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cosmea
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Witten
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Ich lese seit vielen Jahren sehr viel, vor allem Gegenwartsliteratur, aber auch Krimis und Thriller. Als Hobbyrezensentin äußere ich mich gern zu den gelesenen Büchern und gebe meine Tipps an Freunde und Bekannte weiter.

Bewertungen

Insgesamt 307 Bewertungen
Bewertung vom 03.06.2018
Wahrheit gegen Wahrheit
Cleveland, Karen

Wahrheit gegen Wahrheit


gut

Im Visier der Geheimdienste
In Karen Clevelands Debütroman “Wahrheit gegen Wahrheit“ (“Need to Know“) geht es um die Spionageabwehr-Analystin Vivian Miller, die in der Russlandabteilung der CIA arbeitet und der es gelingt, den Computer eines russischen Agentenführers mit Hilfe des von ihr entwickelten Algorithmus zu hacken. Was sie dabei entdeckt, stellt ihr ganzes bisheriges Leben auf den Kopf. Einer der fünf Schläfer der auf diese Weise entdeckten Zelle ist ihr Ehemann Matt. Wird sie ihn ausliefern und damit ihren vier Kindern den Vater nehmen, oder wird sie um jeden Preis versuchen, ihre Familie zusammenzuhalten? Die Entscheidungen, die sie in der Folge trifft, erweisen sich als Fehler und bringen sie in immer größere Schwierigkeiten. Sie kann nun niemandem mehr trauen, am wenigsten ihrem Ehemann. Vivian lässt Ereignisse, Äußerungen und Verhaltensweisen ihres Mannes in der Vergangenheit Revue passieren und begreift, in welchem Ausmaß sie manipuliert und verraten worden ist. Doch dann ist sie in ihrer Naivität genauso oft wieder bereit, ihm zu vertrauen. Ihr Umgang mit den Problemen wirkt wenig professionell. Sie lässt sich zunächst ausschließlich von ihren Gefühlen leiten und setzt die erworbenen beruflichen Fähigkeiten nicht ein.
“Wahrheit gegen Wahrheit“ ist eine Mischung aus Spionageroman und Beziehungsgeschichte mit einer überraschenden Wendung am Schluss. Der Familienalltag der Millers und die Vorgeschichte des Paares nehmen breiten Raum ein. Auch wenn es kein Thriller ist, fand ich das Buch durchaus spannend und lesbar. Große Literatur ist das allerdings nicht. Es fehlt insgesamt an Tiefgang, und die Charakterisierung der Protagonisten überzeugt nicht. Dafür scheint der Roman eine gute Vorlage für eine Verfilmung zu sein. Da überrascht es nicht, dass die Filmrechte sofort verkauft wurden und eine Verfilmung mit Charlize Theron geplant ist.

Bewertung vom 21.05.2018
NACHTWILD
Phillips, Susan Elizabeth

NACHTWILD


sehr gut

Treibjagd im Zoo
In “Nachtwild“ von Gin Phillips geht es um eine Mutter – Joan -, die wie schon häufig den Zoo mit ihrem vierjährigen Sohn Lincoln besucht. Sie haben ihre Lieblingsplätze besucht und ihre üblichen Rituale absolviert, als plötzlich explosionsartige Geräusche zu hören sind. Joan eilt mit Lincoln Richtung Ausgang, wo sie mehrere Tote am Boden liegen und einen jungen Mann mit einer Waffe sieht. Sie läuft zurück und versteckt sich in einem leeren Gehege, später noch an anderen Stellen, wo sie auf weitere Überlebende trifft. Alle sind gefangen wie sonst nur die Tiere im Zoo.
Im Folgenden geht es um die vielen Entscheidungen, die Joan treffen muss, um ihr Überleben zu ermöglichen. Polizisten tauchen erst am Ende auf. Sie ist auf sich allein gestellt und muss ihren Sohn ständig dazu anhalten, leise zu sein, damit sie sich nicht verraten und darf ihn trotzdem nicht ängstigen, weil seine Reaktionen dann unkalkulierbar werden könnten. Joan muss schließlich ein sicheres Versteck verlassen, um aus den Automaten etwas Essbares zu besorgen, weil bei ihrem Sohn Unterzuckerung droht – mit weiteren unabsehbaren Folgen.
Die Autorin beschreibt einen Zeitraum von etwas über drei Stunden überwiegend aus der Perspektive der Mutter. Sie zeigt, wie eng das Verhältnis zwischen Mutter und Kind ist, wie sie alle Entscheidungen ausschließlich unter dem Gesichtspunkt trifft, dass sie sein Leben retten will. Dabei ist sie sich durchaus der damit verbundenen ethischen Probleme bewusst. Hat sie das Recht, ein Baby nicht zu retten, das ihnen allen durch sein Schreien den Tod bringen könnte?
Der kammerspielartig konstruierte Roman mit der klassischen Einheit von Raum, Zeit und Handlung kommt ohne Gewaltorgien aus, ist aber dennoch packend, wenn auch nicht ganz so spannend, wie in den Werbetexten angekündigt. Die unerwartete Bedrohung durch einen oder mehrere Killer ist kein Produkt der Fantasie von Phillipps, sondern real genug, wie die Schulschießereien – zuletzt in Texas -, die seit dem Massaker an der Columbine High School am 20. April 1999 die USA erschüttern, immer wieder zeigen. “Nachtwild“ macht deutlich, was Mutterschaft und –liebe bedeuten, welche Ängste um ihr Kind eine Mutter von seiner Geburt an umtreiben und zu welchen Opfern sie um seinetwillen bereit ist. Die Autorin charakterisiert ihre Figuren sorgfältig, vor allem Joan und den lebhaften, ungewöhnlich frühreifen vierjährigen Lincoln. Ein lesenswerter, ziemlich ungewöhnlicher Thriller.

Bewertung vom 08.04.2018
Das Eis
Paull, Laline

Das Eis


sehr gut

Interessenkonflikte
“Das Eis“ ist nach ihrem Debütroman “Die Bienen“ Laline Paulls zweiter Roman. Schauplatz der Handlung ist überwiegend die Arktis. Ein Kreuzfahrtschiff mit vielen enttäuschten Passagieren, denen man werbewirksam die Sichtung von Eisbären versprochen hatte, durchqueren eine Passage. Dann sehen sie nicht nur einen riesigen Eisbären, sondern auch einen kalbenden Gletscher, der eine Leiche freigibt. Wie sich herausstellt, handelt es sich um den drei Jahre zuvor verschwundenen Umweltaktivisten Tom Harding. Sein Freund und Geschäftspartner Sean Cawson wird in London telefonisch von seinem Mentor Joe Kingsmith informiert.
Sean Cawson wird in der Folge massiv mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Da gibt es nicht nur seine gescheiterte Ehe, die zerstörte Beziehung zu seiner Tochter Rosie, sondern vor allem die mysteriösen Umstände von Toms Verschwinden und Tod. In zahlreichen Rückblenden wird die Geschichte nachgeholt: wie sich Tom und Sean als Studenten kennenlernten und durch ihre Liebe zur Arktis verbunden eine tiefe Freundschaft entwickelten, wie Sean in die Fänge seines Mentors Joe Kingsmith, eines dubiosen, immens reichen Geschäftsmannes geriet, der auch Sean durch Beratung und geschickte Investitionen reich machte. Während Tom zeitweise Chef von Greenpeace war, findet Sean immer mehr Geschmack an Reichtum und Macht, wodurch ihre Freundschaft nicht gerade konfliktfrei ist. Für ein großes Projekt finden sie dann noch einmal zusammen. Sie entwickeln das Geschäftsmodell einer exklusiven Lodge für betuchte Gäste, das sich gleichzeitig dem Umweltschutz verpflichtet.
In der Erzählgegenwart muss sich Sean als Zeuge einer gerichtlichen Untersuchung stellen, die Klarheit über Toms Tod und Seans mögliche Verstrickung in die Ereignisse bringen soll, denn er war der Letzte, der Tom lebend in einer einstürzenden Eishöhle gesehen hat, aus der er sich lebend retten konnte.
Der von der Zeitstruktur her komplizierte Roman ist zugleich Umweltthriller und Gerichtsdrama. Die globale Erwärmung, die zum Schmelzen der Polkappen und zum Einsturz der Höhle führt, existiert in der Realität. Interessanterweise schrieb Paull das Buch, noch bevor Donald Trump den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen ankündigte und zeigt die Brisanz des Themas. Anfangs nicht frei von Längen gewinnt das Buch zunehmend an Tempo und Spannung, zum Beispiel wenn die Autorin zeigt, wie weit Menschen in ihrer Gier nach Macht und Reichtum zu gehen bereit sind. Laline Paull beschreibt erneut reale, vom Menschen verursachte Entwicklungen, die die Zukunft der Menschheit gefährden. Im ersten Roman war es das verhängnisvolle Bienensterben, im neuen Buch die Klimakatastrophe mit all ihren desaströsen Folgen. Man kann sagen, dass die Autorin die Schwierigkeit, eine fiktive Handlung mit einem ernsten Anliegen zu verknüpfen, recht gut meistert.

Bewertung vom 08.04.2018
Kleine Feuer überall
Ng, Celeste

Kleine Feuer überall


ausgezeichnet

Familiengeheimnisse
Kleine Feuer überall“ ist Celest Ngs zweiter Roman nach ihrem hochgelobten Debüt. Die Familie Richardson lebt in Shaker Heights, einem Vorort von Cleveland Ohio, wo fast ausschließlich Reiche leben. Auch die Richardsons sind ein gutsituiertes Ehepaar der oberen Mittelschicht. Bill ist Partner in einer Sozietät, Elena schreibt als Journalistin harmlose Artikel für eine kleine lokale Zeitung. Sie haben vier Kinder. Nur Isabelle genannt Izzy, die Jüngste, macht Probleme. Alles scheint perfekt in dieser Siedlung, wo alles geregelt ist, sogar der Fassadenanstrich.. Alles verläuft nach festgelegten Regeln. Elena hat dieses Prinzip verinnerlicht und duldet auch nach außen keine Abweichungen in ihrer scheinbar perfekten Familie.
Eines Tages brennen in ihrem Haus kleine Feuer in sechs Schlafzimmern gleichzeitig. Die meisten Mitglieder waren zum Zeitpunkt des Ausbruchs abwesend. Nur Izzy ist und bleibt verschwunden. Hat die 15jährige die Brände gelegt und wenn ja warum? Oder hat die Mieterin einer Wohnung der Richardsons in ihrem geerbten Haus etwas damit zu tun? Mrs Richardson wollte ein gutes Werk tun, indem sie der mittellosen alleinerziehenden Fotografin Mia Warren und ihrer 15jährigen Tochter Pearl die Wohnung überließ. Mutter und Tochter sind am Vorabend überstürzt ausgezogen.
Ein zweiter Konflikt spaltet seit einiger Zeit die Bewohner von Shaker Heights. Eine mittellose Chinesin hatte ihr Baby in einer extremen Notlage ausgesetzt, ein reiches kinderloses Ehepaar aus dem Freundeskreis der Richardson bemüht sich um die Adoption. Die Mutter, eine Arbeitskollegin von Mia, verlangt ihr Kind zurück. Ein Richter muss entscheiden, wer das Kind bekommt – die leibliche Mutter oder das reiche Ehepaar. Was zählt mehr? Biologie oder die materiellen Gegebenheiten? Mia und Elena stehen auf verschiedenen Seiten. Da Elena Mias Motiven misstraut, beschließt sie, Mias Vergangenheit zu erforschen und ihre Geheimnisse ans Licht zu bringen. Es erfüllt sie mit großem Unbehagen, dass ihre Kinder sich mit Pearl anfreunden und zunehmend unter den Einfluss der Mutter geraten. Sie sieht in Mias gegensätzlichem Lebensentwurf eine wachsende Gefahr für ihre eigene häusliche Idylle.
Die Geschichte wird aus wechselnden Perspektiven erzählt und enthält zahlreiche Rückblenden. Wie raffiniert die Erzählstruktur ist, zeigt sich, wenn Elena Mias Vergangenheit erforscht. Mias Vorgeschichte und künstlerischer Werdegang werden von einem allwissenden Erzähler in aller Breite dargestellt. Was da berichtet wird, ist nicht das Ergebnis von Elenas Recherchen. Derselbe Erzähler gibt in Vorausdeutungen auch zahlreiche Hinweise auf die Zukunft.
Der sehr gut geschriebene Roman mit sorgfältiger Charakterisierung auch der Nebenfiguren spricht mehrere wichtige Themen an. Es geht um die Bedeutung von Mutterschaft und die Beziehung von Müttern und Töchtern an gleich mehreren Beispielen, um Rasse und Identität, um die Macht von Geheimnissen, die in den Familien ihre zerstörerische Wirkung entfalten, um angepasstes und unkonventionelles Leben.
Sehr gelungen finde ich die im Titel und der Eingangsszene enthaltene Thematik des Feuers. Die realen Feuer werden auf der metaphorischen Ebene mehrfach gespiegelt. Elena war immer überzeugt, dass man die gefährlichen Feuer der Leidenschaft löschen muss, sonst werden sie zum Flächenbrand. Sie hat den Funken der Rebellion und alle weitergehenden Ambitionen frühzeitig in sich erstickt – zugunsten eines angepassten, strikten Regeln gehorchenden Lebens. An Mia Warren sieht sie, welche Chancen sie dadurch verpasst hat. Vor Schaden hat sie dieses Leben nicht bewahrt. Sie selbst hat letztliche das fragile Gebilde ihrer scheinbar perfekten Familie durch ihre skrupellosen Recherchen zum Einsturz gebracht. Mia gibt Izzy ihre Erkenntnis mit auf den Weg, dass man manchmal alles niederbrennen muss, um sich zu befreien und neu anzufangen. Ein bemerkenswerter, auch sprachlich hervorragender Roman.

Bewertung vom 30.03.2018
Krokodilwächter / Kørner & Werner Bd.1
Engberg, Katrine

Krokodilwächter / Kørner & Werner Bd.1


sehr gut

Wenn Realität und Fiktion sich berühren
“Krokodilwächter“ ist Katrine Engbergs Thrillerdebüt. Der Roman schaffte es gleich auf die dänische Bestsellerliste - völlig zu Recht.
Esther de Laurenti, Professorin im Ruhestand, genießt ihr Leben. Sie feiert mit Freunden, nimmt Gesangsstunden bei ihrem jungen Freund Kristoffer und schreibt an einem Kriminalroman. Sie lebt im obersten Stock ihres Hauses in der Kopenhagener Innenstadt. Die anderen Etagen sind vermietet. Eines Tages passiert etwas Unvorstellbares: Ihr alter Mieter Gregers sieht durch die geöffnete Wohnungstür die Leiche einer jungen Frau und erleidet einen Herzanfall. Esther erfährt erst durch die Ermittler Jeppe Korner und seine Kollegin Anette Werner, dass eine Mieterin in ihrem Haus grausam ermordet worden ist. Das Makabre an der Sache ist, dass der Tathergang stark an eine Szene aus dem Manuskript ihres Kriminalromans erinnert. Dadurch gerät sie selbst unter Verdacht.
Im Folgenden gehen die Ermittler einer Vielzahl von Spuren nach – über lange Zeit ohne Ergebnis. Es werden zahlreiche falsche Fährten gelegt. Erraten kann man die Auflösung nicht wirklich, nur ahnen, welche Ereignisse in der Vergangenheit zu diesem und weiteren Verbrechen geführt haben. Engberg ist ein spannender Thriller mit sorgfältig gezeichneten Charakteren gelungen. Das sympathische Polizistengespann Jeppe Korner und Anette Werner macht neugierig auf die angekündigten Folgebände, wobei der physisch und psychisch angegriffene Jeppe deutlich in der Tradition der beschädigten Ermittlerpersönlichkeiten von Mankells Wallander und Co. steht. Ich habe diesen Roman gern gelesen und empfehle ihn ohne Einschränkung.

Bewertung vom 14.03.2018
Höllenjazz in New Orleans / City-Blues-Quartett Bd.1
Celestin, Ray

Höllenjazz in New Orleans / City-Blues-Quartett Bd.1


ausgezeichnet

Ein Serienkiller als Jazzliebhaber?
“Höllenjazz in New Orleans“ (Original: “The Axeman´ s Jazz“) von Ray Celestin ist der Auftakt einer vierteiligen Krimiserie. Er basiert zum Teil auf tatsächlichen Ereignissen und enthält real existierende Personen, z.B. Louis Armstrong und andere bekannte Jazzmusiker. Von 1918-1919 ermordete ein unbekannter Serienkiller eine Reihe von italienischen Ladenbesitzern. Es waren blutige Axtmorde, und der Killer hinterließ jedes Mal einige Tarotkarten am Tatort oder sogar in den Wunden der Opfer. Dann kündigt er in einem Brief an die Lokalzeitung weitere Morde an und fordert die Menschen auf, an einem bestimmten Tag um 0.15 Jazz in ihren Häusern erklingen zu lassen, andernfalls würden sie die nächsten Opfer sein. In New Orleans breitet sich Panik aus. Die Polizei tappt im Dunkeln.
Detective Lieutenant Michael Talbot arbeitet hart an dem Fall, kann aber bisher keine Ergebnisse vorweisen. Er hat sowieso einen schweren Stand, seit er seinen früheren Mentor Luca d´Andrea wegen Korruption angezeigt hat. Außerdem verbreitet sich in der extrem rassistischen Stadt das Gerücht, dass er mit einer Farbigen zusammenlebt.
In diesem zwar sehr umfangreichen, aber außerordentlich spannenden Krimi gibt es nicht einen, sondern drei Ermittler. Außer dem Polizisten Talbot versucht auch Luca d´Andrea nach seiner Entlassung aus 6jähriger Haft im Auftrag der Mafia den Mörder zu identifizieren, der es durch die Wahl seiner Opfer offensichtlich darauf anlegt, die Mafia zu diskreditieren. Luca hat als Vollwaise frühzeitig den Schutz seiner Landsleute gesucht und kann sich auch jetzt nicht aus den Fängen des Matranga-Clans befreien. Die 19jährige Ida Davis, Angestellte der Pinkerton Detetektivagentur, ermittelt zusammen mit ihrem Freund Louis Armstrong. Sie ist die langweilige Büroarbeit leid und hat Hinweise, dass ihr Chef John Lefebvre irgendwie in die Sache verwickelt ist. Alle drei Ermittler haben Informanten und gehen wichtigen Spuren nach. Alle drei geraten in Lebensgefahr wie auch einige andere, die dem Axeman zu nahe kommen. Jeder von ihnen bekommt einen Zipfel der Wahrheit zu packen, aber nur der Leser weiß am Ende, was genau passiert ist und warum.
Der Krimi besticht jedoch nicht nur durch seine raffinierte Struktur, sondern auch durch seine Themenvielfalt. Der Autor zeichnet mit viel Lokalkolorit und Detailgenauigkeit das Bild einer chaotischen, aber auch sehr lebendigen Stadt, wo Rassentrennung, das unselige Wirken der mächtigen Mafia-Clans, Korruption bis in die Spitzen der Politik und Gewalt das Leben bestimmen, das zusätzlich immer wieder durch schwere Stürme und Überschwemmungen bedroht wird. Der Roman ist für einen Krimi überdurchschnittlich gehaltvoll und dennoch sehr lesbar und sprachlich überzeugend. Mir hat der Roman hervorragend gefallen.

Bewertung vom 25.02.2018
Kühn hat Ärger / Martin Kühn Bd.2
Weiler, Jan

Kühn hat Ärger / Martin Kühn Bd.2


sehr gut

Kühn hat jede Menge Probleme
Kommissar Martin Kühn hat nach einem Burnout erst kürzlich seinen Dienst wieder angetreten. Da häufen sich auch schon die Probleme. Sein Kollege Steierer, den er eigentlich als seinen Freund betrachtet, wird beruflich zum Rivalen. In seiner Ehe kriselt es, er selbst fühlt sich zu einer jungen Kollegin hingezogen. Außerdem erfährt er, dass er ist nicht gesund ist, und nun muss er im Mordfall Amir Bilal ermitteln. Der 17jährige gebürtige Libanese ist an einer Tramhaltestelle auf bestialische Weise ermordet worden. Der junge Mann aus einfachen Verhältnissen hatte sich in Julia van Hauten verliebt, und sie waren seit einiger Zeit ein Paar. Die ungeheuer reiche Familie van Hauten hatte Amir freundlich und vorurteilsfrei aufgenommen. Frau van Hauten engagiert sich für junge Menschen aus prekären Verhältnissen und spendet sehr viel Geld für wohltätige Zwecke. Auch Kommissar Kühn lernt ihre Großzügigkeit und Gastfreundschaft kennen und damit eine Welt, die ihm ebenfalls bisher fremd war. Bei den van Hautens wirkt alles perfekt. Kühn befragt dennoch die Familie und die jungen Leute, die hier an Amirs letztem Abend vor seiner Ermordung zu Gast waren. Der Verdacht der Polizisten richtet sich jedoch von Anfang an eher gegen die rechte ausländerfeindliche Szene, die mit ihrer Bürgerwehr auch auf der Weberhöhe aktiv ist, wo Kühn wohnt. Hier leben Tausende von Menschen auf dem mit Chemikalien verseuchten Gelände einer ehemaligen Munitionsfabrik und müssen mit dem giftigen Pilzbefall in ihren Kellern leben. Neben der Aufklärung des Verbrechens an Amir spielt auch diese Thematik eine große Rolle in dem Roman, zumal hier auch ein zunächst unbekannter Erpresser ein Mädchen mit einem vergifteten Joghurt tötet. Kühn sieht sofort einen Zusammenhang mit der Situation der Menschen auf der Weberhöhe.
Jan Weilers neuer Krimi um Kommissar Kühn hat mir gut gefallen – wie schon sein Vorgänger “Kühn hat zu tun.“ Für mich punktet der Roman durch die sorgfältige Charakterisierung des sympathischen Martin Kühn und die hervorragende sprachliche Qualität. Die Auflösung kommt zwar nicht völlig überraschend, aber spannend ist der Roman dennoch. Ein empfehlenswertes Buch.

Bewertung vom 14.02.2018
In eisiger Nacht / Detective Max Wolfe Bd.4
Parsons, Tony

In eisiger Nacht / Detective Max Wolfe Bd.4


sehr gut

Menschenschmuggel
“In eisiger Nacht“ ist Tony Parsons vierter Kriminalroman in der Serie um den Ermittler Max Wolfe. Eines Tages wird die Polizei informiert, dass in Londons Chinatown ein verdächtiger Lastwagen geparkt ist. Die Polizei findet in dem Kühllaster die Leichen von elf erfrorenen Frauen. Eine zwölfte liegt im Sterben. 13 aufgefundene, überwiegend gefälschte Pässe deuten darauf hin, dass es eine weitere Frau gibt, die sich jedoch nicht im Kühlraum aufgehalten hat. Tom Wolfe setzt alles daran, den Tod der Frauen aufzuklären und die Verschwundene zu finden. Die Spuren führen in die Nähe von Calais, wo sich illegale Flüchtlinge aufhalten, die bereit sind, alles für eine Einreise nach Großbritannien zu riskieren. Max Wolfe hat es mit Menschenschmuggel und der Ausbeutung von Frauen in dubiosen Etablissements zu tun. Er selbst geht hohe Risiken ein, findet er doch lange keinen Anhaltspunkt, welcher kriminelle Clan hinter dem Verbrechen steht. Die Dinge eskalieren, es gibt weitere Tote – auch bei der Polizei -, bis Wolfe die Zusammenhänge durchschaut.

Der Roman erzählt spannend und temporeich eine Geschichte, die brandaktuell ist. Sein Ermittler ist ein sympathischer Protagonist, den man als Leser gern begleitet. Er ist alleinerziehender Vater von Scout, seiner 6jährigen Tochter und kümmert sich um sie und um den geliebten Familienhund Stan. Max fühlt sich zu seiner Kollegin Edie Wren hingezogen und muss sich irgendwie mit seiner strengen Chefin Whitestone arrangieren. Mir hat das Buch gut gefallen, und ich werde sicher auch die drei vorausgehenden Bände lesen.

Bewertung vom 31.01.2018
Die amerikanische Prinzessin
Zijl, Annejet van der

Die amerikanische Prinzessin


ausgezeichnet

Über den Umgang mit Verlusten
“Die amerikanische Prinzessin“, das neue Buch der sehr erfolgreichen und mehrfach ausgezeichneten niederländischen Sachbuchautorin Annejet van der Zijl, erzählt eine außergewöhnliche Lebensgeschichte. Allene Tew wurde 1872 in der amerikanischen Provinz geboren, wurde durch ihre ersten Ehen immens reich, obwohl ihr Vater der am wenigsten ehrgeizige Spross einer großen und schon in der zweiten Generation erfolgreichen und gesellschaftlich anerkannten Familie aus den Chatauqua County war. Aus der ersten Ehe stammten ihre drei Kinder, von denen Tochter Greta und Sohn Ted das Erwachsenenalter erreichten, aber im Jahr 1918 beide starben. Ihre ersten beiden Ehen wurden geschieden. Anson Burchard, ihr dritter Ehemann, war die Liebe ihres Lebens, verstarb aber ebenfalls viel zu früh. Die Witwe ging 1927 an Bord der Mauretania und begann in Europa ein neues Leben. Sie heiratete einen Prinzen, danach noch einen russischen Grafen. Sie war trotz mehrerer Wirtschaftskrisen eine sehr reiche Frau und auch deshalb eine gute Partie für verarmte europäische Adlige. Sie führte ein Leben im Luxus reiste sehr viel, hatte zahlreiche Häuser in Europa und den USA und ein Netzwerk von Freunden, die ihr Leben begleiteten, denn von ihrer engsten Familie war bis auf den Stiefsohn aus der vierten Ehe, den sie wie einen eigenen Sohn behandelte, niemand übrig.
In ihrer sorgfältig recherchierten Biografie beschreibt die Autorin ein Frauenleben vor dem Hintergrund von zwei Weltkriegen, einer Revolution, Wirtschaftskrisen und verschiedenen gesellschaftlichen Umbrüchen. Allene musste immer wieder Verluste hinnehmen, verlor die Menschen, die ihr nahestanden, aber sie gab nie auf. Sie ging unbeirrbar ihren Weg und besaß den Mut und die Kraft, immer wieder neu anzufangen. Sie hat ihr Motto “Courage all the time“ tatsächlich gelebt. Allene schaute niemals zurück, immer nur nach vorn und sprach nie über Trauer und Schmerz. Die Autorin hat über diese ungewöhnliche Frau keine trockene Abhandlung , sondern eine sehr lebendige, gut geschriebene Biografie verfasst, die zugleich ein Abriss der Geschichte des ausgehenden 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist. Ich spreche dafür eine unbedingte Empfehlung aus.

Bewertung vom 22.01.2018
Ein mögliches Leben
Köhler, Hannes

Ein mögliches Leben


sehr gut

Der amerikanische Traum
In dem Roman “Ein mögliches Leben“ von Hannes Köhler geht es um deutsche Soldaten in amerikanischer Kriegsgefangenschaft, ein Thema, über das ich bisher sehr wenig wusste.
Der fast 90jährige Franz Schneider erzählt seinem Enkel Martin, dass er die Orte in Texas und Utah, an denen er gefangen gehalten wurde, gern noch einmal sehen würde. Martin ist einverstanden. Sie begeben sich auf eine Reise in die Vergangenheit und entwickeln dabei ein neues Verständnis für einander und eine nie dagewesene Nähe. Martins Leben befindet sich gerade im Umbruch, und ihm tut ein bisschen Abstand und Zeit zum Nachdenken ebenfalls gut. Der Großvater erzählt viel vom Krieg und der Zeit danach. Vom eigenen Vater von klein auf indoktriniert ist er als Anhänger Hitlers in den Krieg gezogen. Die Realität des Krieges hat ihn aber bald bekehrt. Im Lager findet er Freunde, vor allem den Deutschamerikaner Paul, der dem einfachen Bergmann die englische Sprache und Bücher näher bringt, aber er hat es auch mit gefährlichen Unbelehrbaren zu tun, die noch immer an den Endsieg glauben und auch im Lager vor Mord nicht zurückschrecken, um angebliche Verräter zu bestrafen. Das alles wird nicht in einer zusammenfassenden Erzählung dargeboten, sondern in lebendigen Szenen, die die Geschehnisse vor 70 Jahren sehr präsent werden lassen. Die Geschichte wird auf zwei Zeitebenen erzählt, springt ständig zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her. Martin und seine Mutter Barbara erfahren nun endlich, welchen Einfluss die Erlebnisse des Großvaters auf die Familie hatten und wie sie sogar bis in die Gegenwart fortwirken. Endlich versteht die Mutter, was zu der enormen Distanz und Kälte geführt hat, die das Leben der Familie bestimmt hat. Franz Schneider hatte nach Kriegsende die Wahl zwischen der Auswanderung in die USA und einem Leben in Deutschland. Er hat sich für die endgültige Rückkehr nach Deutschland entschieden, weil er seine Frau Johanna kennengelernt hatte und Tochter Barbara geboren wurde und seine Frau sich weigerte zu emigrieren. So beschreibt der Roman nicht nur die Verhältnisse in den amerikanischen Lagern bis zum Kriegsende, sondern auch, was es für Franz Schneider bedeutete, sich gegen ein Leben in der Weite und Freiheit der USA und möglicherweise sogar gegen die Liebe seines Lebens zu entscheiden, gegen den möglichen, aber nie verwirklichten Traum. Durch die Gespräche mit Tochter und Enkel nach der Rückkehr gibt es endlich eine späte Chance für eine Annäherung.
Mir hat der Roman gut gefallen. Die Geschichte liest sich spannend. Charakterisierung und sprachliche Gestaltung überzeugen. Ein sehr interessantes Buch.