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Benutzername: 
Glüxklaus
Wohnort: 
Franken

Bewertungen

Insgesamt 612 Bewertungen
Bewertung vom 10.05.2022
Hektor und das Schokokuchen-Schul-Schlamassel
Becker, Carola

Hektor und das Schokokuchen-Schul-Schlamassel


ausgezeichnet

Ein Lemming in der Schule - witziges, buntes Schulabenteuer

Hektor ist ein Lemming und angehender Spezialagent. Eines Tages landet er durch unglückliche Umstände in der Tiervermittlung „Pfotenglück“. Dort findet Arthur ihn und möchte ihn sofort als sein Haustier haben. Mit Hektor als Mitbewohner wird es nicht langweilig, er sorgt immer wieder für Unruhe und Turbulenzen. Als Arthur eine neue Klassenlehrerin bekommt, die gefürchtete „schreckliche Rita“ und Hektor sich in Arthurs Mäppchen versteckt, nimmt das Unheil seinen Lauf…

Autorin Carola Becker schreibt lebendig, abwechslungsreich und kindgemäß mit viel wörtlicher Rede. Jede Seite ist durch zahlreiche bunte Illustrationen motivierend und ansprechend gestaltet. Über die drolligen Bilder werden die Leser sicher immer wieder schmunzeln müssen.
Die Schrift ist größer gedruckt und aufgrund des weiten Zeilenabstands auch für Leseanfänger gut lesbar. Die Kapitel haben eine übersichtliche Länge. Das Buch richtet sich an Kinder ab sieben Jahren.

Hektor ist eine absolut niedliche Hauptfigur. Wo er auftaucht, droht eine Katastrophe. Ob das an seiner Verfressenheit liegt oder daran, dass er so abenteuerlustig ist? Sein Herrchen Arthut bringt er jedenfalls häufig in die Bredouille. Mit dem sympathischen Arthur, der manchmal gar nicht weiß, wie ihm geschieht, können sich die Kinder dabei sicher gut identifizieren.
Eine besondere Figur ist Frau Agenta, die für einige Überraschungen gut ist.

Ein Lemming als Haustier ist natürlich ziemlich ungewöhnlich und eine originelle Grundidee. Arthur erlebt mit Hektor ein turbulentes, chaotisches und sehr unterhaltsames Abenteuer mit vielen lustigen Szenen. Eine etwas andere, erfrischende Schulgeschichte für alle, die normal langweilig finden und es lieber schräg, komisch, spannend und unvorhersehbar mögen. Bei „Hektor und das Schokokuchen-Schul-Schlamassel“ ist Spaß garantiert.

Bewertung vom 29.04.2022
Das Mädchen mit dem Drachen
Colombani, Laëtitia

Das Mädchen mit dem Drachen


ausgezeichnet

„Das Unmögliche erreichen wir nicht, aber es dient als Laterne“ - kleiner Roman mit großer Botschaft

Lehrerin Léna hat in ihrer Heimat Frankreich Traumatisches erlebt. In Indien, am Golf von Bengalen, möchte sie die Vergangenheit hinter sich lassen. Als sie die kleine Lalita am Strand beim Spielen mit ihrem Drachen beobachtet, spürt Léna sofort eine besondere Verbindung zu dem Mädchen. Eines Tages wird Léna von einer Welle mitgerissen und gerät in Gefahr, zu ertrinken. Lalita informiert umgehend Preeti, eine junge Frau, die Mädchen Selbstverteidigung beibringt. Léna wird so schließlich gerettet. Später erfährt Léna, dass weder Lalita noch Preeti lesen und schreiben können. Sie beschließt, das zu ändern. Auch wenn das für alle Beteiligten eine große Herausforderung bedeutet, denn „Lesen lernen ist ein Marathon. Dafür eignet sich ein Langstreckenläufer besser als ein Gelegenheitssprinter.“

Laetitia Colombanis Sätze sind klar strukturiert und gut verständlich. Die Autorin schreibt bildhaft im Präsens.
Das schlichte, aussagekräftige und kontrastreiche Cover - einerseits die weißen, hübschen, filigranen Blumen, anderseits der dichte, schwere, schwarze Schatten des Mädchens - passt gut zur Stimmung des Buches.

Léna hat ihren Mann Francois auf tragische Weise verloren. Sie kämpft sehr mit dem Verlust, ihre Welt ist aus den Fugen geraten. Léna droht gar in Depressionen zu verfallen. Doch als sie Lalita näher kennenlernt, erfährt sie, wie es um die Situation vieler Mädchen in Indien bestellt ist. Sie trifft die mutige, folgenschwere Entscheidung, etwas zu unternehmen.
Lalita spricht nicht, sie wächst bei ihren Zieheltern James und Mary auf, die auf ihre Arbeitskraft bauen. Das Mädchen ist intelligent, neugierig und wissbegierig, hat aber aktuell keine Chance auf ein besseres Leben. Léna möchte dies ändern.
Preeti hat es sich zur Aufgabe gemacht, Mädchen vor Angriffen zu beschützen. Gemeinsam mit anderen jungen Frauen bildet sie die Mädchen aus, sich körperlich zu wehren. Preeti hat ein aufbrausendes Temperament, ist oft wütend, willensstark und wirkt unverwüstlich, sie gibt nicht auf. Preeti unterstützt Léna, macht ihr Vorhaben, eine Schule zu gründen, erst möglich. Die drei Hauptfiguren sind zwar recht „plakativ“ und wenig tiefgründig angelegt, dennoch bewegen ihr Schicksale, sie reißen mit.
Lalita dürfte manchen Lesern schon aus Laetitia Colombanis Debüt „Der Zopf“ bekannt sein. Mir hat es gefallen, ihre Geschichte weiterzuverfolgen.

Indien ist als Gesellschaft tief gespalten, viele Menschen sind dort bitterarm, Frauen- und Kinderrechte werden oft mit Füßen getreten. Vor allem die sogenannten „Unberührbaren“ haben keine Chance auf Bildung. Diese Zustände werden in Laetitia Colombanis Roman mehr als deutlich. Bildung ist für alle Menschen lebensnotwendig. Léna zitiert im Roman John Dewey : „Bildung ist keine Vorbereitung auf das Leben: Bildung ist das Leben selbst.“ Léna tut alles, um Kindern das Lernen zu ermöglichen, denn Schule ist der einzig mögliche Ausweg aus dem unsichtbaren Gefängnis, in das die Gesellschaft viele indische, unterprivilegierte Kinder sperren will
Léna weiß selbst, dass ihr Einfluss an der Schwelle zum Klassenzimmer endet. Sie allein kann die Welt nicht ändern, es wird weiterhin Ungerechtigkeiten, erschütternde Schicksale, Zwangsheirat, Vergewaltigungen, Not, Armut, Elend und Hoffnungslosigkeit geben.
„Das Unmögliche erreichen wir nicht, aber es dient als Laterne.“ erkennt Léna. Für mich ist das die Botschaft dieses eindrucksvollen, aufwühlenden Romans über couragierte Frauen, die den Mut haben, aktiv gegen Missständen zu kämpfen.

Bewertung vom 28.04.2022
Daumen runter für Dislike-Disser / RalfTube Bd.2
Matthes, Silas

Daumen runter für Dislike-Disser / RalfTube Bd.2


ausgezeichnet

Comeback für Ralf - schräg, unterhaltsam und genial komisch - erneut ein Lesehit

Ralf-Tube ist zurück! Ralf ist seinem Traum, ein reicher Youtubestar zu werden, ein bisschen näher gekommen. Er hat mit seinen Videos insgesamt schon über hundert Likes gesammelt. Nach dem 1000. Daumen hoch, möchte er Mia endlich ins Kino einladen, das vereinbart er mit sich selbst. Doch dann erlebt er einen herben Rückschlag. Unter seinem neuesten Video mehren sich die Dislikes. Die „Dislikes-Dissers“ bekennen sich dazu, Ralfs Video negativ zu bewerten. Ralf glaubt zu wissen, wer wirklich dahinter steckt. Gemeinsam mit seinen Freunden Momo und Enrico entwickelt er diverse Pläne, seinen Kanal zu retten und seinem Feind das Handwerk zu legen. Ob es klappt?

Autor Silas Matthes schreibt in Ich-Form aus Ralfs Sicht und das flüssig, herrlich direkt, komisch und ehrlich, einfach ganz Ralf. Ralfs und Momos kreatives Talent, mit Sprache zu spielen, macht großen Spaß, sie erfinden z.B. neue, originelle Meeresbewohner oder verändern gemeinsam Sprichwörter auf sehr amüsante, treffende Weise. Ralfs spezielle Listen und Aufzählungen haben besonderen Unterhaltungswert.
Die Schriftart ist comicartig, auf den meisten Seiten finden sich kleine Motive und witzige zum Text passende Illustrationen. Die Seiten sind abwechslungsreich und motivierend gestaltet, sprechen so auch Lesemuffel an, zumal die Textmenge pro Seite recht übersichtlich ist. Die Geschichte richtet sich an Kinder ab 10 Jahren.

Ralf ist ein Träumer, er präsentiert sich kreativ, einfallsreich, originell und nett. Für meine Kinder und mich hat er nach dem zweiten Band schon einen gewissen Kultstatus erreicht. Auch ein Ralf ist unsicher, macht Fehler und hat Schwächen. Ihm ist sehr wichtig, wie er bei anderen ankommt, im realen Leben und im Internet. Er kann aber auch Größe zeigen, sogar wenn’s weh tut. Ralf ist authentisch, ihn muss man einfach mögen. Mit Momo hat er den idealen Freund an seiner Seite, der ihn stets unterstützt und nicht nur Stricken kann, sondern auch über viele sonstige Fähigkeiten verfügt, die er für Ralf einsetzt.
Die Figuren sind bis hin zu den Nebenfiguren absolut gelungen: feilschende oder taxifahrende Tanten, tanzende Omas, Lehrerinnen, die nicht ganz so viel Humor haben, für Komplimente von bestimmten Schülern aber durchaus empfänglich sind, weise Dauerfahrgäste und kleine Nervensägen. Diese Figurentruppe macht bis zur kleinsten Nebenrolle einfach Spaß.

Wer steckt hinter dem Diss gegen Ralf? Bis Ralf klar wird, was los ist, erlebt er ein turbulentes, für alle Leser witziges und für ihn ziemlich nervenaufreibendes Abenteuer. Die skurrilen Charaktere, allen voran Ralf selbst, sorgen immer wieder für wunderbar schräge Szenen, bei denen man aus dem Lachen nicht mehr herauskommt. Ralfs und Momos Listen sind einzigartig und treffen oft genau ins Schwarze.
Das Buch ist zweifelsohne lustig, regt aber auch zum kritischen Nachdenken über Social Media an. Letztlich ist das echte Leben für Ralf dann doch mehr wert als virtuelle Zustimmung, auch wenn Ralf das nicht immer bewusst ist.
„Ralf-Tube- Daumen runter für Dislike-Disser“ ist eine rundum gelungene, originelle, unterhaltsame Fortsetzung. Das Buch lässt sich unabhängig vom ersten Band lesen. Noch mehr Spaß hat man mit dem Buch aber, wenn man die Charaktere und die Insidergags schon aus dem ersten Band kennt.

Bewertung vom 28.04.2022
The Maid / Regency Grand Hotel Bd.1
Prose, Nita

The Maid / Regency Grand Hotel Bd.1


sehr gut

Leichter cosy Krimi mit origineller, naiv-unbedarfter Hauptfigur

„Wir sind alle gleich, aber auf unterschiedliche Weise.“

Molly Gray arbeitet als Zimmermädchen im altehrwürdigen Regency Grand Hotel. Für ihren Beruf bringt sie besondere Leidenschaft auf. Als sie in einem Hotelzimmer die Leiche des reichen Hotelgasts Mr. Black entdeckt, steht ihr Leben plötzlich Kopf. Durch unglückliche Umstände wird sie zur Hauptverdächtigen im Fall und schlittert daher nicht ganz freiwillig in die Mordermittlung hinein. Ob mit Mollys Hilfe der wahre Mörder gefunden wird?

Die Geschichte ist aus Mollys Perspektive in Ich-Form geschrieben. Molly kommt klar, direkt und ganz ohne Umschweife zum Punkt. Der schlichte Erzählstil passt zu Mollys Persönlichkeit und wirkt daher recht authentisch.

Molly ist ein ganz spezieller Charakter, eine „alte Seele“. Sie hat im Umgang mit anderen durch ihre zu ehrliche, sehr geradlinige Art Probleme. So verstößt sie „mit erschreckender Regelmäßigkeit gegen irgendeine Verhaltensregel“ und beleidigt Menschen, wenn sie ihnen eigentlich ein Kompliment machen will. Auf andere mag die junge Frau daher einfältig oder gar beschränkt wirken, aber dieser Eindruck täuscht. Molly hat einen Faible für Colombo und Agatha Christie und bekommt wesentlich mehr mit, als man ihr zutraut. Ihr Beruf macht Molly glücklich, sie fühlt sich für ihre Arbeit geboren, weil sie streng nach Regeln und nach Plan abläuft. Molly ist ein Gewohnheitstier. Dass ihre geliebte Großmutter, bei der sie aufwuchs, vor einiger Zeit starb, setzt ihr immer noch schwer zu. Sie lässt sich von Grannys Weisheiten wie „Wir haben alle das Recht auf einen schlechten Tag. Aber wenn alle Tage schlecht sind, ohne schöne dazwischen, dann ist es Zeit, sich etwas anderes zu überlegen.“ immer noch durchs Leben führen. Mollys aktuelle Situation ist aufgrund des Verdachts gegen sie und finanzieller Schwierigkeiten sehr kompliziert.
Zur Ehefrau des Ermordeten Giselle hat Molly ein fast freundschaftliches Verhältnis entwickelt. Außerdem ist sie heimlich in einen Kollegen verliebt. Aber echte Unterstützung kommt schließlich von ganz anderer Seite.

Wer steckt wirklich hinter dem Mord und wird Molly ihre Unschuld beweisen können?
Der Fall scheint recht unspektakulär, doch die Leser bekommen ihn durch Mollys individuelle Sichtweise, ihre schrulligen Kommentierungen auf interessante, originelle Weise präsentiert. Bei aller Direktheit überrascht Molly zudem noch mit dem ein oder anderen Geheimnis. Molly als Figur macht den Charme des Buches aus, auch wenn ihre unbedarfte Naivität mitunter auch ein bisschen anstrengend sein kann. Ein leichter, kurzweiliger, humorvoller cosy Krimi mit ganz spezieller Hauptfigur. Kein herausragendes Krimi-Highlight, aber durchaus nette, solide Unterhaltung.

Bewertung vom 27.04.2022
Jeder Tag für dich
Greaves, Abbie

Jeder Tag für dich


sehr gut

Wo ist Jim? Mitreißende Spurensuche mit unerwarteter Wendung

„Einige Menschen sehen nur das, was sie sehen wollen.“

Mary arbeitet tagsüber in einem Supermarkt und nachts freiwillig bei einer Telefonseelsorge. Auch sie selbst hat große Sorgen. Sie steht jeden Abend mit einem Schild an einem Londoner Bahnhof. „Komm nach Hause, Jim“ lauten die Worte auf ihrem Plakat. Mary hat seit sieben Jahren nichts mehr von ihrem Freund Jim gehört. Als die junge Journalistin Alice Mary kennenlernt, möchte sie Mary helfen, Jim zu finden. Nicht ganz uneigennützig. Möglicherweise springt dabei eine gute Story heraus, die sie so dringend benötigt, um ihren Job behalten zu können. Was Alice schließlich bei ihren Recherchen erfährt, ist für alle Beteiligten mehr als überraschend.

Autorin Abbie Greaves erzählt flüssig und gut verständlich auf verschiedenen Zeitebenen. Sie schildert im Präsens, was 2018 passiert, als Alice Mary trifft und stellt in eingeschobenen Rückblenden dar, wie sich die Beziehung zwischen Mary und Jim vom ersten Kennenlernen bis zu Jims Verschwinden entwickelt. Es wird dabei zunehmend deutlicher, welche Gründe zu Jims Weggang führten.

Marys Leben steht seit Jims Verschwinden auf Stillstand. Sie „funktioniert“ im Alltag. Unermüdlich stellt sie sich jeden Abend mit ihrer Botschaft an den Bahnhof. Mary scheint jeden Willen, etwas zu verändern, verloren zu haben. Als sie Alice kennenlernt, tut sich etwas. Mary wird durch die offene, neugierige, mitfühlende und zupackende Alice gezwungen, sich mit ihrer Situation auseinanderzusetzen. Doch auch Alice hat ihre Gründe, warum sie Mary unbedingt helfen möchte. Und die sind nicht nur beruflicher Natur.
Alices Verhalten und ihr Handeln waren für mich nachvollziehbar. Mary blieb mir insgesamt fremd, zu unnahbar, zu distanziert. Sie wird nur durch ihre Situation, durch ihr Verlassensein definiert, als Opfer unglücklicher Umstände. Sie selbst, ihre Persönlichkeit, bleibt dabei aber über weite Strecken zu blass. Was sie wirklich antreibt, blieb mir verborgen. Auch mit Jim konnte ich recht wenig anfangen. Was ihn für Mary so anziehend und faszinierend macht - ganz unabhängig von seinen Problemen- konnte ich nicht hundertprozentig nachfühlen. Die Figuren wirken wie Nebensache während der Plot die eigentliche Hauptrolle spielt.

Was passierte damals wirklich mit Jim? Wo steckt er? Wird Alice es schaffen, Jim ausfindig zu machen?
Diese Fragen drängen, machen sehr neugierig auf den Handlungsverlauf und halten die Spannung durchgehend oben. Die Aufklärung ist dann völlig überraschend und gibt Stoff zum Grübeln. Zentrales Thema ist dabei immer wieder das Verlassenwerden, das auf ganz unterschiedliche Arten stattfinden kann, sei es mit und ohne Abschied und Ansage, endgültig oder nicht für immer.
Der Roman zeigt, wie wichtig es ist, sich auf andere einzulassen, genauer hinzuschauen, ihnen zuzuhören. Letztendlich ist niemand eine Insel und manchmal brauchen Menschen von außen einen Schubser, um etwas zu ändern. Leider lassen sich nicht alle Probleme so einfach lösen und alle Menschen retten, das wird im Roman ebenfalls deutlich.
Auch wenn mir zu den Protagonisten teilweise die Verbindung fehlte, hat mich ihre Geschichte mitgerissen, bewegt und sehr nachdenklich gemacht. Keine wirkliche Liebesgeschichte, eher ein vielfältiger, teils schmerzhafter Beziehungsroman, in dem die Welt nicht nur heil ist. Wer überraschende Wendungen mag, wird hier nicht enttäuscht werden.

Bewertung vom 25.04.2022
Zurück nach Übertreibling / Vikki Victoria Bd.1
Gray, Gloria;Felder, Robin

Zurück nach Übertreibling / Vikki Victoria Bd.1


sehr gut

Grellbunter Regionalkrimi mit schillernder, unterhaltsamer Hauptfigur

„Ich sehe plötzlich alles um mich herum aus der Perspektive einer Einheimischen, die durch die Brille einer Touristin schaut.“

Die extravagante Künstlerin und Vertrauensfrau für die Münchner Kripo Vikki Victoria war nicht immer so obenauf wie jetzt. Aufgewachsen in Übertreibling im Bayrischen Wald, musste sie sich als Kind die Gemeinheiten des Besenwiesler Tonis gefallen lassen, entsprach sie eben nicht ganz der „Norm“ und war etwas anders als andere. Als der Toni wegen des Mordes an seiner Frau ins Gefängnis muss, macht er die Vikki für seine Verhaftung verantwortlich und beteuert beharrlich über Jahre hinweg seine Unschuld. Jetzt ist Toni kurz vor seiner Entlassung aus dem Gefängnis ausgebrochen und Vikki hat guten Grund anzunehmen, dass er Rache an ihr nehmen will. Weil sie in die Polizeiarbeit wenig Vertrauen hat, nimmt Vikki es selbst in die Hand, sich zu schützen. Aber die Füße stillhalten kann sie natürlich nicht, schließlich will sie alles genau wissen. Der Fall führt Vikki zurück nach Übertreibling.

Autorin Gloria Gray hat einen ganz eigenen Sprachstil. Die Geschichte wird in der ersten Person Präsens erzählt, die Leser werden dabei teilweise persönlich mit „Du“ angesprochen. Direkt und oft ziemlich derb: Vikki schreibt, wie sie redet. Anfangs waren die eigenwilligen Satzkonstruktionen, Vikkis gesammelte Redeflut, für mich etwas ungewohnt, aber das legte sich rasch. Auf alle Fälle ist Vikkis Ausdrucksweise Entertainment pur, auch wenn ihre nett-bösen bayrischen Bezeichnungen manchmal nicht ganz politisch korrekt sind, da wird ein übergewichtiger Mann zum Beispiel schon mal „als verfetteter Wurzelsepp“ bezeichnet.

Vikki Victoria ist ohne Frage eine Figur, die in Erinnerung bleibt. Humorvoll bis bitterböse, schillernd, aber trotzdem bodenständig. Mancheinem mag sie sicher zu grell, laut, schrill, zu präsent sein. Sie fällt auf, hält sich nicht zurück, ist mit sich selbst aber ebenso kritisch wie mit anderen. Vikki nimmt sich selbst und alles andere nicht immer so ernst und hat zu vielem eine nicht ganz woke Meinung. Zum Beispiel empfindet sie die Benutzung des Gendersternchen „als würde ein junger Mann eine Oma zwingen, sie ohne Not über die Straße führen zu dürfen, damit er im Anschluss behaupten kann, er habe eine gute Tat vollbracht.“
Ihre Persönlichkeit und ihr Auftreten machen Vikki zu einer faszinierenden Protagonistin. Überhaupt ist die Figurenkonstellation mehr als bunt, vielfältig und unkonventionell: Ein Motorradrocker, ein sechzehnjähriges Instagramsternchen und eine Art türkischer Münchner Mafiaboss. Langweilig wird es hier nicht.

Der Kriminalfall um den entflohenen Toni Besenwiesler entwickelt sich recht explosiv und turbulent, zumal hartgesottene Motorradrocker und Mitglieder einer weiteren nicht ganz gesetzestreuen Gang eingreifen, die Polizei auch nicht untätig bleibt und plötzlich völlig Unbeteiligte von der Bildfläche verschwinden. Die Handlung um den eigentlichen Fall ist logisch nachvollziehbar aufgebaut, aber nicht unbedingt überraschend und spektakulär. Doch die eigentliche Stärke des Romans ist nicht der Krimi, Vikki ist der Superstar. Ob Vikki den Fall aufklärt, wird dabei fast zur Nebensache. Viel unterhaltsamer und interessanter als Vikkis Nachforschungen ist die Vikki selbst und ihre Betrachtungen zu allem, was in der Welt so vor sich geht. Vikki hält mit ihren Ansichten nicht hinterm Berg. Wie scharfzüngig, bissig und komisch sie alles kommentiert ist absolut lesenswert. Vikkis erster Zwischenfall wird zum Glück nicht ihr letzter bleiben. Ein etwas anderer, origineller Provinzkrimi mit unvergesslicher Hauptfigur.

Bewertung vom 21.04.2022
Weltbeste kleine Schwester
Reider, Katja

Weltbeste kleine Schwester


ausgezeichnet

Wunderbare Geschwistergeschichte, in der die Kleine ganz groß ist

Rosa hat es satt. Ihre beiden älteren Geschwister Johanna und Matti tun immer so, als werde sie verhätschelt, verwöhnt und stets bevorzugt. Als Rosas Eltern übers Wochenende wegfahren, Rosas Übernachtungsmöglichkeit unerwartet flach fällt und Johanna eine heimliche Party feiert, sind die Rollen plötzlich vertauscht. Rosa greift ein und zeigt, was in ihr steckt, eine „weltbeste kleine Schwester“ nämlich.

Verfasserin Katja Reider schreibt aus Rosas Sicht in Gegenwart. Das tut sie so lebendig, ehrlich, direkt, unverblümt und authentisch, dass man fast das Gefühl hat, Rosa wäre beim Lesen live dabei und erzähle die Geschichte nur für einen selber. Das Buch ist etwas schmaler als DINA 5 und durch die witzigen, treffenden, kleinen Illustrationen mit den drolligen Figuren hübsch und motivierend gestaltet. Die Kapitel haben eine übersichtliche Länge, die Schrift ist normal groß gedruckt. Kinder ab acht Jahren können das Buch sicher selbstständig lesen.

Dass größere Geschwister gerne behaupten, kleinere Geschwister hätten es viel leichter und würden immer bevorzugt, kennt wohl jede kleine Schwester. Dabei haben kleinere Geschwister genauso zu kämpfen und werden oft unterschätzt. Hauptfigur Rosa jedenfalls lässt sich davon nicht unterkriegen. Sie ist pragmatisch, kriegt viel mehr mit, als man denkt und hat für eine Zehnjährige eine erstaunliche Lebensklugheit. Die aufgeweckte, nette, soziale Rosa wäre für viele Kinder eine tolle Freundin und eine Schwester, wie man sie sich nur wünschen kann. Und auch wenn Johanna manchmal zickt und Matti gerne cool tut, sind die beiden als Geschwister auch ziemlich in Ordnung, wenn es darauf ankommt. Was man von anderen „Freunden“ in der Geschichte nicht behaupten kann…

Katja Reider hat eine wunderbar feinfühlige, warmherzige Geschichte mit vielen ehrlichen, rührenden Geschwistermomenten geschrieben. „Weltbeste kleine Schwester“ richtet sich an alle kleinen Schwestern, die oft unterschätzt werden und oft viel größer und klüger sind, als man denkt. Aber auch alle ältesten und Sandwichkinder mit ihren Problemen werden sich hier wiederfinden und verstanden fühlen. Jeder Schwester, jeder Bruder hat sein Päckchen zu tragen, aber letztendlich kann sich jeder mit Geschwistern glücklich schätzen. Die Geschichte ist eine Liebeserklärung an alle Schwestern und Brüder dieser Welt, ohne die es oft ganz schön langweilig wäre. Klare Leseempfehlung für alle Kinder mit und ohne Geschwister.

Bewertung vom 20.04.2022
Tatort der Kuscheltiere / Florentine Blix Bd.1
Pantermüller, Alice

Tatort der Kuscheltiere / Florentine Blix Bd.1


sehr gut

Schräg-witziger, spannender und geheimnisvoller Regionalkinderkrimi mit eigenwilliger Ermittlerin

Der 31. August ist kein guter Tag für Florentine Blix, im Gegenteil es ist ein „knallroter Feuerlöschertag“: Florentine muss morgens ewig nach den richtigen Klamotten suchen, die Frühstücksbrote sind falsch belegt und dann fängt die Schule nach den Ferien wieder an. Keine schöne Aussicht, zumal Florentines Mitschüler ihr immer noch nachtragen, dass sie für das Sitzenbleiben eines Jungen verantwortlich ist. Zu allem Überfluss bekommt Florentine in der Schule einen neuen Sitznachbarn, den Dänen Bo Ture Tordenskjold, der sie vom ersten Moment an irritiert. Nach der Schule verschwinden auch noch Florentines gesammelte Kuscheltiere. Zunächst versucht Florentine, die später gerne bei der Polizei als Ermittlerin arbeiten möchte, den Fall der verschwundenen Stofftiere aufzuklären. Sie hat dabei noch keine Ahnung davon, dass ein viel bedeutenderer Fall auf sie und ihre beste Freundin Maja wartet, der die beiden richtig herausfordern wird…

Die Geschichte wird aus Sicht von Florentine Blix in Ich-Form erzählt. Da Florentine schon immer davon träumt, Kriminalfälle aufzuklären, ist das Buch gestaltet wie das persönliche Notizbuch einer Detektivin. Die ersten Seiten eines jeden Kapitels sind grün gedruckt, in der Seitenmitte sind stets -wie bei einem echten Ordner- gezeichnete Metallklammern abgebildet. Alle wichtigen Figuren werden in Steckbriefen mit Bildern, Ansichten ihres Gesichts von allen Seiten vor einer Messlatte, besonderen Kennzeichnen und Eigenschaften vorgestellt. Florentine liebt Erklärungen, geht den Dingen auf den Grund. Daher finden sich im Buch viele aufgedruckte Karteikarten mit Wortdefinitionen, Notizzettel mit Auflistungen, erläuternde Bilder sowie Landkarten, um den Schauplatz näher darzustellen. Die Seiten sind dank der vielen Illustrationen und Textarten abwechslungsreich und sehr motivierend gestaltet. Ein doppelseitiges „Dänisches Sprachlexikon“ bildet den Anhang.
Die Geschichte richtet sich an Kinder ab zehn Jahren.

Die Hauptfigur ist ein ganz besonderes Mädchen. Sie möchte später bei der Kriminalpolizei arbeiten. Florentine ist eigenwillig, hasst rot, liebt grün, braucht Ordnung, Regeln und Rituale, mag keine Unvorhersehbarkeiten, ist sehr ehrlich und versteht nicht immer alle Konventionen. Sie nimmt oft alles wortwörtlich, weswegen der Umgang mit anderen Menschen sie immer wieder vor Herausforderungen stellt. Menschenansammlungen verursachen Florentine großes Unbehagen. Florentine ist scharfsinnig und klug, aber durch ihre Schwierigkeiten im Umgang mit anderen gehandikapt. Glücklicherweise muss Florentine nicht alleine ermitteln. Mit ihrer besten Freundin Maja hat sie eine aufgeweckte, neugierige und quirlige Unterstützung an ihrer Seite.
An Florentine werden sich die Geister scheiden, sie wird durch ihre mitunter anstrengenden Eigenheiten nicht bei allen Lesern gleichermaßen gut ankommen. In ihrem Verhalten und aufgrund der konsequenten Einhaltung ihrer strikten eigenen Regeln erinnert sie ein wenig an Sheldon Cooper aus Big Bang Theory.

Was als harmlose Kuscheltiersuche beginnt, wird zum polizeireifen und sehr ungewöhnlichen Kriminalfall. Es geht dabei spannend, turbulent und gegen Ende ganz schön schräg und abgedreht zu.
Florentine ermittelt in Flensburg, immer wieder kann man beim Lesen auf Landkarten im Buch nachvollziehen, wo sich die Handlung gerade abspielt. Alles ist so anschaulich beschrieben, dass man sich bildlich vorstellen kann, was gerade passiert. Die genauen Schilderungen machen große Lust, Flensburg auf Florentines Spuren einmal selbst zu entdecken.
Die Grundidee des Buchs ist originell, Florentine als Hauptfigur ist definitiv besonders, die Geschichte bietet sehr viele skurrile Szenen zum Lachen, immer dann, wenn Florentine im Umgang mit anderen mal wieder auf dem Schlauch steht. Die Gestaltung des Buchs ist absolut kreativ und gelungen, der Schauplatz interessant und reizvoll