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Bellis-Perennis
Wohnort: 
Wien

Bewertungen

Insgesamt 869 Bewertungen
Bewertung vom 07.02.2024
Die Schwabinger Morde / Fräulein Anna, Gerichtsmedizin Bd.2
Aicher, Petra

Die Schwabinger Morde / Fräulein Anna, Gerichtsmedizin Bd.2


ausgezeichnet

Anna Zech ist nun unverzichtbare Assistentin in der Münchener Gerichtsmedizin, zumal im August 1914 der Große Krieg begonnen hat, und die ersten Männer, darunter auch einer der Gerichtsmediziner einrücken. Noch ist die Euphorie groß und die meisten glauben, in wenigen Monaten wieder zu Hause zu sein. In diesen Wochen häufen sich die Kindstötungen und Selbstmorde von ledigen Frauen. Doch das Neugeborene, das auf dem Sektionstisch liegt, ist bei der Geburt gestorben. Die dazugehörige Mutter wird gesucht, denn

»Auch die Aussetzung eines Kinds ist schließlich strafbar. Die Zahl der Kindstötungen steigt in letzter Zeit leider an. Weil die Männer im Krieg sind, wissen viele Frauen anscheinend kaum noch, wie sie die Kinder ernähren sollen, die sie haben. Geschweige denn, wie sie ein weiteres Mäulchen stopfen könnten, das sie noch dazu daran hindert, eine Stelle anzunehmen. Das wird in den nächsten Monaten sicher noch schlimmer werden.« Er lächelte bitter. »Einmal ganz abgesehen davon, dass sicher viele Verlobte in der Nacht, bevor sie sich den Tornister auf den Rücken schnallten, von ihren Mädchen zärtlichen Abschied genommen haben. Mit manchen unerwünschten Folgen.«

Anna und der Journalist Fritz Nachtwey mit seinem adeligen Doppelleben beginnen zu recherchieren und stoßen wenig später auf den vermeintlichen Selbstmord eines jungen Mädchens, just in dem Gebäudekomplex, in dem zuvor der tote Säugling gefunden worden ist. Und ausgerechnet der Mann, der vielleicht Licht ins Dunkel bringen könnte, ist tot. Je tiefer sie in die Geschichte eindringen, desto mehr Geheimnisse kommen an den Tag.

Meine Meinung:

Dieser zweite Fall für Anna und Fritz hat mir sehr gut gefallen. Autorin Petra Aicher zeichnet ein ziemlich realistisches Bild von München dieser Zeit. Vor allem in Schwabing hat sich neben den Arbeitern ab der Jahrhundertwende eine bunte Künstlerszene entwickelt, in der auch unkonventionelles Leben möglich ist. In dieses ist ein zweiter Handlungsstrang eingebettet, der die Ablehnung von gleichgeschlechtlicher Liebe thematisiert. Ein auch für die Polizei nicht näher greifbarer Geheimdienst sammelt Informationen zu homosexuellen Männern, verfolgt sie nach §175 und lässt ihnen rasch ihre Einberufungsbefehle zustellen. Auch politisch Auffällige, wie erklärte Sozialisten und Kommunisten werden in die geheime Kartei aufgenommen. Dafür sind zahlreiche Spitzel angeworben, die es mit ihren Anzeigen auch übertreiben, um von ihren eigenen kriminellen Machenschaften abzulenken. Diesmal hält der Fall den Leser durchgehend in Atem. Ich hatte recht schnell einen Verdacht, wer der Drahtzieher der Ereignisse sein könnte. Es werden einige falsche Spuren gelegt und erst nach und nach fügen sich die Puzzleteile zueinander.

Die Hauptfiguren dürfen sich weiterentwickeln. Schmunzeln musste ich, als Fritz nun im Auftrag der Polizei mit dem Gendarmen Martin Stöttner nach Berchtesgaden fahren darf. Auch im Leben von Fritz ändert sich einiges. So steigt Christiane von Arnsberg, die Witwe seines besten Freundes Heinrich, in die Geschäftsführung seiner Zeitung ein. Da könnten sich noch einige Konflikte aber auch Chancen entwickeln. Daneben kümmert sie sich um Anna Schwester Franziska, was Anna so gar nicht recht ist. Aber, Geld regiert die Welt und wer keines oder zu wenig davon hat, ist leicht zu überreden. Wir werden sehen, welche Hintergedanken Christiane hegt, die für die damalige Zeit sehr fortschrittliche Ideen hat.

Weiters dürfen wir historisch belegten Personen wie Erich Mühsam begegnen. Wer mehr über München und Schwabing um die Jahrhundertwende sowie über die illustre Gesellschaft erfahren möchte, dem sei das Buch „Zeit der Verwandlung“ von Stefan Bollmann empfohlen.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem zweiten Band aus der Reihe „Fräulein Anna, Gerichtsmedizin“, der mich bestens unterhalten hat, 5 Sterne.

Bewertung vom 05.02.2024
Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah
Cho, Nam-joo

Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah


gut

Nachdem die südkoreanische Autorin Cho Nam-Joo mit "Kim Jiyoung, geboren 1982" einen Bestseller geschrieben und in ihrer Heimat eine neue feministische Bewegung ausgelöst hat, werden nun auch ihre anderen Werke übersetzt. Letztes Jahr habe ich „Miss Kim weiß Bescheid“ gelesen und ich war nun auf "Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah" gespannt.

Das Buch hat mich ein wenig zwiegespalten zurückgelassen. Einerseits wird Go Manis Familie als arm beschrieben, andererseits besitzt sie Haus und Grund. Auch wenn das Haus sehr klein ist, bildet es doch ein Vermögen. Warum es so erstrebenswert sein soll, in eine Wohnung in einem Hochhaus zu ziehen, erschließt sich mir nicht ganz. Ja, eine solche Wohnung hat bestimmt mehr Komfort (Stichwort Sitztoilette).

Go Manis Mutter wird als zurückgeblieben beschrieben, weil sie keiner bezahlten Beschäftigung nachgeht. Doch sie scheint eine gewisse Bauernschläue zu haben. Wie könnte sie sonst das Schulgeld für ihre Tochter auftreiben?

Die Geschichte wird nicht chronologisch erzählt. Immer wieder gibt es Zeitsprünge. Die Charaktere erschließen sich mir auch nicht wirklich, da ich mich mit der asiatischen Mentalität nicht gut auskenne.

Von Menschen, die ihre Arbeit verlieren und das aus Scham verschweigen, habe ich schon mehrmals gehört. In meinem erweiterten Bekanntkreis gab es ein Ehepaar, dessen Mann ebenfalls gekündigt worden ist und der täglich mit der Aktentasche unter dem Arm die Wohnung verlassen hat, um den Schein in die Arbeit zu gehen, für seine Frau und die Nachbarn aufrechterhalten hat. Die beiden sind nach einiger Zeit aus Wien weggezogen.

Fazit:

Diesem nüchternen Roman über Armut und verlorene Träume, der sich so oder ähnlich auch in einem europäischen Sozialbau abgespielt haben könnte, gebe ich 3 Sterne.

Bewertung vom 05.02.2024
Geteilte Träume / Kinderklinik Weißensee Bd. 4
Blum, Antonia

Geteilte Träume / Kinderklinik Weißensee Bd. 4


ausgezeichnet

Wie der Untertitel „Geteilte Träume“ andeutet, spielt dieser Abschlussband im Berlin der ersten Nachkriegsjahre.
Die Ärztin Marlene und ihrem Mann Maximilian ist es gerade noch rechtzeitig vor der Verhaftung durch die sowjetische Besatzung gelungen, in den alliierten Teil Berlins zu flüchten, da man ihnen vorwirft, als adelige Großgrundbesitzer mit den Nazis kollaboriert zu haben. Als dann Maximilian an einem Herzinfarkt stirbt, bricht Marlenes Welt endgültig zusammen. Marlene und ihre Schwester Emma leben nun jeweils im anderen Teil Berlins und haben sich nichts mehr zu sagen. Die Politik hat das zuvor innige Verhältnis der Schwestern nachhaltig zerrüttet.

Das Kinderkrankenhaus Weißensee steht nun unter sowjetischer Führung und Emma, die schon früher den sozialistischen Ideen nahe gestanden ist, ist dort Pflegeleiterin. Nun soll ihre Tochter Elisabeth „Lissy“ als Ärztin in der Kinderklinik beginnen.

Wenig später häufen sich die Fälle von Kinderlähmung, einer Krankheit, die auch Lissy in ihrer Kindheit betroffen hat und die sie nur mit eiserner Disziplin überwunden hat.

Obwohl der sowjetische Klinikleiter ständig das Kollektiv lobt, das die Klinik ohne entsprechende Mittel und Medikamente betreibt, ist es doch das Engagement von Emma, das den Betrieb des Krankenhauses mithilfe ihres Improvisationstalentes sowie ihrer Bekannten aufrechterhält.

Meine Meinung:

Antonia Blum ist es sehr gut gelungen, die Zustände im Berlin kurz vor der Gründung der DDR darzustellen. Zunächst sind alle froh, den Krieg überlebt zu haben. Man wartet noch auf den einen oder anderen Heimkehrer. Als sich die Lage im sowjetischen Sektor Berlins nicht ganz so entwickelt wie gehofft, beginnt es Emma und Kurt langsam zu dämmern, dass sie eine Diktatur gegen eine andere getauscht haben. Man droht den beiden mit einschneidenden Konsequenzen, die auch Lissy betreffen, wenn Kurt das Schreiben kritischer Zeitungsartikel nicht sofort einstellt.

Die Epidemie der Kinderlähmung ist nicht nur in Deutschland aufgetreten, sondern auch in Österreich. In meinem persönlichen Umfeld kenne ich einige, die daran erkrankt sind. Die Mutter und Tante meiner Freundin (Jahrgang 1938 und 1939), ein Bürokollege (Jahrgang 1939) und meine Cousine (Jahrgang 1948). Alle vier Betroffenen haben unterschiedlich schwere Beeinträchtigungen davongetragen.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem gut gelungenen Abschluss dieser Reihe rund um die Schwestern Marlene und Emma 5 Sterne.

Bewertung vom 03.02.2024
Mama Odessa (eBook, ePUB)
Biller, Maxim

Mama Odessa (eBook, ePUB)


gut

Im Mittelpunkt dieser Familiengeschichte steht der Schriftsteller Mischa Grinbaum, Sohn bzw. Enkel einer russisch-jüdischen Familie. Die Familie Grinbaum durfte, wie zahlreiche andere, 1971 aus der UdSSR ausreisen. Allerdings blieb Jaakow Gaikowitsch Katschmorian, Mischas Großvater zurück. Natürlich sind Literatur und das Schreiben Themen, doch vor allem geht es um die Konflikte in Eltern-Kind-Beziehungen, um Familiengeheimnisse und der Geschichte der Juden in Russland.

Meine Meinung:

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich bin mit diesem Buch nicht richtig warm geworden. Die Ankündigung des Verlages, einen Roman von „großer Leichtigkeit“ vor sich zu haben, hat sich meiner Meinung nach nicht erfüllt. Vielmehr machen sich enttäuschte Hoffnungen und komplizierte Familienstrukturen breit. Als Wienerin kann ich mich an die Zeit, Anfang der 1970er-Jahre erinnern, in denen zahlreiche orthodoxe Juden auf ihrem Weg nach Israel in Wien gestrandet sind.

Ein wenig erinnert der Schreibstil an ein Tagebuch, das allerdings nicht chronologisch geschrieben ist. Der Roman erzählt von enttäuschten Hoffnungen, denn eigentlich wollte Gena Grinbaum, Mischas Vater, nach Israel auswandern. Doch die Familie kommt nur bis Hamburg und findet im Grindelviertel eine neue Bleibe, ohne zu wissen, dass sie auf den Spuren der ehemals blühenden jüdischen Gemeinde Hamburgs wandeln.

Der historische Teil, in dem das Nazi-Massaker an den Juden von Odessa 1941, dem der Großvater wie durch ein Wunder entkommt, und ein KGB-Giftanschlag auf Gena, der allerdings seine Ehefrau trifft, ist recht gut erzählt.

Fazit:

Dieser Roman hat mich leider nicht wirklich gepackt, daher nur 3 Sterne.

Bewertung vom 03.02.2024
Die Spiele
Schmidt, Stephan

Die Spiele


gut

Dieses Buch ist kein typischer Krimi im Sinne von Opfer-Täter-Ermittler-Aufklärung, sondern ein Politik-Krimi, dessen Vorgeschichte bis in die ehemalige DDR reicht.

Was ist passiert?

Im Dunstkreis um die Vergabe der Olympischen Spiele von 2032 wird der deutsche Enthüllungsjournalist Thomas Gärtner von der Polizei in Shanghai des Mordes an dem Charles Murandi, seines Zeichens IOC-Funktionär aus Mosambik, bezichtigt. Gärtner hat Gedächtnislücken, doch ein Video zeigt ihm beim Verlassen von Murandis Hotelzimmer.

Der Ermittler Frank Luo will (oder muss?) den Fall so schnell wie möglich zu einem Abschluss bringen und die Wahrheitsfindung spielt wenig Rolle.

Meine Meinung:

Autor Stephan Schmidt hat sich in diesem Krimi zweier heißer Eisen angenommen. Zum einen die höchst undurchsichtigen Auswahlverfahren und Zuschläge für Großveranstaltungen wie Olympische Spiele und/oder Weltmeisterschaft und Ähnliches. Das zweite heiße Eisen sind die Machenschaften der ehemaligen DDR, die Gastarbeiter hauptsächlich aus Vietnam und Mosambik (und anderen Ländern) geholt hat, sie schuften hat lassen, und sie nach Ablauf der Arbeitsverträge, wieder in ihre Heimatländer abgeschoben hat, nicht ohne die Arbeiter, um Teile ihres Einkommens geprellt zu haben.

Die Charaktere sind fast alle ziemlich undurchsichtig. Der Journalist Gärtner macht da keine Ausnahme. Eine besonders eigenartige Rolle spielt der Ermittler Frank Luo, dessen Gedanken hauptsächlich um sein exzessives Sexleben kreisen. Dieses bringt die Handlung überhaupt nicht weiter und deshalb finde ich es unnötig, dem einen solch breiten Raum in dem Krimi einzuräumen. Sex sells nicht nimmer.

Wir Leser werden in Rückblicken in die komplexen Handlungsstränge eingeführt, doch das Ende wirkt ein wenig überhastet. Der wirkliche Mörder scheint davon zukommen, während Gärtner als Bauernopfer lebenslang bekommt.

»Thomas Gärtner ist kein Mörder und kein Spion. Wir werden weiterhin mit allen journalistischen Mitteln daran arbeiten, die Hintergründe des Falles aufzuklären und unseren Mitarbeiter freizubekommen.« (S. 324)

Obwohl der Krimi reine Fiktion ist, treten die vormalige Kanzlerin Angela Merkel und zahlreiche andere deutsche Politiker ziemlich prominent auf. Das irritiert ein wenig.

„Alle real existierenden Personen in diesem Roman, auch die Bundeskanzlerin, wurden von mir frei erfunden. Bei den anderen Figuren hingegen habe ich mich eng an die Vorgaben meiner Fantasie gehalten.“ (Stephan Schmidt im Nachwort).

Gut gefällt mir die Angabe der Quellen, aus denen sich der Autor inspirieren hat lassen. Das interessiert mich.

Das Cover ist mir ins Auge gestochen. Der Titel kann in mehrfacher Hinsicht interpretiert werden: Die Olympischen Spiele als solches, die Spielchen darum herum, die politischen Spielchen, die diversen Politiker von Ost und west spielen. Vielleicht haben auch Murandi und Gärtner zu hoch gepokert und verloren.

Fazit:

Die Ideen zu diesem Politik-Krimi haben mir gut gefallen, die Umsetzung eher weniger, daher gibt es nur 3 Sterne.

Bewertung vom 02.02.2024
Das Lächeln der Königin (eBook, ePUB)
Gerhold, Stefanie

Das Lächeln der Königin (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Dieser historische Roman ist das Debüt der in Berlin lebenden Autorin Stefanie Gerhold.

Im Mittelpunkt stehen nicht nur die titelgebende Königin Nofretete, sondern vor allem der jüdische Textilunternehmer und Kunstmäzen James Simon (1851-1932) und der Ägyptologe Ludwig Borchardt (1863-1938).

Nachdem Napoleon ab 1799 mit seinen Truppen in Ägypten einmarschiert ist und seine Wissenschaftler zahlreiche Kunstschätze entdeckt und anschließend nach Paris gebracht haben, ist ein regelrechter Wettlauf um Ägyptens Schätze entstanden. England und Frankreich plündern die antiken Stätten mit staatlicher Unterstützung. Das deutsche Kaiserreich kommt ein wenig zu spät, und baut auf private Geldgeber um an den Ausgrabungen teilzunehmen. Einer davon ist eben der kunstsinnige James Simon. Neben zahlreichen sozialen Projekten finanziert er unter anderem die Grabungskampagne im Tell el-Amarna. Die Freude ist groß, als Borchardts Mitarbeiter im Dezember 1912 die Büste der Nofretete, der Gattin von Echnaton, ausgräbt.

Nun muss das Kunstwerk nur noch an der Antikenkommission der Franzosen vorbeigeschleust werden, bevor es nach Berlin gebracht werden kann.

Meine Meinung:

Dieser historische Roman ist penibel recherchiert. Er erzählt, wie in der Vergangenheit (?) Kunstschätze früherer Epochen ausgegraben und in die diversen Privatsammlungen und Museen verbracht worden sind. Die Diskussion um die Restituierung dieser geraubten Artefakten ist ja seit Langem im Gang. Das würdelose Geschachere, wer welches Kunstwerk für welches Museum erhält, ist hier sehr gut beschrieben.

Stefanie Gerhold ist es sehr gut gelungen, die handelnden Personen dazustellen. Zum einen Ludwig Borchardt, der es als seine Lebensaufgabe sieht, vor allem die Bautechnik des antiken Ägyptens zu erforschen, und zum anderen James Simon, der einen beträchtlichen Teil seines Vermögens dafür verwendet, als Jude in der antisemitischen Gesellschaft des deutschen Kaiserreichs anerkannt zu werden.

Der Schreibstil gefällt mir gut. Der Roman liest sich flüssig und die Leser können leicht in diese Zeit abtauchen. Dadurch ist er ein gelungenes Stück Zeitgeschichte. Geschickt sind Fakten und Fiktion miteinander verbunden. Auch das Gerücht, dass es zwei Büsten der Nofretete geben soll, wird hier eingearbeitet.

Im Epilog gibt es einen chronologischen Überblick über die wichtigsten Charaktere und die Ereignisse, die mit der Büste der Nofretete zusammenhängen.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem gelungenen Debütroman, der auch ein Stück Zeitgeschichte ist, 5 Sterne.

Bewertung vom 31.01.2024
Die Hafenärztin. Ein Leben für die Hoffnung der Menschen (eBook, ePUB)
Engel, Henrike

Die Hafenärztin. Ein Leben für die Hoffnung der Menschen (eBook, ePUB)


sehr gut

Kaum glaubt man, dass ein wenig Ruhe in das Leben von Anne, Helene und Berthold einkehrt, so wird man eines Besseren belehrt.

Obwohl Annes Vater Roger van der Zwaan im Gefängnis auf seinen Prozess wartet, scheinen dessen Geschäfte munter weiterzulaufen. Es gibt mehrere Frauen, die nach dem Konsum von geschnupftem Heroin gestorben sind. Dann wird der ehemalige Geschäftspartner von Roger ermordet und Anne wird bei der blutigen Leiche gefunden. Ist sie in eine Falle gelaufen? Die Presse zerreißt die Hauptbelastungszeugin im Prozess gegen ihren Vater in der Luft, zumal ihre Vergangenheit wieder hervorgekehrt wird.

Helene hat mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen, da ihr Bruder Klaus als drogensüchtiges Wrack aus Kuba zurückgekommen ist. Gleichzeitig versucht sie nicht nur Klaus, sondern auch Freundin Pauline, deren gewalttätiger Ehemann vor wenig zurückschreckt, zu retten.

Und Berthold, nunmehr Chefermittler, entdeckt, dass seine tot geglaubte Frau Elisabeth noch lebt. Der Besuch bei seiner Familie gibt ihm recht, mit ihr zu brechen, sein Leben in Hamburg zu leben. Ob er nun mit seiner Vergangenheit endlich abschließen kann?

Meine Meinung:

Henrike Engel gelingt es auch im 4. Band, spannende Geschichten zu erzählen und die miteinander zu verweben. Obwohl die meisten offenen Handlungsstränge aus den vier Bänden verknüpft sind, scheint eine Fortsetzung möglich, denn für Helene und Berthold eröffnet sich eine neue Perspektive.

Die Charaktere dürfen sich weiterentwickeln. Selbst der Helenes engstirniger Vater erkennt die Zeichen der Zeit und geht von seinen puritanischen Glaubenssätzen ab. Wasser predigen und selbst Wein trinken, ist ihm nicht gut bekommen.

Fazit:

Gerne gebe ich auch hier wieder 4 Sterne und freue mich, wenn es eine Fortsetzung gibt.

Bewertung vom 30.01.2024
Die Kapelle
Erle, Thomas

Die Kapelle


gut

Der Klappentext verspricht eine mystische Geschichte, rund um eine alte Kapelle im Schwarzwald und einen Kunsthistoriker, der ein Gutachten über Abriss oder Erhaltung erstellen soll.

Schon die Anreise ist beschwerlich, denn Benedikt Oswald gerät in einen Schneesturm. Vor Ort wird er dann scheel angesehen, denn das Dorf hat unterschiedliche Erwartungen an das Gutachten. Die einen wollen Platz für Neues, die anderen die Kapelle erhalten und die vor Jahren entfernte Statue der Heiligen Barbara zurückbekommen. In diesem Spannungsfeld muss Oswald Zahlen, Daten und Fakten für sein Gutachten sammeln. Dabei kommt es zu Begegnungen, bei denen nicht ganz klar ist, ob sie echt oder nur in seinen Gedanken existieren.

Meine Meinung:

Wir Leser erfahren viel über den Ort Todtnauberg, der einst eine blühende Bergwerkssiedlung gewesen ist, sowie über die Menschen, die seit jeher dort leben. Da haben es „Zugereiste“ schwer. Die werden auf Schritt und Tritt beobachtet, wie es auch Benedikt Oswald erfahren muss. Dieses Gefühl des Beobachtetwerdens kann beklemmend wirken und eine leichte Paranoia auslösen. Auch die Wetterbedingungen und die gefährliche Anreise lassen eine bedrohliche Stimmung aufkommen.

Der erste Abschnitt mit der beschwerlichen Anreise ist im Verhältnis zum Rest der Geschichte für meinen Geschmack zu ausführlich geraten. Dem zweiten Teil der Geschichte hätten ein paar zusätzliche Seiten sehr gut getan.

Diese spannungsgeladene Stimmung der eingeschworenen Dorfbewohner, die ein wenig an Franz Kafka erinnert, ist leider nicht genützt worden, um einen Knalleffekt zu erzeugen.

Die Charaktere haben auch noch ein wenig mehr Potenzial. Besonders Oswald wirkt auf mich nicht sehr tough. In der angegebenen Jahreszeit ohne Winterbereifung in einen Ort, der auf über 1.000 Seehöhe liegt, zu fahren, ist mehr als fahrlässig.

Der Leser muss sich fragen, ob die Ereignisse den Erschöpfungszuständen des Kunsthistorikers zuzuschreiben sind oder wirklich geschehen sind.

Fazit:

Dieser Roman hat recht interessant begonnen, schwächelt aber dann seinem Ende zu. Leider kann ich hier nicht mehr als 3 Sterne vergeben.

Bewertung vom 30.01.2024
Maler Friedrich
Rathgeb, Eberhard

Maler Friedrich


sehr gut

Am 5. September 2024 jährt sich der Geburtstag von Caspar David Friede zum 250. Mal. Grund genug, den Maler und sein Werk ein wenig genauer zu betrachten. Caspar David Friedrich (CDF) komponierte Bilder von magischer Schönheit, aber auch voll düsterer Melancholie. Das machte ihn zu einem der bedeutendsten Landschaftsmaler.

Eberhard Rathgeb begibt sich auf Spurensuche und malt (sic!) ein ganz eigenes Bild des Malers, der als Inbegriff der deutschen Romantik gilt.

Leider verzettelt sich der Autor in ausufernder Weise in mögliche innere Monologe des Malers. Außerdem kommen Zeitgenossen wie Hegel, Fichte, Kant oder Goethe ziemlich prominent zu Wort. Die zahlreichen Zitate aus Briefen an und über CDF unterbrechen mein Lesevergnügen.

Die Lebensgeschichte des CDF (1774-1840) ist für die damalige Zeit recht ungewöhnlich, denn er muss nicht in den väterlichen Betrieb einsteigen, sondern konnte sich der Kunst widmen. Sein Leben ist durch den frühen Tod der Mutter und den seines jüngeren Bruders Christoph, der beim Versuch, den ins Wasser gefallenen Caspar zu retten, selbst ertrunken ist, geprägt. CDF gründet erst sehr spät, nämlich 1818 seine eigene Familie. Schon in jungen Jahren wird der Maler von Depressionen geplagt, die ihn nicht nur einmal an Selbstmord denken lassen. Nach zwei Schlaganfällen kann er kaum noch arbeiten und stirbt am 7. Mai 1840.

CDFs Leben ist geprägt durch die Napoleonischen Kriege und dem Erwachen des deutschen Nationalismus. Die Restauration nach dem Wiener Kongress 1815 und die Repressionen durch die Bespitzelungen lassen die latente vorhandene Depression ausbrechen. Die schlägt sich auch in der Malerei nieder.

Eberhard Rathgeb interpretiert für mein Gefühl zu viel in die Bilder Friedrichs hinein und walzt diese Deutungen noch gewaltig aus. Leider sind die Abbildungen der sechs Bilder drucktechnisch nicht sehr gut gelungen. Da musste ich zum Internet greifen, um Fotos der Gemälde anzusehen.

Fazit:

Dieses Buch ist eher für Kenner des Malers gedacht, denn als Einstieg in das Werk von Caspar David Friedrich ist es vermutlich viel zu detailreich. Gerne gebe ich hier 4 Sterne.

Bewertung vom 30.01.2024
Die Nacht des Blutadlers
Voltenauer, Marc

Die Nacht des Blutadlers


ausgezeichnet

Als der suspendierte Schweizer Kriminalbeamte Andreas Auer erfährt, dass er adoptiert worden ist, reist er für vorerst drei Wochen nach Gotland, Schweden, um nach seiner Herkunft zu suchen. Denn seit einiger Zeit leidet er an unerklärlichen Albträumen, die nicht ausschließlich mit seiner beruflichen und privaten Situation zusammenhängen können. In Gotland, auf dem alten Bauernhof seiner Adoptivfamilie stößt er auf einen nach wie vor ungeklärten Mord an einer sechsköpfigen Familie aus dem Jahr 1979.

Doch je mehr er in Erfahrung bringen kann, desto verworrener wird die Geschichte. Seine Albträume nehmen konkretere Formen an. Was verheimlicht Albin Petterson, der Kriminalbeamte, der den Mord damals untersucht hat? Und warum ist seine damalige Kollegin Johanna Melander just seit jenen Tagen verschwunden?

Kann es sein, dass er, Andreas Auer, der einzige Überlebende dieses Massakers ist?

Meine Meinung:

Marc Voltenauer ist hier ein spannender Krimi gelungen. Wir Leser wissen nicht immer, woran wir sind. Manches, das in einem Kapitel klar erscheint, ist wenig später wieder im Nebel verschwunden. Zudem pendeln wir zwischen mehreren Zeitebenen hin und her. Das heißt, hier muss konzentriert gelesen werden.

Die Spannung ist stellenweise kaum auszuhalten: da eine neue Spur, dort eine Sackgasse. Wieder ein Erinnerungsfetzen, oder direkt ein Wechsel in die Vergangenheit.

Die Auszüge aus dem Obduktionsbericht der Opfer, in denen das Blutadler-Ritual beschrieben wird, ist nichts für Zartbesaitete. Man kann darüber hinweglesen. Vom barbarischen Tötungsritual „Blutadler“ habe ich in historischen Romanen aus der Wikingerzeit gelesen. Dabei sind sich Historiker nicht einig, ob es wirklich so stattgefunden hat oder ob es einer der zahlreichen Mythen rund um die Wikinger ist/war. Deshalb war ich neugierig, wie dieses Ritual in die Gegenwart transportiert wird.

Die Nebenhandlung, warum Auer suspendiert ist und die Krankengeschichte seines Lebenspartners Mikaël hätten für meinen Geschmack durchaus kürzer gehalten werden können. Aber das stört nur wenig.

Interessant habe ich auch die Passagen zur estnischen sowie zur schwedischen Geschichte im Zweiten Weltkrieg gefunden, zumal ich 2023 ein paar Tage in Tallin (Estland) war. Wer weiß, wer damals seinen Namen und seine Herkunft verschleiert hat.

Fazit:

Ein spannender Krimi, den ich nicht so schnell vergessen werde und 5 Sterne gebe.