Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Buchbesprechung
Wohnort: 
Bad Kissingen
Über mich: 
Ich bin freier Journalist und Buchblogger auf vielen Websites. Neben meiner Facebook-Gruppe "Bad Kissinger Bücherkabinett" (seit 2013) und meinem Facebook-Blog "Buchbesprechung" (seit 2018) habe ich eine wöchentliche Rubrik "Lesetipps" in der regionalen Saale-Zeitung (Auflage 12.000).

Bewertungen

Insgesamt 368 Bewertungen
Bewertung vom 20.07.2018
Den Himmel finden
De Luca, Erri

Den Himmel finden


sehr gut

War Jesus ein Mensch, also ein normaler Mann mittleren Alters? Oder war er der Sohn Gottes? In seiner ungewöhnlichen, überaus tiefsinnigen und in der Sprache poetischen Erzählung „Den Himmel finden“, erschienen im Mai beim List-Verlag, versucht der italienische Schriftsteller Erri de Luca (68) die Antwort zu finden. Auf knapp 200 Seiten lässt uns der Autor seinen Protagonisten, einen namenlosen Bildhauer und Restaurator aus einem ebenso unbedeutenden Bergdorf, seine erstaunliche Geschichte erzählen.
Nach einem Streit mit seinen Freunden, mit denen er hilflosen Flüchtlingen auf unbekannten Bergpfaden über die Grenze geholfen hatte, verlässt der Erzähler sein Heimatdorf und sucht sich anderenorts Aufträge als Restaurator. Eines Tages erhält er von einem Priester die ungewöhnliche Aufgabe, eine lebensgroße Marmorstatue des gekreuzigten Jesus zu „entkleiden“. Der einstige Bildhauer hatte seine Skulptur nach eigenem Körper lebensecht geformt. Später war aber das Geschlechtsteil, die männliche „Natur“, wie es in der Erzählung heißt, schamvoll mit neuem Marmor überdeckt worden. Jetzt, nach Jahrzehnten der Verhüllung, soll der Penis des Gekreuzigten wieder freigelegt werden. Der Erzähler scheut sich zunächst vor dieser Arbeit, nimmt sich aber, nachdem auch der Bischof seine Zustimmung gegeben hat, dieses ehrenvollen Auftrags an.
Der Restaurator geht der Geschichte dieser Skulptur nach, sichtet alte Dokumente und findet sogar Bilder der nackten Statue. Darauf entdeckt er, dass der Penis des Gekreuzigten leicht erigiert war, wie es in den Minuten vor dem Tod durch Blutstauung ganz natürlich ist. So beschließt der Restaurator, Jesus nicht als theologische „Kultfigur“, sondern als leibhaftigen, lebensechten Mann darzustellen, zumal der ursprüngliche Bildhauer dies ebenso getan hatte, wie der Restaurator bei weiterer Untersuchung der Skulptur feststellt. Um seinen Auftrag perfekt ausführen zu können, beschäftigt sich der eher ungläubige Restaurator jetzt intensiv mit der Person des Gekreuzigten. Er fragt nicht nur den Priester nach Jesus aus, sondern auch einen Rabbiner und einen Moslem, die Jesus nicht als Gottes Sohn, wohl aber als Propheten kennen.
Während seiner intensiven Arbeit findet unser naturverbundener Restaurator, der nie zuvor sein Bergdorf verlassen hatte, zum wahren, zum natürlichen Glauben, zum Urchristentum. Für ihn sind christliche Tugenden wie Liebe und Barmherzigkeit selbstverständliche Eigenschaften eines reinen, unverdorbenen Menschen, der unser Restaurator zeitlebens war. Statt wie seine Freunde von den Flüchtlingen Geld zu nehmen, war für ihn diese Hilfe ein Akt der Barmherzigkeit. Während andere, vom Priester zuvor befragte Restauratoren im Auftrag der „Entkleidung“ eine Möglichkeit zur Steigerung eigenen Ansehens und Bekanntheitsgrades gesehen hatten, will unser Erzähler aus Ehrfurcht eher auf diesen Auftrag verzichten. Es geht ihm nicht um Prestige und schnöden Mammon.
Manche Kritiker von Erri de Luca halten seine Bücher wegen ihrer Bibelnähe für „theologischen Kitsch“. Dennoch zählt er zu den auflagenstärksten und preisgekrönzen Autoren Italiens. Auch sein Kurzroman „Den Himmel finden“ beschäftigt sich mit der Bibel und ist wahrlich keine Unterhaltungslektüre. Das Buch wird nicht jedem Leser gleichermaßen gefallen. Es kommt beim Lesen auf die eigene Offenheit für theologische Fragen an. Wer sich dafür interessiert, der wird an diesem Kurzroman seine Freude haben – schon allein wegen der poetischen, einfühlsamen Erzählung, wie der namenlose Restaurator während seiner Arbeit die Gefühle und Schmerzen jenes Mannes bei seiner Kreuzigung und dessen Wandel vom Mann zum anbetungswürdigen Heiligen nachzuempfinden versucht.

Bewertung vom 14.07.2018
Die rote Frau / August Emmerich Bd.2
Beer, Alex

Die rote Frau / August Emmerich Bd.2


ausgezeichnet

„Der Krieg mochte vorbei sei, doch das Toben hatte gerade erst begonnen." So endet der erste Band „Der zweite Reiter“ einer 2017 begonnenen Krimi-Reihe um Kriminalinspektor August Emmerich, verfasst von Alex Beer. Pseudonym der österreichischen Schriftstellerin Daniela Larcher (41). In dieser Situation der politischen und gesellschaftlichen Wirren im Wien des Jahres 1920, einer Stadt der Extreme zwischen bitterer Not, politischen Unruhen und wildem Nachtleben, beginnt denn auch Beers wieder empfehlenswerter, im Mai beim Limes-Verlag veröffentlichter zweiter Band „Die rote Frau“.
Kriminalinspektor August Emmerich ist endlich mit seinem jungen, noch lebensunerfahrenen Assistenten Ferdinand Winter in die Mordkommission versetzt worden, wird dort aber wegen seiner Kriegsverletzung in die Schreibstube versetzt. Erst nach schneller Lösung eines Gefälligkeitsauftrags setzt ihn sein Vorgesetzter Gonska als verdeckter Ermittler auf einen brisanten politischen Mordfall an. Emmerich hat nur vier Tage Zeit bis zur Rückkehr seines Chefs. Doch natürlich gelingt es dem gewieften Ermittler dank seines ungewöhnlichen und unerschrockenen Vorgehens, einem perfiden Mordkomplott auf die Spur zu kommen und den Fall zu lösen.
Wie im ersten Band gelingt es der Autorin auch diesmal, das Wien des Nachkriegsjahres 1920 wieder lebendig werden zu lassen. Man hört fast die alte Straßenbahn durch die teilweise heruntergekommenen Stadtviertel rumpeln, man riecht den Essensgeruch aus den Suppenküchen für Notleidende oder das Karbid der Abendbeleuchtung, man schmeckt den Staub und Unrat allerorts und sieht allgegenwärtige Armut, Hunger und Krankheiten, die nicht selten zum Tod führen. Auch die ungefestigte politische Situation nach dem verlorenen Krieg erlebt der Leser eindringlich, die Gefährdung der jungen Republik durch einen möglichen Putsch, der sowohl von links als auch von rechts möglich ist. Obwohl Monarchie und Adel seit Kriegsende abgeschafft sind, muss der im Waisenhaus aufgewachsene Emmerich bestürzt feststellen, dass sich kaum etwas an den sozialen Verhältnissen geändert hat: Jene, die vorher arm waren, sind es noch heute, wurden zudem im Krieg „verheizt“, und der alte Adel wurde durch Geldadel ersetzt. Das Elend auf den Straßen versucht die boomende Filmindustrie mit ihrer märchenhaften Scheinwelt vergessen zu machen.
Fesselnder als die Lösung der von Emmerich schnell in Zusammenhang gebrachten Mordfälle ist die aus unzähligen Puzzle-Steinen von der Autorin eindrucksvoll zusammengesetzte Situations- und Milieu-Schilderung. In der gelungenen Verbindung von Historie und Fiktion warnt Alex Beer erkennbar vor dem heute wieder wachsenden Rechtspopulismus. So lässt sich der letzte Satz dieses Bandes nicht nur als Hinweis auf eine willkommene Fortsetzung dieser Buchreihe deuten, sondern auch als politische Warnung: „Diese Geschichte war noch nicht zu Ende.“

Bewertung vom 08.07.2018
Der einsame Bote / Kommissar Tommy Bergmann Bd.3
Sveen, Gard

Der einsame Bote / Kommissar Tommy Bergmann Bd.3


weniger gut

Der Psychothriller „Der einsame Bote“ des norwegischen Bestseller-Autors Gard Sveen (49), der seit fünf Jahren als neuer Stern am skandinavischen Thriller-Himmel gehandelt wird, wird mein letzter Band aus dieser Reihe um Kommissar Tommy Bergmann gewesen sein. Schon bei Sveens erstem, mehrfach ausgezeichneten Debüt „Der letzte Pilger“ (2016) hatte ich bemängelt, die Handlung sei verwirrend und es gebe bessere als diesen zum „besten Krimi Skandinaviens“ gekürten Thriller. Beim zweiten Band „Teufelskälte“ (2017) stellte ich fest: „In diesem düsteren Thriller sind einfach alle irgendwie krank, jeder auf seine Weise - die möglichen Täter, der Kommissar, seine Kollegin. Bei Gard Sveen herrscht nur Dunkelheit und Wahnsinn.“
Meine damalige Kritik halte ich auch beim neuen, im Juni beim List-Verlag erschienenen dritten Band „Der einsame Bote“ aufrecht, dessen obskure Handlung für Quereinsteiger nicht mehr nachzuvollziehen ist und selbst bei Kennern beider Vorgängerbände anfangs nur Unverständnis und Verwirrung aufkommen lässt. Erst in der zweiten Hälfte der sehr konstruiert wirkenden Handlung kam endlich Spannung auf.
Tommy Bergmann, der psychisch gestörte und sich selbst hassende Kommissar, nimmt sich trotz einer Abmahnung eines aus seiner Sicht noch ungelösten Falles an: Die seit Monaten vermisste 13-jährigen Amanda wurde für tot erklärt, der Mörder angeblich verbrannt und beerdigt, der Fall damit offiziell abgeschlossen. Bergmann sieht sich bei seinen Nachforschungen deshalb von den Kollegen im Stich gelassen. Als auch er fast aufgeben will, stößt er endlich auf die Spur einer mysteriösen Sekte. Ihr Anführer Rostow ist überzeugt, sogar einen Mörder erlösen zu können, wenn dieser ein junges Mädchen opfert – ein im Sternzeichen Widder geborenes, noch nicht 14-jähriges Mädchen wie Amanda oder auch Matthea, die sechsjährige Tochter von Bergmanns ebenfalls psychisch angeschlagener Kollegin Susanne Bech.
Dieser Fall nimmt Bezug auf eine vorangegangene, Jahre zurückliegende Mordserie, bei der mehrere Mädchen und auch Frauen erst aufs Grauenvollste verstümmelt, dann ermordet wurden. Frühere Bezugspunkte nimmt der Autor nun in die Handlung seines dritten Bandes ohne weitere Erläuterungen auf, zudem verwirren ständige Szenenwechsel, so dass man sich beim Lesen allzu sehr konzentrieren muss, um überhaupt sinnvolle Zusammenhänge herstellen zu können. Die eigentlich zur Unterhaltung dienende spannende Lektüre artet somit in Arbeit aus, die den erwarteten Spannungsfluss hemmt und dem Leser die Freude am Buch nehmen kann.
Dazu kommt die ewig düstere Stimmung dieses Thrillers, dem ironische, sarkastische oder jegliche aufmunternde Passagen fehlen, durch die sich andere, auch skandinavische Psychothriller meistens auszeichnen, um dem Leser kleine Erholungspausen zu gönnen. Bei Gard Sveen herrscht auf 300 Seiten ausnahmslos Düsternis und Psycho-Wahnsinn.
Zusätzlich stört die wirklichkeitsfremde Arbeitsweise von Tommy Bergmann und seiner Kollegin Susanne Bech, die beide in völligem Alleingang – nicht nur in Norwegen, sondern sogar im fernen Litauen – versuchen, als Einzelkämpfer den tatsächlich noch unaufgeklärten Fall zu lösen. So unglaubwürdig wie die ganze Handlung ist auch der nur als völlig realitätsfern und völlig absurd zu bezeichnende Schluss dieses Thrillers.
Konnte man den ersten Band „Der letzte Pilger“ vielleicht noch als spannend und wegen mehrfacher Auszeichnungen und Belobigungen als vielversprechendes Debüt des bis dahin unbekannten Thriller-Autors Gard Sveen akzeptieren, ist nach dem schon etwas enttäuschenden zweiten Band „Teufelskälte“ jetzt bei „Der einsame Bote“ aus meiner Sicht das Urteil „nicht empfehlenswert“ durchaus angemessen.

Bewertung vom 07.07.2018
Unter der Mitternachtssonne
Higashino, Keigo

Unter der Mitternachtssonne


weniger gut

ABGEBROCHEN - Der japanische Thriller "Unter der Mitternachtssonne" von Keigo Higashino hat mir überhaupt nicht gefallen, weshalb ich die Lektüre jetzt nach einigen Kapiteln abgebrochen habe: Mit jedem Kapitel wurden neue Handlungsstränge mit neuen Personen ins Spiel gebracht. Die zunehmende Zahl japanischer Namen war mir allmählich zu verwirrend und die Handlungssprünge so irritierend, dass ich keinen "roten Faden" mehr ausmachen konnte und fast den Überblick verlor. Jedes Mal, wenn ich dachte, "jetzt geht's aber endlich los", fing wieder ein neues Kapitel mit neuen Personen an. Nein danke, dafür ist mir meine Zeit zu kostbar!

Bewertung vom 01.07.2018
Cyril Avery
Boyne, John

Cyril Avery


ausgezeichnet

Ein gewaltiges und nachhaltig wirkendes Meisterwerk ist dem irischen Bestseller-Autor John Boyne (47) mit seinem hervorragenden Roman „Cyril Avery“ gelungen, der im Mai im Piper-Verlag erschien. In leichtem Erzählton nimmt sich Boyne auf 740 Seiten eines auch in unserer doch scheinbar so aufgeklärten Gesellschaft noch immer für viele schwierigen und heiklen Themas an – der Homosexualität und Homophobie. Unbegreiflich ist es deshalb, dass der Verlag in Klappentext des Buches nicht ein einziges Mal diese Begriffe nennt, sondern nur oberflächlich in eine Handlung einführt, die dem Autor doch nur als Mittel zum Zweck dient.
Boynes Hauptfigur Cyril Avery ist schwul. In seiner ersten Lebenshälfte wird Cyril von der Gesellschaft als Krimineller verachtet, in der zweiten als Aussätziger gemieden. In einem für dieses Thema erstaunlich lockeren, oft humorvollen, manchmal ironisch-lakonischen Sprachstil – auch dem Übersetzer Werner Löcher-Lawrence gebührt hier ein großes Lob! – gelingt es dem Autor, uns dieses komplexe Thema auf eine sehr tiefgehende, trotzdem leicht verständliche und empathische Weise nahezubringen, uns am Denken und Fühlen homosexueller Männer, an ihren leidvollen Erfahrungen im Wandel der Zeit teilhaben zu lassen.
In leicht lesbarer Schilderung des unruhigen und aufreibenden Lebens des Iren Cyril Avery lernen wir das katholische Irland von 1945 bis in die Sechziger Jahre kennen, in dem Staat und Politik noch von der Kirche gelenkt werden. Wir begegnen religiösem Eifer, einer oft damit einhergehenden Doppelmoral und provinzieller Rückständigkeit. Einerseits steht dort Homosexualität unter Strafe, und Schwule werden öffentlich von der Polizei gejagt. Andererseits wird Liebe unter Männern als schlechtes Gedankengut abgetan oder schlicht ignoriert. „In Irland gibt es keine Homosexuelle“, lässt Boyne einen Arzt in den Sechziger Jahren feststellen. Cyrils zweite Station ist das liberale Holland der Siebziger Jahre. Dort findet er endlich einen festen Partner, zu dem er sich öffentlich bekennen darf. Doch er sieht auch die Kehrseite solcher Freizügigkeit – die Sexsklaverei mit Strichjungen. In den Vereinigten Staaten der Achtziger Jahre wiederum versetzt der todbringende Aids-Virus die Gesellschaft in Schrecken – eine „Schwulenseuche“, wie der Großteil der Gesellschaft glaubt. Auch dort werden Homosexuelle wieder pauschal ausgegrenzt und geächtet. „Reagan kann Schwule nicht ausstehen. Er wird nicht mal zugeben, dass es sie gibt“, wird dem Präsidenten nachgesagt.
Erst im neuen Jahrhundert – viele Jahre nach seiner Rückkehr in die irische Heimat – erfährt Cyril Avery endlich als 70-Jähriger, nur wenige Wochen vor seinem Tod, seinen seelischen Frieden. Nach einer Volksabstimmung ist seit 2015 die gleichgeschlechtliche Ehe in Irland gesetzlich erlaubt.
John Boynes Roman ist ein emotionales, beherztes Plädoyer für Toleranz gegenüber Minderheiten, egal ob sexuell, ethnisch oder religiös begründet. Ihm ist es mit „Cyril Avery“ auf eindrucksvolle Art gelungen, das sonst eher in Sachbüchern oder wissenschaftlichen Werken behandelte Thema gleichgeschlechtlicher Liebe in einer spannenden Handlung darzustellen, die jeden ansprechen und viele zum weiteren Nachdenken anregen dürfte.

Bewertung vom 18.06.2018
Das Kaff
Böttcher, Jan

Das Kaff


sehr gut

„Das Kaff“ ist ein humorvoller, zugleich bissiger, zweifellos mit autobiographischen Motiven durchsetzter Heimatroman, den Jan Böttcher (45) im März im Aufbau-Verlag veröffentlicht hat. Böttcher selbst wurde im niedersächsischen Städtchen Lüneburg geboren und zog zum Studium nach Berlin, wo er noch heute lebt. Jenes norddeutsche „Kaff“, in das der Erzähler, der aufstrebende Architekt Michael Schürtz aus Berlin, wegen eines Großauftrags nach 20-jähriger Abwesenheit zurückkehrt, ist viel kleiner als Lüneburg, eher ein großes Dorf mit ein paar Läden, mit Kneipen und Imbissbuden und sogar noch einem Kino, doch dürften Beobachtungen und Erfahrungen seines Protagonisten denen des Autors ähneln.
Als Heranwachsender hatte Schürtz sein kleinbürgerliches Elternhaus nach einem Streit mit den Eltern verlassen und war nach Berlin gezogen. Wie wohl jeden Jüngling hatte ihn die große Welt gelockt, das Unbekannte, das Abenteuer, die ungeahnten Möglichkeiten der Metropole. Nach dem Besuch der Abendschule hatte er es zum Architekten geschafft. Doch seine Berliner Partner hatten ihn ausgetrickst, sein Vertrauen missbraucht, weshalb Schürtz plötzlich allein stand und um jeden Auftrag kämpfen musste. Die Reihenhaussiedlung in seinem Heimatort war die Rettung. Oder war die Heimat seine Rettung?
Von der Großstadt „verdorben“ mokiert sich Schürtz anfangs recht arrogant über die Kleinbürger, angefangen bei Bruder und Schwester, mit denen er sich schon in der Jugend nicht verstanden hatte. Doch mit jedem weiteren Tag im Kaff wird der Erzähler von längst verdrängten Jugenderinnerungen eingefangen. „An Erinnerungen hat mich immer genervt, dass man sie nicht beherrschen kann“, ärgert sich Schürtz. Tatsächlich spürt er in sich die Veränderung: Wollte er zunächst nur unerkannt sein Bauprojekt durchziehen, besucht er in einer plötzlichen Anwandlung seinen alten Verein, wo er einst ein guter Fußballer war.
Er nimmt alte Freundschaften wieder auf. Die inzwischen alt gewordenen Clubkameraden bitten ihn, die Jugendmannschaft zu trainieren. Zunächst zögernd, findet er zusehends Gefallen an seiner neuen Aufgabe: „Das war ein Bild, das ich vergessen hatte. Das Team, die Mannschaft. Teil eines Ganzen zu sein.“ Schürtz fühlt sich im Team der Kaff-Bewohner wieder aufgenommen. Diese Geborgenheit findet ihren Höhepunkt, als er sich in Clara verliebt, die den „Heimatlosen“ schließlich bei sich aufnimmt.
Böttchers Heimatroman ist nicht schnulzig, nicht romantisch verklärt: Es stimmt schon lange nicht mehr alles in Schürtz' Geburtsort. Der Erzähler urteilt kritisch über jene Mitbewohner, die wie sein eigener Bruder mehr zu sein vorgeben. Er erkennt aber auch Qualitäten der schlicht erscheinenden Menschen wie die der eigenen Schwester oder des alten Tischlers, der noch immer jedes Holzstück ohne Ausschuss fehlerfrei bearbeitet.
Böttchers lesenswerter Roman „erzählt mit viel Witz und leiser Wehmut von der Rückkehr ins Kaff als Rückkehr zum Ich“, wird Schriftsteller-Kollege Benedict Wells im Buchdeckel völlig zu Recht zitiert. Es stimmt wohl, dass man vieles als junger Mensch zuvor Bemängelte mit zeitlichem Abstand und erwachsen geworden oft in einem anderen Licht sieht. So verwundert es nicht mehr, wenn am Ende ausgerechnet Schürtz selbst ein verwahrlostes Waldgrundstück eigenhändig wieder in jenen Fußballplatz zurückverwandelt, auf dem er selbst einst gespielt hatte. Der „Flüchtling“ Schürtz ist wieder zuhause.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.06.2018
Nichts, um sein Haupt zu betten
Frenkel, Françoise

Nichts, um sein Haupt zu betten


sehr gut

Erinnerungen an ein früheres, gefahrvolles Leben in Deutschland zu Zeiten des Nazi-Regimes – die meisten erst Jahrzehnte später mit zeitlichem Abstand von jüdischen Emigranten oder politisch Verfolgten als Buch veröffentlicht – kennen wir unzählige. Etwas ganz anderes sind die Erinnerungen der polnischen Jüdin Françoise Frenkel (1889-1975), die nach ihrer erst im dritten Versuch geglückten Flucht von Frankreich in die Schweiz in den unmittelbar nachfolgenden Monaten am Ufer des Vierwaldstätter Sees ihre Erlebnisse niederschrieb. Diese Aufzeichnungen erschienen bereits 1945 in einem Schweizer Verlag – und gerieten in Vergessenheit. Erst 70 Jahre später wurde ein Exemplar dieser französischsprachigen Originalausgabe auf einem Trödelmarkt in Frankreich wiederentdeckt und 2015, ergänzt um ein sehr persönliches Vorwort von Nobelpreisträger Patrick Modiano sowie zahlreiche Fotos, erneut veröffentlicht. Die deutsche Übersetzung erschien erstmals im Sommer 2016 unter dem Titel „Nichts, um sein Haupt zu betten“ und nun im Februar 2018 als Taschenbuch im btb-Verlag.
Françoise Frenkel, die eigentlich Frymeta Idesa Frenkel hieß, verließ einst ihre polnische Familie im Landkreis Lodz, um in Paris zu studieren. Aus Liebe zur französischen Kultur, Sprache und Literatur eröffnete sie 1921 eher zufällig in Berlin eine Buchhandlung mit ausschließlich französischsprachigen Zeitungen und Büchern. Bald entwickelte sich die Buchhandlung zu einem Treffpunkt französischer Schriftsteller auf Leserreise und intellektuell gebildeter Deutscher. Frenkel hatte sich in wenigen Jahren in Berlin einen Namen als Botschafterin französischer Kultur gemacht. Die Schilderung ihrer Berliner Jahre zwischen 1921 und 1939, jener Jahre der schrittweisen politischen Veränderung in der einst so weltoffenen Reichshauptstadt, ist auf eine Art ebenso faszinierend wie die nachfolgenden Schilderungen ihrer Jahre des Exils erschütternd sind.
Im August 1939 sah sich Frenkel nach zunehmender Behinderung durch die Nazis gezwungen, in Berlin alles aufzugeben, mit nur wenigen Koffern erst nach Paris und nach dessen deutscher Besetzung in den Süden nach Nizza zu fliehen. Als auch dort die Razzien durch das kollaborierende Vichy-System zunahmen, wurde sie von französischen Bekannten in wechselnden Verstecken, in Hinterzimmern und sogar einem Kloster verborgen, bis ihr endlich 1943 die Flucht in die Freiheit gelang.
Die Aufzeichnungen Frenkels, unmittelbar nach gelungener Flucht verfasst, leben von ihrer Authentizität. Da wird nichts verfälscht, nichts aus späterer „Besserwisserei“ tendenziös dargestellt. Diese Jahre der Heimatlosigkeit mit schließlich dreimaligem Fluchtversuch schildert Frenkel sehr bewegend in allen Einzelheiten. Sie beschreibt tagebuchartig ihre Ängste in den Nächten, ihre Selbstmordgedanken, aber auch ihre Träume und Hoffnungen auf Friedenszeiten. Sie charakterisiert Franzosen als „Menschen guten Willens“, die ihr behilflich waren, auch die teils selbstlosen, teils windigen Fluchthelfer, aber ebenso die Beamten, Polizisten, Milizen und andere Kollaborateure. Wir lernen diese Menschen mit ihren Stärken und Schwächen kennen. Frenkel schildert den alltäglichen Verlauf eines Lebens auf der Flucht oder im Verborgenen, wie es damals in Frankreich für ausländische und erst recht für jüdische Flüchtlinge Alltag war. Das Buch „Nichts, um sein Haupt zu betten“ bewegt auch noch nach 70 Jahren seine Leser, da es eine authentische und unverfälschte Schilderung jener Jahre ist.

Bewertung vom 11.06.2018
Ans Meer
Freund, René

Ans Meer


ausgezeichnet

Ein zeitgenössisches Märchen für Erwachsene ist der wunderbare, im literarischen Umfeld bemerkenswerte, knapp 150 Seiten dünne Kurzroman „Ans Meer“ des österreichischen Schriftstellers René Freund (51), der seine Leser wie schon im vorigen Roman „Niemand weiß, wie spät es ist“ (2016) wieder auf eine „ungewöhnliche Reise mit überraschendem Ziel“ mitnimmt. Diesmal begleiten wir Linienbusfahrer Anton, von seinen Fahrgästen liebevoll Bärli genannt, auf seinem Roadtrip der besonderen Art. Es geht in den Süden, ans Meer.
Tagein, tagaus fährt Anton seinen alten Linienbus, bringt Dorfbewohner und Schulkinder in die Stadt und wieder zurück. Ziemlich eintönig ist dieses Leben. Dabei war Busfahrer einst sein Lebenstraum. Jetzt bleibt ihm nur, den einsteigenden Schulkindern wenigstens das anständige Grüßen beizubringen, wenn sie morgens „in einer Art Wachkomazustand ihren Schulen entgegen dämmern“. Denn wer anständig grüßen kann, tut sich im Leben erheblich leichter, weiß Anton. „Ohne Gruß würde man niemals einen Partner finden, ohne vorhergehendes Grüßen kann man auch keine Kinder zeugen, Jedenfalls würde es ziemlich unhöflich aussehen.“
„Ans Meer“ ist ein freundlich stimmender, ein sehr warmherziger Roman, der uns Mut machen will, unserem Leben die schönen Seiten abzugewinnen. Den Mut zu haben, vom eingetretenen Lebenspfad abzuweichen. Als eines Tages die vom Tod gezeichnete, krebskranke Carla den Wunsch äußert, nur noch ein einziges Mal ans Meer fahren und ihren Geburtsort San Marco aufsuchen zu dürfen, trifft Anton eine Entscheidung, die sein Leben verändern wird. „Wir fahren jetzt ans Meer“, verkündet er den verdutzten Fahrgästen.
Dieser charmante Roman ist eine liebenswerte Erzählung, die ähnlich den klassischen Märchen mit ihrem philosophischem Kern uns zum Nachdenken anregt. Wir erleben Anton, der, frisch in seine Nachbarin Doris verliebt, ihr mit seiner Tat einerseits imponieren will - mag sie doch Männer, die etwas wagen -, andererseits enttäuscht vor ihr wegläuft, hatte doch erst in vergangener Nacht ein anderer Mann auf ihrem Balkon gehustet. Befreien kann sich Anton auch endlich von seiner dominanten Mutter, deren andauernde Kontrollanrufe er auf dieser Fahrt schließlich wegdrückt.
René Freund macht als Autor seinem Namen alle Ehre: Er erweist sich in dieser märchenhaften Geschichte als wahrer Freund seiner Charaktere und bringt auch die Handlung zum glücklichen Ende: Doris folgt im Auto des Bruders – er war der Mann, der auf ihrem Balkon gehustet hatte - ihrem geliebten Anton in den Süden, bis beide, endlich glücklich vereint, den Weg gemeinsam fortsetzen. Wie jedes Märchen hat auch dieses eine Botschaft für uns: Wir sollten gelegentlich Mut zeigen und Entscheidungen wagen, selbst wenn sie ungewöhnlich erscheinen und Risiken bergen. Auch Anton muss sich letztlich wegen Entführung seiner Mitreisenden vor Gericht verantworten. Er sitzt seine dreimonatige Gefängnisstrafe leichten Herzens ab, kann er sich doch nach diesem Abenteuer der Liebe seiner Doris und der Freundschaft seiner Reisegefährten sicher sein, die jenseits des vergitterten Fensters auf ihn warten. Nur eine ist nicht mehr dabei: Carla. Sie starb während seiner kurzen Haft – nach ihrem Besuch am Meer. Anton hatte seine Entscheidung, von der eingefahrenen Lebenslinienfahrt abzuweichen, gerade noch zum rechten Zeitpunkt getroffen.

Bewertung vom 07.06.2018
Der Gott jenes Sommers
Rothmann, Ralf

Der Gott jenes Sommers


gut

Mit zwiespältigem Gefühl bleiben wohl viele Leser nach Lektüre des im Mai bei Suhrkamp erschienenen Romans „Der Gott jenes Sommers“ von Ralf Rothmann zurück. Immerhin war der vorangegangene, in 25 Sprachen übersetzte Band „Im Frühling sterben“ (2015) über die Dramen am Rande der Schlachtfelder des Zweiten Weltkrieges ein viel gelobter Bestseller, weshalb die Erwartungen an diesen Folgeband vielleicht zu hoch waren.
„Der Gott jenes Sommers“ beschreibt am Beispiel einer Familie und ihres Umfeldes in Schleswig-Holstein das Alltagsleben wohl vieler Deutscher in den letzten Kriegsmonaten vor dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches – ein Leben voller Verblendung und Denunziation, von Verzweiflung und einem Dasein nach dem Motto „Rette sich, wer kann“. Die Handlung wird aus Sicht der 12-jährigen Luisa Norff geschildert, die nach Bombardierung ihrer Heimatstadt Kiel im Frühjahr 1945 mit Eltern und 19-jähriger Schwester Billie auf das nahe Gut geflohen ist, das ihrem Schwager Vinzent, einem hochrangigen SS-Offizier, gehört, der mit Luisas wesentlich älteren Halbschwester Gudrun aus Mutters erster Ehe verheiratet ist. Hier versucht Luisa die letzten Monate ihrer Kindheit an der Grenze zur Pubertät zu genießen. Der Alltag auf dem Gutshof, verwaltet vom Ehepaar Thamling, geht abseits des Kriegsgeschehens noch seinen üblichen Gang. Nur aus ihrem Fenster sieht Luisa das brennende Kiel. Beim verbotenen Durchstreifen des Waldes erkennt sie in einem Barackenlager verhärmte Gestalten – Kriegsgefangene, die zum Torfstechen versklavt sind; nach Kriegsende wird man dort ein Massengrab finden. Immer mehr Flüchtlinge aus dem Osten werden in Nebengebäuden, Ställen und Scheunen auf dem Gutshof untergebracht. Täglich neue Beobachtungen lassen bei der Zwölfjährigen, die sich in die Welt der Bücher flüchtet, immer wieder Fragen aufkommen, auf die sie nur ansatzweise oder keine Antworten erhält.
Beeindruckend im Sprachstil beschreibt der 1953 in Schleswig geborene Autor die Lebensumstände letzter Kriegsmonate in seiner Heimat Schleswig-Holstein. Doch wirkt das Erzählte auf ältere und erfahrene Leser ziemlich abgedroschen. Rothmann verarbeitet allseits bekannte Klischees sowohl in seinen Charakteren als auch in geschilderten Situationen wie jenem Tanzabend in der einst Juden gehörenden Prunkvilla des Nazi-Schwagers Vinzent: Wehrmachtsoffiziere und Nazi-Größen offenbaren hier, den eigenen Untergang vor Augen, den Verlust jeglicher Moral. Ähnlich dekadente Szenen und Stimmungsbeschreibungen sind allzu bekannt aus früherer Literatur oder Filmen. Auch die in dieser Szene zitierte Aufforderung "Genießt den Krieg, der Frieden wird fürchterlich", ein unter NS-Funktionären damals geläufiges und viel zitiertes Motto, ist längst abgedroschen. Insofern bietet Rothmanns Roman dem älteren Leser nichts Neues, allenfalls vielleicht jüngeren Lesern.
Ein interessanter Baustein ist allerdings der fiktive, von Rothmann kapitelweise eingestreute Bericht des Schreibers Bredelin Merxheim in barockem Deutsch über die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648). Merxheim lässt inmitten der Kriegswirren eine Kapelle bauen, um seinen nach Brandschatzung, Raub, Mord und Vergewaltigung verlorenen Mitmenschen in Gott wieder einen Halt zu geben. Auch Luisa Norff will nach Ende der Schreckensjahre im Kloster Halt finden und Nonne werden: An ihrem erst 13. Geburtstag ist das junge Mädchen überzeugt, nach dem Mord am britischen Piloten, der Hinrichtung des Schwagers, dem Selbstmord des Vaters, dem Verschwinden der Schwester und ihrer Vergewaltigung durch den eigenen Schwager das weltliche Dasein bereits in allen Facetten gelebt und erlebt zu haben.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.06.2018
Inspector Chopra und der Juwelenraub / Inspector Chopra Bd.2
Khan, Vaseem

Inspector Chopra und der Juwelenraub / Inspector Chopra Bd.2


gut

Mit seinen teils humorigen, teils informativen Krimis um den in Ruhestand versetzten Inspector Ashwin Chopra und dessen jungen Elefantenbullen Ganesha entführt uns der britische Schriftsteller Vaseem Khan (45) nach Mumbay, die größte Stadt Indiens, und damit in eine für uns Deutsche ziemlich fremde Welt, die sogar der indischstämmige Autor selbst erst als 26-Jähriger kennenlernte. Nach „Ein Elefant für Inspector Chopra“ (2017) veröffentlichte der Ullstein-Verlag nun im Februar den zweiten Band „Inspector Chopra und der Juwelenraub“. In Großbritannien sind seit 2015 bereits fünf Bände dieser Krimireihe erschienen.
Der Inhalt dieses zweiten Bandes ist schnell erzählt: In Mumbay werden die britischen Kronjuwelen ausgestellt, darunter der sagenumwobene Koh-I-Noor-Diamant aus Indien. Ausgerechnet an dem Tag, als Chopra mit Ehefrau Poppy diese Ausstellung besucht, wird dieser Diamant gestohlen. Um den politischen Skandal schnell herunterzuspielen, verhaftet die Polizei den für die Ausstellung verantwortlichen Sicherheitschef mit der Anschuldigung, Anführer der Diebesbande zu sein. Dieser fleht nun seinen Ex-Kollegen Chopra an, die wahren Täter zu finden. Chopra, der sich seit seiner Pensionierung einen ausgezeichneten Ruf als Privatdetektiv erarbeitet hat, nimmt sich des Falles an.
In seinen Krimis um Inspector Chopra, dem Anhänger der Lehren Mahatma Gandhis, schildert uns Autor Vaseem Khan sehr anschaulich und in Einzelheiten eindrucksvoll das moderne Indien und dessen Metropole Mumbay. Seine Romane werfen einen kritischen, wenn auch augenzwinkernd liebevollen Blick auf die heutige, noch immer in Kasten gegliederte Gesellschaft und führen uns in die Paläste der Superreichen ebenso wie in die dreckigsten Slums am Rand der Millionenstadt. Wir lernen das brodelnde Alltagsleben ebenso kennen wie landestypische Gerichte. Der Autor übt auch mehrfach harte Kritik am Land seiner Vorfahren, klagt die Korruption ebenso an wie die rasche Verwestlichung und damit die Aufgabe der eigenen, Jahrtausende alten Kultur. Gerade in solchen Absätzen seines zweiten Krimis wird erkennbar, wie die gesellschaftlichen Probleme des modernen Indiens den europäischen ähneln. Diese informativen Schilderungen Indiens zeichnen die Krimis von Vaseem Khan positiv aus.
Seinem Sherlock Holmes liebenden Inspector Chopra stellt Vaseem Khan den Jungelefanten Ganesha gewissermaßen als tierischen Dr. Watson zur Seite. Was als Witz gedacht ist, seine Krimis von anderen unterscheiden lässt und im ersten Band noch amüsant war, übertreibt der Autor in seinem zweiten Band allerdings maßlos. Ganze Absätze lang vermenschlicht er diesen Elefanten allzu sehr und beschreibt sogar dessen Gedanken! Dies mag zwar jenen Lesern gefallen, die Haustiere prinzipiell „süß“ finden. Doch kommt die Frage auf: Sollen Khans Romane nun niedliche Tiergeschichten oder echte Krimis sein? Der Autor scheint sich selbst nicht festlegen zu wollen. Doch genau dadurch zieht Khan seine Krimis – zumindest diesen zweiten Band – leider ins Lächerliche. Er zerstört den sonst durchaus positiven Eindruck, den man beim Lesen seiner wirklich interessanten und ernst zu nehmenden Alltagsbeschreibungen des modernen Indiens und seiner vielschichtigen Gesellschaft bekommt. Deshalb hat meine anfängliche Begeisterung über die neue Krimireihe mit dem „ungewöhnlichsten Ermittlerduo der Welt“ bei der Lektüre dieses zweiten Bandes „Inspector Chopra und der Juwelenraub“ leider sehr gelitten.