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MaWiOr
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Halle

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Insgesamt 3573 Bewertungen
Bewertung vom 05.09.2023
Venedig lockt
Burget, Marlies

Venedig lockt


ausgezeichnet

“Venedig sehen und sterben” lautet ein Sprichwort. Die Lagunenstadt gehört sicher zu den Sehenswürdigkeiten mit den meisten Besuchern. Seit jeher inspirierte sie Schriftsteller, Künstler, Musiker und Architekten. Doch seit Jahren ächzt die Perle an der Adria unter dem Massentourismus.

Marlies Burger, die schon einige Reiseführer über Italien veröffentlicht hat, lädt die Leser und Leserinnen zu inspirierenden Spaziergängen ein – „solange es noch geht“. Auf den knapp zwanzig Stadtrundgängen entlang der Kanäle, Paläste oder Kirchen macht sie vor allem mit den kunsthistorischen Highlights bekannt – mit der Piazza San Marco mit dem Dogenpalast und dem Campanile, mit der Rialtobrücke, der Friedhofsinsel San Michele oder der modernen Brücke von Santiago Calatrava, die seit Jahren die Gemüter erhitzt.

Meist übernachtet Burget in ihrem Lieblingsstadtviertel Cannaregio, denn sie will Venedig in sich einsaugen. Ihr besonderes Interesse gilt auch immer wieder den Kunstschätzen Venedigs. So sind zwei Rundgänge dem großen Maler Jacopo Tintoretto und der venezianischen Kunsthandwerk gewidmet. Natürlich fehlt auch eine Vaporettofahrt auf dem Canal Grande nicht.

„Venedig lockt“ ist kein üblicher Reisführer mit der Auflistung von Sehenswürdigkeiten, Gaststätten usw., vielmehr flaniert man mit der Autorin durch die Stadt, wobei sie neben historischen Informationen ihre Eindrücke und Gedanken schildert. Eingestreut sind auch verschiedene Zitate von Venedig-Liebhabern und einige typisch venezianische Rezepte. Die dezenten, aber aussagekräftigen Zeichnungen von Rainer Ilg verleihen der Neuerscheinung einen zusätzlichen besonderen Reiz. Eine äußerst empfehlenswerte Lektüre.

Bewertung vom 04.09.2023
Stellung beziehen: Käthe Kollwitz

Stellung beziehen: Käthe Kollwitz


ausgezeichnet

Die Grafikerin, Malerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz (1867-1945) war eine frühe Vertreterin des Sozialen Realismus. Ihre expressionistischen Druckgrafiken und Plastiken bildeten menschliches Leid ab und fingen das soziale und humane Elend ihrer Zeit ein. Kompromisslos setzte sie ihre Werke als politisches Ausdrucksmittel ein.

Kaum eine Künstlerin setzte sich mit dem Ersten Weltkrieg und seinen Folgen so intensiv auseinander, nachdem ihr jüngerer Sohn Peter als Freiwilliger am 22. Oktober 1914 gefal-len war. Die Ausstellung „Stellung beziehen – Käthe Kollwitz“ des Kunsthauses (18. August – 12. November 2023, danach Kunsthalle Bielefeld (23. März – 16. Juni 2024) macht mit dem vielfältigen Schaffen bekannt. In ihrem Œuvre verzichtete sie fast ausnahmslos auf Farbigkeit und zog dem malerischen Medium der Ölfarbe den schwarzen Strich der Kohle und die harten Konturen des Holzschnitts vor. In der Ausstellung treten die Arbeiten von Käthe Kollwitz außerdem in einen stillen Dialog mit den Installationen der palästinensisch-britischen Gegenwartskünstlerin Mona Hatoum.

Im Hirmer Verlag ist der reich illustrierte Katalog zu dieser bemerkenswerten Ausstellung erschien. Im Essayteil geben renommierte KunsthistorikerInnen nicht nur eine Einführung in Leben und Werk von Käthe Kollwitz sondern beleuchten auch einzelne Aspekte wie Inhalt, Form und Technik ihrer Druckgrafik oder ihre Ausstellungen in den USA, nachdem ihre Werke in Deutschland nicht mehr erlaubt waren: „Für Deutschland bin ich tot, aber für Amerika fange ich an, lebendig zu werden.“

Der umfangreiche Katalogteil gliedert sich dann in verschiedene Abschnitte – von „Frühe Jahre“ über „Porträts, Akte und Liebesszenen“, „Aufruhr und technische Virtuosität“ und „Abschied und Tod“ bis zu „Appelle und späte Werke“. Abschließend macht die Schweizer Kunsthistorikerin Jacqueline Burckhardt mit dem Werk (u.a. mit einigen Abbildungen ihrer Objektkunst) von Mona Hatoum bekannt, das in weiten Teilen biografisch geprägt ist. Fazit: Ein sehr informativer Katalog mit einer interessanten Gegenüberstellung.

Bewertung vom 03.09.2023
Das Herz des Hais
Becher, Ulrich

Das Herz des Hais


ausgezeichnet

Es gilt einen Schriftsteller wiederzuentdecken der leider in Vergessenheit geraten ist: Ulrich Becher (1910-1990). Und das mit dem Kurzroman „Das Herz des Hais“, der 1960 erstmals erschien. Erzählt wird die Geschichte des Basler Künstlerehepaares Turian, eines ebenso exzentrischen wie ungleichen Gespanns. Auf der einen Seite die junge, extravagante Malerin mit dem klangvollen Namen Lulubé, die für wilde Fasnachtsbräuche, Stierkampf und vulkanische Inseln schwärmt - auf der anderen Seite der ausgeglichene und etwas langweilige Gatte Angelus.

Während eines Urlaubs auf den Liparischen Inseln gerät die eher gemütliche Ehe außer Kontrolle. Hier begegnet die temperamentvolle Lulubé dem gutaussehenden englischen Archäologen John Crossman, der für sie der „Wilde Mann“ ist, die Verkörperung einer archetypischen Männlichkeit, nach der sie sich schon immer verzehrt hat. Als Lulubé ihn sucht, liegt auf der Straße, vor ihren Füßen das herausgerissene Herz eines Menschenhais. „Ich suche einen Mann. Hautfarbe egal. Einen Mann der Deine Herzensgüte […] im Kopf hat und dazu das Herz eines Hais“, schreibt sie in einem Abschiedsbrief an Angelus.

Becher lässt jedoch die Möglichkeit einer sich anbahnenden Liebesgeschichte offen. Neben der Dreiecksgeschichte beschreibt er auch eindrucksvoll die einmalige Natur der Liparischen Inseln. Becher wurde vielfach exotisches Erzählfieber attestiert. Ergänzt wird die Diogenes-Ausgabe durch das Nachwort „Ode an die unerschrockene Frau“ der österreichischen Schriftstellerin Eva Menasse, in dem sie besonders die weibliche Hauptfigur Lulubé näher beleuchtet.