist ein Schlüsselkind: wenn sie nachhause kommt, sind ihre Eltern meist nicht da, und überhaupt haben die nur sehr wenig Zeit für sie. Und so fühlt sich Kaya einsam und gelangweilt und zweifelt daran, ob sie liebenswert ist. Sie wird herzallerliebst, lebendig und glaubhaft beschrieben, mit Stärken und Schwächen, so dass kleine Leser gut mit ihr mitfühlen und mitfiebern können.

Ihre Abenteuer werden sehr fantasievoll geschildert, mit vielen bunten, märchenhaften Beschreibungen. Sie enthalten zahlreiche positive Botschaften - so bestärken viele der Wesen, denen Kaya begegnet, sie darin, dass sie ein wertvoller Mensch ist, der klug, mutig und liebenswert ist. Ohne erhobenen Zeigefinger werden kindgerecht verschiedene Themen angesprochen, wie zum Beispiel, wie wichtig Ehrlichkeit ist und wie lobenswert, Fehler zuzugeben.

Für jüngere Leser sind die Geschichten bestimmt auch sehr spannend, manchmal möglicherweise sogar ein bisschen gruselig - ehrlich gesagt würde ich das dritte Kapitel bei kleineren oder sehr sensiblen Kindern vielleicht sogar überspringen, aber ich denke, das werden die Eltern nach kurzem Drüberlesen am besten einschätzen können! Das ist eben genauso wie bei den klassischen Märchen: die haben ja auch ihre bösen Hexen und ihre gruseligen Momente.

Die Geschichten sind aber in meinen Augen durchaus geeignet für Grundschüler, denn sie sind einfach aufgebaut und gradlinig. Da das Buch in fünf Abenteuer eingeteilt wurde, die dann wiederum aus kurzen Kapiteln bestehen. kann man es einerseits kleineren Kindern sehr gut abends vorlesen, und andererseits können Kinder, die schon etwas geübter sind, es auch häppchenweise selber lesen.

Zitat:
"Sie stand auf einem gläsernen Berg, auf dem sich ein durchsichtiger Brunnen befand, in dem lauter Blumen in verschiedenen Farben und Formen im Wasser lagen und nach oben heraussprudelten wie eine Fontäne. Neugierig ging Kaya auf die Wasserquelle zu. Vorsichtig beugte sie sich über sie. Die exotischen Blumen wirkten sehr hypnotisierend auf Kaya."

Der Schreibstil ist sehr lebendig, fantasievoll und bildreich. Manchmal wurden für meinen Geschmack etwas zu viele Adjektive verwendet, und ab und an fand ich eine Metapher nicht ganz gelungen, aber meist hat er mir sehr gut gefallen.

Zitat:
"Kaya schlug um sich wie ein Adler. Doch die Fee war stark wie ein Bär. Mit nur ein paar Schritten erreichten die beiden die fliegenden Besen und wie einen Kartoffelsack setzte Trottela Kaya auf einen von ihnen drauf."

Fazit:
In fünf fantasievollen Geschichten erzählt Jolanta Lieser die Geschichte eines einsamen kleinen Mädchens, das neue Freunde und neues Selbstbewusstsein in einer magischen Welt findet. Kleine Leser können sich mit Kaya bestimmt gut identifizieren!

Bewertung vom 06.07.2016
How to speak Emoji
Benenson, Fred

How to speak Emoji


sehr gut

Es gibt Bücher, die wandern bei mir erstmal aufs Stille Örtchen und liegen dann dort manchmal wochen- oder monatelang.

Oh, nein, nein - das ist keineswegs als Abwertung gedacht! Wo hält man sich denn jeden Tag mehrmals auf und hat immer mal wieder ein paar Minuten Zeit und Ruhe, um ein Buch aufzuschlagen? Genau! Und deswegen eignet es sich so gut für Bücher, die man nicht in einem Rutsch durchliest, sondern Stückchen für Stückchen.

Meist sind das Bücher zum Schmunzeln und Lachen, und so ein Buch ist auch "how to speak emoji".

Das Buch beginnt mit einer kurzen Einleitung und ein paar grundlegenden Tipps zum Thema Emojis, gefolgt von einem kleinen Lexikon der gebräuchlichsten Symbole. Den Hauptteil des Buches macht dann der Sprachführer aus, der in verschiedene Kapitel wie "Erste Schritte", "Lockere Sprüche" oder "Notfälle aller Art" unterteilt ist. Bei manchen "Übersetzungen" musste ich grinsen oder sogar lachen, andere fand ich etwas zu offensichtlich und daher nicht so spannend. Die meisten sind in meinen Augen aber doch sehr einfallsreich, und es hat mir daher Spaß gemacht, immer mal wieder in dem Buch zu blättern.
"how to speak emoji" ist vielleicht kein Buch, das das Leben verändert oder das man unbedingt gelesen haben muss, aber es ein netter Stimmungsaufheller für zwischendurch und sicher auch ein nettes Mitbringsel oder kleines Überraschungsgeschenk. In dem Sinne:

Schaut doch einfach mal rein in das Buch!

Fazit:
Es gibt wohl kaum einen Menschen, der noch nicht mit Emojis, den putzigen Smilies aus Japan, in Kontakt gekommen ist. Fred Benenson spricht in der Einleitung seines Buches davon, dass Emojis eine spannende Entwicklung in der modernen Kommunikation darstellen - vielleicht noch keine richtige Sprache, aber doch etwas, mit dem man erstaunlich komplexe Dinge sagen kann.

Natürlich ist der Sprachführer nicht ganz ernst gemeint, sondern lädt vor allem zum Schmunzeln ein, wenn zum Beispiel Zitate von so unterschiedlichen Menschen wie Martin Luther, Franz Beckenbauer oder Heidi Klum in Emojis übersetzt werden! Ein witziges kleines Büchlein für zwischendurch.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.07.2016
Die Kinder der Nacht / Florenturna Bd.1
Lange, Kathrin

Die Kinder der Nacht / Florenturna Bd.1


sehr gut

Katrin Lange hat in ihrem Buch eine einfallsreiche Parallelwelt voller unglaublicher Kreaturen erschaffen, die ihre jungen Helden vor zahlreiche Herausforderungen stellt. Auch die Magie fand ich einzigartig und originell: ein Narratore hat die Macht, seinen Worten Leben einzuhauchen - was er erzählen kann, kann ein geübter, mächtiger Narratore auch erschaffen.

Das Buch spricht Themen an, die (nicht nur) für ein Kinderbuch passend und wichtig sind: Freundschaft, Treue, Tapferkeit, Selbstlosigkeit... Sehr interessant fand ich auch, dass einige der Charaktere mehr oder schwere Behinderungen haben: Girolamo stottert heftig, Ben ist geistig behindert und die Geschwister Ursa und Nadir sind zumindest zeitweise blind.

Mir gefiel sehr, dass diese Charaktere nicht auf ihre Behinderungen reduziert werden! Die Autorin zeigt, dass auch ein Mensch mit Behinderung Großes erreichen und zum Helden werden kann, was ich für eine großartige Botschaft halte.

In meinen Augen werden die Charaktere meist gut, einfühlsam und schlüssig beschrieben, nur manchmal benimmt sich Girolamo, um den sich die Geschichte dreht, deutlich älter als seine 11 Jahre, was mich ein bisschen gestört hat.

Gelegentlich hat die Geschichte ein paar Längen, aber im Großen und Ganzen hat sie viel Action, Gefahr und Abenteuer zu bieten und liest sich spannend und unterhaltsam. Allerdings ist der Inhalt für ein Kinderbuch manchmal recht heftig! Kopflose Monster, eine oft düstere Atmosphäre und schwere Verluste auf Seiten der Guten... Ich würde es nicht für jüngere Kinder empfehlen. Kinder ab 10 werden dann gut damit zurechtkommen, wenn sie nicht zu empfänglich für Albträume sind, ansonsten würde ich es eher Kindern ab 12 in die Hand geben.

Der Schreibstil ist relativ einfach und dabei klar, flüssig und kindgerecht. Was mich aber sehr gestört hat: das Buch spielt in Florenz um das Jahr 1500 herum, die Kinder sprechen jedoch sehr, sehr modern. Natürlich erwarte ich von einem historischen Kinderbuch nicht, dass die Sprache 100%ig der der damaligen Zeit entspricht, aber sie sollte meiner Meinung nach schon einen weniger modernen Klang haben.

Überhaupt wird meines Erachtens nicht voll ausgeschöpft, dass das Buch einen geschichtlichen Hintergrund hat - der Schauplatz des alten Florenz bleibt austauschbar, das Buch hätte auch ohne Weiteres in einer anderen Stadt und zu einer anderen Zeit spielen können. Zwar kommen historische Figuren vor, wie Hieronymus Bosch, Frater Savonarola oder Loreznzo de Medici, aber der Leser erfährt nur wenig über sie.

Fazit:
Florenz um das Jahr 1500 herum. Der 11-jährige Girolamo wollte eigentlich nur heimlich die Vorführung eines fahrenden Sängers besuchen, aber bevor er sich versieht, wird sein Dorf von Monstern überfallen - und Girolamo wird davongejagt, weil er angeblich der Grund dafür war. Er flüchtet nach Florenz, wo er schnell Verbündete findet und feststellen muss, dass es ihm vorbestimmt ist, den bösen Mercurius zu besiegen und dadurch direkt zwei Welten zu retten...

Das Buch ist einfallsreich, spannend und unterhaltsam, mit sympathischen Helden und kindgerechten Themen. Allerdings sind die beschriebenen Monster sicher nichts für zu zartbesaitete junge Leser! Leider kam für mich kein richtiges historisches Flair auf, weil die Charaktere sehr modern sprechen und man auch recht wenig über die damalige Zeit erfährt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.06.2016
Der Schneegänger / Sanela Beara Bd.2
Herrmann, Elisabeth

Der Schneegänger / Sanela Beara Bd.2


sehr gut

Die Geschichte klingt erstmal sehr gradlinig: ein kleiner Junge verschwindet spurlos, ein paar Jahre später wird sein Skelett gefunden, schon nach wenigen Tagen wird der Vater als Hauptverdächtiger verhaftet. Zwischen den Eltern gab es oft Stress, wird gemunkelt. Medea-Syndrom, vermutet eine Ermittlerin: wenn ein Elternteil das Kind tötet, um den Partner zu bestrafen. Aber natürlich stellt sich schnell heraus, dass an diesem Fall absolut gar nichts einfach oder gradlinig ist. Die Ermittler graben eine Schicht nach der anderen ab, finden alte Schuld, alten Verrat, alten Neid, alte Gier... Und dennoch ist kein Ende in Sicht.

Die Wendungen (und Sackgassen!) haben mir gut gefallen, denn dadurch fand ich den Fall nicht vorhersehbar oder ausgelutscht! Ich bin nur so durch die 448 Seiten geflogen und habe mich dabei sehr gut unterhalten gefühlt. Spannend ist es in meinen Augen auch, obwohl das Augenmerk der Geschichte oft eher auf dem Drumherum liegt: auf dem Zwischenmenschlichem, das nicht immer direkt mit dem Fall zu tun hat.

Schon im ersten Band der Reihe ("Das Dorf der Mörder") verbiss sich Sanela Beara, die zu der Zeit nur eine kleine Streifenpolizistin war, in den damaligen Fall wie ein zu allem entschlossener Zwergpinscher und pfiff dabei munter auf Regeln und Befugnisse. Inzwischen ist sie keine Streifenpolizistin mehr, sondern Beamtin auf Probe im ersten Jahr des Masterstudiengangs Gehobener Polizeivollzugsdienst - aber immer noch wild entschlossen und nur zu bereit, aus der Reihe zu tanzen...

Sie ist ohne Zweifel hochintelligent, vielleicht sogar brillant, und dabei einfühlsam und sehr intuitiv: sie hat ein untrügliches Gespür dafür, was Menschen bewegt, aber nur wenig Geduld mit Bürokratie und den hierarchischen Strukturen bei der Polizei. Das macht sie zu einem kantigen, gelegentlich sperrigen Charakter, aber auch zu einem sehr interessanten! Sie war mir sympathisch, ich habe gerne über sie gelesen, nur manchmal hat mich nicht überzeugt, mit was sie alles durchkommt, ohne dass sie hochkant rausfliegt und sich von einer Karriere bei der Polizei endgültig verabschieden kann. Ab und an wirkte es auch mich fast schon überheblich, mit welcher Selbstverständlichkeit sie sich über die Regeln hinwegsetzt, weil sie sicher ist, dass sie alleine den Weg zur Wahrheit verfolgt. Außerdem ist sie verstörend anfällig für die Attraktivität von Tatverdächtigen...

Mit Kriminalhauptkommissar Lutz Gehring verbindet sie eine Art Hassliebe (meist mit Tendenz zum Hass), und obwohl sie sich im letzten Fall gegenseitig den letzten Nerv gekostet haben, fordert er sie auch dieses Mal wieder an. Schade fand ich, dass es relativ wenige Szenen gibt, in denen die beiden direkt miteinander zu tun haben, denn die Chemie zwischen ihnen ist sehr interessant! Keine Liebesgeschichte, aber da sprühen dennoch die Funken.

In "Der Schneegänger" folgt der Leser ihren Erlebnissen meist getrennt voneinander, und Sanela steht eindeutig mehr im Rampenlicht. Sie ermittelt auf eigene Faust, benutzt ihre Kontakte in der kroatischen Community, fordert alte Gefallen ein, sprich: bringt den Fall voran und findet Sachen heraus, und dabei bewegt sie sich auf verdammt dünnem Eis. Gehring dagegen verrennt sich in Sackgassen und räumt hinter ihr her, indem er ihr zum Beispiel nachträglich die Befugnis besorgt, versteckt zu ermitteln. Sehr bedauerlich, denn er verkauft sich meiner Meinung nach deutlich unter Wert!

Zitat:
"Die Last des Gewehrs schien zentnerschwer. Darko blieb stehen und musste sich an einem Baum abstützen. Der Wind trieb die Wolken vor sich her, und für einen kurzen Moment schimmerte silbernes Mondlicht durch die kahlen Äste. Wie viel Schuld trug er selbst? Alle. Er war unterwegs, um die Unschuld zu töten."

Den Schreibstil fand ich wieder großartig, sehr aussagekräftig und dabei voller Atmosphäre und ungewöhnlicher Metaphern.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.06.2016
Glennkill / Schaf-Thriller Bd.1
Swann, Leonie

Glennkill / Schaf-Thriller Bd.1


ausgezeichnet

Die Schafe von George Glenn sind eine bunt zusammengewürfelte Herde ganz normaler und doch außergewöhnlicher Schafe, wie zum Beispiel Miss Maple, das vielleicht klügste Schaf der Welt, Mopple the Whale, der verfressene Widder mit dem perfekten Gedächtnis, oder Zora, die es liebt, todesmutig auf der Klippe zu sitzen und die Kräuter des Abgrunds zu fressen.

Auch wenn sie nicht immer alles verstehen, lieben sie es, wenn Schäfer George ihnen vorliest. (Dumm ist nur, dass er den Krimi weggeworfen hat, bevor sie erfahren haben, wer der Mörder ist.) Doch eines Tages ist Schluss mit dem Vorlesen, denn George liegt tot auf der Wiese, mit einem Spaten in der Brust... Dieses Verbrechen können seine Schafe nicht ungesühnt lassen! Er war vielleicht nicht der beste Schäfer der Welt, aber er war IHR Schäfer! Und so machen sie sich auf, den Mord aufzuklären, mit ihrem begrenzten Wissen darüber, wie Menschen funktionieren.

Die erste Frage, die ich mir bei einer Buchbesprechung immer stelle, ist diese: ist die Geschichte originell und einfallsreich? Sprich, bringt der Autor oder die Autorin etwas Neues, was man so noch nie gelesen hat? Nur selten fiel mir die Beantwortung dieser Frage so leicht wie bei diesem Buch, und die Antwort lautet: Himmel, ja!!! Ich habe lange nichts so Erstaunliches mehr gelesen.

Es ist nicht nur die herrlich absurde Grundidee, dass diese Herde wolliger Möchtegern-Detektive fröhlich blökend losziehen, um ihrem Schäfer Gerechtigkeit zu verschaffen - die Geschichte setzt mit jedem Kapitel immer mal wieder einen drauf. Dabei fand ich unglaublich gut gelungen und glaubhaft, wie Leonie Swann ihren Lesern die Gefühlswelt, die Ansichten, sogar die Mythen und Aberglauben ihrer Schafe nahebringt. Denn natürlich sehen Schafe die Welt nicht so wie wir Menschen! Das ist oft zum Schreien komisch, hat aber auch Momente, die nachdenklich machen oder bestürzen, wenn zum Beispiel ein Schaf zum ersten Mal im Leben begreift, dass ein Metzger Schafe tötet, damit Menschen sie essen können...

Ich habe die gesamte Herde schon nach kurzer Zeit fest ins Herz geschlossen, mit all ihren Stärken und Schwächen. Jedes Schaf ist ein liebenswertes Unikat, und ich war fast ein bisschen traurig, dass ich keine Miss Maple und keinen Mopple in meinem Garten grasen habe...

Der Schreibstil hat mich ebenfalls voll überzeugt, denn er beherrscht viele Facetten. Nur weil es ein witziges Buch ist, heißt das nicht, dass es nicht manchmal auch ein dramatisches, trauriges oder philosophisches Buch sein kann, und Leonie Swann variiert Tonfall und Atmosphäre entsprechend.

Zitat:
»Wollt ihr denn gar nicht wissen, woran er gestorben ist?«
Sir Ritchfield sah sie erstaunt an. »Er ist an dem Spaten gestorben. Du hättest das auch nicht überlebt, so ein schweres Eisending mitten durch den Leib. Kein Wunder, dass er tot ist.« Ritchfield schauderte ein bisschen. »Und woher der Spaten?«
»Jemand hat ihn hineingesteckt.« Für Sir Ritchfield war die Sache damit erledigt (...).

Besonders der Humor war genau mein Geschmack: oft trocken, oft zum laut Losprusten, manchmal böse, aber in meinen Augen nie platt. Aber ich vermute, dass der Humor der Dreh- und Angelpunkt des Ganzen ist! Wer mit dem Humor nicht warm wird, für den ist das Buch wahrscheinlich nichts, aber das lässt sich ja durch Lesen der Leseprobe schnell feststellen.

Der eigentliche Kriminalfall ist auf absonderliche Weise spannend. Denn die Schafe haben wirklich keine Ahnung, wie Menschen denken, und ziehen deswegen oft die völlig falschen Schlüsse! Dennoch kann sich der Leser so nach und nach zusammenreimen, was passiert ist, und dennoch kommen die Schafe mit ihren Ermittlungen immer irgendwie weiter. Das muss eine Autorin auch erstmal schaf(f)en: auf tausend falschen Wegen zum Ziel.

Bewertung vom 21.06.2016
Daniel, mein jüdischer Bruder
Voelk, Marianne J.

Daniel, mein jüdischer Bruder


ausgezeichnet

Marianne J. Voelk erzählt in ihrem autobiographischen Buch von einer Zeit, die immer noch als das schwärzeste Kapitel der deutschen Geschichte gelten muss: dem Dritten Reich, geprägt von Hitlers wahnsinniger Kampagne der Eroberung und rassischen "Säuberung". Sie selber war noch ein kleines Mädchen, als Hitler an die Macht kam, und konnte und wollte nicht verstehen, warum ihr bester Freund Daniel auf einmal schlecht oder böse sein sollte, nur weil er Jude war.

Ihr Buch ist kein nüchternes Geschichtsbuch, in dem Jahreszahlen und Fakten aufgelistet werden, es ist erlebte, gefühlte Geschichte. Das Augenmerk ruht auf den ganz normalen Menschen und deren Leben: ihren Sorgen, Ängsten und Problemen, aber auch den Freuden und Hoffnungen, die sie dieser schwarzen Zeit abtrotzen konnten. "Eine berührende Geschichte, ohne moralischen Zeigefinger" sagt Dekan Christopher Krieghoff im Vorwort, und ich kann mich dieser Meinung nur anschließen.

Und dennoch ist es in meinen Augen ein ähnlich wichtiges Buch wie Anne Franks Tagebuch. Es zeigt, wie grausam der Mensch sein kann, aber auch wie mitfühlend und selbstlos. Denn Marianne berichtet von den Schrecken der Reichskristallnacht genauso wie von den vielen kleinen und großen Gesten der Nächstenliebe. Ihre Eltern riskieren ihr eigenes Leben und scheuen keine Mühen, um Daniel zu retten, und auch andere Menschen helfen aus - und wenn es nur dadurch ist, dass sie nicht melden, was sie wissen oder vermuten.

Die Geschichte hätte sich niemand spannender ausdenken können als das Leben sie geschrieben hat, mit mehr unerwarteten Wendungen und dramatischen Ereignissen. Ich habe beim Lesen die volle Bandbreite der Emotionen durchlebt, denn ich konnte gar nicht anders, als mit Rosalie (wie Marianne im Buch anfangs heißt), Daniel und deren Familien mitzufiebern.

Die Autorin hat einen sehr angenehmen, ruhigen Schreibstil, der auf übertriebenes Pathos verzichtet. Für mich war das genau richtig, denn die Geschichte ist auch schon dramatisch genug!

Fazit:
Das Buch erzählt eine wahre Geschichte, die die Autorin zur Zeit des Dritten Reiches erlebt hat: als jüdische Freunde ihrer Familie deportiert wurden, versteckten ihre Eltern deren Sohn und gaben ihn nach einem Umzug aus Land mit gefälschten Papieren jahrelang als ihr eigenes Kind aus.

Für mich war "Daniel, mein jüdischer Bruder" ein sehr berührendes, zum Nachdenken und Mitfühlen einladendes Buch. Es machte mich oft traurig oder wütend und ich habe die ein oder andere Träne vergossen, es gab aber auch schöne und sogar lustige Momente.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.06.2016
Das Kabinett der Wachsmalerin - Das Leben der Madame Tussaud - Zweiter Roman (eBook, ePUB)
Weiß, Sabine

Das Kabinett der Wachsmalerin - Das Leben der Madame Tussaud - Zweiter Roman (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Hinweis: "Das Kabinett der Wachsmalerin" ist das zweite Buch von Sabine Weiß über Madame Tussaud und folgt derem bewegten Leben vom Jahr 1802 bis zu ihrem Tod 1850. Da mir vor dem Lesen allerdings nicht bewusst war, dass es ein zweiter Band ist, kann ich jetzt guten Gewissens bezeugen: man kann dieses Buch auch lesen, ohne den ersten Band, "Die Wachsmalerin", gelesen zu haben. Die Dinge, die man wissen muss, fließen in Rückblicken oder den Gedanken der Charaktere immer wieder mit ein. Allerdings ist der erste Band bestimmt auch sehr lohnend!

Den meisten Menschen ist "Madame Tussauds" ein Begriff, schließlich tragen die berühmten Wachsfigurenkabinette in 23 Großstädten in den USA, Europa, Asien und Australien ihren Namen und sind ein beliebtes Ziel für Touristen. Auch ich habe bei einer Städtereise nach London das dortige Kabinett besucht, muss aber zugeben, dass ich vor diesem Buch über den Menschen Marie Tussaud rein gar nichts wusste.

Ich war beim Lesen immer wieder bass erstaunt, was ich da alles verpasst hatte! Denn Marie Tussaud hatte ein unglaublich turbulentes Leben voller dramatischer Höhen und Tiefen, und durch ihre Arbeit traf sie viele der Drahtzieher und Schlüsselfiguren ihrer Zeit persönlich - Könige und Königinnen, Politiker, Revolutionäre, Kaiser Napoleon und Marie Antoinette... Sie erlebte die Französische Revolution hautnah mit: nicht nur wurde sie gezwungen, Wachsabdrücke von den abgeschlagenen Köpfen hingerichteter Menschen zu nehmen, sie wurde auch selber in den Kerker geworfen!

Sabine Weiß ist es wirklich gelungen, mir diese außergewöhnliche Frau näher zu bringen. Intelligent, entschlossen und einfallsreich kämpft sie stets für den Erfolg ihres Wachsfigurenkabinetts, aber auch dessen Qualität und Anspruch. Obwohl sie in ihrem Kabinett in einem Nebenzimmer berüchtigte Verbrecher zeigt, will sie nicht durch billige Schockeffekte Geld scheffeln, sondern den Zeitgeist einfangen.

Zitat:
"Maries Erzählungen konnten den Wachsfiguren etwas hinzufügen, was sonst niemand bieten konnte. Sie war immer noch eine Augenzeugin, eine Zeitzeugin, eine Chronistin ihrer Zeit, so wie sie es schon früher gewesen war."

Alle Personen werden hier lebensecht und glaubhaft porträtiert, mit ihrem Stärken und Schwächen, und ich konnte mir immer gut vorstellen, dass sie im echten Leben genau so gehandelt und gesprochen hätten.

Auch spannend fand ich das Buch ungemein - das Leben schreibt manchmal einfach die unglaublichsten Geschichten. Hätte eine Autorin eine fiktive Protagonistin ersonnen, die all das erlebt, ich hätte es vielleicht kopfschüttelnd als Übertreibung abgetan... So aber habe ich mitgefiebert und mitgelitten, und das Buch hat mir nicht nur viel Spaß gemacht, sondern mir auch viel über das Lebensgefühl der damaligen Zeit beigebracht. Also eigentlich genau das, was Madame Tussaud mit ihrem Kabinett erreichen wollte!

Den Schreibstil fand ich wunderbar zu lesen, mit genau der richtigen Mischung aus geschichtlicher Wahrheit und literarischer Freiheit.

Wie man dem Nachwort entnehmen kann, hat die Autorin umfangreiche Recherchen betrieben, und das merkt man auch, denn sie zeichnet ein sehr umfassendes Bild des Lebens von Madame Tussaud und das, ohne langweilig zu werden.

Fazit:
Vor diesem Buch war mir herzlich wenig bekannt über Marie Grosholtz, die über ihren Tod hinaus bekannt wurde als Erschafferin des Wachsfigurenkabinetts "Madame Tussauds". Jetzt weiß ich, was für ein ereignisreiches, bewegtes, oft gefährliches Leben diese Frau geführt hat!

Sabine Weiß erzählt dieses Leben spannend, bewegend und unterhaltsam und zeichnet ein so liebevolles wie realistisches Bild von Madame Tussauds.

"Das Kabinett der Wachsmalerin" ist der zweite Band (den man aber auch als Einzelband lesen kann), der erste Band heißt einfach "Die Wachsmalerin".

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.