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solveig

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Insgesamt 471 Bewertungen
Bewertung vom 03.10.2016
Büchermorde - Mordsbücher
Kniesche, Thomas

Büchermorde - Mordsbücher


sehr gut

Informativ und unterhaltsam


Einen kurz gehaltenen Exkurs in die Welt des Kriminalromans bietet Thomas Kniesches „Büchermorde - Mordsbücher“ seinen Lesern. Genauer gesagt untersucht der Autor eine spezielle Sparte von Krimis: Geschichten, denen entweder ein Buch als Mordmotiv zugrunde liegt, oder solche, in denen es sich um Verbrechen handelt, die mit Literatur und bibliophilen Menschen in Verbindung stehen. Wie ein Blick auf die einzelnen Kapitel zeigt, erweist sich dieses zunächst eng begrenzt scheinende Fachgebiet jedoch als recht vielfältig. Gegenstand der Untersuchung werden nicht nur Krimis über Verbrechen in Bibliotheken und Campusmorde, sondern auch das Talent von Bibliothekaren, die sich als Detektive engagieren. Auf unterhaltsame Weise streift der Autor dabei Themen wie etwa die Herstellung eines Buches in der Zeit vor Erfindung der Druckmaschine und den (materiellen und ideellen) Wert eines solchen Manuskriptes. Sein Repertoire an Beispielen umfasst sowohl historisch belegte Taten und Prozesse, als auch eine Fülle fiktionaler Fälle, vom Mittelalter bis zur Postmoderne. Gut verständlich und ansprechend formuliert gibt Kniesches Text einen komprimierten Überblick zu dem Thema „Büchermorde“ - wer sich weiter informieren möchte, hat die Möglichkeit, sich an dem ausführlichen Literaturverzeichnis zu orientieren.

Bewertung vom 02.10.2016
Federflüstern / Zeitreise Bd.2
Rahlens, Holly-Jane

Federflüstern / Zeitreise Bd.2


ausgezeichnet

Ein Zeitsturz und seine Folgen


Wie konnte das nur passieren? Oliver, Rosa und Iris finden sich plötzlich in einem Kuhstall wieder - dabei waren sie doch noch vor wenigen Minuten im Schuppen hinter dem Haus ihres Buchclubs „Blätterrauschen“ gewesen! Zu ihrem Glück ist Lucia bei ihnen, die Patentochter der Buchhändlerin Cornelia, die den Buchclub der Kinder anleitet. Erstaunen und Schrecken der Freunde sind riesengroß, als sie von Lucia erfahren, dass sie sich zwar immer noch in Berlin befinden, jedoch im Winter des Jahres 1891 - immerhin 125 Jahre zurück in der Vergangenheit! Zahlreiche Hindernisse und Gefahren müssen überwunden werden, damit sie in ihre eigene Gegenwart zurückkehren können. Während sich Rosa an merkwürdige Vorkommnisse erinnert, erweist sich Lucia als erstaunlich gut informiert. Und obwohl den Kindern schließlich Hilfe von Seiten des sympathischen Schriftstellers Mark Twain, der gerade in Berlin logiert, geboten wird, geschieht doch immer wieder etwas, das ihre Heimreise verhindert…

Wer den ersten Roman „Blätterrauschen“, in dem Oliver, Iris und Rosa einen unfreiwilligen Abstecher ins Jahr 2273 machen, bereits kennt, freut sich über das Wiedersehen mit den drei Kindern, deren unterschiedliche Charaktere sich bestens ergänzen, und fiebert mit ihnen.
In dem neuen Buch „Federflüstern“ nimmt Holly-Jane Rahlens ihre Leser wiederum auf eine spannende Zeitreise mit. In schönem, gehobenem Schreibstil erzählt sie von den Abenteuern der Freunde im Berlin des 19. Jahrhunderts und lässt (ganz nebenbei) viele Sachinformationen mit einfließen. Ihre Geschichte ist lebendig, spannend, humorvoll und lehrreich - kurz: sie erfüllt auf außerordentlich unterhaltsame Weise die Ansprüche an ein gutes Kinderbuch.
Die Autorin selbst erklärt in einem Interview: „Mir ist es wichtig, dass die Leser die Geschichte voll erleben, mit all ihren Sinnen; wenn ich sie zum Lachen bringen kann – toll! Wenn ich sie zum Weinen bringen kann – wunderbar! Wenn ich sie zum Weinen und Lachen bringen kann – tja, dann habe ich einen Job gut gemacht.“ Und mit „Federflüstern“ hat sie „einen Job gut gemacht“.

Bewertung vom 19.09.2016
Angerichtet
Koch, Herman

Angerichtet


sehr gut

Bissige Gesellschaftssatire

Wie sähe das Leben aus, wenn man etwas Bestimmtes NICHT getan hätte? Wäre alles wie vorher? Als Paul Lohmann das Handy seines minderjährigen Sohnes Michel einsteckt, ahnt er noch nicht, wie schnell sich sein Leben und das seiner Familie verändert. Beim gemeinsamen Abendessen in einem exklusiven Restaurant mit Ehefrau Claire, Bruder Serge und dessen Frau Babette sollen Probleme ihrer Söhne erörtert werden, die etwas „angerichtet“ haben.
Hinter dem doppeldeutigen Titel des Romans versteckt sich - wie man es von Herman Koch kennt - eine bitterböse Gesellschaftssatire, durchaus aktuell.
Aus vielen, nur scheinbar nebensächlichen Erzählungen und Anekdoten setzt der Autor seinen Roman zusammen. Peu à peu, so wie die einzelnen Gänge des Menüs in dem teuren Restaurant serviert werden, serviert auch der Autor seinen Lesern ein regelrechtes Familiendrama, wobei der Höhepunkt mit dem Dessert erreicht wird. Locker und mit bissigem Humor schildert der Ich-Erzähler die Ereignisse und zieht den ahnungslosen Leser mitten hinein in einen Strudel schrecklicher Geschehnisse. Letztendlich wird er mit Gewissensfragen konfrontiert: Wie würde ich handeln? Was würde ich für das Glück meiner Familie tun?
Der Moment der Wahrheit, bis zum Dessert hinausgezögert, lässt den Abend - man ahnt es bereits - dramatisch enden.
Ob der Leser Kochs „Menü“ verdauen kann? Es liegt ihm sicher lange im Magen!

Bewertung vom 19.09.2016
Der haarige Planet / Kleiner Strubbel Bd.10
Bailly, Pierre;Fraipont, Céline

Der haarige Planet / Kleiner Strubbel Bd.10


ausgezeichnet

Sehr empfehlenswerte Bildergeschichte

Ganz ohne Worte und pädagogisch-belehrende Sprüche kleinen Kindern wesentliche Prinzipien vermitteln - das gelingt auf überzeugende Weise dem Team Pierre Bailly und Céline Fraipont mit ihren Bildergeschichten um den kleinen Strubbel.
Ausgestattet mit einer markanten roten Knubbelnase und zotteligen Haaren ist das Fantasiewesen Strubbel mit seinem fröhlichen Optimismus und seiner Abenteuerlust ein echter Sympathieträger. Zwar macht er sich morgens stets munter auf den Weg zur Schule, landet jedoch immer in einem witzigen Abenteuer. Bislang sind 10 Bände der wirklich empfehlenswerten Comic-Reihe auf dem deutschen Markt zu haben.
In dem zuletzt erschienenen Teil „Der haarige Planet“ setzt sich „Petit Poilu“, wie er in seinem Herkunftsland Belgien heißt, mit Wesen von einem rot-blauen Planeten auseinander, die ihn freundlich begrüßen und schließlich zu einem der Ihren machen wollen. Zu diesem Zweck verändern sie seine geliebten Strubbelhaare: die roten gelockten Wesen frisieren ihm ebenfalls Locken, die blauen langhaarigen Wesen, zu denen er flüchtet, verpassen ihm dagegen glatte „Spaghettihaare“. Aber natürlich gibt es für Strubbel ein Happy End und für alle ein leckeres Nudelessen…
Schon ganz junge Leser ab drei Jahren sind in der Lage, Strubbels lustige Erlebnisse ohne erwachsene Hilfe zu „lesen“ und zu verstehen. Ganz nebenbei erkennen sie die dahinter steckende Moral: Es müssen nicht alle Menschen gleich aussehen, um Freunde zu sein.

Bewertung vom 18.09.2016
Kind aller Länder
Keun, Irmgard

Kind aller Länder


sehr gut

Zeitzeugnis aus der Sicht eines Kindes


„Ein Pass ist ein kleines Heft mit Stempeln und der Beweis, dass man lebt. Wenn man den Pass verliert, ist man für die Welt gestorben.“
So definiert die zehnjährige Kully das Ausweispapier, das für sie und ihre Familie Überleben bedeutet. Sie lebt mit ihren Eltern im Exil, seit ihr Vater im Deutschland der 30er Jahre Schreibverbot erhalten hat. Ihr Aufenthalt wechselt ständig; denn der Vater ist ruhelos und hofft stets, an einem anderen Ort, in einem anderen Land bessere Verdienst- und Arbeitsmöglichkeiten vorzufinden. Oft genug kann der Vater das Essen und das Hotel, in dem sie abgestiegen sind, nicht bezahlen, reist allein weiter, um Geld aufzutreiben, und lässt Frau und Tochter als“Pfand“ zurück.
Aus dem Blickwinkel des Kindes schildert Keun, die selbst einige Jahre in Belgien und den Niederlanden im Exil lebte, sehr bildhaft die Probleme politischer Flüchtlinge jener Zeit. Kullys Denk- und Argumentationsweise haftet etwas rührend Schlichtes an; sie ist noch voller Vertrauen darauf , dass ihr Vater - bei all seinen charakterlichen Mängeln - schon das Richtige tut und alles wieder gut wird.
In Kullys kindlich naivem Ton erzählt die Autorin eindrucksvoll aus dem täglichen Leben eines Kindes, das keinen festen Wohnsitz, keine Heimat kennt und nur zwei Schildkröten, eine Puppenküche und einen Kaufmannsladen zum Spielen auf ihren Reisen mitnehmen kann: ehrlich, oft komisch, aber auch melancholisch. Die kindliche Schwerelosigkeit des Stils bildet dabei einen kräftigen Kontrast zur drastischen Wirklichkeit ihres Lebens auf der Flucht. „Alles Unheil der Welt beginnt mit der Angst“ sagt Kullys Vater einmal.
Irmgard Keuns Roman „Kind aller Länder“ erschien erstmals bereits 1938 in Amsterdam, als ihre Bücher in Deutschland bereits verboten waren. Doch an Aktualität hat er keineswegs einbüßt.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.09.2016
Das verlorene Kind
Bussi, Michel

Das verlorene Kind


sehr gut

Fantasie oder Wirklichkeit?


Melancholisch und leicht bedrohlich - bereits das Buchcover spiegelt die Grundstimmung wider, die in Bussis neuem Roman vorherrscht.
Der fünfjährige Malone verfügt über eine überbordende Fantasie, davon ist jeder in seinem Umkreis überzeugt; denn der kleine Junge glaubt, dass Amanda und Dimitri nicht seine wahren Eltern seien. Seine bruchstückhaften Erinnerungen an ein früheres Leben sind verschwommen und vermischen sich mit Märchen und kindlichen Vorstellungen. Nur der Psychologe seiner Vorschule Vasile Dragonman glaubt ihm und vertraut sich Commandante Marianne Augresse von der Kriminalpolizei in Le Havre an. Marianne steckt jedoch gerade mitten in frustrierenden Ermittlungen zu einem schweren Raubüberfall und ist nur schwer zu überzeugen. Doch Vasile bleibt hartnäckig und beginnt eigenständig Nachforschungen anzustellen. Das bringt nicht nur ihn selbst in große Gefahr…
Tempo- und spannungsreich erzählt Bussi den recht ungewöhnlichen Fall des kleinen Malone und konfrontiert den Leser mit der Frage nach der Funktionsweise des menschlichen bzw. kindlichen Erinnerungsvermögens. Wer ist Malones wirkliche Mutter? Ein geschickter Schachzug des Autors ist die Schilderung der Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven: wechselweise wird die Entwicklung der Ereignisse hauptsächlich aus Mariannes Sicht und aus der kindlich-naiven Perspektive des kleinen Jungen wiedergegeben. Auf diese Weise setzt sich nach und nach ein Bild zusammen, das jedoch immer wieder durch überraschende Wendungen verändert und korrigiert wird. So gelingt es Bussi, den Leser bis zum Schluss des Buches in Atem zu halten, selbst wenn manches Detail sehr konstruiert wirkt.

Bewertung vom 09.09.2016
Die unsterbliche Familie Salz
Kloeble, Christopher

Die unsterbliche Familie Salz


ausgezeichnet

Unsterbliche Schatten


Das Leben von vier Generationen einer Familie und ihre Schicksale in einem Zeitraum von einhundert Jahren - was gerät in Vergessenheit, verschwindet; was wird weitergegeben und „unsterblich“, so wie es der Titel formuliert?
Christopher Kloeble geht diesen Fragen auf sehr eindrucksvolle und unterhaltsame Weise in seinem neuen Roman nach, in dem er seinen Lesern einen ausführlichen Einblick in das Leben der Mitglieder der Familie Salz gewährt.
Der Roman beginnt mit der Erzählung Lolas, der Tochter von Rosa und Herrn Salz (wie Lola ihren Vater stets nennt), dem Erwerber des Hotels „Fürstenhof“ in Leipzig. Sie, die als alte Frau viele Jahre im Wachkoma in besagtem Hotel zubringt, schildert ihr Leben einem imaginären Zuhörer. Mit den Schattenrissen ihrer Familie aufgewachsen, die ihre Mutter liebevoll anfertigt, lässt die Existenz menschlicher Schatten und deren Bedeutung sie zeitlebens nicht los. Ihre These „Schatten verraten immer die Wahrheit“ dominiert ihr ganzes Dasein. Und nicht nur das: Auch durch die Lebensläufe ihrer Kinder, Enkel, sogar Urenkel zieht sich das Thema „Schatten“ in jeweils unterschiedlichen Ausprägungen und beeinflusst deren Leben. Doch auch der „Fürstenhof“ hinterlässt Spuren, bei Lola wie auch ihren Nachkommen.
So wird schnell deutlich, warum die Familie Salz „unsterblich“ ist: der Einfluss vorhergehender Generationen, ihr vererbter „Schatten“, lässt sich nicht so einfach abschütteln, sondern wirkt auf die eine oder andere Weise auf das Leben der Nachgeborenen ein.
Kloeble schlägt einen leichten Erzählton an, schildert komische und tragische Ereignisse emotional, ohne rührselig zu sein. Stets ist eine Spur Humor dabei zu spüren, manchmal Galgenhumor. Doch die Leichtigkeit seiner Schreibweise täuscht nicht darüber hinweg, dass sein Roman keinesfalls banal oder „leichte Kost“ ist. Der Autor beleuchtet die lange Geschichte der Familie aus diversen Perspektiven; zu Wort kommen mehrere Familienmitglieder unterschiedlicher Generationen, deren Sicht der Dinge am Ende des Romans ein komplettes, klares Bild ergibt. Seine Protagonisten wirken echt, ebenso menschlich und glaubwürdig erscheinen ihre Probleme, die den Leser unmittelbar berühren. Zusätzliche Lebendigkeit und Authentizität verleiht dem Roman der Apekt, dass die schicksalhaften Ereignisse im Leben der Familie Salz mit einem konkreten historischen Hintergrund verwoben sind.
„Die unsterbliche Familie Salz“ ist für mich einer beeindruckendsten Familienromane, die in diesem Jahr erschienen sind.

Bewertung vom 05.09.2016
Die langen Tage von Castellamare
Banner, Catherine

Die langen Tage von Castellamare


gut

Leichte Lektüre ohne Tiefgang


Eine rote Kladde, gefüllt mit zahlreichen Geschichten, Sagen und Legenden, zieht sich wie ein roter Faden durch diesen Familienroman. Der Arzt Amedeo Esposito, der im Jahr 1914 auf der kleinen abgelegenen Insel Castellamare sein Glück gefunden hat, liebt und sammelt sein Leben lang Geschichten und vermacht sie später seinen Nachkommen. Es ist eine lange Zeitspanne, von der die Autorin erzählt, sie umfasst nicht ganz ein Jahrhundert. Sie schildert Amedeos Werdegang, sein Schicksal auf der Insel und das Leben seiner Kinder, Enkel, bis hin zur Urenkelin Lena. Eingeführt in das nicht immer einfache Leben in Castellamare, zwischen Klatsch, Nachbarschaftshilfe, Religiosität und Aberglaube erlebt der Leser die alltägliche Mühe und Arbeit der Familie mit. Obwohl scheinbar von der Zivilisation abgeschnitten, erreichen die Ereignisse der Weltgeschichte - mit etwas Verspätung - schließlich auch die Inselbewohner. Sie bleiben von Kriegen und Finanzkrisen genauso wenig verschont wie ihre Mitbürger auf dem Festland, erleben voll Staunen neue technische Errungenschaften und den Wirtschaftsaufschwung.
In leichtem, fließendem Stil entwickelt die Autorin ihr Familienepos über die Generationen hinweg, bis ins Jahr 2009 und lässt immer wieder einzelne Geschichten aus Amedeos roter Kladde einfließen. Detailreich beschreibt sie das Auf und Ab der Familie Esposito, politische und soziale Auseinandersetzungen, Begebenheiten, die den dörflichen Frieden stören. Doch etwas Wesentliches fehlt mir an diesem Buch: echte Anteilnahme. Ich als Leser bleibe nur distanzierter Beobachter, der die Ereignisse von außen her, die Oberfläche betrachtet. Für mein Empfinden gelingt es der Autorin nicht, den Leser emotional in das Schicksal der Protagonisten einzubinden; dazu wirken die Charaktere zu flach, zu konstruiert. Immerhin eine leichte, angenehme Lektüre für Liebhaber von Familienromanen.