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Benutzername: 
heinoko
Wohnort: 
Bad Krozingen

Bewertungen

Insgesamt 587 Bewertungen
Bewertung vom 25.08.2020
Was uns verbindet
Gowda, Shilpi Somaya

Was uns verbindet


ausgezeichnet

Ein leises, ein starkes Buch

Nein, spannend im üblichen Sinn ist das Buch nicht. Es erzählt ruhig, fast möchte ich sagen sachlich-distanziert. Und doch war die Lektüre für mich von Anfang bis Ende fesselnd, packend, berührend.
Die Grundhandlung ist schnell erzählt. Eine kanadische Familie wird in ihren Grundfesten erschüttert, als das jüngste Kind Prem in einem unbeaufsichtigten Moment im Gartenpool ertrinkt. Jaya, die Mutter, die aus Indien stammt, kann nicht mehr arbeiten, driftet ab in Meditation und in religiöse Riten. Keith, der Vater, führt sein eigenes Leben mit viel Arbeit und wechselnden Geliebten. Karina, die große Schwester von Prem, die eine innige Beziehung zu ihrem Bruder hatte, gibt sich die Schuld an seinem Tod und geht einen besonders schweren Weg.

Der Autorin ist es auf leise und sehr intensive Weise gelungen, die unterschiedlichen Wege, die die Familienmitglieder nach der Tragödie gehen, aufzuzeichnen. Besonders genau verfolgen wir den Weg von Karina, der von innerem Abgestorben-Sein über blindes Vertrauen zu verschiedenen Verführern hin bis zu zu langsamem Sich-Öffnen für eine hoffnungsvolle Zukunft geht. Mit tiefem psychologischem Verständnis und großem Einfühlungsvermögen, ohne jegliche Larmoyanz, erzählt die Autorin die völlig unterschiedlichen Verarbeitungswege der einzelnen Familienmitglieder, die es erst einmal auseinanderreißt, um Jahre später mit gereiftem Blick neu aufeinander zugehen zu können. Auch der krasse kulturelle Unterschied zwischen Indien und Kanada, zwischen Jaya und Keith, spielt eine wichtige Rolle, umso mehr als sich Karina, die beides in sich trägt, von dieser Diskrepanz schier zerrissen fühlt und erst viel, viel später den darin liegenden wahren Reichtum wahrnimmt. Die detailfreudige und atmosphärisch dichte Erzählweise nimmt gefangen. Ein geschickter Dreh der Autorin ist, gelegentlich aus der Perspektive des toten Prem, der ohne eigene Entwicklung, seine Familie jedoch genau beobachtend, zu berichten.

Ein leises und starkes Buch für Leser, die gerne empathisch und ruhig einer psychologisch klugen Geschichte folgen mögen. Mich hat das Buch sehr bewegt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.08.2020
Die Dschungelfreunde sind los! / Rille Bd.1
Krämer, Fee

Die Dschungelfreunde sind los! / Rille Bd.1


ausgezeichnet

Zauberhaft, einfach nur zauberhaft

Ein junger Berggorilla (Rille), der einen Kuschelaffen (Mr. Gibbs) als Gesprächspartner besitzt und Puzzles liebt, der so laut brüllen kann, dass der Urwald wackelt, aber Angst hat vor allem Unbekannten - den kann man doch nur liebhaben, oder?

Rille soll von seinem Heimatzoo in Leipzig in einen Zoo in Buenos Aires gebracht werden. Doch das Flugzeug muss mitten im brasilianischen Regenwald notlanden und Rille, in eine enge Kiste eingesperrt, landet mit einem schmerzhaften Plumps irgendwo im Nirgendwo. Wie er aus der Kiste befreit wird, sich in der Fremde nach und nach zurechtfindet, wie er ganz viel neue Freunde kennenlernt und nicht verhungert ohne regelmäßige Fütterung wie bisher im Zoo – dies alles und noch viel mehr wird uns in diesem wunderbaren Buch erzählt.

Die einzelnen Kapitel lassen sich jeweils als separate Episoden aus dem aufregenden Leben von Rille lesen bzw. vorlesen. Die Geschichten sind so warmherzig, so liebenswert, so humorvoll und so spannend geschrieben, wie es besser gar nicht geht. Die viele wörtliche Rede lädt den Vorleser ein, sich als Stimmenimitator zu erproben, um die einzelnen Dschungelbewohner lebendig werden zu lassen. Welch ein Spaß! Und es gibt viele Themen, die kindgerecht in Szene gesetzt sind: Eigene Stärken zu entdecken, Mut und Selbstvertrauen zu gewinnen zum Beispiel. Aber dass es auch in Ordnung ist, wenn man mal ängstlich ist oder traurig oder wütend. Und vor allen Dingen, wie wichtig Freundschaft ist, weil man gemeinsam viele tolle Unternehmungen machen kann und viel stärker ist als allein, aber dass man für seine Freunde auch da sein muss, wenn sie einen brauchen.

Meine besondere Begeisterung gilt den hinreißenden, humorvoll-fröhlichen Zeichnungen von Nikolai Renger, der die Dschungelbewohner ausdrucksstark, originell, witzig und liebevoll in Szene gesetzt hat.

Fazit: Ein sowohl von der Gestaltung als auch vom Inhalt her großartig gelungenes Vorlesebuch, dessen Geschichten so manches Thema aus dem kindlichen Alltag auf herzerwärmende Art behandeln.

Bewertung vom 21.08.2020
Hör mal, kennst du Beethoven?

Hör mal, kennst du Beethoven?


sehr gut

Musik macht Freude

In welchem Elternhaus bekommen Kinder von klein auf bereits Zugang zu klassischer Musik? Vermutlich dürfte das eher selten geschehen. Insofern war ich sehr gespannt auf das Hör-Bilderbuch aus dem Coppenrath Verlag, denn auch die Kleinsten nehmen Musik bereits intensiv wahr, wobei Rhythmus zum Bewegen und Melodien zum Mitsingen animieren. Insofern habe ich Zweifel, ob man einem 1 ½-jährigen Kind mit Beethovens Musik eine Freude macht. Leider habe ich keine Möglichkeit, das Bilderbuch mit ganz kleinen Kindern gemeinsam anzuschauen. Die Beschäftigung mit den gestellten Fragen wie zum Beispiel „Welche Instrumente erkennst du“ oder „Was stellst du dir zu diesem Lied vor“ erfordert genaues Hinhören. Und dieses Maß an Konzentration würde ich doch eher etwas älteren Kindern, ab 3 vielleicht, zutrauen.

Schön gemacht ist das Bilderbuch, bunt, fröhlich, mit vielen liebevollen Details gezeichnet. Und gerade die Zeichnungen vermitteln ganz unmittelbar die Botschaft, dass Musik Freude macht. Es sind 5 verschiedene Musikstücke von Beethoven in wenige Sekunden dauernden Ausschnitten durch einfaches Drücken anzuhören, in relativ guter Wiedergabetechnik, allerdings für meine Begriffe zu laut. Im Bilderbuch gibt es auf einzelnen dicken Hochglanzseiten stimmungsvoll gezeichnete Szenen. In kurzen Texten wird dazu erläutert, wieso die jeweilige Komposition besonders passend ist für die in der Zeichnung dargestellte Situation. So „Für Elise“ als in Musik übersetztes Verliebt-Sein oder „Die Mondscheinsonate“ als Bootsfahrt bei Vollmond. Mit etwas größeren Kindern kann man sicher weitere individuelle kleine Fantasiereisen anhand der Musik unternehmen.
Ein großes Fragezeichen allerdings bleibt für mich die zeichnerische Darstellung eines jugendlichen, permanent Fröhlichkeit ausstrahlenden Beethoven. Ein bisschen viel heile Welt ist das. Kann man Kindern, auch kleineren, nicht zumuten, dass Beethoven ein Griesgram war?

Fazit: Eine richtig schöne Idee, durch ein Hör-Bilderbuch Kinderohren für klassische Musik zu öffnen. Gut durchdacht, sorgfältig in der Ausführung und vor allen Dingen Freude an Musik ausstrahlend.

Bewertung vom 19.08.2020
Das Zimmer aus Samt
Richman, Alyson

Das Zimmer aus Samt


ausgezeichnet

Eine Huldigung an Kunst und Schönheit

Der Originaltitel „Die samtenen Stunden“ trifft den Roman viel besser als der deutsche Titel, denn Samt wird im amerikanischen Titel als bildhafte Beschreibung von besonders weichen und besonders wertvollen Stunden gebraucht, nicht so prosaisch wie ein Zimmer, das mit Samtkissen oder Samtvorhängen ausgestattet ist. Noch selten habe ich einen Roman gelesen, der auf so beeindruckende und sehr sinnliche Weise der Schönheit und der Kunst huldigt. Es lohnt sich das Gemälde von Giovanni Boldini, Portrait de Madame de Florian, das im Buch eine zentrale Rolle spielt, im Internet anzuschauen, um nachzuvollziehen, wie perfekt die Autorin dieses Bild, sein Entstehen und seine die Zeiten überdauernde Wirkung schildert.

Zum Inhalt: Zwei Zeitstränge tun sich auf: Paris 1888: Es wird von Marthe erzählt, einer Frau, die in Armut aufgewachsen war, Schneiderin gelernt hatte und schließlich zum Besitz ihres Liebhabers und Gönners Charles wurde, der ihr bis zu seinem Tod in Liebe verbunden blieb. Sie lebte von seiner Großzügigkeit in einer luxuriösen Wohnung und stattete die Räume im Laufe der Jahre mit ihrem besonderen Sinn für Ästhetik mit wertvollen Gegenständen und Gemälden aus. Im Jahr 1938 lernt Solange als angehende Schriftstellerin erstmalig ihre Großmutter Marthe kennen. Während außerhalb der Wohnung die Bedrohung durch Krieg und Besetzung umgeht, hört Solange den Geschichten ihrer Großmutter zu. Die Stunden, in denen Marthe erzählt, sind für Solange „Stunden wie Samt“, weit weg von dem sich ausbreitenden Faschismus, der kalten Wirklichkeit. Eine Haggada, ein jüdisches Buch aus dem 14. Jahrhundert, rettet schließlich das Leben mehrerer Juden, auch das von Solange und ihrem jüdischen Verlobten.

Die Autorin ist eine Geschichtenerzählerin par excellence. Ihre Fähigkeit, detailreich und vor allen Dingen sehr sinnlich ihre Schilderungen auszuschmücken, lassen beim Leser fast kinoreif innere Bilder entstehen, Bilder voller exquisiter Schönheit. Das Buch wirkte in mir noch lange nach, denn gerade der Kontrast einer bewegenden Geschichte in Kriegswirren mit unendlichem Leid und der die Zeiten überdauernden malerischen Huldigung an das Schöne hinterließ in mir einen tiefen Eindruck. Absolut lesenswert!

Bewertung vom 18.08.2020
Geburtstagskind / Ewert Grens ermittelt Bd.6
Roslund, Anders

Geburtstagskind / Ewert Grens ermittelt Bd.6


ausgezeichnet

Ein Prolog, der einem den Atem raubt

Kommissar Ewert Grens kennt seit dem Tod seiner Frau Anni nichts anderes mehr als seine Arbeit im Kommissariat in Stockholm. Meist schläft er sogar dort, auf seinem alten Cordsofa, „dessen Bezug keine Längsrippen mehr hat“. Die kurz bevorstehende Pensionierung schürt in ihm tiefe Ängste. Und da ist auch noch der alte ungelöste Fall, der ihn bis heute nicht loslässt. Damals holte er ein 5-jähriges Mädchen aus einem Apartment. Es hatte unmittelbar nach seinem Geburtstag mehrere Tage zwischen seinen erschossenen Eltern und Geschwistern gelebt. Als er 20 Jahre später zu einem seltsamen Einbruch genau in das gleiche Apartment gerufen wird, werden in ihm schreckliche Erinnerungen und schreckliche Vorahnungen gleichermaßen wach…

Nicht nur der Prolog ist atemberaubend, auch die Spannung über das gesamte Buch hinweg baut sich kontinuierlich auf bis zur rasanten letzten Steigerung gegen Ende. Es geht um Rache und Verrat, um verdeckte Ermittler und um neue Identitäten, um Waffen und Ehre, um Trauma und Liebe, also um eine facettenreiche, lebendige Geschichte, in der der Leser lange, lange im Ungewissen gelassen wird. Die geschilderten Personen sind allesamt authentisch gezeichnete individuelle Persönlichkeiten mit Kanten und Macken, dadurch kommen sie dem Leser erstaunlich nahe, ganz besonders Kommissar Grens in seiner Einsamkeit und ruppigen Art. Zwar musste ich mich anfangs ein wenig an den Schreibstil gewöhnen, der teilweise mit unfertigen Sätzen, oft nur einzelnen Wörtern daherkommt. Doch genau dieser unruhige Schreibstil fördert die Atemlosigkeit beim Lesen.

Fazit: Ein packender, sehr spannender Thriller, perfekt konstruiert, mit überraschenden Wendungen. Absolut lesenswert!

Bewertung vom 16.08.2020
Die Märchenerzählerin
Detering, Monika

Die Märchenerzählerin


ausgezeichnet

Psychogramm eines zerzausten Gedächtnisses

Es geschieht selten. Aber wenn es geschieht, bleibt es im Gedächtnis. Wenn man ein Buch lesen möchte wie so viele andere, unverbindlich, jederzeit weglegbar, aber das Buch sich nicht einfach so lesen lässt. Sondern wenn es sich festhaftet, kleben bleibt, sich ins eigene Leben, in die eigenen Erinnerungen drängt, die Gedanken besetzt. Und wenn man Mühe hat, wieder Distanz zu schaffen zwischen Buch und Leben. Weil man selbst fast so alt ist wie Lila, man sich also auch in der „Vorsterbezeit“ befindet, wie es die Autorin einmal nennt? Oder weil das Buch so gut geschrieben ist, dass es nicht loslässt?
Lila Oelmann ist 76. Eigentlich wollte sie immer nach Tahiti und ist doch in Bielefeld geblieben. Sie war mit Hermann in Liebe verbunden und darf, befristet, nach seinem Tod in seiner Wohnung in einer reinen Männer-WG unterkommen. Durch eine Fülle von aufblitzenden Erinnerungen an Kindheit und Jugend, wie es nur ältere Menschen kennen, erfahren wir von der schönen, immer erfolgreichen Schwester Astrid, die seit mehr als 50 Jahren verschwunden ist. Lila wird klar, dass sie nach Astrid suchen muss, bevor es endgültig zu spät ist. Und tatsächlich gibt es eine Spur…
Die Geschichte zwischen Schuld und Wiedergutmachung lebt von einer dauerhaft inneren Spannung, die den Leser Seite um Seite vorantreibt. Und sie lebt von der liebevollen, detailreichen Schilderung von Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Was mich jedoch an den Büchern von Monika Detering immer wieder besonders fasziniert, ist ihre wunderbare Gabe, mit Wortbildern zu jonglieren und so mit ganz wenigen Worten virtuos ein Gefühl, eine Stimmung zu vermitteln. „Jemandem ein Loch in seine Wichtigkeit schneiden“ zum Beispiel oder wenn „eine Wolke Ungelüftetes tief hängt“ oder wenn „selbst die Blätter zu träge sind zum Rascheln“. Mit „Todesblumen“ auf dem Handrücken „einen Mantel aus Zweifeln tragen“ und mit einem „zerzausten Gedächtnis“ durch die „Vorsterbezeit“ gehen - ein Psychogramm des Alters, wie man es besser nicht zeichnen könnte, mit Humor und Herzenswärme gleichermaßen.

Bewertung vom 15.08.2020
Das 7 Schritte Erfolgsgeheimnis (eBook, ePUB)
Peter, Manfred

Das 7 Schritte Erfolgsgeheimnis (eBook, ePUB)


schlecht

„Sehe dich viel größer als du bist“

Am besten an diesem Buch ist die Werbung für das Buch, das mit vollmundigen Worten verspricht, was es nicht hält. Ein kleines Büchlein mit sehr kleinem Inhalt, angereichert mit vielen Rechtschreibfehlern und sprachlichen Unstimmigkeiten, geschrieben von einem Autor, der das Wörtchen „Ich“ viel benutzt und immer groß schreibt. Sigmund Freud würde wissend lächeln…
Zum Inhalt ist nicht viel zu sagen, weil es nicht viel Inhalt gibt. In sehr, sehr schlicht geschriebener Sprache erfahren wir, wo überall man wie (vielleicht!) an Geld kommt, in Österreich und in Deutschland. Die Voraussetzungen und Bedingungen wurden jeweils in Ausführlichkeit abgeschrieben. Wenn überhaupt etwas in diesem Buch sinnvoll ist, dann höchstens die Links zu bestimmten Institutionen wie z. B. die Industrie- und Handelskammer, von denen man tatsächlich fundierte Informationen bekommen kann. Eine Adresse, auf die ein Existenzgründer allerdings ganz mühelos selbst stoßen kann.
Seinen eigenen sehr fragwürdigen Lehrsatz aus dem Buch hat der Autor jedenfalls rundum verinnerlicht: „Sehe dich viel größer als du bist!“

Bewertung vom 09.08.2020
Die verstummte Frau / Georgia Bd.10
Slaughter, Karin

Die verstummte Frau / Georgia Bd.10


sehr gut

Mehr Thriller und weniger Seelenpein hätten mir besser gefallen

Eine Thriller-Autorin, die seit Jahren gefeiert wird und mit der ich zum ersten Mal anhand des vorliegenden Buches Bekanntschaft machte. Mit hohen Erwartungen zugegebenermaßen. Und offensichtlich mit falschen Erwartungen. Denn, um es kurz zu sagen, die knapp 700 Seiten wurden mir lang, sehr lang…
Zu Tode gequälte, grausam vergewaltigte Frauen – vor 8 Jahren und in der Gegenwart. In zwei Zeitsträngen, zwischen denen die Autorin hin und her springt. Fixpunkt damals und heute ist Gerichtsmedizinerin Sara Linton, damals frisch geschieden vom Ermittlungskollegen Jeffrey Tolliver, heute auf einem schwierigen Annäherungsweg an den Special Agent Will Trent. Will erkennt, dass er im gegenwärtigen Fall nur weiterkommt, wenn er den ersten Fall vor 8 Jahren löst, was schier unmöglich scheint.
Einerseits erweckt die detailverliebte Erzählweise von Karin Slaughter die Geschehnisse besonders lebendig und intensiv zum Leben, andererseits wurde es mir teilweise zuviel an unnützem Beiwerk, das nicht dem Vorankommen der Handlung dient. Über die verschiedenen Schließsysteme an teueren Sargmodellen zum Beispiel muss ich nichts wissen, wenn es nicht bei den Ermittlungen hilft. Überhaupt empfand ich den Thriller streckenweise als mühsam lesbar. Die zweideutigen Ausdrucksweisen in den Gesprächen zum Beispiel, die sich auf Filme oder Künstler beziehen, die ich nicht kenne. Bei einem Thriller möchte ich nicht ständig googeln müssen, um einen verbalen Seitenhieb verstehen zu können. Auch die Konflikte vor 8 Jahren zwischen Jeffrey und Sara und genauso in der Gegenwart Sara’s innere Wirrungen, was Will betrifft, wurden mir zu viel, besonders da ich die Problemchen nicht immer nachvollziehen konnte. Zwar gab es viele spannende Stellen, besonders zum letzten Drittel hin. Auch gefiel mir der scharfzüngige, intelligente Humor. Aber in der Summe hätten mir mehr Krimi und weniger Seelenpein besser gefallen.

Bewertung vom 31.07.2020
Die Geschichte der Gefühle
Boddice, Rob

Die Geschichte der Gefühle


gut

Für den Laien eine mühselige Lektüre

Gerne würde ich klug-kritisch über das vorliegende Buch schreiben, würde in eine fiktive Diskussion mit dem Autor einsteigen, würde vielleicht Argumente oder Beispiele ergänzen oder die des Autors hinterfragen oder würde Kontexte neu bewerten. Dann würde ich vielleicht dem Buch gerecht werden. Aber das kann ich nicht. Ich bin Laie mit einem durchschnittlichen Allgemeinwissen und einer lange zurückliegenden humanistischen Bildung, wissenschaftlich ungeschult. Insofern kann ich den Buchinhalt nur „von außen“ wiedergeben.
Von der Antike bis in die Gegenwart verfolgen wir die Emotionsgeschichte und ihre Veränderlichkeit anhand von biographischen, philologischen, gesellschaftlichen, kulturellen Aspekten und lernen letztlich staunend, dass dem empathischen Erspüren der Vergangenheit enge Grenzen gesetzt sind.
Die treffliche Einbandgestaltung mit der trauernden Maria Magdalena aus dem 17. Jahrhundert lockt den Leser an. Ebenso das Thema, natürlich. Wir alle haben Gefühle. Oft steuern sie, bewusst oder unbewusst, unser Handeln. Aber haben Gefühle eine Geschichte? Erleben Gefühle einen Wandel über die Zeiten hinweg? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Doch der Autor belehrte mich eines Besseren, wobei er es mir nicht einfach machte. Nein, leichte Kost ist dieses Buch wahrlich nicht. Sehr wissenschaftlich, teils spröde-sperrig zu lesen. Ich konnte mich nur häppchenweise mit dem Buch befassen, fühlte mich als Laie trotz meines grundsätzlichen Interesses stellenweise überfordert. Insofern stellt sich mir die Frage, welche Zielgruppe an Lesern der Autor ansprechen wollte mit seinem umfassenden und anspruchsvollen Buch. Zwar habe ich einigen Wissenszugewinn durch die Lektüre erlangt, aber zurück bleibt für mich ein ganz und gar gegenwartsnahes Gefühl der Mühseligkeit.

Bewertung vom 30.07.2020
Die Dirigentin
Peters, Maria

Die Dirigentin


sehr gut

Musik kennt kein Geschlecht

Die Autorin spürt im vorliegenden Roman dem Werdegang von Antonia Brico nach, die als Musikbesessene von Kindheit an darum kämpfte, ihre Passion leben zu dürfen, nämlich Musik zum Leben zu erwecken als Dirigentin. „Man ist … selbst nur ein Instrument, auf dem das Universum spielt“, sagte Gustav Mahler. Und so, genau so empfand Antonia Musik.
Das Leben der Antonia Brico beginnt als das „eingekaufte“ Adoptivkind Willy Wolters in einem lieblosen Elternhaus. Selbst als Erwachsene muss sie ihr selbstverdientes Geld als Schreibkraft an die „Klimperfrau“, ihre Adoptivmutter, abgeben. Wie sich Willy Wolters alias Antonia Brico im Laufe ihres Lebens emanzipiert und sich mit Zähigkeit, geradezu Verbissenheit durchsetzt, das männliche Bollwerk der Musikschaffenden zu stürmen, ist tief beeindruckend.
Dass Maria Peters eigentlich Filmschaffende ist, merkt man dem Buch an. Denn sie schreibt in einzelnen Szenen, nicht erzählend, sondern eher bebildernd. Der Schreibstil im Präsens machte mich beim Lesen irgendwie atemlos, und der Gleichmut, in dem sie berichtet, ebenso. Die Sprache ist klar, manchmal geradezu hart vor Klarheit. Kurze Sätze ohne viel Drumherum. Sensibel, fast verschwörerisch fein wird die Sprache nur, wenn von Musik die Rede ist. Allerdings konnte ich zur Persönlichkeit der Antonia Brico keinen emotionalen Zugang finden, was vermutlich an der nüchternen, sachlich-kühlen Erzählweise liegt. Was mir von diesem Buch haften bleibt, ist die männliche Hybris, die bis heute (!) Dirigentinnen keinen würdigen Platz einräumt.