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Raumzeitreisender
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Ahaus
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 738 Bewertungen
Bewertung vom 17.07.2018
Kafka am Strand
Murakami, Haruki

Kafka am Strand


ausgezeichnet

„Neben der Welt, in der wir leben, existiert stets noch eine andere, die wir bis zu einem gewissen Punkt betreten und aus der wir dennoch wieder heil zurückgelangen können. Wenn wir vorsichtig genug sind.“ (477)

Der 15-jährige Kafka Tamura wohnt mit seinem Vater in Tokyo, im Stadtteil Nakano. Seine Eltern leben getrennt, seine Mutter und seine Schwester kennt er nicht. Sein Verhältnis zu seinem Vater ist angespannt. Aufgrund einer an Ödipus erinnernden Prophezeiung flieht er aus Nakano und reist mit dem Bus nach Takamatsu. Unterwegs lernt er die junge Frau Sakura kennen. In Takamatsu verbringt Kafka seine Zeit in einer kleinen privaten Bibliothek, die von Frau Saeki geleitet wird.

Parallel dazu erzählt Haruki Murakami die Geschichte von dem alten Mann Nakatu. Dieser hatte in den 1940er Jahren während des Krieges eine mysteriöse Erfahrung gemacht, die zu einer Bewusstseinsstörung führte. Er gilt seitdem als minderbegabt und wirkt aufgrund seiner Eigenarten (unterhält sich mit Katzen) als seltsamer Mensch. Nakatus Geschichte ist voller Magie. So sanftmütig wie er ist, lässt er sich von dem finsteren Johnny Walker zu einer Untat verführen. Unsichtbare Kräfte treiben ihn auf seinem Weg an.

Zwischen den beiden Handlungssträngen gibt es reale und magische Verbindungen. Es sind nicht die recht plump wirkenden Ereignisse (Blutegel fallen vom Himmel), die überzeugen, sondern es sind die innerweltlichen und grenzüberschreitenden Verbindungen zwischen den Protagonisten und den verschiedenen Welten, die die Leser in ihren Bann ziehen. Murakami öffnet Tore in fremde geistige Dimensionen. Traum und Wirklichkeit verschmelzen miteinander. Wahrheit ist eine Frage der Perspektive.

Der Roman deckt ein breites Spektrum literarischer Genres ab. Er enthält psychologische und philosophische Elemente, ist gleichzeitig Krimi, Abenteuer und Fantasie mit einer Priese Erotik und Roman über den Reifungsprozess eines Heranwachsenden. Dem Autor gelingt es, die verschiedenen Facetten miteinander zu verbinden. Dem Schicksal kann niemand entkommen, so die Botschaft. Es werden nicht alle Rätsel gelöst, Fragen bleiben offen. Alles ist relativ, alles eine Frage der Perspektive, so eine weitere Botschaft.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.07.2018
Menschenwerk
Kang, Han

Menschenwerk


ausgezeichnet

1980 demonstrierten in der südkoreanischen Stadt Gwangju Studenten und Arbeiter gegen die herrschende Militärdiktatur unter General Chun Doo-hwan. Sie setzten sich für die Freilassung des Oppositionsführers Kim Dae-jung und für die Abschaffung des Kriegsrechts ein. Die Demokratiebewegung wurde durch das Militär, unterstützt von USA und Japan, brutal niedergeschlagen.

In „Menschenwerk“ erinnert Han Kang, die in Gwangju gelebt hat, nicht nur an das Massaker gegen die Zivilbevölkerung, sondern sie reflektiert die Geschehnisse auf eindringliche Art und Weise aus unterschiedlichen Perspektiven betroffener Menschen. Es ist kein Roman für schwache Nerven, es ist ein Roman, der aufwühlt und hinsichtlich der unglaublichen menschlichen Abgründe der Gewalt fassungslos macht.

Die Autorin verwendet unterschiedliche Erzählformen. Jedes Kapitel beschreibt die Perspektive jeweils einer Person. Es handelt sich um in Romanform verpackte Erinnerungen an grausame Erlebnisse. Die Hilflosigkeit der Menschen wird noch dadurch unterstrichen, dass die Autorin aus dem Blickwinkel eines Toten berichten lässt. Es gibt Verknüpfungen zwischen den zeitlich versetzten Erzählungen.

Die Würde der Menschen wird mit Füßen getreten, dennoch gelingt es der Autorin mit ihren sprachlichen und stilistischen Fähigkeiten, die betroffenen Menschen würdevoll darzustellen. Sie erinnert an ein Massaker, welches durch diesen erstklassigen Roman nicht in Vergessenheit geraten wird. Jugendliche Unbeschwertheit prallt auf brutale Staatsgewalt. Es ist ein anspruchsvoller Roman, der die Leser fesselt und bewegt.

Bewertung vom 01.07.2018
Mythos Motivation
Sprenger, Reinhard K.

Mythos Motivation


ausgezeichnet

In seinem Klassiker "Mythos Motivation" demaskiert Managementberater Reinhard K. Sprenger Beeinflussungstechniken im beruflichen Alltag und verändert damit die Sicht auf die Arbeitswelt. Er unterscheidet zwischen Motivation (Eigensteuerung) und Motivierung (Fremdsteuerung). Motivation beruht auf Selbstverantwortung und kommt von Innen heraus, Motivierung erfolgt manipulativ mittels Anreizsystemen durch Vorgesetzte und beruht auf Misstrauen.

Mit diesen Thesen, die der Autor anhand zahlreicher Beispiele erläutert und untermauert, stellt der studierte Philosoph Sprenger den Menschen und seine Selbstachtung in den Vordergrund. „Führen ist vor allem das Vermeiden von Demotivation.“ (172) Positiv ausgedrückt: Mitarbeiter müssen gefordert werden. Aufgabe der Führung ist es, notwendige Freiräume zu schaffen. Sprenger beschreibt einen notwendigen Perspektivwechsel, der bis heute nur in wenigen Köpfen angekommen ist.

Bewertung vom 21.06.2018
Die Frau, die liebte
Lewis, Janet

Die Frau, die liebte


ausgezeichnet

Der Roman spielt im 16. Jahrhundert in den französischen Pyrenäen und beruht auf einer wahren Begebenheit. Der junge Bauer Martin Guerre verlässt Frau und Kind und verschwindet spurlos aus seinem Heimatdorf Artigues. Acht Jahre später taucht ein Mann in dem Dorf auf und gibt sich als Martin Guerre aus. Ist er es wirklich oder handelt es sich um einen Hochstapler? Bedenken bleiben, daher landet der Fall drei Jahre später vor Gericht, zunächst in Rieux, danach in Toulouse.

Der Fall ist spektakulär und bietet Gesprächsstoff in ganz Frankreich. Ohne moderne DNA-Analyse ist ein Identitätsnachweis schwierig. Zahlreiche Zeugen werden gehört. Auffallend ist die (positive) Veränderung im Wesen des Protagonisten. Martins Ehefrau Bertrande de Rols hat die Rückkehr ihres Ehemannes herbeigesehnt und kämpft zunehmend mit Zweifeln, die ihr auch gesundheitlich zu schaffen machen. Obwohl sie sich auf den Mann einlässt und zwei Kinder von ihm bekommt, will sie Klarheit haben.

Die Geschichte bietet reichlich Stoff für Interpretationen und Charakterstudien. Das Dorf und die Familienstrukturen sind vom Patriarchat geprägt, was auch Martins Flucht beeinflusst. Die Rolle der Kirche ist wegen der einfachen Lösungsvorschläge zweifelhaft. Wie verhalten sich Verwandte, Bedienstete und die übrigen Dorfbewohner? Kann eine Ehefrau sich täuschen lassen? Die Geschichte produziert viele Verlierer. Sie wurde mehrfach verfilmt und ist unbedingt lesenswert.

Bewertung vom 18.06.2018
Über die Toleranz
Voltaire

Über die Toleranz


sehr gut

Religiöser Fanatismus ist auch 250 Jahre nach Voltaire nicht ausgerottet. Die Phase der Aufklärung ist noch nicht vorbei. Die Viren der Intoleranz befallen bevorzugt Gehirne von Menschen, die sich auf höhere (letztlich selbst konstruierte) Mächte berufen und die ihre Verantwortung und ihr Gewissen an jene Mächte abgegeben haben.

Voltaire war ein bedeutender französischer Aufklärer und Kirchenkritiker. Sein Werk „Über die Toleranz“ ist seiner Zeit voraus und im Hinblick auf religiöse Verblendung und religiös motivierte Anschläge hoch aktuell. Kritisch muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass Voltaire im Umgang mit geistigen Gegnern nicht immer zimperlich war.

In dem Buch wird das Schicksal der Familie Calas thematisiert. In einem skandalösen Prozess wird Jean Calas beschuldigt, seinen Sohn ermordet zu haben und er wird zum Tode verurteilt. Die Indizien sprechen eindeutig für seine Unschuld. Anklage und Verhandlung vor Gericht sind religiös geprägt. Voltaire greift den Fall auf.

In dem Buch tauchen einige Namen damals bekannter Persönlichkeiten auf, mit denen heutige Leser nichts anfangen können. Das ändert aber nichts an der klaren Botschaft, die das Buch vermittelt. Die Frage ist, ob die richtigen Menschen durch das Buch erreicht werden bzw. ob Menschen sich in Sachen Toleranz beeinflussen lassen.

Bewertung vom 10.06.2018
Eine kurze Geschichte der Menschheit
Harari, Yuval Noah

Eine kurze Geschichte der Menschheit


ausgezeichnet

Bereits auf den ersten Seiten des Buches wird deutlich, dass hier jemand eine verständliche, unterhaltsame und informative Geschichte in einem recht lockeren und teilweise humorvollen Stil serviert. Das Buch ist kein typisches Geschichtsbuch. Es macht neugierig und zieht die Leser in den Bann.

Im ersten Teil liegt der Fokus auf der kognitiven Entwicklung vom Tier hin zum Menschen. Was macht den Menschen aus? Warum hat der Mensch sich durchgesetzt? Harari erläutert, dass es mehrere Menschenarten gab, dass die Frage nach Verdrängung bzw. Vermischung von Arten noch nicht abschließend beantwortet ist und welche Rolle die Sprache in der Entwicklung gespielt hat.

Der Mensch ist aber auch das größte Raubtier der Erde – und das gilt nicht nur für die Neuzeit. „Der Homo sapiens hatte die Hälfte aller Großsäuger der Erde ausgerottet, noch ehe er das Rad, die Schrift und Waffen aus Metall erfunden hatte.“ (96) Funde in Australien, Neuseeland, Amerika und Madagaskar weisen darauf hin, dass die Frühmenschen ökologische Massenmörder waren.

Die landwirtschaftliche Revolution wird gern als Erfolgsgeschichte verkauft. Der Autor macht deutlich, dass das Leben der Jäger und Sammler gesünder und angenehmer war, als das Leben der Bauern, die hart arbeiten und zudem ihren Besitz verteidigen mussten. Die Entwicklung verlief in so kleinen Schritten, dass von einer Revolution keine Rede sein kann.

Um mit der größer werdenden Gesellschaft fertig zu werden, mussten Ordnungsstrukturen geschaffen werden. Christentum, Demokratie und Kapitalismus bieten solche Systeme, die – um wirksam zu sein – als objektive Wahrheit verkauft werden müssen. Zudem wurden Schriften entwickelt, um komplexere Systeme verwalten zu können.

Wenn der Autor im dritten Teil des Buches schreibt, dass Geschichte ein Ziel hat, kann ich ihm nicht folgen. (204) Menschen können ein Ziel haben, aber dass Geschichte ein Ziel hat, ist mit der Evolutionstheorie nicht vereinbar. Selbst wenn eine Entwicklung im nach hinein gesehen zielgerichtet erscheint, kann über die Gegenwart hinaus nicht seriös extrapoliert werden. Mit seiner Aussage „Geschichte lässt sich nicht deterministisch erklären oder vorhersehen“ (293) revidiert er seine eigene Auffassung.

Warum es eine wissenschaftliche Revolution gab (Teil 4 des Buches), ist auch im nach hinein nicht leicht zu verstehen. Über Jahrhunderte wurde unterschätzt, dass Forschung wesentlich dazu beitragen kann, die Macht zu vergrößern. Eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung einer modernen Wissenschaft ist das Eingeständnis der eigenen Unwissenheit.

Der Autor erläutert, wie der Kapitalismus funktioniert. Es geht nicht (nur) darum, einen Kuchen zu verteilen, sondern darum, diesen zu vergrößern. Das ist nur möglich, wenn das notwendige Vertrauen in die Zukunft vorhanden ist. Kapitalismus setzt auf Wachstum. Wachstum erfordert Ressourcen und fördert Umweltzerstörung. Harari sieht ein Problem in der Umweltzerstörung und nicht in der Verknappung von Ressourcen.

Im letzten Kapitel wird es noch einmal spannend, wenn es um biologische und technische Weiterentwicklungen geht. Ob das Ende des Homo sapiens eingeläutet wird, wie der Autor bereits in der Überschrift suggeriert, muss der Leser für sich entscheiden.

Yuval Noah Harari bietet den Lesern in seinem Buch eine verständliche Reise durch die Menschheitsgeschichte an. Im Fokus stehen nicht Einzelereignisse, sondern eher Strukturen, Entwicklungen und Folgerungen. Der Autor entwickelt eigene Gedanken, die man nicht immer teilen muss, die aber nachdenklich machen. In der Summe handelt es sich um ein geistreiches Buch, welches ich empfehlen kann.

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.06.2018
Die Geschichte des Wassers / Klima Quartett Bd.2
Lunde, Maja

Die Geschichte des Wassers / Klima Quartett Bd.2


weniger gut

Wasser ist der Quell des Lebens. Welche Folgen hat der Raubbau an natürlich vorkommenden Wasserreserven? Wie verändert sich das Leben bei einer landesweiten Dürrekatastrophe? Das sind die Themen, die Autorin Maja Lunde in ihrem Buch in zwei zeitlich und örtlich versetzten Handlungssträngen (Norwegen, 2017 und Frankreich, 2041) behandelt. Es gibt eine Verbindung zwischen den beiden Geschichten, die bereits im Klappentext zum Buch angedeutet wird.

Umweltaktivistin Signe Hauger aus Ringfjorden in Norwegen wehrt sich gegen die Eingriffe in die Natur ihrer Heimat. Das gilt für die Verrohrung des Flusses Breiro, das Austrocknen imposanter Wasserfälle, für den Bau eines Kraftwerkes und die Vermarktung von Gletschereis für Saudi-Arabien. Ihre Beziehung zu Magnus, dem Sohn von Bauer Sønstebø aus einem Nachbardorf, geht aufgrund unterschiedlicher Einstellungen zur Industrialisierung ihrer Heimat in die Brüche.

Signe, mittlerweile fast 70-jährig, erkundet den Hafen, sabotiert eine Eisfracht und begibt sich mit einer Ladung Eis auf eine Segeltour bis an die französische Küste. Sie will den Mann zur Rede stellen, den sie einst geliebt und der die Fronten gewechselt hat. Der Hauptteil dieser Erzählung besteht aus Rückblenden in die Zeit ihrer Jugend und ihres jungen Erwachsenenlebens. Die Motivation für ihre ungewöhnliche Aktion soll deutlich werden, wenngleich der Eindruck entsteht, dass Verbitterung eine Rolle spielt.

Im zweiten Handlungsfaden wird die Geschichte von David und seiner Tochter Lou erzählt. Eine Dürre zwingt sie von Argelès in Südfrankreich in Richtung Norden an die französische Atlantikküste zu fliehen. Auf der Flucht wird die Familie getrennt. David wartet in einem Auffanglager auf ein Lebenszeichen von seiner Frau Anna und seinem einjährigen Sohn August. David lernt Maguirite und Francis kennen und stellt sich auf das Lagerleben ein. Sie planen, die Reise fortzusetzen.

Das Buch ist ähnlich strukturiert wie das Bienenbuch, jedoch fehlt die Spannung und die Geschichten wirken phasenweise öde. Es fehlen fachliche Informationen über das Wasser bzw. die Wasserknappheit und der politische Hintergrund kommt zu kurz. So wirken die Geschichten recht oberflächlich. Hinzu kommen farblose Charaktere, mit denen man sich als Leser nicht anfreunden kann. Maja Lunde bearbeitet ein wichtiges Thema, aus dem Autoren wie Frank Schätzing oder Umberto Eco mehr rausgeholt hätten.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.06.2018
So lasst uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen
Ditfurth, Hoimar von

So lasst uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen


ausgezeichnet

Hoimar von Ditfurth (HvD), Professor für Psychiatrie und Neurologie, wurde besonders durch seine Tätigkeiten als Wissenschaftsjournalist, TV-Moderator und Sachbuchautor über naturwissenschaftliche Themen bekannt. Sein Gesamtwerk umfasst Schriften über Naturwissenschaften, Philosophie, Politik, Ethik und Ökologie. Er entwickelte sich im Laufe der Jahre vom Aufklärer hin zum Mahner.

Im vorliegenden Buch beschreibt HvD die Gefahren der atomaren Hochrüstung und der massiven Umweltzerstörung sowie die Unfähigkeit der Gesellschaft, das eigene menschliche Verhalten als Ursache der Bedrohung zu erkennen und einen Kurswechsel einzuleiten. Hunderttausende von Arten sterben aus (Faunenschnitt) und es besteht die Gefahr, dass die Menschheit dazugehören könnte.

Verstehen lässt sich diese Entwicklung – wenn überhaupt – nur im Rahmen der Evolution. Das globale Gleichgewicht ist gestört, da der Mensch zu erfolgreich geworden ist. Die gleichen Prinzipien, die über Jahrhunderttausende das Überleben gesichert haben, führen nunmehr in die Krise. Unbegrenztes Wachstum einer Population kann es bei endlichen Ressourcen nicht geben.

HvD gliedert sein Buch in drei Teile. Der Situationsbeschreibung im ersten Teil folgt eine Ursachenanalyse. Dabei ist es unerheblich, dass der NATO-Doppelbeschluss Geschichte ist; er dient als Lehrstück für das zeitlose – letztlich psychologisch erklärbare - Verhalten der Menschheit, welches zur Überrüstung führt. Die eigene (gefühlte) Angst wird anders wahrgenommen als die Angst der anderen, von der ich lediglich weiß.

Im dritten Teil thematisiert HvD die Natur des Menschen. Er macht deutlich, dass wir unsere Freiheit überschätzen und steckt den Rahmen unserer (evolutionären) Erkenntnismöglichkeiten ab. Analog zur Spannung zwischen biologisch programmierter Sterblichkeit und menschlicher Todesfurcht, gibt es eine Spannung zwischen rationaler Aufklärung und Sinnsuche, die HvDs Leben bestimmt hat.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.05.2018
Das Philosophenportal
Zimmer, Robert

Das Philosophenportal


ausgezeichnet

Robert Zimmer, selbst Philosoph, stellt in diesem Band 16 bedeutende Werke der Philosophiegeschichte vor. Es handelt sich nicht um eine trockene Darstellung der Werke, sondern Zimmer erläutert deren Kernthesen und setzt diese in Beziehung zu den jeweiligen Autoren. Die Lebensgeschichte der Philosophen spiegelt sich in deren Philosophie wider. Insofern haben auch abstrakte Gedankengänge einen nachvollziehbaren persönlichen Bezug.

Auffallend sind die vielen Querverbindungen z.B. von "Platons Staat" zu Poppers "offener Gesellschaft", von de Montaignes "Selbsterforschung des Ichs" zu Descartes "Trennung von Körper und Geist" oder von Kiergegaards Freiheits- und Verantwortungsbegriff zu Heideggers "Sein und Zeit". Es sind solche Verknüpfungen, die Entwicklungen im Denken deutlich machen und im Ergebnis, obwohl es sich um Einzelaufsätze handelt, ein Gesamtwerk entstehen lassen.

Ein besonderes Gewicht haben Werke der politischen Philosophie. Es scheint ein Anliegen des Autors zu sein, neben (Standard-)Büchern, die sich mit erkenntnistheoretischen Fragen beschäftigen (Kant, Schopenhauer), insbesondere gesellschaftliche Fragen und Fragen nach gerechten politischen Systemen zu thematisieren (Locke, Marx, Rawls). Das sind die Themen, die auch heute bewegen und nach wie vor aktuell sind. Das Philosophenportal eröffnet den Lesern einen anregenden Rundgang durch das Gebäude der Philosophie.

Bewertung vom 21.05.2018
In der Wildnis bin ich frei
Lancewood, Miriam

In der Wildnis bin ich frei


sehr gut

Gibt es ein Leben jenseits der Zivilisation? Ja, vielleicht in den unwegsamen Bergregionen von Papua-Neuguinea. Jedoch sind Volksstämme, die naturverbunden leben, selten geworden. Auch lehrt die Geschichte der Menschheit, dass naturverbunden nicht mit naturerhaltend gleichgesetzt werden darf. "Der Homo sapiens hatte die Hälfte aller Großsäuger der Erde ausgerottet, noch ehe er das Rad, die Schrift und Waffen aus Metall erfunden hatte." [1] Aber der moderne Mensch vernichtet Natur in vollem Bewusstsein, um seinen Reichtum zu vergrößern, unseren Vorfahren ging es ums nackte Überleben.

Miriam und Peter Lancewood sind Aussteiger. Miriam verkauft ihr Hab und Gut und kündigt ihren Job als Lehrerin, um in den Wäldern von Neuseeland zu leben. Sie unternehmen große Wanderungen, jagen Tiere und leben in Hütten und Zelten. Dabei sind sie nicht vollständig auf das angewiesen, was die Natur an Nahrung anzubieten hat, denn sie versorgen sich ergänzend mit Grundnahrungsmitteln aus den umliegenden Städten. Insofern ist die Nabelschnur zur Zivilisation nicht abgetrennt, sie ist jedoch deutlich dünner als bei Menschen wie du und ich.

Das Buch besteht aus Reiseberichten. Miriam beschreibt den Alltag in der rauen Wildnis, die Nahrungssuche unter widrigen klimatischen Verhältnissen und Grenzerfahrungen, die bei solchen Abenteuern nicht ausbleiben. Deutlich wird, der Mensch verändert sich im Laufe der Jahre nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich und die Sinne werden schärfer. Den Höhepunkt ihrer Reisen bildet der Te Araroa Trail von Cape Reinga im Norden Neuseelands bis zum 3000 km entfernten Invercargill im Süden des Landes, der höchste Anforderungen an Körper und Geist stellt.

Miriam vermarktet ihre Reiseerlebnisse, vielleicht um die nächste Reise zu finanzieren oder um fürs Alter vorzusorgen, das man vielleicht nicht mehr in den Bergen verbringen möchte. Es sei ihr gegönnt. Das Buch ist eine Bereicherung und die manchmal sich wiederholenden Ereignisse werden durch kleine Erlebnisse gewürzt. So erfahren die Leser, wie man Schuppen effektiv bekämpft (66), dass in einem Bergsee bissige Aale lauern (240) und dass eine Wekaralle, eine neuseeländische Vogelart, anhänglich sein kann (151). Auch kannte ich bislang keine Possums.

[1] Yuval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit, S. 96